2010 | OriginalPaper | Buchkapitel
Konstruktivismus
verfasst von : Bernhard Pörksen
Erschienen in: Handbuch Medienethik
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Es gibt – soviel lässt sich aller erkenntnistheoretisch informierten Skepsis zum Trotz mit Gewissheit sagen – nicht
den
Konstruktivismus, sondern nur Varianten des Konstruktivismus, die bei aller Unterschiedlichkeit dann aber doch noch als solche erkennbar sind. Daher muss eine Einführung in das konstruktivistische Denken und eine Auseinandersetzung mit konstruktivistischen Begründungen der Medienethik notwendig aus einer doppelten Perspektive geschehen, gilt es doch einerseits
Gemeinsamkeiten
herauszuarbeiten, andererseits aber
Unterschiede
deutlich werden zu lassen. Die erste, die zentrale Gemeinsamkeit: Das konstruktivistische Kernproblem, nämlich die prozessual verstandene Entstehung von Wirklichkeit, zu beobachten und herauszuarbeiten, ist in groben Zügen identisch. Die Unterschiede werden deutlich, sobald man genauer betrachtet, wer mit welchen Begriffen und auf welcher disziplinären Grundlage dieses Kernproblem untersucht (vgl. einführend Pörksen 2002a und 2006). Hier zeigen sich die Differenzen. So haben
philosophisch belesene Konstruktivisten
eine Art Ahnengalerie erarbeitet, die sie bis zu den Skeptikern ins vorchristliche Jahrhundert zurückführt; schon zu diesem Zeitpunkt wird prinzipiell argumentiert, man könne doch als Wahrnehmender nicht hinter seine Wahrnehmungen zurück, könne nicht aus sich heraustreten, um das eigene Wahrnehmungsprodukt mit der noch von möglichen Verzerrungen unberührten Entität zu vergleichen. Ein Bild von einer menschenunabhängigen Realität ließe sich demnach gar nicht machen. Alles, was sich sagen lässt, sei von den eigenen Wahrnehmungs- und Begriffsfunktionen bestimmt; ein emphatisch verstandener Falsifikationstest müsse schon aus diesen Gründen scheitern. Die
psychologische Begründung des Konstruktivismus
geht auf den französischen Lerntheoretiker Jean Piaget, aber vor allem auf die Palo-Alto-Schule zurück, die sich um Therapeuten wie Don D. Jackson und Paul Watzlawick formiert hat und sich u. a. auf die Arbeiten des Anthropologen Gregory Bateson bezieht. Die Vertreter dieser therapeutisch ausgerichteten Schule teilen mit den konstruktivistischen Theoretikern ein gemeinsames Ziel: die Beobachtung der Konstruktion von Wirklichkeit. Ihr Kernanliegen besteht jedoch darin, dass sie nicht nur beobachten und analytisch rekonstruieren, sondern Leid erzeugende Kommunikationsmuster, Konflikt erzeugende Formen der Interaktion gezielt zu verändern trachten. Zahlreiche Konzepte der Kommunikationstheorie – selbstverständlich mit einem Schwerpunkt im Bereich der Individualkommunikation – resultieren aus den Arbeiten dieser konstruktivistisch und systemisch orientierten Psychologen. Zu nennen sind etwa die so genannten Axiome der Kommunikation, die Entdeckung zirkulärer Kommunikationsmuster, die systematische Orientierung an Deutungen (= Wirklichkeiten zweiter Ordnung im Sinne von Paul Watzlawick) und nicht an Wahrheiten.