Skip to main content

03.04.2014 | Umwelt | Schwerpunkt | Online-Artikel

Was uns die Natur wert ist

verfasst von: Matthias Schwincke

7:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Natur tut gut. Aber was genau ist ihr Wert? An dieser Frage arbeitet seit 2012 das Projekt "Naturkapital Deutschland – TEEB DE". Ein Dossier über den verborgenen Wert von biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen in Deutschland.

Menschliches Wohlergehen hängt grundlegend von gut funktionierenden Ökosystemen ab. Sie liefern uns Sauerstoff zum Atmen, sauberes Wasser und Nahrungsmittel. Zudem sind sie Speicher für Klimagase, Vorbilder für technische Lösungen und vieles mehr. Dazu kommen eine Reihe von Leistungen, die unsere Lebensqualität maßgeblich erhöhen: Wir erholen uns beispielsweise bei einem Waldspaziergang oder erfreuen uns an der Natur.

Auch viele wichtige Wirtschaftszweige und zahlreiche Arbeitsplätze unter anderem in Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Tourismus und Gesundheitswesen hängen direkt und indirekt von einer intakten und vielfältigen Naturausstattung ab. Der aus der Nutzung genetischer Ressourcen ableitbare wirtschaftliche Vorteil zeichnet sich schon heute ab. Der künftige Nutzen von biologischer Vielfalt, z.B. im Pharmabereich, ist derzeit noch gar nicht abschätzbar.

Naturkapital als Forschungsfeld

Der Wert dieser von der Natur quasi kostenlos erbrachten Leistungen ist uns oftmals nicht bewusst. Zudem sind diese auch nicht einfach bezifferbar. Eines steht jedoch fest: Ein Wegfall dieser so genannten Ökosystemleistungen ist oft nur schwer und meist nur zu hohen Kosten auszugleichen. Oder andersherum betrachtet: Der Schutz und die nachhaltige Nutzung von Natur und biologischer Vielfalt können sich volkswirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich gesehen sogar lohnen.

Diese Tatsache hat unter anderem die internationale Studie “Die Ökonomie der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt“ (The Economics of Ecosystems and Biodiversity, kurz TEEB) eindrucksvoll bewiesen. Die weltweit wegweisende TEEB-Studie wurde von Deutschland im Rahmen seiner G8-Präsidentschaft im Jahr 2007 gemeinsam mit der EU-Kommission initiiert und mit Hilfe zahlreicher weiterer Institutionen unter der Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) durchgeführt. Einen Überblick über Entwicklung des Ökosystemleistungskonzepts bieten der Springer-Autor Lennart Kümper-Schlake im Zeitschriftenkapitel "Ökosystemleistungen im internationalen Naturschutz" bzw. die Springer-Autoren Ida Kubiszewski und Robert Costanza im Buchkapitel "Ecosystem Services for Sustainable Prosperity".

TEEB für Deutschland

Seit 2012 wird die TEEB-Initiative auf nationaler Ebene durch das Projekt "Naturkapital Deutschland – TEEB DE". Die inhaltlichen Schwerpunkte des vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) finanzierten Vorhabens liegen dabei auf folgenden Fragen:

  • Welche Bedeutung haben Ökosysteme in Deutschland für den Umgang mit dem Klimawandel?
  • Wie können die Ökosystemleistungen ländlicher Räume und geschützter Gebiete langfristig gesichert werden?
  • Welche Möglichkeiten und Instrumente bestehen, um den Wert von Ökosystemleistungen in Entscheidungen über Land- und Ressourcennutzung besser zu integrieren?
  • Wie tragen Stadtgrün und stadtnahe Ökosysteme zur Lebensqualität in Städten bei und wie kann dieser Wert besser in Planungsentscheidungen berücksichtigt werden?

TEEB DE-Studienleiter Prof. Dr. Bernd Hansjürgens vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, erläutert:
"Das übergeordnete Ziel von 'Naturkapital Deutschland' besteht darin, die gesellschaftliche Bedeutung und den Wert von Natur und die mit ihr verbundenen Ökosystemleistungen für Deutschland sichtbar zu machen und sie stärker in öffentlichen und privaten Entscheidungen zu berücksichtigen. Das beinhaltet im Einzelnen drei Dinge: Erstens wollen wir den Zusammenhang zwischen den vielfältigen Leistungen der Natur, der Wertschöpfung der Wirtschaft und dem menschlichen Wohlergehen bewusster machen. Zweitens möchten wir einen Anstoß liefern, um die Leistungen und Werte der Natur genauer zu erfassen und in Deutschland sichtbarer zu machen. Und drittens werden wir Möglichkeiten untersuchen und Vorschläge entwickeln, um Naturkapital besser in private und öffentliche Entscheidungsprozesse einzubeziehen."

Hochkarätiges Programm auf breiter Basis

Im Zentrum des bis voraussichtlich 2017 laufenden Projekts steht die Erarbeitung von vier thematischen Berichten, die von ausgewählten Teams von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie weiteren Experten aus ganz Deutschland erstellt werden. Die Berichte greifen auf vorliegende Studien, Konzepte und Fallbeispiele zurück und behandeln folgende Themen:

  • Naturkapital und Klimapolitik
  • Ökosystemleistungen in ländlichen Räumen
  • Ökosystemleistungen in der Stadt
  • Naturkapital Deutschland – Neue Instrumente entwickeln

Flankierend dazu existieren bereits eine Einführungsbroschüre sowie eine speziell an Unternehmen adressierte Kurzbroschüre. Alle Dokumente sollen ökonomische Argumente für die Erhaltung des "Naturkapitals" in Deutschland liefern und damit ethische und ökologische Begründungen für Natur- und Umweltschutz sinnvoll ergänzen.

Der Arbeitsprozess ist durch eine offene Architektur und die Herausbildung eines 'Naturkapital Deutschland'-Netzwerkes gekennzeichnet. Zum einen wird 'Naturkapital Deutschland – TEEB DE' von einem Projektbeirat begleitet, dessen Mitglieder das Vorhaben fachlich beraten. Diesem Gremium gehören Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Medien an. Zudem gibt es eine Projektbegleitende Arbeitsgruppe zur Information, Vernetzung und Einbindung von gesellschaftlichen Interessengruppen in das Projekt. Hierbei sind Umweltverbände, Wirtschaftsverbände, Bundesressorts, Bundesländer und Kommunen beteiligt.

Zukunftsweisendes Auftaktthema: Natur und Klima

Unter dem Titel 'Naturkapital und Klimapolitik – Synergien und Konflikte' wurde im Rahmen der Jahrestagung des Climate Service Center (CSC) Germany am 12. Februar 2014 der erste Bericht von 'Naturkapitel Deutschland - TEEB DE' präsentiert. Die von mehr als 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erarbeitete Publikation zielt darauf ab, aus einer ökonomischen Perspektive die Synergien zwischen Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel einerseits sowie der Erhaltung des Naturkapitals, dessen Leistungsfähigkeit und biologischer Vielfalt andererseits, aufzuzeigen. Zudem werden Handlungspotentiale beleuchtet, mit denen sich Konflikte zwischen den beiden Politikfeldern Klimaschutz und Naturschutz abschwächen bzw. vermeiden lassen.

Das Thema des Auftaktberichts ist passend gewählt. Denn neben dem Klimawandel wird das zweite große Umweltproblem unserer Zeit leider oft übersehen: der rasant fortschreitende Verlust von biologischer Vielfalt. Dabei ist dieses Thema von seinen Auswirkungen auf den Menschen betrachtet vermutlich ebenso bedeutsam wie der Klimawandel. Hinzu kommt, dass Klimawandel und Biodiversität auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind. Einen umfassenden Überblick über die Auswirkungen des Klimawandels auf die natürlichen Ressourcen in Deutschland liefert die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) im Buchkapitel "Anpassung – Handlungsoptionen in Schlüsselbereichen".

Auf dem Weg zur Klimapolitik 2.0

Der Klimawandel bedroht allerdings nicht nur die biologische Vielfalt. Wie die Springer-Autorin Christina Rumbaitis del Rio im Buchkapitel "The Role of Ecosystems in Building Climate Change Resilience and Reducing Greenhouse Gases" zeigt, sind Ökosysteme ihrerseits von großer Bedeutung bei der Mitigation und Adaptation an den Klimawandel. Folglich kann auch Klimapolitik durch den gezielten Einsatz von Natur erfolgreicher werden. Das entsprechende Stichwort dafür lautet: Ökosystembasierte Klimapolitik.

Zur Entwicklung einer solchen Klimapolitik in Deutschland liefert der Bericht unter anderem folgende Erkenntnisse und Ansatzpunkte:

  • In der Landwirtschaft bestehen kostengünstige Optionen zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen, z. B. durch eine Steigerung der Effizienz beim Düngemitteleinsatz, die Erhaltung von Dauergrünland sowie eine naturschonendere Produktion von Biomasse. Auch die Verwendung von Landschaftspflegematerialien wie Grün- und Heckenschnitt für die regenerative Energieerzeugung könnte weiter ausgebaut werden.
  • Eine wichtige und vergleichsweise kostengünstige Klimaschutzmaßnahme ist neben der Erhaltung bestehender Moore die Wiedervernässung von landwirtschaftlich genutzten Moorböden. Degradierte kohlenstoffreiche Böden (Moorböden) emittieren jährlich ca. 41 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente. Das sind 4,3 Prozent der jährlichen deutschen Brutto-Gesamtemissionen. Für ein Programm zur Wiedervernässung von 300.000 Hektar Moorböden in Deutschland wurde kalkuliert, dass sich damit volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von 217 Millionen Euro pro Jahr vermeiden ließen.
  • Nachhaltige Waldbewirtschaftung kann Holzproduktion, Natur-, Umwelt- und Klimaschutz vereinen. Der Wald in Deutschland ist zurzeit eine CO2-Senke und soll dies laut Waldstrategie 2020 der Bundesregierung auch bleiben. Die Möglichkeiten zur weiteren Erhöhung der positiven Klimaeffekte des Waldes sind allerdings begrenzt und dürfen nicht von der Holzverwendung getrennt betrachtet werden. Durch eine Intensivierung der Holznutzung kann zwar die Substitution energieintensiver Materialien (z. B. im Bausektor) und anderer Energieträger ausgeweitet sowie die Speicherung von CO2 im so genannten Holzproduktespeicher (langlebige Holzprodukte) temporär erhöht werden. Gleichzeitig sinkt jedoch der Anteil des in der Waldbiomasse gespeicherten Kohlenstoffs. Eine geringere Nutzungsintensität würde dagegen den Waldspeicher erhöhen, aber Substitutionseffekte und Produktespeicher mindern.
  • Der Schutz und die Wiederherstellung naturnaher Auen sind ein Beispiel für potentielle Synergien zwischen der Erhaltung biologischer Vielfalt und dem Klimaschutz, z. B. durch Wiedervernässung kohlenstoffreicher Auenböden. Zudem leisten Auen wichtige Beiträge zur Anpassung an den Klimawandel durch die Kappung von Hochwasserspitzen und die Verminderung von Hochwasserschäden. Berechnungen für ein Auen-Renaturierungsprogramm an der Elbe zeigen unter Berücksichtigung der genannten Wirkungen einen jährlichen volkswirtschaftlichen Nutzen von 1,2 Milliarden Euro und ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 3:1.

Insgesamt kommt der Bericht zu der Schlussfolgerung, dass der ökonomische Wert der Leistungen der Natur sowie die Folgekosten der Belastung und Zerstörung von Ökosystemen in Politik und Wirtschaft noch unzureichend berücksichtigt werden. Wissenslücken und Strukturen, die eine stärkere Nutzung multifunktionaler ökosystembasierter Lösungen behindern, sollten erkannt und das umweltpolitische Instrumentarium entsprechend ergänzt werden. Welche politischen Handlungsmöglichkeiten in diesem Bereich bestehen, zeigen die Springer-Autoren Laura Rival und Roldan Muradian im Buchkapitel "Introduction: Governing the Provision of Ecosystem Services".

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt