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2008 | Buch

Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft

Grundlegende Diskussionen, Forschungsfelder und Theorieentwicklungen

herausgegeben von: Carsten Winter, Andreas Hepp, Friedrich Krotz

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung: Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft

Einleitung: Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft
Auszug
Der vorliegende Band ist in der Folge zweier zusammenhängender Workshops der Fachgruppe Soziologie der Medienkommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) entstanden. Die Fachgruppe wollte sich — so der Titel der Workshops — mit den „Theorien der Kommunikationswissenschaft: Bestandsaufnahme und Diskussion“ auseinander setzen. Der Call for Papers ging von einem Verständnis der Kommunikationswissenschaft als ‚„Querschnittswissenschaft‘ der ‚Informations-‘ und/ oder ‚Mediengesellschaft‘“ aus, die ihre Theorien zum Teil in Kooperation und Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen entwickelt hat. Notwendig sei eine solche Bestandsaufnahme und Diskussion wegen des gesellschaftlichen, des medialen und des theoretischen Wandels der letzten Jahre, so hieß es im Text. Inhaltlich sollten einerseits der Stand der so genannten Basistheorien der Kommunikationswissenschaft, etwa Handlungs- oder Kulturtheorien, andererseits die genuin kommunikationswissenschaftlichen Ansätze aus den einzelnen Theoriefeldern, etwa der Medienpolitik, des Journalismus oder der Medienrezeptionsforschung diskutiert werden.
Friedrich Krotz, Andreas Hepp, Carsten Winter

Grundlegende Diskussionen

Frontmatter
Handlungstheorien und Symbolischer Interaktionismus als Grundlage kommunikationswissenschaftlicher Forschung
Auszug
Der Mensch erfährt Kommunikation zu allererst als Handeln in Bezug auf andere Menschen und damit als situative oder übergreifende Beziehung zu ihnen. Damit ist in jeder Kommunikationssituation immer auch die eigene Präsenz und Identität gefragt, und jede Verständigung wird als eigene Leistung und Anerkennung erlebt. Wenn jemand also von Kommunikation zwischen Kulturen oder sozialen Gruppen, Systemen oder anderen Aggregaten oder Abstrakta spricht, so ist damit immer gemeint, dass Menschen miteinander kommunizieren — jetzt aber in Bezug auf spezifische Gruppenidentitäten und -werte, vor einer spezifischen Kultur und ihrer besonderen Ausprägung oder im Hinblick auf organisierte Zielsetzungen bzw. in Orientierung an institutionellen Mustern. Auf der Ebene des Erfahrens und Erlebens des einzelnen Menschen ändert sich dabei aber nichts — das ist eine der konstitutiven Grundannahmen einer handlungstheoretisch begründeten Kommunikationswissenschaft.
Friedrich Krotz
Von der Kulturindustrieanalyse zur Idee partizipativer Öffentlichkeit. Reflexionsstufen kritischer Medientheorien
Auszug
Das innovative Forschungsprogramm, das der junge Max Horkheimer als neuer Direktor des Instituts für Sozialforschung 1931 vorgelegt hatte, verriet eine deutliche Umakzentuierung der bisherigen Arbeitsschwerpunkte des schon 1924 gegründeten Instituts. Wahrend es in den ersten Jahren seit seiner Etablierung an der Frankfurter Universität schwerpunktmäßig um die Geschichte der Arbeiterbewegung, die Krise der kapitalistischen Okonomie, die Funktionsweise der Planwirtschaft u. a. gegangen war, trat nunmehr ein anderer Forschungsaspekt in den Vordergrund. Horkheimers primares Interesse galt nämlich der Frage, wie die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft sich durch ihre krisenhaften Entwicklungen hindurch reproduziert. Wie ist es zu erklaren, dass sich die Mitglieder dieser Gesellschaft in ein ökonomisches und soziales Ordnungssystem integrieren, das trotz scheinbarer Rationalität durch Antagonismen strukturiert ist, die in irrationalen Erscheinungen wie der Herrschaft von Menschen über Menschen, extremen Klassengegensätzen, dem objektiven Leiden der Mehrheit und ihrer realen Ohnmacht zum Ausdruck kommen. Aus diesem Grund wollte er in Form einer interdisziplinaren Zusammenarbeit von Philosophen, Soziologen und Psychologen die psychischen Faktoren der Bewusstseinsbildung sowie die kulturellen Anpassungsmechanismen etwa durch die autoritäre Erziehung in der Familie im einzelnen erforschen. Darüber hinaus hielt er es für höchst aufschlussreich, dabei dem Einfluss der Medien auf die Meinungs- und Willensbildung nachzugehen. Diese konkreten Zielsetzungen im Rahmen einer Kombination von Ideologie-, Autoritäts- und Medienforschung sollten wiederam methodologisch in der Perspektive einer Verknüpfung von Gesellschaftstheorie und empirischer Sozialforschung realisiert werden (Horkheimer 1988: 20 ff.).
Stefan Müller-Doohm
Theorie der Öffentlichkeit als Theorie der Moderne
Auszug
Wenn man die Moderne auf der Basis des Öffentlichkeitsverständnisses der Aufklärung beim Wort nimmt, dann ist impliziert, dass sich die moderne Gesellschaft demokratisch selbst bestimmen kann. Um dies zu können, braucht es für die B für rgerinnen und Bürger zwingend einen politischen Begriff von ‚ihrer‘ Gesellschaft mitsamt den entsprechenden Bürgerrechten und ihrem territorialen Geltungsbereich.Diesem Geltungsbereich dient ein legitimes und rechtsstaatlich domestiziertes Handlungssystem Politik, das in der Lage sein muss, für ber allgemein verbindliche Entscheidungen Ordnungsprobleme zu bearbeiten. Beides, der politische Begriff von ‚ihrer‘ Gesellschaft wie die Legitimität des Handlungssystems Politik setzt Öffentlichkeit voraus. Der Wert ‚demokratische Selbstbestimmung‘ impliziert, dass das Handlungssystem Politik nicht in seinen exekutiven und parlamentarischen Kernen gefangen bleibt, sondern dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich die B für rgerinnen und Bürger im Sinne Kants als Autoren der Gesetze und Institutionen betrachten können, denen sie sich selbst unterwerfen.
Kurt Imhof
Feministische Theorie in der Kommunikationswissenschaft
Auszug
Wohl wenige Theorien haben innerhalb kurzer Zeit in sämtlichen Disziplinen eine derartige Verbreitung gefunden wie die feministische Theorie. Daher ist (1993: 9) Diagnose, sie zu den bedeutendsten und avanciertesten Denkströmungen der heutigen intellektuellen und universitären Kultur der westlichen Demokratien zu zählen, unwidersprochen zuzustimmen. Dass wir heute auf eine vielfältige, stark ausdifferenzierte feministische Medienforschung bzw. kommunikationswissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung1 blicken können, hat mit dieser enormen Bedeutung der feministischen Denkströmung zu tun. Es hat aber auch mit dem, die feministische Theorieentwicklung stets begleitenden, starken selbstreflexiven Moment zu tun, das die verschiedenen Disziplinen vor neue Herausforderungen stellte. Gerade der im Folgenden näher ausgeführte Paradigmenwechsel, der eine de-/konstruktivistische Wende in der feministischen Theoriebildung einleitete, führte auch zu einer bis heute anhaltenden wissenschaftstheoretischen Diskussion, zu einer Kritik und Reformulierung theoretischer Ansätze sowie zu verschiedenen Versuchen der Systematisierung der feministischen Medienforschung.
Johanne Dorer, Elisabeth Klaus
Kulturtheorie in der Kommunikations- und Medienwissenschaft
Auszug
In der Einleitung des Bandes „Media and Cultural Theory“ schreiben James Curran und David Morley bezogen auf die internationale Forschungsdiskussion seit Mitte der 1990er Jahre, dass sich Kommunikations- und Medienwissenschaft1 einerseits und Cultural Studies andererseits in einer Weise gewandelt hätten, aufgrund derer es kaum mehr möglich ware, beide noch getrennt voneinander zu betrachten. Dabei gehen Curran und Morley — das Thema des von ihnen herausgegebenen Sammelbands im Blick habend — sogar so weit festzustellen, „dass der Forschungsbereich dieses Buchs vielleicht als der der kommunikations- und Medienwissenschaft nach dem Zusammenstoß mit den Cultural Studies’ definiert werden könnte“ (Curran/Morley 2006: 1). Exemplarisch machen sie dies fest an einer der großen Debatten der 1990er Jahre, nämlich der zwischen politischer Ökonomie im Bereich der Kommunikations- und Medienwissenschaft und Rezeptions- und Aneignungsforschung im Bereich der Cultural Studies. Hier haben die Diskussionen dazu geführt, dass wechselseitig Positionen aufgegriffen wurden und man so zu tieferen Einsichten von Prozessen der Medienkommunikation insgesamt gekommen ist. Als Ergebnis der Debatte kann man festhalten, dass sowohl Fragen der Medienaneignung als auch der Medienökonomie in ihrem Bezug zueinander fester Bestandteil der Forschung geworden sind. Kommunikations- und Medienwissenschaft und Cultural Studies erscheinen so zunehmend als „intellektuelle Zwillinge“ (Curran/Morley 2006: 2). Auf theoretischer Ebene konkretisiert sich dies darin, dass Medienund Kulturtheorie verstärkt gemeinsam gedacht werden.
Andreas Hepp
Innovation und Evolution: Wie erklärt sich medialer und kommunikativer Wandel?
Auszug
Innovation wird seit einigen Jahren in Politik und Wissenschaft derart häufig als Notwendigkeit bezeichnet, dass der Begriff schon beinahe zerredet ist. Evolution gilt als ein zufallsbestimmter Prozess. Während die Innovationstheorie in den Sozial- und Geisteswissenschaften durchaus Anklang findet (Rogers 1994), ist die Evolutionstheorie — trotz der derzeit modischen biologischen „Leitwissenschaften“ — umstritten. Allerdings ist sie im sozialwissenschaftlichen Kontext wiederholt bemüht worden, um sozialen, medialen oder kommunikativen Wandel zu deuten: u. a. (2005), (1987), (1998), (1968), (1977) und (1957/1969).
Rudolf Stöber
Kommunikationstheorie als Gesellschaftstheorie und mediale Konstellationen
Auszug
Handeln Menschen, kommunizieren Systeme, vernetz(werk)en sich Akteure? Die Konkurrenz ist groß auf dem Markt sozialwissenschaftlichen Vokabulars und entsprechender Theoriebildung. Bei der Vielfalt und potenziellen Uneinigkeit grundbegrifflicher Festlegungen steigt das Risiko der unmöglichen Übersetzungsarbeit und damit die Notwendigkeit, das disziplinäre Selbstverständnis zu diskutieren. Noch immer bereitet beispielsweise der Kommunikationswissenschaft der Kommunikationsbegriff einiges Kopfzerbrechen — wenn sie ihn denn explizit thematisiert und reflektiert (prominent hierbei: Merten 1977). Neuerdings haben der Medien- und der Kulturbegriff eine beachtliche Karriere genommen und scheinen den Kommunikationsbegriff bisweilen zu substituieren. Man könnte das alles als Indiz lesen, wie hoch unwahrscheinlich letztlich die Ausdifferenzierung und Spezialisierung etlicher Sozialwissenschaften in der Orientierung an einem zentralen Grundbegriff war.
Andreas Ziemann
Perspektiven einer Systemtheorie öffentlicher Kommunikation
Auszug
Luhmanns System der Massenmedien (vgl. Luhmann 1996) hat inner- wie außerhalb der Kommunikationswissenschaft große Resonanz hervorgerufen (vgl. überblicksartig Weischenberg 2000). Gerade von kommunikationswissenschaftlicher Seite wurden zentrale Leitideen des Luhmannschen Entwurfs indes auch dezidiert kritisiert. Die Kritik richtete sich hierbei einerseits gegen die konkrete Anwendung systemtheoretischer Denkzüge auf den Gegenstandsbereich und argumentiert so gesehen mit Luhmann gegen Luhmann. Andererseits wurde auch kritisiert, dass die Modellierung eines Systems Massenmedien weitgehend systemische wie nicht-systemische Theoriebestände der Kommunikationswissenschaft ignoriert und dadurch gelegentlich Gefahr läuft, das Rad neu — und mitunter quadratisch — zu erfinden. Bei alledem darf nämlich nicht aus dem Blick geraten, dass das System der Massenmedien zwar einen markanten Wendepunkt in Luhmanns eigener Beschäftigung mit der Thematik darstellt — so wurde den Massenmedien hier erstmals Funktionssystemstatus zugeschrieben —, dass diese Beobachtung aber nicht auf die Kommunikationswissenschaft übertragen werden kann, die das Denken in Systemen schon sehr früh auf Teilbereiche medial vermittelter Kommunikation wie Journalismus und Public Relations (vgl. etwa Rühl 1979, 1980; Ronneberger/Rühl 1992) angewendet hat.
Alexander Görke
Interdisziplinärer Theorietransfer in der Kommunikationswissenschaft am Beispiel des sozialen Kapitals
Auszug
Eine ständige Auseinandersetzung mit der Übemahme von Theorien auf Metaund Mesoebene aus angrenzenden Wissenschaften ist insbesondere in einer Hybriddisziplin wie der Kommunikationswissenschaft nötig, um eine Selbstreflexion des Faches und auf diesem Wege eine Weiterentwicklung des Theorienkanons zu gewährleisten. In Fächern, die nur wenige eigene Theorien entwickelt haben (zum Beispiel, wie im Fall der Kommunikationswissenschaft, wegen des geringen Alters der Disziplin), werden häufig Ansätze aus benachbarten Wissenschaften übernommen, beforscht und ggf. angepasst. Die Kommunikationswissenschaft bedient sich dabei häufig ‚klassischer‘ Theorien aus der Soziologie. Aus verschiedenen Gründen gelingt eine Übernahme und Anpassung nicht immer problemlos. Zur Illustration der Übertragung einer spezifischen Theorie und zur Diskussion der Fruchtbarkeit der Vernetzung genuin kommunikationswissenschaftlicher Ansätze mit soziologischen, politischen oder ökonomischen Theorien versuchen wir im Folgenden eine Anbindung der in Nachbardisziplinen viel diskutierten Theorie des sozialen Kapitals an unser Fach. Unser ursprüngliches Anliegen war dabei auch die Konzeption einer theoretischen Grundlage für empirische kommunikationswissenschaftliche Sozialkapitalforschung, deren Felderfolg wir am Ende unserer Arbeiten kurz zur Evaluierung heranziehen werden.
Anne-Katrin Arnold, Beate Schneider
Über die Spezifika „nationaler Theoriediskurse“: Kommunikationswissenschaft in Frankreich
Auszug
Umfassende vergleichende Darstellungen zur Fachentwicklung der Kommunikationswissenschaft in Deutschland und Frankreich oder in Frankreich und einem anderen Land sucht man vergeblich. Dem ist hinzuzufügen, dass die gegenseitige Wahrnehmung deutscher und französischer Kommunikationswissenschaftler bis dato ohnehin marginal ist. Eine Ausnahmeerscheinung ist die München-Pariser Zusammenarbeit, die von Ursula E. Koch, Detlef Schröter und Pierre Albert initiiert wurde (vgl. Hermann 2005). Dabei ist Kommunikationstheorie so wenig national wie irgendeine andere Theorie, national sind wissen-schafts- und wissenssoziologisch begründbare Einflüsse auf die Theoriebildung und in der Folge Ausprägungen derselben. Im Folgenden wird insbesondere auf die unterschiedliche Einbindung des US-amerikanischen Pragmatismus und Interaktionismus in die französische und deutsche Forschungstradition verwiesen, die wesentlich mit der unterschiedlichen Fachgenese der Kommunikationswissenschaft in beiden Ländern zusammenhängt.
Stefanie Averbeck
Kommunikations-Kommunikationswissenschaft: Wissenschaftstheoretische Anmerkungen zur Theoriediskussion in den Kommunikationswissenschaften
Auszug
Wissenschaftliche Disziplinen lassen sich nach dem aktuellen Stand der Wissenschaftstheorie aus verschiedensten Perspektiven definieren und abgrenzen (Poser 2001, Schülein/Reitze 2002): etwa nach ihrer paradigmatischen Grundposition oder ihrem epistemischen Kern, nach ihrer Entstehung und Differenzierung, nach ihrem Objektbereich und ihrem Methodenset, ihrem Erkenntnisinteresse und ihrem Begründungszusammenhang etc. Aus keiner dieser Perspektiven scheint jedoch der Singular für die Vielfalt an Angeboten, die sich unter dem Titel „Kommunikationswissenschaft“ vorstellen, gerechtfertigt. Was sich unter dem Titel „Medien- und Kommunikationswissenschaft“ bzw. „Publizistik und Kommunikationswissenschaft“ allein im deutschen Sprachraum versammelt, kann wohl kaum von sich behaupten, dass es ein Paradigma oder auch nur ein gemeinsames methodologisches Grundverständnis gäbe. Die Bezeichnung „Kommunikationswissenschaft“ wäre also aus wissenschaftssystematischer Perspektive nicht nur theoretisch nicht zutreffend, sondern würde auch der empirisch nachvollziehbaren Pluralität der Forschungstraditionen und Forschungsperspektiven der Disziplin widersprechen. Der Plural „Kommunikationswissenschaften“ scheint auch aus wissenschaftssoziologischer, wissenschaftsphilosophischer und wissenschaftshistorischer Perspektive mehr als angebracht, weswegen in der Folge auch von ihm die Rede sein soil.
Matthias Karmasin

Forschungsfelder und Theorieentwicklungen

Frontmatter
Neue Medien als Herausforderung für die Journalismustheorie: Paradigmenwechsel in der Vermittlung öffentlicher Kommunikation
Auszug
Die Geschichte der Kommunikationswissenschaft lässt sich, so (1995: 42), als eine Geschichte der „additiven Aneignung undisziplinierter Gegenstände“ beschreiben. Solche „undisziplinierten Gegenständen“ seien vor allem neue Medien: Das durch „sehr durchlässige Grenzen charakterisierte und aus Ressourcenmangel auf Legitimation durch gesellschaftliche Brauchbarkeit angewiesene System Kommunikationswissenschaft“ neige dazu, „dominante gesellschaftliche Medienerfahrungen zum Ausgangspunkt seiner Theorienbildung“ (Saxer 1992: 106; H.i.O.) zu nehmen. Die Konzentration auf das jeweils neue Medium fiihre aber zu einer Fragmentierung der Kommunikationswissenschaft: „Einzelmedienforschung, sei es am Materialobjekt Film, Zeitung oder Fernsehen, perpetuiert letztlich deren Nebeneinander auf Kosten integraler Theoriebildung.“ (Saxer 1995: 43)2
Christoph Neuberger
Journalismus in der Mediengesellschaft: Ein Plädoyer für eine integrative Journalistik
Auszug
Was macht Journalismus aus? Entsteht Journalismus durch die Tätigkeit von Journalistinnen und Journalisten, die in Redaktionen oder außerhalb als freie Mitarbeiter Informationen recherchieren, Material redigieren und eigene Texte in Schrift, Wort oder Bild verfassen? Ist Journalismus die spezifische Leistung, die gesellschaftlich erbracht wird, um kommunikative Zusammenhänge zwischen Politik und Wirtschaft, zwischen Wissenschaft und Religion herzustellen? Finden wir schließlich Journalismus dann (und nur dann?) vor, wenn eine öffentliche Aufgabe erfüllt und damit ein Beitrag zur Herstellung demokratischer Öffentlichkeit geleistet wird?
Margreth Lünenborg
Zugehörigkeit und Teilhabe von Migranten in der Mediengesellschaft: Neue Fernsehkanäle und die alte Aufgabe Integration
Auszug
Das Thema Migration steht nicht nur in Mitteleuropa auf der Tagesordnung. Wanderungsbewegungen verändern Bevölkerangszusammensetzungen und mit ihnen bisherige Modi des Zusammenlebens in vielen Weltgegenden. Dies stellt Gesellschaften und ihre Funktionssysteme, darunter Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien, vor neue Aufgaben. Medien etwa sollen nicht nur gesellschaftliche Realitäten widerspiegeln (via Journalismus), sondern auch, wie manche Politiker fordern, eine aktive Rolle in der Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse wie z. B. der Integration von Migranten einnehmen. Der folgende Beitrag skizziert anhand eines Fallbeispiels aus Deutschland, welche gesellschaftlichen Konzepte mit solchen Forderungen verbunden sind und welche bisherigen kollektiven Identitäten davon berührt werden. So erscheinen bisherige Begründungen des Nationalstaats in Teilen zunehmend obsolet und werden von neueren Formen von Bürgerschaft und Zugehörigkeit überlagert. Der Beitrag wird argumentieren, dass mittel- und langfristig neue Narrationen von nationaler Identität in Deutschland aufkommen können, in deren Zuge die Aushandlung neuer, teils auch multipler oder flexibler Loyalitäten und Anbindungen vorstellbar wird, die traditionelle Definitionen und Kategorien von „Deutschsein“ hinter sich lassen oder weiter entwickeln.
Oliver Zöllner
Krisen als Medienereignisse: Zur Ritualisierung mediatisierter Kommunikation im Fernsehen
Auszug
Bei der Verarbeitung von Krisen, Konflikten und Katastrophen spielen die Medien in spätmodernen Gesellschaften eine tragende Rolle — in mehrfacher Hinsicht: Sie dienen als erste Informationsquellen, sie ordnen das Geschehen über einen längeren Zeitraum hinweg ein, liefern dem Publikum wichtige Eindrücke über den aktuellen Fortgang eines Krisenereignisses und helfen den Menschen schließlich dabei, in den normalen Alltag zurückzufinden. Vor allem das Fernsehen bemüht sich in Krisenzeiten um wichtige rituelle Funktionen wie Orientierung, Integration und Sinnstiftung, indem es nicht nur informiert, sondern auf Grand seiner spezifischen Inszenierungslogik und narrativen Rahmung des Geschehens hilft, Antworten auf Bedrohungen in der Gesellschaft zu finden.
Stephan Alexander Weichert
Medien als Strukturen und Akteure: Kommunikationswissenschaftliche Theoriediskussion zwischen System- und Handlungstheorie
Auszug
Der Begriff des Mediums ist füir die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit ihrem Forschungsgegenstand der öffentlichen und massenmedial vermittelten Kommunikation ein zentraler Begriff. Wichtige Begriffe sind in den Sozialwissenschaften immer auch umstrittene, da von ihren unterschiedlichen Bedeutungsaspekten verschiedene Theoriestränge ausgehen. So ist die Frage, was „eigentlich“ ein Medium ist, auch füir die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft immer wieder von Relevanz — etwa wenn Phänomene wie die Konvergenz diskutiert werden (vgl. u. a. Burkart 2000).
Patrick Donges
Produktion und Reproduktion von Öffentlichkeit: Über die Möglichkeiten, die Strukturationstheorie von Anthony Giddens für die Kommunikationswissenschaft nutzbar zu machen
Auszug
Die zum Makroleitbild der Postmoderne hochstilisierte Informations- und Mediengesellschaft zeugt von der medialen Durchdringung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche. Immer mehr Kommunikatoren sind in einem immer enger geflochtenen, grenz- bzw. bisherige Kommunikationsarenen überschreitenden Netzwerk von Kommunikationen vernetzt, die Kommunikationen vermehren, beschleunigen und globalisieren sich über bestehende institutionelle, gesellschaftliche und kulturelle Grenzen hinaus. Damit einher geht der ‚Strukturwandel der Öffentlichkeit‘ (vgl. Habermas 1984), also einerseits die Ausdifferenzierang der Medien aus dem politischen System und ihre Orientierang an der Marktlogik des Wirtschaftssystems, in anderen Worten die soziale und ökonomische Ablösung der Medien von ihren herkömmlichen Trägern (Parteien, Verbänden, Verlegerverbänden etc.) und die Dualisierung der elektronischen Medien. Andererseits ergeben sich in damit verknüpften strukturellen Wandlungsprozessen neue Öffentlichkeitsstrukturen in den einzelnen gesellschaftlichen Teilsystemen und eben über deren Grenzen hinweg. Darüber hinaus beteiligen sich durch die neuen Medien und entsprechend neue Formen der Interaktivität immer mehr Sprecher und damit verschiedenste Arten von,Kommunikations- oder ‚Content-Manager‘ an der Herstellung von Öffentlichkeit.
Franzisca Weder
Kommunikation und soziale Praxis: Chancen einer praxistheoretischen Perspektive für Kommunikationstheorie und -forschung
Auszug
Seit einiger Zeit zeichnet sich in den Sozialwissenschaften eine Tendenz zur theoretischen Fokussierang sozialer Praxis und dort beobachtbarer Praktiken ab. Schatzki spricht programmatisch gar von einem „practice turn in contemporary theory“ (Schatzki 2001). Es handelt sich dabei um eine theoretische Ausrichtung verschiedener Forschungsrichtungen, die mal als Praxistheorien oder Varianten einer Praxeologie, mal als Theorien sozialer Praktiken auftreten. Ihr Grundanliegen ist es, die Bedeutung von Praxis als dem, Ort’ des Sozialen ernst zu nehmen und Merkmale wie Spezifika der dort situierten Praktiken herauszuarbeiten. Das Interesse gilt dann den Konstituenten wie den Kontexten der Handlungspraxis, eingelebten Handlungsmustern, routinisierten Verhaltensweisen sowie praktischem Gebrauchswissen in Handlungs- und Kommunikationszusammenhängen und — darunter liegend — der Strukturbedingtheit, aber gerade auch der Unberechenbarkeit und Kreativität solcher Praxis.
Johannes Raabe
Zur Kreativität des Handelns in der Medienaneignung: Handlungs- und praxistheoretische Aspekte als Herausforderung der Rezeptionsforschung
Auszug
Es gehört mittlerweile zur allgemein geteilten Auffassung, dass sich die Medienrezeption und -nutzung als aktiver Prozess bzw. als Aktivität des Zuschauers wie des Publikums beschreiben und begreifen lässt. Vergleicht man dazu jedoch das im Uses-and-Gratifications-Approach anzutreffende Aktivitätsverständnis mit demjenigen in den Cultural Studies oder vergleichbaren interpretativen Ansätzen, so trifft man auch auf deutliche Unterschiede vor allem in den handlungstheoretischen Grundannahmen, die den jeweiligen Modellen oder Konzepten zugrunde liegen.
Udo Göttlich
Domestizierung 2.0: Grenzen und Chancen eines Medienaneignungskonzeptes
Auszug
Der Begriff der Domestizierung löst Assoziationen aus: Haustiere tauchen auf, angepasst an menschliche Bedürfnisse.1 Die Assoziation der gebändigten Wildheit ist durchaus von den Anwendern der Metapher gewollt, nur dass aus den Haustieren Technologien geworden sind, genauer gesagt Medientechnologien: „The domestication of new media and information technologies involves, quite literally, a taming of the wild and a cultivation of the tame“ (Silverstone 1994: 11). Mehrere Vertreter des Ansatzes haben seit neuestem eine Art zweiten Ausbruch gewagt, denn der Ansatz ist sowohl im ursprünglichen als auch in neuen (deutschsprachigen) Kontext(en) neu aufgelegt worden. Dieser ‚Ausbruch‘ ist das Thema dieses Kapitels.
Maren Hartmann
Medienentwicklung als Bezugspunkt für die Erforschung von öffentlicher Kommunikation und Gesellschaft im Wandel
Auszug
Der Zusammenhang von Medienentwicklung mit dem Wandel öffentlicher Kommunikation und von Gesellschaft, der bisher am Rande von Disziplinen und Diskussionen thematisiert wurde, rückt ins Zentrum der Diskussion über Wandel. Diskutiert wird, wie die Entwicklung neuer Medien die Wirtschaft durch neue Geschwindigkeiten und Vernetzungen (Davis/Meyer 1998) und die Kultur durch neue Verbundenheiten und Erfahrungen transformiert (Tomlinson 1999), wie sie Weltmärkte und Marktplätze zusammenrücken (Friedmann 1999) und die Welt „flach“ machen (ders. 2006). Gesellschaftstheoretiker wie Baumann bezeichnen Handy und Laptop als Insignien des neuen „leichten Kapitalismus“ (2003/2000), Urry als die „Maschinen des 21. Jahrhunderts“ (2003) und Castells macht aus dem Internet „das Gewebe, auf dem unser Leben beruht.“ (2005/2001: 9)
Carsten Winter
Backmatter
Metadaten
Titel
Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft
herausgegeben von
Carsten Winter
Andreas Hepp
Friedrich Krotz
Copyright-Jahr
2008
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90778-9
Print ISBN
978-3-531-15114-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90778-9