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2014 | Buch

E<3Motion

Intimität in Medienkulturen

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Über dieses Buch

Bedrohen neue Medien Intimität? Oft wird besonders an der zunehmenden Internetkommunikation die Aufrechterhaltung von intimen Beziehungen problematisiert. Zwar kann das Internet dabei helfen Kontaktmöglichkeiten gravierend zu erleichtern, es stellt sich jedoch die Frage nach deren sozialer Qualität. Eine technologisch unterstützte Fernkommunikation ist auf den ersten Blick geradezu der Gegensatz zu intimem Erleben, das bisher an räumliche Nähe der Akteure gebunden war. Die Beiträge des Bandes versammeln Studien, die diesem scheinbaren Gegensatz genauer nachgehen. Dabei wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln der Zusammenhang von intimen Beziehungen und neuen Kommunikationsformen fokussiert. Im Vordergrund steht jeweils das Spannungsverhältnis zwischen körperbasiertem Erleben und technologisch hergestellten Distanzen. Das Ziel der Studien ist es, zu einer empirisch gehaltvollen, näheren Bestimmung von sozialen Wandlungsprozessen durch digitale Medien beizutragen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
E<3Motion. Intimität in Medienkulturen
Zusammenfassung
Die spätestens seit Ende des 20. Jahrhunderts einsetzende, schnelle und weitreichende Diffusion der digitalen Medientechnologie in allen Kommunikationsbereichen hat den – in zeitdiagnostischer Absicht verwandten – Begriff von der „Medienkultur“ bzw. den „Medienkulturen“ aufgebracht. Damit wird nicht nur ausgedrückt, dass Bedingungen, Formen und Konsequenzen der „neuen“ Kommunikation entscheidende Prozesse sozialen Wandels angestoßen haben, sondern auch, dass die Medientechnologie zu einem Fokus der Gesellschaft sanalyse geworden ist. Die damit einhergehende Betonung der Bedeutung von Materiellem, impliziten Zeichencodes oder systemischen Verknüpfungslogiken hat zweifellos viele fruchtbare Ansätze und Theorien zur Beschreibung und Analyse der veränderten Kommunikations- und damit auch Gesellschaftsstrukturen hervorgebracht.
Kornelia Hahn
„Raum am Draht“: Empirische Beobachtung zur Soziologie der mediatisierten Anmache am Fallbeispiel von Grindr
Zusammenfassung
Über zumindest eines scheinen sich soziologische Beobachter des „virtuellen“ Theaters der Anmache einig zu sein: in dezidiertem Gegensatz zu traditionellen Kennenlerntänzen, deren Parkett scheinbar nicht in unterscheidbaren ontologischen Seinsregionen verankert ist oder war (Werther etwa beobachtet Lotte zunächst beim Schwarzbrotschneiden; vgl. dazu Luhmann 1986, S. 43), ist Kontaktanbahnungen im Internet scheinbar ein zentraler Moment des Switchens einprogrammiert. „Denn schließlich“, so formuliert das beispielsweise Jean-Claude Kaufmann in Sex@mour, „verläuft dank Internet die erste Begegnung in zwei sehr unterschiedlichen und voneinander getrennten Phasen: Vor dem ‚echten‘ Rendevous, dem Date im Real Life, wie man inzwischen zu sagen pflegt, haben die beiden Liebeskandidaten mehr oder weniger lang am Bildschirm miteinander geplaudert“ (Kaufmann 2011, S. 8-9).
Michael Liegl, Martin Stempfhuber
Empathie und Introspektion in einem Netz von Gleichgesinnten
Polyamore Begehrensstrukturen in virtuellen Räumen
Zusammenfassung
Im Internet, wie in physisch-materialisierten Räumen verbinden sich Menschen mit anderen. Die AkteurInnen, die im Fokus dieses Textes stehen, vernetzen sich aufgrund ihres Interesses an Polyamorie. Es geht ihnen um die Auseinandersetzung mit offenen Beziehungsmodellen, um nicht-monogame Praktiken, die nicht heimlich sondern im Einvernehmen aller Beteiligten stattfinden. Indem polyamore AkteurInnen parallel zueinander und konsensual, mehrere intime Beziehungen eingehen oder zumindest die Option dazu haben, kommt es zu weitreichenden Aushandlungsprozessen. Die Betrachtung dieser Aushandlungsprozesse öffnet den Blick für verschiedene, gegenwartsspezifische Veränderungen und Voraussetzungen von intimen Systemen. Zentral erscheint die kollektive Erfahrung der Serialität und Auflösbarkeit von romantisch und monogam konzipierten Beziehungen.
Karoline Boehm
„Wir sind zweimal zweite Wahl“
(Intime) Selektionsempfehlungen im Web. 2.0 systemtheoretisch gesehen
Zusammenfassung
Die folgenden Überlegungen sind aus der Perspektive der (Vergleichenden) Literaturwissenschaft bzw. der Kulturwissenschaft angestellt. Sie beziehen sich dabei jedoch vor allem auf die soziologische Systemtheorie Niklas Luhmanns, dessen theoretische Auseinandersetzungen mit dem Phänomen der Liebe (Luhmann 1994, 2008) in einem ersten Abschnitt kurz resümmiert werden, sofern sie für die vorliegende Fragestellung relevant sind. Mit anderen Worten gesagt steht dabei ein auf den selbst gewählten Problembereich beschränkter, eklektischer, instrumentalistischer Zugang zu Luhmanns Texten und Theoremen vor einer größte Präzision und Vollständigkeit anstrebenden Exegese des Luhmann’schen Theoriegebäudes wie seiner Terminologie als Selbstzweck.
Martin Fritz
„Ohne dass der Tod uns scheidet.“ Intimität in virtuellen Friedhöfen
Zusammenfassung
„Trauer ist der Preis, den wir für die Liebe zahlen“, so die Aussage der PsychologInnen Parkes und Prigerson (2011: 6). Trauer kann ebenfalls als „cost of commitment“ (Parkes und Prigerson 2011: 6) verstanden werden, als Kosten der psychischen und sozialen Bindung an andere Menschen. Solange es intime und soziale Beziehungen gibt, Liebe und Freundschaft, konstituiert sich Trauer als eine Emotion des Verlusts. Sie ist eine elementare, menschliche Erfahrung und „normale“ Reaktion auf den Tod einer/eines signifikanten Anderen (Horwitz und Wakefield 2007; Archer 1999). Trauer nach dem Tod stellt dabei eine prototypische Verlustreaktion dar, die ebenso auf andere Verluste, wie Scheidungen, Ende einer Freundschaft oder einen Wohnortwechsel übertragbar ist. Erkenntnisse über Trauer nach dem Tod liefern uns damit die Grundlage für die Interpretation anderer Verluste (vgl. Marris 1986: 23).
Nina R. Jakoby, Simone Reiser
Distanzverhalten im virtuell-realen Raum
Ein interkultureller Vergleich
Zusammenfassung
Spätestens mit der Einführung bewegungsgesteuerter Interfaces verschmelzen der reale und der virtuelle Raum. Die Interaktion mit derartigen Interfaces wird in diesem Beitrag am Beispiel der Kinect (Microsoft 2010) diskutiert und ist Gegenstand einer empirischen Studie. Sie wurde im Rahmen des Forschungsmoduls „Emotion und Expression“ im Master-Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin im Jahr 2012 durchgeführt. Verbindung, Kontakt, Berührung und Bewegung sind grundlegende Aspekte der empirischen Studie zur Untersuchung von Emotionsexpressionen im interkulturellen Vergleich.
Jennifer Brauer, Richard Illig, Claudia Nichterlein, Mira Reuter, Nina Runde, Monika Suckfüll, Sylvia Wächter
Freundschaft und mediale Vermittlung
Resonanzbeziehungen im Kontext gelingender Lebensführung
Zusammenfassung
Dieser von Derrida angeschlagene, hohe und zugleich pathetische Ton könnte hier fortgeführt werden oder aber – was mir sinnvoller erscheint – der bescheidene Versuch unternommen werden, etwas nüchterner über Freundschaft nachzudenken, und zwar aus einer sozialtheoretischen/ sozialphänomenologischen Perspektive heraus. Allgemein gilt: Freundschaft ist deshalb so bedeutsam, weil sie – mit Marilyn Friedman gesprochen – „in unserer Kultur die unumstrittenste, beständigste und befriedigendste aller engen persönlichen Bindungen“ (1997: 236) verkörpert. Warum dem so ist, soll mit den nachfolgenden Überlegungen verdeutlicht werden.
Dietmar J. Wetzel
Intimate Publics 2.0
Zur Transformation des Privaten und des Öffentlichen in Social Network Sites
Zusammenfassung
Social Network Sites, wie Facebook, werden in der sozialwissenschaftlichen Literatur gemeinhin als Medium der Gefährdung der Privatsphäre angesehen. Der breite Diskurs zum Thema Social Network Sites versammelt einen Gefährdungs-, einen Vermachtungs- und einen Entfremdungsdiskurs, wenn es um die Beschreibung der dortigen Praktiken geht. Vorausgesetzt wird in diesen Ansätzen offenbar immer schon, was als Privatheit gefasst werden kann. Dabei zeigt die Genese von Privatheit zweierlei: Privatheit ist eine Praxis, die stets auf Öffentlichkeit bezogen ist – sie entwickelt sich historisch vor dem Publikum der Lesegesellschaften bzw. des abwesenden Adressaten des Briefeschreibers.
Elke Wagner
„Mein Smartphone ist mein Schatz“
Intimität in transnationalen Familien
Zusammenfassung
Für Denis erfüllte sich unlängst ein Traum. Wie man auf der Website der Skype-Kampagne „stay together“ in einem kurzen Video erfahren kann, lebt der Familienvater seit seiner überstürzten Flucht aus dem kriegsgeschüttelten Uganda in Pennsylvania. Von Zuhause hat er nur seine Erinnerungen mitbringen können. An Rückkehr ist nicht zu denken. Das Schlimmste für ihn wäre, für seine Familie ein Fremder zu werden. Dank der kostenlosen IP-Telefonie-Software Skype ist es ihm jedoch möglich, tagtäglich mit seiner Familie Zeit zu verbringen, während des Kochens mit seinem Sohn zu lachen und von seiner Frau die neuesten Klatschgeschichten aus seinem Dorf zu hören. So bleibt er in deren Alltag eingebunden und lässt auch sie an seinem neuen Leben teilhaben. Und nun besitzt er sogar ein aktuelles Foto, das ihn im Kreise seiner Lieben zeigt. Skype hat auch dies möglich gemacht und überdies dafür gesorgt, dass seine Geschichte öffentlich bekannt wird.
Heike Greschke
Intim werden. Annäherungsgeschichten intrakulturell erzählt
Zusammenfassung
Wie finden Paare zu einer intimen Beziehung zusammen? Die Beantwortung dieser Frage wird von Paaren typischerweise in „Annäherungsgeschichten“ erzählt, ist jedoch aus soziologischer Perspektive theoretisch und methodisch voraussetzungsvoll. Intim verstandene Beziehungen zu unterhalten, bildet sich erst allmählich im Zuge der Entwicklung moderner Gesellschaften als Normalität heraus. Während damit intime Beziehungen für die Gestaltung der alltäglichen Lebensführung relevant werden und der Begriff der intimen Beziehung in Diskurse des Alltags eindringt, ist eine soziologische Abgrenzung zwischen intimen und nicht-intimen Beziehungen im Unterschied zu anderen, formal definierten Beziehungsformen wie z. B. Ehebeziehungen oder Eltern-Kind-Beziehungen nicht objektiv möglich. Konventionell werden in der Forschung intime Beziehungen aufgrund von Selbstbeschreibungen untersucht. Hierbei ist charakteristisch, dass die Selbstbeschreibung, sich in einer intimen Beziehung „zu befinden“, einen intersubjektiven Verständigungsprozess innerhalb eines Paares voraussetzt.
Kornelia Hahn, Alexander Schmidl
Metadaten
Titel
E<3Motion
herausgegeben von
Kornelia Hahn
Copyright-Jahr
2014
Electronic ISBN
978-3-658-02732-2
Print ISBN
978-3-658-02731-5
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-02732-2