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2009 | Buch

Historische Notizen zur Informatik

verfasst von: Friedrich L. Bauer

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Der Autor entwickelt unterhaltsam, gleichzeitig mit mathematischer Strenge, zahlreiche Facetten aus der Wissenschaftsgeschichte, die mit den Anfängen der Informatik in Zusammenhang stehen. Die Beiträge sind über viele Jahre im Informatik Spektrum erschienen und werden nun erstmals in einem Buch zusammengefasst. Die Informatik selbst ist eine junge Wissenschaft, deren Wurzeln tief in die Vergangenheit zurückreichen. Der Autor zeigt dies anhand vieler anregender historischer Notizen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Die Algebra des Logikkalküls

I. Wir setzen als ‘Grunderfahrung’ oder ‘Grundtatsache’ den Satz vom ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) voraus in der Fassung:

1. „Es gibt zwei und nur zwei Aussagewerte (— wahr einerseits, falsch andererseits).“

In einem Aussagen-Kalkül sollen diese Aussagewerte Elemente sein. Ein solcher soll gestatten, eindeutige und umkehrbar eindeutige Schlüsse zu ziehen, also zu rechnen. Es liegt nahe, für die Verknüpfung der Elemente Gruppeneigenschaft zu fordern. Wir fordern sie für zwei verschiedene Arten von Verknüpfungen, das heisst gerade: Wir fordern Körpereigenschaft.

2. „Die Aussagewerte sind Elemente eines Körpers.“

Die Lage der Informatik in der Bundesrepublik Deutschland

Ist die Informatik eine selbständige Wissenschaft, und wenn ja: wie ist sie einzuordnen? Natürlicherweise muß eine Antwort auf solche Fragen stets mit der Unsicherheit belastet sein, die davon herrührt, daß wir über einen in Entwicklung befindlichen Gegenstand etwas aussagen wollen und unser Blick nur beschränkt in die Zukunft reicht. Ein Blick zurück um etwa zehn Jahre ergibt aber bereits Perspektiven. Was damals noch als Anhängsel der Mathematik einerseits, der Nachrichtentechnik andererseits erschien, hat heute nach Aufgaben und Methoden einen unabhängigen Platz erreicht. Die Informatik benützt zwar in großem Umfang mathematische Methoden und sieht auch die Mathematik als vorzügliches formales Training an — nichts destoweniger darf sie sich nicht als Mathematik begreifen.

Angstls Mechanismus zur Prüfung auf Wohlgeformtheit

Im Jahr 1950 erfand Helmut Angstl ein mechanisches Gerät, dessen Konstruktion (Fig. 1) die funktionelle Basis des späteren Baues einer Relaisrechenmaschine für aussagenlogische Formeln in Polnischer Notation war. Die Grundzüge der Angstlschen Konstruktion werden im folgenden dargestellt.

Helmut Schreyer — ein Pionier des „elektronischen“ Rechnens

Der Name Helmut Schreyer ist — zu Unrecht — weithin unbekannt. Unsere Studierenden der Informatik hören ihn kaum. Auch das sonst recht ausf ührliche Buch von Eames [9] erwähnt ihn nicht. De Beauclair [10] gebührt das Verdienst, 1968 Schreyer erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt zu haben. Man stößt auf ihn auch, wenn man Konrad Zuses Autobiographie „Der Computer mein Lebenswerk“ liest. Helmut Schreyer († 1984) und Konrad Zuse († 1995) waren gute Freunde.

Informatik — Geburt einer Wissenschaft

In diesem Beitrag soll versucht werden, die Geburt einer Wissenschaft — der Informatik — zu beschreiben. Es dürfte klar sein, daß dies ein weltweiter Vorgang war und daß der deutsche und erst recht der Münchner Beitrag dazu nur einer unter vielen war, mein eigener gar nur aus wenigen Mosaiksteinchen bestand. Notgedrungen muß diese Entwicklung aus persönlicher, auf eigene Erlebnisse gestützter Sicht geschildert werden.

Das d’Hondtsche Verfahren

Victor d’Hondt, 1841–1901, Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Gent, erdachte 1882 ein Verfahren zur Verteilung von Sitzen in Parlamenten und Ausschüssen, das in Europa und anderswo Verbreitung fand. Einschlägige Sachbücher und Lexika geben üblicherweise eine nicht besonders klare verbale Definition: „Die für die einzelnen Parteien abgegebenen Stimmen werden jeweils durch ein (sic!), zwei, drei usw. getrennt nach Parteien, geteilt. Auf die höchsten Divisionsergebnisse wird jeweils ein Mandat zugeteilt, bis alle zu vergebenden Mandate verteilt sind“ [1].

Informatik und Informationstechnik — ein Gegensatz?

Das Wort „Informatik“ war vor 1950 kaum in Gebrauch, seine Entstehung durch Anhängen der Endung ‘-ik’ an den Stamm von Information scheint aber klar zu sein. Eine frühe Verwendung findet sich durch Karl Steinbuch. Nachdem es gegen Ende der fünfziger Jahre für Erzeugnisse der Standard Elektrik Lorenz urheberrechtlich geschützt wurde, war das Wort einer breiten Verwendung in Deutschland entzogen.

100 Jahre Peano-Zahlen

Die natürlichen Zahlen 1, 2, 3, . . . , nach Kronecker „vom lieben Gott gemacht“ und als solche „einer näheren Analyse durch den menschlichen Geist entrückt“ (Remmert), schon 1822 von Martin Ohm (1792–1872) und 1861 von Hermann Graßmann (1809–1877) als Fundament für den Aufbau der ganzen und der rationalen Zahlen geeignet befunden, mußten sich 1884 von Gottlob Frege (1848–1925) und unabhängig davon 1887 von Richard Dedekind (1831–1916) als Menschenwerk ansehen und auf den Prüfstein der mathematischen Logik legen lassen. Ist Giuseppe Peano also schon nicht der erste, der eine „axiomatische“ Basis für die natürlichen Zahlen gab — die Peanoschen Axiome stammen erst aus dem Jahr 1889, während Charles Sanders Peirce (1839–1914) sich schon 1881 mit dem Problem beschäftigte —, so ist er doch wenigstens der, der am häufigsten genannt wird. Nicht ganz zu Unrecht genießt Peano diesen Vorzug, denn die von ihm entwickelte vorteilhafte Schreibweise des Logikkalküls — sie ähnelt schon sehr der heute üblichen — trug erheblich zu seiner Verbreitung bei. Und während Dedekind — ohne logische Formalisierung — eine ordnungstheoretische, auf Ketten abgestellte ganzheitliche Definition gab („Ordinalzahlen“), stellte Peano viel fortschrittlicher die schrittweise Erzeugung der natürlichen Zahlen als Strichzahlen in den Vordergrund.

Die Tragik des Jacques Herbrand

Frühverstorbene mathematische Genies — wer dächte da nicht an Evariste Galois (1811–1832), der neben dem ebenfalls jung verschiedenen Niels Henrik Abel (1802–1829) in der Algebra die entscheidende Wende hin zur Theorie der Körpererweiterungen brachte. Besonders die tragischen Umstände seines Todes bei einem Duell haben immer wieder auf ihn aufmerksam gemacht.

Scherbius und die ENIGMA

enigma

war im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts kein geläufiges deutsches Wort und vielleicht nur dem Musikliebhaber durch die

‘Enigma Variations’

op. 36 (1899) von Edward Elgar (1857–1934) bekannt. Es spricht für die breite Bildung von Arthur Scherbius, daß er dieses Wort wählte, um seiner Erfindung einer Chiffrier- und Dechiffriermaschine einen passenden Namen zu geben. Zehntausende dieser Maschinen waren im Zweiten Weltkrieg auf der mittleren Gefechtsebene ‘im Einsatz’ und die damit befaßten Soldaten hörten den Namen, der allerdings auf den Wehrmachtsmaschinen nur unscheinbar angebracht war. Bald nach Kriegsende wurden die wenigen erhalten gebliebenen Exemplare begehrte Sammlerobjekte; die breitere Öffentlichkeit wurde allerdings erst Mitte der sechziger Jahre mit dem Namen ENIGMA konfrontiert, als englische und amerikanische Quellen über Erfolge der Alliierten im Brechen der deutschen ‘Funkschlüssel’ berichteten (

The Codebreakers

, David Kahn 1967). Die ersten offenen Publikationen von Scherbius selbst waren jedoch schon 1923 erfolgt. Die erste Erwähnung der ENIGMA in der kryptologischen Literatur verdankt man Siegfried Türkel in einem schwer zugänglichen Buch von 1927, auch Eyraud erwähnt schon 1953 die ENIGMA.

400 Jahre Moderne Algebra

Wenn man dem Ausdruck

Moderne Algebra

begegnet, denkt man gern an das Buch mit diesem Titel, mit dem 1930 B. L. van der Waerden (1903–1996) die Vorlesungen über Algebra von Emmy Noether (1882–1935) und Emil Artin (1898–1962) einem breiteren mathematischen Publikum nahebrachte und den beiden großen Mathematikern der zwanziger Jahre ein bleibendes Denkmal setzte, dabei auch Ernst Steinitz (1871–1928), den Begründer der Körpertheorie, nicht vergessend. Mit der vierten Auflage von 1955 hat van der Waerden, auf Anregung von Brandt, den Titel zu

Algebra

vereinfacht. Danach darf man sich erlauben, darauf hinzuweisen, daß es eine

Moderne Algebra

gibt, seit die verbale mathematische Ausdrucksform der Antike und der Muslime durch eine formale Notation, durch eine Formelschrift ersetzt wurde. Das geschah freilich nicht auf einen Schlag; aber einen besonders deutlichen Schritt in die Moderne verdankt man Franc, ois Viète (1540–1603), und es ist genau 400 Jahre her, daß einige ausschlaggebende Werke von Viète (lateinische Namensvariante

Vieta

) entstanden oder im Druck erschienen.

Wer baute den ersten volltransistorisierten Rechner?

Vor einiger Zeit erhielt ich eine Zuschrift mit der Bitte, folgende Anfrage zu beantworten oder beantworten zu lassen: Wer hat nach dem heutigen Stand der historischen Erkenntnisse ‘in Europa den ersten volltransistorisierten Rechner gebaut’? Ich fand die Fragestellung etwas merkwürdig: warum gerade in Europa? Warum nicht in Amerika oder auf der Welt oder in Deutschland oder in Österreich? Auch schien mir die Frage gezielt zu sein, aber ich wußte nicht worauf.

Ries und Schickard

Vor fünfhundert Jahren, 1492, wurde Adam Ries geboren, dessen Name fast jeder kennt — sagt man doch, um das Ergebnis einer schwierigen Rechnung zu bekräftigen, ‘nach Adam Riese’. Hundert Jahre später wurde Wilhelm Schickard geboren, dessen Name lange Zeit kaum den Fachleuten geläufig war, bis er — ein Verdienst von Bruno von Freytag Löringhoff — als Erfinder des mechanisierten Rechnens bekannt wurde. Nur etwa hundert Jahre liegen zwischen Adam Rieses Anpreisung des ‘Rechnens mit der Feder’, des schriftlichen Ziffernrechnens (um 1518), und der Mechanisierung eben dieses Rechnens (um 1623). Für damalige Zeiten war das ein rascher Fortschritt.

Damals: die kleinste Rechenmaschine

Jörn ist nicht der erste, den die CURTA zum Schwärmen brachte. Seit sie 1948 auf den Markt kam, 248 Gramm schwer, 110 mm hoch und 55 mm dick, äußerlich einer Pfeffermühle nicht unähnlich, war sie für viele Ingenieure, Wissenschaftler, Buchhalter und Verwaltungsbeamte ein Wunschtraum, der bei einem Preis von rund DM 500,– für manchen unerfüllbar blieb. Wer sie besaß, führte sie gerne vor wie eine schöne Frau und erfreute sich ihrer nicht nur mit den Augen, sondern auch akustisch „an dem leisen Klang beim Durchziehen des Getriebes mit der kleinen Kurbel“.

Software Engineering — wie es begann

Mitte der sechziger Jahre verspürte man vielerorts in wissenschaftlichen Einrichtungen der westlichen Welt, daß mit der stürmischen Entwicklung der Rechner-Anlagen kein entsprechender Fortschritt in der

software

einherging, im Gegenteil, daß diese Seite Turbulenzen zeigte. Man erinnere sich: Programmiersprachen und ihre Übersetzer gab es schon einige Jahre, aber Betriebssysteme etwa steckten noch ziemlich in den Kinderschuhen, und sie zeigten überraschende Schwächen. Das Mißbehagen kam besonders in einigen amerikanischen Großforschungseinrichtungen zum Ausdruck, und der US Delegierte im

NATO Science Committee

, Dr. Isidor Isaac Rabi (1898-1988), Nobelpreisträger 1944 in Physik und 1952-1956 Vorsitzender des Komitees der wissenschaftlichen Berater des amerikanischen Präsidenten, brachte dort seine Sorgen vor, daß die Großforschung durch einen Flaschenhals der

software

stranguliert werden würde.

Multiplikation und Dualsystem

Das rätselhafte Zitat spielt auf eine Methode an, die als ‘altägyptische Multiplikation’ bekannt ist. Sie hat ‘dyadischen Charakter’. Mehr darüber später, und schön der Reihe nach.

Rechnen heißt: Ordentlich machen

Rechnen kommt von „rechen“ und bedeutet nicht nur etymotologisch „zusammenscharren, anhäufeln“; die Abstammung drückt auch die Entstehung der Zahlen als Haufen von Muscheln, Steinen, Münzen und den Umgang mit ihnen aus. Durch Abstraktion entstehen Zahlschriften. Höhere Zahleinheiten führen zum Umtausch, etwa von 20 Kupfermünzen in eine Silbermünze und von 12 Silbermünzen in eine Goldmünze. In der Zahlschrift führt das zu Bündelung und Stufung; beim Rechnen ergibt sich die Notwendigkeit des Übertrags. Die Multiplikation erst legt nahe, Zahlsysteme mit einheitlicher Stufung — etwa in einem Sechzigersystem (babylonisch) oder in einem Zehnersystem (römisch) — heranzuziehen. Das Zweiersystem kommt erst bei Napier (1611) und Harriot (um 1620) vor und wird von Leibniz (1679) nachhaltig propagiert. Napier denkt jedoch bereits an eine Mechanisierung der Multiplikation im Zweiersystem. Sein Vorschlag führt direkt in die Moderne, zu „Reduktionssystemen“ und zum Aufbau schneller paralleler Multiplikationsschaltungen, die in „numerischen Koprozessor-Chips“ weite Verwendung gefunden haben.

Kryptologie und Blindenschrift

Lesen erfolgt mit den Augen, und (handschriftliches) Schreiben geschieht unter visueller Kontrolle; Lesen und Schreiben ist, wörtlich genommen, einem Blinden verwehrt. Taktile Signale kann ein Blinder jedoch aufnehmen, sein Tastvermögen ist sogar in der Regel besonders gut geschult. Mehr noch: ein Blinder kann gespeicherte Signale taktil abfragen, also ‘Lesen’ im erweiterten Sinn. ‘Schreiben’ im erweiterten Sinn ist dann jedes Speichern, das Wiederabtastung erlaubt. Eine ‘Blindenschrift’ muß also ‘Schriftzeichen’ benutzen, die mit Tastorganen des Menschen, am nächstliegenden mit den Fingern, abtastbar sind. Die abtastbare Aufzeichnung kann Differenzierung in Form und Intensität benutzen.

Punkt und Komma

MDCCCCLXXXXVI oder 1996 — was liest sich schneller, was spricht sich leichter? Die Frage stellen heißt auch schon, sie zu beantworten.

Die Macht der Formeln und ihre Grenzen

Formeln zur Macht

— das war der Titel eines seinerzeit (1965) vielbeachteten Buches von Wilhelm Fucks. Der Untertitel

Prognosen über Völker, Wirtschaft, Potentiale

verrät genügend über den Inhalt. Um die

Grenzen

des Wachstums soll es uns hier nicht gehen. Eher ist

Macht der Formeln

unser Thema. Aber was für eine Macht sollen Formeln haben? Was soll eine

mächtige Formel

sein? Der Ausdruck

mächtig

ist dem Mathematiker nur vertraut in der Wendung

Zwei Mengen sind gleichmächtig, wenn ...

. Auch davon wird nicht zu reden sein. Wir kommen der Sache, die uns bewegt, näher, wenn wir

Nutzen der Formeln

sagen. Roland Bulirsch hat 1989 in einem Vortrag

Mathematik und Informatik — Vom Nutzen der Formeln

die mannigfache Verwendung von Formeln im mathematisierten Alltag von Astronomen, Physikern und Ingenieuren angesprochen. Es gibt Formelsammlungen; Formeln müssen also nützlich (oder schön) sein, wenn man sich schon die Mühe macht sie zu sammeln. Wenn man Thomas Mann folgt, sind Formeln nicht schön. Also sind sie nützlich. Wenn man Thomas Mann jedoch nicht folgt und sich die Freiheit nimmt, gewisse Formeln schön zu finden (Hardy meinte, mathematische Formen sollten schön sein wie die der Maler und Dichter, denn in der Welt sei kein Platz für häßliche Mathematik), so können sie trotzdem (wie auch manche Werke der Kunst) nützlich sein. Schön und wichtig ist die ideale Kombination.

Zaubergemurmel

Mathematische Symbole scheinen auf viele Menschen magischen Eindruck zu machen. Thomas Mann, Schwiegersohn des reichen und gebildeten Mathematikers Alfred Pringsheim und dadurch zeitlebens von einem Minderwertigkeitskomplex geplagt, schrieb über mathematische Formelgebilde — deren Sinn er nicht verstand — mit der ganzen Sprachgewalt des Dichters, ein Ausbruch von sinnentleerter Leidenschaftlichkeit eines angeblichen Laiensinns.

Entzifferte Geheimnisse

Vor wenigen Jahren noch war die Kryptologie, die Lehre von den Geheimschriften und ihrer unbefugten Entzifferung, ein recht im Verborgenen blühendes Gebiet — blühend, weil von alters her ihre professionellen Vertreter gut ernährend. Denn die Kryptologie ist eine echte ‘Wissenschaft’: Es geht um Wissen, um erfahrenes (‘tradiertes’) ebenso wie um erprobtes. Ihrer Natur nach handelt sie nicht nur von Geheimschriften, sondern bleibt auch selbst etwas im Geheimen — gelegentlich auch im Obskuren. Sie ist fast eine Geheimwissenschaft. Mit dem Aufkommen allmächtiger Staatsgewalten mußten sich die professionellen Kryptologen in diplomatischen und milit ärischen Diensten, wenn sie überhaupt publizieren durften, weitgehend in die Anonymität begeben oder doch wenigstens eine Zensur ihrer Veröffentlichungen hinnehmen. Dementsprechend war die offene Literatur spärlich, oft schwierig aufzufinden und gab nie den vollen Wissensstand wieder. Das war noch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs so.

Prüfbare und korrigierbare Codes

Codes in der Bedeutung von Systemen zur Darstellung von Nachrichten dienen zweierlei Zwecken: zum einen der Darstellung von Mitteilungen auf Nachrichtenwegen, zum andern dem Verbergen vor Unbefugten. Der letztere, kryptographische Zweck soll uns hier nicht beschäftigen. Der erstere hat eine lange Geschichte, die die Signalfeuer des Polybios (2. Jh. v.Chr.) und den Uhrentelegraphen des Mathematikers und Philosophen Leon von Byzanz (9. Jh.) umfaßt; Namen wie Geronimo Cardano (1501–1576), Giambattista della Porta (1535–1615) und John Wilkins (1614–1672) tauchen auf, bis erstmals der optische Telegraph von Claude Chappe (1762–1805) zu Napoleons Zeit große praktische Bedeutung gewinnt. Die optischen Telegraphenlinien in Frankreich um 1840 zeigt Abb. 1. Chappes Erfindung von 1792 mit Semaphoren (Abb. 2) wurde auf englischer Seite durch John Gamble (um 1760–1811) aufgegriffen und 1795 in einen fünfstelligen Binärcode umgeformt, George Murray benutzte einen Klappen-Telegraphen mit einem redundanten sechsstelligen Binärcode (Abb. 3). Auch der Ungar Josef Chudy (um 1752– 1813) benutzte in seinem Lampentelegraphen von 1787 einen fünfstelligen Binärcode.

Wer erfand den von-Neumann-Rechner?

„Warum heißt das Gauß-Seidel-Verfahren so?“ lautet eine Scherzfrage, mit der Antwort „weil Gauß es nicht erfunden und Seidel es nicht besonders empfohlen hat — nach A. Ostrowski hat sein ukrainischer Landsmann P. A. Nekrasov es 1885 erfunden“. Es ist ein schlechter Scherz, weil die Antwort zwar witzig erscheint, aber hinsichtlich der Personen hinten und vorne nicht stimmt. Im übrigen werden mathematische Verfahren nicht erfunden — sie werden höchstens gefunden. ‘Erfindung’ ist ein technikhistorischer Begriff, das Wort spielt im Patentrecht eine Rolle. Charles Babbage und Konrad Zuse waren Erfinder, Erfinder von Rechnern.

Zuse, Aiken und der einschrittige Übertrag

Beim Addieren zweier oder mehrerer, in einem Stellenwertsystem geschriebener Zahlen kann an jeder Stelle ein Übertrag in die nächsthöhere Stelle auftreten. Das lehrte schon, auf muslimischen Quellen aufbauend, Leonardo von Pisa (um 1170–nach 1240). Adam Ries (1492–1559) gibt in seinem erstmals 1525 in Frankfurt erschienenen Rechenbuch das Beispiel der Addition von

123 Gulden 17 Groschen 9 Heller

234 Gulden 18 Groschen 7 Heller

307 Gulden 11 Groschen 5 Heller

678 Gulden 13 Groschen 6 Heller

Die Heller ergeben summiert 27, je zwölf Heller ergeben einen Groschen, es verbleiben 3 Heller und ein Übertrag von 2 Groschen. Die Groschen ergeben summiert 61, je einundzwanzig Groschen ergeben einen Gulden, es verbleiben 19 Groschen und ein Übertrag von 2 Gulden. Die Gulden ergeben summiert 1344. So erhält Adam Ries als totale Summe

1344 Gulden 19 Groschen 3 Heller.

Der typographische Punkt

Die Buchdruckerei mit beweglichen Lettern, in Europa nach 1440 von Johannes Gensfleisch zur Laden gen. Gutenberg erfunden (Victor Hugo: „Das größte Ereignis der Weltgeschichte“) erfreute sich lange Zeit der ehrenvollen Bezeichnung ‘Die Schwarze Kunst’. Wer genau hinsah, entdeckte, daß damit nicht nur der reichliche Gebrauch von Druckerschwärze gemeint war. Es stand dahinter ein im Zunftdenken verwurzeltes Zusammengehörigkeitsgefühl, das beispielsweise dafür sorgte, daß wandernde Gesellen nicht auf der Straße stehen mußten. In einer solchen Situation schottet man sich gegen Außenstehende, die unlautere Konkurrenz bedeuten könnten, ab.

An Error in the History of Rotor Encryption Devices

In a recent publication of the National Security Agency, United States of America, History and Publication Division, a leaflet with the attractive title

The Bombe: Prelude to Modern Cryptanalysis

, an historical error on the Enigma is repeated which has been copied for decades. It states that “Hugo Koch, a Dutchman, conceived the machine in 1919. Arthur Scherbius first produced it commercially in 1923”. It is time to return to historical correctness.

Alwin Walther im Urteil seiner Zeitgenossen

In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg und zwei Jahrzehnte nach dessen Ende sah die Welt der Mathematik eine auffallende Figur: Alwin Walther. Niemand kam an ihm vorbei, er war einflußreich in der Wissenschaftshierarchie und pflegte den Kontakt mit der Wirtschaft und der Regierung. Kein Wunder, daß er nicht gleichmäßig beliebt war. Insbesondere divergierten die Ansichten über ihn unter den Mathematikern. Einige, die sich gerne als ‘Angewandte Mathematiker’ bezeichneten, sahen in ihm einen Vorkämpfer und ließen ihn die Kastanien aus dem Feuer holen, die sie anschließend verspeisten. Manch andere, die sich aus Hochmut ‘Reine Mathematiker’ nannten, neigten dazu, ihn als nicht ernstzunehmend hinzustellen. Walther hatte das Geschick, Meinungen zu polarisieren. Aber viele Mathematiker ließen sich ihr Urteil nicht trüben und wünschten auch nicht, als ‘Angewandte Mathematiker’ oder ‘Reine Mathematiker’ abgestempelt zu werden. Gute Mathematiker haben solche Abgrenzungen nicht nötig; sie nehmen mal mehr den einen, dann mehr den anderen Standpunkt ein.

Noam Chomsky 70

Wenn ein Informatiker den Namen Chomsky hört, schlägt vielleicht sein Herz höher. Er erinnert sich mehr oder weniger deutlich an Chomsky-Grammatiken, die Stichworte Chomsky-1, Chomsky-2 und vielleicht sogar Chomsky-3 mögen ihm dabei in den Sinn kommen. Ebenso mag es ihm mit Leibniz gehen: Leibniz als Entdecker des Zahlenrechnens mit Dualzahlen, Leibniz als Erbauer einer ersten Vier-Spezies-Rechenmaschine, Leibniz als Erfinder der Differentialrechnung und schließlich als Patron der Informatik. So richtig das ist, es ist nicht die volle Wahrheit. Der Name Leibniz wird in den Geisteswissenschaften für eine Menge anderer Errungenschaften herangezogen, von den Monaden bis zur prästabilisierten Harmonie und von der Theodizee bis zur formal-definierten Logik.

Intuitionismus und Informatik

1. Während seines Studiums in Göttingen schloß Carl Friedrich Gauß eine schwärmerische Freundschaft mit Farkas (Wolfgang) Bolyai (1775–1856), einem siebenbürgischen Studenten, die Jahrzehnte anhalten sollte. In einem Brief an H. C. Schumacher vom 28.11.1846 schreibt Gauß, er habe schon 1792 (er war damals 15 Jahre alt) nachgedacht über „die Grundzüge derjenigen Geometrie, die stattfinden müßte und strenge konsequent stattfinden könnte, wenn die Euklidische nicht die wahre ist“. In einem Brief an C. L. Gerling vom 14. 2. 1832 schreibt er, er habe eben eine Schrift über die nichteuklidische Geometrie eines „sehr jungen ungarischen Offiziers, Sohn des Jugendfreundes von mir, mit dem ich 1798 mich oft über die Sache unterhalten habe“, erhalten. Es war János (Johann) Bolyai (1802–1860), Sohn von Farkas Bolyai. Gauß schreibt, daß er in der Schrift „all seine eigenen Ideen und Resultate wiederfinde, mit großer Eleganz entwickelt“ und rühmt die Reife in der Leistung des jungen Mannes. Gauß selbst wollte, wie er in einem darauffolgenden Brief an den Vater vom 6.3.1832 schreibt, von seiner eigenen Arbeit „bei meinen Lebzeiten nichts bekannt werden lassen“ — er wollte sich nicht dem Gespött der „Böotier“ aussetzen, wollte nicht dem philosophischen Diktat Kants, der den Euklidschen Raum zu einer reinen Anschauungsform a priori vor jeder Erfahrung machte, widersprechen. Wir dürfen aber annehmen, daß seine frühen „Meditationen“, wie er sie nannte, über seinen Freund Farkas an den jungen János gelangten und dort fruchtbar wurden.

Marian Rejewski und die Alliierten im Angriff gegen die ENIGMA

Am 16.August 1983 gab die polnische Postverwaltung eine Sondermarke heraus zum Gedenken an den 50 Jahre früher erfolgten Bruch der deutschen ENIGMA-Chiffrierung durch die drei polnischen Mathematiker Marian Rejewski, Henryk Zygalski, Jerzy Rózycki (Abb. 1).

Mathematik überall — die Rolle der Mathematik in der Informatik

„Überall ist Wunderland, überall ist Leben” ist der vielzitierte Anfang eines Gedichts von Joachim Ringelnatz. „Überall ist Mathematik” ist also ein Plagiat. Aber es stimmt. Mathematik liegt überall in der Luft, insbesondere da, wo man es nicht vermutet. Nur sehen, hören, fühlen, riechen es manche Leute nicht. Manche kokettieren auch gern mit ihrer Schwäche: ‘In Mathematik war ich immer schlecht’. Gelegentlich mag das ja rein intellektuelle Gründe haben, oft aber ist es nur eine späte Rache am Mathematiklehrer; man ist ja trotz mangelnder Leistungen im Fach Mathematik etwas geworden.

Claude Elwood Shannon 1916–2001

Am 24.Februar 2001 verstarb in Winchester, Massachusetts, Claude Elwood Shannon, einer der großen angewandten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, Schöpfer der Informationstheorie.

Konrad Zuse in Hopferau — Z4 und Plankalkül

Konrad Zuse führte im Mai 1941 erfolgreich seine gerade fertiggestellte Relais-Rechenanlage Z3 den Auftraggebern, der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershorst (DVL) unter Professor Teichmann vor. Zuse ist damit als Schöpfer der ersten vollautomatischen, programmgesteuerten und frei programmierbaren Rechenanlage ausgewiesen.

QWERTZU

Warschau, 24. Juli 1939: In einem Taxi fahren ein Franzose und ein Engländer zu ihrem Hotel, der Franzose in der Uniform eines Offiziers. Der Engländer ist in Zivil, in bester Laune singt er wieder und wieder „Nous avons le QWERTZU, nous marchons ensemble“. Französisch-englische Verbrüderung am Vorabend des Zweiten Weltkrieg? Aber worum geht es? Ist QWERTZU ein Deckname für eine Wunderwaffe? In gewissem Sinn schon. Der Franzose ist der Major, spätere General Gustave Bertrand (1896–1976), Chef der Abteilung D (Dechiffrierung) der ‘Section de Renseignements’ im ‘Deuxi`eme Bureau’ des französischen Generalstabs; der Engländer ist Alfred Dillwyn (‘Dilly’) Knox (1884–1943), ein Altphilologe vom King’s College in Cambridge, inzwischen führender Kryptanalyst im Dienst des Foreign Office. Die beiden waren ‘zu Besuch’ beim polnischen (De-)Chiffrierbüro (‘Biuro Szyfrów’).

Fritz Hartogs — Schicksal eines jüdischen Mathematikers in München

Die Liste deutscher Mathematiker, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, ist lang. Viele darunter wurden wegen ihrer ‘jüdischen Rasse’ beleidigt, gequält, ihrer Menschenwürde beraubt, ermordet oder in den Tod getrieben. Obwohl Antisemitismus bereits in den 1920er Jahren in Deutschland deutlich ausgeprägt war, veranlaßte das nur wenige, rechtzeitig auszuwandern: Adolph Abraham Fraenkel (1891-1965) ging 1929 an die hebräische Universität in Jerusalem, John von Neumann (1903-1957), der in Budapest promoviert hatte und der 1926 als Rockefeller Fellow nach Göttingen kam (er war 1927-1929 PD in Berlin und 1929/1930 PD in Hamburg gewesen) war seit 1930 Gastdozent an der Princeton University. Er nahm im Januar 1933 eine Stellung am Institute for Advanced Study in Princeton an. Der junge Hans Arnold Heilbronn (1908-1975), Assistent von Edmund Landau, ging 1933 nach England. Wolfgang Doeblin (1915–1940), Sohn des Schriftstellers Alfred Doeblin, emigrierte ebenfalls 1933, wurde französischer Staatsbürger und fiel im Juni 1940 im Krieg für Frankreich.

Carl Friedrich Gauß in die Walhalla!

König Maximilian II. von Bayern zeichnete Gauß 1853 mit dem neugeschaffenen

Königlichen Maximilians-Orden für Wissenschaft und Kunst

aus. Mit Gauß wurden damals noch andere ausgezeichnet: Justus Freiherr von Liebig, Wilhelm von Schelling, Joseph Freiherr von Eichendorff.

Magische Quadrate und magische Würfel

Magische Quadrate.

Sie sind seit geraumer Zeit ein Gegenstand der sogenannten Unterhaltungsmathematik und wurden dabei oft auch von Laien behandelt — Abb. 1 zeigt ein fehlerhaftes Beispiel eines

Quaré Magique

, das sich in einem Werk

Nouvelles Récréations

von E.G.Guyot, erschienen 1770 bei der Librairie Gueffier, findet.

Theodor Fromme — Ein fast vergessener Pionier

„Bei einem Besuch seiner Heimatstadt Lübeck, am 21. November 1959, wurde Theodor Fromme im Alter von 51 Jahren seinen Angehörigen und Freunden durch ein unerwartetes Geschick entrissen.” So schrieben F. R. Güntsch und der ebenfalls inzwischen verstorbene W. Händler im Februar 1962 in einem Lebenslauf Frommes, den sie einer posthumen Publikation des Verstorbenen mit den Titeln ‘Der Äquivalenzkalkül’, ‘Die Schaltmatrizen’ voranstellten.

3.14159... und 2.71828...

Reelle Zahlen sind nicht nur dem Mathematiker vertraut: der Informatiker, der Physiker, der Ingenieur, der Naturwissenschaftler benützt sie; ihre Rechengesetze werden in den Grundvorlesungen eingeführt. Dabei wird die Existenz irrationaler reeller Zahlen je nach Fachrichtung mehr oder weniger selbstverständlich vorausgesetzt, meist unter Bezug auf die Anschauung. Von besonderem Interesse sind dabei

π

und

e

.

Sackgassen und Durchbrüche in der Informatik

Das Thema handelt von einer Facette der Geschichte der Informatik. Unter dem heutigen Namen kennt man die Informatik, englisch

computer science

, noch kaum ein halbes Jahrhundert. Ihre Geschichte reicht jedoch weit zurück, wobei sie sich in verschiedenen Disziplinen verstecken mußte; hauptsächlich in der Mathematik und das seit der Antike, aber auch in der Nachrichtentechnik seit der Erfindung des optischen Telegraphen und in der Kryptologie seit Alberti (15. Jh.); in der mechanischen Rechenmaschinentechnik seit Schickard, Pascal und Leibniz und in der Regelungstechnik seit James Watt; seit der beginnenden Neuzeit auch in der Sprachwissenschaft unter Athanasius Kircher (17. Jh.) und sonst noch mancherorts. Durch die Einführung der modernen, programmgesteuerten elektronischen Rechenanlagen, der

computer

, bekam das Gebiet ein wissenschaftliches Eigenleben, eine überragende wirtschaftliche Bedeutung und konsequenterweise auch einen einprägsamen Namen. Der Ausdruck

‘informatique’

im Französischen gab den Hintergrund für die Bezeichnung ‘Informatik-Werk’ einer Fabrik der Firma Standard Elektrik. Nachdem jedoch die

academie francaise

1968 eine sozusagen amtliche Definition des Begriffs

‘informatique’

vorgenommen hatte:

‘L’ informatique: Theorie et traitement de l’ information à l’aide de programmes mis en oevre sur ordinateurs’

, wurde in Deutschland der Ausdruck

Informatik

, parallel zu

Mathematik

, salonfähig. Bundesminister Stoltenberg gebrauchte 1968 das neue Wort erstmals bei einer Fachtagung in Berlin, und die Presse griff es fast begierig auf: so war es bald in aller Munde, und niemand litt unter Verständnisschwierigkeiten.

War Hindenburg ein Feldherr?

1. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat einige Beispiele aufzuweisen für die kriegsentscheidende Bedeutung, die der Einbruch in die chiffrierten Nachrichtenkanäle eines Gegners haben kann. Seit es 1974 Fredrick W. Winterbotham von britischer Seite gestattet wurde, über die bislang geheimgehaltenen Erfolge von Bletchley Park gegenüber Deutschland zu berichten

(„Es ist das Privileg des Siegers, zu verschweigen, wie und wie oft er in den Code des Gegners eindringen konnte”)

wurde häufig die Meinung vertreten, daß dies den 2. Weltkrieg entschieden, zumindest um ein Jahr abgekürzt habe. Das Prestige der Kryptologen Großbritanniens wurde dadurch nicht unbeträchtlich gestärkt.

De Moivre und Lagrange — Cosinus eines rationalen Vielfachen von π

Neulich fand ich in einem neuen Buch über die Geschichte der Algebra die folgende Aufgabe:

Zeige: Das Polynom

$$ f(x)=x^3-\frac{1}{2}x^2-\frac{1}{2}x+\frac{1}{8} $$

ist das einzige normierte, über

$$ \mathbb{Q} $$

irreduzible Polynom, für welches

$$ f(\cos\frac{\pi}{7})=0 $$

ist.

Ich wollte mich durch eine numerische Probe überzeugen, daß kein Druckfehler im Spiel war, und mein MATHEMATICA–Programm gab mir — nicht überraschenderweise — auch zwei andere numerische Werte, nämlich

$$ \cos\frac{3\pi}{7} $$

und

$$ \cos\frac{5\pi}{7} $$

.

Polygraphia Nova et Universalis

Unter den Universalgelehrten des 17. Jahrhunderts sticht der aus Geisa in der Rhön stammende Jesuit Athanasius Kircher (1602–1680) hervor, nicht bloß durch seine Gelehrsamkeit, sondern vor allem durch seine Vielseitigkeit. Es würde Seiten füllen, allein die Themen aufzuzählen, mit denen er sich in seinem langen Leben beschäftigte: ein Querschnitt reicht von der Beobachtung von Sonnenflecken mit dem Fernrohr, von der Entzifferung von Hieroglyphen auf römischen Obelisken, von medizinischen Untersuchungen vermuteter Pesterreger mit dem Mikroskop, von einem Planetarium mit Lichtspiegeln bis hin zu einem automatischen Musikinstrument, einem Dämonen und der angeblichen Rippe und Schwanzflosse einer Sirene, die er in seinem

Museum

ausstellte. Aberglaube war ihm zeitgemäß nicht fremd, seine Studien der Unterwelt

(mundus subterraneus)

wurden besonders motiviert durch Vulkanausbrüche von Stromboli, Ätna und Vesuv im Jahre 1638.

Lamberts Kettenbruch

1. Johann Heinrich Lambert, geboren zu Mühlhausen im Elsaß am 26. August 1728, gestorben in Berlin am 25. September 1777, einer der letzten Universalgelehrten, ist der mathematischen Welt am besten bekannt durch seinen Beweis der Irrationalität der Zahl

π

und der Zahl

e

. Dies stand im Zusammenhang mit der sich damals entwickelnden Kettenbruchtheorie, und so publizierte Lambert 1770 in einer Arbeit mit dem wenig versprechenden Titel “Beyträge zum Gebrauche der Mathematik und deren Anwendung”, zweiter Teil, Berlin 1770, einen Kettenbruch für

$$ \frac{4}{\pi} $$

, der heute häufig in der folgenden Form wiedergegeben wird

1

$$ \frac{4}{\pi} = 1 + \frac{1^2}{3 + \frac{2^2}{5 + \frac{3^2}{7 + \frac{4^2}{9 + \frac{5^2}{11 + \frac{6^2}{\ldots}}}}}} $$

und dessen Bedeutung lange verkannt war.

Pythagoräische Tripel

Pythagoräische Tripel sind Tripel (x, y, z) positiver ganzer oder auch rationaler Zahlen derart daß

x

2

+ y

2

= z

2

.

Mathematik besiegte in Polen die unvernünftig gebrauchte ENIGMA
Im Gedenken an Marian Rejewski (1905–1980)

Häufig habe ich die Frage gehört: „Wie kam es dazu, daß es die Polen waren, denen im Dezember 1932 die ersten Einbrüche in das ENIGMA Chiffriersystem der Deutschen Wehrmacht gelangen, während die Briten lediglich mit der kommerziellen ENIGMA zurande kamen?“ In der Tat: dies gelang Alfred Dillwyn Knox erst 1937, obwohl er schon 1925 in Wien eine ENIGMA C gekauft hatte und Hugh Foss bereits 1927 Anfangserfolge damit erzielt hatte. Der wesentliche Unterschied zwischen der Wehrmacht ENIGMA, die ein Steckerbrett hatte und der ENIGMA C, der es noch fehlte, lieferte dafür einen oberflächlichen Grund, aber das war es nicht allein: es war ein Mentalit ätsunterschied, der eine entscheidende Rolle spielte. Etwas genauer gesagt: die Polen brachten ab 1929 systematisch die Mathematik ins Spiel, während die Briten noch bis 1938 an dem Jahrhunderte alten Geist, daß Kryptanalyse eine Domäne der Philologen sei, festhielten.

‘Simple Simon’: ein früher elektromechanischer Computer

Edmund Callis Berkeley (21. März 1909 – 7. März 1988), ehemaliger Mitarbeiter von Howard Aiken an der Harvard University, 1947 Gründer der US-amerikanischen

Association for Computing Machinery

und Herausgeber der Zeitschrift

Computers and Automation

(Abb. 1), publizierte 1949 im Verlag von John Wiley & Sons, New York

Giant Brains or Machines That Think

, ein populärwissenschaftliches Buch, das weltweit Aufsehen erregte und in sieben Auflagen bis 1963 erschien. Es behandelte einige der bereits in Betrieb befindlichen amerikanischen

computer

: IBM Automatic Sequence Controlled Computer (Mark I), gebaut 1939–1943 von Aiken (Harvard); Electronic Numerical Integrator and Calculator (ENIAC), gebaut 1943–1946 von Eckert und Mauchly; Bell Laboratories’ General-Purpose Relay Calculator, gebaut 1944–1946 von Stibitz und weitere, in Bau befindliche (verständlicherweise ist weder die britische COLOSSUS Maschine noch die Z4 von Zuse erwähnt).

Seit Bombelli und Cataldi: Periodische Kettenbrüche

Kettenbrüche haben eine weit zurückreichende Geschichte. Sie beginnt mit den ersten Versuchen, Näherungsbrüche für Quadratwurzeln aus positiven ganzen, allenfalls rationalen Zahlen, die nicht Quadrate sind, zu finden. Dafür sagte man kurz, ‘Quadratwurzeln (annähernd) zu berechnen’. Vereinzelte Beispiele finden sich schon früh, so bei Archimedes von Syrakus (287 v. Chr. – 212 v. Chr.):

$$ \frac{265}{51} = 5+\frac{1}{5+\frac{1}{10}} < \sqrt{27} < 5+\frac{1}{5+\frac{1}{10+\frac{1}{5}}} = \frac{1351}{260}$$

Frühe Zeugnisse der ‘software’

Ich erinnere mich noch gut daran, als ich Anfang der fünfziger Jahre zum ersten Mal auf das Wort

‘software’

stieß. Es war ein Oxymoron, die rhetorische Figur der Verbindung zweier sich scheinbar ausschließender Begriffe:

‘soft’

, weich und

‘ware’

, Ware wie in

‘hardware’

, lt.

Cassel’s

Eisenwaren. In Verbindung mit kleineren und größeren Rechenanlagen wurde das Wort von den Computeringenieuren etwas abschätzig gebraucht zur Bezeichnung der wenigen damals verfügbaren generellen Programmierhilfen, wie Überwacher-Programme für den Programm-Lauf,

post mortem

-Programme für Fehlerdiagnose, Interpretier-Programme für Kommandosprachen (SHORT CODE, 1949), Lader für Unterprogramme und Assemblier-Programme zur Speicherzuordnung (Wilkes et al. 1951), die über die schon seit 1947 für die EDSAC und für die BINAC vorgesehenen Bibliotheksprogramme (‘routines’), beispielsweise für spezielle Funktionen, hinausgingen. Tatsächlich bestand für die Überheblichkeit der hardware-Ingenieure noch genügend Grund, hing es doch damals sehr von ihrem Geschick ab, ob die Maschinen zuverlässig liefen. Die Hersteller unterschätzten weithin die Bedeutung dieses neuen Zweiges der Technik, bei Telefunken war zu der Zeit, als die Ankündigung der Rechenanlage TR4 vorbereitet wurde, die Zahl der software-Entwickler deutlich unter der Zahl der hardware-Entwickler: die Fortschritte in der software geschahen damals überwiegend im akademischen Bereich. Die Software-Leute begannen jedoch zusehends, selbstbewußter zu werden und nutzten den Vergleich mit den ‘Eisenwaren’ der Ingenieure, auf die intellektuelle Überlegenheit der reinen ‘Anweisungen an den menschlichen Geist’, wie es im Patentgesetz so sinnig formuliert war, hinzuweisen.

Fleissner-Raster und der Erzherzog

Raster

(frz., engl.

grille

, engl. auch

trellis cipher

) sind bequem handhabbare Hilfsmittel für Chiffrierung durch Transposition (Umstellung der Zeichenfolge); sicherer als einfache Zeilen-Spalten-Transposition falls das Muster der Fenster genügend unregelmäßig ist. Bei Girolamo Cardano (1501–1576) wurde die Nachricht durch vorbereitete Fenster in einem einzigen Raster geschrieben, der verbleibende Platz mit möglichst unverfänglichem Text ausgefüllt. Dies war ein wenig bequemes und nicht sehr sicheres Verfahren, deshalb wurde es später ersetzt durch einen Satz von etwa einem halben Dutzend oder mehr vorgefertigter Raster, deren Fenster zusammen die ganze Schreibfläche überdeckten.

Richard Hamming: Fehlerkorrigierende Codes

Lange bevor man von Codierung sprach, wurde die fehlerfreie Übertragung von Nachrichten zum Problem. Harmlos aussehende Schreibfehler konnten eine Nachricht verfälschen: Wenn aus ‘Komme heute nacht’ ‘Komme heute nicht’ wurde, war der Schaden vielleicht nicht mehr behebbar. Mit dem Aufkommen der Telegraphie wurde die Situation in besonderen Fällen ernst, so etwa beim Auftreten von Geldbeträgen in Zahlungsanweisungen. Die Wiederholung von Zahlenangaben ‘in Worten’ schuf einigermaßen Abhilfe, bot aber auch keine absolute Sicherheit. Vor allem war bei einer Nichtübereinstimmung des mit Ziffern und des mit Zahlworten geschriebenen Betrags nicht klar, welcher der beiden der Richtige war: es war nur eine

Fehlererkennung

möglich.

Trits and Trytes — ein früher ternärer Computer in der Sowjetunion

Ohne Kronecker nahezutreten: Bereits die Art und Weise des Zählens ist eine Errungenschaft des Menschen, eine relativ späte des

homo sapiens

. Unabhängige Kulturen haben es unabhängig entwickelt, wie wir nicht nur aus dem Vorkommen verschiedener Zahlwörter in getrennten Sprachgebieten wissen, sondern auch aus dem Vorkommen verschiedener Zahlsysteme in entlegenen Gebieten: Ein Zehner-System bei den alten Ägyptern, ein Zwanziger-System bei den Mayas in Mittelamerika, angelehnt an die Benutzung der zehn Finger bzw. der zwanzig Finger und Zehen. Die Römer unterteilten sodann das Zehnersystem in ein Bi-Quinärsystem, den fünf Fingern an jeder der beiden Hände entsprechend. Ganz anders ging man in Babylon vor: dem hohen Stand der Astronomie entsprechend, boten sich Unterteilungen in 360 Tage eines ungefähren Jahres und 30 Tage eines ungefähren Mondumlaufs an, es entstand ein Sexagesimal-System mit Unterteilungen von 360 in Sechs mal Sechzig bzw. von Sechzig in Fünf mal Zwölf oder in Sechs mal Zehn.

e π und π e
(Anläßlich des 300. Geburtstags von Leonhard Euler)

David Wells, der bekannte britische Mathematik-Schriftsteller, veröffentlichte 1988 in der Zeitschrift ‘The Mathematical Intelligencer’ einen Fragebogen unter dem Titel

Which is the Most Beautyful?

Zu bewerten waren 24 geschickt ausgewählte mathematische Lehrsätze. Die Reaktionen waren teils kritisch (

Math is a tool. Art has beauty

und

Theorems aren’t usually ‘beautyful’, ideas and proofs appeal

), teils tiefgründig philosophisch (

Die Schönheit eines Theorems kann nicht verglichen werden mit der Schönheit einer Frau

) und mathematisch-linguistisch, Einfachheit, Kürze, Tiefe, Form, Ordnung, Präzision, Allgemeinheit betreffend.

Gregory-Leibniz und Euler: Arcus-Cotangens-Relationen
(Anläßlich des 300. Geburtstags von Leonhard Euler)

Die Arcus-Tangens-Reihe

$$ \arctan x=x-\frac{x^3}{3}+\frac{x^5}{5}-\frac{x^7}{7}+\frac{x^9}{9} \quad \ldots , \quad \text{mit} \quad |x| \leq 1 ,$$

in Indien schon um 1500 bekannt und im Okzident 1671 von James Gregory (1638–1675) entdeckt, ab 1673 mit

x

= 1 von Gottfried Wilhelm Leibniz propagiert, eröffnete den Weg zur Ablösung der Archimedesschen Methode der fortgesetzten Halbierung des Kreissektanten zur Berechnung der Zahl

π

.

Geschachtelte Wurzeln und ihre Elimination
(Anläßlich der Aufstellung einer Büste von Carl Friedrich Gauß in der Walhalla)

Geschachtelte Wurzeln gelten für manchen Zeitgenossen als der Höhepunkt des mathematischen Schreckens. Als Beispiel kann die Formel zur Gewinnung der reellen Lösung der speziellen kubischen Gleichung

$$ x^3+ax+b=0 $$

dienen, die Hieronymus Cardanus (1501–1576) für den Fall

$$ \left(\frac{b}{2}\right)^2+\left(\frac{a}{3}\right)^3 \geq 0 $$

angab:

$$ x= \sqrt[3]{-\frac{b}{2} + \sqrt{\left(\frac{b}{2}\right)^2+\left(\frac{a}{3}\right)^3}} + \sqrt[3]{-\frac{b}{2} - \sqrt{\left(\frac{b}{2}\right)^2+\left(\frac{a}{3}\right)^3}} $$

.

Der (ungerade) Collatz-Baum

Lothar Collatz (1910–1990), in den 1930er Jahren Schüler von Edmund Landau, Oskar Perron, Issai Schur, war vermutlich der Erste, als er 1937 für

$$ x \in \mathbb{N} $$

die zahlentheoretische Funktion

$$ f(x) = \textbf{if} \quad odd(x) \quad \textbf{then} \quad \frac{3x+1}{2} \quad \textbf{else} \quad \frac{1}{2}x=y $$

(‘3

x

+ 1-Iteration’) untersuchte.

Erich Hüttenhain: Entzifferung 1939–1945

“L’ art de dechiffrer est un des plus grands échantillons de l’esprit humain”

schrieb Gottfried Wilhelm Leibniz nach 1697, als er den von John Wallis entzifferten Brief eines französischen Gesandten zugespielt bekam. Er mußte es wissen, war er doch zeitlebens daran interessiert, es den Erfolgen seines Zeitgenossen gleichzutun. Leibniz rechnet die Kryptographie und Kryptanalysis zur

‘ars inveniendi’

und sucht dementsprechend, wobei er nicht der Einzige war, nach festen Regeln zur unberufenen Entzifferung. Wallis widerspricht ihm darin auf grund seiner größeren Erfahrung.

Wallis-artige Kettenprodukte

In seiner Schrift

‘De fractionibus continuis observationes’

, veröffentlicht 1750, leitet Leonhard Euler (1707–1783) aus einem Quotienten von Integralen

$$ \int_0^1 (y/\sqrt{1-y^2})dy/\int_0^1 (1/\sqrt{1-y^2})dy = 1/\frac{\pi}{2} $$

den Kettenbruch ab

1

$$ \frac{\pi}{2} = 1 + \frac{1}{1}_+ \frac{1\cdot2}{1}_+ \frac{2\cdot3}{1}_+ \frac{3\cdot4}{1}_+ \frac{4\cdot5}{1}_+ \frac{5\cdot6}{1}_+ \dots \quad $$

.

Carl Friedrich Gauß, das 17-Eck und MATHEMATICA

Der achtzehnjährige Carl Friedrich Gauß (30. 4. 1777 – 23. 2. 1855), gerade Student an der Göttinger Universität Georgia Augusta geworden, überraschte 1796 die gelehrte Welt: Seine zahlentheoretischen Studien seit dem Winter 1795/96 führten ihn am 29. März 1796 zu der Entdeckung, daß und warum das regelmäßige 17-Eck ‘geometrisch’, d.h. ‘mit Zirkel und Lineal allein’ konstruierbar ist. Das war deshalb spektakulär, weil es der erste Fortschritt auf diesem Gebiet seit der Antike war: Schon Euklid hatte die Konstruierbarkeit von regelmäßigen Polygonen mit 3, 4, 5 und 15 Seiten, sowie indirekt (durch fortgesetzte Halbierung der Winkel) mit den Seitenanzahlen 6, 12, 24, 48, 96, 192, 384, .... ; 8, 16, 32, 64, 128, 256, ... ; 10, 20, 40, 80, 160, ... ; 30, 60, 120, 240, ... bewiesen. Es fehlten sonach 7, 9, 11, 13, 14, 17, .... , und dabei war es in den 2000 Jahren danach geblieben, so daß man dazu neigte anzunehmen, daß die Euklidschen regelmäßigen Polygone die einzigen konstruierbaren waren.

Kettenbruch-Phänomene

Der von Oskar Perron gelobte Daniel Schwenter (1585–1636) war nur

einer

der ersten, die sich mit Kettenbrüchen beschäftigten. Er benutzte sie (1618, 1636), um zu vorgegebenen Brüchen Näherungsbrüche mit kleineren Zählern und Nennern zu erhalten. Dabei spielt der Euklidsche Algorithmus der fortgesetzten ‘Wechselwegnahme’ eine zentrale Rolle, der üblicherweise dazu dient, den größten gemeinsamen Teiler ggt(

a

,

b

) zweier ganzer Zahlen

a

,

b

zu bestimmen: etwa die willkürlich gewählten

a

= 875,

b

= 301:

$$ \frac{875}{301}=2+\frac{273}{301}, \quad \frac{301}{273}=1+\frac{28}{273}, \quad \frac{273}{28}=9+\frac{21}{28}, \quad \frac{28}{21}=1+\frac{7}{21}, \quad \frac{21}{7}=3+0, \quad $$

.

Der letzte Divisor, nämlich

7

, ist der größte gemeinsame Teiler. Zusammengezogen ergibt die Rechnung

$$ \frac{875}{301}=2+\frac{1}{1+\frac{1}{9+\frac{1}{1+\frac{1}{3}}}} $$

Backmatter
Metadaten
Titel
Historische Notizen zur Informatik
verfasst von
Friedrich L. Bauer
Copyright-Jahr
2009
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-540-85790-7
Print ISBN
978-3-540-85789-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-540-85790-7

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