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18.08.2014 | Umwelt | Interview | Online-Artikel

Nachhaltiges Lesen mit der BücherboXX

verfasst von: Günter Knackfuß

4 Min. Lesedauer

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Die öffentliche Straßenbibliothek "BücherboXX" besteht aus einer alten Telefonzelle. Konrad Kutt erklärt im Interview das Projekt und berichtet über die Weiterentwicklung zur EuropaboXX.

Die öffentliche Straßenbibliothek, genannt BücherboXX, ist ein Projekt vom Institut für Nachhaltigkeit in Bildung, Arbeit und Kultur in Berlin. Dabei gestalten Jugendliche in der Berufsausbildung den Aus- und Umbau alter Telefonzellen zum Leseort von der Beschaffung bis zur Aufstellung und Betreuung.

Springer für Professionals: Die Projektidee "Nachhaltige BücherboXX" macht offenbar Fortschritte. Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht und wie geht es weiter?

Konrad Kutt: Die insgesamt jetzt zwölf BücherboXXen in den verschiedenen Stadtteilen von Berlin werden sehr gut angenommen. Dort, wo sie steht, ob in Schulen oder auf Straßen und Plätzen weckt die BücherboXX Neugier und die Bereitschaft, sich von einem gefundenen Zufalls-Buch überraschen zu lassen. Gleichzeitig trennt man sich auch gerne von einem guten Buch und stellt es in die BücherboXX, weil es neue Leser finden soll. Die am Aus- und Umbau beteiligten Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe sehen darin eine echte Herausforderung und einen Kompetenzzuwachs für alle Beteiligten, vor allem in dem mitunter schwer zugänglichen Lernbereich der „nachhaltigen Entwicklung“. Zweckentfremdung oder Vandalismus hat es bisher nicht gegeben. Bei der Weiterentwicklung setzen wir auf eine verstärkte Kooperation mit Frankreich, auf eine stärkere Einbindung von Ausbildungsbetrieben und allgemeinbildenden Schulen sowie insgesamt auf eine Förderung des Lesens.

Das Tauschen und Teilen nimmt immer mehr zu. Wie verträgt sich diese Entwicklung mit einer auf Wachstum ausgerichteten Ökonomie?

Wir setzen darauf, dass sich das Bewusstsein für Nachhaltigkeit stärker entwickelt. Mehr und mehr kommt dabei eine neue Ökonomie des Teilens zum Vorschein, bei der es um (Mehrfach-)Nutzen statt Haben geht, um Langlebigkeit, Zukunftsfähigkeit und Ressourceneffizienz. Diese Ökonomie zeigt die Grenzen eines unflektierten Wachstums auf, zumal wenn dieses durch den Einbau von Kaputtmachern, Werbung und Suchtmitteln manipuliert wird. Aufklärerisch wirken kann vielleicht ein Wachstum des Lesens, ein Wachstum des Wissens um die Dinge.

Die Straßenbibliothek lebt vom zivilgesellschaftlichen Engagement der Anwohner. Ist die Bereitschaft dafür in der Gemeinschaft überhaupt gegeben?

Wir machen auch in dieser Hinsicht gute Erfahrungen. Die Straßenbibliothek ermöglicht einen kostenlosen Zugang zu Büchern für alle und wird damit zu einem Gemeingut. Viele Bürger sind bereit, sich dafür zu engagieren, es zu pflegen und zu erhalten. 

Thematisch sind ja die Buchinhalte weit gefächert. Was wird in ihren Projekten am meisten nachgefragt?

Das richtet sich ganz nach den unterschiedlichen Interessen der nutzenden Leser, was reinkommt und was wieder rausgeht. Alles ist dabei: vom Kochbuch bis zu Belletristik, vom Reisebuch bis zum Krimi, vom Jugendbuch bis zur Biographie berühmter Personen. Dort, wo viele Kinder wohnen, werden natürlich Kinder- und Jugendbücher getauscht.

Rund um die BücherboXX haben sich inzwischen auch Gespräche und Diskussionen etabliert. Welche Erfahrungen gibt es dabei?

An einigen BücherboXXen gibt es Betreuergruppen, die sich regelmäßig treffen. Rund um die BücherboXX ergeben sich spontane Gespräche. Vor allem aber werden Lesungen und Diskussionen vielfältiger Art organisiert. In Schulen werden rund um die BücherboXX Literaturtage organisiert. An der BücherboXX am Gleis 17 z. B. haben wir inzwischen mehr als zehn Lesungen zum Thema Jüdisches Leben, Nationalsozialismus, Rassismus, Euthanasie usw. mit großer Resonanz durchgeführt. Lest Gutes und redet darüber. 

Nach einer engen Kooperation mit Frankreich gibt es jetzt auch die EuropaboXX. Was hat es damit auf sich?

Im Vorfeld der Europawahl am 25. Mai 2014 haben wir gemeinsam mit Auszubildenden und dem Künstler Joy Lohmann eine sogenannte Europa-BücherboXX gestaltet. Die Idee war, den Blick auf die große literarische Tradition Europas zu lenken und mit Schriften, Büchern und Materialien über Europa zu informieren und damit für die Wahl zu motivieren.
Sie stand am 9. Mai, dem Europatag, auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor und absolvierte danach mehrere Wanderstationen über die lange Nacht der Wissenschaften, der Nelson-Mandela Schule in Berlin-Wilmersdorf – bis sie schließlich für einige Zeit (ab 1. 9. 2014) zur Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kommt.

Das Motto:  "Bring ein Buch – Nimm ein Buch – lies ein Buch"  beabsichtigt, dass letztlich zum Lesen motiviert werden soll. Kann man damit im digitalen Zeitalter überhaupt noch punkten?

Wir geben da nicht auf. Lesen ist ein Königsweg zur Identitätsfindung. Artur Schopenhauer hat gesagt: „Lesen ist Denken mit fremden Gehirnen“, um das eigene Gehirn zu entdecken und seinen Möglichkeiten gerecht zu werden. Die digitalen Medien mit den sozialen Netzen einschließlich Fernsehen betreiben häufig Diebstahl von Zeit, die dem Lesen verlorengeht. Das E-book hingegen betrachten wir eher als eine Ergänzung nicht als Ersetzung des Buches, dessen haptisches Umblättern viele nicht missen möchten.

Das Interview führte Günter Knackfuß, freier Journalist, für Springer für Professionals.

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