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03.05.2023 | Automobilwirtschaft | Gastbeitrag | Online-Artikel

Stimmt die Strategie der deutschen Fahrzeughersteller noch?

verfasst von: Stefan Randak

6:30 Min. Lesedauer

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Die deutschen Automobilhersteller sind in China gegenüber den heimischen Anbietern ins Hintertreffen geraten. Stefan Randak von der Managementberatung Atreus hinterfragt die Strategie der deutschen OEMs. 

Die Vorstände der deutschen Fahrzeughersteller haben sich ihre Strategie zurechtgelegt. Diese heißt: Konzentration auf das Premiumsegment, der Verzicht auf die unteren Fahrzeugklassen, mittlere bis große Verbrennungsmotoren mit parallelem Aufbau der Elektrifizierung, Anhebung der Inhouse-Fertigung und voller Kostendruck gegenüber allen Zulieferern. Die nunmehr vorliegenden Jahresberichte der Unternehmen aus 2022 und die erste große Automesse des Jahres 2023 in Shanghai, am größten Absatzmarkt der Welt, geben jedoch Anlass zum Nachdenken. 

Fehleinschätzung des Absatzmarktes China

China ist nach wie vor der größte Absatzmarkt für die deutschen Fahrzeughersteller. Sie haben hier im vergangenen Jahr 4,4 Mio. Autos verkauft, was einem Marktanteil von 19,1 % entspricht. Das Problem zeigt sich indes bei den stark zunehmenden Zulassungen von Elektrofahrzeugen. Hier lag der Marktanteil der Deutschen bei nur 5 %. Unter den 10 meistverkauften Elektrofahrzeugen tauchen die deutschen Modelle nicht auf. Außer Tesla befinden sich hier ausschließlich chinesische Anbieter. Auf dem chinesischen Markt gehen jedoch bereits 25 % der Verkäufe an Elektroautos, Tendenz steigend. 

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Auf der Automesse in Shanghai herrschte daher Alarmstimmung unter den Deutschen. Die Elektrifizierungsstrategie für den chinesischen Markt muss "mit Hochdruck vorangetrieben werden", so die Konzernleitung von VW, verbunden mit der Nachricht, dass BYD den deutschen Anbieter als Marktführer erstmals überholt hat. Auch Audi will die Fahrzeugpalette deutlich ausbauen. Zwar blickt BMW im ersten Quartal 2023 auf 19.800 verkaufte Elektrofahrzeuge, doch auch damit lässt sich kaum ein Blumenstrauß gewinnen. Zuversicht wollte auch Mercedes verbreiten, jedoch mit Blick auf den elektrifizierten Mercedes-Maybach EQS SUV. Fakt ist, dass die Deutschen sowohl im Angebot als auch im Preis sowie im fundamentalen Thema Software, den chinesischen Anbietern hinterherhinken. Die eilig nachgeschobene Ankündigung von VW, eine Milliarde Euro in ein neues chinesisches Zentrum für Entwicklung, Innovation und Beschaffung, für vollvernetzte E-Autos, zu investieren, unterstreicht zusätzlich die Brisanz, in der sich die deutschen Hersteller befinden.

Unvermögen in den Themen Software und Car Connectivity

Zwar gelten die Deutschen – auch in China - noch immer als unschlagbar bei den Themen Fahreigenschaft, Verarbeitung, Qualität und ausgewogenem Design, jedoch hinken sie in den Bereichen Software und Car Connectivity nach wie vor allen anderen Playern hinterher. Darüber hinaus vermissen manche Käufer bestimmte Ausstattungen, die bei anderen Herstellern längst Standard sind. Die Softwareprobleme des größten deutschen Anbieters Volkswagen, die in 2022 deutliche Wogen bei den Produkten Golf 8 und ID-Modellen schlugen, sind dabei sprichwörtlich. Viel zu lange hat man versucht, den sich dramatisch ausweitenden Softwareeinsatz in den Fahrzeugen selbständig, unter Umgehung der großen Player Google und Apple, in bunt zusammengewürfelten Unterabteilungen der Fahrzeugentwicklungsdivisionen, besetzt mit leitenden Maschinenbauern und Elektroingenieuren, anstatt mit Softwarespezialisten, in den Griff zu kriegen. 

An der Strategie, es selbst zu machen hat sich nichts geändert, außer dass nunmehr alle externen Softwaredienstleister – landauf, landab – mit verpflichtet werden, um den Mangel an Ressourcen in fachlicher und personeller Sicht zu beheben. Vor dem Hintergrund der wuchtigen Konkurrenz durch Smartphone-Apps und Fahrzeugsysteme wie Android Auto und einer nächsten Generation von Apple CarPlay, sollten sich die Hersteller besinnen und keine eigenen Infotainment-Systeme mehr entwickeln. Insbesondere dann, wenn sie in Verzug geraten und sich im Angesicht von vielen Engpässen befinden. Der erste, der diese Niederlage bereits begriffen hat ist kein geringerer als der Luxus-Anbieter Ferrari: Das brandneue Fahrzeug "Purosangue" hat kein eigenes Navigationssystem, nur CarPlay und Android Auto.

Miserables Verhältnis zwischen Hersteller und Zulieferer

Die große Zuliefererindustrie in Deutschland ist die "verlängerte Werkbank" für alle im Land ansässigen Premiumhersteller. Ohne sie ging die Rechnung bis dato nicht auf. Leider wächst die Kluft zwischen Herstellern und Zulieferern von Jahr zu Jahr. Während die Hersteller Umsatz und Ergebnis in 2022 noch steigern konnten, gehen beide Werte bei den Zulieferern zurück. Die Durchschnittsmarge liegt nur noch im Bereich 0 bis 5 %, manche stecken längst in den roten Zahlen. Durch den zunehmenden Wegfall der Motorenentwicklung und -produktion versuchen die Hersteller, wieder mehr Fertigung "inhouse" zu holen. Hierzu gehört zwischenzeitlich auch die Produktion von Batterien und Elektromotoren. Da Geld für Investitionen benötigt wird, werden die Zulieferer im Hinblick auf Konditionen, Liefermengen und Preisen noch mehr unter Druck gesetzt. 

Mit den fehlenden Margen, bei gleichzeitiger Umstellung des Produktportfolios, kommen viele Zulieferer jedoch nicht mehr klar. Fazit: Die verlängerte Werkbank in Deutschland zerbricht zunehmend. Die Beschäftigung bei Zulieferern nahm zuletzt um 6 % ab und die Namen der Schlingerkurskandidaten gleichzeitig zu: Leoni, Dr. Schneider Gruppe, Mahle, Borgers, Allgaier, Cordenka, Rüster, Kohl Automotive, usw. 

Konzentration auf Luxusfahrzeuge mit deutlichen Risiken

Die Versorgungsengpässe während der Corona-Pandemie habe eine Entscheidung in den Chefetagen der Hersteller nochmals beschleunigt: Knappes Material wird nur mehr in den hochpreisigen und margenträchtigen Modellen verkauft, währenddessen die unteren Fahrzeugsegmente nicht mehr weiterentwickelt werden oder gar auslaufen. Daimler streicht das Kleinst- und Kleinwagen-Segment, Audi als Teil des VW-Konzerns streicht A1 und Q2 und auch BMW verschlankt das Programm. Alleine das A- und B-Segment wird auf ca. 400.000 Fahrzeuge pro Jahr geschätzt. Auch Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender des Volumenanbieters VW gab auf einer Management-Konferenz in Lissabon Anfang September 2022 folgende Devise aus: "Wir leben Unternehmertum und streben danach, die nachhaltigste Luxusautomarke aufzubauen." Verabschiedet sich Volkswagen von der Vorstellung, zum großen E-Autovolumenhersteller zu werden?

Diese Strategie kommt aber nicht bei allen an. Winfried Hermann, grüner Verkehrsminister in Baden-Württemberg, sieht ein Akzeptanzproblem, wenn man nur noch für Reiche und Superreiche Autos baut. Experten sehen nicht kalkulierbare Kostenprobleme: Bei der E-Mobilität und Software haben Massenhersteller einen Preis- und damit Kostenvorteil, wenn sie Ware zukaufen. Ansonsten galoppieren die Preise womöglich davon. Es gibt aber noch ein weiteres Thema: Durch den Wegfall des unteren Fahrzeugsegments wird Markt aufgegeben und die Tür für andere Anbieter, mit günstigen und leistungsfähigen Stromern, geöffnet: Diese Chance werden sich die Chinesen nicht entgehen lassen.  

Neuer Wettbewerb durch chinesische Fahrzeuge in Europa

Die früheren Versuche chinesischer Anbieter, den deutschen Markt zu erobern, waren nicht gerade erfolgreich. Beispiele hierfür sind Landwind, Brilliance, Borgward oder Byton. Die Zeiten haben sich jedoch geändert. Mindestens acht chinesische Autofirmen planen ihre Autos auf dem deutschen Markt zu verkaufen. Dabei steht eine Bandbreite von kleinen Elektrofahrzeugen über Mittelklasse SUVs bis hin zu sportlichen Limousinen zur Verfügung. Diese neuen Anbieter haben Vertriebserfahrung sowie Software- und Batteriekompetenz. Lange Wartezeiten, wie zum Beispiel bei Audis Q4 e-tron, sind hier fremd. 

Es sind die großen chinesischen Hersteller wie Great Wall und BYD, die die Lücken besetzen werden, die deutsche Hersteller nun aufreißen lassen. Wer glaubt, dass diesen ein Vertriebs- und Servicenetz fehlen wird, ist auf dem Holzweg. Es sind die großen europäischen Automobilvertriebsgesellschaften und Fahrzeugvermieter, welche die Türen öffnen und ihre Vertriebs- und Serviceinfrastruktur zur Verfügung stellen. So wird BYD sowohl über den größten privaten Kfz-Händler in Europa, die Hedin Mobility Group, Verkauf und Service anbieten als auch mit Sixt, einem der größten Fahrzeugvermieter, mit tausenden von Fahrzeugen in den Vermietungsmarkt eindringen.

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