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2003 | Buch

Kulturwissenschaft als Kommunikationswissenschaft

Projekte, Probleme und Perspektiven

herausgegeben von: Matthias Karmasin, Carsten Winter

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

Der vorliegende Band baut mit seinen Beiträgen auf vielfältigen Diskussionen zum Verhältnis von Medien, Kommunikation und Kultur auf. Die Cultural Turns in den Geistes- und Sozialwissenschaften verdeutlichen, dass dieses Verhältnis aufgrund seiner Komplexität kaum mehr aus einer Perspektive angemessen entfaltet werden kann. Eine zu enge fachliche Orientierung ginge am Ziel vorbei. Die Erforschung von Kultur, Kommunikation und Medien erfordert eine problemorientierte Zu­ sammenarbeit über Fächergrenzen hinaus. Das zeigen alle Beiträge - egal, ob sie dabei jeweils eher neue Gegenstandsbereiche erkunden oder neue Begriffe, Kate­ gorien, Modelle und Bezugsrahmen. Die kulturelle und kommunikative Komplexi­ tät gegenwärtiger Lebens- und Arbeitsbedingungen und die zunehmende globale Dynamik ihres Wandels erfordern es gleichermaßen, die kategorialen Grundbegrif­ fe und theoretischen Bezugsrahmen immer wieder zu überprüfen und zu erneuern. Es freut uns, dass wir Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Forschungsfeldern an den Schnittstellen von Kommunikation, Medien und Kultur zur Mitarbeit gewinnen konnten. Unser Dank gilt auch dem Zentrum für Kulturwissenschaft der Technischen Universität Karlsruhe, an dem Matthias Karmasin eine Stiftungsprofessur für Kulturwissenschaft innehatte, und dabei insbesondere der Geschäftsführerin des Zentrums, Caroline Robertson, die ein hilfreicher und inspirierender Kooperationspartner war und mit uns zur Thematik einen ersten Workshop ausgerichtet hat. Ganz herzlich bedanken möchten wir uns an dieser Stelle auch bei Jessica Köberl, Andrea Leopold und vor allem Rene Rummel, deren Hilfe und Sorgfalt maßgeblich zur Entstehung des Bandes beigetragen haben.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Vorwort

Vorwort
Zusammenfassung
Der vorliegende Band baut mit seinen Beiträgen auf vielfältigen Diskussionen zum Verhältnis von Medien, Kommunikation und Kultur auf. Die Cultural Turns in den Geistes- und Sozialwissenschaften verdeutlichen, dass dieses Verhältnis aufgrund seiner Komplexität kaum mehr aus einer Perspektive angemessen entfaltet werden kann. Eine zu enge fachliche Orientierung ginge am Ziel vorbei. Die Erforschung von Kultur, Kommunikation und Medien erfordert eine problemorientierte Zusammenarbeit über Fächergrenzen hinaus. Das zeigen alle Beiträge — egal, ob sie dabei jeweils eher neue Gegenstandsbereiche erkunden oder neue Begriffe, Kategorien, Modelle und Bezugsrahmen. Die kulturelle und kommunikative Komplexität gegenwärtiger Lebens- und Arbeitsbedingungen und die zunehmende globale Dynamik ihres Wandels erfordern es gleichermaßen, die kategorialen Grundbegriffe und theoretischen Bezugsrahmen immer wieder zu überprüfen und zu erneuern.
Matthias Karmasin, Carsten Winter

Kommunikationswissenschaft im Kontext von Cultural Turns in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Probleme, Projekte und neue Möglichkeiten

Kommunikationswissenschaft im Kontext von Cultural Turns in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Probleme, Projekte und neue Möglichkeiten
Zusammenfassung
Wie die meisten Projekte, die Fächer und fachliche „Grenzen“thematisieren, hat auch diese Forderung von Kulturwissenschaft als Kommunikationswissenschaft eine Vorgeschichte.1 Ähnlich komplexe Vorgeschichten haben auch die Autorinnen und Autoren der Beiträge des Bandes. Auch sie arbeiten schon länger (auch) in den Grenzgebieten beider Problem- und Forschungsbereiche, die freilich — das zeigen alle Beiträge — schwer klar zu unterscheiden sind. Es wird deutlich, dass es nicht nur um Kultur oder Kommunikation „an sich“gehen kann, sondern vielmehr vor allem um Probleme, Projekte und Möglichkeiten insbesondere mit und durch modifizierte oder neue Konzepte im Grenzbereich von Kultur und Kommunikation. Der Band ist daher auch Indikator für eine Unzufriedenheit mit Vorannahmen die unkritisch auf dichotomischen Vorstellungen von Gegenstandsbezeichnungen aber vor allem von Fächern aufbauen. Schon daher sollte nicht an die produktive und in der wissenschaftlichen Diskussionen üblich gewordene Tradition angeknüpft werden, entsprechende „Grenzdiskussionen“oder „Reflexionsdiskurse“quasi „additiv“zu thematisieren wie „Sprachanalyse und Soziologie“, „Sozialstruktur und Kultur“, „Medien und Kultur“oder „Medien- und Kommunikationsforschung vs. Cultural Studies“.2
Matthias Karmasin, Carsten Winter

Kulturwissenschaften als Orientierungen

Kommunikationswissenschaft, Kulturwissenschaft: Glückliches Paar oder Mesalliance?
Zusammenfassung
Welchen Beitrag kann die Kulturwissenschaft zur Kommunikationswissenschaft: leisten? Auf weiche „Gegenstandsbereiche“bezieht sich das? Und welche Perspektiven ergeben sich für eine Kulturwissenschaft als Kommunikationswissenschaft? Die Beantwortung dieser Fragen setzt eine Klärung voraus, die deutlich macht, was Kommunikations- und Kulturwissenschaften eigentlich genau sind, was sie wollen, und wie ihr Verhältnis zueinander ist — und zwar nicht nur auf der Wunschebene. Die Verständigung darüber ist das Thema dieses Beitrags, der sich in drei Thesen zusammenfassen lässt.
  • Meine erste These besagt, dass Kultur und Kommunikation nicht voneinander getrennt werden können. Deshalb sind die Beiträge, die eine Kulturwissenschaft leisten kann, für so gut wie alle kommunikationswissenschaftlichen Fragestellungen unverzichtbar (und übrigens auch umgekehrt).
  • Das heißt aber, und darüber informieren die folgenden beiden Thesen, leider nicht, dass es sich bei den beiden Disziplinen um ein glückliches Paar handelt. Meine zweite These geht davon aus, dass es die Kulturwissenschaft noch viel weniger gibt als die Kommunikationswissenschaft. Es scheint zudem die gemeinsame Eigenart dieser vielen verschiedenen Kulturwissenschaften zu sein, dass jede einzelne, wenn sie sich mit Kommunikation befasst, dies so tut, dass darüber mehr oder weniger sofort das Konzept Kommunikation an den Rand rückt, während stattdessen die auf die kulturellen Kontexte gerichteten Fragen als wesentlich in den Vordergrund geraten. Umgekehrt sind Fragen, die für die Kommunikationswissenschaft von Bedeutung wären, von der Kulturwissenschaft bisher nicht angegangen worden; jede Wissenschaft ist ihrer eigenen thematischen wie institutionellen Logik gefolgt. Ob die Kulturwissenschaft etwas Brauchbares zur Kommunikationswissenschaft beitragen kann, ist deshalb zweifelhaft.
  • Meine dritte These besagt, dass die Kommunikationswissenschaft darauf derzeit aber auch nicht wartet, unter anderem deswegen, weil sie vor einem fundamentalen Neubeginn steht. Sie war bisher eine Art um etwas Marktforschung und um experimentalpsychologisch gewonnene Erkenntnisse erweiterte Zeitungswissenschaft, wenn man es bissig formulieren will. Sie hat sich ihre theoretischen Grundlagen von anderen Wissenschaften geborgt, ihre Themen wurden ihr einerseits von einer gegenüber den Medien immer besorgten Öffentlichkeit, andererseits von Anwendern wie Rundfunkveranstaltern oder Regulierungsinstanzen mit spezifischen Interessen aufgegeben, und auch ihre methodische Orientierung war und ist insgesamt viel zu eng. Unter Berücksichtigung des derzeitigen kulturellen, sozialen, ökonomischen und medialen Wandels muss sich die Kommunikationswissenschaft heute neu definieren und verorten, also neu erfinden (wie es so schön heißt). Dies muss sie aber im Hinblick auf ihre, wenn auch schüttere, Tradition und die sich ihr stellenden Fragen auf eigenständige Weise tun, ohne dass ihr erneut gesagt wird, was sie wie zu tun habe. Sonst hat sie in der Konkurrenz der Disziplinen auf Dauer keine Chance und verschwindet ebenso wie die vor einigen Jahren mit viel Getöse gestartete Informationswissenschaft: oder wird zur publizistischen Marginalie.
Friedrich Krotz
Kultur und Kommunikation als „Medialität“ - Philosophische Überlegungen zum Verhältnis von Kultur- und Kommunikationswissenschaft
Zusammenfassung
Die Frage, welchen Beitrag die Philosophie für das Verhältnis von Kultur- und Kommunikationswissenschaft leisten kann, setzt die Klärung voraus, was man unter diesen Disziplinen zu verstehen habe. Doch diese Bestimmung gestaltet sich — insbesondere für den Fachfremden — schwierig. Glaubt man Hartmut Böhme (2002), dann steht der Dilettant, zumindest in Bezug auf die Kulturwissenschaft, mit diesem Problem nicht allein:
„Nicht einmal klar ist, wer eigentlich die Definitionshoheit über den Begriff der,Kulturwissenschaft‘haben sollte. Die Geschichtswissenschaft kann in Anspruch nehmen, dass unter ihrem Dach vor gut 100 Jahren die Kulturgeschichte entstanden sei. Doch das trügt, weil die Kulturgeschichte nicht als Subdisziplin, sondern als Metakonzept einer nachhegelianischen Universalgeschichte auf den Plan trat — was heutige Historiker weit von sich weisen würden. Weder damals noch heute erzielte die Historie einen Konsens über,Kulturgeschichte‘. Die Soziologie kann für sich die Kultursoziologie reklamieren. Doch diese leidet an dem, was Norbert Elias als Mangel der Geburt der Soziologie ansah, nämlich dass sie als gegenwartsbezogene Krisenwissenschaft entstand. Bis heute hat die Soziologie — vielleicht zurecht — dieses Defizit an historischer Sättigung nicht abgestreift, was sie nicht prädestiniert, eine historische,Kulturwissenschaft‘zu definieren. Die traditionsreiche Volkskunde, die sich zur Empirischen Kulturwissenschaft oder Europäischen Ethnologie gewandelt hat, ist selbstverständlich Mitbeteiligte im Spiel um die Kulturwissenschaft: doch erstens fehlt es ihr an theoretischer Breite, zweitens an historischer Tiefe und drittens an akademischem Einfluss, um ihr die Definition von Kulturwissenschaft überlassen zu können. Die Philologien insgesamt sind als Partner willkommen, doch aufgrund ihrer Methodentradition und ihrer Sprachzentriertheit nicht in der Lage, an einem Fach federführend mitzubestimmen, das nicht auf hermeneutische Exegese und nicht nur auf sprachliche Zeugnisse von Kultur festzulegen ist. Die Philosophen, man mag das bedauern, haben ihren Status als epistemologische Experten mit Einfluss auf Fachentwicklungen dramatisch eingebüßt — und wollen zumeist gar nichts anderes als Fachwissenschaftler sein. Die Kulturwissenschaftler geben mindestens ebenso viele Definitionen ihres Faches von sich wie sie gegenwärtig an Stellen aufbringen.“(ebd.)
Matthias Rath
Kultur ist das „Dünne“, der gemeinsame Nenner in der Vielfalt — das Individuelle ist das „Dichte“, der Ausgangspunkt von Veränderung
Zusammenfassung
Dieser Beitrag demonstriert an einem Beispiel, welche Erkenntnisse die Perspektive von Kommunikation auf Kultur liefern kann. Wie im Titel angedeutet, stützt er sich u. a. auf die Arbeiten von Clifford Geertz, stellte sie aber mit der Behauptung, Kultur sei das „Dünne“, sozusagen auf den Kopf.
Astrid Ertelt-Vieth
Merchants of meaning — Der Beitrag von Kommunikations- und Kulturwissenschaften im Bereich des Marktes
Zusammenfassung
Mein Beitrag bringt ein Beispiel für das enge und befruchtende Zusammenwirken von kommunikationswissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen und Ergebnissen im Bereich des Marktes, genauer im Bereich der Vermarktung von Produkten, der sie begleitenden Werbung und der Unternehmen, die sie produzieren. Meine generelle These dazu lautet, dass Produkte Kommunikationsphänomene eigener Art sind, die nur anhand einer spezifischen kulturellen Logik funktionieren, sie sind Elemente innerhalb von Bedeutungssystemen, die durch semiotische und kulturwissenschaftliche Ansätze beschreibbar sind (vgl. Karmasin 1998, Appadurai 1986, Baudrillard 1996 und Miller 1987).
Helene Karmasin
Medien und der 11. September: Vom „Kulturbruchszenario“in einer Medienkultur
Zusammenfassung
Inzwischen ist es aufwendig, den Überblick zu bewahren angesichts der Zahl der Publikationen und der ihnen nicht selten vorausgehenden Tagungen und Symposien, die sich mit dem 11. September 2001 aus unterschiedlicher — fach-, populärwissenschaftlicher und politischer — Perspektive beschäftigen.1 Die Debatte über die mediale Berichterstattung und deren Angemessenheit hält ebenso an wie die Interpretation ihrer Deutungsangebote. Georg Seeßlens Äußerungen kurz nach dem medial vermittelten „Extremereignis“2 stehen damit nur stellvertretend für eine Reihe ähnlicher Auslegungen, die auch heute noch kursieren: „Die erste Großkatastrophe des globalen Kapitalismus im neuen Jahrtausend schreibt sich direkt in die Seelen ein als das Bild unseres Unterbewußtseins, das nur real geworden ist wie eine Prophezeiung, die endlich wahr wird.“(Seeßlen 2001)
Tanja Thomas
Vom Strukturblick zum Kulturblick. Entwürfe zu einem Blended Theory-Modell
Zusammenfassung
Themenstellungen, die sich über theoretische Modelle gesellschaftlicher Kommunikation erschließen (lassen), sind in der Regel komplex, transdisziplinär und kontextuell. Sie verweigern sich der systematischen Vernunft disziplinierter Formate, entgrenzen die gewohnten (sozialtheoretischen) Bezugssysteme und binden in sich diagonale Interpretamente. Sie umfassen mehr als sozialwissenschaftliche Disziplinen erklären können, sie erschöpfen aber auch nicht das Universum der Philosophie. Möglicherweise erklärt das das oftmals offenkundige Schleudern der Kommunikationswissenschaft zwischen begrifflicher Abstraktion und thematischer Banalität. Weil also Phänomene der gesellschaftlichen Kommunikation Augenblicke auf Welten aufmachen, die nicht (mehr nur) mit Bezügen auf gesellschaftliche Strukturen erschlossen werden, muss eine mit sozialtheoretischen Modellen operierende Kommunikationswissenschaft entweder ihre Kompetenzgrenzen einbekennen oder sie improvisatorisch (ex tempore) durchbrechen. Die allenthalben geforderte, mitunter auch schon vollzogene Öffnung der Kommunikationswissenschaft in Theorie und Methode zu einer lernenden Wissenschaft (vgl. Bauer 2000: 51) signalisiert den Paradigmenwechsel von einer Strukturwissenschaft zu einer Kulturwissenschaft und optiert in diesem Sinne für die entgrenzende Kontextualität der Betrachtung.
Thomas A. Bauer

Epilog

Komplexe Verbundenheiten, Konflikte und Ungewissheiten — zur Entstehung kulturwissenschaftlicher Kulturtheorie
Zusammenfassung
Im Anschluss an den Linguistic-1 und den Cultural Turn2 wird in der Globalisierungsdiskussion seit Anfang der 90er-Jahre erneut eine grundlegende Reflexion von theoretischen Bezugsrahmen angestoßen.3 Im Kontext dieser Diskussion wird eine neue Konzeptualisierung von Kultur insbesondere für empirische und ethnographische Forschung angeregt, um vor allem Widersprüche, Unsicherheiten, Konflikte und materielle Voraussetzungen in kulturellen Prozessen angemessener verstehen zu können. Diese neue Kulturtheorie, deren Entstehung und theoretische Logik hier rekonstruiert wird, kann keinem der vielen kulturwissenschaftlichen Fächer exklusiv zugeordnet werden — sie ist insofern genuin kulturwissenschaftlich.
Carsten Winter

Kommunikationswissenschaft nach dem Cultural Turn

Kultur, Kommunikation und Artikulation. Cultural Studies als generativer Diskurs
Zusammenfassung
Die Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen Kultur- und Kommunikationswissenschaft aufzuzeigen, stellt im deutschen Sprachraum eine relativ neue und für viele ungewohnte Perspektive dar. Sie problematisiert das bisherige Selbstverständnis der Kommunikationswissenschaft, indem sie deren primäre Ausrichtung an naturwissenschaftlichen Modellen und Annahmen in Frage stellt und zu einer Auseinandersetzung mit konstruktionistischen und poststrukturalistischen Positionen einlädt, die im englischen Sprachraum bereits fest institutionalisiert sind. In deren Sichtweise entstehen kulturelle Bedeutungen durch den kommunikativen Austausch zwischen Menschen. Die Welt, einschließlich der Kultur, ist nicht objektiv gegeben, sondern wird sozial konstruiert. Die Sprache gewinnt ihre Bedeutungen durch ihren sozialen Gebrauch in Interaktionen. Auch unser Selbst konstituiert sich in den Beziehungen und Praktiken, in die wir eingebunden sind. Damit verknüpft, ergeben sich für die Wissenschaft neue Möglichkeiten. Zunehmend befreit von der Aufgabe, die Welt zu beschreiben und zu erklären, wie sie ist, weil der Natur kein Spiegel vorgehalten werden kann (vgl. Rorty 1981), werden neue Methoden erprobt, die zu alternativen Verständnissen führen (vgl. Rorty 1989; Gergen 1994; Denzin/Lincoln 2000). Die neuen Ansätze berücksichtigen, dass sie die Welt, die sie erforschen, mit hervorbringen.
Rainer Winter
Transkulturalität als Perspektive: Medien- und Kommunikationswissenschaft in Zeiten der Globalisierung
Zusammenfassung
Schaltet man gegenwärtig an einem beliebigen Tag in Deutschland den Fernsehapparat ein und zappt durch die Kanäle, so erhält man einen ersten Blick dafür, was die Globalisierung von Medienkommunikation lokal bedeutet: Neben scheinbar,eindeutig deutschen‘Fernsehsendungen wie Mundart-Theater oder einer Tatort-Sendung mit Lokalkolorit kann man unter einer Vielzahl von,amerikanischen‘,,britischen‘,,französischen‘,,australischen‘und teilweise auch Sendungen aus,anderen‘kulturellen Kontexten wählen. Die Übertragungen großer Sportereignisse werden nicht selten aus sehr verschiedenen Ländern der Welt gesendet und vereinzelt ist zumindest auf ARTE oder 3sat auch ein Beitrag aus einem Land der so genannten Dritten Welt zu sehen. Ein zweiter, etwas detailloerterer Blick — und dies bestätigen wissenschaftliche Untersuchungen — würde aber gleichzeitig zeigen, dass zur Primetime zumindest im Bereich der fiktionalen Fernsehsendungen nach wie vor eine Tendenz zu,nationalkulturellen‘Produkten besteht. Daneben existiert aber auch eine Anzahl von Sendungen wie Videoclips auf MTV, bei denem man sich mit einer,nationalkulturellen Zuordnung‘überhaupt schwer tut.
Andreas Hepp
Medien-Kommunikation-Kultur — Grundlagen einer pragmatischen Kulturwissenschaft
Zusammenfassung
Bei den drei im Titel genannten Begriffen Medien, Kommunikation und Kultur handelt es sich um grundlegende Konzepte, die heute weite Teile der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung prägen und zum Teil neu strukturieren. Mit Blick auf die Geisteswissenschaften haben Wolfgang Frühwald, Hans Robert Jauß, Reinhard Koselleck, Jürgen Mittelstraß und Burkhart Steinwachs bereits 1991 eine kulturwissenschaftliche Wende in Forschung und Lehre prognostiziert.1 Angesichts der zunehmenden Medialisierung und Globalisierung moderner Gesellschaften kann man mit Blick auf die Sozialwissenschaften beobachten, dass die empirisch verfahrende Publizistik- und Kommunikationswissenschaft zunehmend den Anspruch einer neuen sozialwissenschaftlichen Leitdisziplin erhebt (Schmidt/Zurstiege 2000). Zugespitzt formuliert bedeutet das: die Geisteswissenschaften reorganisieren sich derzeit am Leitfaden des Paradigmas der Kultur, und die Sozialwissenschaften reorganisieren sich derzeit am Leitfaden des Paradigmas der Kommunikation.
Mike Sandbothe
Theatralität und Souveränität. Ein diskursanalytischer Beitrag zur thematischen Ausrichtung von Kulturwissenschaft als Kommunikationswissenschaft
Zusammenfassung
Es gibt zahlreiche inhaltliche Schnittstellen zwischen Kultur- und Kommunikationswissenschaft. Eine Verknüpfung der Methoden und Sichtweisen beider Disziplinen scheint daher nicht nur sinnvoll, sondern auch geboten zu sein. Erste Schritte in diese Richtung sind getan. Aber die bereits vorliegenden Kombinationsversuche, die im Kontext heuristisch ambitionierter Forschungsprojekte unternommen wurden, können noch nicht befriedigen. Denn sie beruhen zumeist auf zwei halbherzigen Strategien: Einerseits werden aus beiden Feldern periphere Begriffe und untergeordnete Verfahren, die sich ähneln oder augenscheinlich ergänzen, zur Analyse spezifischer Gegenstandsfelder oder Probleme eingesetzt, andererseits hochabstrakte Generalformeln gewählt, die eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner abgeben. In diesen Vorgehensweisen drückt sich nicht nur eine verständliche Behutsamkeit aus, sondern auch das Wissen um den unterschiedlichen Entwicklungsstand der zusammengeführten Disziplinen. Während die Kommunikationswissenschaft — trotz aller begangenen „Kardinalsünden“(Saxer 1995) — inzwischen über erhebliche Reife und Strenge, eine hochkomplexe Terminologie und sogar einen Kanon obligatorischer Basistheorien verfügt (vgl Burkart 2001, Krallmann/Ziemann 2001), ist die so genannte Kulturwissenschaft (die ja mehr sein will als die Sammlungsbewegung der alten geisteswissenschaftlichen Disziplinen) ein merkwürdig diffuses und schillerndes Gebilde, das seine akademische Bewährungsprobe noch längst nicht bestanden hat (vgl. Daniel 2001).
Lutz Ellrich
Das „Medien-Kulturen-Konnektivitäts-Modell“ — Ein kulturtheoretischer Beitrag zur Entwicklung von Kommunikationstheorie und -forschung
Zusammenfassung
Die Frage „Was machen die Menschen mit den Medien?“ zeigt bekanntlich einen Paradigmenwechsel in der Kommunikationswissenschaft an. Er hat stattgefunden, weil die ursprünglich orientierende Frage „Was machen die Medien mit den Menschen?“ auf falschen Annahmen über mögliche Wirkungen von Medien aufbaute und nicht zu generalisierbaren Erkenntnissen über Medien-,,Wirkungen“ auf Orientierungen, Handlungen und Wirklichkeitsvorstellungen im Kontext von Kommunikation beitragen konnte. Was die einen informiert, das vergnügt die anderen, während es wieder andere verärgert, wobei nicht belegt werden kann, dass das auch so bleibt. Dieser Paradigmenwechsel hat tatsächlich in den Kulturwissenschaften eine Entsprechung: Dort wurde früh kritisiert, dass Handeln nicht durch Normen und Werte „an sich“ orientiert ist, sondern durch deren Interpretation, die stark von der einzelnen Person, deren Erfahrungen, Zielen und Befinden sowie dem Kontext der Interpretation abhängig ist. Genau diese Einsicht, die eine beachtliche Modifizierung von Kulturtheorie zur Folge hatte,1 wurde in ihrer Konsequenz für ein Verständnis von Kommunikation noch nicht angemessen reflektiert — insbesondere noch nicht angemessen kommunikationstheoretisch. In diesem Beitrag wird die Einsicht in die Erfahrungs- und Kontextabhängigkeit von Kultur mit der Frage nach dem Umgang mit Medien verbunden.
Carsten Winter
Backmatter
Metadaten
Titel
Kulturwissenschaft als Kommunikationswissenschaft
herausgegeben von
Matthias Karmasin
Carsten Winter
Copyright-Jahr
2003
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-80422-8
Print ISBN
978-3-531-13825-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-80422-8