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13.03.2015 | Fahrzeugtechnik | Interview | Online-Artikel

"Wir brauchen Systeme, die verlässlich funktionieren"

verfasst von: Christiane Brünglinghaus

6 Min. Lesedauer

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Um Autofahrer bei ihrer Fahraufgabe zu helfen und die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, werden Assistenzsysteme eingesetzt. Springer für Professionals sprach auf dem Genfer Autosalon mit Olaf Bongwald, Vice President Magna Electronics Global, über das Potenzial von Fahrerassistenzsystemen.

Springer für Professionals_Die Europäische Union möchte die Unfallzahl im Straßenverkehr reduzieren. Was bedarf es aus Ihrer Sicht dafür?

Bongwald_Wir brauchen in erster Linie Systeme, die verlässlich funktionieren und nur dann auslösen, wenn es wirklich sein muss. Es müssen False Positives und False Negatives vermieden werden, insbesondere die False Positives. Es ist ganz wichtig, Systeme zu finden, die solche Fehler möglichst gegen Null laufen lassen.

Es geht also um funktionale Sicherheit. Wie wollen Sie diese gewährleisten?

Mithilfe von Testing sowie Entwicklungstiefe und -reife. Die Systeme müssen bei möglichst allen Umweltbedingungen getestet werden. Denn der Teufel liegt im Detail. Egal, ob Kamera, Radar oder Ultraschallsensor, wir müssen sicherstellen, dass diese Systeme bei allen Witterungsbedingungen funktionieren.

Es halten immer mehr Assistenzsysteme Einzug in die Fahrzeuge. Was kann man tun, damit der Mensch im Auto durch die Systeme nicht abgelenkt wird?

Das ist eine gute Frage. Hier müssen wir alle noch ein bisschen lernen. Wir müssen die Fahrerassistenzsysteme selbsterklärend machen und möglichst nur die Informationen bereitstellen, die im Moment wirklich benötigt werden. Der Mensch darf nicht mit zu viel Information überschüttet werden. Dabei dürfen wir nicht an diejenigen denken, die sehr gut multifunktional arbeiten können, sondern an den durchschnittlichen Fahrer in allen Altersklassen. Wir arbeiten auch an der Gestenerkennung. Hier versuchen wir über Handbewegungen zu deuten, was der Fahrer als Nächstes abrufen möchte. Dann werden nur die Informationen eingeblendet, die benötigt werden.

Stichwort Gestensteuerung. Wie weit ist die Technik in diesem Bereich?

Die Technik ist schon so weit, dass wir erkennen können, wie Handbewegungen aussehen. Wir können auch schon relativ gut Augenbewegungen erkennen und vorhersagen, wo ein Mensch hinsieht. Wenn wir die Erkennung über Augen und Hände hundertprozentig in den Griff bekommen, dann ließe sich prognostizieren, welchen Informationsbedarf der Mensch hat.

Die Komplexität in der Automobilentwicklung steigt also. Insbesondere mit dem Einzug von Fahrerassistenzsystemen. Spätestens mit teil- und hochautomatisierten Fahrfunktionen steigt die Systemkomplexität dann nochmals und damit auch die Gefahr vor Angriffen auf das System, zum Beispiel durch Hackerangriffe. Wie gehen Sie damit um?

Das ist eine der großen Herausforderungen, wenn man an das autonome Fahren denkt. Autonomes Fahren in dem Sinne, dass im Auto kein Lenkrad mehr vorhanden ist. Das wird noch einige Zeit dauern. Cyber-Security ist ein Grund dafür. Jeden Tag gibt es Hackerangriffe auf unsere Systeme in den Firmen. Ich kenne kein Unternehmen, das dieses Problem hundertprozentig gelöst hat. Wir müssen es aber im Fahrzeug lösen, bevor ein Fahrzeug ohne Lenkrad und ohne die Kontrolle des Fahrers unterwegs ist. Das ist aber auch schon bei teilautonomen Systemen wichtig. Mit entsprechenden Verschlüsselungen müssen Eingriffe in die Fahrzeugelektronik und in die Fahrzeugsoftware verhindert werden.

Wann kommt aus Ihrer Sicht das automatisierte Fahren?

Teilautomatisiertes Fahren gibt es ja heute schon. Einige komplexe Fahrassistenzsysteme renommierter Hersteller unterstützen zum Beispiel die Fahrt auf der Autobahn bei der nur noch gelenkt werden muss und alles andere passiert automatisch. Der Fahrer hat aber nach wie vor die Kontrolle über das Fahrzeug. Diese Systeme werden nach und nach immer weiter verfeinert. Wenn Sie fragen, wann sitzen wir alle in einem Auto, haben kein Lenkrad mehr und können mit diesem Auto überall hinfahren, dann antworte ich: Das werde ich nicht mehr erleben. Aber auf dafür vorgesehenen Teilstrecken, in bestimmten Verkehrssituationen wie zum Beispiel in einem Stau, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass wir in Kürze Systeme haben, die das Fahrzeug eigenständig fahren lassen.

Magna hat kürzlich unter anderem den Unternehmensbereich Head-up Displays von Philips & Lite-On Digital Solutions übernommen. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Head-up Displays ein und perspektivisch die Verschmelzung der virtuellen Welt mit der Wirklichkeit durch Augmented Reality?

Hier sehe ich eine ganz große Chance. Über Head-up Displays lassen sich zusätzliche Informationen einblenden, die dem Fahrer helfen, sich zurechtzufinden, ohne den Blick zu stark von der Straße abzulenken. Sei es beim Navigieren oder um vielleicht vorausschauend Schlaglöcher oder Unebenheiten auf der Fahrstrecke frühzeitig zu erkennen. Augmented Reality ist für mich ein zentrales Thema, um die Sicherheit beim Fahren zu erhöhen. Das ist auch ein Grund dafür, warum Magna in diesen Bereich investiert und dort Wachstumsmöglichkeiten sieht.

Magna liefert das 1.1-Megapixel-Digitalkamera-System SurroundVue für die Mercedes-Benz S-Klasse. SurroundVue ist Teil des elektronischen Sichtsystem Eyeris. Wird die Bedeutung von Kameras als Sensoren für Fahrerassistenzsysteme in den nächsten Jahren noch zunehmen?

Eyeris ist unsere Marke, unter der wir alle unsere Kamerasysteme zusammenfassen. Wir haben Kameras, die bildgebend sind, wie zum Beispiel eine Rückfahrkamera. Darüber hinaus haben wir das System SurroundVue, das vier verschiedene Kameraperspektiven in einer 360-Grad-Vogelperspektive verbindet. Daneben gibt es Kameras, die rein als Sensor verwendet werden. Beide Systeme, also bildgebende oder rein als Sensor arbeitende, sind mehr und mehr gefragt. In den USA gibt es ab Mai 2018 ein Gesetz, dass jedes Auto eine Rückfahrkamera im Fahrzeug haben muss. Da diese Systeme zur Sicherheit beitragen, werden sie auch mehr und mehr in die Fahrzeuge eingebaut und weiter verbessert werden. Die Bildqualität wird sich künftig weiter verbessern und die Intelligenz der Kameras deutlich erhöhen.

Kommen die Systeme wieder zuerst in der Oberklasse, dann erst in der Golf-Klasse?

Das ist nach wie vor der normale Ablauf. Wir bauen die sehr komplex entwickelten Systeme erst in Oberklassenfahrzeuge ein, da die Entwicklungskosten für solche Systeme sehr hoch sind. Je mehr wir darüber lernen, desto eher sehen wir, wie die Kosten weiter reduziert werden können. Dann werden die Systeme attraktiv für alle Fahrzeuge.

Welche Themenschwerpunkte setzen Sie bei Magna Electronics in der nächsten Zeit?

Für uns ist wichtig, unsere Qualität noch weiter zu verbessern. Die Bildqualität unserer Kameras ist sehr gut. Aber wir wissen, wir können noch besser werden. Die Menschen sind mittlerweile von digitalen Fotokameras und Tablets an ein gestochen scharfes Bild gewöhnt. Das müssen wir in die Fahrzeuge bringen. Daneben arbeiten wir daran, die Sensorik so verlässlich wie möglich zu machen und unterschiedliche Sensoren zu fusionieren.

Gerade hört man Gerüchte, dass Apple am iCar arbeiten soll. IT-Konzerne scheinen die Autobauer unter Druck zu setzen. Letztendlich verschmilzt die IT-Industrie durch Sensoren, Kamera- und Fahrerassistenzsysteme mit der Autoindustrie. Haben sie Angst davor? Oder eher, dass sich Software als Kompetenz der OEMs weiter entwickelt?

Angst habe ich nicht. Wenn Infotainment und Auto mehr und mehr zusammengehen, dann bringt das für uns neue Möglichkeiten und keine Gefahr. Wir müssen alle wahrscheinlich ein bisschen umdenken, aber ich sehe in all diesen Entwicklungen mehr Chancen als Risiken. Für Magna Electronics ist es meines Erachtens sogar ein große Chance.

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