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16.06.2014 | Umwelt | Interview | Online-Artikel

Biosphärenreservate der Öffentlichkeit bekannt machen

verfasst von: Günter Knackfuß

6 Min. Lesedauer

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Biosphärenreservate setzen als Modellregionen eine nachhaltige Entwicklung exemplarisch um. Martin Waldhausen zeigt Probleme auf und nennt Beispiele von häufig konkurrierenden Interessen zwischen Umweltschutz und Wirtschaft.

Das UNESCO-Programm "Der Mensch und die Biosphäre" (MAB) existiert seit 1970. In seinem Rahmen sind bisher 621 Biosphärenreservate in 117 Ländern anerkannt und ins Weltnetz aufgenommen worden. In Deutschland gibt es bislang 15 UNESCO-Biosphärenreservate, weitere sind in Vorbereitung. Sie sollen als Modellregionen eine nachhaltige Entwicklung in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht exemplarisch umsetzen.

Springer für Professionals: Deutschland kann sich international mit seinen Biosphärenreservaten sehen lassen. Welche Aufgaben stehen aktuell auf der Agenda?

Martin Waldhausen: Deutschland hat bereits den Aufbau und die Entwicklung des MAB-Programms vor über vier Jahrzehnten aktiv unterstützt. Heute gehören die deutschen Biosphärenreservate sicher zu den führenden im Weltnetz. Das hat zum einen mit der jahrzehntelangen Unterstützung durch Bund, Länder und Kommunen zu tun. Zum anderen lebt es vor allem von aktiven Mitstreitern vor Ort, die konkrete Projekte und Initiativen umsetzen, etwa zur Produktvermarktung, zum nachhaltigen Tourismus, zur Unterstützung des Ökolandbaus und natürlich zum Erhalt von Natur und Landschaft, dem Grundkapital. Internationale Anerkennung verpflichtet aber auch.

So steht derzeit auf der internationalen Agenda, Ziele und Maßnahmen des MAB-Programms an den aktuellen Erfordernissen, etwa den Rio+20-Zielen, neu auszurichten. Deutschland wird hier im Rahmen der Zusammenarbeit mit der UNESCO seine Erfahrungen einbringen, wie der Schutz und die nachhaltige Nutzung von biologischer Vielfalt verbunden werden kann, um den ländlichen Raum zu stärken, die Folgen des demografischen Wandels zu bewältigen und modellhaft eine nachhaltige Regionalentwicklung in den Biosphärenreservaten voranzubringen.
Auf nationaler Ebene geht zurzeit darum, etwa eine Marketingplattform für Bioprodukte aus Biosphärenreservaten für den Naturkostgroßhandel, also die Lieferanten von Biosupermärkten, aufzubauen, Strategien für einen nachhaltigen Tourismus in den Gebieten besser umzusetzen und damit auch die moderne Idee der Biosphärenreservate einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.

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Vorrangig geht es um den Ausgleich der häufig konkurrierenden Interessen von Umweltschutz und Wirtschaft. Welche Beispiele gibt es dafür?

Nehmen wir das aktuelle Beispiel der Energiewende als eine der zentralen Herausforderungen in Deutschland. Der beschlossene Atomausstieg, aber auch der aus Klimaschutzgründen in Zukunft nötige Rückgang fossiler Energieträger wie der Braunkohle führen dazu, dass wir mit der Einleitung der Energiewende schrittweise von einer "punktuellen" hin zu Energieerzeugung in der Fläche kommen. Das ist zum einen gut, weil so eine dezentrale, verlustarme Versorgung mit Energie besser möglich ist. Das bedeutet andererseits aber auch deutlich höhere Raumansprüche der Energieunternehmen und -erzeuger. Das hat Auswirkungen auf Natur und Landschaft – bis hin zum Bau neuer Energietrassen, etwa für den Strom aus Offshore-Windkraftanlagen.
Wie ist das mit Biosphärenreservaten vereinbar? Darüber hat das MAB-Nationalkomitee lange beraten. Wir haben uns gemeinsam mit den Biosphärenreservaten auf Grenzen verständigt, die dort verlaufen, wo die Repräsentativität der Gebiete, für die sie von der UNESCO ausgezeichnet wurden, beeinträchtigt werden könnte. Das heißt konkret: In den vergleichsweise großen Entwicklungszonen ist der Ausbau etwa der Windkraft möglich, soweit nicht Landesgesetze entgegenstehen. Kern- und Pflegezonen, die zusammen etwa 20 Prozent ausmachen, sind tabu. Ein guter Kompromiss, wie ich finde, der bisher gehalten wurde.

Bis zum gegenwärtigen Stand mussten auch Hemmnisse bewältigt werden. Wo bestehen heute noch die größten Probleme?

Der Nutzungsdruck auf Natur und Landschaft hat in den zurückliegenden Jahren deutlich zugenommen. Das hat zum einen mit der Energiewende zu tun, nicht nur durch die Windkraftnutzung, sondern vielmehr durch den Anbau von Energiemais für Biogasanlagen. Auch in Biosphärenreservaten kann es passieren, dass Touristen im Sommer durch Maiswälder fahren. Die Intensivierung der Landwirtschaft hat insgesamt deutlich zugenommen und mit ihr ein Artenschwund in der Agrarlandschaft, besonders spürbar bei Brutvögeln.
Aber es betrifft beispielsweise auch die Forstwirtschaft. Die Nachfrage nach Holz ist erheblich gestiegen und damit die Preise. Da fällt es den Eigentümern schwer, Waldflächen für nutzungsfreie Kernzonen herzugeben, auch wenn die Mindestgröße in Biosphärenreservaten nur drei Prozent Flächenanteil beträgt. Allerdings gibt es gute Ansätze für eine nachhaltige Holznutzung, etwa im Pfälzerwald und in der Schorfheide, die dem FSC-Siegel entsprechen oder sogar teilweise darüber hinausgehen. Es muss in Zukunft darum gehen, die in den Biosphärenreservaten umgesetzten Modellbeispiele, wie rund 70 Prozent Ökolandbau im Spreewald, stärker zu kommunizieren und auf die nicht geschützten Fläche zu übertragen.

Im April 2014 hat das MAB-Nationalkomitee über die aktuellen Herausforderungen im Management der Schutzgebiete beraten. Welche Resultate wurden erzielt?

Auf der gemeinsamen Tagung in Lenzen stand diesmal die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung als eines der Ziele, die in Biosphärenreservaten umgesetzt werden sollen, ganz oben auf der Agenda. Das MAB-Nationalkomitee hat dort ein entsprechendes Positionspapier verabschiedet, das den Biosphärenreservaten helfen soll, dieses erklärte Ziel besser in Projekten umzusetzen. Das gehört eben auch zu einem Programm, das Mensch und Biosphäre gleichermaßen im Namen trägt: Bewusstseinsbildung über die globalen Probleme unserer Zeit und in Gang bringen entsprechender Transformationsprozesse. Der Zusammenhang zwischen lokalem Handeln, unserem Lebensstil und globalen Prozessen wie Hunger, Klimawandel, Raubbau an natürlichen Ressourcen, Verlust an biologischer und kultureller Vielfalt wird dabei deutlich gemacht und soll Handlungsänderungen bewirken.

Im UNESCO-Programm ist Deutschland auch international in die Forschung involviert. Welche Programme werden dort unterstützt?

Das UNESCO-Programm "Der Mensch und die Biosphäre" ist vor über 40 Jahren vornehmlich als Forschungsprogramm über die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Biosphäre begründet worden. Es hat sich allerdings gewandelt, insbesondere seit dem Rio-Gipfel 1992 und dem dort erklärten Ziel, eine nachhaltige Entwicklung der Welt voranzubringen. Forschung ist und bleibt aber ein immanenter Teil auch der Arbeit in den Biosphärenreservaten, weniger mit der UNESCO direkt, als vielmehr mit den Forschungseinrichtungen und Universitäten in den Regionen. Gab es früher fast ausschließlich Forschungsaktivitäten auf naturwissenschaftlichem Gebiet, so hat sich auch das gewandelt.
Zunehmend stehen auch ökonomische und soziokulturelle Fragestellungen auf dem Programm, etwa zur Identifikation der Bevölkerung mit dem Biosphärenreservat. Auch das Bundesumweltministerium unterstützt die Forschung in Biosphärenreservaten, so zum Beispiel jüngst zu regionalökonomischen Effekten des Tourismus in den Gebieten, zur Produktvermarktung oder der Inwertsetzung von Naturschutzmaßnahmen. Bei letzterem Projekt, in das im Übrigen alle Nationalen Naturlandschaften, also auch Nationalparke und Naturparke eingebunden sind, geht es darum, Maßnahmen wie die Renaturierung von Mooren und die Wiederherstellung naturnaher Wälder, die dem Klimaschutz dienen, über die Ausgabe von entsprechenden CO2-Zertifikaten, etwa an Unternehmen, zu finanzieren. Die Ergebnisse dieser Vorhaben werden auch dem Weltnetz der Biosphärenreservate zur Verfügung gestellt.

Das Interview führte Günter Knackfuß, freier Autor.

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