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31-01-2022 | 5G | Schwerpunkt | Article

Warum die Industrie beim Einsatz von 5G zögert

Author: Thomas Siebel

5:30 min reading time

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Deutschland könnte bei 5G in der Industrie Technologieführer werden. Doch die Einführung in der Produktion ist schwierig. Eine Acatech-Publikation skizziert nun, wie in Unternehmen eine "5G-Lawine" ins Rollen kommen könnte.

Hängen Wohl und Wehe der deutschen Industrie von der 5G-Technologie ab? Laut Bitkom ist der Mobilfunkstandard jedenfalls unverzichtbar für den Wirtschaftsstandort Deutschland, wobei sich der Digitalverband auf eine Umfrage unter Industrieunternehmen aus dem Jahr 2019 stützt. Eine deutliche Mehrheit der Befragten stimmte dabei den Aussagen zu, dass 5G deutsche Unternehmen massiv produktiver machen könne und dass die Technologie entscheidend für die künftige internationale Wettbewerbsfähigkeit sei – nicht zuletzt aufgrund der neuen Möglichkeiten in Industrie 4.0 und Robotik. Allerdings gaben auch 55 % der Befragten an, dass eine 5G-Versorgung im eigenen Unternehmen noch kein Thema ist. Und dabei zeigte sich: Je kleiner das Unternehmen, desto weniger Bedeutung wird 5G beigemessen.

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Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik

5G als nächste Mobilfunkgeneration nach 4G/LTE Advanced wird nicht mehr nur für Telefonie und die klassischen Datendienste ausgelegt sein, wie es bei den bisherigen Mobilfunkstandards der Fall ist. Vielmehr ermöglicht der 5G-Standard den Aufbau von Netzen für die Kommunikation von Geräten, die über die heutigen Anwendungen mit Smartphones weit hinausgeht.

Die Leistungsdaten der Funktechnologie sprechen allerdings für sich: Auf einem Quadratkilometer können im 5G-Netz eine Million Geräte zuverlässig mit Bandbreiten von bis zu 20 GBit/s kommunizieren, und das mit Latenzzeiten von unter 1 ms. Im Kapitel Mit 5G zu neuen Potentialen in Produktion und Logistik setzen Jürgen Grotepass, Joseph Eichinger und Florian Voigtländer diese Leistungsfähigkeit ins Verhältnis zum bislang etablierten Mobilfunkstandard LTE-Advanced: 5G hat eine 30- bis 50-fach kürzere Signalverzögerung, ist um den Faktor 100 zuverlässiger und hat eine um den Faktor 16 höhere Datenrate. Dazu können auf der gleichen Fläche mehr als 100 Mal so viele Geräte verbunden werden.

Auch hinsichtlich der IT-Sicherheit ist 5G den bekannten Funktechnologien voraus. So lassen sich etwa einzelne Komponenten getrennt kryptographisch schützen, wodurch im Falle eines Cyberangriffs nicht das gesamte Netzwerk betroffen wäre.

Von kabelloser Steuerung bis zur Remote-Fabrik

Der Industrie winken durch 5G signifikante Fortschritte auf unterschiedlichen Feldern, etwa im Bereich der bildbasierten Prozessüberwachung, in der Vernetzung von Sensoren und Aktoren oder für Anwendungen in der latenzkritischen, kabellosen Steuerung von mobilen Maschinen. Bauteile, Werkzeuge und Transportsysteme lassen sich im 5G-Netz auch in überdachten Bereichen präzise lokalisieren, Robotersysteme in der variantenreichen Produktion in Echtzeit rekonfigurieren.

Neue Geschäftsmodelle könnten Einzug halten, insbesondere auf dem Feld der Remote-Dienstleistungen. Der Betrieb ganzer Produktionsanlagen oder Fabriken könnten als Dienstleistung angeboten werden. Kunden würden dann per Fernsteuerung übernehmen und die Produktion steuern und kontrollieren . 

Zuverlässig auch im industriellen Einsatz?

So überzeugend diese Zukunftsszenarien wirken, so hartnäckig sind jedoch auch die Vorbehalte gegenüber der 5G-Technologie. Dass diese nicht unbegründet sind, bestätigen auch die Professoren Jürgen Fleischer, Albert Albers, Reiner Anderl und Jan Aurich in einer Publikation der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (Acatech). Neben der hohen Marktkonzentration auf Seiten der Hardwarehersteller – Huawei, Ericsson und Nokia haben zusammen einen Marktanteil von über 75 % –, deren Geräte untereinander üblicherweise nicht interoperieren können, bremsen offene Fragen hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Technologie, der Regulierung und Standardisierung sowie der Mitarbeiterqualifikation den breiteren Einsatz von 5G in der Industrie.

Im 5G-Netz sollen zwar maximal nur 0,0001 % der verschickten Datenpakete verloren gehen. Ob diese angestrebte Zuverlässigkeit aber auch tatsächlich unter fabriktypischen Bedingungen mit beweglichen Maschinen, Fördermitteln und Werkstücken, und somit stetig variierenden Funkverhältnissen, erreicht wird, muss noch bewiesen werden. Zudem stellt sich die Frage, wer für Produktionsausfälle haftet, wenn das 5G-Netz einmal ausfällt. Die Dimension dieser Haftungsfragen erschließt sich, wenn man bedenkt, dass künftig auch Kernfunktionen einer Produktion von einem störungsfreien Betrieb des 5G-Netzes abhängen.  

5G-Lösungen nur bedingt in anderen Ländern einsetzbar

Problematisch ist auch die international ungleiche Handhabung von 5G-Netzen. So können sich Firmen in Deutschland lokale Funkspektren für firmeneigene Campusnetzwerke zuteilen lassen, in vielen anderen Ländern besteht diese Möglichkeit nicht. Damit wären in Deutschland entwickelte 5G-basierte Automatisierungslösungen nicht ohne Weiteres in ausländischen Werken nutzbar. Zudem fehlt es bislang an standardisierten Zertifizierungsverfahren, weswegen die Zulassung von 5G-fähigen Technologien bisweilen kostspielig ist und sich oft erst ab fünfstelligen Stückzahlen rentiert.

Eine weitere Hürde bilden die Qualifizierung von Personal und erforderliche Anpassungen der Betriebsorganisation. Der Betrieb der Mobilfunktechnologie 5G ist im Vergleich zur Computernetzwerktechnologie WLAN deutlich aufwendiger. Fachkundige eigene Mitarbeiter sind für den Betrieb nötig, alternativ auch Servicedienstleister, wobei der Markt hierfür bislang noch nicht hinreichend in Schwung gekommen ist.

Digitale Souveränität in Deutschland bedroht

Über allem stehen letztlich die sehr hohen Kosten, die mit dem Einstieg in die 5G-Technologie verbunden sind: für die Hardware, für die Inbetriebnahme, für den Betrieb firmeneigener Campusnetzwerke, für Zertifizierungen und Qualifizierung.

Trotz der Herausforderungen drängen Fleischer, Albers, Anderl und Aurich jedoch auf eine zügige Implementierung von 5G in der Industrie. Dabei haben die Professoren nicht nur den individuellen Vorteil für die Unternehmen im Blick, vielmehr sehen sie die deutsche Industrie als Ganze an einer kritischen Schwelle: "Eine schleppende Einführung von 5G birgt das Risiko, dass Unternehmen bei der Digitalisierung abgehängt werden und international an Wettbewerbsfähigkeit verlieren." Dadurch sei die digitale Souveränität des gesamten Wirtschaftsstandorts Deutschland bedroht.

Selbstverstärkendes System zur Etablierung von 5G

Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen sollten deswegen bei der Einführung von 5G unterstützt werden. Dafür schlagen die Professoren ein zweistufiges Vorgehen vor: Im Rahmen eines Vertiefungsprojekts sollte zunächst ein Werkzeugkasten erarbeitet werden, mit dem Unternehmen ihren individuellen Status quo hinsichtlich 5G einschätzen können. Daraus könnten sie dann konkrete, individuelle 5G-Leuchtturmprojekte mitsamt detaillierter Kosten-Nutzen-Abschätzung ableiten. Die Leuchtturmprojekte sollten finanziell unterstützt und wissenschaftlich begleitet werden, wobei die folgenden Fragen zu untersuchen seien:

  • Werden die Leistungsparameter der 5G-Technologie auch unter realen Bedingungen im industriellen Alltag eingehalten?
  • Welche neuen Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsszenarien ergeben sich im Zusammenspiel von Infrastrukturanbietern, Serviceanbietern und Anwendern?
  • Wie muss die Arbeit neu organisiert und wie können Mitarbeiter qualifiziert werden?
  • Welche Anforderungen bestehen hinsichtlich des Ausbaus des kabelgebundenen Breitbandinternets sowie des öffentlichen 5G-Netzes?
  • Welche Rahmenbedingungen hinsichtlich Haftung und Datensouveränität muss die Politik setzen?

Wichtig ist den Professoren dabei, dass die Umsetzung der Leuchtturmprojekte aus den Unternehmen heraus angetrieben wird. Dies entfalte eine Sogwirkung auf andere Unternehmen, sobald die Vorteile von 5G einmal in der industriellen Praxis sichtbar würden. Ein sich selbst verstärkendes System zur Implementierung könne dadurch in der deutschen Industrie entstehen. Oder, wie Fleischer, Albers, Anderl und Aurich es auf den Punkt bringen: "Ziel ist es, damit eine 5G-Lawine loszutreten."

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