Angesichts geballter Krisen leidet auch die Gesundheit. Einer Studie zufolge ist der Krankenstand im ersten Halbjahr 2022 gegenüber dem Vorjahr deutlich gestiegen. Durch eine verantwortungsvolle Unternehmensführung lässt sich gegensteuern.
Nach zwei Corona-Jahren rollte in diesem Winter erstmals wieder eine heftige Erkältungswelle durch das Land und sorgte für viele Erkrankte. Doch bereits seit Jahresanfang 2022 ist die Zahl der Krankschreibungen im Vergleich zu den Vorjahren stark gestiegen – und das nicht nur wegen Husten, Schnupfen oder Covid-19. Dies belegt der AOK-Fehlzeiten-Report 2022, der auf Daten von 15,6 Millionen AOK-versicherten Erwerbstätigen bis Juli 2022 basiert.
Atemwegserkrankungen verdreifacht
Demnach lag der Krankenstand zwischen Januar und Juli 2022 bei 6,6 Prozent, gegenüber 5,1 Prozent im Vorjahreszeitraum. Dabei haben sich Krankschreibungen wegen Atemwegserkrankungen im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht. Sie liegen mit 28,8 Prozent an erster Stelle und haben Muskel-Skelett-Erkrankungen erstmals auf Platz zwei verdrängt (15,8 Prozent). Es folgen Verletzungen (7,9 Prozent) und Erkrankungen der Verdauungsorgane (7,4 Prozent), psychische Erkrankungen (5,2 Prozent) sowie Erkrankungen des Kreislaufsystems (3,3 Prozent).
Höhere Leistungsbereitschaft in verantwortungsvollen Firmen
Darüber hinaus stellt der Report aber auch fest: Beschäftigte, die ihrem Unternehmen eine hohe Sozialverantwortung bescheinigen, sind leistungsbereiter, zufriedener und gesünder. Dies zeigt die repräsentative Befragung unter rund 2.500 Erwerbstätigen, die im Februar und März 2022 im Rahmen des aktuellen Fehlzeiten-Reports durchgeführt wurde.
Folgende Ergebnisse belegen den Zusammenhang: Bei den Beschäftigten, die ihr Unternehmen als besonders verantwortungsvoll wahrnehmen, geht dies bei 96,7 Prozent mit hoher Leistungsbereitschaft einher, bei 95,6 Prozent mit hoher Firmenverbundenheit und bei 96,5 Prozent mit hoher Arbeitszufriedenheit. In der Beschäftigtengruppe, die ihrem Arbeitgeber eine gering ausgeprägte soziale Verantwortung bescheinigt, berichten hingegen nur 76,4 Prozent von hoher Leistungsbereitschaft, 60,6 Prozent von hoher Unternehmensverbundenheit und 69,6 Prozent von hoher Arbeitszufriedenheit.
Erhebliche Gesundheitsunterschiede
Die teilweise sehr großen Unterschiede der gesundheitlichen Befindlichkeit (siehe Grafik) in Firmen mit starker beziehungsweise weniger ausgeprägter Corporate Social Responsibility unterstreichen dies ebenso wie die Differenz bei den Fehltagen. So waren Beschäftigte, die die Unternehmensverantwortung als gut bewerteten, in den letzten zwölf Monaten krankheitsbedingt 9,7 Tage arbeitsunfähig. Beschäftigte, die die Unternehmensverantwortung als schlecht einstuften, fehlten dagegen im Schnitt 14,2 Tage wegen Krankheit.
CSR beginnt im eigenen Haus
Vor diesem Hintergrund betont Helmut Schröder, Mitherausgeber des Fehlzeiten-Reports und stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), dass Corporate Social Responsibility nicht nur den fairen Umgang mit allen Beteiligten, gesellschaftliches Engagement und Umweltschutz bedeute. Er empfiehlt: "Verantwortungsvolle Unternehmen sollten die Gesundheit der Beschäftigten nicht aus den Augen verlieren und nachhaltig in gesundheitsorientierte Führung sowie Angebote der Betrieblichen Gesundheitsförderung investieren." Schließlich beginne CSR bei den Beschäftigten im eigenen Haus.
Hoher Krankenstand hat viele Ursachen
Damit kommt den Führungskräften und dem Personalmanagement eine entscheidende Rolle zu. Sie tun gut daran, sich beispielsweise durch Arbeitsunfähigkeitsanalysen und Mitarbeiterbefragungen ein Bild von den Belastungen zu machen und im Dialog mit allen Beteiligten Lösungen zu finden. Schließlich hinterlassen die aktuellen Herausforderungen – von digitaler Transformation und Fachkräftemangel über Covid-19 und Homeoffice bis zum Ukraine-Krieg und steigenden Preisen – auch bei robusten Naturen ihre Spuren.
Darüber hinaus beeinflussen laut dem Fehlzeiten-Report Faktoren wie das Betriebsklima, das Führungsverhalten und die Fehlerkultur den Krankenstand. Dass dies alles auch bei Remote-Arbeit gilt, stellt Sabine Machwürth, geschäftsführende Gesellschafterin der Unternehmensberatung MTI Consultancy in ihrem Beitrag "Gestresst, gekränkt, erkrankt … im Homeoffice" in der Zeitschrift "Wissensmanagement" heraus.
Sowohl an den genannten Faktoren als auch an organisationalen Bedingungen lässt sich nun ansetzen, wenn es um die betriebliche Gesundheitsförderung geht. Denn einfach ein paar zusätzliche Angebote wie Sportkurse, Gratisobst oder Grippeschutzimpfung greifen ebenso zu kurz wie die formalen Gefährdungsbeurteilungen.
Gesundheitsförderung als Lernprozess
"Gesundheitsförderung wird idealerweise als Settingansatz konzipiert, durch den die betroffenen Menschen befähigt werden, Einfluss auf die Bedingungen ihrer Gesundheit zu nehmen. Ziel ist es, das Setting selbst gesundheitsförderlich zu gestalten", erklärt Nadine Pieck in dem Buchkapitel "Betriebliche Gesundheitsförderung als organisationaler Lernprozess". (Seite 17) Ein solcher Ansatz bringt jedoch Veränderungen für die Organisation wie auch für die Mitarbeitenden mit sich – und stößt bisweilen auf Widerstände. Daher gehe es darum, dass alle Beteiligten in einem Lernprozess ihre Tätigkeitssysteme verändern, indem sie neue kollektive Handlungsweisen beziehungsweise Tätigkeitsmuster gemeinsam aushandeln und entwickeln.
Als Beispiel führt die Springer-Autorin die Arbeit von Reinigungskräften an, deren Tätigkeit gesundheitsverträglicher gestaltet werden soll. Im Idealfall könnten sie ihre Wünsche etwa hinsichtlich hautverträglicher Reinigungsmittel oder der Beschaffung bestimmter Arbeitskleidung in einem firmeneigenen "Gesundheitszirkel" äußern. Der Einkauf würde daraufhin entsprechend angepasst werden. "Die zentrale Leistung der gesundheitsfördernden Organisationsentwicklung liegt in der Gestaltung partizipativer Prozesse und in der Etablierung einer modellhaften Kommunikation", schreibt die Springer-Autorin auf Seite 30. Beide Maßnahmen zahlen auf die CSR von Unternehmen ein. Und können damit gemäß den Erkenntnissen des Fehlzeiten-Reports zu einer gesünderen Belegschaft beitragen.