1 Einleitung
In den vergangenen Jahren ist auf kommunaler Ebene in Europa eine zunehmende „Rekommunalisierung“ vormals privatisierter Dienstleistungen zu beobachten. Dies betrifft Bereiche, die als zentrale Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge gelten: Wasser, Mobilität, Energie und Entsorgung. Die Rückführung privatisierter Tätigkeitsbereiche in kommunale Unternehmen sichert existenzielle Einrichtungen der täglichen Versorgung und dient gleichzeitig als Hebelpunkt nachhaltiger Kommunalentwicklung (Libbe et al.
2011; Schwarting
2021; Röber
2018; Bauer
2012). Unter dem Gesichtspunkt lokaler Resilienz erscheint es nicht in allen Bereichen sinnvoll, grundlegende Aufgaben der täglichen Daseinsvorsorge liberalisierten und damit ausschließlich gewinnorientierten, räumlich übergeordneten Marktstrukturen der Privatwirtschaft zu überlassen (Tillack und Hornbostel
2023). Die Reintegration von Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge in den Verantwortungsbereich der Kommunen kann als eine gemeinwohlorientierte Form der sozialen Marktwirtschaft betrachtet werden, die die Resilienz lokaler Ver- und Entsorgungsstrukturen stärkt (Kopatz
2021). Der Bereich Ernährung wird hierbei bisher kaum berücksichtigt. Er sollte jedoch gerade aufgrund der klimawandelbedingten Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation sowie weiterer globaler Krisen fester Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge werden (Schanz und Sipple
2023).
Durch den Betrieb kommunaler Unternehmen im Ernährungsbereich kann eine Kommune Versorgungsstrukturen in existenziell notwendigen Bereichen sicherstellen, die von privatwirtschaftlichen Akteur*innen oder in Krisenzeiten nur unzureichend bedient werden. Gleichzeitig lässt sich so die lokale Resilienz als auch die nachhaltige Entwicklung des Ernährungssystems vor Ort stärken. So zeigt sich gerade im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung, dass vermehrt Catering-Betriebe fehlen, die Kindertagesstätten und Schulen mit Mittagessen versorgen, das den DGE-Richtlinien für eine gesunde und nachhaltige Ernährung (DEG
2022a) entspricht (Waskow und Niepagenkemper
2020; Jansen et al.
2020; Jansen
2019). Übernimmt eine Kommune diese Aufgabe über ein kommunales Unternehmen, kann sie eine gesunde und vollwertige Ernährung in diesen Einrichtungen sicherstellen und muss dies nicht über personal- und zeitintensive Ausschreibungsverfahren einfordern. Dies erleichtert zugleich die Beschaffung regionaler Produkte, da sich Ausschreibungsverfahrens vereinfachen bzw. teilweise entfallen, wovon letztlich die Unternehmen der lokalen Ernährungswirtschaft als potenzielle Lieferanten profitieren können (Sipple und Wiek
2023).
Der ab dem Jahr 2026 geltende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder unterstreicht die Notwendigkeit der Entwicklung von Geschäftsmodellen kommunaler Unternehmen in der Ernährungswirtschaft zusätzlich, insbesondere im Bereich der Außer-Haus-Verpflegung. Demnach soll ab 2026 schrittweise ein allgemeiner Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder eingeführt werden, die neben pädagogischen Angeboten auch ein Mittagessen umfassen muss (BMFSFJ
2021a,
b,
c). Damit ergibt sich für die Kommunen ein neues Anforderungsprofil hinsichtlich ihrer Verantwortung für die Sicherstellung der Schulverpflegung an Schulen in kommunaler Trägerschaft. Gerade vor diesem Hintergrund sollten sich die Kommunen nun relativ rasch mit einer zukünftig steigenden Nachfrage nach Schulverpflegung auseinandersetzen. Dies liegt auch daran, dass die strengeren Betreuungsanforderungen für Grundschulkinder ein Mittagessen nur im schulischen Kontext zulassen, da Grundschulkinder das Schulgelände nicht unbeaufsichtigt verlassen dürfen. Die anstehende Gesetzesänderung führt letztlich dazu, dass Kommunen in naher Zukunft darüber nachdenken müssen, wie ein adäquates Angebot der Schulverpflegung in Zukunft aussehen soll. Hier gilt es auch zu prüfen, ob dies auch in Eigenregie produziert werden kann, z. B. durch die Gründung eines kommunalen Unternehmens der Außer-Haus-Verpflegung. Anknüpfend enthält der vorliegende Beitrag die Konzeptionierung eines Geschäftsmodell für ein kommunales Unternehmen der Ernährungswirtschaft mit den Handlungs- bzw. Geschäftsfeldern
Gemeinschaftsverpflegung, Fachkräfteförderung und
Ernährungsbildung. Dieses bietet aus Sicht der Autoren die Möglichkeit, nachhaltige Ernährung ernsthaft und langfristig in die kommunale Wirtschafts- und Bildungspolitik zu integrieren und hier zu verstetigen. In der Wahl der Handlungs- bzw. Geschäftsfelder baut dies auf die Ergebnisse einer systemischen Modellierung lokaler Ernährungssysteme auf (Sipple und Schanz
2023).
In der dänischen Hauptstadt Kopenhagen wurde bereits 2007 das „House of Food“ gegründet. Dieses befasst sich mit ähnlichen Handlungsfeldern wie das hier konzipierte kommunale Unternehmen der Ernährungswirtschaft. Auch das „House of Food“ in Kopenhagen adressiert die Handlungsfelder
Gemeinschaftsverpflegung, Fachkräfteförderung und
Ernährungsbildung sowie die Verfolgung spezifischer Nachhaltigkeitskriterien. Die Arbeit des „House of Food“ im Bereich der Konzeptentwicklung und Beratung hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Anteil an Bio-Lebensmitteln in rund 900 öffentlichen Kantinen in Kopenhagen schrittweise auf bis zu 90 % erhöht werden konnte. Zu diesen Einrichtungen zählen Kindertagesstätten, Pflegeheime und Krankenhäuser. Diese Umstellung erfolgte auf der Grundlage der bestehenden Budgets, was bedeutete, dass die Küchen den Einkauf, die Planung und die Zubereitung der Mahlzeiten grundlegend umstellen mussten bzw. müssen (KBH Madhus
2023). Zentrale Ziele sind dabei die Reduktion von CO
2-Emissionen, der Schutz des Grundwassers durch einen geringeren Pestizideinsatz, die Förderung der Ernährungsbildung von Kindern und Jugendlichen sowie die Förderung eines nachhaltigeren und gesünderen Lebensmittelkonsums insgesamt (Smith et al.
2016). Diese Ziele und die damit verbundene deutliche Steigerung des Bio-Anteils wurden durch Beratungsangebote für die Gastronomiebetriebe sowie durch Weiterbildungsangebote für deren Personal verfolgt. Ferner wurden Formate der Ernährungsbildung für Schulen und für die Zivilgesellschaft entwickelt und angeboten. Einige Schulen wurden zudem dabei unterstützt, ihre Schüler*innen selbst in die Produktion der Schulverpflegung einzubinden und dies fest in den Lehrplan zu integrieren (Hansen et al.
2020). Die erfolgreiche Verbesserung der Qualität öffentlicher Mahlzeiten, in Kombination mit der Erhöhung des Bio-Anteils dieser Mahlzeiten auf 90 %, wird mittlerweile als sog. „Kopenhagener Modell“ bezeichnet (KBH Madhus
2023). Als gemeinnützige private Stiftung steht das „House of Food“ jedoch auch im Wettbewerb mit anderen privaten Beratungs- und Weiterbildungsanbietern. Dies führt zu wirtschaftlichen Herausforderungen, wie z. B. Ausschreibungsverfahren und gefährdet den Fortbestand einer so erfolgreichen und international anerkannten Einrichtung (Süddeutsche Zeitung
2021). Daraus ergibt sich der Anlass, dass sich ähnliche Geschäftsmodelle zwar inhaltlich am „Kopenhagener Modell“ orientieren, in ihrer Rechtsform jedoch beispielsweise als kommunales Unternehmen entwickelt werden. So sind sie weniger dem Wettbewerb in Ausschreibungsverfahren ausgesetzt, was ein Vorteil für ihre langfristige Verstetigung sein kann. Darüber lassen sich auch inhaltlich weitere Hebel bzw. Instrumente zur Stärkung einer nachhaltigen Ernährungswirtschaft adressieren, die über das „Kopenhagener Modell“ hinausgehen (Sipple und Schanz
2023; Wiek et al.
2023; Sipple und Wiek
2023).
Aufbauend auf den beschriebenen Herausforderungen werden in diesem Beitrag die konzeptionellen Grundlagen eines Geschäftsmodells für kommunale Unternehmen der Ernährungswirtschaft entwickelt. Dieses trägt den Titel
Kommunale Ernährungsmeisterei und wird für den Kontext einer Kommune in Deutschland skizziert. Die adressierten Handlungsfelder knüpfen an identifizierte Hebelpunkte der Kommunalverwaltung und -politik zur Stärkung der nachhaltigen Entwicklung von Ernährungssystemen an, konkret die kommunale Wirtschafts- und Bildungspolitik (Sipple und Schanz
2023). Wir haben hierfür ein „Business Model Canvas“ entwickelt, welcher das Geschäftsmodell einer
Kommunalen Ernährungsmeisterei systematisiert. Wir beginnen mit einer Einführung in die theoretischen Grundlagen der Geschäftsmodellentwicklung, stellen anschließend Hintegrund und Handlungsfelder sowie das Geschäftsmodell insgesamt vor und schließen mit einem Ausblick.
2 Theoretische Grundlagen der Entwicklung von Geschäftsmodellen
Jedes Unternehmen basiert auf einem Geschäftsmodell, welches deren grundlegende Funktionsweise beschreibt (Casadesus-Masanell und Ricart
2011), d. h. welche Werte das Unternehmen für welche Konsument*innengruppen liefert, wie diese Werte geschaffen werden und wie die Kosten- und Erlösstrukturen des Unternehmens aufgebaut sind (Teece
2010). Nach Doganova und Eyquem-Renault (
2009) lässt sich die Literatur zu Geschäftsmodellen in drei grundlegende Ansätze unterteilen: 1) Der
essentialistische Ansatz, 2) der
funktionalistische Ansatz und 3) der
pragmatische Ansatz:
-
Der
essentialistische Ansatz unterscheidet Unternehmen hinsichtlich ihrer Funktionsweise (Doganova und Eyquem-Renault
2009), anhand entsprechender Attribute (Curtis
2021; Lüdeke‐Freund et al.
2019; Donner und Vries
2021). Das Problem ist, dass die Kategorien grob sein müssen, da jedes Unternehmen im Detail anders funktioniert. Dieser Ansatz hat den Nachteil, dass jedes Attribut des Unternehmens genau beschrieben werden muss. Der Ansatz eignet sich daher weniger für Unternehmen, die sich noch in der Entwicklungsphase befinden.
-
Beim
funktionalistischen Ansatz werden Geschäftsmodelle als Planungsinstrument begriffen (Doganova und Eyquem-Renault
2009; Li
2020; Wirtz
2020). Da jeder Unternehmer nur über begrenzte Informationen verfügen kann, müssen dabei viele Informationen interpretiert und Wissenslücken durch Annahmen geschlossen werden. Dies führt in der Praxis dazu, dass der Businessplan während der Umsetzung relativ schnell verändert wird. Zudem basieren Prognosen auf Vergangenheitsdaten und Vergleichszahlen, die bei innovativen Gründungsvorhaben nicht zur Verfügung stehen (Kunze und Offermanns
2016).
-
Die
pragmatische Perspektive betrachtet Geschäftsmodelle als kohärente Erzählungen darüber, wie ein Unternehmen funktioniert (Doganova und Eyquem-Renault
2009). Ein Geschäftsmodell beschreibt die Theorie eines Unternehmens und reduziert die Komplexität der Realität so weit, dass die Erzählung im Alltag bei der Entscheidungsfindung hilfreich ist (Massa et al.
2017).
Wir orientieren uns bei der konzeptionellen Entwicklung des Geschäftsmodells am
pragmatischen Ansatz. Wir entwickeln einen „Plot“, wie das Unternehmen mit seinen Stakeholdern die Aufgabe erfüllt, durch unternehmerische Aktivitäten Werte für seine Zielgruppen zu schaffen (Haggège und Vernay
2020). Der Plot beginnt mit der aktuellen Situation, in der eine Herausforderung beschrieben wird, die einer unternehmerischen Lösung bedarf (siehe Teil 5.3 des vorliegenden Beitrags). Dann wird das Unternehmen als Lösung beschrieben, nämlich wie ein Produkt oder eine Dienstleistung die Situation verändert und warum Kund*innen bereit sind, für die Lösung langfristig Geld zu bezahlen (Magretta
2002). Der Plot entfaltet seine Kraft insbesondere dann, wenn es kontextuelle Bezüge zu Herausforderungen und Diskussionen herstellt, die der jeweiligen Zielgruppe bekannt sind (siehe Teile 5.3.1 bis 5.3.3 des vorliegenden Beitrags) (van Werven et al.
2019). Es kann daher sinnvoll sein, für verschiedene Zielgruppen unterschiedliche Nuancen der Erzählung vorzubereiten. Im besten Fall zirkuliert die Erzählung anschließend im sich bildenden Netzwerk aus Unterstützer*innen und Kund*innen. Dabei können die verschiedenen Mitglieder des Netzwerks unterschiedliche Ressourcen einbringen, sei es finanzieller oder ideeller Art. Wenn genügend Legitimität bei potenziellen Stakeholdern gesammelt ist, kann das Unternehmen Realität werden (Bartel und Garud
2009; Bocken und Snihur
2020). Die Erzählung muss so greifbar sein, dass es anderen Akteur*innen wie Kund*innen sowie öffentlichen Träger- und Geschäftspartner*innen möglich ist, in die Erzählung einzusteigen und sie weiterzuentwickeln. Das Modell kann in seiner Funktionsweise laufend an neue Informationen und Erfahrungen angepasst werden (Blank und Dorf
2017).
Um die Erzählung über die Funktionen eines Unternehmens zu strukturieren, wurden bereits zahlreiche Hilfsmittel entwickelt. Der „Business Model Canvas“ von Osterwalder und Pigneur (
2011) ist eines der populärsten und anwendungsfreundlichsten Tools und wird daher in Wissenschaft und Praxis breit eingesetzt (Haggège und Vernay
2020; Ritter und Schanz
2019). Er wird meist in drei Elemente unterteilt (Richardson
2008; Bocken et al.
2014): Wertversprechen
(value proposition), Wertschöpfung (
value creation and -
delivery) und Wertbindung
(value capture).-
Zunächst wird unter value proposition (Wertversprechen) erklärt, welche Kund*innengruppen mit welchem Angebot angesprochen werden sollen. Hierbei geht es darum, in wenigen Worten zu erklären, warum die Kund*innen ihre Produkte bei diesem und nicht bei einem anderen Unternehmen kaufen. Das Produkt oder die Dienstleistung muss das Unternehmen nicht einzigartig machen, es kann sich auch um einen Vorteil handeln, wie z. B. das einzige Unternehmen zu sein, das diese Dienstleistung vor Ort anbietet, oder günstiger zu sein als andere Unternehmen.
-
Value creation and -delivery (Wertschöpfung) beschreiben, wie das Angebot tatsächlich erstellt wird. Welches Personal und welche Maschinen eingesetzt werden und welche Partnerschaften eingegangen werden müssen, um erfolgreich zu sein. Ferner wird erläutert wie das Produkt oder die Dienstleistung zu Kund*innen ausgeliefert wird und ob Folgeleistungen angeboten werden.
-
Value capture (Wertbindung) beschreibt das Verhältnis zwischen den Kosten für die Erstellung von Gütern und Dienstleistungen und den Erlösströmen des Unternehmens und damit die Höhe der erwarteten Erlösbindung.
Alle drei Säulen des Geschäftsmodells müssen ineinandergreifen und eine logisch konsistente Erzählung ergeben. Im Zuge der Erstellung eines konzeptionellen Geschäftsmodells für eine Kommunale Ernährungsmeisterei haben die Autoren dies auf den folgenden Seiten beispielhaft umgesetzt. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass es sich bei der Zielgruppe des Geschäftsmodells zunächst nicht um klassische Investor*innen handelt, die Kapital zur Gründung des Unternehmens investieren. Vielmehr richtet sich das entwickelte Geschäftsmodell beispielhaft an die Entscheidungsträger*innen in Kommunalpolitik und -verwaltung. Es soll diese von einer politischen, ideellen und finanziellen Unterstützung und schließlich von der Gründung eines gemeinwohlorientierten kommunalen Unternehmens der Ernährungswirtschaft in Form einer Kommunalen Ernährungsmeisterei überzeugen.
3 Die Kommunale Ernährungsmeisterei: Hintergrund und Handlungsfelder
Als grundlegender Teil des Plots bzw. der Storyline des Geschäftsmodells der
Kommunalen Ernährungsmeisterei wird hier zunächst auf deren Zielsetzung und Namensgebung sowie die dahinterstehenden Überlegungen eingegangen. Unter einer
Kommunalen Ernährungsmeisterei verstehen die Autoren dieses Beitrags ein kommunales Unternehmen zur langfristigen Stärkung eines nachhaltigen Ernährungssystems vor Ort. Der Begriff „Meisterei“ wurde bewusst gewählt, da dieser im Sprachgebrauch traditionell für einen Betrieb steht, der für die Wartung und Instandhaltung öffentlicher Infrastruktur und/oder Versorgungseinrichtungen zuständig ist, wie z. B. Straßenmeistereien. Ähnlich wie Straßenmeistereien für die Instandhaltung und Sicherheit von Straßen zuständig sind, sorgt eine
Kommunale Ernährungsmeisterei für die Verfügbarkeit und Qualität von Lebensmitteln im Zuständigkeitsbereich einer Kommune. Der Begriff „Meisterei“ suggeriert in diesem Zusammenhang eine gewisse Fachkompetenz und Erfahrung. So wie die Mitarbeiter*innen einer Straßenmeisterei über das nötige Fachwissen im Straßenbau verfügen, soll eine
Kommunale Ernährungsmeisterei die nötigen Fachkompetenzen bündeln, um eine resiliente und nachhaltige Lebensmittelversorgung zu organisieren, zu koordinieren und zu gewährleisten sowie dieses Wissen zu multiplizieren. Die Schlüsselaktivitäten und somit Handlungsfelder einer
Kommunalen Ernährungsmeisterei sollen demnach folgende sein: die Produktion von Mahlzeiten der
Gemeinschaftsverpflegung, die Schaffung niederschwelliger Angebote der nachhaltigen
Ernährungsbildung sowie die nachhaltigkeitsbezogene
Fachkräfteförderung im Bereich der lokalen Ernährungswirtschaft. Wie kommunale Unternehmen generell, soll eine kommunale Ernährungsmeisterei das Ziel verfolgen, resiliente, soziale, ökologische und wirtschaftliche Strukturen und Versorgungsleistungen zu schaffen. Dies soll auch die kommunale Daseinsvorsorge vor Ort stärken (Schanz und Sipple
2023; VKU
2017a,
b).
Im Folgenden werden die Handlungsfelder einer
Kommunalen Ernährungsmeisterei als kommunales Unternehmen näher vorgestellt:
Gemeinschaftsverpflegung, Ernährungsbildung und
Fachkräfteförderung. Die Ausrichtung dieser Handlungsfelder basiert auf den Ergebnissen der Modellierung lokaler Ernährungssysteme. So adressieren die drei Handlungsfelder die von Sipple und Schanz (
2023) identifizierten Hebelpunkte der nachhaltigen Gestaltung lokaler Ernährungssysteme:
Fokus kommunaler Bildungspolitik auf nachhaltige Ernährung sowie
Fokus kommunaler Wirtschaftspolitik auf nachhaltige Ernährung. Durch die Gründung eines kommunalen Unternehmens in Form einer
Kommunalen Ernährungsmeisterei können diese Hebelpunkte auf lokaler Ebene umfänglich und langfristig angesteuert werden. Im Folgenden werden die Handlungsfelder näher begründet und erläutert, bevor sie in ein konzeptionelles Geschäftsmodell überführt werden.
3.1 Handlungsfeld Gemeinschaftsverpflegung
Die Herstellung von Mahlzeiten für die Gemeinschaftsverpflegung nach Nachhaltigkeitskriterien in einer eigens dafür geschaffenen Großküche soll den zentralen Tätigkeitsbereich der
Kommunalen Ernährungsmeisterei darstellen. Diese Mahlzeiten sollen primär der Versorgung der Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft dienen, wie Kindertagesstätten, Schulen, Pflegeeinrichtungen und Betriebskantinen. Darüber hinaus soll eine Öffnung der Mensen bzw. Kantinen für die Stadtgesellschaft in Form eines sog. „kommunalen Mittagstisch“ die Essenszahlen und damit die Wirtschaftlichkeit der geplanten Großküche erhöhen. Eine Öffnung des Angebotes bietet zudem große Potenziale im Bereich des intergenerationellen Austauschs sowie der sozialen Integration marginalisierter Gruppen (Senior*innen etc.) und wirkt deren Vereinsamung entgegen (Hennchen und Pregernig
2020). Darüber hinaus ergeben sich Potenziale im Bereich der umwelt- sowie kostenbezogenen Ressourceneffizienz, da statt separater Einrichtungen eine gemeinsame Infrastruktur genutzt wird.
Über die Produktion von Mahlzeiten der Gemeinschaftsverpflegung im kommunalen Unternehmen kann die Kommune einen bedeutenden Beitrag zu nachhaltigen Ernährungssystemen und somit auch zum Klimaschutz leisten (Tecklenburg et al.
2019). Zentrales Ziel sollte dabei sein, die Einhaltung der DGE-Richtlinien zu garantieren sowie den Anteil der verwendeten Produkte mit bio-regionaler und fair-gehandelter Herkunft an den Mahlzeiten der Schulverpflegung deutlich zu erhöhen (DEG
2022a,
b; Fülles et al.
2017). Herkömmliche Ausschreibungsverfahren der Gemeinschaftsverpflegung (u. a. Schulverpflegung), welche vermehrt auch unter Einbezug von Nachhaltigkeitskriterien erfolgen (Tecklenburg et al.
2019; Bödeker
2011; Waskow und Niepagenkemper
2020; Erhart und Neuthard
2021), werden immer häufiger von einem zunehmenden Mangel an regionalen Catering-Unternehmen „ausgebremst“. So gibt es in vielen Regionen in Deutschland immer weniger Betriebe, welche bereit und fähig sind Aufträge der Gemeinschaftsverpflegung nach spezifischen Gesundheits- und Nachhaltigkeitskriterien zu übernehmen (Jansen
2019; Jansen et al.
2020). Darüber hinaus ist bei der Implementierung von Nachhaltigkeitskriterien in Ausschreibungsverfahren der Gemeinschaftsverpflegung zu beachten, dass eine sachlich nicht gerechtfertigte Bevorzugung lokaler/regionaler Lebensmittel laut EU-Ausschreibungsrecht gegen das sog. „Diskriminierungsverbot“ (§ 97 Abs. 2 GWB n.F.) verstoßen kann. Kriterien für die verpflichtende Verwendung regionaler Lebensmittel oder die Einbindung lokaler Anbieter müssen stets sachlich begründbar sein (Erhart und Neuthard
2021; Fülles et al.
2017). Andernfalls kann es zu Klagen anderer Catering-Betriebe kommen, die über die Kriterien vom Verfahren ausgeschlossen wurden (Preußer
2018). Für eine Produktion der Schulverpflegung im kommunalen Unternehmen einer
Kommunalen Ernährungsmeisterei sprechen daher u. a. folgende Argumente:
-
Mangel an regionalen Catering-Unternehmen (Jansen et al.
2020; Jansen
2019);
-
Unsicherheiten bzgl. Nachhaltigkeitskriterien in Ausschreibungsverfahren mit externen Catering-Betrieben (Fülles et al.
2017; Erhart und Neuthard
2021; Preußer
2018);
-
Frische, vor Ort zubereitete Mahlzeiten sind nährstoff- und vitaminreicher (DEG
2022b).
Ein weiterer, eher perspektivischer Grund, der für die Übernahme der Herstellung von Gemeinschaftsverpflegung durch ein kommunales Unternehmen spricht, ist die Einführung des flächendeckenden Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen bis zum Jahr 2026 in Deutschland. Hiermit geht auch das Recht auf ein Mittagessen einher (BMFSFJ
2021a,
b,
c). Dies lässt erwarten, dass die Nachfrage nach Schulverpflegung im Primarbereich in Deutschland in den nächsten Jahren deutlich steigen wird. Gerade an Grundschulen kann im Verhältnis zur Sekundarstufe aufgrund des geringeren Alters der Schüler*innen (i. d. R. sechs bis elf Jahre) und diesbezüglicher vorhandener Betreuungspflichten davon ausgegangen werden, dass Angebote der Schulverpflegung vor Ort an der Schule deutlich stärker angenommen werden (müssen), als beispielsweise in der Sekundarstufe (Schütz und Täubig
2020; Schütz
2016). Dies zeigt das Beispiel des seit 2020 gesetzlich verankerten Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige, was bis 2020 zu einer Verdreifachung der Mahlzeiten in Kindertagesstätten geführt hat (Pfefferle et al.
2021).
3.2 Handlungsfeld Ernährungsbildung
Kommunale Verwaltung und Politik haben eine relativ kurze Distanz zu den Lebensumständen und Gewohnheiten der lokalen Bevölkerung. Die kommunale Ebene ist daher besonders geeignet, um Wissen zu Nachhaltigkeitsthemen zu vermitteln und darauf aufbauend Gewohnheiten zu verändern bzw. zu festigen (Kirst et al.
2019). Hierbei erscheint es logisch und hilfreich, den bisherigen Schwerpunkt kommunaler Ernährungsbildung auf gesunde Ernährung mit dem Themenfeld der nachhaltigen Ernährung zu verknüpfen (Schanz et al.
2020). Ziel des Handlungsfelds
Ernährungsbildung muss dabei sein, Konsument*innen über die Vermittlung von praktischem Wissen und konkreter Wertschätzung zu nachhaltigeren und gesünderen Ernährungsgewohnheiten anzuregen (Hennchen und Pregernig
2020). Auf kommunaler Ebene können hierfür z. B. Koch- und Backkurse, spezifische Vortragsprogramme und/oder Exkursionen in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule, den Stadtbibliotheken und/oder zivilgesellschaftlichen Initiativen (etc.) angeboten werden. Eine
Kommunale Ernährungsmeisterei sollte diesbezüglich als zentraler, niederschwelliger Bildungs- und Vernetzungsort einer Stadt fungieren. Über eine Kooperationen mit lokalen Unternehmen kann zudem eine Integration solcher Angebote in betriebliche Bildungsprogramme angestrebt werden, z. B. im Bereich Gesundheit und Nachhaltigkeit. Hier ergeben sich Synergien: die im Handlungsfeld
Fachkräfteförderung vorgeschlagenen nachhaltigkeitsbezogenen Weiterbildungsangebote lassen sich mit den Angeboten der
Ernährungsbildung kombinieren (Nölle
2016).
Eine Verknüpfung der
Ernährungsbildung mit Angeboten der
Gemeinschaftsverpflegung sollte in jedem Fall erfolgen (sog. „begleitende Ernährungsbildung“). Dabei lassen sich Verpflegungskonzepte, Bildung und Betreuung kombinieren (DEG
2022a,
b). Über ein geschultes Betreuungs- und Küchenpersonal kann so die Verbreitung gesunder und nachhaltiger Ernährungsgewohnheiten vor Ort gestärkt werden (Hennchen
2019,
2021; Schanz et al.
2020).
3.3 Handlungsfeld Fachkräfteförderung
Viele Betriebe der lokalen Ernährungswirtschaft sind von einem starken Fachkräftemangel betroffen. Neben den Betrieben des Lebensmittelhandwerks betrifft dies besonders die Gastronomie und somit auch den Bereich der Gemeinschaftsverpflegung (Hickmann et al.
2021; DEHOGA
2019; Sipple und Schanz
2021). Diese Situation hat sich durch die vorübergehende Schließung von Gastronomiebetrieben während der COVID-19-Pandemie weiter verschärft (Janson
2022). Eine erfolgreiche Entwicklung von Ernährungssystemen in Richtung Nachhaltigkeit kann jedoch nur mit entsprechend qualifizierten Fachkräften, Betriebsnachfolger*innen sowie Neugründer*innen gelingen. Der in Deutschland vorherrschende Fachkräftemangel bedroht auch über den Ernährungsbereich hinaus die Erreichung zentraler Nachhaltigkeitsziele (Grunau et al.
2020). Über das Handlungsfeld
Fachkräfteförderung soll sich die
kommunale Ernährungsmeisterei als nachhaltigkeitsorientiere Aus- und Weiterbildungseinrichtung etablieren. Ziel ist es, dem Fachkräftemangel im Bereich Hauswirtschaft und Gastronomie entgegenzuwirken und gleichzeitig kommunale Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen.
Mit einer Schwerpunktsetzung auf Nachhaltigkeits- und Gesundheitsthemen ist es möglich innovative Weiterbildungsformate in der Außer-Haus-Verpflegung und Gastronomie anzubieten. Solche nachhaltigkeitsbezogenen Aus- und Weiterbildungsformate im KMU-Bereich (KMUs = kleine und mittlere Unternehmen) besitzen großes Transformationspotenzial und werden entsprechend nachgefragt, derzeit aber noch kaum angeboten (Göbel et al.
2017; Nölle
2016; Schröder et al.
2022; Redman und Wiek
2021; Ansmann et al.
2023). Mit der Schaffung dieser Angebote kann die Fähigkeit zur Entwicklung und Adaption nachhaltiger Geschäftspraktiken bei Beschäftigten langfristig aufgebaut und Nachhaltigkeit in der lokalen Ernährungswirtschaft entscheidend gestärkt werden. Im Bereich der Aus- und Weiterbildungsangebote ist zudem die Nähe zu den Schulen von großem Vorteil. Schüler*innen können aktiv in die Küche der
Ernährungsmeisterei und die dortige Produktion der Mahlzeiten eingebunden werden und einen ersten Einblick in das Berufsfeld der Gastronomie erhalten (Hein
2019; Hassel
2019).
Auf kommunaler Ebene zeigt die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre einen Rückgang gastronomischer Betriebe (sog. „Gasthöfesterben“) bei gleichzeitiger Zunahme von Einrichtungen der Außer-Haus-Verpflegung (wie Kantinen, Mensen, etc.) (Schanz et al.
2020). Der Rückgang gastronomischer Betriebe geht dabei maßgeblich auf den Fachkräftemangel zurück (Küblböck und Standar
2016; Steinmeier und Kastrup
2022). Beide Entwicklungen unterstreichen die Notwendigkeit von Maßnahmen der
Fachkräfteförderung in diesem Bereich. Der Betrieberückgang im Bereich der Gastronomie hat zusätzlich negative Auswirkungen auf die sozio-ökonomische Entwicklung von Innenstädten und Stadtteilen (Franz
2020). Doch auch die Zahl an Catering-Betrieben und Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung sollte durch den Fachkräftemangel nicht noch weiter beeinträchtigt werden: Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung gelten sowohl im Bildungsbereich (Vereinbarkeit von Familie und Beruf) sowie bezüglich der Betriebsverpflegung in ortsansässigen Unternehmen (Mitarbeiter*innen-Akquise und -Bindung) als allgemein wichtiger branchenübergreifender Standortfaktor (Jäger
2016; Sass
2019). Fachkräfte in der Außer-Haus-Verpflegung sind zudem ein wichtiger Faktor für die Tourismuswirtschaft (Wagner
2015). Eine
Kommunale Ernährungsmeisterei mit dem Handlungsfeld der
Fachkräfteförderung dient somit querschnittorientiert mehreren zentralen Zielen der kommunalen Wirtschaftsförderung.
4 Konzeption des Geschäftsmodells der Kommunalen Ernährungsmeisterei
Im Folgenden wird auf die konkrete Ausgestaltung des Geschäftsmodells einer
kommunalen Ernährungsmeisterei eingegangen. Hierbei wird auf die zuvor dargestellten Handlungsfelder Bezug genommen. Das Geschäftsmodell baut auf die drei Elemente des sog. „Business Model Canvas“ nach Richardson (
2008) und Bocken et al. (
2014) auf (s. Tab.
1): Wertversprechen
(value proposition), Wertschöpfung (
value creation and -
delivery) und Wertbindung
(value capture). Das Beispiel der Stadt Darmstadt, die über ihren Eigenbetrieb für kommunale Aufgaben und Dienstleistungen (EAD) die tägliche Gemeinschaftsverpflegung für mehrere Bildungseinrichtungen im Stadtgebiet produziert und liefert, bot hier eine grundsätzliche Orientierung und einen Realitätsabgleich (Stadt Darmstadt
2020; Sipple und Wiek
2023).
Tab. 1
Illustratives Business Modell Canvas für eine Kommunale Ernährungsmeisterei (eigene Darstellung)
Produkt: • Produktion u. Lieferung und Ausgabe von Gemeinschaftsverpflegung • Angebote der Ernährungsbildung im Bereich Gesundheit und Nachhaltigkeit • Angebote der Weiterbildung von Fachkräften der lokalen Ernährungswirtschaft im Bereich Gesundheit und Nachhaltigkeit Kundensegmente: • Gemeinschaftsverpflegung: – Bildungseinrichtungen – Soziale Träger – Betriebe ohne Kantine – Bürger*innen („kommunaler Mittagstisch“) • Ernährungsbildung – Bildungseinrichtungen – Soziale Träger – Lokale Betriebe – Bürger*innen • Fachkräfteförderung: – Betriebe der lokalen und regionalen Ernährungswirtschaft Kundenbeziehungen: • Bestell- und Bewertungssystem der Kund*innen • Interaktion über Kurse und Veranstaltungen • Öffentlichkeitsarbeit | Schlüsselaktivitäten: • Gemeinschaftsverpflegung • Ausbildung von Fachkräften • Weiterbildung von Fachkräften Ressourcen: • Personal • Produktionsküche • Bestellsystem • Lieferinfrastruktur • Zertifizierungen (DGE, etc.) • Schulungsräume Kanäle: • Bestellsystem der Gemeinschaftsverpflegung (z. B. über App) • Öffentlichkeitsarbeit • Lieferanten*innen Schlüsselpartnerschaften: • Zuständige Verwaltungsbereiche • Kommunale Unternehmen • Betriebe der lokalen Ernährungswirtschaft • Soziale Träger • Vereine, Stiftungen und Verbände | Kostenstruktur: • Immobilie mit Produktionsküche und Schulungsräumen (Miete/Kauf) • Bestellsystem • Logistik • Laufende Betriebskosten (Personal, Energie, etc.) • Öffentlichkeitsarbeit Einnahmequellen: • Verkauf von Gemeinschaftsverpflegung • Teilnahmegebühren bei Angeboten der Ernährungsbildung • Teilnahmegebühren bei Weiterbildungsangeboten für Fachkräfte |
Beim Wertversprechen einer Ernährungsmeisterei handelt es sich um die Produktion und Lieferung von frisch zubereitenden Mittagessen und Snacks mit möglichst hohem Anteil bio-regionaler Bestandteile. Dieses Angebot richtet sich an Bildungseinrichtungen unter kommunaler Trägerschaft, soziale Träger und deren Einrichtungen, ortsansässige Betriebe ohne Kantine sowie die gesamte Stadtgesellschaft in Form eines kommunalen Mittagstisch. Der Vorteil der Produktion der Gemeinschaftsverpflegung im kommunalen Unternehmen liegt darin, dass die Umsetzung der politischen Ziele hinsichtlich gesunder und nachhaltiger Ernährung direkt steuerbar ist und weniger aufwendigen Ausschreibungsverfahren unterliegt. Darüber hinaus können Kita-Kinder, Schüler*innen, Eltern, Gäste, Personal und Einrichtungen stärker in den Prozess der Speiseplangestaltung eingebunden werden. So können Akzente in der Ernährungsbildung gesetzt und gesundheitliche Aspekte berücksichtigt werden. Konkrete Umsetzungsbeispiele hierfür sind digitale Bestell- und Bewertungssysteme, aber auch klassische Elemente wie ein Veranstaltungsprogramm zu gesunder und nachhaltiger Ernährung (beispielsweise Exkursionen zu Lieferbetrieben aus Landwirtschaft und Verarbeitung, Koch- und Backkurse etc.). Durch die Produktion von Gemeinschaftsverpflegung in der kommunalen Ernährungsmeisterei kann eine Kommune sowohl eine unabhängige und damit belastbare tägliche Versorgung der Einrichtungen vor Ort sicherstellen und gleichzeitig kommunale Ziele wie Nachhaltigkeit und Gesundheit verfolgen.
Die Wertschöpfung findet in einer Produktionsküche vor Ort in Form der Herstellung eines nachhaltigen und gesunden Speisenangebots nach DGE-Kriterien statt (mit möglichst hohem Anteil bio-regionaler Bestandteile). Hierfür werden Fachkräfte benötigt, die Expertise im Bereich der nachhaltigen Gemeinschaftsverpflegung mitbringen. Diese Expertise soll im Zuge der nachhaltigkeitsbezogenen Aus- und Weiterbildungen von Fachkräften vor Ort auf- und ausgebaut werden. Ein wichtiger Anreiz für potenzielle Fachkräfte und Auszubildende, Teil des Personals der Ernährungsmeisterei zu werden, ist neben der zukunftsorientierten Nachhaltigkeitsausrichtung auch die faire Entlohnung: Als Mitarbeiter*innen eines kommunalen Unternehmens unterliegen ihre Anstellungen dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD VKA). Darüber hinaus soll die enge Kooperation mit den belieferten Bildungseinrichtungen genutzt werden, um junge Menschen aktiv in die Produktion einzubinden und so für einen Beruf in der lokalen Ernährungswirtschaft zu begeistern.
Die Wertbindung besteht aus der Kostenstruktur und den verschiedenen Einnahmequellen. Die Haupteinnahmequelle einer kommunalen Ernährungsmeisterei ist die Produktion, Lieferung und der Verkauf von Mittagessen und Snacks an Bildungseinrichtungen, soziale Einrichtungen, lokale Unternehmen und über den „kommunalen Mittagstisch“ an die Bürger*innen. Weitere Einnahmequellen ergeben sich über kostenpflichtige Veranstaltungs-, Informations- und Weiterbildungsangebote im Bereich der Ernährungsbildung sowie im Bereich der Fachkräfteförderung. Die Betriebskosten wiederum liegen insbesondere im Bereich der Anmietung/dem Kauf einer geeigneten Produktionsküche mit Schulungsräumen, eines Bestellsystems, der Öffentlichkeitsarbeit, der Logistik sowie der laufenden Betriebskosten für Personal, Energie und Rohstoffe. Indem eine Kommune eigene Räumlichkeiten zu günstigen Konditionen zur Verfügung stellt und ihr Know-how in operativen Bereichen aus anderen kommunalen Unternehmen und Eigenbetrieben einbringt, können Kosten eingespart werden.
Über das Geschäftsmodells der kommunalen Ernährungsmeisterei kann eine Kommune gleichzeitig die Herausforderungen in den Handlungsfeldern der Gemeinschaftsverpflegung, der Ernährungsbildung und der Fachkräfteförderung im Bereich der lokalen Ernährungswirtschaft steuerbar machen. Steuerbar machen heißt in diesem Zusammenhang, die Verantwortung für diese Themen nicht nach außen zu delegieren, sondern mit eigenen Zielen vor Ort zu verfolgen und damit sowohl die Ökonomie als auch die Resilienz auf lokaler Ebene zu fördern.
5 Fazit und Ausblick
Das in diesem Beitrag konzipierte Geschäftsmodell eines kommunalen Unternehmens in Form einer
Kommunalen Ernährungsmeisterei ist zum jetzigen Zeitpunkt vor allem eine Vision, die auf den breiten Projekterfahrungen aus dem BMBF-geförderten KERNiG-Projekt basiert (Schanz et al.
2020; Sipple und Schanz
2023). Um das Konzept umzusetzen, müssen Stakeholder*innen aus der Stadtgesellschaft (lokale Verwaltung, -Politik, -Wirtschaft und -Zivilgesellschaft) überzeugt und aktiviert werden, sich für die Realisierung einzusetzen. Hierfür benötigt es einer engen Kooperation mit diesen lokalen Akteur*innen und deren Bereitschaft, die Verantwortung für die Umsetzung eines solchen Projekts zu übernehmen (sog. „ownership“). Dies sollte zudem evaluativ begleitet werden, um möglichst viele Erkenntnisse und Übertragbarkeiten aus der Umsetzung festzuhalten (Luederitz et al.
2017).
Im Zuge der Gründung einer
Kommunalen Ernährungsmeisterei haben die Kommunen zunächst die jeweiligen kommunalverfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten und die jeweilige Tätigkeit hinsichtlich ihrer rechtlichen Zulässigkeit zu prüfen (Gödeke und Jördening
2018). So sollte u. a. geprüft werden, ob vor Ort im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung tatsächlich kein ausreichendes, preiswertes, dauerhaft gesichertes und flächendeckendes Angebot durch private Anbieter*innen besteht (Henneke
2009; Neu
2009). Darüber muss geprüft und sichergestellt werden, dass das kommunale Unternehmen mit seinem Geschäftsmodell den langfristigen Entwicklungszielen der Kommune entspricht (Schwarting
2021) und in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit dieser steht (Henneke und Ritgen
2021). Zudem müssen betriebswirtschaftliche Aspekte einer
Kommunalen Ernährungsmeisterei im Detail geprüft werden. Dies betrifft sowohl mögliche einmalige Investitionen in den Erwerb und/oder Umbau von Gebäuden, betriebliche Investitionen (wie den Erwerb von Küchenausstattung, Fahrzeugen, etc.) als auch laufende Betriebskosten (wie Miet- und Energiekosten, Personalkosten, etc.). Hierbei sind insbesondere mögliche Förderungen aus den Programmen der Stadt- und Regionalentwicklung sowie weitere Investitionsprogramme der Bundesländer (in Baden-Württemberg z. B. Investitionsprogramm Ganztagesbetreuung, EFRE/RegioWIN) oder auf Ebene der EU (z. B. LEADER) zu berücksichtigen.
Einer Umsetzung des hier beschriebenen Konzepts einer
Kommunalen Ernährungsmeisterei stehen sicher zunächst hohe organisatorische und finanzielle Hürden gegenüber. Dementgegen kann auf funktionierende (Teil-)Umsetzungen ähnlicher Art in der Praxis verwiesen werden. Hierzu zählt das erwähnte Beispiel des EAD Darmstadt (Stadt Darmstadt
2020) und das House of Food in Kopenhagen (Smith et al.
2016; Hansen et al.
2020). Die Umsetzung des hier vorgestellten Konzeptes wäre ein echter „Leuchtturm“ für die erfolgreiche und langfristige Integration der Förderung lokaler, nachhaltiger Ernährung über die kommunale Bildungs- und Wirtschaftspolitik.
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