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31.03.2015 | Fahrzeugtechnik | Interview | Online-Artikel

"Die mediale Vorbereitung erfordert Fingerspitzengefühl"

verfasst von: Christiane Brünglinghaus

6 Min. Lesedauer

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Eine City-Maut könnte die Verkehrsprobleme der Stadt lösen, sagt Springer-Autor Dietrich Leihs. Wie genau und welche Herausforderungen städtische Zufahrtsmanagement-Systeme bringen, erklärt er im Interview.

In Ihrem Buch City-Maut beschäftigen Sie sich mit städtischen Zufahrtsmanagement-Systemen wie der City-Maut. Welche Ziele lassen sich mit der Einführung einer City-Maut erreichen?

Die Wirkung einer zonalen Zufahrtsbeschränkung ist, dass Verkehr verringert wird, wobei die Ursache ein sanfter "Dis-Incentive" sein kann, weil etwa eine Gebühr zu entrichten ist, oder ein hartes Fahrverbot wie beispielsweise bei Umweltzonen. Durch die Ausgestaltung der Zufahrtsbedingung lassen sich gezielt bestimmte Verkehre verringern wie etwa bestimmte Euro-Emissionsklassen, Fahrzeugkategorien oder auch die Verkehre zu einer bestimmten Tageszeit (höhere Gebühr während der Stoßzeit). Damit lassen sich verkehrspolitische Zielsetzungen wie das Verringern von Luftschadstoffen, Verringern von Stau oder Verringern von CO2-Emissionen in einem Ausmaß verwirklichen, die mit kaum einer anderen Maßnahme erreicht werden können.

Bis heute wurde eine City-Maut nur in relativ wenigen Städten, wie zum Beispiel Stockholm, eingeführt. Warum?

Die Maßnahme ist schwer zu verkaufen, weil sie mit einer Verhaltensänderung der Reisenden einhergeht (Umstieg auf andere Verkehrsmittel) und Angriffsflächen für Lobbygruppen bildet. Die mediale Vorbereitung erfordert nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch das Sicherstellen eines Informationsstandes in der Bevölkerung, etwa über die Auswirkungen von Verkehr, woraus jeder Einzelne abzuleiten vermag, wie sehr das eigene Mobilitätsverhalten die Stadt belastet. Zudem ist die Vorbereitungsphase komplex, etwa indem das Mobilitätsverhalten von sozialen Randgruppen vorab genau untersucht werden muss, um ausreichend Alternativen mit guter Qualität bereitzustellen.

In welchem Verhältnis steht eine City-Maut zu anderen Maßnahmen des Verkehrsmanagements und Klimaschutzes wie einer Umweltzone? Ist sie eine Ergänzung oder Alternative?

Eine Umweltzone kann durch eine City-Maut verwirklicht werden, etwa in dem sich die Höhe der Gebühr am Schadstoffausstoß des Fahrzeuges orientiert. Beide - Umweltzone und City-Maut - beeinflussen die Verkehrsnachfrage auf direktem Wege, das heißt sie verringern den individuellen Anreiz mit dem eigenen Auto zu fahren. Fast alle anderen Verkehrsmaßnahmen (Grüne Welle, etc.) beeinflussen die verfügbare Verkehrsinfrastruktur und betreffen alle Fahrzeuge gleichermaßen, egal ob Elektroauto oder alter Lkw.

Viele Städte in Deutschland fürchten negative soziale Effekte durch eine City-Maut, wie zum Beispiel verwaiste Innenstädte, und ökonomische Nachteile für den Einzelhandel. Sind diese Befürchtungen berechtigt?

Nein, das Gegenteil ist der Fall. In den City-Maut-Zonen (Stockholm, London, Mailand) gab es nachweislich mehr wirtschaftliches Wachstum als außerhalb beziehungsweise in vergleichbaren Zonen. Selbst für rigide Fahrverbotszonen wurde nachgewiesen, dass diese keinerlei negative Auswirkung auf die Wirtschaft haben. Die Gründe dafür sind einerseits, dass sich die Erreichbarkeit der Innenstädte verbessert, das heißt sowohl die Logistikkosten sinken als auch der Einkaufsverkehr wird leichter (die zu entrichtende Gebühr steht oft in keiner Relation zum erworbenen Warenwert) und sich somit auch hochpreisigere Shops ansiedeln, und andererseits durch das verringerte Verkehrsaufkommen weniger Fläche für den Straßenverkehr benötigt wird, wodurch etwa Fahrspuren zu Radspuren oder breiteren Gehsteigen rückgebaut werden können, wodurch die Attraktivität für Dienstleistungen steigt (zum Beispiel Bistro mit Tischen im Freien). Die Exklusion von sozialen Randgruppen wird in der Regel durch ein verbessertes Öffi-Angebot abgefedert, wodurch diese Bevölkerungsgruppen sogar die absoluten Gewinner einer City-Maut werden, etwa weil die Bus-Performance steigt (schneller, mehr Verbindungen).

Ist ein einmal definiertes Modell für eine Stadtmaut gleichermaßen für alle Städte sinnvoll, in dem Sinne eines One-Fits-All-Konzepts?

Ja und nein. Was immer gleich sein sollte sind die Zufahrtskriterien (wie zum Beispiel das Plakettenmodell in Deutschland). Es kann Reisenden nicht zugemutet werden, bei jeder Stadt vorab oder beim Einfahren umfangreiche Recherchen anzustellen, um dann festzustellen, dass die Fahrt nicht wie geplant enden wird. Was immer individuell sein wird, sind beispielsweise die Gestaltung der Zonengrenzen, die Begleitmaßnahmen (Öffis, Leih-Fahrrad, P&R) und natürlich die lokalen Ausnahmeregelungen für häufige Nutzer (etwa eine Ausnahme für Personal der unteren Einkommensstufen im Handel).

Eine City-Maut bedeutet enormen Kontrollaufwand. Mit welchen Technologien lassen sich zufahrtsberechtigte Fahrzeug identifizieren?

Ganz allgemein kann die Überwachung der Zufahrtskriterien nur dann effektiv und effizient erfolgen, wenn die Reisenden dazu keinen Beitrag leisten müssen. Kennzeichenkameras bieten diese Möglichkeit, wobei moderne Systeme durchaus in der Lage sind, diesen Auftrag zu erfüllen, ohne dass Bilder und Kennzeichen dauerhaft (nicht länger als einige wenige Sekunden) gespeichert werden. Der Kontrollaufwand steigt dann, wenn eine 99,9-prozentige Befolgung angestrebt wird. Es ist bei der lokalen Gesetzgebung und Technologiewahl wichtig zu wissen, dass es ein Optimum aus der Höhe der Einnahmen und der Höhe der Systemkosten gibt, das allerdings bei einer geringeren Befolgung liegt. Geschickt gewählte Zufahrtskriterien beziehungsweise Tarifschemata können überdies den Einsatz stationärer Kontrolleinrichtungen obsolet werden lassen, etwa indem nur noch Stichproben gezogen werden (wie bei der Kontrolle von Fahrscheinen).

Wie beeinflusst die Technologieauswahl die Kosten und den Nutzen eines Zufahrtsmanagement-Systems?

Die gewählte Technologie kann die verkehrspolitische Zielsetzung der Stadtmaut unterstützen oder konterkarieren. Im ersten Fall erfreut sich die Stadt infolge geringerer Kosten höherer Einnahmen und infolge der besseren Verständlichkeit einer besseren Akzeptanz durch die Reisenden. Es gibt ein Indiz dafür, dass technisch komplexe Systeme eine ähnliche verkehrliche Wirkung erzielen wie simple Systeme, was darauf hindeutet, dass das Festlegen guter verkehrspolitischer Ziele deutlich mehr zur Problemlösung beiträgt als die Technologiewahl, die sich letztlich "nur" in den Systemkosten niederschlägt.

Viele Datenschützer warnen, dass mit einer City-Maut das Verhalten der Autofahrer "gläsern" werden könnte? Zu Recht?

Hier bietet Technologie in Kombination mit organisatorischen Maßnahmen tatsächlich eine Lösung. Wenn organisatorisch die Kundendatenhaltung von der Datenerfassung getrennt ist, dann wirkt sich das bei einer City-Maut vereinfacht folgendermaßen aus: Die Kundendatenhaltung weiß wem welcher Rechnungsbetrag fakturiert werden muss, weiß aber nicht wie dieser zustande kam. Die Datenerfassung weiß, welches Fahrzeug wann und wo bewegt wurde, kann aber nicht in Erfahrung bringen wem es gehört. Das Zusammenführen der Daten - etwa im Fall einer Reklamation - kann dann nur durch gerichtliche Intervention erfolgen. Im Fall einer Umweltzone ermöglicht Technologie den folgenden Zugang: Die KFZ-Kennzeichen sind mit der jeweiligen Emissions-Zugehörigkeit vor-registriert, zusätzlich ist ein verschlüsselter Datensatz des Kennzeichens gespeichert. Bei der Durchfahrt fertigt eine Kennzeichenkamera ebenfalls lediglich einen verschlüsselten Datensatz des Kennzeichens an, und nur dieser wird mit den zentral abgelegten Daten abgeglichen (auch hier ist eine organisatorische Trennung zwischen den Haltern der Kundendaten und den Haltern der verschlüsselten Abgleichsdaten sinnvoll). Ergibt der Abgleich, der in wenigen Sekunden erledigt ist, keine Verletzung des Zufahrtskriteriums, so werden die Kameradaten gelöscht. Ganz allgemein ist aber auch das gewählte Tarifschema bei einer City-Maut Auslöser einer derartigen Debatte. Wenn jeder Reisende jede einzelne Passage zu bezahlen hat (zum Beispiel Stockholm), dann ist aus Beweisgründen natürlich auch jedes einzelne Passage-Ereignis zu speichern. Sieht das Tarifschema eine "anonyme" Registrierung mit pauschaler ad-hoc Verrechnung vor (zum Beispiel in London), dann kann mit derartigen Passagen wie eben beschrieben verfahren werden.

Zur Person

Dietrich Leihs beschäftigt sich seit fast zwei Jahrzehnten mit intelligenten Verkehrssystemen im Schnittfeld aus Forschung, Industrie und institutionellem Umfeld.
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Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2014 | OriginalPaper | Buchkapitel

City-Maut im Kontext mit Verkehrsmanagement

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City-Maut

2014 | OriginalPaper | Buchkapitel

Technologien im Kontext mit City-Maut

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2014 | OriginalPaper | Buchkapitel

Kosten-Nutzen-Analyse – ein Beispiel

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