1981 | OriginalPaper | Buchkapitel
Grundwerte als Zivilreligion
Zur wissenschaftlichen Karriere eines Themas
verfasst von : Niklas Luhmann
Erschienen in: Soziologische Aufklärung 3
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Enthalten in: Professional Book Archive
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Der in den letzten Jahren aus den Vereinigten Staaten rückimportierte Begriff der „Zivilreligion“ soll Mindestelemente eines religiösen oder quasireligiösen Glaubens bezeichnen, für den man bei allen Mitgliedern der Gesellschaft Konsens unterstellen kann.1 Hierzu gehört die Anerkennung dessen, was man in der deutschen politischen Diskussion gegenwärtig „Grundwerte“ nennt, also die Anerkennung der in der Verfassung kodifizierten Wertideen. Diese Grundwerte sollen nicht nur, wie es in der Verfassung heißt, den Staat, sondern auch die Bürger untereinander binden. Einbezogen wird aber auch ein nicht so stark formalisierter Überzeugungsbereich — etwa Vorstellungen über Gerechtigkeit, fairness, Durchsetzungswürdigkeit des Rechts, Gleichheit des Zugangs aller zu allen Funktionen (einschließlich etwa: Nichtdiskriminierung von Rassen beim Besuch von Gaststätten, öffentlichen Veranstaltungen oder sonst allgemein zugänglichen Plätzen) und heute vielleicht sogar: Anspruch auf Lebensqualität. Im gleichen Zusammenhang könnte man denken an Wertvorstellungen, die individuelle Selbstverantwortung schützen, aber auch zur Pflicht machen und durch ein zunehmend zerreißfestes Netz sozialer Sicherheiten gegen ein nicht individuell verantwortetes Schicksal abschirmen. Freiheit und Betreutwerden sind beides Komponenten dieser — so wird behauptet: Zivilreligion.