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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

7. Einstellungen zu Straßenprotest und Netzaktivismus

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Zusammenfassung

In den vorangegangenen Kapiteln wurden bereits die Einstellungen der Interview-Partner*innen zu ihren Mitbürger*innen, ihrer eigenen Rolle als Bürger*in, dem Begriff von Mitgliedschaft usw. erläutert. An dieser Stelle folgt nun der explizite Fokus auf die Unterscheidung zwischen Straße und Netz – d. h. zwischen Aktivitäten, die (überwiegend) offline stattfinden und solchen, die (überwiegend) im Netz praktiziert werden. Denn um Motive für die Partizipation an Protestpraktiken einordnen und deuten zu können, müssen neben oben genannten Einstellungen und individuellen Ressourcen auch Einschätzungen berücksichtigt werden, für wie sinn- und wirkungsvoll Straßen- und Netzprotest gehalten werden, welche Vor- und Nachteile die Interview-Partner*innen in den verschiedenen Protestformen sehen und wie sie sich zur Kritik am Clicktivism äußern.
In den vorangegangenen Kapiteln wurden bereits die Einstellungen der Interview-Partner*innen zu ihren Mitbürger*innen, ihrer eigenen Rolle als Bürger*in, dem Begriff von Mitgliedschaft usw. erläutert. An dieser Stelle folgt nun der explizite Fokus auf die Unterscheidung zwischen Straße und Netz – d. h. zwischen Aktivitäten, die (überwiegend) offline stattfinden und solchen, die (überwiegend) im Netz praktiziert werden. Denn um Motive für die Partizipation an Protestpraktiken einordnen und deuten zu können, müssen neben oben genannten Einstellungen und individuellen Ressourcen auch Einschätzungen berücksichtigt werden, für wie sinn- und wirkungsvoll Straßen- und Netzprotest gehalten werden, welche Vor- und Nachteile die Interview-Partner*innen in den verschiedenen Protestformen sehen und wie sie sich zur Kritik am Clicktivism äußern.

7.1 Positionen zu Straßenprotest

„[…] der Druck der Straße.“ (Franz) – Straßendemos als Sichtbarwerden des Volkswillens und Austragungsort für Meinungen
Einige Interview-Partner*innen verstehen Straßenprotest als Druckmittel und Ausdruck des Volkswillens. Durch Präsenz auf der Straße und das Austragen eines öffentlichen Dialoges bspw. in Form von Pro- und Contra-Kundgebungen könnten Politiker*innen ablesen, was Bürger*innen bewege, so das Argument.
Kilian wählt nach diesem Kriterium aus, an welchen Demonstrationen er sich beteiligt. Für ihn ist eine Demo sinnvoll und der richtige Weg, wenn Politiker*innen auf den Willen des Volkes aufmerksam gemacht werden sollen: „Ich bin eigentlich hauptsächlich bei Demos, wo es das Ziel ist, Politiker darauf aufmerksam zu machen, was der Wille des Volkes jetzt ist. Und so was, wo ich dann die Politik überzeugen will. […] die sind dafür da, um den Willen des Volkes zu vertreten und dann einfach zu zeigen: Hier ist der Wille! Das finde ich sehr sinnvoll und so was mache ich mit.“ (Kilian, Z. 75 ff.) Günter bezeichnet Straßenprotest und dort geäußerte Aussagen als „Speerspitze der öffentlichen Meinung“ und schreibt ihm deswegen eine wichtige Rolle zu: „Der Straßenprotest spielt sicher – also, die öffentliche Meinung und der Straßenprotest – das kann man ja irgendwie so sehen als die Speerspitze der öffentlichen Meinung zu diesem Thema – der spielt da sicher eine Rolle.“ (Günter, Z. 849 ff.)
Für Julia ist die Wichtigkeit von Straßenprotest damit verbunden, dass es eine „[…] unkomplizierte und für jeden zugängliche Form von Sichtbarwerden ist.“ (Julia, Z. 517 f.) Abgesehen von einer eventuellen Anmeldung der Demo könne jeder rausgehen und demonstrieren. Deswegen versteht sie – unabhängig von dort vertretenen Meinungen –Straßenprotest als „[…] wichtige Plattform, um auch so in gesellschaftlichen Dialog zu treten“ (Julia, Z. 520) und nennt die Pegida- und Anti-Pegida-Demonstrationen als Beispiel dafür, dass auf der Straße Pro und Contra ausgetragen werden. Julias Meinung nach sei das „[…] total wichtig, weil sich da auch gesellschaftliche Mehrheiten ausdrücken.“ (Julia, Z. 523 ff.)
Franz und Sonja unterstreichen die Wichtigkeit von Straßenprotest im Verhältnis zu Netzaktivismus. Sonja wünscht sich eine ergänzende Wirkung der beiden Möglichkeiten und schätzt an Straßenprotest besonders, dass man vor Ort Präsenz zeigen und notfalls auch zivilen Ungehorsam leisten kann. „Ich denke halt, es ergänzt sich einfach. Aber man muss auch vor Ort Präsenz zeigen und zeigen: Das ist jetzt nicht nur digital, das ist real, wir sind da und wir sind eben Notfalls auch bereit, zivilen Ungehorsam zu leisten.“ (Sonja, Z. 852 ff.) Für Franz gehört zu Protest ein Gesicht. Er befürchtet, dass Unterschriftenlisten von Petitionen nur in Schubladen verschwinden. Der Druck der Straße mache wiederum aus, dass Anliegen tatsächlich gehört und wahrgenommen werden. „Weil zum Protest auch ein Gesicht oder irgendwas … dass es überhaupt irgendwie gehört oder wahrgenommen wird. Ich glaube, wenn nur die Unterschriften-Aktionen unter der Hand irgendwo übergeben werden, ohne dass das einer mitkriegt, dann verschwinden die in der Schublade. Ja, das ist halt der Druck der Straße.“ (Franz, Z. 560 ff.) Ähnlich formuliert es Helena, für die der große Unterschied ist, dass man persönlich anwesend ist. Sicht- und hörbar zu sein, macht in ihren Augen mehr Eindruck, als Unterschriftenlisten zu übergeben: „Ich finde, dieses persönliche Auftreten, […] dass es nicht nur Unterschriftenlisten gibt, die dann auch noch irgendwie per online durch die Gegend flutschen, sondern dass ich wirklich persönlich da stehe. Dass da Menschen stehen, die protestieren und nicht irgendwelche Unterschriftenlisten sind. […] Sichtbar zu sein, genau, ja! Auch hörbar zu sein.“ (Helena, Z. 764 ff.)
„[…] dass es irgendwie was bewirkt, in den Köpfen der Politiker […].“ (Markus) – Einflussnahme auf (Bundestags-)Politiker*innen durch Straßenaktionen
In Übereinstimmung mit der Bundestagsabgeordneten-Befragung von Voss (2013) ist auch ein Großteil der Interview-Partner*innen der Meinung, dass Straßenprotest grundsätzlich mehr Einfluss auf Politiker*innen habe als Netzaktivismus. Einige halten Straßenprotest für sehr wichtig, da er ihren Erfahrungen nach in den Köpfen der Politiker*innen und in der realen Welt etwas bewegt oder bewegt hat und nennen dafür Positivbeispiele wie die Wiedervereinigung Deutschlands. Mareike geht davon aus, dass die Politiker*innen im Bundestag in einer eigenen Welt leben. Deswegen schlussfolgert sie, dass Demonstrationen vor dem Bundestag mehr Aufmerksamkeit der Politiker*innen erhalten müssten als bspw. Online-Petitionen. Weiterhin glaubt sie, dass Mitarbeiter*innen von Abgeordneten nicht die Zeit hätten, lange im Internet zu surfen. Dabei werden eine grundsätzliche Politikverdrossenheit und Abwertung der politischen Arbeit ihrerseits deutlich.1
Olaf und Markus sehen eine Besonderheit des Straßenprotests darin, dass er Politiker*innen vor Augen führt, dass Bürger*innen etwas nicht einfach so hinnehmen, sondern für eine Sache auch einen gewissen Aufwand investieren. Für Markus ist es ein Muss, sich auf der Straße zu positionieren. „Also, es muss einfach sein, man muss einfach Flagge zeigen. Ich denke schon, dass es irgendwie was bewirkt, in den Köpfen der Politiker, dass sie also zumindest wahrnehmen, das wird nicht so einfach geschluckt.“ (Markus, Z. 567 ff.) In Konsequenz dessen vermutet Olaf, dass ausbleibender Straßenprotest für Politiker*innen bedeutet, dass nicht mit unangenehmem Gegenwind gerechnet werden muss. „Die wissen ja auch, die Politiker oder die Wer-auch-immer-an-der-Macht-sind – wenn die Leute nicht mal den Arsch hoch kriegen für so ne Sache, dann wird das auch nicht so unangenehm werden. Dann ist da auch nicht so viel Wille dahinter, ne.“ (Olaf, Z. 630 ff.)
Valeria argumentiert auf einer emotionalen Ebene und schließt von sich selbst auf Politiker*innen, wenn sie davon ausgeht, dass auch der abgehärtetste Politiker berührt wird, wenn er Massen von Menschen in einer Demonstration sieht. Für Valeria sind es das Sichtbarwerden und das persönliche Gegenübertreten, das die Seele von Politiker*innen ansprechen muss. Sie selbst hat erlebt, wie sie von der Masse an Demonstranten ergriffen war – welche bewirkte, dass sie bei einem Protestereignis vor dem Berliner Hauptbahnhof keinen grünen Rasen, sondern nur noch schwarze Masse sah.2
Günter nennt die deutsche Wiedervereinigung als Positivbeispiel für den Erfolg von Straßenprotesten. Daran könne man sehen, was Protest bewirke. Dementsprechend hält er Straßenprotest grundsätzlich für ein sehr wichtiges Instrument. „Ja, ich halte Straßenprotest schon für wichtig. Weil wenn du so siehst, was Dinge bewegt, dann ist so ein Auftritt von Menschen auf der Straße ein wichtiges Element. Auch die Kontrolle, die sich dadurch ergibt. Es gibt ja schon wichtige Proteste, die was bewegt haben. Also die ganze Wiedervereinigung beruht auf so was.“ (Günter, Z. 581 ff.)
„Wir können hier stehen, wir werden nicht verhaftet […].“ (Franz) – Deutschlands Vorbildcharakter für Straßendemos und Meinungsfreiheit
Wie bereits thematisiert, liegt eine besondere Bedeutung von Straßenprotest auch darin, dass er nicht in allen Ländern so frei möglich ist, wie in Deutschland und dass man deshalb Gebrauch vom Recht der Demonstrationsfreiheit machen und diesen Vorbildcharakter nutzen müsse. Demokrat*in zu sein bedeutet (siehe Abschnitt 5.​2 „Bürgerschaftsverständnis“) laut Kilian folglich mehr als nur alle vier Jahre wählen zu gehen. „Aber insgesamt einfach um die Meinung zu repräsentieren und auch um diese demokratische Form wahrzunehmen. Ich meine, es ist eine Demokratie und Demokrat zu sein ist halt nicht nur, alle vier Jahre wählen zu gehen, sondern sich halt auch sonst einzubringen, seine Meinung.“ (Kilian, Z. 1001 ff.) Franz schreibt der Straße bzw. dem Straßenprotest deswegen einen Vorbildcharakter zu und will mit seiner Teilnahme an solchen Protestformen zeigen, dass man in Deutschland auf die Straße gehen kann, ohne verhaftet zu werden. „Und dann hat das auf der Straße seinen Vorbildcharakter, seine Funktion. Dass wir sagen: ‚Wir können hier stehen, wir werden nicht verhaftet, wir sind in Deutschland, hier geht’s, kommt dazu, macht mit!‘“ (Franz, Z. 570 ff.)
„Das sind wildfremde Leute und du bist absolut Brüder im Geiste.“ (Helena) – Innenwirksamkeit von Straßendemonstrationen: Solidarisierung und Gemeinschaftsbildung
Die am ausführlichsten beschriebene Wirkung von Straßenprotest, die den Interview-Partner*innen auch als Motivation für die Teilnahme an Straßenprotest dient, ist die Innenwirksamkeit – eine Art Solidarisierungseffekt und Gemeinschaftsbildung zwischen den Protestierenden.3
Sarah beobachtet eine Innenwirksamkeit sehr deutlich bei den Jugendlichen, die sie bei ihren ersten Demoerfahrungen begleitet. Die Visualisierung der Unterstützer*innenzahl und die Selbstvergewisserung, dass sich auch andere mit dem gleichen Thema beschäftigen, stärken die Jugendlichen in ihrem eigenen Glauben an ihr Engagement. Helena erfährt so, dass sie nicht die einzige „Spinnerin“ ist, die für eine Sache einsteht. Bei Straßendemos läuft sie zwar mit Fremden, fühlt sich ihnen aber im Geiste brüderlich verbunden. Neben Straßendemonstrationen erfährt Helena diesen Solidarisierungseffekt auch bei größeren BUND-Veranstaltungen.
Hier sieht Franz einen großen Unterschied zum Unterschreiben von Online-Petitionen und zu Online-Aktivismus grundsätzlich: Dass man mit anderen Leuten zusammenkommt und eine Gemeinschaft bildet. Deswegen ist und bleibt für ihn Straßenprotest wichtig. Sonst sei man nur ein Einzelner, der etwas gemacht habe. Eine solche Gemeinschaft mit starkem Zusammenhalt beobachtet auch Daniela, die wiederum besonders die Kreativität und Kostüme betont, sowie – ähnlich wie Helena – den Fakt hervorhebt, dass man sich eigentlich ja nicht kenne, aber trotzdem zusammen gehöre. Auch Sybille beschreibt die Besonderheiten von Straßenprotest in Abgrenzung zu Online-Aktivismus. Für sie ist es das Lebendige und das gemeinsame Erleben von Freude, was Straßenprotest besonders prägt und ihn vom Knöpfe-Drücken im Online-Aktivismus unterscheide. Laut Sybille ist auch der unterschiedliche Arbeitsaufwand ein Faktor: Für die Teilnahme an Straßenprotest muss man sich an einen anderen Ort bewegen, für Online-Aktivismus nicht zwangsläufig.
Neben einem Solidarisierungseffekt und Gemeinschaftsbildung, zeichnet Straßenprotest auch aus, dass man dort Leute trifft, mit denen man sich austauschen und ins Gespräch kommen kann. Für Franz ist es bspw. sehr wichtig, sich thematisch und inhaltlich austauschen zu können. Er will seine Gedanken aussprechen und diskutieren und findet häufig Wege, um bei einem Thema auf politische Aspekte zu kommen. Auch Gerd genießt es, bei Straßendemonstrationen Leute kennenzulernen (und eventuell Freundschaft daraus entstehen zu lassen) und versteht die Straße insb. im Vergleich zum Netzprotest darüber hinaus auch als „Outing“: „Es ist so einfach mit dem Netzprotest. Und ich habe das ja auch geschrieben, man trägt sein demokratisches Schäflein bei, aber man muss sich nicht outen. Wenn man auf die Straße geht, outet man sich. So was wie hier [meint das Interview] wäre nicht entstanden, wenn ich bei Campact meine Meinung geäußert hätte. Und das finde ich immer wieder das Spannende an diesen Straßendemonstrationen, dass man einfach auf Menschen trifft.“ (Gerd, Z. 414 ff.)
Für Gerd dient die gemeinsame Erfahrung im Straßenprotest auch dazu, sein persönliches Ohnmachtsgefühl loszuwerden. Dieses ist beeinflusst durch das Gegenüber des Protests – den Staat – welches in Verkörperung von Hubschraubern und Polizei ebenso an Demonstrationen teilnimmt. In solchen Situationen des Aufeinandertreffens helfen Gemeinschaft und friedliche Protestformen, bspw. in Form von Musikmachen, sich dabei wohlzufühlen und positive Erfahrungen zu sammeln. Besonders im Vergleich zum Netzaktivismus, zeichnet den Straßenprotest Gerds Meinung nach aus, dass in einer „klassischen Form“ Demonstrant*innen und Staat aufeinander treffen und sich die Protest-Teilnehmer*innen ihrer Positionen und der Gemeinschaft bewusst werden.
„[…] welche Demo hat denn wirklich was gebracht?“ (Kilian) – Geringer Glaube an Außen-Wirksamkeit einer Straßendemo
Während viele Interview-Partner*innen Straßendemonstrationen eine große Innenwirksamkeit zuschreiben, schätzen einige die tatsächliche Wirkkraft nach außen hingegen als eher gering ein. Sarah beschreibt am Beispiel der „Wir-haben-es-satt“-Demo, wie diese neben anderen Aktionen der Grünen Woche untergeht.4 Auch Kilian schätzt die Wirkung von Demos auf Politiker*innen als relativ gering ein. Im Vergleich zu manchen Online-Petitionen auf Change.org, bei denen er eine direkte Wirkung – z. B. in Form von der Verhinderung einer Abschiebung – beobachtet hat, glaubt er nicht, dass Politiker*innen sich von Straßendemos besonders beeinflussen lassen. „Also bei den kleineren Petitionen von Change und so kriegt man relativ oft dann auch die Nachricht zurück: ‚Ja, es hat was gebracht und die Person wurde nicht abgeschoben.‘ Oder so was. Da bewirkt es auf jeden Fall was. Bei Demonstrationen bin ich oftmals unsicher. Weil ich mir überlege, welche Demo hat denn wirklich was gebracht? Und da fallen mir auch ein paar ein, aber das ist dann historisch. Ich habe selten das Gefühl, dass eine Demo jetzt wirklich die Politiker beeinflusst.“ (Kilian, Z. 1114 ff.) Auch Felix schätzt die Auswirkung von Demonstrationen als gering ein, hofft aber, dass Lobbyarbeit wie Vier-Augen-Gespräche von Campact-Mitarbeiter*innen mit Politiker*innen durchaus Wirkung erzielen. Er berichtet von Campact-Aktionen in Wahlkreisen, wo durch solche Lobbyarbeit Politiker*innen und ihre Entscheidungen maßgeblich beeinflusst wurden und Gesetze damit gekippt werden konnten.5
„[…] das hat auch für die ganze Bewegung einen guten Effekt […].“ (Sarah) – Verbände kommen zusammen und bilden Bündnisse
Eine Konsequenz von bunten, fröhlichen Aktionen auf der Straße ist laut Sarah, dass verschiedene Verbände zusammenkommen und dadurch mehr miteinander reden als sie dies ohne Straßenproteste würden. Das habe insgesamt einen guten Effekt auf die ganze Bewegung. So würde durch die Zusammenarbeit auch Kontinuität gewahrt werden und man könne ein Thema längerfristig bearbeiten. „Und ich denke, es ist auch total wichtig, das hat auch für die ganze Bewegung einen guten Effekt, weil eben Verbände, die vorher nicht miteinander geredet haben, miteinander reden, gemeinsam halt eine Aktion machen, vorbereiten.“ (Sarah, Z. 547 ff.)
„[…] dieser direkte Kontakt, wo ich versuche, Leute anzusprechen und für ein Thema zu sensibilisieren.“ (Sarah) – Straßenaktionen mit direktem Kontakt zu Mitmenschen
Ein weiterer Vorteil von Straßenprotest und anderen Offline-Formen von Aktivismus ist der direkte Kontakt mit Menschen. Es können Argumente ausgetauscht und direktes Feedback eingeholt werden, im Kopf umherschwirrende Gedanken können mit Anderen geteilt werden und bei der Arbeit bspw. an einem Straßenstand können Überredungskunst und der Umgang mit Abweisungen geübt werden. Olaf präferiert das Engagement am Straßenstand. Ihm macht es besonders viel Spaß, direkt mit Menschen zu sprechen und gute Argumente anbringen zu können. Er bezeichnet sich selbst als einen sehr „verbalen Typ“ und beschreibt Situationen, in denen er Menschen auf der Straße angesprochen und auch mit Abweisungen umzugehen gelernt hat. „Man kann direkt mit den Leuten, mit einzelnen Leuten sprechen und das ist, glaube ich besser, um wirklich Leute überzeugen zu können, wenn man mit guten Argumenten kommt. […] Da hat man ja dadurch auch direkt das positive Feedback. Das haste ja bei der Demo auch nicht.“ (Olaf, Z. 643 ff.) Anders als beim Online-Aktivismus erfährt Olaf beim Offline-Engagement direkt eine Resonanz auf sein Handeln und sieht die Auswirkungen dessen.
Sarah sieht einen weiteren Vorteil von Straßenständen darin, dass manch einer eventuell schon für das entsprechende Thema sensibilisiert wurde, aber noch auf die richtige „Andock-Möglichkeit“ gewartet hat. Den direkten Kontakt zu Menschen nutzt sie, um Leute anzusprechen, über ein Thema aufzuklären und eben solche Andock-Möglichkeiten zu geben. „Oder ich habe einen Zettel in der Hand und gehe auf den zu, schon. Aber das ist dann wieder dieser direkte Kontakt, wo ich versuche, Leute anzusprechen und für ein Thema zu sensibilisieren. Oder vielleicht sind die ja schon sensibilisiert und suchen einfach nur eine Andock-Möglichkeit.“ (Sarah, Z. 1005 ff.) Auch Stefanie hat bei den DUH-Tütentauschtagen in Berlin die Erfahrung gemacht, dass es charmante Offline-Möglichkeiten gibt. Der persönliche und intensive Kontakt zu Vorbeigehenden und die Gespräche über Plastik haben sie schlussendlich dazu motiviert, eine eigene Online-Petition aufzusetzen.6
„[…] mir geht’s um Aufmerksamkeit.“ (Felix) – Straßenproteste mit dem Ziel die massenmediale Aufmerksamkeit zu erhalten
Einige Interview-Partner*innen halten Straßenprotest für eine wichtige Protestform, weil er der erste Schritt hin zu öffentlicher Aufmerksamkeit durch (Massen-)Medien ist. Deswegen habe Straßenprotest eher einen symbolischen Charakter und die Aufgabe, dass Bilder produziert werden, die dann durch die Medien in eine breite Öffentlichkeit getragen werden. Hierbei wird Straßenprotest eine größere Bedeutung beigemessen, als dem Internet, da davon ausgegangen wird, dass klassische Massenmedien Proteste abbilden, die offline Aufmerksamkeit generieren. Felix vertritt die Meinung, dass „die Medien“ grundsätzlich nicht über Online-Aktivismus berichten, selbst wenn die Teilnehmer*innen-Zahl noch so hoch sei: „Weil dem Internet keine Bedeutung beigemessen wird von den Medien. Ich habe das Gefühl, wenn – das TTIP hat glaube ich mittlerweile 300.000 Unterschriften – und ich habe noch keinen einzigen Bericht über diese Aktion im Fernsehen gesehen, über die Online-Aktionen. Aber wenn die Leute auf die Straße gehen oder wenn es zufällig in den Tageszeitungen landet […]. Ich glaube, dass offline im Moment tatsächlich mehr Aufmerksamkeit generiert.“ (Felix, Z. 907 ff.) Als weiteren wichtigen Punkt spricht Felix an, dass die Aufmerksamkeit in bestimmten Kreisen generiert wird und dass über die klassischen Massenmedien diejenigen erreicht werden, die wichtig zu erreichen sind.
Sarah betont bei Straßenprotest-Aktionen insb. den symbolischen Charakter, bspw. die Bildung von Menschenketten, und stellt das deklarierte Ziel oft hinter die Erzeugung von Bildern. Die Wirksamkeit von Protest ist ihrer Meinung nach größtenteils als mediale Wirksamkeit zu verstehen. Ausnahme sei eine Castor-Blockade, bei der Sarah eher einen ernsten Charakter und die Verfolgung eines klaren Ziels vermutet, als bei anderen Straßenprotesten.7 Julia und Felix betonen, dass folglich Aufmerksamkeitserzeugung das Ziel von Straßenprotesten sei. Das Erreichen eines Zieles sei zweitranging, hier könne man sich auch mit Kompromissen zufriedengeben. „Aufmerksamkeit. Ein Kompromiss ist besser als überhaupt nichts zu erreichen und ja, wie gesagt, mir geht’s um Aufmerksamkeit.“ (Felix, Z. 131) Dass bei einer solchen Berichterstattung durch die Massenmedien auch mit Verfälschungen zu rechnen sei, ist Julia durchaus bewusst. Trotzdem will sie mit Straßenprotesten die öffentliche Aufmerksamkeit via Medien erreichen: „Aber ich denke schon, dass insgesamt das Auf-die-Straße-Gehen einfach der erste Schritt ist, um z. B. öffentliche Aufmerksamkeit durch Medien zu erreichen.“ (Julia, Z. 537 f.) Dass das Erreichen von Zwischenzielen und die Generierung von massenmedialer Aufmerksamkeit eine wichtige Motivation für Protestpartizipation darstellt, wurde im vorherigen Kapitel bereits erläutert.
„Diese menschliche, persönliche Aktivität auch vor Ort […]“ (Olaf) – Wichtigkeit von charismatischen Führungspersönlichkeiten von Ort
Einen weiteren Aspekt von Offline-Protestformen, bringt Olaf ins Spiel: Die Wichtigkeit von Persönlichkeiten vor Ort und charismatischen Führungsfiguren einer Organisation. Beispiel für eine solche starke und in den Medien bekannte Persönlichkeit ist für ihn der von 2007 bis 2019 BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Olaf räumt zwar ein, dass er Weiger sicherlich kenne, weil er selbst beim BUND aktiv sei, geht aber trotzdem davon aus, dass der BUND-Vorsitzende im Vergleich zum Nabu-Vorsitzenden deutlich bekannter sei, insb. weil man sich mit ihm identifizieren könne und er persönlich vor Ort sei. Bei Online-Aktivismus wie dem von Campact sei eine Identifizierung hingegen nicht möglich. „Na der BUND! Mit diesem Hubert Weiger. Wie heißt der Nabu-Vorsitzende deutschlandweit? Weißt du das? Ich weiß es auch nicht. Okay gut, ich bin beim BUND […] Und so was braucht man. Und das hilft dann nicht, wenn du im Netz bist mit so einer Aktions-Kiste, mit Campact oder was auch immer. Das ist anonym. […] Aber dass man das verbindet: Diese menschliche, persönliche Aktivität auch vor Ort, ein paar Führungsfiguren, die wirklich bekannt sind, wo man sich auch mit identifizieren kann, ganz wichtig. Du kannst dich doch nicht mit irgend so einem Campact-Zeug identifizieren! Wüsste ich überhaupt nicht, wie die Leute heißen, die das machen.“ (Olaf, Z. 1052 ff.) Für Olaf ist es die Kombination aus Aktivismus vor Ort und sympathischen und in den Medien vertretenen Führungsfiguren, die sich von den „Tiefen des Internets“ abhebe und Offline-Aktivismus wichtig mache. Diese Eigenschaften müsse man mit den Möglichkeiten des Internets verbinden, denn auch Olaf erkennt an, dass es heutzutage nicht mehr ganz ohne Internet gehe.8
„Es ist ein größerer Aufwand.“ (Valeria) – Straßenprotest ist wichtig, weil er mehr Zeit und Aufwand erfordert als Netzprotest
Zwei Interview-Partner*innen halten Straßenprotest für besonders wichtig, da er weniger anonym als Netzprotest sei und mehr Zeit und Aufwand erfordere und in Konsequenz dessen eine größere Dringlichkeit vermittele. Valeria stellt zwar beim Unterschreiben von Online-Petitionen an sich selbst den Anspruch, Themen und Forderungen zuerst ausreichend zu recherchieren bevor sie etwas unterzeichnet, räumt dann aber ein, dass Straßenprotest trotzdem nochmal mehr zeitlichen Aufwand erfordere. Lange Anreise oder schlechtes Wetter beeinflussen die Kosten-Nutzen-Rechnung, aber genau dadurch werde Straßenprotest nochmal ernster und dringlicher. „Ich meine, eine E-Petition, die unterschreibe ich ja auch im Internet. Ich mache mir noch die Mühe, weil ich auch die Zeit habe, ich lese mir das auch durch. Und ich lese vielleicht auch dann noch die dazugehörige Publikation aus Zeitungen und so. Stimmt das? Kann ich mich wirklich dahinter stellen? […] [Aber d]ie Straße ist, ja, es ist noch mehr eingebracht. Es ist die Zeit, die man einbringt. […] Es dauert. Es wird angereist. Manchmal reisen die an, von weit her. Es ist ein größerer Aufwand. Dann kann es manchmal runterpissen wie sonst was oder kalt sein oder so was. Also die Präsenz macht es, dass das Ganze noch dringlicher, noch ernster genommen werden will.“ (Valeria, Z. 486 ff.) Auch Daniela (Z. 772 ff.) vertritt die Meinung, dass man sich für Straßenprotest Zeit nehmen müsse und da er häufig auf einen Samstag oder Sonntag falle, findet sie, dass man auch heute noch Zeit für solche Protestaktionen finden muss.
„Nicht alle Menschen sind im Internet.“ (Sybille) – Straßenprotest bleibt wichtig, denn nicht jeder hat einen Internetanschluss oder PC
Einen bisher nicht berücksichtigten, aber sehr wichtigen Aspekt von Straßenprotest thematisieren Sybille und Mareike. Trotz weit verbreitetem Zugang zum Internet, gibt es auch heutzutage noch Menschen ohne Netzanschluss. Insbesondere Ältere seien noch kaum im Internet, so Sybille: „Nicht alle Menschen sind im Internet. Es gibt eine ganze Generation, oder nicht eine ganze Generation, aber die Älteren sind halt relativ wenig im Internet.“ (Sybille, Z. 620 ff.) Auch Mareike, die tagtäglich am Computer arbeitet, weiß, dass man manche Menschen über alternative Wege erreichen muss.9
„Die gehen einfach hin, weil es ein Happening ist […].“ (Gerd) – Fröhliche, friedliche Straßendemo als Happening für die ganze Familie
Wie in Abschnitt 5.​3.​2 „Kollektive Identität und Mitgliedschaft“ beschrieben, ist ein weiterer sehr wichtiger Aspekt von Straßenprotest das damit verbundene Gefühl eines Happenings: Der Spaß an einer Teilnahme, eventuelle Kostüme oder Musik, ein Gefühl von Familienfest, Zusammenhalt und die gute Stimmung.10 Für Sven sind es Spaß, die lockeren Gespräche mit anderen Teilnehmer*innen und die Präsenz der Kinder, die eine Protestaktion zu einem fröhlichen Happening machen. Auch Markus beschreibt seine Erfahrung mit Straßendemonstrationen als lustig und fröhlich. Gute Stimmung und viele Teilnehmer*innen habe bspw. die Demos Anfang der 1980er in Bonn ausgemacht. Seiner Erinnerung nach sei damals auch weniger Polizei präsent gewesen, als es heute der Fall ist. Für Isabelle ist solche friedliche und fröhliche Straßendemonstration mit Straßenfest-Charakter die Art von Demo, die sie anderen Demonstrationen wie Anti-Nazi-Demos vorzieht. Krawall und Gebrüll sagen ihr nicht zu.
Auch Gerd bezeichnet vergangene Demonstrationsteilnahmen als Happening und erinnert sich an friedliche Aktionen in Brokdorf, bei denen Musik gespielt und gesungen wurde. Dass eine Demo kippen und zu Gewalt umschwenken könne, habe er persönlich so nie erlebt. Im Vergleich von Straßenprotest früher und heute, stellt Gerd fest, dass der Protest heute weniger verbissen geworden sei. Die eigentliche Zielsetzung eines Protests würde teilweise in den Hintergrund rücken und die Erfahrung an sich wiederum an Bedeutung zunehmen: „Die gehen einfach hin, weil es ein Happening ist […].“ (Gerd, Z. 465 ff.)
„[…] ich will mich da nicht instrumentalisieren lassen […].“ (Olaf) – Kritik an Straßendemo als Instrumentalisierung, Missbrauch durch Gewalttäter und Unwohlsein in Menschenmassen
Genau gegensätzlich zu oben beschriebener Position, dass Straßendemonstrationen grundsätzlich überwiegend friedlich seien, formulieren einige Interview-Partner*innen jedoch auch die Meinung, dass auf (einigen) Demos Aggression, Herdentrieb und Brainwashing vorherrsche und dass heute organisierte Gewalttäter Gefahr auf Demos schüren, die es früher so nicht gab. Olafs Äußerung zu Straßenprotest benennt eine Vielzahl von Kritikpunkten: Das lange Herumlaufen auf der Straße, das gemeinsame Skandieren von Forderungen, der Missbrauch von friedlichen Demonstrationen durch autonome Gruppen und das Problem, sich auf gemeinsam organisierten Demonstrationen nicht mit allen Bündnispartner*innen identifizieren zu können. Aus diesen Gründen präferiert Olaf den Straßenstand oder die AG-Mitarbeit beim BUND. „Ich mag das einfach nicht, da stundenlang rumzulatschen und da irgendwas zu skandieren. Und vor allem ist es ja auch oft so, dass man da vereinnahmt wird von anderen Gruppen, die das dann irgendwie nutzen. Das heißt, wenn ich irgendwie meinetwegen gegen Atomkraft bin und mich dann in so eine Anti-Castor-Demo stelle, das habe ich z. B. mal erlebt, das war in Münster, und da kam dann halt auf einmal ganz schnell so eine autonome Gruppe, alle vermummt, irgendwie 100 Leute vielleicht nur, das war ne riesen Demo, und haben da riesen Terz gemacht und haben das Ganze quasi missbraucht und explodieren lassen. […] Nee, ich will mich da nicht instrumentalisieren lassen, weil so ne Demo ist immer eine Sache, die von vielen verschiedenen Organisationen organisiert wird und ich kann mich in der Regel nicht mit allen identifizieren. Da bin ich lieber aktiv so, auf der Straße und mit nem kleinen BUND-Stand oder in einer AG […].“ (Olaf, Z. 601 ff.)
Stefanie positioniert sich gegen Straßenprotest, da auch sie das „uniforme Gebrülle und Fordern nach etwas irgendwie kritisch“ sieht und es als unangenehm empfindet. Auch in ihren Augen ist diese Protestform häufig mit Gewalt verbunden: „Weil es häufig mit einem gewissen Krawall verbunden ist, mit einer Gewalt, die mir nicht zusagt und vor der ich eher zurückschrecke. Und auch die Art und Weise, wie sich da Gehör verschafft wird, finde ich manchmal auch ein bisschen gruselig, einfach weil es dieses ‚wir schreien synchron‘ und wollen etwas, ich finde das ist so ein Brain[wash]“ (Stefanie, Z. 1032 ff.). Günter beschreibt ähnlich wie Olaf organisierte Gewalttäter, die sich bei Straßendemonstrationen dazwischen mischen und sieht darin einen Unterschied zu Demos von früher. Damals hätten Polizisten nur Mützen getragen, heute sei die Gewaltbereitschaft viel höher. „Also früher hatten wir nicht diese organisierten Gewalttäter dazwischen. Und das macht es heute auch sehr viel schwieriger, finde ich. Weil wenn du so die alten Bilder siehst von den 1970er Jahren, da siehst du ja Polizisten in Mütze – ja, das war einfach auch ganz anders. Es ist zwar auch einer erschossen worden, damals, aber die Radikalität, also die Gewaltbereitschaft, war eine ganz andere.“ (Günter, Z. 514 ff.) Obwohl 1967 Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde – dieses Ereignis deutet Günter in seinen Ausführungen an – beobachtet er heute eine andere Radikalität bei Straßenprotesten und liest dies u. a. an der Polizei-Ausrüstung ab.
Daniela sucht sich ihre Themen gründlich aus und beteiligt sich bei einigen Straßenaktionen, während sie andere wiederum meidet. Gegen Pegida nimmt sie an Kundgebungen teil, aber bspw. bei G7-Protesten vermutet auch sie ein zu hohes Aggressionspotenzial und möchte sich dort nicht in Gefahr begeben.11 Julia und Stefanie führen einen ähnlichen Aspekt an, der mit einem unwohlen Gefühl bei Straßendemonstrationen zu tun hat: Das grundsätzliche Unwohlsein in großen Menschenmengen und der Wunsch genug Platz und Möglichkeiten zu haben, selbst zu entscheiden, wann man eine Protestaktionen verlassen möchte. Stefanie fühlt sich zwischen vielen Menschen unwohl und nimmt deswegen nur an friedlichen und ihr thematisch sehr wichtigen Demonstrationen wie der „Wir-haben-es-satt“-Demonstration teil.12 Bei Julia hingegen kam der Wunsch nach Aktivismus und zivilem Ungehorsam im Rahmen der Blockade des Castor-Transports auf – dem nachgegeben hat sie bisher aber noch nicht. Auch ihr sind große Menschenmengen zu viel und sie möchte sich auf Demos immer noch frei bewegen können. Bei Blockaden oder in einem Kessel sieht sie diese Freiheit eingeschränkt und überlässt solche Protestformen deswegen lieber anderen Menschen. „Und da [Castor-Transport-Demos] gab es das auch das erste Mal, dass ich dachte: ‚Ey, eigentlich würde ich mich jetzt gerne auch da vorne auf die Schienen setzen.‘ Also, da ist so ein Aktivismus-Wunsch aufgekommen. Den habe ich aber nie umgesetzt, also auch bei Blockupy gehe ich nur auf die Demo. Weil, so große Menschenmengen sind mir manchmal schnell zu viel und auf einer Demo kann ich selbst entscheiden, wann ich gehe. Und wenn ich dann im Kessel bei irgendeiner Blockade bin, kann ich das vielleicht nicht mehr.“ (Julia, Z. 403 ff.)
„Wenn mehr in der Nähe stattfinden würde, würde ich wahrscheinlich auch öfter fahren.“ (Mareike) – Weite Anreise zu Demonstration als Hinderungsgrund
Einen anderen Aspekt, der gegen Straßendemonstrationen spricht, äußern Mareike, Günter und Julia: Die weite Anreise zu fernen Demonstrationen, der damit einhergehende Zeitverlust und das Problem, eine gemeinsame Anreise zu organisieren. In Konsequenz dessen nimmt Mareike nicht so oft an Demonstrationen teil, wie sie es machen würde, wenn mehr in ihrer Nähe stattfinden würde. „Das Problem ist ja meistens, dass die Veranstaltungen so weit weg stattfinden. […] Das ist natürlich dann immer schwierig, da hinzukommen. Wenn mehr in der Nähe stattfinden würde, würde ich wahrscheinlich auch öfter fahren.“ (Mareike, Z. 1195 ff.) Günter betont den Zeitverlust und rechnet nach Effizienz. Wenn er sich vor Ort einbringe, spare er sich die Zeit der Anreise. „Ich könnte es mir vorstellen, aber die Sachen sind dann in Berlin, da fährst du ja erst mal mit dem Bus und sonst was. Da habe ich hier – wenn ich meine Zeit sehe: Wo kann ich mich einbringen? – Das ist hier viel effizienter.“ (Günter, Z. 535 ff.) Julia beschreibt die Herausforderungen einer Anreise zu einer weit entfernten Demo darüber hinaus auch mit Kostengründen. Als Mitglied der BUNDjugend mobilisiert sie für verschiedene Demo-Teilnahmen und organisiert Anreisen, u. a. nach Berlin. Hier werden gemeinsame Anfahrten geplant, jedoch nicht immer mit Bus. Julia beschreibt, dass es sehr schwierig sei, einen ganzen Bus mit Teilnehmer*innen zu füllen, da neben den Kosten für die Fahrt nach Berlin auch Kosten vor Ort für ein gesamtes Wochenende anfallen würden.13
„[…] irgendwie gehe ich lieber als Privatperson auf eine Demo, als mit einem Verband.“ (Julia) – Das Problem, sich nicht mit allen Bündnispartner*innen identifizieren zu können
Wie bereits von Olaf angesprochen, gibt es bei Straßenprotesten weiterhin das Problem, dass Demos oft von einem Bündnis organisiert werden und sich die Teilnehmer*innen nicht zwangsläufig mit allen diesen Bündnispartner*innen identifizieren. Für Olaf ist das ein Grund, nicht an Demonstrationen teilzunehmen, da er sich ansonsten instrumentalisiert fühlen würde. Ähnlich beschreibt es Julia, die trotz Mitgliedschaft in der BUNDjugend bei Demonstrationen oft lieber kein Verbands-T-Shirt trägt. Für den Fall, dass sie kurzfristig an einer Blockade teilnehmen möchte, will sie lieber als Privatperson auf eine Demo gehen. „Meistens gehe ich tatsächlich BUNDjugend unabhängig auf Demos, ich weiß aber eigentlich gerade gar nicht so genau, warum. Also, bei manchen Demos finde ich es glaube ich schwierig, mit T-Shirt und Verband aufzutreten, weil irgendwo spontan dann doch irgendwas zu blockieren mit Verbands-Logo halt einfach nicht drin ist. Aber ich gehe gar nicht mit dieser Intention auf eine Demo, aber irgendwie gehe ich lieber als Privatperson auf eine Demo, als mit einem Verband.“ (Julia, Z.432 ff.)
„[…] auf einmal regnet es, auf einmal wird es schweineheiß.“ (Olaf) – Wetterverhältnisse und andere Unannehmlichkeiten bei Straßendemos
Valeria und Olaf beschreiben weitere Herausforderungen, die Straßendemonstrationen mit sich bringen. Jedoch mit dem Unterschied, dass dies Olaf von der Teilnahme an Straßendemos abhält und Valeria trotz dieser Unannehmlichkeiten weiterhin teilnimmt. Olaf hat Straßenproteste erlebt, bei denen ihm das Laufen zu lang war, bei denen es entweder regnete oder viel zu heiß war oder bei denen er sich gelangweilt hat, weil stundenlang die gleichen Forderungen skandiert wurden. All das sagt ihm nicht zu und führt dazu, dass er selten an Straßendemos teilnimmt. „Ich habe so oft doofe Demo-Erlebnisse gehabt, wo man halt dann stundenlang rumlatscht, auf einmal regnet es, auf einmal wird es schweineheiß. Oder es wird öde, es wird immer nur der gleiche Scheiß skandiert.“ (Olaf, Z. 621 ff.) Valeria wiederum beschreibt die lange Anreise zu Straßendemos und den (im Vergleich zu Online-Aktivismus) größeren Aufwand, der für eine Teilnahme erbracht werden muss. Selbst wenn es regnet oder ganz kalt ist, so führe dies sogar noch dazu, dass das entsprechende Problem als dringlicher und ernster wahrgenommen werde, erklärt sie. „Manchmal reisen die an, von weit her. Es ist ein größerer Aufwand. Dann kann es manchmal runterpissen wie sonst was oder kalt sein oder so was. Also die Präsenz macht es, dass das Ganze noch dringlicher, noch ernster genommen werden will. Hier bitte, es ist nicht so, dass ich da mal nur unterschrieben habe.“ (Valeria, Z. 503 ff.) Ob Herausforderungen von Straßendemos Bürger*innen von einer Teilnahme abhalten oder nicht, hängt folglich u. a. von der Wahrnehmung der Dringlichkeit ab.
„Wenn es mir zeitlich passen würde und wenn mich ein Freund direkt darauf anspricht […].“ (Isabelle) – Mangelnde Zeit und fehlende direkte Aufforderung als Gründe für Nicht-Teilnahme an Demos
Daniela und Isabelle beschreiben weitere Gründe, warum sie nicht an Demos teilnehmen. Isabelle würde öfters teilnehmen, wenn sie jemand direkt darauf ansprechen würde und wenn es ihr zeitlich gut passen würde. So lange das nicht der Fall ist, hofft sie darauf, dass sich andere auf Straßendemonstrationen einbringen. „Aber ich für mich selbst, wie gesagt, ich mache es halt nicht. Also bzw. selten. Das letzte Mal war es glaube ich bei der Menschenkette gegen Atomkraft. Das war auch eine coole Aktion. Wenn es mir zeitlich passen würde und wenn mich ein Freund direkt darauf anspricht, dann würde ich, denke ich, auch mitgehen. Aber so ist es einfach einer der Punkte, wo ich sagen muss: Hoffentlich machen es andere.“ (Isabelle, Z. 479 ff.) Ob aus Isabelles Freundeskreis grundsätzlich wenige Personen auf Straßendemos gehen oder nicht, blieb in dem Gespräch offen.

7.2 Positionen zu Netzprotest

Egal wie kritisch manch eine(r) der Interview-Partner*innen dem Unterzeichnen von Online-Petitionen gegenübersteht, grundsätzlich sehen alle gewisse Vorteile des Internets für Protestpartizipation. Das vergleichsweise schnelle Erreichen einer Vielzahl potentieller Interessierter, die große Reichweite beim Streuen von Informationen, sowie generell der Zugang zu scheinbar grenzenlosem, umfangreichem Wissen wird von den Interview-Partner*innen als Vorteil gegenüber dem klassischen Protest ohne die Hilfe des Internets gesehen. Darüber hinaus können – laut Meinung einiger – über das Internet noch mehr Menschen für Straßenprotest mobilisiert werden.
„Dass man eben da sehr viel mehr Leute erreicht.“ (Sonja) – Mobilisierungspotenzial, Zugang zu Informationen und große Reichweite als Vorteile des Internets
Mareike, Olaf, Franz und Sonja sehen den größten Vorteil von Netzprotest darin, dass mehr Leute erreicht, eine größere Reichweite aufgebaut und Infos besser gestreut werden können. All das gehe im Netz deutlich schneller. Lange Vorbereitungszeiten können dadurch vermieden und grundsätzlich mehr Leute eingebunden werden. „Es hat sich definitiv verändert, weil man viel mehr Leute erreichen kann und eigentlich auch damit ein großes Publikum für eine Demo oder so erreicht. Man sieht es ja an den Flashmobs oder so. Wenn das Thema interessiert oder wenn man es richtig anstellt, dann hat man die Leute auch ruck-zuck da. Also, das ist schon anders geworden. Früher war die Vorbereitungszeit einfach länger. […] Aber heute durchs Netz geht das natürlich sehr schnell.“ (Mareike, Z. 780 ff.) Auch Olaf, der grundsätzlich Online-Petitionen und der Nutzung von Social Media kritisch gegenübersteht, sieht doch einen Vorteil in Facebook und Twitter: Die Möglichkeit viele Leute auf schnellem Weg zu erreichen. „Also ich meine, was natürlich interessant ist, das ist das Einzige, was mich interessiert an Facebook oder Twitter, dass man halt viele Leute erreicht. Wenn man irgendeine Kampagne starten will.“ (Olaf, Z. 529 ff.) Er selbst nutzt Social Media kaum, weiß aber, dass sie auch für NGOs durchaus sehr wichtig sind und wen er innerhalb seiner Organisation ansprechen würde, wenn er etwas über entsprechende Kanäle verbreiten wollen würde.14 Franz schätzt insb. den schnellen Informationsfluss und die Möglichkeit direkt Rückmeldung geben zu können. Er nennt Campacts Organisation eines Events innerhalb von zwei Tagen als Paradebeispiel dafür. Hier seien in kürzester Zeit Rückmeldungen eingeholt worden, wie viele Leute die Aktion mit unterstützen können. „Aber diese schnelle Ansprechbarkeit und Information! Beispiel Campact, innerhalb von zwei Tagen haben die mal eine Aktion vorbereitet. Die kriegen sofort Antworten, wenn man vor hat mitzukommen, die Rückmeldungen, die sehen da sofort so ungefähr, wie viele da kommen.“ (Franz, Z. 593 ff.)
Sonja hebt ebenso den Aspekt hervor, dass durch das Internet innerhalb kürzester Zeit viele Menschen erreicht werden können und betont neben dem schnellen Informationsfluss auch den Informationsaspekt selbst. Durch das Internet sei ein neues Informationsmedium entstanden, denn selbst Online-Petitionen seien nicht nur Petition, sondern gleichzeitig auch Information. „Dass man eben da sehr viel mehr Leute erreicht. Das sieht man ja auch an den Petitionen. […] die sind ja nicht nur Petitionen, die sind ja auch Information. Also, die Leute werden ja auch erstmal informiert: Was ist Fracking überhaupt, was ist hier geplant in dem Wald? […] Es ist eigentlich auch ein neues Informationsmedium so entstanden und das finde ich ganz enorm wichtig.“ (Sonja, Z. 746 ff.) Günter nutzt im Internet insb. den Zugang zu Hintergrundinformationen, Papieren und Daten und speist wiederum auch selbst Studien seines Instituts ein, die sie veröffentlichen dürfen. Er erzählt, auf im Internet veröffentlichte Informationen nicht (mehr) verzichten zu können. Dabei betont er u. a., dass im Internet immer aktuelle Daten zu finden seien. Dies stellt für Günther eine wichtige Arbeitsgrundlage dar. Petitionen unterzeichnet er grundsätzlich nicht, nutzt Social Media aber eingeschränkt.15
Felix wägt Informationsmedium und Mobilisierungspotenzial des Internets gegeneinander ab. Ersteres hält er für enorm wichtig und glaubt, dass die wichtige Rolle vom Zugang zu Informationen insb. vor dem Hintergrund der Digital Natives noch weiter steigen wird. Das Mobilisierungspotenzial schätzt er – gegensätzlich zur Meinung anderer Interview-Partner*innen – jedoch noch als gering ein. Darüber hinaus hält er es auch weiterhin für notwendig, durch Offline-Aktionen Einfluss auf Politik zu nehmen. „Ich glaube, es ist enorm wichtig und wird immer wichtiger werden, je mehr dieser Digital Natives es geben wird. Weil man über das Internet einfach super schnell und super einfach extrem viele Informationen bekommt. Ich halte das für wichtig. Der Mobilisierungsfaktor Internet ist halt so klein. Ich glaube, es ist in erster Linie ein Informationsmedium, immer noch. […] so eine Diskussion und Konfrontation, das ist viel wert, aber am Ende muss was gemacht werden. Am Ende müssen die Leute auf die Straße und wenn Politiker ihr Tun ändern, dann durch Offline-Aktionen und nicht durch Online-Aktionen.“ (Felix, Z. 1207 ff.)
Wie schon von Olaf angesprochen, differenzieren einige Interview-Partner*innen zwischen verschiedenen Generationen und deren Bedeutung des Internets für ihre jeweiligen Protestpraktiken. Olaf schätzt die Aktiven der BUNDjugend für ihre Social-Media-Fähigkeiten und weiß, dass er dort Hilfe erfragen kann. Auch Kilian geht davon aus, dass die „junge Generation“ stärker mit dem Internet arbeitet. Deswegen schlussfolgert er, dass diese Menschen auf den entsprechenden Kanälen online angesprochen werden müssen. „Man spricht ja schon von einer großen Digitalisierung. Ich glaube, die junge Generation, wo ich auch dazu gehöre, wir gehen immer mehr in die Medien rein. Und da der Auftritt, also den Überblick bewahren und was es für neue Medien gibt und sich dann auch da zu beteiligen, ganz wichtig. Um die Leute da zu erreichen.“ (Kilian, Z. 1100 ff.) Isabelle beobachtet die Social-Media-Nutzung in ihrem Freundeskreis und schätzt basierend auf ihren Beobachtungen Facebook als relevante Informationsquelle ein. Jedoch glaubt sie, dass dies inzwischen nicht mehr nur die jüngere Generation betreffe, sondern durchaus auch ältere Menschen, die sich genauso über Facebook-Gruppen organisieren.16
Helena und Gerd sehen Vorteile von Netzaktivismus auch darin, mehr Leute zu erreichen, Information breiter zu streuen und mehr Menschen für die Straße mobilisieren zu können. Dementsprechend schätzt Helena, dass heute mehr Leute an Demos teilnehmen als noch früher. „Ich finde schon, dass sich das verändert über diese Online-Geschichten, einfach weil mehr Leute davon erfahren. Du erreichst viel mehr Leute. Ich glaube es ist wirklich, das breiter zu streuen, ja. […] Ich denke schon, dass du […] da mehr Leute aktivieren kannst.“ (Helena, Z. 623 ff.) Verhältnismäßig seien das heutzutage auch viele junge Menschen, von denen Helena glaubt, dass sie über das Netz angesprochen worden sind.17 Gerd nennt die TTIP Online-Petition mit zwei Millionen Unterzeichner*innen als passendes Beispiel dafür, wie viele Leute für oder gegen eine Sache online mobilisiert werden können. Er hält diese Zahl bei einem Straßenprotest nicht für möglich. Es seien gerade die internetaffinen Menschen, die sich für solche Themen interessieren und deshalb müsse man sie auch dort abholen, wo sie unterwegs seien: Im Netz. „Da muss man einfach so viele Leute ins Engagement bringen, das geht nur übers Netz. Ich sage mal, zwei Millionen oder wie viele da [TTIP] teilgenommen haben, die kriegt man nicht im Straßenprotest zusammen, das geht nicht. Oder durch Unterschriftenaktionen auf Wochenmärkten oder wo auch immer. Weil viele Leute sich ja auch gar nicht damit beschäftigen und die, die sich intensiver damit beschäftigen, gerade auch jüngere Menschen, die sind viel im Netz unterwegs und die machen dann auch solche Geschichten.“ (Gerd, Z. 446 ff.)
„[…] das Internet nutze ich eigentlich im Wesentlichen um mich zu vernetzen […].“ (Sybille) – Das Internet für Vernetzung, Kontakterhaltung und Verbindung mit Gleichgesinnten nutzen
Neben der Mobilisierung und dem Informationsaspekt des Internets, spielt auch der Faktor Vernetzung eine große Rolle. Mareike und Sybille beschreiben, wie sie sich im Internet ein Netz von Gleichgesinnten aufgebaut haben, um Menschen mit den gleichen thematischen Schwerpunkten erreichen zu können, Kontakt zu halten und schnell kommunizieren zu können. „Ja, also das Internet nutze ich eigentlich im Wesentlichen, um mich zu vernetzen, zum Kontakt aufnehmen, schnelle Kommunikation, Rundmails usw., Petitionen, gelegentlich dann mal Informationen.“ (Sybille, Z. 880 ff.) Mareike unterteilt dabei auch nach Themen. Sie unterscheidet bei der Ansprache und dem Weiterleiten von Infos oder Veranstaltungen bewusst zwischen verschiedenen Interessen und versucht Informationen zu teilen, die die entsprechenden Adressat*innen interessieren.18 Auch Günter sieht und schätzt den Vernetzungsaspekt des Internets und nutzt bspw. Facebook, um mit seinen im Ausland lebenden Kindern in Kontakt zu bleiben. Er liest und verfolgt aber mehr, als dass er selbst posten würde.19
„Und da fühlt man sich […] natürlich dazugehörig.“ (Mareike) – Dazugehörigkeitsgefühl im Internet
Aufbauend auf den Netzwerkgedanken beschreibt Mareike auch ein Gruppen- und Zugehörigkeitsgefühl im Internet. Allerdings ist sie damit die einzige Interview-Partnerin dieses Samples, da die anderen Gesprächspartner*innen diese Eigenschaft ausschließlich dem persönlichen und offline stattfindenden Protest zuordnen. Mareike jedoch fühlt sich online in der (Facebook-)Gruppe mit Gleichgesinnten dazugehörig. „[…] man schließt sehr schnell Bekanntschaften übers Netz und meistens finden sich Leute auch, wo es zusammen passt. Und da fühlt man sich, dadurch dass man auch dann eine eigene Gruppe hat, geheim oder geschlossen oder offen, wie auch immer, fühlt man sich natürlich dazugehörig.“ (Mareike, Z. 1057 ff.) Dabei könnte auch eine Rolle spielen, dass sie beruflich viel im Internet und auf Social-Media-Plattformen unterwegs ist und sich ihr Dazugehörigkeitsgefühl folglich sowohl auf den privaten als auch beruflichen Bereich bezieht. Mareike geht als Social-Media-Managerin als einzige Person des Samples einem Beruf nach, der fast ausschließlich im Internet und am Computer ausgeübt wird. Damit unterscheidet sie sich von den anderen Interview-Partner*innen. Dass sie so viel Zeit mit Social Media und dem Netzwerken in Online-Sphären verbringt, hat einen starken Einfluss auf ihr Zugehörigkeitsgefühl.
„[…] für uns als Organisation hat es unheimlich viel Arbeit erleichtert.“ (Sarah) – Vorteile des Internets aus Sicht der Organisationen
Neben den persönlichen Vorteilen des Internets für Einzelpersonen, beschreiben viele Interview-Teilnehmer*innen auch den Nutzen für Organisationen. Themen unabhängig von der Presse selbst platzieren zu können, sich untereinander besser zu vernetzen, Unterstützer*innen aktiv mitgestalten zu lassen, Informationen zu verbreiten und Leute direkt zu erreichen – dass das Internet für Organisationen wie den BUND wichtig ist, beschreibt ein Großteil der Befragten.
Sarah fasst die Vorteile aus Sicht des BUND zusammen und erwähnt neben konkreten Konsequenzen, wie der Vermeidung von Postsendungen, auch langfristige Folge wie das Zusammenkommen von verschiedenen Organisationen, die sich ihrer Wahrnehmung nach in den 1990er Jahren zersplittert hatten. „Sagen wir mal für uns als Organisation hat es unheimlich viel Arbeit erleichtert. Weil wir viel weniger mit Post verschicken, viel schneller Leute erreichen können, viel besser unsere Themen unabhängig von der Presse irgendwo platzieren können. […] Und ich habe auch wirklich den Eindruck, nachdem ich so in den 90er-Jahren so das Gefühl hatte, die Umwelt- oder so überhaupt die ‚Gegen-irgendwas-Bewegung' zersplittert immer mehr. Es gibt den Unterverein vom Unterverein. Und jetzt kommt das wieder zusammen und netzwerkt. Und ich glaube, das ist halt eine Folge vom Internet, dass das einfach leichter ist.“ (Sarah, Z. 965 ff.) Dass Postsendungen vermieden oder reduziert werden können und per E-Mail mehr Informationen geteilt werden können, beschreiben auch Franz, Julia und Gerd. „Also, Organisationen können ohne [Internet] nicht. Das geht gar nicht. Also, ich glaube, auch die Grünen können ohne Internet nicht. Die Nachrichtendichte, die Mediendichte, die ist so groß, also wenn man das Medium nicht nutzen will, also gedruckt kann man gar nicht alles verschicken, was da so über die Bühne geht.“ (Gerd, Z. 750 ff.) Laut Gerd kann mit Hilfe des Internets eine größere Menge an Informationen geteilt werden. Auch Franz hält das Internet für Organisationen deswegen für sehr wichtig. Mit Blick auf das Porto wären Briefe viel teurer und das Versenden von Briefen sei viel aufwendiger als E-Mails.20 Julia beschreibt auch den Veranstaltungskalender auf der BUND-Webseite als hilfreich. Für sie ist das Internet für den BUND unerlässlich. „Aber so gerade als Organisationsstruktur läuft super viel über Internet und das ist unerlässlich. Auch die Website wird schon viel genutzt, also ich habe z. B. nicht alle BUND oder BUNDjugend Termine in meinem Kalender stehen, nur die an denen ich halt teilnehme und trotzdem will ich eigentlich Bescheid wissen, wann die sind. Und benutzte da super oft einfach die Website und den Veranstaltungskalender.“ (Julia, Z. 768 ff.) Trotzdem werde beim BUND zusätzlich zu den E-Mails noch vieles über Post verschickt, erzählt sie. Denn auch kleinere Ortsverbände mit oft älteren Mitgliedern müssten erreicht werden.
Neben dem Mobilisieren als Privatperson ist auch das Mobilisieren als Organisation für Straßenprotest durch das Internet erheblich vereinfacht worden, so Helena. Alleine mit Telefonketten könne man nicht dieselbe Menge an Menschen für die Straße motivieren. „Also, gerade jetzt eben vor dem Hintergrund des Mobilisierens. Also, das hätte man früher so überhaupt nicht machen können. Ich weiß auch nicht, also die Menge an Leuten auf die Straße zu kriegen, das wäre gar nicht möglich. Nur mit Telefonketten oder so. Das ist unwahrscheinlich. Da sehe ich auch durchaus die sozialen Netzwerke nochmal als ein Kanal, wo du viel mehr Leute erreichst […].“ (Helena, Z. 1039 ff.)
Sybille führt aus, wie bei Campact die Unterstützer*innen zum Mitmachen angeregt werden und sich mit Hilfe des Internets kreativ einbringen können. In dem beschriebenen Fall wurden Slogans für Plakate einer Straßendemo gesucht. „Ja, kreativ. Und dann fand ich auch gut, das war anfangs zumindest, dass dann so Slogans gesucht wurden. Da wurden alle, die da so im Netz da bei Campact waren, gefragt – ich glaube da ging es um Gentechnik: ‚Weshalb sind Sie dagegen und was ist für Sie das wichtige Argument? Wie könnten Sie das in einen kurzen Satz bringen?‘ Das fand ich total schön.“ (Sybille, Z. 232 ff.) Das Internet vereinfacht Organisationen das kollaborative Arbeiten und bietet Möglichkeiten, interessierte Unterstützer*innen in die Arbeit einzubinden und Inhalte aktiv mitzugestalten.
„Das kostet mich ja nur ein Klick.“ (Franz) – Einfachheit und geringer Zeitaufwand als Vorteile von Online-Petitionen
Ein Drittel der Interview-Partner*innen begründet die Teilnahme an Online-Petitionen damit, dass es sehr schnell geht, nichts kostet und es eigentlich jeder machen könne. Sybille hebt besonders hervor, dass sie sich das viele Lesen sparen kann. Bei Bedarf könne man noch mehr lesen, aber grundsätzliche sei bei jeder Petition ein kurzer, aber ausreichender Text dabei, der ihr einen größeren Zeitaufwand erspart. „Also, diese kurzen Sachen, die finde ich genial. Dass ich da einfach kurz durchlese – in der Regel ist das ja kurz gefasst, wenn ich will, kann ich mehr lesen – aber so wenn es darum geht, regelmäßig lange Newsletter, dann ist man ja im Nu nur mit Lesen da eine Stunde beschäftigt und das wird mir wirklich zu viel. […] Ja, also ich muss sagen, ich bin sehr froh darüber, dass es diese Organisation gibt, dass ich mich da ohne diesen Zeitaufwand, also dass ich das direkt unterstützen kann.“ (Sybille, Z. 249 ff.)
Auch Isabelle hält es für keinen großen Aufwand und schlussfolgert, dass sie entsprechend schneller bei einer Online-Petition partizipiert, als bei einer Offline-Aktion. „Und gerade so ein Klick ist ja auch relativ schnell gemacht. Das bedeutet ja keinen Aufwand. Es ist ja nochmal was anderes, ob ich bereit bin, meine Zeit und meine Kraft irgendwie einzusetzen für ein Thema, als eine Unterschrift zu leisten. Da bin ich natürlich deutlich schneller mit dabei.“ (Isabelle, Z. 311 ff.) Sven unterzeichnet regelmäßig Online-Petitionen auf verschiedenen Seiten und nutzt darüber hinaus weitergehende Vorarbeiten von Organisationen wie Campact, um Zeit zu sparen. Bei einer Aktion, bei der man den entsprechenden Politiker/die entsprechende Politikerin des eigenen Umkreises ansprechen sollte, hatte Campact eine Liste der Verantwortlichen und eine Textvorlage vorbereitet, die Sven erlaubte, zeitsparend an einer E-Mail-Aktion teilzunehmen. „Da hat – ich meine, es war Campact – auch wieder mit Material geworben und da haben wir auch bestellt. Und dann haben wir auch eingetragen und dann kamen die Aktionen: ‚Sprechen Sie Ihren Politiker hier im Umkreis an.‘ Das habe ich natürlich mitgemacht. Weil, das ist eine einfache Art und Weise, anstatt die Leute rauszusuchen und selber eine Mail zu schreiben.“ (Sven, Z. 690 ff.) Franz betont ebenso den Zeitaspekt und geringen Aufwand beim Unterzeichnen von Online-Petitionen, hebt gleichzeitig aber auch hervor, dass er sich sowohl online als auch offline einbringt. „Also, die mache ich natürlich sowieso mit. Das kostet mich ja nur ein Klick. Das andere kostet halt, ja. Da muss man hingehen und das ist schon mehr. Nein, ich mache beides.“ (Franz, Z. 386 ff.)
„Weil man ein Zeichen setzen kann […].“ (Isabelle) – Online-Petitionen als sinnvolles Mittel, um ein Zeichen zu setzen
Isabelle hält das Unterzeichnen von Online-Petitionen zwar nicht als ausreichende Form, um in einer Demokratie Gesellschaft mitzugestalten, jedoch als sinnvolles Mittel, um ein Zeichen zu setzen und eventuell politische Entscheidungsträger zu beeinflussen. „Ich glaube nicht, dass es ausreicht. Ich glaube, dass es Sinn macht, das zu tun. Weil man ein Zeichen setzen kann und vielleicht doch die politischen Entscheidungsträger da in einer bestimmten Sache oder wenn es um ein konkretes Gesetzesvorhaben geht, durchaus mit beeinflussen kann.“ (Isabelle, Z. 326 ff.) Neben dem Unterzeichnen von Petitionen sei jedoch ein „aktives Gestalten der Gesellschaft“ nötig, welches mit Online-Aktivismus ineinandergreife und sich ergänze.21
„Die Cookies sind gesetzt […].“ (Mareike) vs. „[…] ich habe da Vorbehalte im Hinblick auf Datenschutz […].“ (Isabelle) – Protestpraktiken als mehr oder weniger kritische Datenpraktiken
Wie oben beschrieben ist der Zeitfaktor für viele Interview-Partner*innen ein Vorteil von Online-Petitionen. Nur kurz eine E-Mail-Adresse und den Namen einzutragen und zu klicken, sollte für jeden möglich sein, erklärt Mareike.22 Für sie geht der Aspekt des Zeitsparens jedoch noch weiter. Mareike nutzt eine Funktion, die im Browser die offenen Felder automatisch mit ihren persönlichen Daten ausfüllt, sodass sie beim Unterzeichnen einer Online-Petition nur noch einige wenige Klicks vornehmen muss. „Das geht schnell. Du klickst und bist ja dann direkt da bei der Petition, schreibst da deinen Namen rein und man hat ja mittlerweile auch dieses Auto-Ausfüllen im Browser, dass da dann direkt alle Daten drin stehen. Die Cookies sind gesetzt, das ist ja kein Aufwand mehr.“ (Mareike, Z. 736 ff.) Mareike scheint keine Bedenken dabei zu haben, dass ihre Daten hier langfristig gespeichert werden. Genau bei solchen automatischen Ausfüllfunktionen sieht Julia den Unterschied zwischen Petitionsplattformen wie Change.org und Organisationen wie dem BUND. Ähnlich wie Mareike nutzt auch Julia gerne die Möglichkeit, ihre Daten auf der entsprechenden Seite speichern zu lassen und mit wenigen Klicks unterzeichnen zu können. „[…] ich bin da bei einigen mittlerweile so, dass ich nur noch meinen Namen eingeben muss und dann der Rest schon da ist. […] Ich habe aber das Gefühl, dass Verbände, also so die klassischen Umweltverbände, da echt schlecht drin sind. So der BUND kritisiert sich da gerade auch schon selbst für. Weil es irgendwie von den Unterschriftenzahlen einfach überhaupt nicht voran geht. Ich habe das Gefühl, dass schon so die bekannteren und größeren Online-Petitionsseiten da zielführender sind.“ (Julia, Z. 549 ff.) Julia führt höhere Unterschriftenzahlen u. a. auf einen professionelleren Umgang mit Online-Petitionen zurück. Die Möglichkeit, persönliche Daten hier dauerhaft speichern zu lassen und das Ausfüllen einer Online-Petition damit noch schneller zu machen, versteht Julia als Vorteil.
Deutlich kritischer beurteilen u. a. Isabelle und Franz das Thema Datenschutz im Netz. Sie und andere Interview-Partner*innen erzählen, Social Media gar nicht oder kaum zu nutzen. Viele sehen keinen ausreichenden Datenschutz gegeben und manche befürchten dadurch sogar berufliche Nachteile für sich. Auch bei einigen jüngeren Interview-Partner*innen ist die Nutzung von Social Media dadurch recht eingeschränkt. Isabelle nutzt das Internet größtenteils für die Uni, zum Arbeiten und zum Recherchieren, bei Facebook hat sie zwar noch ein Benutzerkonto, will dieses aus Gründen der Inaktivität und des Datenschutzes jedoch bald löschen. Sie lässt sich lieber von ihren Freund*innen direkt informieren und kommuniziert mit ihnen über andere Kanäle. „[…] ich lese sehr selten irgendwelche kritischen Reportagen oder Nachrichten oder Infos. Da setze ich eigentlich immer mehr drauf, mich von meinen Freunden informieren zu lassen. […] im Großen und Ganzen, ich habe da Vorbehalte im Hinblick auf Datenschutz und ich brauche es eigentlich auch nicht.“ (Isabelle, Z. 377 ff.) Kilian hat sich bereits bei Facebook abgemeldet, informiert sich online mittlerweile lieber auf der Webseite der Tagesschau und liest in Papierform den Freitag. Darüber hinaus schaut er gerne Dokumentationen auf YouTube, nutzt das Internet nach eigenen Angaben insgesamt aber verhältnismäßig wenig.23
Franz versteht es zwar als Vorteil, dass man im Internet gut zu Themen recherchieren kann, will aber nicht, dass mit seinen Daten dort sorglos umgegangen wird. Neben Inhalten, die er sich ansieht, weil ihm z. B. jemand explizit einen Hinweis per Link geschickt hat, beschreibt er auch, nach dem Schneeballeffekt von einer Webseite auf die nächste zu gelangen und sich eher zufällig verschiedene Inhalte anzueignen. „[…] ich meine, das Netz ist ja wunderbar, um irgendwelchen Themen oder irgendwelchen Links nachzugehen und da wieder neue Links zu finden. […] ich wollte nicht, dass meine Daten überall… […] Was ich so alles gehört habe, was da so mit passieren kann.“ (Franz, Z. 740 ff.)
Drei der Interview-Partner*innen raten dazu, das Internet als Privatperson sehr vorsichtig zu nutzen und nur wenig von sich preiszugeben. Mareike – die sich zuvor noch positiv über die Autofill-Funktion geäußert hatte – kritisiert die Klarnamenpflicht bei Facebook und erklärt, dass es zwar praktisch sei, sich übers Internet zu informieren, dass man dabei aber nicht zu viele persönliche Daten herausgeben dürfe. Transparenz hält sie für ein zweischneidiges Schwert. Einerseits bedeute sie eine gewisse Sicherheit, andererseits jedoch auch Angreifbarkeit.24 Für Günter und Daniela bedeuten die Datenschutz-Risiken des Internets gleichzeitig Risiken im Berufsalltag. Günter reist für sein Institut regelmäßig ins Ausland und befürchtet, dass er wegen der Unterzeichnung einer Online-Petition oder eines Schreibens eventuell Probleme bei der Einreise erhalten könne, bspw. in den USA. Dieses Risiko will er wegen einer Online-Petition nicht eingehen. Folglich unterschreibt er keine und teilt auch grundsätzlich keine politische Meinung in der digitalen Öffentlichkeit. „Also, da bin ich im Internet vorsichtig, weil du einfach zum gläsernen Menschen wirst. […] wir sind ja auch viel international unterwegs, deswegen bin ich auch vorsichtig, dass ich nicht irgendwann in den USA an der Grenze hänge oder so. Das kann dir ja alles passieren. Nur weil du mal irgendwo was geschrieben hast. […] Also da gibt es viele Möglichkeiten und da frage ich mich natürlich, ist es eine Online-Kampagne wert, so ein Risiko einzugehen?“ (Günter, Z. 297 ff.)
Daniela beschreibt, dass sie als Aktivistin, die unter ihrem realen Namen arbeitet, nicht überall Petitionen mitmachen kann. Deswegen gehe sie sehr vorsichtig mit ihren Daten um. „Ich gehe mit meinen Daten etwas vorsichtig um. Das ist ja auch verständlich, wenn ich als Aktivistin arbeite – mit meinem eigenen Namen – kann ich mit meinem eigenen Namen nicht überall Petitionen mitmachen.“ (Daniela, Z. 695 ff.) Darüber hinaus will sie nicht Petitionen unterzeichnen, ohne zu wissen, worum es überhaupt genau geht. Denn sie geht davon aus, dass es in erster Linie darum geht, Daten weiterzuverkaufen.25 Diese sehr skeptische Perspektive von Daniela lässt sich u. a. mit einer Art Konkurrenzdenken zwischen verschiedenen Online-Organisationen erklären. Wie weiter unten detaillierter erklärt, empfindet Daniela insb. den Umgang mit Spendengeldern als unfair und kritisiert Petitionsplattformen wie Campact dafür, ihre Spenden nicht mit Organisationen wie der ihrigen zu teilen. Dass Campact vergleichsweise hohe Datenschutzstandards vertritt und persönliche Daten zu den Unterstützer*innen von Online-Petitionen nicht verkauft, scheint für Daniela in ihrer Meinungsbildung keine Rolle zu spielen.
„[…] ich finde das irgendwie zu missionarisch.“ (Sarah) – Gründe für das Nicht-Weiterleiten von E-Mails mit politischen Inhalten
Neben dem Erhalten und Lesen von Newslettern, Aufrufen zur Unterstützung von Online-Petitionen und anderen E-Mails, ist eine weitere Frage, ob solche E-Mails an potentiell interessierte Bekannte weitergeleitet werden oder nicht. Einige wenige Interview-Partner*innen leiten E-Mails an Freund*innen weiter, doch ein Großteil sieht davon ab. Das kann unterschiedliche Gründe haben: Die Vermutung, dass Bekannte die gleichen E-Mails bereits erhalten haben, das Präferieren eines direkten Gesprächs, die fehlende darauf folgende Resonanz oder auch die Befürchtung, dass andere davon genervt sein könnten.
Sarah geht mit absoluter Sicherheit davon aus, dass in ihrem Bekanntenkreis alle auf den gleichen Verteilerlisten sind wie sie selbst und dass sie deswegen nichts mehr weiterleiten müsse. Sie selbst erlebt oft, dass ihr jemand E-Mails weiterleitet, die sie schon auf direktem Weg von der Organisation erhalten hat. Sarah würde lieber das persönliche Gespräch suchen und eine E-Mail nur weiterleiten, wenn sich herausstellt, dass die Person Interesse daran hat und zum entsprechenden Thema noch Informationen benötigt. Alles andere hält sie für „zu missionarisch“. „Weil nämlich mein Freundes- und Bekanntenkreis, von dem weiß ich 100 %, dass die alle Campact und Avaaz und Rettet-den-Regenwald kriegen. Und es macht ja keinen Sinn, das irgendwie in so einer Endlosschleife rumzuschicken. […] Weil dann wäre es noch eher so, dass ich halt mit Leuten darüber spreche. Dass ich sage: ‚Interessiert dich das? Hast du davon schon mal gehört? Nee, haste nicht? Dann schicke ich dir das mal per E-Mail.‘ Dann wäre das für mich okay. Und dann gehe ich aber davon aus, wenn der das einmal gekriegt hat, dann kann der sich selbst kümmern. Dann kann der sich ja da bei Campact in die Liste eintragen und dann halt die Sachen kriegen. Also, ich finde das irgendwie zu missionarisch.“ (Sarah, Z. 983 ff.) Auch Stefanie leitet E-Mails nur an ausgewählte Interessierte weiter, bei denen sie weiß, dass das Thema definitiv auf Interesse stößt. Massenmails lehnt sie ab.26 Sie betont insb. auch eine persönliche Relevanz, die nötig ist, um etwas an jemanden weiterzuleiten, und erklärt, dass sie sich bzgl. des Weiterleitens von E-Mails so verhält, wie sie es sich auch von anderen wünscht. Da Stefanie selbst ungern Massenmails erhält, verschickt sie auch keine.
Kilian hat eine Zeit lang recht regelmäßig E-Mails weitergeleitet, aufgrund von fehlender Resonanz aber damit aufgehört. Er hatte mit Zuspruch oder Ablehnung gerechnet, erfuhr jedoch überhaupt keine Rückmeldung. Deswegen kann er sich vorstellen, dass die entsprechenden Personen seine E-Mails entweder direkt gelöscht oder ihn sogar geblockt haben. „Und dass ich das per E-Mail weiterleite, geschieht selten. Weil das … das hat einfach keine Resonanz gefunden. Also, ich habe das eine Zeit lang gemacht, also ein paar Monate bestimmt, und ich habe halt eigentlich nie Antworten bekommen. Weder, dass es gut ist, noch dass es schlecht ist. Und ich habe einfach das Gefühl bekommen, durch die wenigen oder keinen Antworten, dass es die Leute nicht interessiert. Und dass sie es wahrscheinlich einfach löschen oder mich sogar blocken, ich weiß es nicht. Aber dann habe ich damit aufgehört.“ (Kilian, Z. 771 ff.) Auch Kilian selbst gibt bei E-Mails oder politischen Facebook-Posts selten Rückmeldung und erzählt, oft über Beiträge und Nachrichten von anderen drüber zu scrollen und sie nicht im Detail zu lesen. Ihm sind Offline-Auftritte von und Dialoge auf der Straße mit Organisationen wichtiger, als online weitergeleitete Informationen.
Wie Sarah geht auch Valeria davon aus, dass ihr Bekanntenkreis entsprechende E-Mails bereits erhalten hat oder dass sie mit ihrer Weiterleitung andere nerven könnte. Ihrer Meinung nach führt die Masse an Informationen zu einem Verlust von Aussagekraft. „Ja, weil dann meine Bekannten möglicherweise diesen inflationären Schwall von Information, sie kriegen es ja vielleicht schon selbst und dann kommt’s noch von … ‚Ach, und Valeria immer mit ihren Sachen und so.‘ Und alles was mit Inflation zu tun hat, was dann zu viel wird, verliert an Kraft.“ (Valeria, Z. 1067 ff.) Julia würde diese These wohl bestätigen, denn sie selbst erhält von einem bestimmten E-Mail-Verteiler dreimal wöchentlich eine E-Mail und fühlt sich davon genervt. Sie hat den Verteiler jedoch nicht abbestellt, sondern sich in ihrem Posteingang eine Ordner-Struktur geschaffen, die ihre E-Mails vorsortiert.27 Markus wiederum leitet E-Mails und Berichte gerne weiter. Dem gehen meist jedoch Telefonate vorweg, sodass auch er zuvor das persönliche Gespräch hatte. Weiterleitungen erfolgen bei ihm eher an Kolleg*innen innerhalb des BUND, als dass er an Freund*innen weiterleiten würde, denn auch er erhält dort kaum Resonanz.28
Sonja und Gerd bspw., leiten über ihre privaten E-Mail-Verteiler manchmal Informationen weiter, schätzen den Einfluss davon aber trotzdem als sehr gering ein. „Also ich habe halt meinen E-Mail-Verteiler, da schicke ich dann schon was rum. Aber da habe ich dann schon das Gefühl, das ist nicht so effektiv.“ (Sonja, Z. 727 f.) Auch Gerd hält sich nicht für einen Profi, leitet aber nach Lust und Laune Themen weiter, wobei er sich keine große Resonanz erhofft.29 Helena verschickt Infos und erhält von anderen Infos, weiß aber von sich selbst, dass ‚keine-Rückmeldung-erhalten‘ nicht automatisch ‚kein-Interesse‘ bedeutet. Auch sie gibt zu empfangenen E-Mails nicht noch einmal Rückmeldung. „Zwei, drei schicken regelmäßig und sagen auch: ‚Ah, das ist ja ein Ding!‘ Aber das meiste bläst du raus und du weißt: Kommt nichts. Wobei ich auch jemand bin, das muss ich auch dazu sagen, ich bin auch nicht jemand, der immer Rückmeldung gibt.“ (Helena, Z. 938 ff.)
„Wenn ich was zu Fußball schreibe, bekomme ich wesentlich mehr Rückmeldung […].“ (Felix) – Social Media für ineffektiv halten und wenig Resonanz auf eigene politische Posts erhalten
Als nicht nachhaltig schätzen Olaf und andere außerdem auch verschiedene andere Online-Kanäle ein. Olaf hält Facebook aus zivilgesellschaftlicher Sicht für wenig effizient, Twitter wiederum schon eher. Facebook ist für ihn nur ein Medium der Selbstspiegelung mit wenig Informationsgehalt, Twitter hingegen beschäftige sich mit Nachrichten und würde auch dazu dienen, mehr Kommunikation untereinander zu fördern. „Also erstmal finde ich es völlig ineffizient, Facebook, da sind so viele Bilder drauf – die Informationsdichte ist so niedrig. Und es ist einfach so total viel Selbstspiegelung. […] Und Twitter ist natürlich effizienter. Da gibt’s wenigstens keine Bilder und dann sind halt nur die Nachrichten da.“ (Olaf, Z. 512 ff.)
Olaf sieht den einzigen Vorteil von Facebook und Twitter darin, schnell viele Menschen erreichen zu können. Darüber hinaus steht er sozialen Netzwerken sehr skeptisch gegenüber. „Aber auf jeden Fall, hätte ich gar nicht die Zeit, so viele Sachen auf Facebook oder Twitter oder wo auch immer zu veröffentlichen. Abgesehen davon, dass es mich eigentlich auch gar nicht interessiert. Also ich meine, was natürlich interessant ist, das ist das Einzige, was mich interessiert an Facebook oder Twitter, dass man halt viele Leute erreicht. Wenn man irgendeine Kampagne starten will. Das ist interessant.“ (Olaf, Z. 526 ff.) Wie oben bereits erläutert, differenziert Olaf bei seiner Bewertung nach Plattform und Handlungstyp: Facebook steht für ihn für die Verbreitung von Bildern, während auf Twitter eine höhere Informationsdichte zu finden sei. Entsprechend bewertet er Twitter als effizienter. Auch Helena und Sybille fehlen Lust und Zeit. Helena nutzt YouTube und erzählt, viel bei Wikipedia zu recherchieren, Zeit für Facebook & Co. fehle ihr jedoch. Dass sie Gegnerin von Social Media ist, habe sich auch auf ihre beiden Kinder übertragen.30 Ähnlich sieht es Sybille (Z. 952 ff.), die manchmal YouTube-Filme guckt und nur bei Facebook ist, wenn ihr jemand einen Link zu einem öffentlichen Beitrag schickt.
Felix hingegen leitet gerne Informationen weiter und teilt Artikel auch auf Facebook. Dies könnte u. a. daran liegen, dass Felix (24) deutlich jünger ist als Olaf (43), Helena (62) oder Sybille (60) und er auf Facebook aktivere Freund*innen hat, die zumindest bei einigen Themen auf seine Beiträge reagieren. Zu den geteilten Informationen schreibt Felix einen persönlichen Statusbeitrag oder leitet stark personalisiert nur an einzelne Freund*innen weiter, wenn er etwas Spezifisches hat, von dem er denkt, dass es jemanden besonders interessieren könnte. Obwohl er weiß, dass er oft keine Rückmeldung erhalten wird, möchte er es zumindest probiert haben. „Das sind meistens Artikel, ganz selten schreibe ich auch mal, wie man das bei Facebook so macht, einen Statusbeitrag dazu. Ich kommentiere auch ganz gerne die Artikel. […] Nur halt die Aufmerksamkeit, die ich bekomme, ist klein. Wenn ich was zu Fußball schreibe, bekomme ich wesentlich mehr Rückmeldung, als wenn ich über irgendwas Politisches schreibe.“ (Felix, Z. 1142 ff.)
„Kann man mitmachen, kann man nicht mitmachen, merkt nach außen keiner.“ (Franz) – Online-Petitionen haben keine Wirkung
Unabhängig vom Vergleich mit anderen Protestformen halten Franz, Sven und Gerd Online-Petitionen prinzipiell für unwirksam. Franz unterzeichnet sie zwar, glaubt aber, dass seine einzelne Unterschrift keinen Unterschied macht und bemerkt auch bei sich selbst gefühlsmäßig keinen Unterschied: „Unterschriften-Aktion: Kann man mitmachen, kann man nicht mitmachen, merkt nach außen keiner. Das ist so. Man hat auch nicht das Gefühl, als hätte man richtig was gemacht.“ (Franz, Z. 340 ff.) Sven unterzeichnet häufig Online-Petitionen – trotz seiner Wahrnehmung, dass diese dann verfliegen und keine Wirkung erzielen. „Ich mache auch mit, wenn dann irgendwelche Abgeordneten angeschrieben werden. Ob die Merkel jetzt dabei ist oder sonst was, ist mir egal. Hauptsache das Thema. Ich denke mal, das verfliegt dort, aber egal.“ (Sven, Z. 524 ff.) Auch Gerd kann keine nachhaltige Wirkung von Campact-Petitionen beobachten: „Wenn ich bei Campact unterschreibe, dann merke ich nicht, ob da was passiert oder nicht.“ (Gerd, Z. 1015 ff.) Markus Kritik hingegen richtet sich vor allem gegen Avaaz, denen er unterstellt, Geld und Unterschriften einzusammeln, weitere Aktionen dann aber nicht transparent zu machen. In seinen Augen bleibt die Organisation nicht an Themen dran und informiert Unterstützer*innen nicht über die weitere Entwicklung von Kampagnen.31
„[…] dieses Online, das ist halt so substanzlos.“ (Sarah) – Kritik, dass man bei Online-Aktivismus nicht die direkte Wirkung sehen und beurteilen kann
Ein anderes Problem von Online-Aktivismus ist laut Sarah, dass sich die Wirkung davon nicht bzw. schlecht beurteilen lasse. Ein Klick würde keine Rückschlüsse darüber zulassen, was die Unterstützung eines Einzelnen konkret ausgemacht habe. Anders als bspw. bei einer Online-Bestellung verpuffe die einzelne Unterschrift einer Online-Petition. Trotzdem geht Sarah weiterhin davon aus, dass auch damit etwas bewirkt wird. Für sie ist und bleibt Online-Aktivismus aber nur eine Ergänzung zu Offline-Engagement und die Möglichkeit, sich schnell und einfach zu einem Thema äußern zu können. „Weil dieses Online, das ist halt so substanzlos. Also, man macht einen Klick, also auch so schwer nachvollziehbar, was für eine Wirkung das hat. Ich meine, ich weiß ja aus anderen Sachen, ich klicke was und mache eine Bestellung oder überweise Geld oder so. Klar weiß ich, dass ich damit was bewirke, aber es wird halt immer virtueller, immer weniger sichtbar. Und verpufft. […] deswegen ist es ganz wichtig, wenn man das dann halt wieder mit konkreten Menschen und Aktionen unterfüttert.“ (Sarah, Z. 941 ff.) Weil Sarah die Rolle der Sichtbarkeit im Aktivismus wichtig ist, reicht es ihr nicht aus, nur Online-Petitionen zu unterzeichnen. Mit ihrem Engagement für die BUNDjugend, beim Obst- und Gemüseanbau und der Imkerei geht sie hingegen Praktiken nach, die für sie selbst deutlich sichtbarere Spuren hinterlassen und ihr vermutlich als Ausgleich zum Online-Aktivismus dienen. So schafft Sarah es darüber hinwegzusehen, dass sie beim Unterzeichnen von Online-Petitionen keine direkte Wirkung sehen kann.
„[…] im Endeffekt ist es aber so, dass dieses neue Medium Internet einfach nicht die Aufmerksamkeit bekommt.“ (Felix) – Online-Aktionen sind nicht so effektiv wie Offline-Aktionen, da sie weniger Aufmerksamkeit erhalten
Gegensätzlich zu Kilians Meinung, dass Online-Petitionen häufig Erfolge zu verzeichnen hätten, ist ein Großteil der Interview-Partner*innen der Meinung, dass Online-Protestformen nicht so nachhaltig sind wie Offline-Protestformen. Sonja weiß von Gregor Hackmack von Change.org, dass Petitionen im Bundestag innerhalb von 20 Minuten abgehandelt werden würden, sie empfindet diese Zeit als nicht ausreichend für ihre Anliegen und kritisiert, dass so das Thema kein breites öffentliches Echo erhalten könne. Nur bei einer Unterstützer*innenzahl von mindestens 50.000 Unterschriften müssten sich die Abgeordneten überhaupt mit der entsprechenden Petition auseinandersetzen.32 Isabelle hält Online-Petitionen zwar nicht automatisch für ineffektiv, jedoch nicht für ausreichend. Als politisches Zeichen findet sie es gut, hält Offline-Formen wie das Verfassen eines Briefes jedoch für wirkungsvoller. „Ich glaube nicht, dass es ausreicht. Ich glaube, dass es Sinn macht, das zu tun. Weil man ein Zeichen setzen kann und vielleicht doch die politischen Entscheidungsträger da in einer bestimmten Sache oder wenn es um ein konkretes Gesetzesvorhaben geht, durchaus mit beeinflussen kann. Ich glaube, wenn man einen persönlichen Brief an den Abgeordneten schreibt, ist das noch effektiver.“ (Isabelle, Z. 326 ff.) Auch Felix ist der Meinung, dass das Internet nicht so viel Aufmerksamkeit erhält, wie manch anderes Medium oder eine Straßenaktion. Online sei zwar der Schwerpunkt von Campact, aber selbst bei erfolgreichen Online-Petitionen wie der TTIP-Kampagne, würde man nicht ausreichend Aufmerksamkeit erhalten. „Also, der Schwerpunkt von Campact ist ja eigentlich online. Da kommt das ja her, das war auch der Beweggrund, das sich von MoveOn abzugucken. Und im Endeffekt ist es aber so, dass dieses neue Medium Internet einfach nicht die Aufmerksamkeit bekommt. Egal, wie viele Leute unterschreiben.“ (Felix, Z. 609 ff.) Für Mareike sind folglich Straßendemonstrationen der wirkungsvollere Weg, an Politiker*innen heranzutreten. Sie stellt sich vor, dass diese in ihren Büros in einer eigenen Welt leben, in der sie keine Zeit haben, Kampagnen oder Petitionen im Internet zu recherchieren. Mitarbeiter*innen würden wohl nur ausgewählte Themen an ihre Vorgesetzten weitertragen.33
„[…] eigentlich unterschreibe ich nur, wenn ich mir sicher bin, dass das meine Meinung ist.“ (Julia) – Nur ausgewählte Online-Petitionen unterzeichnen
Strenge Kriterien an das Unterzeichnen von Online-Petitionen setzen Julia, Helena, Gerd und Kilian an. Letzterer unterschreibt nicht, wenn argumentativ nicht klar wird, warum es sinnvoll ist oder wenn eine Petition anderweitig unprofessionell auf ihn wirkt. „Wenn es einfach argumentativ nicht klar ist, warum das jetzt sinnvoll ist. Also, wenn die Petition auch zu unprofessionell – sage ich jetzt mal – verfasst ist. Wo ich nicht das Gefühl habe, dass mich das repräsentiert.“ (Kilian, Z. 614 ff.) Auch Julia unterzeichnet nur, wenn sie ganz sicher ist, dass die Petition ihrer Meinung entspricht. Dafür muss sie sich entweder bereits vorher gut mit dem entsprechenden Thema auskennen oder zumindest ansatzweise informiert sein, sodass ein weiteres Lesen nicht zu viel weiteren Aufwand bedeutet. Wenn Julia kein Vorwissen zu einem Thema hat, macht sie sich weder die Arbeit, sich in das Thema einzulesen, noch verlässt sie sich auf den Informationstext der Petition.34 Olaf unterschreibt nur Online-Petitionen zu seinen persönlichen Interessensgebieten. Wenn er in diesem Bereich einen Hinweis zu einer Petition erhält, partizipiert er oft.35
Eine andere Möglichkeit dafür, dass eine Online-Petition als seriös erscheint und deswegen unterzeichnet wird, ist die Weiterleitung von einem vertrauten Absender. Gerd unterschreibt manchmal Petitionen, ohne weitere Hintergrundrecherche zu machen, wenn er den Link zur entsprechenden Petition von jemandem erhalten hat, dem er zutraut, sich mit dem Thema auszukennen. Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass er einer Online-Petition sehr skeptisch gegenübersteht und sie nicht unterzeichnet, wenn er aus seinem Umfeld nicht von anderen Personen einen „Aufforderungslink“ zu dieser Petition erhält. „[…] ich verlasse mich dann immer auf diejenigen, die mir dann den Link schicken. Das sind dann auch Grüne, die weniger engagiert oder weniger zeitlich gebunden sind wie ich. Ich bin ja auch mit meinem Engagement zeitlich sehr gebunden und dann habe ich gar nicht die Zeit, um zu gucken, ist das ein vertrauenswürdiger oder ist es kein vertrauenswürdiger […] Und wenn ich dann von meinem E-Mail-Verteiler dann keinen Aufforderungslink kriege, dann denke ich: ‚Ach, da haben andere auch vorsichtig geguckt.‘“ (Gerd, Z. 612 ff.)
Bei der Weiterleitung von Online-Petitionen ist für Helena wichtig, dass sie sich selbst ausreichend informiert und Hintergrundwissen parat hat, für den Fall, dass Nachfragen an sie gerichtet werden. „Nee, ich versuche die Infos schon gerade was hier Deutschland angeht, also mich ein bisschen über den Hintergrund zu informieren. Weil wenn ich es weiterleite, kann es ja auch sein, dass die Leute mich wieder fragen und dann wäre es ja ein bisschen doof, wenn ich sage: ‚Na ja, ich habe das jetzt gerade mal weitergeleitet, aber genau weiß ich eigentlich auch nicht, worum es geht.‘“ (Helena, Z. 898 ff.) Hier zeigt sich, dass einiger Bürger*innen durchaus einen größeren Zeitaufwand für Online-Petitionen aufbringen, als es kritische Stimmen teils behaupten.
„Man verliert die Hemmschwelle […].“ (Felix) – Bindungsverlust und Verlust der Hemmschwelle als Konsequenzen des Internets
Unabhängig von den verschiedenen Petitionsplattformen und Kampagnen-Organisationen, beschreiben Gerd und Felix zwei grundsätzliche Konsequenzen des Internets: Bindungsverlust (insb. bei jüngeren Menschen) und den Verlust der Hemmschwelle beim Kommentieren. Gerd sieht Vorteile des Internets darin, dass es Dinge ermöglicht, die früher nur über Kontakte über Freund*innen und Bekannte möglich waren. Gleichzeitig beobachtet er aber eine Bindungsangst, besonders bei jüngeren Menschen. „Also, das Internet ermöglicht so vieles, wo wir früher nur über Kontakte, über Bekannte, über Freunde oder so, ran gekommen sind und das hat zur Folge, dass dann Dinge einfach passieren und aus dem Ruder gehen, dass das die Menschen – gerade auch junge Menschen – sich gar nicht mehr binden wollen.“ (Gerd, Z. 965 ff.)
Felix beschreibt einen Verlust der Hemmschwelle bzgl. eines angemessenen Benehmens. Bei einer Kampagne zum Thema sexuelle Vielfalt, beobachtete er eine Vielzahl von Kommentaren, die für ihn unter die Gürtellinie gingen. Auf einer Straßendemonstration sei der Umgangston hingegen freundlicher. „Man verliert die Hemmschwelle vor allen Dingen, was das Benehmen angeht. Das fand ich ganz schlimm. Da waren ganz schlimme Sachen dabei, jetzt bin ich wieder bei der sexuellen Vielfalt. Das war ganz, ganz schlimm. Und ja, auf einer Demo ist der Grundton eben freundlicher.“ (Felix, Z. 943 ff.) Während Felix einerseits bemängelt, dass es nichts nützt, sich immer nur mit Menschen auseinander zu setzen, die die gleiche Meinung vertreten wie man selbst – eine These, die auch im Kontext des Begriffs der Echokammer36 bekannt ist – sieht er andererseits ein hohes Potenzial für Hate Speech, wenn Menschen mit sehr unterschiedlichen Ansichten in Diskussionsforen im Internet aufeinander treffen. Dieser Verlust der Hemmschwelle ist für Felix ein netzspezifisches Phänomen.
„Jetzt fängt es an, die Massen, mich abzustumpfen.“ (Valeria) – Überfluss an Online-Petitionen führt zu Abstumpfung und Ermüdung
Einige Interview-Partner*innen berichten von einem Überdruss- und Ermüdungseffekt durch zu viele E-Mails und Online-Petitionen. Sarah bspw. fühlt sich überfordert damit, wenn sie jeden Tag drei Rundmails oder Newsletter im Posteingang hat. Obwohl sie jeden Tag einmal ihre persönlichen E-Mails kontrolliert, klickt sie bei dieser Gelegenheit auch einige E-Mails direkt wieder weg und beschreibt einen Ermüdungseffekt. „Also, ich merke für mich halt, dass ich dann schon auch so einen Überdruss-Effekt habe. Ich versuche jeden Tag einmal meine privaten E-Mails anzuschauen und dann denkst du: ‚Och nee, nicht schon wieder drei so Rundmails.‘ Auch vom BUND den Newsletter, da lese ich auch nicht alle. […] Ja, so ein Ermüdungseffekt.“ (Sarah, Z. 815 ff.) Wenn sie eine Weile nichts mehr unterzeichnet hat oder ihr ein Thema besonders dringlich erscheint, nimmt sie sich jedoch die Zeit genauer zu lesen und zu unterzeichnen. Olaf fühlt sich sogar „zugemüllt“ und beschreibt bei der Vielzahl der Protestveranstaltungen nicht mehr mit dem Lesen hinterherzukommen. „Ich werde halt zugemüllt mit diesen ganzen Aktionen. Das kann ich gar nicht alles lesen, wo gegen die da protestieren.“ (Olaf, Z. 387 f.) In Konsequenz dessen hat er das Gefühl abzustumpfen und überlegt, sich von einigen Newslettern abzumelden.37
Stefanie beobachtet bzgl. der E-Mail-Zusendung einen Unterschied zwischen Campact und Change.org. Sobald man bei Campact einmal etwas unterzeichnet habe, bekäme man eine Vielzahl an E-Mails, wohingegen es bei Change.org etwas besser sei. Obwohl man solche Benachrichtigungen auch abbestellen könne, gehe ihr zu viel Information ins Postfach. Ihr Lösungsvorschlag ist eine Reduzierung auf bestimmte Themen.38
Mareike beobachtet eine Masse an Petitionen und findet es schwer, dabei die richtigen Petitionen herauszufiltern. Sie würde sich wünschen, dass nur dringende Anliegen einen Platz auf der Petitionsplattform finden oder dass es eine Plattform alleine nur für Vereine und Organisationen gäbe, merkt dann aber selbst an, dass aus Sicht der Petent*innen natürlich alles Dringlichkeit habe und man schlecht verbieten könne, eine Petition zu erstellen. „Also dadurch, dass jeder so einfach seine Petition ins Netz stellen kann, wird man natürlich sehr überflutet. Und es ist schwierig da auch dann das Richtige rauszufinden. […] müsste vielleicht eine Plattform geben, wo vielleicht nur Vereine oder so Organisationen oder so was posten dürfen. Was wirklich dringlich … Ah, es hat alles Dringlichkeit. Wie kann man das den Leuten verbieten? Geht ja auch nicht.“ (Mareike, Z. 779 ff.)
Valeria beschreibt, wie sie die Anliegen der E-Mails zwar als wichtig empfindet, es ihr aber trotzdem zu viel wird. „[…] inzwischen sind’s so viele Petitionen, also jeden Tag. Jetzt fängt es an, die Massen, mich abzustumpfen.“ (Valeria, Z. 883 ff.) Auch Gerd beschreibt eine solche Abstumpfung und führt diese insb. auf übertriebene Katastrophenmeldungen zurück. Dabei sieht er einerseits Campact in der Rolle der Verantwortlichen, da die Organisation mit Weltuntergangsszenarien Druck mache, andererseits aber auch jede Einzelperson, die im Bekanntenkreis auf mögliche Auswirkungen von Katastrophen auf Mensch, Tier und Welt aufmerksam mache. „Ich glaube, dass durch diese Online-Geschichten, so unendlich viele Informationen im Netz sind, dass die Leute überfüttert werden mit Katastrophenmeldungen. Also, du hast mindestens zweimal am Tag eine Meldung: ‚Hier, Übermorgen ist Weltuntergang.‘ So Campact wirbt z. B. ganz häufig damit. ‚Tragen Sie jetzt noch dazu bei! Noch drei Tage und sonst geht die Welt unter.‘ […] Die Leute verlieren den Schrecken der Katastrophe. […] weil ganz viele im Netz mit der Katastrophe werben und auf sich aufmerksam machen, stumpfen wir ab.“ (Gerd, Z. 823 ff.)
Olaf betrachtet die Vielzahl der Petitionen auch aus Sicht der Politiker*innen und kann sich nicht vorstellen, dass diese sich jede Petition richtig ansehen. „[…] jetzt machen die so eine komische Petition, da unterschreibt jetzt eine Million und wenn die Politiker jeden Tag fünf von denen auf den Tisch kriegen, mit einer Million Unterzeichneten, meinste die gucken da noch drauf? Weiß ich ja nicht… […] Das ist ja inflationär.“ (Olaf, Z. 392 ff.) Olaf ist der Meinung, dass Politiker*innen von der Flut von Online-Petitionen erschlagen werden. Anfangs war er begeistert von der Möglichkeit einer Online-Petition, hat mit der Zeit jedoch realisiert, dass vielbeschäftigte Politiker*innen die Anfragen vermutlich gar nicht bearbeiten können. Er selbst arbeitet einer Abgeordneten zu und weiß somit aus erster Hand, dass im Büro mehr Arbeit liegt als geschafft werden kann.39
„Es nimmt zu viel von meiner Zeit.“ (Sybille) – Sich in den Tiefen des Internets verlieren
Aus den Vorteilen des Internets sich vernetzen und austauschen zu können und der schier unendlichen Fülle an Informationen, ergibt sich auch das Risiko, sich in den Tiefen des Internets zu verlieren und mehr Zeit am Computer zu verbringen, als gewollt. Sybille beschreibt, dass sie zu viel Zeit mit Online-Vernetzungsarbeit verbringt und sie dies runterzieht. „Ja, da merke ich oft, das zieht mich manchmal sogar runter, dass ich sehe, es ist so viel noch zu machen, das noch zu bearbeiten. Da komme ich immer wieder in so eine Phase, wo ich denke: Ich muss da was ändern. Es nimmt zu viel von meiner Zeit.“ (Sybille, Z. 930 ff.) Während Sybilles Online-Aktivitäten sich auf ihr Engagement bei Transition Town beziehen, erzählt Kilian, wie er stundenlang auf „sinnlosen Spaß-Seiten“ unterwegs war. Nach der Einsicht, dass er nicht weiterhin so viel Zeit auf diesem Weg verlieren wolle, hat er die entsprechenden Seiten in seinem Browser geblockt.40
Valeria und Helena formulieren ähnliche Risiken als „Verführung“ oder „Hölle“. YouTube-Videos anzuschauen führt für Valeria dazu, dass sie auch die im Anschluss angezeigten Video-Empfehlungen anschaut. Dabei muss sie sich dann zur Vernunft rufen und zum Abbrechen zwingen. „Was bringt denn YouTube? Bzw. dann werden ja meistens dann auch noch andere Angebote von YouTube angezeigt und das ist schon eine Verführung manchmal, dann habe ich eben auch schon einige Sachen gesehen, aber da muss man höllisch aufpassen und dann sagen: ‚Schluss! Schluss, aus, ab, weg, X, raus.‘ Es ist eine ungeheure Verführung, sich selbst zu verlieren.“ (Valeria, Z. 1129 ff.) Ähnlich empfindet es Helena, die von sich selbst weiß, dass sie dazu tendiert, sich in den Tiefen des Internets zu verlieren und zu vergessen, warum sie ursprünglich online ging. Deswegen steht sie Social-Media-Plattformen kritisch gegenüber.41 Sowohl bei Valeria als auch bei Helena zeigt sich, dass die Algorithmen entsprechender Internet-Plattformen treffend berechnen, welche Inhalte die beiden interessieren könnten und mit welchen Video-Empfehlungen YouTube Valeria zu längerer Online-Nutzung anregen kann. Beide Frauen merken kritisch an, sich in diesen Empfehlungen zu verlieren, nutzen entsprechende Webseiten jedoch weiterhin.
„[…] das ist ja auch ne Kompetenz.“ (Olaf) – Der Umgang mit Social Media als Kompetenz
Neben der privaten Nutzung oder der Nutzung für die Organisation, können Social-Media-Kompetenzen laut Olaf auch ein gutes Argument in einem Bewerbungsgespräch sein. Dieser Aspekt wurde mit Blick auf benötigte Ressourcen für Partizipation bereits in Abschnitt 5.​1 „Ressourcen“ betrachtet. Olaf geht mittlerweile davon aus, dass der Umgang mit Content-Management-Systemen und Social Media als nützliche Kompetenz gewertet, wenn nicht sogar erwartet wird. „Ist vielleicht auch gut für wenn ich mich mal irgendwo bewerbe, […] ich meine, das ist ja auch ne Kompetenz. So was wird ja auch immer mehr gefragt, im Arbeitsleben: ‚Haben Sie Ahnung von Content-Management-Systemen? Können Sie mit den Sozialen Medien umgehen?‘“ (Olaf, Z. 569 ff.) Für den Fall, dass diese Kompetenzen nicht vorliegen, wissen Olaf, Sven und Gerd, wo sie Hilfe finden: Bei der jüngeren Generation. Olaf würde sich bei der BUNDjugend oder einem junggebliebenen BUNDler beraten lassen, bspw. wenn es um Twitter geht, Gerd fragt seinen Sohn um Einweisung, sobald ein „neues Medium“ erscheint und Sven hat das ein oder andere Mal – wenn auch wenig erfolgreich – versucht, zwei Abiturient*innen aus seinem BUND Bezirk zur Überarbeitung der Webseite zu überreden.
„[…] würden die aufhören mir E-Mails zu schicken, dann wäre ich echt aufgeschmissen.“ (Kilian) – Hohe Wertschätzung für Newsletter und E-Mail-Verteiler als Informationsquelle
Von einigen Interview-Partner*innen werden Newsletter besonders geschätzt und es wird bewusst viel Zeit in das Lesen von ihnen investiert. Markus verbringt nahezu täglich mehrere Stunden mit dem Lesen von Newslettern und Berichten und hat dabei eine bunte Palette von Organisationen, Ministerien, Verbänden und Ämtern abonniert. „Sehr viel, sehr viel. Ich habe auch Standardseiten, ich habe eine ganz lange Leseliste, eine ganz lange. Weil das so viel ist, kann ich das gar nicht sagen. […] Und dann ist viel Interessantes dabei, das muss man dann eben auch lesen und dann muss ich es auch abspeichern, damit ich es wiederfinde. Also, das ist auch viel Arbeit. Und dann sind das oft Studien, lange Studien, manchmal 30 Seiten, manchmal 300, manchmal sind es 500 Seiten […].“ (Markus, Z. 380 ff.) Markus liest die Newsletter nicht nur, sondern archiviert Berichte und Co. auch, um sie später wiederzufinden. Dabei verlässt er sich sowohl auf unabhängige Verbände und Organisationen als auch auf Bundeseinrichtungen.
Julia hingegen hat einige private Newsletter abonniert. Ein Bekannter von ihr pflegt einen linken Veranstaltungskalender und andere Freund*innen schreiben als Privatperson. Darüber hinaus liest sie auch die Newsletter von BUND und BUNDjugend, um für sie wichtige Informationen zu erhalten.42 Um einkommende E-Mails und die E-Mails von Verteilerlisten besser zu überblicken, hat Julia sich zwei verschiedene E-Mail-Adressen eingerichtet. So kann sie entscheiden, welche Art von E-Mails sie gerade lesen möchte.
Kilian versteht Newsletter teilweise als Ersatz für eine Teilnahme an Plenumssitzungen. Er schätzt die E-Mails entsprechend sehr, da er glaubt, nicht die Zeit zu haben, alternativ selbst an allen Sitzungen teilnehmen zu können. „Also, würden die aufhören mir E-Mails zu schicken, dann wäre ich echt aufgeschmissen. Dann müsste ich ja, weiß ich nicht, zu irgendeinem Plenum gehen oder irgendwo mich informieren, da würde mir die Zeit dafür fehlen.“ (Kilian, Z. 823 ff.) Isabelle (Z. 396 ff.) hat im Zuge ihres Umzuges Verteilerlisten genutzt, um sich vorab über interessante Veranstaltungen und Menschen zu informieren. Neben Newslettern ihres Studienganges oder der Transition Town Initiative ihres alten Wohnortes, hat sie sich dann auch explizit nach interessanten Verteilerlisten im neuen Wohnort umgesehen.
Für Valeria ist es besonders wichtig, sich ausreichend Zeit für das Lesen der Newsletter zu nehmen. Entsprechend kann es auch passieren, dass E-Mails bei ihr drei Tage ungeöffnet bleiben, bis sie die Zeit dafür findet. Das begründet sie damit, dass ihr die Anliegen der Organisationen wichtig sind und sie sie in Ruhe nachlesen möchte. „Jedes Mal, wenn eine neue Meldung rein kommt von Campact oder Avaaz oder was – kann ich sie im Augenblick nicht lesen, irgendwann lese ich sie dann doch. Ich sehe ja schon, ob ich es gelesen habe oder nicht. Aber ich nehme mir die Zeit, ich möchte die Zeit haben.“ (Valeria, Z. 1037 ff.)
„[…] dass es dann vielleicht unterschiedliche Plattformen dazu gibt.“ (Julia) – Wunsch nach unterschiedlichen Plattformen für verschiedene Petitionstypen oder Tool, das Anliegen zusammenfasst
Lösungsansätze für den Überfluss an Petitionen kommen von Julia und Valeria. Ähnlich wie Mareike, die über eine Petitionsplattform nachdenkt, auf der nur dringliche Anliegen Unterstützung sammeln, spricht Valeria davon, dass es ein System geben müsste, das verschiedene Petitionen automatisch zusammenfasst, sodass sie nicht jede einzeln unterzeichnen muss. Für sie ist es jede Petition wert, beachtet zu werden und sie möchte zu keiner ‚nein‘ sagen. Dementsprechend wünscht sie sich, nur einmal gesammelt auf alle Anfragen antworten zu müssen. „Aber es ist ja auch so viel Arges in der Welt oder sagen wir mal anders: Es ist eben so viel Bedürftigkeit und jetzt ist diese Möglichkeit [Online-Petition] gegeben. […] Und jedes ist im Grunde wert, beachtet zu werden. […] Natürlich, irgendwie muss ich jetzt in eine Stufe kommen, wo sie alle drin sind, aber ich nicht jede einzeln beantworte.“ (Valeria, Z. 893 ff.)
Julia schlägt hingegen eine Unterscheidung zwischen Einzelschicksal-Petitionen und größeren politischen Themen vor. Obwohl sie auch Einzelschicksale unterstützt, findet sie sie nicht genauso wichtig wie ein „hochbrisantes politisches Thema“. Dieses Problem beobachtet sie insb. bei Change.org. „[…] das ist eigentlich genau das, dass da auch zu viele Einzelschicksalen-Petitionen eingerichtet sind. Also, ich unterschreibe die dann ja auch im Einzelfall immer mal wieder und ich finde es auch gut, dass es irgendwie die Möglichkeit gibt, dass da so Stimme erhoben werden kann. Weil auch einzelne Geschichten super wichtig sind, aber ich würde mir da wünschen, dass es dann vielleicht unterschiedliche Plattformen dazu gibt. Weil ich es manchmal so absurd finde, […] z. B. bei Change.org ist dann irgendwie ein hochbrisantes politisches Thema und nebendran irgendwie das Abschiebeverfahren von Person XY und nebendran dann der Wunsch nach irgendeinem Medikament, was noch nicht freigegeben ist, jetzt für eine Einzelperson trotzdem von der Krankenkasse bezahlt wird. Also, ich finde, das ist so nicht vergleichbar, die Dimensionen.“ (Julia, Z. 623 ff.) Das von Julia beschriebene Problem ergibt sich bei Change.org aus dem sehr offen formulierten Selbstverständnis der Organisation und daraus, dass eine Zustimmung zu den Community-Richtlinien und Nutzungsbedingungen die einzige Bedingung für das Erstellen einer eigenen Online-Petition auf der Plattform ist.43 Thematische Eingrenzungen oder die Bedingung, dass entsprechende Petition mindestens diesen oder jenen Personenkreis betreffen müsse, gibt es bei Change.org nicht. Die von Julia als unpassend empfundene Vermischung von Einzelschicksal-Petitionen und größeren politischen Themen vermeidet Campact dadurch, dass es mit WeAct eine separate Webseite für individuelle Online-Petitionen gibt.
Einstellungen zu Campact und dem BUND
Der folgende Abschnitt beleuchtet nun noch einmal die Beziehung von Campact und dem BUND zu Straßen- und Netzprotest aus Sicht der Interview-Partner*innen. Bei vielen herrscht dabei die Meinung vor, dass das Verhältnis von Online- und Offline-Elementen bei Campact ausgewogen sei und besonders die kreativen Straßenaktionen und Unterschriften-Übergaben werden von den Aktiven gelobt. Darüber hinaus beschreiben die Interview-Partner*innen ihre verschiedenen Einschätzungen zu den unterschiedlichen Petitions-Plattformen und Kampagnen-Organisationen. Dabei genießen Campact und Change.org in der Regel mehr Vertrauen und Zuspruch als Avaaz, welches einzig und alleine von Daniela als zu Unrecht kritisiert beschrieben wird.
„[…] weil das Publikum nicht da ist.“ (Sven) – Social Media für BUND Ortsgruppe irrelevant, weil keine passende Zielgruppe
Gegensätzlich zu der Meinung, dass Social Media auch für Organisationen hilfreich sei, vermutet Markus, dass Facebook & Co. für den BUND im Lokalen keine große Rolle spielen und Sven berichtet aus seiner Ortsgruppe, dass das entsprechende Publikum für Social Media nicht da sei. Mit einer Altersstruktur 50 + und der ältesten Aktiven mit 90 Jahren, gäbe es sogar einige, die keinen Computer besitzen. „Hier für unsere Ortsgruppe, […] soziale Medien sind eigentlich schlecht, weil das Publikum nicht da ist. Wie gesagt, die Altersstruktur 50 aufwärts bis – eine sehr Aktive hier, die ist glaube ich schon fast 90. Die hat noch nicht mal einen Computer. Wir haben ja einen Vorsitzenden, der hat auch keinen Computer.“ (Sven, Z. 705 ff.) Markus tauscht sich mit Expert*innen innerhalb und außerhalb des BUND aus und bezeichnet Facebook für die Organisation und für seine Netzwerk-Aktivitäten als unwichtig. „[…] in meinem AK ist ein ganz großes Netzwerk von Adressen, von über 100, und das sind überwiegend Experten und mit denen tausche ich mich auch außerhalb des BUND aus, fachlicher Austausch und Meinungsbildung. Aber ich glaube, im BUND spielt Facebook auch keine große Rolle. Also, nach meiner Einschätzung. Und Twitter auch nicht.“ (Markus, Z. 447 ff.)
„Und dann kam halt die Idee, dass wir das ins Internet stellen.“ (Sonja) – Erfahrungen beim Erstellen und Betreuen einer eigenen Online-Petition auf Change.org
Mit Stefanie und Sonja befinden sich zwei Interview-Teilnehmer*innen im Sample, die schon einmal selbst eine Online-Petition (in beiden Fällen auf Change.org) erstellt haben. Mareike wiederum hat eine Petition erstellt, sie (bis Zeitpunkt des Interviews) jedoch noch nicht freigeschaltet. Kilian kann sich grundsätzlich vorstellen, eine eigene Petition zu erstellen, ebenso Julia, allerdings nur für ein Einzelschicksal. Eine andere Online-Petition würde sie ansonsten der Landesgeschäftsstelle der BUNDjugend überlassen.
Sonjas Online-Petition gegen Fracking existierte zuerst offline als Petition an den bayerischen Landtag, bevor sie und ihre Mitstreiter*innen aus dem spontan gegründeten Bündnis „Weidener Becken gegen Fracking“ sich dazu entschieden auch eine Online-Petition zu starten. Angefangen mit einer Straßendemonstration bei ihr in der Stadt nahm die Petition dann ihren Lauf: „[…] das ging alles ganz schnell, wir haben dann hier eine Demo auf die Beine gestellt und dann haben wir erstmal eine Unterschriftenliste gemacht. Und dann sind wir auf die Idee gekommen, dass wir daraus eine Petition an den Landtag machen. Und haben dafür einen Text aufgesetzt. Und dann kam halt die Idee, dass wir das ins Internet stellen.“ (Sonja, Z. 471 ff.) Bei diesem letzten Schritt galt es sich zwischen OpenPetition und Change.org zu entscheiden und obwohl sich eine Mitstreiterin von Sonja für OpenPetition aussprach, fiel die Entscheidung am Ende für Change.org. „Die Hilde war eigentlich mehr für OpenPetition, aber ich habe dann gesagt, bei Change.org kann ich für meine Mutter unterschreiben, ohne dass sie immer sagen: ‚Sie haben das schon unterschrieben.‘ […] Das ist unkomplizierter irgendwie. Aber da wussten wir eigentlich noch gar nichts über die Vorteile von Change.org. Inzwischen hat der Gregor gemeint, man wird da besser unterstützt. Aber den Vergleich habe ich nicht.“ (Sonja, Z. 482 ff.)
Nachdem die an den bayerischen Landtag gerichtete Petition dort ignoriert wurde, überzeugten die Mitarbeiter*innen von Change.org Sonja, die Petition auf Bundesebene auszuweiten. Dadurch erhielt die Anti-Fracking-Petition wiederum einen enormen Zuspruch und wuchs von ca. 60.000 auf 180.000 Unterschriften. Dies ist laut Sonja insb. der Unterstützung durch Change.org zu verdanken, da die Organisation per E-Mail andere mögliche Unterstützer*innen auf die Petition aufmerksam machte, Sonja nach Berlin einlud und ihr einen prominenten Platz auf der Webseite verschaffte.44
Stefanie erzählt bzgl. ihrer eigenen Petition, dass sie sich zwar vorab andere Petitionen im Detail angeschaut hatte, das Erstellen und Pflegen ihrer Petition dann aber doch ganz anders lief als geplant. „Auf jeden Fall habe ich mich mit dem Thema schon beschäftigt. Es ist jetzt nicht so, dass ich da komplett uninformiert ne Petition gestartet habe. Aber was so was dann nachher in der Realität bedeutet, ist ja nochmal was ganz anderes.“ (Stefanie, Z. 505 ff.) Dies hatte u. a. damit zu tun, dass die Online-Petition mit der Forderung nach einer Umweltabgabe auf Plastiktüten innerhalb von zwei Tagen etwa 20.000 Unterschriften erreicht hatte, nach vier Wochen bereits 100.000 und sowohl Stefanie als auch die DUH-Mitarbeiterin Julia mit dieser Aufmerksamkeit und dem daraus folgenden Arbeitsaufwand nicht gerechnet hatten. Nach wenigen Tagen begannen Stefanie und die DUH, die Petition über verschiedene Kanäle zu streuen, sodass sich der Aufruf schnell verbreitete und in kurzer Zeit eine vergleichsweise hohe Unterstützer*innenzahl erreicht werden konnte. Sowohl Stefanie als auch die DUH als Organisation bewarben die Petition und nutzten ihre (sozialen) Netzwerke und Bekanntenkreise, um die Petition zu verbreiten.45
Nach Erreichen der gewünschten Unterstützer*innenzahl, dachte Stefanie darüber nach, die Petition abzuschalten, bemerkte dann jedoch, dass sie dann nicht mehr Kontakt zu ihren Unterzeichner*innen halten könne, die Nachrichtenfunktionen nutzen usw. und ließ die Petition weiterhin online. „Und wir haben dann auch vorher gefragt: ‚Jetzt haben wir unser Ziel erreicht und jetzt schalten wir die Petition aus oder wie?‘ Ja, nee, weil dann hast du nicht mehr die Möglichkeit, Nachrichten an die Unterstützer zu schreiben, die zu informieren darüber, weil du keine Nachrichtenfunktion mehr hast, so Sachen.“ (Stefanie, Z. 452 ff.) Rückblickend erzählt Stefanie, dass sowohl sie als auch die Mitarbeiterin der DUH den Aufwand der Online-Petition unterschätzt haben und dass es Marketingarbeit ähnele, wenn man eine Petition gut machen möchte.46 Die Petition bestmöglich zu betreuen, würde viel Zeit kosten und man müsse sich dafür gut informieren. Aus diesem Grund sagte Stefanie zum Zeitenpunkt des Interviews aus, aktuell erstmal keine weitere Online-Petition starten zu wollen.
Mareike hat ihrer Aussage nach eine fertige Online-Petition zum Thema Pflegewirtschaft vorbereitet, ist aus Zeitmangel aber noch nicht dazu gekommen, sie zu veröffentlichen. Zuvor würde sie noch die Zahlen aktualisieren wollen, um der Petition die nötige Aktualität und Aussagekraft zu verleihen.47 Wenn sie die Petition veröffentlichen würde, würde sich Mareike vorab informieren, welches derzeit „die interessanteste Petitionsplattform“ sei und würde ihre Petition entsprechend dort positionieren wollen. Für sie ist dabei wichtig, dass sie die richtige Zielgruppe anspricht und dass diese Plattform die meisten User*innen hat. „Da würde ich, wenn ich die Kampagne dann online stellen würde, würde ich nochmal neu suchen, was ist im Moment die interessanteste Petitionsplattform und wo sind natürlich die meisten User. Und dann guckst du natürlich die Zielgruppe an.“ (Mareike, Z. 834 ff.)
Für Kilian ist die Entscheidung für oder gegen eine Online-Petition eine thematische Entscheidung. Bei einem passenden Thema sei es für ihn eine passende Option, bisher habe er aber mit anderen Themen zu tun, für die seiner Meinung nach eine Online-Petition nicht die passende Wahl wäre. Im Nachhaltigkeitsbüro seiner Universität will er derzeit lieber mündliche Überzeugungsarbeit leisten. „Also, ich habe das als Option im Kopf. Also, es gibt Themen, die durch Petitionen angesprochen werden und hätte ich denn selbst so ein Thema, was ich gerade bearbeite, könnte ich mir das als Methode gut vorstellen, dass ich es nutze. Aber es kam noch nicht dazu. Ich habe einfach gerade die Themen, die ich bearbeite, und im Nachhaltigkeitsbüro ist die Methode der Petition einfach nicht angebracht.“ (Kilian, Z. 672 ff.) Julia vertritt die Meinung, dass Online-Petitionen grundsätzlich verbesserungsfähig sind. Davon abgesehen hält sie sie für gute Aktionsformen, die sie im Falle eines Einzelschicksals in ihrem Freundeskreis auch selbst nutzen würde. Darüber hinaus möchte sie jedoch keine eigene Online-Petition starten, weil sie den Verwaltungsaufwand als zu hoch einschätzt. Eine solche Arbeit würde sie lieber der BUNDjugend-Landesgeschäftsstelle überlassen.48
„[…] die haben mich persönlich überzeugt […].“ (Sonja) – Lob und hohe Glaubwürdigkeit für Change.org und Mitarbeiter*innen
Sonja und Stefanie, die beide ihre eigene Online-Petition auf Change.org gestartet haben, sehen die Vorteile der Plattform insb. in den Möglichkeiten, sich zu vernetzen, mit den Unterstützer*innen direkt zu kommunizieren, um Spenden zu bitten und die Unterzeichner*innen auf dem Laufenden zu halten. Dies unterscheidet Change.org von anderen Petitionsplattformen, bspw. von der Plattform des Bundestages – oder auch ganz grundsätzlich von Offline-Petitionen. „Und die ganzen Vorteile, die sind mir erst im Laufe der Zeit klar geworden. Also, dass man z. B. mit den Unterzeichnern kommunizieren kann. Dass man sie eben informieren kann über den weiteren Fortgang und letztlich, was jetzt unser Arhus-Bestreben betrifft, können wir sie auch um eine Spende bitten. […] Das finde ich alles ganz wichtig auch, ich denke, motivierend vielleicht für die Unterzeichner nicht aufzugeben. Man kann auch zu Demos aufrufen und man kriegt auch ein Feedback von den Unterzeichnern.“ (Sonja, Z. 541 ff.) Von Change.org ist Sonja überzeugt, spätestens seit sie das Team um Gregor Hackmack in Berlin persönlich kennengelernt hat. Mit ihrem Engagement haben sie Sonja sehr beeindruckt und sich eine Glaubwürdigkeit verschafft. „Also ich finde sie im Großen und Ganzen sehr gut, vor allem auch seit ich in Berlin war und die persönlich kennengelernt habe, die Leute. Also, die haben mich persönlich überzeugt, von ihrem Engagement her und gerade auch eben der Gregor mit seiner Vorgeschichte in Hamburg und seinem Engagement für Direkte Demokratie – finde ich sehr glaubwürdig und sehr beeindruckend.“ (Sonja, Z. 530 ff.)
Für Stefanie war darüber hinaus wichtig, dass Change.org die größte Plattform ist, auf der man als Privatperson eine Online-Petition einstellen kann. Avaaz vergleicht Stefanie mit Greenpeace, weil dort genauso die Themen von oben herab bestimmt werden. „Aber Change.org ist ja schon die größte, wo man als Privatperson das machen kann. Avaaz z. B. ist ja so Greenpeace quasi, ne neue Generation Greenpeace, die die Themen selber bestimmen und nicht Privatpersonen.“ (Stefanie, Z. 409 ff.) Weiterhin schätzt Stefanie bei Change.org insb. die Kommentarfunktion unter den Petitionen. Beim Unterzeichnen können Unterstützer*innen einen Kommentar hinterlassen, in dem sie erklären, warum sie die entsprechende Petition unterzeichnet haben. Im späteren Verlauf der Petition können die Petent*innen dann Updates an die Unterstützer*innen senden, welche daraufhin über einen Facebook-Account erneut kommentieren können.49 Grundsätzlich findet es Stefanie (Z. 726 ff.) gut, dass überhaupt eine Infrastruktur und die Möglichkeit für das Erstellen von Online-Petitionen bereitgestellt werden. Gleichzeitig sieht sie aber auch das Risiko, dass rechte Themen ihren Platz auf solchen Plattformen finden können.
Stefanie äußert jedoch auch Verbesserungsvorschläge für Change.org. Sie wünscht sich u. a., dass die Kommentarfunktion unter den Petitions-Neuigkeiten von jedem – und nicht nur über Facebook-Konten – genutzt werden kann.50 Weiterhin wünscht sie sich, dass man eine Petition auch von verschiedenen Accounts aus gemeinsam betreiben kann. Dass dies bisher nicht möglich ist, hat sie als Einschränkung und Abhängigkeit wahrgenommen. Stefanie hatte einen Account für sich und die DUH angelegt und war so beim Unterzeichnen von anderen Petitionen immer davon abhängig, ob auch die DUH eine solche Petition mitunterzeichnen würde. Hätte sie einen eigenen Account gehabt, hätte sie mehr Petitionen in ihrem persönlichen Namen auf Change.org unterzeichnet.51
„Ich blicke da nicht so richtig dahinter.“ (Helena) – Skepsis gegenüber Avaaz und Vertrauensvorschuss für Campact
Sarah beschreibt einen „Vertrauensvorschuss“ für Campact, der dazu führt, dass sie dort (meist ohne zusätzliche Recherche) Online-Petitionen unterschreibt. Alternativ dazu geht sie davon aus, dass sie zu den entsprechenden Themen meist schon ein hohes eigenes Informationsniveau hat. Bei Avaaz hingegen würde sie lieber noch zusätzliche Recherche betreiben. Weiterhin kennt sie bei Campact die Gründer, während ihr die Aktivist*innen von Avaaz fremd sind. Aus Zeit- und Dringlichkeitsgründen geht sie bei den Avaaz-Themen dann keiner weiteren Recherche nach, sondern unterschreibt in Konsequenz dort kaum Online-Petitionen. „Das kann sein, zum einen, dass ich da halt ein relativ hohes Informationsniveau habe – zumindest, was die Umweltthemen angeht. Und ansonsten haben die bei mir auch einen ziemlichen Vertrauensvorschuss. […] Also bei Avaaz, das ist sage ich mal nicht so. Wo ich dann einfach auch merke, da würde ich nochmal eher gerne was recherchieren wollen. Eben auch, was das für Leute sind, was die machen. […] Und da merke ich dann halt: Mh, da habe ich dann doch nicht so die Zeit dazu, ist mir nicht so wichtig. Und das führt dann halt so dazu, dass ich dann so – also bei Avaaz – die Sachen also eher weniger anklicke.“ (Sarah, Z. 953 ff.)
Markus beschreibt ausführlich, wie er früher vermehrt Avaaz-Aktionen unterstützt, dann aber kritische Stimmen zu der Organisation gehört hat und daraufhin sein Verhalten überdacht und die Unterstützung größtenteils eingestellt hat. Ein kritischer Artikel im Internet war der Auslöser dazu. „Ich habe das immer blauäugig einfach mitgemacht, bis mir mal einer gesagt hat: ‚Hier, mit dem Avaaz macht das mal nicht.‘ Und dann habe ich mal ein bisschen im Internet geguckt und […] da [im Internet] steht so einiges drin über Avaaz und dann habe ich mir gesagt, nee, das muss ich nicht machen.“ (Markus, Z. 288 ff.) Ein weiterer Kritikpunkt von Markus ist, dass die Organisation nicht „am Ball bleibt“. In Markus Wahrnehmung sammelt Avaaz nur Unterschriften, dann auch Geld und betreibt laut ihm vermutlich „reine Politikforschung oder Meinungsforschung oder Marktforschung.“ (Markus, Z. 341 f.) Ihm ist zu unsicher, was mit seinen Daten und seinem Geld passiert.52 Avaaz veröffentlicht jedoch jährlich die Einnahmen und Ausgaben der Organisation nach einer in den USA durch das Gesetz verpflichtenden unabhängigen Finanzprüfung.53 Mit Blick auf Datenschutz und die Verwendung personenbezogener Daten, pflegt Avaaz einen offeneren Umgang als bspw. Campact oder Change.org.54
Helena hat ähnlich wie Markus Negatives von Avaaz gehört und hat Schwierigkeiten, deren Strukturen zu durchblicken. Erstmals aufmerksam wurde sie auf Avaaz durch eine weitergeleitete E-Mail. Auf Campact ist sie hingegen durch den BUND und Attac gestoßen und hat dadurch mehr Vertrauen in die Organisation. „Also Avaaz kriegst du auch immer mal weitergeleitet. Die machen ja dann, wenn du gevotet hast, dass du das teilen kannst. Ich glaube, ich bin an Avaaz so dran gekommen. Dann habe ich zwischendurch mal so kritische Sachen zu Avaaz gehört. Ich bin auch nicht so der große Fan. Ich blicke da nicht so richtig dahinter. Ich finde es schwierig, diese Strukturen zu durchblicken bei Avaaz. Keine Ahnung. Ganz anders bei Campact, da bin ich über den BUND dran gekommen, eigentlich über Attac.“ (Helena, Z. 490 ff.) Wie Sarah fällt es auch Helena schwer, die Hintergründe von Avaaz zu verstehen. Eine Kritik an der Organisation hat dazu geführt, dass sie heute nur noch sehr wenige Online-Petitionen von Avaaz unterzeichnet.55
„Das finde ich bei Campact schon relativ transparent.“ (Sarah) – Finanzielle Unterstützung für Campact dank guter Transparenz
Campact hingegen wirkt auf viele der Interview-Partner*innen transparent und seriös. Sarah und Gerd spenden deswegen Geld an die Organisation. Gerd spendet nicht regelmäßig, sondern je nach Kampagne zweckgebunden, Sarah ist regelmäßige Förderin und bekommt auch Einladungen zur Ideenwerkstatt. „Das finde ich bei Campact schon relativ transparent. Und was ich halt auch gut finde, bei Campact habe ich auch so einen Förderbeitrag gemacht. Das ist nicht viel, das sind 10€ im Monat. Aber dann laden die einen auch ein zu so einem Wochenende, zu so einem Brainstorming quasi, so … Was sind die Ideen für die Zukunft?“ (Sarah, Z. 872 ff.) Gerd unterscheidet nicht nur je nach Kampagne, sondern auch zwischen verschiedenen Organisationen. „Nein, nein, also einmal diese Online-Petitionen und ich unterstütze dann nicht regelmäßig, sondern je nach Kampagne. Dann sage ich: ‚Okay, jetzt kriegt der mal wieder was oder dann kriegt mal ein anderer was.‘ Also, das hängt dann immer davon ab, was da gerade dran ist.“ (Gerd, Z. 75 ff.)
„Sie machen eine sehr gute Recherche […].“ (Daniela) – Lob und Unterstützung für Avaaz
Als einzige Sample-Teilnehmerin sagt Daniela aus, Avaaz gut zu finden und behauptet, die Organisation sei zu Unrecht so stark in der Kritik. Gute Recherchen, gute Leute und ein Netzwerk von teils sehr prominenten Unterstützer*innen mache die Arbeit von Avaaz sehr wertvoll. „Ich finde Avaaz gut. Und zwar folgendermaßen: Avaaz ist eine Organisation, von der im Netz zu Unrecht behauptet wird, sie gehört zu – was weiß ich – was weiß ich, zu wem die alle gehören. Avaaz ist gefilzt worden in den USA und musste jetzt Spendengelder sammeln, damit die ihr Equipment wieder kriegen. Sie machen eine sehr gute Recherche, sind sehr gute Leute dahinter und ich finde Avaaz als Plattform sehr erfolgreich, unterstützt werden die von Leonardo DiCaprio, auch andere Prominente aus den USA.“ (Daniela, Z. 669 ff.) Obwohl Avaaz über Online-Petitionen hinaus keine anderen Aktionen organisiert, findet Daniela das Netzwerk von vielen Millionen Menschen weltweit so gut, dass sie versucht, dessen Aktionen bekannt zu machen. Sie selbst unterschreibt jedoch grundsätzlich keine Online-Petitionen und so auch keine von Avaaz.56 Daniela möchte Avaaz zwar unterstützen, doch ihre Grundsatzhaltung zu Online-Petitionen verhindert eine Unterstützung via digitale Unterschrift. Datenschutzbedenken stehen bei Daniela über ihrer Sympathie für die Organisation.
„Es fehlt mir Transparenz.“ (Daniela) – Kritik an Transparenz bei Campact und Vorwurf der Arroganz
Gegensätzlich zu allen anderen Interview-Teilnehmer*innen beschreibt Daniela Campact als intransparent und arrogant. Sie kritisiert den Umgang mit Spenden und setzt die Spendeneinnahmen in Relation zu den Einnahmen ihrer eigenen Organisation. Die TTIP-Kampagnen nennt sie als Beispiel dafür, wie verschiedene (Kampagnen-)Organisationen eigentlich zusammenarbeiten und sich auch die Spendengelder teilen sollten und kritisiert dabei das Verhalten von Campact. „Ich gehe mit Campact nicht konform. Die sind für mich nicht transparent genug. Es fehlt mir Transparenz. […] Und ganz ehrlich: Ich bin in dieser Stopp-TTIP […] – jeder bekommt Spenden. Campact hat seit letztem Jahr 800.000 und jetzt wohl ne Millionen. Alle kriegen sie Geld. Aber wir arbeiten nicht zusammen. […] Ich werde von keiner Organisation unterstützt. Es wird nicht geteilt, Unterstützung nenne ich geteilt – nein, überhaupt nicht.“ (Daniela, Z. 650 ff.) Danielas Aussage verdeutlicht eine Form von Konkurrenzdenken zwischen verschiedenen Organisationen. Große und bekannte Organisationen erhalten häufig viele Spendengelder, während kleinere Organisationen wie die von Daniela nahezu leer ausgehen. Ihre Forderung, Spendengelder fair zwischen den Organisationen zu teilen, ist vermutlich sehr unrealistisch. Abgesehen von Bündnissen zu bestimmten Anlässen, hat jede Organisation für sich das Ziel, ihre Spendengelder zu erhöhen. Daniela sieht sich hier im Nachteil und projiziert ihren Ärger auf große Organisationen wie Campact.

7.3 Positionen zur Clicktivism-Kritik

Basierend auf den persönlichen Einstellungen zu Straßenprotest und Online-Aktivismus und der Wirksamkeit der verschiedenen Protestformen, ergeben sich die Meinungen der Interview-Teilnehmer*innen zur Kritik des Clicktivism. Viele Positionen haben sich in den vorherigen Ausführungen – insb. denen zum Thema Online-Aktivismus – bereits angedeutet, die Gesprächspartner*innen wurden jedoch auch explizit auf die Kritik des Clicktivism hingewiesen und um ihre Meinung dazu gebeten. Dabei überwiegt die Position, dass Online-Aktivismus zu Unrecht als Clicktivism abgewertet wird und dass diejenigen, die sich sowieso einbringen, die Möglichkeiten des Online-Aktivismus neben den Offline-Aktionen (natürlich) noch zusätzlich mitnutzen. Online wird größtenteils als Ergänzung für Offline verstanden. Es gibt vereinzelt jedoch auch kritische Stimmen, die der Kritik (in Teilen) Recht geben würden
„Aber es ist, denke ich, eine ganz wichtige Ergänzung […].“ (Sonja) – Netzaktivismus als wichtige Ergänzung zum Straßenprotest
Entgegen der Clicktivism-Kritik sieht Stefanie keinen Zusammenhang zwischen Online- und Offline-Aktivismus in dem Sinne, dass das eine vom anderen abhalten könne. Sie versteht Online-Aktivismus als „zusätzlichen Kanal“ und ein „unterstützendes, weiteres Tool“ und glaubt nicht, dass es jemanden gibt, der nicht an einer Straßendemo teilnimmt, weil er/sie sich zuvor schon für und gegen das entsprechende Thema online eingebracht hat. Gleichzeitig vermutet sie, dass es auch diejenigen anspricht, die ansonsten gar nichts machen würden, weil sie nicht auf die Straße gehen würden. „Ja, ich würde sagen, das ist ein zusätzlicher Kanal. Ich glaube, es motiviert einige Leute einfach ein bisschen mehr, was zu tun, weil es mehr in die Richtung geht, in der sie sich engagieren würden, wenn sie nicht auf die Straße gehen würden. Von daher würde ich sagen, es ist einfach nur ein unterstützendes, weiteres Tool. Und die Leute, die auf die Straße gehen, werden weiter auf die Straße gehen. Also, das sehe ich nicht so, dass die dann sagen: ‚Ja, jetzt habe ich geklickt, jetzt gehe ich nicht mehr demonstrieren.‘ Da sehe ich den Zusammenhang nicht.“ (Stefanie, Z. 942 ff.) Auch Isabelle geht davon aus, dass Personen, die von Straßendemos überzeugt sind, weiterhin an Straßen-Aktionen teilnehmen. Gleichzeitig vermutet sie aber auch, dass Online-Petitionen ein willkommener Vorwand für diejenigen sind, die sowieso schon nicht überzeugt von Straßenprotesten sind, bzw. Defizite in Sachen Motivation haben. „Weil ich glaube, dass Menschen, die wirklich überzeugt davon sind, dass es sich lohnt auf Demos zu gehen und dass es Sinn macht, da glaube ich nicht, dass die dann zuhause sitzen bleiben und sagen: ‚Oh, ich klick jetzt nur noch an.‘ Aber die, die sowieso so ein bisschen am Schwanken sind, für die ist das natürlich ein willkommener Vorwand zu sagen: ‚Nee ich brauche da jetzt nicht hingehen.‘“ (Isabelle, Z. 365 ff.)
Auch Markus geht davon aus, dass offline Aktive nebenbei auch Online-Aktionen mitmachen und dass der ein oder andere, der sich online engagiert, weiterhin auf die Straße geht. Außerdem gäbe es auch Menschen, die sich nur online einbringen.57 Helena wiederum ist sich zuerst unsicher, entscheidet sich beim ‚laut Nachdenken‘ dann jedoch dafür, dass das Klicken Leute nicht von Straßendemonstrationen abhält. Sie glaubt nicht, dass diejenigen, die nur online partizipieren, ansonsten auf die Straße gehen würden und anders herum glaubt sie auch nicht, dass Online-Aktivismus von Straßen-Aktivismus abhält. „Ich glaube, die Leute, die sich engagieren und da klicken, ich glaube auch, dass die auch auf die Straße gehen. Und umgekehrt, einer der den Arsch nicht hochkriegt, der würde da vielleicht einmal oder wenn ihn was besonders interessiert, aber ich glaube nicht, dass das Klicken die Leute vom Auf-die-Straße-gehen abhält, nee, das glaube ich nicht.“ (Helena, Z. 1060 ff.)
Um sich auszutauschen, zu informieren und zu vernetzen, sei das Internet hilfreich, berichtet Sonja, aber Straßenprotest sei weiterhin wichtig, um die richtigen Leute zu erreichen, den eigenen Anliegen mehr Ausdruck zu verleihen und mit diesen nicht leicht abgetan zu werden. „Online alleine reicht nicht. Aber es ist, denke ich, eine ganz wichtige Ergänzung und eben auch eine Möglichkeit, in Verbindung zu bleiben, sich auszutauschen, zu informieren.“ (Sonja, Z. 928 ff.) Auch Felix hält online und offline für eine Ergänzung zueinander: „Man braucht dieses online, dann bekommen das glaube ich mehr Menschen mit. Aber offline bekommen das die wichtigen Menschen mit. Und so mit online, das lässt sich einfach viel zu leicht abwimmeln.“ (Felix, Z. 623 ff.) Stefanie bezeichnet Netzaktivismus als einen ergänzenden Kanal, den sie für sich u. a. auch nutzt, weil Straßenprotest in der klassischen Form von Demonstrationen nicht ihr liebstes Format ist. „Also, mein Format ist weniger Straße, insofern als dass ich das uniforme Gebrülle und Fordern nach etwas irgendwie kritisch sehe und das auch nicht so als angenehm empfinde. Und online finde ich wichtig und spannend als einen ergänzenden Kanal.“ (Stefanie, Z. 1017 ff.)
Kilian vermutet, dass es überengagierte Leute gibt, die schon offline aktiv sind und zusätzlich auch neue (Online-)Möglichkeiten der Partizipation wahrnehmen, weil sie jeden möglichen Kanal nutzen möchten. Er nennt die Aktivist*innen im Hambacher Forst als Beispiel dafür, dass auch offline noch viele Aktivitäten stattfinden und dort Engagierte alle Möglichkeiten des Protests ausnutzen. „Ich kann mir aber genauso gut vorstellen, dass es noch Leute gibt, die so überengagiert sind und denken: ‚Das reicht noch lange nicht. Wir müssen unbedingt was ändern.‘ Und die machen dann alles, was geht. Und auch, die die dann wirklich Aktivisten werden, im Hambacher Forst […] Und da gibt’s die Aktivisten, die sich da in den Bäumen einquartieren. Und die halt wirklich – ich glaube, die machen halt alles.“ (Kilian, Z. 851 ff.) Im Mittelpunkt dieser oben beschriebenen Argumente steht der Gedanke, dass Bürger*innen alle Möglichkeiten und Kanäle nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen. Dabei haben sowohl Straßenaktionen als auch Netzprotest ihre jeweils spezifischen Vorteile gegenüber der anderen Protestform. Dass Online-Aktivismus von der Teilnahme an Straßenprotest abhält, können sich die meisten nicht vorstellen.
„[…] ohne diesen Zeitaufwand […].“ (Sybille) – Dankbar für die Möglichkeit, sich schnell und ohne Aufwand einbringen zu können
Einige der Interview-Partner*innen äußern sich dankbar für die Möglichkeit, online partizipieren zu können. Für Sybille ist es eine Frage des Zeitaufwandes, für Gerd die Möglichkeit, teilzunehmen, ohne rausgehen zu müssen. „[…] ich muss sagen, ich bin sehr froh darüber, dass es diese Organisation gibt, dass ich mich da ohne diesen Zeitaufwand, also dass ich das direkt unterstützen kann.“ (Sybille, Z. 457 ff.) Gerd ist offline sehr aktiv – als stellvertretender Landrat, aber auch in verschiedenen Organisationen – möchte jedoch manchmal auch bequem von zu Hause aus partizipieren: „Also, zumindest gibt es mir die Möglichkeit, ich sage mal, mich zu beteiligen, ohne bei jeder Geschichte auf die Straße zu gehen.“ (Gerd, Z. 806 f.) Beide erwähnen zwar Vorteile des Netzprotests, die Kritiker als Risiken dieser Engagementform benennen, sowohl Sybille als auch Gerd sind jedoch neben Online-Aktivitäten auch offline sehr engagiert. Damit trifft die Kritik des Clicktivism hier nicht zu.
„[…] Eindruck, dass die Beschleunigung in unserer Gesellschaft zunimmt.“ (Isabelle) – Online-Petitionen als willkommene Möglichkeit in Zeiten gesellschaftlicher Beschleunigung
Wie bereits erwähnt, nennt Isabelle grundsätzliche Tendenzen in der Gesellschaft hin zu mehr Beschleunigung, Stress und Druck als Grund für mangelnde Zeit für die Teilnahme an Straßenprotesten und anderen aufwendigeren Offline-Aktionen und versteht Online-Petitionen deswegen als willkommene Möglichkeit mit weniger Zeitaufwand trotzdem partizipieren zu können. „Also, ich habe so den Eindruck, dass die Beschleunigung in unserer Gesellschaft zunimmt. Man muss sich um immer mehr Sachen kümmern, man muss immer mehr zusehen, dass man auf dem Laufenden bleibt. […] Und dass es insgesamt glaube ich schwieriger ist, aus diesem Hamsterrad auszusteigen und zu sagen: ‚Ich nehme mir jetzt Zeit, auf eine Demo zu gehen und dafür oder dagegen zu protestieren.‘ Und dass dann angesichts dieser Schwierigkeit die Möglichkeit der Online-Petition natürlich sehr willkommen ist, weil das dieses Problem total simpel löst – ich kann es trotzdem machen, scheinbar, und muss aber diesen Zeitaufwand nicht nehmen, sondern kann den für andere Dinge nutzen.“ (Isabelle, Z. 350 ff.) Mit der Teilnahme an Online-Aktionen bleibt nach Isabelles Argumentation folglich mehr Zeit für andere Aktivitäten. Gleichzeitig merkt sie jedoch auch an, dass man mit Online-Petitionen nur „scheinbar“ partizipiert. Sie versteht diese Angebote als gute Möglichkeit, sich in einer ansonsten sehr stressigen Gesellschaft etwas mehr Zeit zu verschaffen.
„[…] ich befürchte, dass der Wert der Unterschrift verfällt.“ (Franz) – Einfachheit von Online-Petitionen schmälert den Wert einer Unterschrift
Eine Minderung der Wirkung von Online-Petitionen könnte neben der Vielzahl an Petitionen auch durch den niedrigen Aufwand im Vergleich zu Straßen-Aktivismus eintreten. Entsprechend vermutet Franz, dass die Einfachheit einer Online-Petition zu einer Wertminderung führe. Denn selbst auf die Straße zu gehen und/oder andere für die Teilnahme an einer Straßendemonstration zu mobilisieren, sei weit mehr Arbeit. „Also ich fürchte, die Einfachheit der E-Petition schmälert noch deutlich den Wert einer Unterschrift. […] Als wir früher über die Straße gehen mussten, die auf der Straße ansprechen und mal 20.000 Unterschriften kriegen – ‚das‘ ist richtig Arbeit. Und die Leute überzeugen. Und ich glaube, dadurch, dass der Wert möglicherweise, ich weiß es nicht, aber ich befürchte, dass der Wert der Unterschrift verfällt.“ (Franz, Z. 585 ff.) Für Franz haben 20.000 Unterschriften auf einer Papier-Petition folglich deutlich mehr Aussagekraft und Dringlichkeit, als 20.000 Unterschriften bei einer Online-Petition. Ähnlich sieht es auch Daniela, die die Meinung vertritt, dass man es den Leuten mit Online-Petitionen zu einfach mache. Sie ist nicht grundsätzlich gegen solche Petitionen, vermutet dahinter aber in erster Linie Interesse an Adressen und Daten.58 Das Argument von Franz passt zur vorher geäußerten These, dass der für die Teilnahme an Straßenprotest aufzubringende Aufwand und Eventualitäten wie schlechtes Wetter, lange Strecken zu Fuß laufen zu müssen usw. die Dringlichkeit eines Problems und damit auch den Druck auf Politiker*innen erhöhen.
„Und das Überrumpeln, jetzt rauszugehen, das ist schwierig.“ (Sven) – Zuspruch zur Clicktivism-Kritik und Bestätigung aus eigener Erfahrung
Neben Olaf, der Online-Petitionen nur selten unterzeichnet, ihnen sehr kritisch gegenübersteht und die Clicktivism-Kritik berechtigt findet, äußert auch Sven Zuspruch für die Kritik. Er ist der einzige Interview-Partner im Sample, der ein solches Verhalten bei sich selbst beobachtet. Sven nimmt zwar regelmäßig an Straßenaktionen wie Demos und Infoständen teil, hat aber in der Vergangenheit schon erlebt, dass er geplant hatte, zu einer Offline-Aktion zu gehen, er sich dann aber doch nicht überwinden konnte und er Dank der schon erledigten Online-Partizipation in diesem Fall ein nicht ganz so schlechtes Gewissen hatte. Er beschreibt die Überwindung rauszugehen und viel Zeit zu investieren und kontrastiert dies mit dem schnellen Klicken am Computer. „Aber ich habe mitgemacht, einfach weil es sehr schnell geht. Und jetzt sich aufraffen, auf eine Demo zu gehen, das sind immer Stunden. Es macht zwar Spaß und hinterher sagt man sich, das nächste Mal gehe ich wieder hin, aber ich habe die Möglichkeit mit diesen Medien […] mitzumachen. Und das Überrumpeln, jetzt rauszugehen, das ist schwierig. Und natürlich auch, was die Zeit betrifft. Ich kann hier schnell abends mal meine Mails angucken und stolpere drüber, klick das ab und dann ist die Familie dran. Und vielleicht rede ich dann auch nochmal drüber, aber ich habe mitgemacht. Ich habe mich beruhigt, ich würde zwar gerne auf die Demo gehen, aber ich habe das ja gemacht.“ (Sven, Z. 637 ff.)
Neben der Überwindung rauszugehen und Zeit aufzubringen, beschreibt Sven auch den potentiellen Konflikt mit anderen Terminen und seine Nicht-Bereitschaft, Termine zu verlegen. Am Computer hingegen kann er schnell und flexibel partizipieren und hat ein beruhigtes Gefühl. Hier zeigen sich eine Flexibilisierung von Engagement und der Vorteil von Online-Aktivismus, kompatibler mit eng getakteten Alltagsroutinen zu sein, als bei Offline-Engagement. Wenn Sven sich vorgenommen hat, an einer Offline-Aktion teilzunehmen und es aus zeitlichen Gründen oder Demotivation nicht schafft, sagt er sich zur Beruhigung, dass er bereits online partizipiert habe. „[…] Petition mache ich auf jeden Fall mit und nehme mir das manchmal auch vor, dann rauszufahren, und dann: Nee, man ist zu träge. Und das ist natürlich dann auch die Gefahr, wenn du jetzt einlädst zu einem Treffen im BUND – ‚Ach, das ist ja interessant, was die da schreiben.‘ – Aber ich kann da am Dienstag nicht und ich bin auch nicht gewillt, meinen Termin zu ändern. Das ist meine Faulheit. […] Klick, Klick, ich habe meine Ruhe.“ (Sven, Z. 661 ff.)
Auch Olaf sieht in Online-Aktivismus mehr eine Gewissensberuhigung, als dass er es dem Engagement zurechnen würde. Sich „richtig engagieren“ ist für Olaf mehr, als auf Social Media eine politische Meinung kundzutun oder darüber für andere Aktionen zu mobilisieren. Demnach ist für ihn die logische Schlussfolgerung, dass man nur Zeit für richtiges Engagement wie im BUND haben ‚oder‘ seine Zeit auf Social Media investieren könne. „Diese ganzen Soziale-Medien-Kisten. Ich weiß überhaupt nicht, wo die Leute die Zeit dafür hernehmen. Ich kann mir das nur so erklären, dass die sich halt sonst nicht richtig engagieren. Das wäre ja auch ne plausible Erklärung, weil die sieht man ja auch gar nicht. Im BUND oder so.“ (Olaf, Z. 507 ff.)
„[…] es mag Leute geben, für die das zutrifft.“ (Sarah) – Teilweise Zustimmung zur Clicktivism-Kritik, aber nicht für sich persönlich
Einige Interview-Teilnehmer*innen sind der Meinung, dass es zwar Personen gebe, die nach der Kritik des Clicktivism online partizipieren und sich dann offline nicht weiter einbringen, sich selbst schließen sie in diesen Personenkreis jedoch nicht ein bzw. verbieten sich teilweise sogar ein solches Verhalten. Darüber hinaus gäbe es viel mehr Menschen, die mehr machen als nur Online-Petitionen zu unterschreiben, so ein Argument.
Kilian vermutet, dass eine Studie zu dem Thema ergeben würde, dass es einige Menschen gibt, die ihr Engagement alleine durch Online-Aktivismus abgedeckt sehen. Er würde jedoch verschiedene Gruppen unterscheiden, nicht pauschalisieren und zählt sich persönlich wiederum zur Gruppe, die sowohl online als auch offline agiert. „Also, ich kann mir gut vorstellen, wenn man da eine Studie zu macht, dass genug Leute angeben könnten, dass sie ihr Engagement abgedeckt sehen durch diese Online-Aktivität. Und dann denken: ‚Okay, ich habe doch was getan, warum sollte ich jetzt auch noch da hingehen?‘ […] Es gibt wahrscheinlich verschiedene Gruppen, aber ich würde jetzt nicht pauschal sagen, dass das jetzt alle abschreckt vom Offline-Aktivismus. Und mich persönlich auch nicht. Ich finde die Online-Petitionen wichtig und auch sinnvoll, aber ich werde dennoch zu Demonstrationen gehen und das Nachhaltigkeitsbüro ist ja auch offline.“ (Kilian, Z. 848 ff.) Auch Olaf zählt sich nicht zur Gruppe der ‚Klicker‘ und erzählt, wie er vor Zeiten von Online-Petitionen schon wusste, dass man sich auf der Straße einbringen müsse. Online-Petitionen sprechen ihn hingegen nur selten an. „Also, ich habe das kennengelernt, das Ganze, als es noch überhaupt kein Internet gab. Und ich habe gesehen, wie das läuft. Und dass es nur läuft, wenn man selbst den Arsch hochkriegt und irgendwo hingeht und was tut.“ (Olaf, Z. 428 ff.)
Sarah und Valeria können sich gut vorstellen, dass es einige Menschen gibt, die sich durch Online-Aktivismus ihr Ruhekissen verschaffen und darüber hinaus nicht weiter aktiv sind. Valeria verbietet sich selbst jedoch ein solches Denken, auch wenn sie die Versuchung manchmal spürt.59 Sarah geht noch einen Schritt weiter und vergleicht ein solches Verhalten mit Ablasshandel – sich in einigen Bereichen zu engagieren und damit den Freibrief für andere Bereiche zu kaufen. Sie selbst versteht Engagement jedoch ganzheitlich und partizipiert auf verschiedenen Ebenen. „[…] es mag Leute geben, für die das zutrifft. Ich denke, da hat man auch an anderen Stellen so eine Art Ablasshandel. Dass man sagt: ‚Ach nee, ich trenne ja den Müll und so, ich mache ja alles gut, dann kann ich auch in den Urlaub fliegen.‘ Und ja: Blödsinn. So geht’s natürlich nicht! Für mich ist das halt ganzheitlich.“ (Sarah, Z. 903 ff.)
Mareike geht wiederum davon aus, dass es neben einigen Faulen, die sich mit Online-Partizipation begnügen, noch viele andere gibt, die froh darüber sind, an Straßenaktionen in der Nähe teilnehmen zu können.60 Julia hingegen beurteilt das Phänomen nach Themen getrennt und geht davon aus, dass es in bestimmten Bereichen Menschen gibt, die sich über das Unterzeichnen von Online-Petitionen hinaus nicht anderweitig beteiligen. Im umweltpolitischen und sozialpolitischen Bereich sieht sie diese Gefahr jedoch nicht.61 Hier und an vorangegangenen Stellen wird deutlich, dass einige der Interview-Partner*innen – und so auch Julia – sehr reflektiert zwischen verschiedenen Policybereichen unterscheiden. Die Aussagen, die sie treffen, beziehen sich oftmals nur auf bestimmte Themenfelder – oder wie im Fall von Günter oder Sabine auch auf eine sehr reflektierte Unterscheidung verschiedener Handlungs- und Einflussmöglichkeiten (vgl. Abschn. 5.​2.​2 zum Thema „Bürgerschaftsverständnisse als Erklärung für Protestpartizipation“).
„[…] dass diese Online-Petitionen die Sache sogar eher in Gang gebracht haben […].“ (Sybille) – Gegenargument zur Clicktivism-Kritik: Online-Aktivismus bewirkt wieder mehr Offline-Engagement
Im Gegensatz zur Annahme, dass Online-Aktivismus faul mache und Menschen dadurch von der Teilnahme an Straßendemonstrationen abgehalten werden, sind Sarah und andere der Meinung, dass Online-Aktivismus sogar zu mehr Offline-Aktivismus führe und dass das Mobilisieren für Straßenproteste durch das Internet leichter werde. Sarah beschreibt eine Situation, in der aus Online-Engagement dann Offline-Aktivismus in Form eines Straßenstandes wurde und dass somit das Netz dazu beiträgt, dass vermehrt Aktionen auf der Straße stattfinden.62 Sybille meint, über längere Zeit eine Flaute in Sachen Demonstrationen beobachtet zu haben und sieht Online-Petitionen als Auslöser für Veränderungen hin zu mehr Beteiligung. Laut Sybille trägt Online-Aktivismus dazu bei, dass ein Thema besser verbreitet wird. „Ja, es war ja eigentlich längere Zeit eine Flaute mit Demonstrationen, also das Thema Kernenergie war ja dann erstmal vom Tisch, weil es so wenig von der Politik Resonanz gefunden hat, denke ich mal, deswegen war da so eine lange Flaute. Und ich glaube fast, dass diese Online-Petitionen die Sache sogar eher in Gang gebracht haben, dass wieder mehr Menschen sich beteiligen konnten.“ (Sybille, Z. 666 ff.) Kurz darauf revidiert Sybille diese Position jedoch wieder und vermutet, dass es doch die Themen und Ereignisse waren, die eine Zunahme an Protestaktionen zur Folge hatten, und nicht der Online-Aktivismus an sich. Sie denkt aber, dass Online-Aktivismus nicht schade und jede Form für sich ihre Vorteile habe und gleichwertig sei.63
Eine solche Welle von Protest bzw. Phasen von mehr oder weniger Aktivismus beschreibt auch Sonja. Sie vermutet, dass es immer wieder Phase von stärkerem Aktivismus gibt, wie bspw. in der Anti-AKW-Bewegung oder zu Zeiten der Friedensbewegung, und dass Engagement zuerst abflaut und beim nächsten großen Thema wieder viele Leute auf die Straße gehen. Für Sonja ist das Internet dabei insofern wichtig, als sie sich online über die nächsten Offline-Aktionen informiert. „Ich habe das Gefühl, das politische Engagement kommt in so Wellenbewegungen. Also so wie eben damals die Anti-AKW-Bewegung, die Friedensbewegung – und dann scheint es wieder abzuflauen und dann kommen die Medien und andere Experten und sagen: ‚Ja, die Leute sind unpolitisch, die Jugend ist unpolitisch usw.‘ Und dann kommt eben das nächste große Thema und dann sind die Leute wieder auf der Straße. […] für mich ist das Internet halt auch sehr wichtig, um mich selbst zu informieren über die nächsten Aktionen, an denen ich teilnehmen will.“ (Sonja, Z. 763 ff.) Auf die Nachfrage, ob sie glaube, dass es Menschen gäbe, die nur Online-Petitionen unterzeichnen und darüber hinaus nicht engagiert sind, stellt Sonja fest, dass das besser sei als nichts und dass sie über Online-Petitionen bei einem sensiblen Thema vielleicht doch irgendwann darüber hinaus aktiv werden könnten.64
„Man hat so was Ähnliches wenn Leute spenden.“ (Günter) – Vergleich von Online-Petitionen mit Spendengeldern
Schwierigkeiten bei der Beurteilung von Online-Petitionen hat Günter, der das Unterzeichnen von Petitionen mit dem Spenden von Geld vergleicht. In beiden Fällen brauche man darüber hinaus nichts weiter zu machen und habe eventuell das Gewissen erleichtert. „Man hat so was Ähnliches, wenn Leute spenden. Du spendest bei Brot für die Welt und damit hast du dann was gegen den Hunger auf der Welt getan. Jetzt brauche ich sonst nichts mehr zu machen. Kann ja sein. Manchmal ist da so eine Verknüpfung, so ein ruhiges Gewissen, in dem Sinne gibt’s das schon. Aber ob das jetzt ein Klick im Internet auslöst? Ob das den gleichen Effekt hat, weiß ich nicht.“ (Günter, Z. 613 ff.) Günter ist jedoch unsicher, ob ein Klick im Internet den gleichen beruhigenden Effekt auf Bürger*innen haben könne, wie beim Spenden von Geld. Bei finanzieller Unterstützung für Organisationen, die sich bspw. gegen Armut und Hunger einsetzen, sieht er eine direkte Verknüpfung zwischen seiner Spende und der Linderung von Hungerleiden, insofern als die Organisation sein Geld für konkrete Projekte investiert. Dieser direkte Zusammenhang scheint ihm beim Unterschreiben von Online-Petitionen zu fehlen. Hier kann Günter deutlich schwieriger sehen, was konkret seine Unterschrift nun bewirkt haben könnte.
„Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.“ (Markus) – Vergleich von Online-Petitionen mit Ablasshandel
Dieses gute Gewissen beschrieb Sarah schon als „Ablasshandel“ (siehe oben) und auch Markus nutzt diesen Vergleich. Ob mit einem Mausklick oder einer Geldspende – sich selbst das Gefühl zu vermitteln, man habe sich eingebracht, geht laut Markus schnell. So wie der Ablasshandel damals vor der Reformation, sei es heute mit dem schnellen Online-Aktivismus oder der finanziellen Unterstützung von Organisationen. „Ja, ich kann ja in die Leute nicht reinschauen, aber es ist halt so bequem, so schnell mal per Mausklick zu sagen, ‚Jetzt bin ich dabei und jetzt habe ich hier was getan‘ und damit hat es sich. Das kann ich mir schon vorstellen, dass das so wirkt. Das war schon immer so: Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt. Das war beim Ablasshandel, vor der Reformation so.“ (Markus, Z. 772 ff.) Auch Olaf hat einen Erklärungsansatz für die Gewissenserleichterung via Online-Petition. Nach dem Motto „Jeden Tag eine gute Tat“ könne man täglich zu gewünschten Themen Petitionen unterzeichnen, ohne sich darüber hinaus weiter zu engagieren. Das gehe dann zu Lasten von Organisationen wie dem BUND, meint Olaf. „Ist ja auch so leicht, […] jeder kann da mal schnell sein Gewissen erleichtern. Ich abonniere diese ganzen Campact-Online-Petitionsdinger da oder klick dann da irgendwie die Themen an, die ich will und dann kann ich jeden Tag ne gute Tat tun. Und dann brauche ich mich sonst nicht zu aktivieren, zu engagieren. Das ist ja auch das Dumme dabei, also für uns jetzt, vom BUND.“ (Olaf, Z. 396 ff.) Mit dem gleichen Argument erklärt auch Felix Aktivismus, der auf rein finanzieller Unterstützung oder dem alleinigen Unterzeichnen von Petitionen basiert. Mit dieser guten Tat pro Tag würden manche im Freundeskreis angeben, so hat er die Erfahrung gemacht.65 Dass man bei einer TTIP-Online-Petition 350.000 Unterschriften erhalte und bei einer Straßenaktion nur 30 Leute anwesend sind, spricht für Felix Bände. Er unterstellt dem Großteil der Unterstützer*innen kein wirkliches Interesse zu haben und die Weltrettung lieber anderen überlassen zu wollen.66
„[…] aber das ist irgendwie kein richtiger Aktivismus.“ (Julia) – Unterscheidung zwischen dem Unterzeichnen von Online-Petitionen und politischem Aktivismus
Julia ist der Meinung, dass politischer Aktivismus nicht von Online-Petitionen beeinflusst werde, da sie das Unterzeichnen von Online-Petitionen grundsätzlich nicht dem Bereich Aktivismus zurechnet. Sie trennt klar zwischen politischem Aktivismus und Online-Petitionen, die sie eher als Meinungsäußerung versteht. Darüber hinaus glaubt sie, dass sich Aktivismus verändere und neue Formen brauche. Das Erstellen und Betreuen einer Petition versteht sie als Aktivismus, das alleinige Unterzeichnen jedoch nicht. „Also, ich habe diesen Begriff [Clicktivism] vorher noch nie gehört, aber ich glaube jetzt so ganz spontan aus dem Bauch heraus eigentlich nicht, dass dieser Effekt eintreten wird oder am Eintreten ist. Weil ich aber auch Online-Aktivismus im Sinne vom Petitionen-Unterschreiben gar nicht als politisches Aktivsein verstehe. Also, das ist eine Meinungsäußerung, aber das ist irgendwie kein richtiger Aktivismus. […] ich denke schon, dass so Petitionen, also das Erstellen von Petitionen, das ist für mich auch Aktivismus, aber das Anklicken, das ‚Hier, ich unterschreibe‘ das hat für mich nicht so viel mit Aktivismus zu tun, das passiert ja so nebenbei und ich glaube, dass das nicht wirklich eindämmt, wie man sich sonst noch einbringt.“ (Julia, Z. 798 ff.) Auch an dieser Stelle zeigt sich erneut die Differenzierungsleistung einiger Interview-Partner*innen, die sehr reflektiert über verschiedene Engagementformen und Einflussmöglichkeiten nachdenken und diese in den Interviews artikulieren.
„[…] diese Bereitschaft nur zu punktuellem Engagement.“ (Olaf) – Sporadisches und temporäres Engagement koordinieren
Angesprochen auf das Thema Clicktivism, erzählt Olaf von Anfragen an den BUND, sich punktuell und sporadisch einbringen zu wollen und schlägt vor, mit Hilfe des Internets Personen, Zeit und Bedarf an Aushilfe zu koordinieren, um solche Anfragen annehmen und die angebotenen Ressourcen möglichst effizient nutzen zu können. Diese Form von Engagement verortet Olaf zwischen Clicktivism und „richtigem Engagement“ und bewertet es nicht, sondern macht sich grundsätzlich darüber Gedanken, wie man solche Anfragen nutzen könnte. „Und das andere, was wir noch nicht besprochen hatten, ist etwas das zwischen Clicktivism ist und dem richtigen Engagement. Das ist diese Bereitschaft nur zu punktuellem Engagement. Das sehe ich auch immer öfter hier im BUND, dass Leute sagen – gut, auch bei den Grünen – ‚Ja, ich will mich engagieren, aber ich habe nur drei Stunden.‘ […] Und wenn man das gut plant, das kann man ja auch mit dem Internet gut machen, hat man dieses Matching von Zeit und Personen und so, dann kann man die auch einsetzen.“ (Olaf, Z. 1173 ff.) Olaf vermutet, dass solche Interessent*innen vielleicht aus dem Bereich des Online-Aktivismus kommen und ein Interesse entwickelt haben, sich weitergehend einzubringen. Begrenzte Zeitressourcen schränken die Möglichkeiten des Engagements zwar ein, nichtsdestotrotz stellen diese Leute eine Anfrage für eine punktuelle Mitarbeit beim BUND. Er bezeichnet diese Form des Engagements als hybrid. „Aber das gibt’s anscheinend auch: So Leute, die so rauskommen aus diesem Clicktivism vielleicht oder ich weiß nicht, wo die herkommen, dass die jetzt sagen: ‚Ich möchte mehr machen, aber vielleicht auch nicht so viel.‘ Also, das ist so eine Hybrid-Kiste, so zwischen den beiden.“ (Olaf, Z. 1202 ff.)
Zusammenfassung
Viele Interview-Partner*innen beschreiben nahezu begeistert die Vorteile des Internets als Möglichkeit, sich zu vernetzen, miteinander über Distanzen hinweg zu kommunizieren, scheinbar unendliche Massen an Informationen zur Verfügung zu haben und andere auf Protestaktionen aufmerksam zu machen. Doch ein Großteil sieht auch Risiken und Nachteile in der grundsätzlichen Nutzung des Internets, insb. aber von Social Media. Häufig werden gegensätzliche Tendenzen beschrieben: Einerseits der Vernetzungsgedanke und das Internet als dezentrales Kommunikationsmittel, andererseits Überwachung und Datenmissbrauch. Einerseits Möglichkeiten für kleinere Grasswurzelbewegungen und Organisationen, ihre Themen eigenständig zu positionieren, andererseits die Gefahr, dass Online-Petitionen und andere Formen von Netzaktivismus Verbänden wie dem BUND aktive Unterstützer*innen streitig machen. Bezüglich der jeweiligen Vorteile von Straßen- und Netzprotest stimmen die Gesprächspartner*innen häufig überein, bei den Risiken und Nachteilen der verschiedenen Protestformen differieren die Einschätzungen – und dies unabhängig davon, ob die Personen sich tendenziell eher bei Campact oder dem BUND engagieren.
Einig sind sich die Interview-Partner*innen dahingehend, dass Straßenprotest weiterhin eine sehr bedeutsame Rolle hat. Er wird als Sichtbarmachung des Volkswillens und Austragungsort von Meinungen verstanden. Einige Bürger*innen sind der Ansicht, dass Straßenproteste sogar eine Art Hilfestellung für Politiker*innen und deren Entscheidungen sind. Andere betonen u. a. auch den Vorbildcharakter von Straßenprotesten in Deutschland und den Fakt, dass diese aufgrund von Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht überhaupt stattfinden können. Wie bereits in Abschnitt 5.​3.​2 „Kollektive Identität und Mitgliedschaft“ beschrieben, spielen Innenwirksamkeit und Gemeinschaftsbildung für viele Bürger*innen eine besonders wichtige Rolle bei Straßenprotesten. Auf die Bedeutung von Straßendemos angesprochen, erzählen viele von Erfahrungen der Solidarisierung mit Gleichgesinnten. Eine weitere Stärke sehen einige Interview-Partner*innen auch in positiven Effekten für Verbände und Organisationen. Bei Straßendemos kämen verschiedene Akteure zusammen und würden Bündnisse bilden, anstatt gegeneinander zu arbeiten. Bei anderen Partizipationsformen wie bspw. Infoständen werden hingegen insb. der direkte Kontakt zu anderen Menschen und das dort erfahrbare direkte Feedback geschätzt. Einige Interview-Partner*innen schreiben Straßendemos mehr Symbolcharakter zu, als dass er direkte Wirkung hätte und benennen als eigentliches Ziel, massenmediale Aufmerksamkeit für ein Protestanliegen zu erhalten. Viele sind der Meinung, dass Straßenprotest weiterhin wichtig bleibe, weil er durch einen deutlich größeren Zeitaufwand eine größere Dringlichkeit vermittele als es Formen von Netzaktivismus können. Außerdem habe nicht jeder einen PC bzw. Internetzugang und somit seien Formen von Online-Aktivismus nicht für jeden zugänglich.
Jedoch werden auch negative Aspekte von Straßenprotest angemerkt, bspw. der Missbrauch durch Gewalttäter, ein grundsätzliches Unwohlsein in Menschenmengen oder eine Instrumentalisierung der Teilnehmer*innen. Als Hinderungsgründe für eine Teilnahme an Straßendemos werden auch schlechtes Wetter, die weite Anreise, die lange Fußstrecke vor Ort, grundsätzlich mangelnde Zeit oder der Aspekt, nicht für eine Teilnahme aufgefordert worden zu sein, genannt. Einige Interview-Partner*innen haben kein großes Vertrauen in die Wirksamkeit von Straßendemos und fragen sich, welche Demos der Vergangenheit tatsächlich etwas bewirkt hätten.
Einigkeit besteht bei allen Interview-Partner*innen – sowohl den Kritiker*innen als auch den Befürworter*innen von Online-Aktivismus – über die grundsätzlichen Vorteile des Internets für Protest. Positiv hervorgehoben werden das Mobilisierungspotenzial, der erleichterte Zugang zu Informationen und die große Reichweite digitaler Medien. Übereinstimmend stellen die Gesprächspartner*innen fest, dass es komplett ohne Internet nicht gehen würde. Unterstützer*innen der Pro- und Contra-Positionen haben gemeinsam, dass sich keiner von ihnen gänzlich den individuellen Vorteilen des Internets verwehrt. Online seien Informationen meist besonders aktuell und jederzeit verfügbar. Das Netz diene den Bürger*innen zum Kontakterhalt mit anderen, zur Verbindung zu Gleichgesinnten und ganz grundsätzlich zur Vernetzung. Eine der Interview-Partner*innen beschreibt sogar ein online erfahrbares Zugehörigkeitsgefühl. Auch für Organisationen und Verbände wird eine Arbeitserleichterung und Kostenersparnis konstatiert. Aus Sicht der Interview-Partner*innen könnten sie nicht auf Online-Auftritte mit Webseiten oder den Versand von E-Mails verzichten. Newsletter und E-Mail-Verteiler werden als wertvolle Informationsquellen geschätzt und Online-Petitionen als sinnvolles Mittel, um ein Zeichen zu setzen. Die Einfachheit und der geringe Zeitaufwand sind aus Sicht der meisten Interview-Partner*innen Vorteile von Online-Petitionen, welche dazu führen, dass solche Petitionen unterzeichnet werden. Einige beschreiben jedoch auch, nur ausgewählte Online-Petitionen zu unterzeichnen und/oder sich bei einigen Themen erst tiefer einlesen zu wollen, bevor unterzeichnet wird. Sie unterschreiben Petitionen z. B. wenn es wegen einer Autofill-Funktion schnell und bequem ist (Mareike und Julia), wenn der Petitionstext argumentativ schlüssig und der Online-Auftritt der Petition professionell ist (Kilian), wenn die Petition von Bekannten weitergeleitet wurde (Gerd), wenn die Petition das persönliche Themenfeld betrifft (Olaf) oder auch, wenn der/die Ersteller*in der Petition zuvor die eigene Online-Petition unterzeichnet hat (Stefanie).
Gleichzeitig beschreiben viele Interview-Partner*innen jedoch auch, dass der Überfluss an Online-Petitionen bei ihnen zu Abstumpfung und Ermüdung führt. Einige sind der Meinung, dass Online-Petitionen keinerlei Wirkung haben oder dass Online-Aktivismus grundsätzlich weniger effektiv ist, weil er im Vergleich zu Straßenaktionen weniger Aufmerksamkeit von den Massenmedien erhält. Trotzdem unterzeichnen auch diese Personen – teils sogar sehr oft – Online-Petitionen, was wiederum darauf zurückzuführen ist, dass sie der Meinung sind, dass es so schnell gehe und so wenig Aufwand benötige, dass man es doch kurz nebenbei mit erledigen könne. Der geringe Aufwand wiegt somit mehr als die Einstellung, dass kaum Wirkung damit erzielt werden oder dass man die Wirkung eines Einzelnen zumindest nicht direkt sehen könne. Darüber hinaus werden auch Datenschutzbedenken geäußert, ebenso wie eine Angst vor eventuellen beruflichen Konsequenzen, nachdem man sich im Internet öffentlich politisch geäußert habe. Ein Interview-Partner beschreibt, dass das Internet dazu führe, dass Nutzer*innen ihre Hemmschwelle verlieren und sich online in einer Form äußern, in der man in einem Face-to-Face-Gespräch kaum miteinander kommunizieren würde.
Insbesondere die Personen, die recht häufig Online-Petitionen unterzeichnen, wünschen sich eine Art Bündelung von Petitionen mit ähnlichen Anliegen, sodass sie mehrere Petitionen gleichzeitig unterstützen können oder äußern den Wunsch nach unterschiedlichen Plattformen, die zwischen Einzelschicksal-Petitionen und größeren, gesellschaftlichen Forderungen unterscheiden. Gleichzeitig merken aber auch sie an, dass eigentlich alle Anliegen gleich wichtig seien und es schwierig sei, eine Unterscheidung vorzunehmen.
Mit Blick auf die unterschiedlichen Organisationen und Petitionsplattformen unterscheiden sich die Einstellungen der Interview-Partner*innen stark. Die meisten sprechen Campact ein hohes Vertrauen aus und sind Avaaz gegenüber sehr skeptisch, insb. mit Blick auf Datenschutz. Diese Position vertreten sowohl Personen, die sich vermehrt bei Campact einbringen, als auch solche, die sich besonders beim BUND engagieren. Viele der BUNDler sind gleichzeitig aufgeschlossen gegenüber Campact, doch nur solche, die beim BUND sehr aktiv sind, geben an, grundsätzlich alle Online-Petitionen auf der Webseite des BUND zu unterzeichnen. Diejenigen, die direkten Kontakt zu Mitarbeiter*innen von Change.org hatten, weil sie selbst dort eine Petition erstellt und betreut haben, loben diese Organisation für ihr Engagement und ihre Glaubwürdigkeit. Einzig eine Interview-Partnerin vertritt die gegenteilige Meinung und unterstützt Avaaz, während sie Campact mangelnde Transparenz und Egoismus im Umgang mit Geld vorwirft. Die Social-Media-Aktivitäten einzelner BUND-Ortsgruppen werden von älteren BUND-Mitgliedern als irrelevant bezeichnet, da vor Ort nicht die passenden Zielgruppen aktiv seien. Ein jüngeres BUNDjugend-Mitglied hält den Umgang mit Online-Petitionen durch den Verband noch für ausbaufähig und schreibt klassischen Petitionsplattformen wie Campact hier größere Kompetenz zu. Von einigen Interview-Partner*innen wird der E-Mail-Versand von Campact als „spam-ig“ und zu umfangreich empfunden, während Change.org dabei zurückhaltender sei. Campact kommuniziere häufig Weltuntergangsszenarien, die abstumpfend wirken könnten.
Explizit auf die Clicktivism-Kritik angesprochen äußern die meisten Interview-Partner*innen Unverständnis für die These, dass Online-Aktivismus von Straßenprotest abhalte. Das Netz wird als wichtige Ergänzung zur Straße verstanden und es wird kein Zusammenhang zwischen Partizipation im Netz und bei Straßendemos vermutet. Einige äußern sich dankbar für Möglichkeiten, sich schnell und ohne großen Aufwand einbringen zu können und verstehen Online-Petitionen als willkommene Möglichkeit sich in Zeiten gesellschaftlicher Beschleunigung trotzdem einbringen zu können. Gegenteilig zur Clicktivism-Kritik argumentieren manche sogar, dass Netzprotest dazu geführt habe, dass sich wieder mehr Bürger*innen offline einbringen. Hier steht insb. der Mobilisierungsaspekt im Mittelpunkt. Andererseits wird jedoch auch die These geäußert, dass die Einfachheit von Online-Petitionen den Wert einzelner Unterschriften schmälert. An einem Straßenstand seien Unterschriften bspw. deutlich schwieriger zu erhalten und somit würden analoge Unterschriftenlisten mehr aussagen als digitale Unterschriften bei Online-Petitionen. Während ein einziger Interview-Partner bei sich selbst bereits beobachtet hat, dass er manchmal Straßenproteste oder andere Offline-Aktionen ausfallen lässt, weil er sich zu entsprechendem Thema bereits online geäußert hat, können die anderen Interview-Partner*innen sich dies entweder gar nicht vorstellen oder zumindest nicht bei sich persönlich. Ein weiterer geäußerter Kritikpunkt an Online-Petitionen ist der Vergleich mit Ablasshandel, also der Gedanke, dass Bürger*innen sich durch das Unterzeichnen von Online-Petitionen einen Freibrief dafür verschaffen, sich nicht mehr anderweitig einbringen zu müssen. Gleiches gilt laut Meinung einiger auch für Spendengelder, welche ebenso gern als Ersatz für Partizipation in Organisationen, Verbänden oder bei Straßendemos verstanden werden. Einen Lösungsansatz für Menschen mit knappen zeitlichen Ressourcen und/oder ohne Bereitschaft sich längerfristig an eine Organisation binden zu wollen, könnte ein Vermittlungssystem darstellen, welches interessierten Bürger*innen sporadisches und temporäres Engagement in Organisationen erlaubt. Diese Instanz würde Angebot und Nachfrage von zivilgesellschaftlichem Engagement in Form kleinerer Arbeitspakete vermitteln und somit Menschen die Möglichkeit geben, sich ohne Bindung und nach zeitlichen Ressourcen sinnvoll einzubringen.
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Fußnoten
1
Ich glaube, dass wirklich diese Demo vorm Bundestag mehr Aufmerksamkeit bekommt, weil ganz viele Sachen gar nicht an die Politiker rankommen. Die haben da ihre eigene Welt in ihrem Bundestag oder in ihrem Büröchen. Und haben ja mit ihren sinnlosen Gesetzen zu kämpfen, und Beschlüssen. Das dauert ja alles immer ganz ewig lange bis man irgendwas Gutes beschlossen hat. […] Und da haben die gar keine Zeit, da im Internet rumzusurfen. Und die Angestellten, die Mitarbeiter von denen, die gucken natürlich, aber ob die alles immer so weitertragen, weiß ich auch nicht.“ (Mareike, Z. 1141 ff.)
 
2
Aber wenn das irgendwie sichtbar wird, wie als ich damals am Hauptbahnhof ausstieg und kein Grün mehr sah, nur noch schwarz vor Menschenmenge. Da hat es irgendwas mit mir gemacht und plötzlich merke ich, dass ich meine Augen voller Tränen hatte. Und irgendwie wird bei den abgehärtetsten Politikern, ist irgendwo, muss noch ein Stück Seele sein, sage ich mir. Und das kann nur im Persönlichen sein, also das wird durch das persönliche Gegenübertreten. […] Und darin sehe ich den Wert und bin deswegen der Meinung, ich möchte ein Teil dieser Masse sein, denn die besteht nur aus dem Einzelnen.“ (Valeria, Z. 509 ff.)
 
3
Da dieser Aspekt bereits ausführlich in Abschn. 5.​3.​2 „Kollektive Identität und Mitgliedschaft“ beschrieben wurde, wird an dieser Stelle größtenteils auf erneute Zitate aus den Interviews verzichtet, um Doppelungen im Text zu vermeiden.
 
4
Dann wird das auch immer gleich mit der Grünen Woche verquickt. Dann kommen immer irgendwie 30 Sekunden – wenn es überhaupt 30 Sekunden waren – Demo und dann irgendwie zwei Minuten Landwirtschaftsminister sagt: ‚Wir brauchen bla, bla, bla.‘ Was dann halt auch so ein bisschen frustrierend ist, so über die Wirksamkeit.“ (Sarah, Z. 540 ff.)
 
5
Ich glaube ja, dass der Erfolg von so Demos gering ist. Aber meine Hoffnung ist immer, dass es irgendwelche Leute sehen, die – oder sogar Teilnehmer an den Demonstrationen – die das Netzwerk haben, wie die Campaigner. Die es dann schaffen, Lobbying für die andere Seite zu machen, denn nichts anderes machen NGOs, finde ich. Und das bringt glaube ich viel, viel mehr.“ (Felix, Z. 1227 ff.)
 
6
Ich finde, dass offline sehr charmant ist. Diese Tütenübergabe, diese vier Tage ganz am Anfang, die haben mich auch ursprünglich sehr motiviert, diese Kampagne zu machen, weil dort durch diesen persönlichen Kontakt auf der Straße und über Plastiktüten zu reden und sich so vier Tage ganz intensiv […] auseinander zu setzen, hilft unglaublich.“ (Stefanie, Z. 699 ff.)
 
7
Weil, das ist ja die Frage nach der Wirksamkeit. Und ein großer Teil ist natürlich die mediale Wirksamkeit, denk ich schon. Also viele Sachen sind ja mittlerweile auch symbolisch. Irgendwelche Ketten, die gemacht werden. Beim Castor hat das ein bisschen einen anderen Charakter. Da könnte man meinen, das hat so einen Ernst-Charakter. Dass es wirklich drum geht, den konkreten Castor, der da gerade gefahren wird, davon abzuhalten, dass der dann da in dieser Kartoffelscheune in Gorleben landet.“ (Sarah, Z. 1055 ff.)
 
8
Aber es ist glaube ich schon eine generelle Regel, psychologisch, dass man sagen kann: Wenn du eine Organisation hast, die genau wie andere wirklich arbeitet vor Ort, was besser macht, und die haben ein paar Führungsfiguren, die sympathisch sind und die immer wieder in den Medien vorkommen – das ist viel mehr wert als irgend so eine anonyme Kiste in den Tiefen des Internets. Und das muss man dann halt verbinden. Weil, ohne Internet geht es nicht mehr.“ (Olaf, Z. 1072 ff.)
 
9
Weil, es gibt immer noch Leute, die tatsächlich nicht im Internet sind. Man glaubt es kaum, aber es ist so. […] Es gibt ja immer Leute, die nicht immer im Internet sind. Es gibt auch heutzutage noch Leute, die haben nicht mal einen Computer.“ (Mareike, Z. 1116 ff.)
 
10
Auch an dieser Stelle wird zur Vermeidung von Doppelungen auf Zitate aus den Interviews verzichtet.
 
11
Wir haben gegen Pegida in Kiel – dann geh ich hin. Aber der G7-Gipfel, Außenminister in Lübeck, gehe ich nicht hin, weil ich vermute, dass dort sehr viele Aggressionen sind und dann brauche ich mich nicht unbedingt in Gefahr begeben.“ (Daniela, Z. 764 ff.)
 
12
[…] erstmal fühle ich mich in so großen Menschenmengen nicht besonders wohl, ist für mich eher kritisch. Ich finde das [„Wir-haben-es-satt“] eine sehr friedliche Demo, deswegen fühle ich mich da wohl. Und es ist thematisch natürlich sehr unterstützenswert, weil es auch einen sehr starken landwirtschaftlichen Bezug hat und ich finde, es ist schön gestaltet und es ist bunt, das ist eigentlich auch für Kinder usw. Und das ist halt nicht aggressiv. Und bei den sehr linken Demos, da kriege ich … also die Aggression, die dahinter wirklich schwellt, die hält mich davon ab, auf die Straße mit denen zu gehen.“ (Stefanie, Z. 955 ff.)
 
13
Nach Berlin mobilisieren wir immer wieder für Demos und organisieren gemeinsame Anfahrten. Jetzt auch wieder zu TTIP im Oktober. Aber keinen eigenen Bus, sondern wir kümmern uns dann einfach um Gruppenspartarife und so. Weil einen eigenen Bus vollzukriegen halt schon … also, für ein ganzes Wochenende nach Berlin und dann kostet es ja auch noch, in Berlin zu sein, also das ist schwierig, da genug Leute zu mobilisieren.“ (Julia, Z. 446 ff.)
 
14
Das sind für politische Parteien, genau wie für NROs sehr wichtige Medien. Bloß ich muss einfach persönlich für mich sagen, dass es nicht so mein Ding ist. […] Ich sehe dann natürlich auch, das ist dann ein Defizit, weil darüber einfach sehr viel drüber läuft, gerade wenn man junge Leute ansprechen will. Aber ganz ehrlich, wenn ich jetzt wirklich irgendwas toll verbreiten wollte usw., dann würde ich die BUNDjugend anrufen […].“ (Olaf, Z. 543 ff.)
 
15
Ich bin in Twitter und nutze das Internet für meine Zwecke. Gerade jetzt bei unserem Thema, wenn ich etwas recherchiere oder die aktuellen Klimaschutzkonferenzen verfolge, dann ist das natürlich die ideale Plattform. Da kriegst du alle Daten aktuelle, da kriege ich die Papiere mit Hintergrundinformation und so. Darauf kann ich nicht verzichten, das ist wichtig. Und z. B. geben wir Studien, die wir machen, auch rein. […] Wir nehmen an diesen Meinungsbildungsprozessen teil.“ (Günter, Z. 354 ff.)
 
16
Also, wenn ich das in meinem Freundeskreis beobachte, wie die kommunizieren, wo die ihre Infos herbekommen. Da ist Facebook schon ziemlich wichtig. Und zwar inzwischen auch nicht nur bei den jungen Leuten, sondern auch bei älteren Generationen. Also ich habe auch einige Bekannte, die so 40 oder 50 aufwärts sind und selbst die sind dann in ihren Facebook-Gruppen organisiert.“ (Isabelle, Z. 454 ff.)
 
17
Und da denke ich auch, das ist auch Verdienst eben dieser Online-Geschichten, dass so viele junge Leute jetzt da doch aktiv werden.“ (Helena, Z. 735 f.)
 
18
Wenn du eben ein Netzwerk hast, wo eben viele Freunde mit dem Thema drin sind. Man kann es sich ja ganz toll einteilen, dass man halt nur Tierschützer oder nur … man weiß ja, was die Leute so mögen … und kann dann dementsprechend auch die Veranstaltung teilen.“ (Mareike, Z. 1104 ff.)
 
19
Also, ich bin selbst auch in Facebook, aber ich sage ja, ich halte mich da zurück. Ich schreibe da kaum was rein. Ja, ich bin da eigentlich, weil die Kinder da sind und einer meiner Söhne, der ist in Brasilien und da hält man halt da den Kontakt.“ (Günter, Z. 319 ff.)
 
20
Ich kenne keinen, der zufrieden wäre, wenn man ihm das Internet wegnehmen würde. Und für Kampagnen – gut, es ging natürlich auch ohne Internet, sicher. Aber da müssten die tausende von Briefen verschicken. Gut, mit automatischen Etikettier-Anlagen und Dings geht das alles. Aber da müssten sie mehr Personal haben, es wäre deutlich teurer, das ganze Porto. Die Mails gehen für lau durch.“ (Franz, Z. 820 ff.)
 
21
Ich glaube aber nicht, dass es für die Gesellschaft reicht, wenn man ab und zu mal sagt, ich bin dafür oder ich bin dagegen. […] Ich glaube, also das reicht nicht für eine Demokratie. Sondern daneben braucht man eben auch das aktive Gestalten der Gesellschaft. Das greift alles ineinander.“ (Isabelle, Z. 331 ff.)
 
22
Weil, das ist ein Klick und einmal die E-Mail-Adresse reinschreiben, dann kopiert man den Text oder findet eigene Worte – ich denke, das kann jeder machen, oder?“ (Mareike, Z. 694 ff.)
 
23
Ich habe mich unlängst von Facebook abgemeldet. Da kamen aber doch ab und zu noch ein paar Artikel rein, aber jetzt habe ich das nicht mehr. Tagesschau als bürgerliches Medium, konsumiere ich auch. […] Dann lese ich den Freitag, den habe ich aber nicht als digitales Medium, also nicht im Internet. […] YouTube ziehe ich mir eigentlich auch viele Dokumentationen rein oder irgendwelche Erklär-Videos zu irgendwelchen Umständen. Aber das ist jetzt auch nicht unbedingt viel. Ich bin eigentlich relativ wenig im Internet.“ (Kilian, Z. 728 ff.)
 
24
Und auch durch die Transparenz, die gefordert ist, aber auch ein zweischneidiges Schwert ist. Aber man hat ein bisschen mehr Sicherheit. Obwohl man im Internet nie sicher ist. Transparenz ist einerseits ganz toll, andererseits finde ich es voll Scheiße von Facebook mit dieser Klarnamenpflicht.“ (Mareike, Z. 1061 ff.)
 
25
Was nützt mir eine Petition von 100.000 Unterschriften – ich weiß nicht mal, wo die Unterschriften bleiben, weil meine Daten kosten, sind ja Geld. Meine Daten, die ich als Verbraucher habe, meine Adresse, da bezahlen andere 4,50€ dafür, einige Unternehmen. Bei den Petitionen ist es immer so, ich unterschreibe was, ohne etwas zu wissen, worum es überhaupt geht.“ (Daniela, Z. 607 ff.)
 
26
[…] kommt drauf an, welche Leute das wirklich interessieren würde und denen leite ich das dann speziell weiter. Aber nicht, dass ich so große Massenmails schicke, weil ich das selbst auch nicht so gut finde. Wenn, dann sollte das schon auch eine persönliche Relevanz haben.“ (Stefanie, Z. 903 ff.)
 
27
Also ich bin tatsächlich auch bei einem Bekannten auf einem Mailverteiler, der mich tierisch nervt, weil der dreimal die Woche irgendwelchen Kram schickt, das ist mir einfach zu oft. Aber ich habe mittlerweile das einfach so eingestellt, dass das in einem anderen Ordner ankommt und dann ist das in Ordnung.“ (Julia, Z. 702 ff.)
 
28
Gerade bevor du gekommen bist, habe ich gerade telefoniert und da habe ich gesagt, ich schicke dann zwei verschiedene Sachen in zwei verschiedene Richtungen, zwei Studien […]. Also, ich weiß bei dem einen oder anderen, dass er sich für dieses oder jenes interessiert, aber die meisten Freunde sind nicht so aktiv und denen kann ich so was nicht schicken.“ (Markus, Z. 396 ff.)
 
29
Nicht im klassischen Sinne, wie ich das sehe, wie Profis das machen. Also, wenn mir das nach der Mütze ist, dann mache ich das. Aber ich denke dann eben, ich schätze das als realistisches Medium ein, das nicht so viel politisch nachhaltig für die Leute wichtig ist.“ (Gerd, Z. 688 ff.)
 
30
Ich gucke YouTube, ja, das ist richtig. Das finde ich eine coole Sache, eigentlich. Ich finde eigentlich auch Wikipedia gut. Man muss es halt wie alles auch abwägen. Nein, ich bin absoluter Gegner und was ich lustig finde, meine Kinder auch.“ (Helena, Z. 981 ff.)
 
31
Weil es eben auch so ist, dass die [Avaaz] ja nicht am Ball bleiben. Das ist immer nur eine Abstimmung und dann sammeln sie auch noch Geld und dann weiß man nicht, was mit dem Geld passiert und die bleiben auch nicht am Thema dran und berichten auch nicht, was ist draus geworden.“ (Markus, Z. 338 ff.)
 
32
Und da hat uns dann auch der Gregor erklärt, wie das abläuft: Da werden nämlich dann die Petitionen gebündelt und dann irgendwann an irgendeinem Tag innerhalb von 20 Minuten abgehandelt. Und man hat keinerlei öffentliches Echo und die werden einfach irgendwie da in irgendeine Schublade gesteckt und vergessen. Also, das ist nutzlos. Vielleicht das Einzige ist: Ich glaube, wenn man 50.000 Unterschriften hat, dann müssen sie sich damit beschäftigen.“ (Sonja, Z. 636 ff.)
 
33
Ich glaube, dass wirklich diese Demo vorm Bundestag mehr Aufmerksamkeit bekommt, weil ganz viele Sachen gar nicht an die Politiker rankommen. Die haben da ihre eigene Welt in ihrem Bundestag oder in ihrem Büröchen. Und haben ja mit ihren sinnlosen Gesetzen zu kämpfen, und Beschlüssen. […] Und da haben die gar keine Zeit, da im Internet rumzusurfen. Und die Angestellten, die Mitarbeiter von denen, die gucken natürlich, aber ob die alles immer so weitertragen, weiß ich auch nicht.“ (Mareike, Z. 1141 ff.)
 
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Also, ich unterschreibe eigentlich nicht einfach so spontan eine Petition zu einem Thema, von dem ich keine Ahnung habe, nur durch das, was die da hinschreiben. Aber ich lass es dann meistens eher ganz sein, als mich da jetzt nochmal größer zu informieren. Wenn das ein Thema ist, zu dem ich eh grob ne Idee habe und mir nur nicht so ganz sicher bin, dann lese ich schon nochmal irgendwo anders im Internet was dazu, um zu entscheiden, aber eigentlich unterschreibe ich nur, wenn ich mir sicher bin, dass das meine Meinung ist.“ (Julia, Z. 596 ff.)
 
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Und manchmal kommt dann halt thematisch was passendes, hier z. B. Energiewende – also einfach so die Themen ökologische Landwirtschaft, Energiewende, Klimaschutz. Wenn so was kommt, dann gucke ich genauer hin und das ist dann auch oft was Gescheites und das unterschreibe ich halt.“ (Olaf, Z. 388 ff.)
 
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Der Begriff der Echokammer bezeichnet eine Polarisierung von gegensätzlichen Meinungslagern, die sich einander nicht mehr wahrnehmen. Grundlage dessen ist, dass Algorithmen entsprechender Internetplattformen den Nutzer*innen nur oder überwiegend Inhalte anzeigen, die ihrer persönlichen Meinung oder der Meinung von Freund*innen entsprechen. Siehe zu diesem Thema u. a. Sunstein (2018); Pariser (2012); Rau/Stier (2019) und Weber et al. (2019).
 
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Und mittlerweile ist es so, man stumpft so ab. Und man kriegt ja auch so viel von dem Zeug. Ich muss mich da glaube ich auch mal wieder austragen.“ (Olaf, Z. 449 f.)
 
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Campact […] finde ich sehr anstrengend mit den Benachrichtigungen, die dann eingehen, wenn man erst mal unterschrieben hat, da wird man zu bombardiert, finde ich. Und ich finde das schon bei Change.org ein bisschen besser. Aber okay, man bekommt trotzdem viele Nachrichten. Gut, das kann man natürlich deaktivieren, aber im Großen und Ganzen finde ich das sehr – ja, spam-ing will ich gar nicht sagen, aber es geht schon viel Information aufs Postfach und vielleicht könnte man das auf bestimmte Themenbereiche reduzieren.“ (Stefanie, Z. 761 ff.)
 
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Am Anfang fand ich das auch cool. Klar, da kannste jetzt gegen 1000 Sachen – kannste gegen viel mehr protestieren als früher, wie super. Aber irgendwann kommt natürlich die Erkenntnis: Ja super, wenn die Politiker, die eh schon zu viel oder genug zu tun haben, wenn die das nicht … Ich sehe das ja auch bei meiner Chefin. Wenn die so was auf den Tisch kriegen und das wird also inflationär, die können das ja gar nicht alles bearbeiten.“ (Olaf, Z. 438 ff.)
 
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[…] ich war sehr viel auf solchen sinnlosen Spaß-Seiten. Also, das war zum Teil über Facebook, weil irgendwelche Leute solche Scherz-Posts machen und dann ziehe ich mir das rein und lache dann ein bisschen. […] Und ich habe einfach gemerkt, dass nimmt mir unheimlich viel Zeit weg. Das war bestimmt jeden Tag ne halbe Stunde oder so oder ne Stunde. Das wollte ich dann nicht mehr und habe das erstmal wirklich geblockt mit meinem Browser, dass ich nicht mehr da drauf gehen kann, also so ein kalter Entzug.“ (Kilian, Z. 747 ff.)
 
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Es ist die Hölle. Ich muss da wirklich aufpassen, ich neige ja auch so ein bisschen dazu, mich dann auch so zu vertuen. Ich muss mich dann immer wieder zurückrufen und sagen: ‚Hier, das wolltest du eigentlich machen.‘ Und deswegen habe ich auch mit diesen ganzen Social Netzworks echt Angst, dass ich mich dann noch viel mehr verliere.“ (Helena, Z. 1028 ff.)
 
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Also, vor allem kriege ich von Privatleuten so die privaten Newsletter sozusagen. Es gibt z. B. in Darmstadt einen linken Veranstaltungskalender, den einfach ein Bekannter von mir jeden Monat schreibt. Oder so kleinere Sachen, also wo Privatleute entschieden haben, zu schreiben. Dann bin ich auch von der BUNDjugend und vom BUND auf ein paar Verteilern, also z. B. von der BUNDjugend auch auf dem Klima-Verteiler, obwohl ich da nicht so aktiv bin.“ (Julia, Z. 719 ff.)
 
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Vergleiche dazu Abschnitt 4.​2 „MoveOn, Campact, Change.org und der BUND: Konzept, Positionen und Strategien“.
 
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Und dann kam eigentlich auch die Initiative von Change.org, dass wir das Ganze bundesweit ausweiten. Weil das mit dem Landtag war ja vorläufig gelaufen und dann wurde es bundesweit ausgeweitet und hat dann nochmal einen ganz starken Schub gekriegt, auch an Unterschriften. Wir hatten anfangs so um die 60.000 für Bayern und dann ging es auf die 180.000.“ (Sonja, Z. 508 ff.)
 
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Die ersten zwei Tage hatten wir das noch gar nicht auf unseren Kanälen, sowohl die Julia, noch die DUH, noch ich, irgendwo publiziert sozusagen. Und dann schoss das schon so mit 20.000 hoch und dann haben wir es publiziert. Ich habe das halt in meinem E-Mail-Account, ich würde sagen ich habe schon sehr viele Kontakte, und habe das da verschickt. Ne persönliche Nachricht geschrieben und an meine persönlichen Kontakte geschickt, also auch von meinem Facebook-Account. Und die DUH ähnlich, sage ich mal.“ (Stefanie, Z. 896 ff.)
 
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[…] man kann sich da sehr viel mit beschäftigen und genau schauen, wie man die beste Kampagne macht und das ist ja auch so wie eine Marketingarbeit, die man da betreibt.“ (Stefanie, Z. 456 ff.)
 
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Die ist aber noch nicht online gegangen, einfach auch aus Zeitmangel. Ich hatte die Idee zur Pflegewirtschaft. […] Aber eine Kampagne halt, um Aufmerksamkeit zu bekommen für die Pflegewirtschaft und die Missstände, die da sind.“ (Mareike, Z. 801 ff.)
 
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Also ich glaube, wenn ich das als Aktionsform wählen würde, für irgendwas in meinem politischen Engagement, dann würde ich das eher unserer Landesgeschäftsstelle überlassen, das einzurichten. Also einfach auch die Verwaltung davon, dass das halt nicht an mir hängt. Ich finde es aber grundsätzlich eigentlich schon eine gute Aktionsform, die halt vielleicht gerade auch einfach noch in den Kinderschuhen steckt […]. Ich glaube selber würde ich so was tatsächlich auch machen, in so einem Einzelschicksalsfall, also wenn ein Freund von mir abgeschoben werden soll, dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass ich mich mit einer Online-Kampagne einbringen will, um das zu verhindern.“ (Julia, Z. 640 ff.)
 
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[…] wenn man unterschreibt, kann man einen Kommentar schreiben, warum man das unterstützt und dann gibt’s nochmal eine etwas neuere Funktion, dass wenn ich eine Neuigkeit an die Unterstützer schicke, dann können die das über ihren Facebook-Account kommentieren.“ (Stefanie, Z. 533 ff.)
 
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Ich finde es gut, dass es Kommentarmöglichkeiten gibt, das ist total wichtig. […] Das könnte noch verbessert werden. Dass auch nicht Facebook-Nutzer dann die Neuigkeiten kommentieren können.“ (Stefanie, Z. 740 ff.)
 
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[…] die letzten waren dann auch teilweise von Leuten, die bei mir unterschrieben haben und das dann verlinkt haben, weil es thematisch eben passte, auf ihre Petition. Und dann habe ich da z. B. unterschrieben. Wobei ich auch nicht überall in letzter Zeit dann unterschrieben habe, aus dem Grund, dass ich mit der DUH praktisch einen gemeinsamen Account habe und dann nicht immer für die quasi mitunterschreiben kann und will.“ (Stefanie, Z. 786 ff.)
 
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Weil es eben auch so ist, dass die ja nicht am Ball bleiben. Das ist immer nur eine Abstimmung und dann sammeln sie auch noch Geld und dann weiß man nicht, was mit dem Geld passiert und die bleiben auch nicht am Thema dran und berichten auch nicht, was ist draus geworden. Das ist eben wahrscheinlich tatsächlich nur eine reine Politikforschung oder Meinungsforschung oder Marktforschung.“ (Markus, Z. 338 ff.)
 
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Eine Liste derjenigen, an die Avaaz unter gewissen Umständen persönliche Daten der Nutzer*innen weitergibt, findet sich unter https://​secure.​avaaz.​org/​page/​de/​privacy/​
 
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Avaaz stehe ich so ein bisschen unsicher gegenüber. Weil ich halt die Hintergründe nicht kenne. Ich habe dann ne Zeit lang mal immer mit unterschrieben und dann, ich weiß gar nicht mehr, ob ich es gelesen habe oder ob es mir jemand erzählt hat, dass es irgendwie so obskure … Und dann habe ich es irgendwie eine Zeit lang gelassen und jetzt kriege ich eigentlich die Aufrufe wieder und ich gucke jetzt. Ich sage mal von 20, 30 habe ich ein, zwei unterschrieben. Aber nur halt sehr zögerlich.“ (Helena, Z. 797 ff.)
 
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Ja, also ich unterschreibe grundsätzlich nicht. Ich verbreite aber. Das heißt, ich bin mit Avaaz in Verbindung und ich verbreite es auch.“ (Daniela, Z. 688 f.)
 
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Aber der ein oder andere wird auch trotzdem noch aktiv sein. Oder auch umgekehrt, der sowieso aktiv ist, macht nebenbei auch diese Umfragen mit. So rum auf jeden Fall. Und dann gibt’s halt andere und die machen das nur, keine Ahnung.“ (Markus, Z. 777 ff.)
 
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Ich bin nicht gegen Petitionen, das ist falsch ausgedrückt. Aber ich finde, man macht es den Leuten zu einfach. Und andere freuen sich und machen da Werbung, schon eine Million. Und was hat es gebracht? Adressen, ja.“ (Daniela, Z. 881 ff.)
 
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Ja, das kann ich mir schon vorstellen. Man kann sich schneller sein Ruhekissen verschaffen. ‚Habe ich gemacht, war ich dabei.‘ Und das einfach im Gegensatz zu denen, die rausgehen […] Das verbiete ich mir ein bisschen. Aber die Versuchung ist schon da.“ (Valeria, Z. 871 ff.)
 
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Aber zum Glück sind die Menschen ja alle ein Individuum und es gibt viele Faule darunter, die wahrscheinlich schon glücklich sind, den Klick gemacht zu haben. Aber es gibt bestimmt auch ganz viele andere, die sich freuen, wenn sie da ne Aktion in der Nähe sehen und können dann da auch hingehen und teilnehmen.“ (Mareike, Z. 1038 ff.)
 
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Also, vielleicht irgendwie in anderen Bereichen, aber ich glaube, im umweltpolitischen Bereich eigentlich nicht. Und im sozialpolitischen glaube ich eigentlich auch nicht.“ (Julia, Z. 821 f.)
 
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[…] weil sie halt eben auch einen Infostand machen wollten und so. Und das ist ja eigentlich ein Beispiel, wo es ja eher andersrum ist: Wo es dann halt quasi aus dem Online-Engagement dann hinterher zurückgeht, vor Ort.“ (Sarah, Z. 930 ff.)
 
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Also ich denke, dass da die Themen und Ereignisse das waren, was die Leute auf die Straße gebracht haben. Die nochmal so eine neue Welle gebracht haben. Ich denke nicht, dass es durch die Online-Dinge kam, aber ich denke auch, die haben da nicht geschadet. Also so aus dem Bauch heraus würde ich sagen, das hat so was Gleichwertiges – jedes hat so seine Qualität.“ (Sybille, Z. 688 ff.)
 
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[…] es ist immer noch besser, sie machen das als halt jetzt jemand, der gar nichts tut. Und wer weiß: Wenn dann doch mal ein Thema dabei ist, das sie berührt, vielleicht werden sie dann doch mal aktiv.“ (Sonja, Z. 781 ff.)
 
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Das hat so ein bisschen was von der Kirche im Mittelalter. Man hat was Gutes getan, das ist so ein bisschen die gute Tat für heute und damit kann man auch im Freundeskreis angeben, höre ich immer mal wieder. ‚Ich bin jetzt Mitglied beim WWF, ich gebe den jährlich 15 Euro‘ oder was.“ (Felix, Z. 971 ff.)
 
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Und diese Klicktivismus-Sache: Dass die Leute es zwar toll finden, aber eigentlich kein Interesse daran haben. Also, ja wir wollen die Welt retten – aber wie, das überlassen wir den Anderen. Das spricht doch Bände, dass man 350.000 Unterschriften für eine TTIP-Aktion bekommt und am Ende kommen 30 Leute. Das ist schade.“ (Felix, Z. 952 ff.)
 
Metadaten
Titel
Einstellungen zu Straßenprotest und Netzaktivismus
verfasst von
Lisa Villioth
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40532-8_7