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2022 | Buch

Politik zwischen Macht und Ohnmacht

Zum politischen Umgang mit der Corona-Pandemie in Deutschland

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Über dieses Buch

Dieser Band analysiert den politischen Umgang mit der Corona-Pandemie in Deutschland. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Steuerungsverständnisse seitens der politischen Akteure (Regierung, Föderalismus, Länder, Kommunen, Sicherheitsbehörden, EU usw.) in den einzelnen Phasen zugrunde lagen. Es wechselten Staatsverständnisse zwischen Allzuständigkeit und unterstellter mangelnder Handlungsfähigkeit. Es wird nach den Lernerfahrungen und den Konsequenzen für zukünftig denkbare Krisenfälle im demokratischen Staat gefragt.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

Frontmatter
Corona – routinierte Krise oder Wendepunkt des Politischen?
Zusammenfassung
Hans-Jürgen Lange zeichnet in seinem Beitrag zunächst den Verlauf der Corona Pandemie nach. Er hält fest, dass Corona ein weltweites Ereignis ist, eine Pandemie bislang mit mehreren Millionen Toten weltweit. Der Autor vertritt die Meinung, dass Corona durch weitgehende Impfungen eingedämmt scheint, doch ein wellenförmiger Verlauf über mehrere Jahre hinweg wahrscheinlich sei. Der Vorsatz „Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben“ werde hohe Summen einfordern, die die schädlichen Auswirkungen für die Wirtschaft abfedern sollen. Verbunden damit sieht er politische und gesellschaftliche Konfliktlagen, die auf Dauer Parteiensysteme durcheinander wirbeln und bewährte Konsense infrage stellen.
Hans-Jürgen Lange

Staatsaufgaben und Grundrechtsschutz

Frontmatter
Staatsmacht gegen Naturgewalt: Wie viel Sicherheit schuldet der Staat den Menschen angesichts der Pandemie?
Zusammenfassung
Hans-Peter Bull geht der Frage nach, wieviel Sicherheit der Staat für die Bürgerinnen und Bürger zu leisten hat. Das Recht auf Freiheit und die Pflicht des Staates, diese zu gewährleisten, setzt Sicherheit somit ins Verhältnis zur Freiheit. Ausgehend von den grundsätzlichen Fragen, die im Verständnis von Staatsaufgaben angelegt sind, prüft Hans Peter Bull die Spannungsverhältnisse, die sich im Zuge der Pandemie für das staatliche Handeln ergeben haben. Wie weit geht die Verpflichtung zum „Schutz des Lebens“ und inwieweit rechtfertigt es Eingriffe in die individuelle Freiheit, um den Schutz aller zu realisieren? Wie weit darf der Staat dabei Leben abwägen, beispielsweise das der Alten gegenüber dem der Jungen, das der Schwerkranken gegenüber dem der Gesunden? Oder das Leben des Einzelnen im Vergleich zum Leben der Vielen? Aber auch in der Abwägung der sachlichen Güter stellen sich vergleichbare Fragen: der Schutz der Wirtschaft oder der Vorrang des Gesundheitsschutzes? Und nach welchen Maßstäben handelt der Staat, wenn das Wissen über die Zusammenhänge, wie bei Corona, gar nicht eindeutig ist?
Hans Peter Bull
Freiheit vs. Sicherheit? Grundrechtliche Aspekte der Pandemiebekämpfung
Zusammenfassung
Die Konflikte des Grundrechtsschutzes, namentlich hinsichtlich des Rechts auf Freiheit und des Rechts auf Schutz des Lebens, stehen für Markus Thiel im Vordergrund. Die Verfassung eröffnet den Behörden zunächst ein breites Spektrum an Möglichkeiten, zum Schutz vor den Folgen der Pandemie in Grundrechte einzugreifen, um damit den Schutzmechanismen Wirkung zu verschaffen. Diese sind allerdings jederzeit auch durch gerichtliche Instanzen infrage zu stellen. Für das staatliche Handeln ergibt sich eine komplexe Situation. Es muss bei jeder Maßnahmen den Schutz grundrechtlicher Bestimmungen bedenken, und es muss eine Abwägung vornehmen, welche Priorisierung von Maßnahmen vorgenommen wird, und dabei auch unterschiedliche Wahrnehmungen der Bevölkerung berücksichtigen, beispielsweise auch in der Gefahreneinschätzung – Corona-Skeptikerinnen und -Skeptiker schätzen Ursachen und Auswirkungen der Corona-Pandemie grundsätzlich anders ein als die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Dennoch muss staatliches Handeln auch die Anliegen einer Minderheit berücksichtigen oder wenigstens begründen, warum diese Anliegen konkret nicht berücksichtigt werden.
Markus Thiel

Die Rolle der Exekutive

Frontmatter
Exekutive in der Pandemie: Machtzuwächse, Sachzwänge und Gefahren für Demokratie und Rechtsstaat
Zusammenfassung
Jan Fährmann, Hartmut Aden und Alexander Bosch setzen sich mit der Exekutive in der Pandemie auseinander und behandeln den Umstand, dass solche Situationen immer auch die Stunde der Regierungen sind und Machtzuwächse mit sich bringen, Sachzwänge dominieren und Gefahren für die Demokratie und den Rechtsstaat entstehen lassen. Die Autoren zeigen auf, dass sich zu Beginn der Pandemie die Erfahrung bestätigt hat, wonach Regierungen mit intensiven Maßnahmenkatalogen reagieren, die Parlamente zunächst gelähmt sind, vor allem aber auch die Bevölkerung ein entsprechendes Handeln der Exekutive unterstützt. Die Autoren plädieren dafür, die in der Corona-Pandemie beobachtbaren Entwicklungen auszuwerten und die Erkenntnisse präventiv für zukünftig auftretende Ereignisse, seien es neue Pandemien oder auch Konfliktsituationen im Falle einer sich entwickelnden Klimakrise, zu nutzen. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass weite Teile der öffentlichen Verwaltung auf eine solche Krisensituation weder konzeptionell noch hinsichtlich ihrer technisch-organisatorischen Ausstattung vorbereitet gewesen seien. Die Ausarbeitung bzw. Vertiefung von entsprechenden ´Preparedness`-Programmen sei nach Einschätzung der Autoren eine aus der Corona-Entwicklung zu ziehende Konsequenz, die damit vor allem praktizierter Grundrechts-, Demokratie- und Rechtsstaatsschutz sei.
Jan Fährmann, Hartmut Aden, Alexander Bosch
Föderalismus in der Corona-Krise: Kapazitäten, Legitimation und Krisenmanagement
Zusammenfassung
Im Beitrag von Jens Lanfer richtet sich der Blick auf die föderale Verwaltungsordnung. Auch er sieht, dass Regierung und Verwaltung zu Beginn der Pandemie einen deutlichen Machtzuwachs erfahren haben. Dieser Zuwachs habe sich vor allem darauf konzentriert, die Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit zu erweitern und damit den Ausbau der Gesundheitsverwaltung vorzunehmen. Jens Lanfer stellt zudem die Frage, ob der föderale Staat die Durchsetzung staatlicher Macht mehr oder weniger zulasse als unitaristische Staatsmodelle. Er untersucht in dieser Perspektive zunächst die Mechanismen föderaler Systeme und beschreibt die Wechselwirkungen der zur Verfügung stehenden Instrumente im bundesdeutschen ‚Verbundföderalismus‘.
Jens Lanfer

Bevölkerungsschutz

Frontmatter
Die Corona-Pandemie und die föderale Kompetenzordnung
Anmerkungen zu einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“
Zusammenfassung
Hans Peter Weinheimer geht zuallererst auf die Vielfalt der Begrifflichkeiten und die Komplexität der Rechts- und Kompetenzordnung des Gesundheitsschutzes und des Zivil- und Katastrophenschutzes (Bevölkerungsschutz) ein und nimmt eine Abgrenzung zwischen Katastrophenvermeidung und Katastrophenbewältigung und damit zwischen Infektionsschutz und Katastrophenschutz vor.  In der Corona-Pandemie nimmt das Infektionsschutzgesetz eine herausragende Bedeutung ein. Es ist das zentrale Instrument der Bundesregierung - insbesondere des Gesundheitsministeriums - zur Wahrnehmung einer übergreifenden Steuerungsfunktion in der Pandemie. In dem Beitrag wird jedoch auch deutlich, dass die Rechtsgrundlagen und Zuständigkeitsregelungen in der Pandemiebekämpfung ebenso wie im Bevölkerungsschutz dringend der Weiterentwicklung bedürfen. Sie werden in der vorliegenden Form vor allem den Anforderungen an die Bewältigung erwartbarer „Gefahren- und Schadenslagen von nationaler Bedeutung“ nicht genügen. Der Autor spricht sich daher für weitgehende institutionelle Reformen und für eine Fortentwicklung der Rechtsgrundlagen aus. Dies schließt ausdrücklich das Grundgesetz ein.
Hans-Peter Weinheimer
Corona kommt nach der Resilienz
Zusammenfassung
Peter Buchner konzentriert sich auf die katastrophal zu nennende Situation, die Corona bedeute. Er vergleicht die Pandemie mit außergewöhnlichen Schadensereignissen der jüngeren Vergangenheit: die Hamburger Sturmflut von 1962, die Heidebrände 1975, die Oderflut 1997, das Elbe-Hochwasser 2002. Er fragt danach, mit welchen Funktionslogiken diese Ereignisse bewältigt wurden. Das in der Katastrophe dominierende Führungssystem gleicht in vielen Punkten dem militärischen. Die in der Corona-Situation ergriffenen Maßnahmen scheinen von dieser weit entfernt zu sein, im Kern, so der Autor, finden sich aber durchweg Ähnlichkeiten. Vor diesem Hintergrund spricht Peter Buchner sich dafür aus, eine „Katastrophenlogik“ zu entwickeln, die geeigneter wäre,  Großschadensereignisse wie die Pandemie wirkungsvoll zu bekämpfen.
Peter Buchner

Resilienz demokratischer Institutionen

Frontmatter
Politische Eskalationsdynamiken und staatliches Krisenmanagement in der Corona-Pandemie
Zusammenfassung
Jens Lanfer und Sophie-Marie Epstein gehen davon aus, dass die staatlichen Maßnahmen unter den Bedingungen hoher Ungewissheiten ergriffen wurden. Eine Blaupause, wonach sich die Behörden ausrichten können, lag mangels Erfahrungen in der bundesdeutschen Geschichte nicht vor. Die Schließung weiter Teile der Wirtschaft, der Kultur, ebenso der Freizeitangebote, war in der Situation durchaus schlüssig, stürzte aber auch sehr viele Menschen in wirtschaftliche und finanzielle Nöte. Proteste gegen Corona-Maßnahmen, Verschwörungserzählungen und vieles mehr finden hier den Anfang. Die Autorin und der Autor beschreiben dabei die Mechanismen von Furcht, Sorge und Angst, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Die Effektivität des staatlichen Handelns und die emotionale Basis der Bevölkerung stehen sich gegenüber. Beschrieben werden die Konflikte, die daraus resultieren, insbesondere wenn die Effektivität des staatlichen Handelns in Zweifel gerät und dadurch der Gegenpol zu emotionalen Stimmungen schwindet. Schlimmstenfalls kann dies zu Legitimationsverlusten des gesamten politischen Systems führen.
Jens Lanfer, Sophie-Marie Epstein
Proteste gegen Corona-Schutzmaßnahmen
Die Demokratie im Spannungsfeld zwischen dem Demonstrationsrecht und der Schutzpflicht des Staates
Zusammenfassung
Anne Frankewitsch untersucht die Proteste, die sich zunehmend an den Corona-Maßnahmen entzündeten. Sie blickt zunächst auf die Entwicklung politischen Protestes in der Bundesrepublik, insbesondere die Anti-AKW-Proteste sind zu nennen. Der Widerstreit der Grundrechte zeigte sich bei den ersten Protesten gegen die Corona-Maßnahmen von Beginn an – Lebensschutz (im Sinne eines Verbotes solcher Proteste, um Infektionen zu verhindern) versus Versammlungsfreiheit (im Sinne eines auch in der Pandemie zu gewährleistenden Demonstrationsrechts) standen sich normativ schnell gegenüber. Die Gerichte sprachen eine Reihe von Urteilen, die für weitergehende Spannungsfälle im Falle einer anhaltenden Pandemie eine grundlegende Bedeutung haben werden.
Anne Frankewitsch

Bildungssektor

Frontmatter
Hochschulen und Corona – Orte der Lehre werden zu leeren Orten?
Zusammenfassung
Mechthild Hauff hat untersucht, wie in den Hochschulen in NRW auf Corona reagiert wurde. Im Sommersemester 2020 wurde ein faktischer Lockdown verhängt. Zunächst gedacht für eine überschaubare Zeit, führte die Entwicklung dazu, dass dieser bis zum Sommersemester 2021 anhielt. Der Lehrbetrieb sollte auf digitale Formate umgestellt werden. Studierende, Lehrende, die Hochschule als Organisation waren auf eine solche Situation kaum vorbereitet. Das Wissenschaftsministerium reagierte in schneller Folge mit Verordnungen, die den rechtlichen Rahmen herstellten, um beispielsweise Lehrveranstaltungen und Prüfungen etc. rechtssicher und zugleich pandemiegerecht durchführen zu können. Die Hochschulen waren auch den schnellen Wechsel von Präsenz- zu medidaler Lehre technisch und organisatorischkaum vorbereitet. Die Präferenz von Studierenden und Lehrenden richtete sich darauf, die Rückkehr zum Präsenzbetrieb  sobald wie möglich anzustreben und langfristig die Digitalisierung der Hochschullehre zu intensivieren.
Mechthild Hauff

Politikberatung

Frontmatter
Wissenschaftliche Politikberatung in der Corona-Krise
Zusammenfassung
Der Beitrag von Michael Böcher und Max Krott zeigt, dass in der Pandemie zuvor wenig präsente wissenschaftliche Politikberatungsakteure wie das Robert-Koch-Institut (RKI) oder der zuvor wohl nur Spezialisten bekannte Virologe Christian Drosten, die sonst kaum im Blick des öffentlichen Interesses stehen, in Erscheinung traten. Wissenschaftliche Politikberatung ist in der Corona-Pandemie allgegenwärtig und beeinflusst die politischen Entscheidungen. Die Autoren führen zunächst ein in die theoretischen Modelle der Politikberatung. Die Autoren zeigen auf, wie auf der Basis von Unwissenheit (über das pandemische Geschehen) die Politik häufig kurzfristigen Vorschlägen, die eine schnelle Umsetzung versprechen, gegenüber den langfristig angelegten Erwägungen den Vorzug gibt. Es zeigt sich, dass die politischen Kalküle im Politikberatungsprozess eindeutig überwogen, also keinesfalls die Politik von der Wissenschaftlichkeit der Annahmen getrieben wurde. Die politischen Kalküle sind aber wiederum sehr stark beeinflusst von der öffentlichen, insbesondere medialen Kommunikation. Die von ihr erzeugten Bilder sind wirkungsmächtig. Für die erfolgreiche Politikberatung ist es entscheidend, diese Bilder in die eigene Beratungsstrategie zu integrieren. Die Autoren zeigen, dass Politikberatung ein differenziertes Rollenverständnis von Wissenschaft und Politik voraussetzt.
Michael Böcher, Max Krott

Öffentliche Diskurse

Frontmatter
Öffentliche Kommunikation, Polizei und Corona
Zusammenfassung
Eine große Bedeutung wird den Öffentlichen Diskursen zugebilligt. Stefan Jarolimek und Anne Melzer analysieren dabei die Öffentliche Kommunikation. Diese habe sich gerade durch die neuen Medien zum Teil radikal gewandelt und kann für veränderte und schnelle Protestformen entsprechend genutzt werden. Die Autorin und der Autor nehmen hierbei die Polizei in den Blick und zeigen auf, wie diese sich sowohl auf die neuen Technikmöglichkeiten ausrichtet als auch auf die veränderten Formen von Demonstrationen reagiert.
Stefan Jarolimek, Anne Melzer
Sicherheit wovor und für wen? Ethik in der Pandemie
Zusammenfassung
Katharina Krause und Katharina Wezel befassen sich mit Fragen der Ethik in der Pandemie. Zunächst wird aus ethischer Perspektive problematisiert, welche Bedrohungszuschreibungen, Verantwortungskonstellationen und Schutzbedürftigkeiten im öffentlichen Diskurs Raum fanden und welche nicht. Dabei wird argumentiert, dass häufig bemühte Gegenüberstellungen von Wirtschaft und Gesundheitsinfrastruktur, gesund und krank sowie stark und schwach zu kurz greifen und einer komplexen gesellschaftlichen Lage wie einer Pandemie nicht gerecht werden. Daher dient dieser Beitrag nicht nur der sicherheitsethischen Reflexion der Corona-Pandemie, sondern versteht es als Aufgabe der Ethik selbst, sich mit der Frage auseinander zu setzen, wie diese Diskussionen korrigiert werden können. Als Korrektiv werden Grundannahmen der Fürsorge-Ethik, sowie ein komplexes Vulnerabilitätsverständnis vorgeschlagen, welches die Wandelbarkeit von Bedrohungslagen und Bedarfen, sowie Schutzbedürftigkeiten und Verantwortungskonstellationen besser abbilden können.
Katharina Krause, Katharina Wezel

Polizei und Sicherheitsdienste

Frontmatter
Freiheit und Gesundheit? – Die Polizei im Spannungsfeld des Infektionsschutzes
Zusammenfassung
Matthias Zeiser und Marwin Engel zeigen anhand eines Polizeipräsidiums auf, wie Polizei selbst mit der Pandemie umgegangen ist. Die Autoren beschreiben, wie die internen Abläufe in der Behörde auf die neue Pandemiesituation umgestellt wurden. Oberste Maxime war, die Funktionsfähigkeit der Polizei zu erhalten. Zugleich hatte die Polizei die wachsenden Aufgaben im Rahmen der Pandemiebekämpfung zu leisten. Soweit es möglich war, mussten allerdings auch hier Bedienstete, die nicht operativ eingesetzt werden, ihren Arbeitsplatz auf Homeoffice umstellen. Die Vielzahl der Beschäftigten, die sich im Außeneinsatz befanden, waren wiederum bestmöglich zu schützen – Desinfektionsmittel, Masken, wenn notwendig auch mit Schutzanzügen. Die Versorgungsengpässe traten hier ebenso auf wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Die Überragung vieler Verwaltungsarbeiten auf Homeoffice überlastete das Informationsnetz der Polizei. Der Bericht der Autoren verdeutlicht die Fülle an Problemen, die sich für die Polizei stellten, gleichzeitig bei den Bürgerinnen und Bürgern, ebenso in der Leitung der öffentlichen Verwaltung die Erwartung vorlag, in Gestalt der Polizei über eine stets einsatzbereite Organisation zu verfügen.
Matthias Zeiser, Marwin Engel
Private Sicherheitsdienste in Zeiten von Corona
Zusammenfassung
Harald Olschok und Kirsten Wiegand zeigen die Situation der privaten Sicherdienstleister auf. Bis zum Beginn der Coronapandemie verlief die wirtschaftliche Entwicklung der Sicherheitsdienstleistungswirtschaft positiv. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unternehmen leisteten einen vielfältigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit in Deutschland. Durch die Corona-Krise fielen etliche Tätigkeiten weg, neue kamen hinzu. Diese können die Verluste der Branche insgesamt nicht auffangen. Es handelt sich jedoch um Tätigkeiten - Kontrolle der Einhaltung von Hygiene-, Abstands- und Zutrittsregeln - die während der Pandemielage unverzichtbar geworden sind. Bevor die Sicherheitsdienstleister jedoch diese wichtigen Aufgaben zum Schutz der Bevölkerung vor einer weiteren Ausbreitung des Infektionsgeschehens aufnehmen konnten, hatten sie mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Besonders gravierend waren die fehlende Möglichkeit, notwendiges Personal zu qualifieren und die fehlenden Anerkennung als systemrelevante Branche. Diese Probleme müssen behoben werden, damit die privaten Sicherheitsdienstleister und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit leisten können.
Harald Olschok, Kirsten Wiegand

Der europäische Rahmen im Verlauf der Pandemie

Frontmatter
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die grenzbezogenen Krisenreaktionsmaßnahmen der EU und auf das nationale Grenzsicherheits- und Migrationsmanagement
Zusammenfassung
Bernd Walter zeigt auf, dass mit der Pandemie sofort die Frage möglicher Kontrollen der Binnengrenzen in der EU, mehr noch ihrer Außengrenzen, gestellt wurde. Es lag die Vermutung zugrunde, damit auch Infektionsentwicklungen wenn nicht stoppen, so doch verlangsamen zu können. Zugleich wurde die Gefahr der Schließung von Binnengrenzen für den Binnenhandel gesehen, die schnell Warenketten unterbrechen könnte. Der Autor zeigt auf, wie sehr diese beiden Positionen die weiteren Beratungen der EU bestimmt haben. Zwischen den Interessen der EU-Kommission, die an der Aufrechterhaltung der europäischen Regeln massiv interessiert war, und den Mitgliedsstaaten, die auch an nationalen Regelungen Gefallen fanden, entwickelten sich Spannungen. So auch in Bezug auf Deutschland. Die zeitweise angeordnete Wiedereinführung von Grenzkontrollen, durchaus mit Schengen vereinbar, wurde zu einem Instrument, das häufig genutzt wurde. Bernd Walter benennt eine Reihe von verbesserten Absprachen und Vereinbarungen, die vergleichbare Interessengegensätze und Unstimmigkeiten im Rahmen der EU verhindern könnten.
Bernd Walter
Die Corona-Pandemie in Großbritannien und Frankreich
Staatsverständnisse in der Lockdown-Debatte
Zusammenfassung
Isabelle-Christine Panreck unternimmt in ihrem Beitrag eine komparative Analyse staatlichen Handelns im Zuge der Corona-Pandemie. Als Fallbeispiele dienen ihr Großbritannien und Frankreich. Hierbei orientiert sie sich an den von Genschel und Zangl aufgeworfenen Dimensionen von Staatlichkeit - der Organisations- und Entscheidungskompetenz sowie der Letztverantwortung -, um das Geflecht aus nicht-staatlichen und staatlichen Akteuren im Politikfeld der Gesundheit im europäischen Mehrebenenspiel zu durchdringen. Offenbaren sich in der Rhetorik der französischen und britischen Regierung gerade in den ersten Wochen der Krise gewisse Ähnlichkeiten, wirkt sich der zeitlich mit dem Beginn der Pandemie in Großbritannien zusammenfallende Brexit auf das staatliche Handeln in Westminster aus. Fordert Macron eine vertiefte europäische Integration, gleicht die EU bei Johnson kaum mehr einer Randnotiz. Zudem streift die Autorin die in beiden Ländern vorherrschenden Dispute um Zentralisierung und Dezentralisierung politischer Entscheidungen sowie die in Großbritannien im Frühjahr 2020 präsente Debatte um Herdenimmunität, wobei sich eine gewisse Sympathie der Regierung für eine solche Herangehensweise offenbarte. Schließlich erhellt der Beitrag für den Fall Frankreichs, wie die extreme Rechte versuchte, die Pandemie gegen die europäische Idee in Stellung zu bringen. Insgesamt überwiegen im Vergleich beider Länder - Großbritannien und Frankreich - Differenzen.
Isabelle-Christine Panreck

Szenarien der zukünftigen Entwicklung

Frontmatter
Die Gesellschaft der Zukunft und die Folgen der Pandemie
Zusammenfassung
Dieter Grunow geht von einer gesellschaftstheoretischen Perspektive aus und bezieht sich dabei auf eine systemtheoretische Sicht in der Fassung von Niklas Luhmann. Die Pandemie erfasst die gesamte Welt. Es vermittelt sich das Bewusstsein, dass die Welt als ´Weltgesellschaft` zu verstehen ist. Das Virus löst jeweils besondere Reaktionen aus, die wiederum von Pfadabhängigkeiten bestimmt sind. Dennoch werden die unterschiedlichen Funktionssysteme aller Gesellschaften gleichermaßen davon berührt. Eine isolierte Eigendynamik ist nicht möglich, alle Reaktionen auf das Virus hängen letztlich zusammen und bestimmen die Verläufe und Reaktionen der Funktionssysteme. Es ist in diesem Sinne eine globale Veränderung, die damit einhergeht. Ein Zurück in ein „Vor der Pandemie“ wird damit immer unwahrscheinlicher, dies umso mehr je länger die Pandemie anhält. In der Konsequenz bedeutet es, dass nationalstaatliche Reaktionen, sowohl bei der Pandemie als beispielsweise auch beim Klimawandel, sich weitgehend als wirkungslos erweisen werden. Notwendig ist eine internationale Kooperation, zumindest Kooperationsbereitschaft, die ein aufeinander bezogenes Handeln der Funktionssysteme möglich macht.
Dieter Grunow
Der Staat in der Pandemie – Herausforderungen, Instrumente und Interessen im Policy-Making-Prozess
Zusammenfassung
Eckhard Schröter geht der Frage nach, wie moderne Demokratien auf die Herausforderungen der Pandemie reagieren, um die klassische Sicherheits- und Ordnungsfunktion des Staates zu erfüllen. Dieser Frage wird aus der Perspektive der Politikfeldanalyse nachgegangen, so dass bereits der Blick auf  divergierende Interessenlagen, Risikoneigungen und Problemwahrnehmungen das hohe Potential für politische Kontroversen bei der Entwicklung staatlicher Programme zur Pandemiebekämpfung anzeigt. Diese Programme sind auf unterschiedliche Instrumente und Ansätze staatlicher Interventionen angewiesen, die von Informationskampagnen, finanziellen Anreizen und dem Ausbau von neuen Infrastrukturen bis hin zu staatlichen Ge- und Verboten reichen. Wie diese Interventionen in staatlichen Programmen genutzt werden, hängt dabei wesentlich von politischen Anreizstrukturen ab, die sich aus der Verteilung politischer „Gewinne“ und „Verluste“ aus der Sicht der wesentlichen (organisierten) gesellschaftlichen Interessen ergeben. Strukturell sind daher Unterangebote bei restriktiven Maßnahmen der Infektionskontrolle, aber Überangebote von Verteilungs- und Subventionsprogrammen bei der staatlichen Pandemiepolitik zu erwarten. Daraus ergibt sich das Risiko für demokratische Staaten, keine Pandemiepolitik entwickeln zu können, die den Infektionsschutz priorisiert und zugleich politisch und finanziell nachhaltig ist.
Eckhard Schröter

Schlussbemerkung

Frontmatter
Corona – die unsichtbare Katastrophe
Zusammenfassung
Hans-Jürgen Lange konkludiert, dass die Entwicklungen in der Pandemie nicht abrupter oder dramatischer Natur gewesen sind, sondern beständige Veränderungen, die anzeigen, dass weder die Teilsysteme noch das gesamte gesellschaftliche und politische System auf diese Entwicklungen nicht ansatzweise vorbereitet waren. Defizite bestimmen die Post-Corona-Zeit in großem Maße. Darunter fallen konzeptionelle Verständnisse (Staatsaufgaben, Grundrechte), Verfahrenspraktiken (föderale Abläufe) und Zuständigkeiten (Bund – Länder), die in der Pandemie in Konflikt miteinander geraten. Er plädiert dafür, aus der Pandemie und der Bewältigungsstrategien zu lernen, damit das, was an Schäden vorliegt, im Falle einer weiteren Katastrophe nicht auftreten und wenn doch, dann auch bewältigt werden kann. Die Antwort auf die Frage, ob diese Pandemie eine Krise oder Wendepunkt des Politischen ist, wird nach Ansicht des Autors vom Virus formuliert.
Hans-Jürgen Lange
Metadaten
Titel
Politik zwischen Macht und Ohnmacht
herausgegeben von
Prof. Dr. Hans-Jürgen Lange
Copyright-Jahr
2022
Electronic ISBN
978-3-658-35393-3
Print ISBN
978-3-658-35392-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-35393-3