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2021 | OriginalPaper | Chapter

2. Analyseperspektive: das synthetische Modell zur Wirtschaftspolitikanalyse

Author : Raphael M. Peresson

Published in: Entwicklungsagenden in Lateinamerika

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Um die Ursachen der Differenz in den wirtschaftspolitischen Strategien Brasiliens und Venezuelas zu ergründen, wird im Folgenden ein Synthesemodell entwickelt. Gemäß der These dieser Arbeit ist diese Differenz in den Wirtschaftspolitiken auf das Zusammenspiel dreier Faktoren zurückzuführen: 1. einer unterschiedlich gearteten politischen Kultur, darauf aufbauend 2.

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Footnotes
1
Ferdinand de Saussure folgend werden in Strukturalismus und Poststrukturalismus „Signifikanten“ als Lautbild bzw. bezeichnende Elemente und „Signifikate“ als der vorgestellte Gegenstand, also das Bezeichnete definiert (Moebius 2009: 420–421).
 
2
„[N]o political movement will be entirely exempt from populism, because none will fail to interpellate to some extent the ‘people’ against an enemy […]. The degree of ‘populism’ […] will depend on the depth of the chasm separating political alternatives. […] If populism consist in postulating a radical alternative […] does not populism become synonymous with politics? The answer can only be affirmative“ (Laclau 2005b: 47).
 
3
Generelles zum Poststrukturalismus bei Campbell (2010), Moebius (2009) und Wullweber (2014).
 
4
Gemäß Stäheli (2006: 268–270) liegen dem Werk Laclaus zwei verschiedene Subjektkonzeptionen zugrunde.
 
5
Dieses Zitat wurde den Ausführungen Dieter Langewiesches über das Phänomen des Nationalismus entnommen (Langewiesche, zit. nach: Kunze 2005: 82). Die aus der Sozialpsychologie stammende Funktionslogik der Inklusion über Exklusion ist jedoch dieselbe wie in dem hier behandelten Fall.
 
6
Das ist insofern interessant, als individuellen Akteuren in der Theorie Laclaus kein hoher Stellenwert im Sinne eines Erklärungsfaktors beigemessen wird.
 
7
Hier besteht eine große Stärke der Theorie Laclaus gegenüber Gramsci, auf dessen Hegemoniekonzept Laclau aufbaut. Denn Laclau überwindet die marxistisch-materialistische Klassenbasierung bzw. -fokussierung in Gramscis Konzept und öffnet mittels der poststrukturalistisch inspirierten Verschiebung der Analyse auf die diskursive Ebene den analytischen Blick für neue, klassenunabhängige Konfliktlinien. Gerade im Hinblick auf Lateinamerika und die hier untersuchten Fälle erweist sich ein klassenbasiertes Verständnis von Identität und Hegemonie bzw. Populismus als ungeeignet.
 
8
Dies bezieht sich in diesem Fall nur auf die angesprochene, als Folge einer Krise zu konstruierende bzw. konstruierte Identität. In der poststrukturalistischen Sozialwissenschaft werden Subjekte in der Regel ohne dahingehende Kompetenzen konzeptualisiert (Angermüller 2005: 76): „Das Subjekt ist kein [eigene Hervorhebung, R.P.] Stifter des Diskurses“ (Reckwitz 2006: 34).
 
9
Diese Vorgehensweise geht mit positiven emotionalen Effekten in der Zielgruppe, den Nicht-Repräsentierten, wie Anerkennung, Hoffnung, Steigerung des Selbstwertgefühls usw. einher (Mouffe 2005: 56–59; Panizza 2005: 26).
 
10
Konstruktivistische Ansätze begannen sich in den Internationalen Beziehungen vor etwa drei Jahrzehnten abzuzeichnen. Dies ging mit einem veränderten Selbstverständnis des Faches, nämlich einer mehr interdisziplinären Ausrichtung und damit der sukzessiven Inkorporation wissenschaftlicher Erkenntnisse aus den Nachbardisziplinen einher. Von zentraler Bedeutung für die Entwicklung hin zum Konstruktivismus waren unter anderem die Erkenntnisse der Soziologen Peter Berger und Thomas Luckmann, wonach soziale Realität durch intersubjektiv geteilte Wissensbestände und damit einhergehende Interpretationsmuster konstruiert ist (Berger/Luckmann: 2007). Ferner war die vorrangig aus der Linguistik kommende Annahme relevant, dass sich der Konstruktionsprozess sozialer Realität vorwiegend sprachlich-diskursiv vollzieht (Adler 2007: 97). Eine genauere Auflistung der theoretischen Vorläufer und Nachzeichnung der konstruktivistischen Genese findet sich bei: Ulbert (2005: 12), Wendt (1999: 3), vor allem aber bei Adler (2007: 96–100).
 
11
Weitere Lesarten des Konstruktivismus finden sich bei Ulbert (2006: 411).
 
12
Wendt (1999) hatte dieses konstruktivistische Paradigma anhand zweier zusammenhängender ontologischer Debatten entwickelt: Zum einen kam er über die Kontrastierung von materiellen und ideellen Faktoren zu dem Ergebnis, dass die Bedeutung materieller Faktoren weitgehend durch Ideen wie z. B. Weltbilder und Normen konstituiert werden. Zum anderen gelang er über die Gegenüberstellung von Akteur und Struktur zu der Einsicht, dass Strukturen konstitutive Effekte auf Akteure haben, wobei Letztere durch Rückkopplungseffekte ihr strukturelles Umfeld reproduzieren. Wendt schloss daraus, dass Akteure, ihre Identitäten und Interessen nicht als exogen gegeben betrachtet werden dürfen, sondern vielmehr endogenisiert, d. h. vor dem Hintergrund der jeweiligen, primär ideellen Strukturen konzeptualisiert und analysiert, werden müssen.
Generelles zur Akteur-Struktur-Problematik bei Wendt (1999: 139–190), Hay (2002: 89–134), Jessop (2010).
 
13
„It is not uncommon in the literature to see the rationalist-constructivist divide characterized in terms of the former being about material factors and the latter being about ideas. […] this often translates into the proposition that rationalists believe that people are always acting on material self interest, and constructivists believe that people are always acting on the basis of norms or values“ (Fearon/Wendt 2002: 58). Fearon und Wendt (ebd.: 59) betonen, dass Rationalismus und Materialismus nicht notwendigerweise miteinander einhergehen, sondern dass diese Verbindung vielmehr eine Folge der Forschungspraxis in den Internationalen Beziehungen darstellte, in der die Rational-Choice-Theorie mit Theorien des Realismus, die auf materielle Faktoren fokussieren, verbunden wurden. Die meisten der vom Autor eingesehenen konstruktivistischen Arbeiten bemühen sich jedenfalls nicht um eine präzise Erläuterung dieser materialistisch-rationalistischen Verbindung bzw. Gegenperspektive. Eine Ausnahme bildet Widmaier (2003: 87–88 – Fußnote 1, vgl. unten).
 
14
Gemäß Widmaier (2003: 87–88 – Fußnote 1) gehen Materialismus und Rationalismus logisch miteinander einher: „[T]he substantive difference between an emphasis on materialism or rationalism is slight: the materialist view of incentives as exogenously given justifies the rationalist assumption that those who fail to ‘correctly’ perceive such incentives will be selected out of competition. Conversely, the rationalist assumption that all agents must define their interests in the same fashion simply means that incentives can be treated as essentially material, neglecting concerns for interpretive variation.“ Anmerkung zum Verständnis: Widmaier (ebd.) definiert materialistische Ansätze als solche, „which treat incentives as unaffected by interpretation“.
 
15
Hierzu Beispiele für die Politik und für private Wirtschaftsakteure: Nach dem Electoral Model of Monetary and Exchange-Rate Politics besteht für Politiker in den Monaten vor einer Wahl ein stärkeres Interesse an einer aktiven, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung fördernden Wirtschaftspolitik, mittels derer sie sich einen Wahlerfolg versprechen. Nach dem Sectoral Model of Exchange-Rate Politics sind exportorientierte Sektoren primär an einem niedrigen und stabilen (optimal: fixierten) Wechselkurs interessiert, während nicht exportorientierte Sektoren hingegen freie Wechselkurse bevorzugen, die es Regierungen erlauben, mittels wirtschaftspolitischer Maßnahmen die Binnenwirtschaft zu stimulieren (Oatley 2006: 266–270, 274–280). Dieser Logik folgend sollten Konsumenten in erster Linie an einem hohen Außenwert der eigenen Währung interessiert sein, da dieser ihre Kaufkraft hinsichtlich importierter Produkte erhöht.
 
16
Aus konstruktivistischer Perspektive werden Interessen in den rationalistisch-materialistischen Arbeiten entweder aus der strukturellen Position abgeleitet oder ex-post aus dem Verhalten heraus zu erklären versucht (Abdelal/Blyth/Parsons 2005: 12; Blyth 2002: 8, 28). In der Folge wird lediglich der erste Aspekt vertieft, da die Kritik hieran in geeigneterer Weise zur Erläuterung einer ideell-konstruktivistischen Ontologie beiträgt. Ferner laufen Arbeiten, die Interessen ex-post aus dem Verhalten erklären, Gefahr, zirkulär zu argumentieren (Blyth 2002: 8, 28).
 
17
Dies ist insofern von Relevanz, als hinsichtlich dieser beiden Begriffe – Epistemologie und Methodologie – in der bestehenden Literatur teils Verwirrung bzw. Uneinigkeit herrscht (Mayer 2003: 50–51; Wight 2007: 42).
 
18
Wight (2007: 33–34) und Campbell (2010: 218–219) nennen einige Denkrichtungen und Schulen, die mit der Kritik am Positivismus und der post-positivistischen Wende in Verbindung gebracht werden.
 
19
Definitionen des Positivismus unterscheiden sich teils beträchtlich, was mitunter zu metatheoretische Folgewirkungen und Ver(w)irrungen führt (Mayer 2003: 48, 54; Wight: 2007: 35–40).
 
20
Die Auffassung einer objektiven, vom Mensch unabhängigen Welt wird als epistemischer Realismus bezeichnet (Campbell 2010: 218; Wendt 1999: 49, 52).
 
21
Mayer wendet hingegen kritisch ein, dass Post-Positivismus und Anti-Fundamentalismus nicht deckungsgleich sind, und dass das „Fundamentalismusproblem“ das Lager der Post-Positivisten spaltet (Mayer 2003: 80–89).
 
22
Hierzu ein Zitat von Nietzsche (zit. nach Erik Reinert 2014: 223): „Hüten wir uns […] vor den Fangarmen solcher kontradiktorischer Begriffe wie […] ‚Erkenntnis an sich‘; – hier wird immer ein Auge zu denken verlangt, das gar nicht gedacht werden kann, ein Auge, das durchaus keine Richtung haben soll, bei dem die aktiven und interpretierenden Kräfte unterbunden sein sollen […]. Es gibt nur ein perspektivisches Sehen, nur ein perspektivisches ‚Erkennen‘; und je mehr Affekte wir über eine Sache zu Worte kommen lassen, je mehr Augen, verschiedene Augen wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird unser ‚Begriff‘ dieser Sache, unsre ‚Objektivität‘ sein.“
 
23
Eine diese beiden inkompatibel erscheinenden Perspektiven vermittelnde Synthese wird im Kapitel über Methodik näher ausgeführt.
 
24
Es können neben der obigen noch drei weitere post-positivistische Lesarten ausgemacht werden: Eine erste, die der Wissenschaft einen privilegierten Zugang zum Verständnis über Realität abspricht (Wendt 1999: 38). Eine zweite Auffassung, die nicht nur den Positivismus als Wissenschaftsphilosophie, sondern generell Wissenschaft zurückweist. Und eine dritte, die die Idee von Wissenschaftlichkeit durch neuere Entwicklungen zu begründen und rechtfertigen sucht (Wight 2007: 36).
 
25
Normen definieren jedoch nicht nur den Bedeutungsgehalt ökonomischer Prozesse, sondern definieren auch ein adäquates und legitimes Verhalten, vgl. hierzu die Ausführungen über das Analysefeld „Subjektivität“.
 
26
Vgl. z. B. Blyths (2013) „Austerity: the history of a dangerous idea“.
 
27
Chwieroth (2010) beschreibt den Einfluss von „epistemic communities“ auf die neoliberalen Kürzungspolitiken in Lateinamerika.
 
28
Weaver (2010) beleuchtet die „battle of ideas“ innerhalb der Weltbank und deren Auswirkung auf die Organisationskultur und die Good Governance Agenda.
 
29
Heuristiken und kognitive Verzerrungen bilden große Schnittmengen. Heuristiken können als „mental shortcuts in processing information about others“ (Cottam/Dietz-Uhler/Mastors/Preston 2010: 39) oder als „einfaches Verfahren, das uns hilft, adäquate, wenn auch oftmals unvollkommene Antworten auf schwierige Fragen zu finden“ (Kahneman 2014: 127) definiert werden.
 
30
Es geht hierbei um nutzenmaximierende Entscheidungen: „Unter Bedingungen von Ungewißheit ist es ex ante unmöglich zu bestimmen, ob ein gewähltes Mittel rational oder irrational für die Erreichung des Ziels ist“ (Beckert 1996: 135). Daher ist es nicht möglich, dass Akteure „in hochgradig kontingenten Handlungssituationen ihre Entscheidungen von einer Präferenzordnung ableiten und so ihren Nutzen maximieren“ (ebd.).
 
31
Konventionen können im Anschluss an die keynesianische Makroökonomie definiert werden als „inter-subjective understandings agents share regarding how the economy is put together and how it should operate in normal times. Conventions are self-sustaining shared ideas and norms that coordinate […] expectations“ (Abdelal/Blyth/Parsons 2005: 21). In Zeiten fundamentaler Unsicherheit, so Keynes, „we endeavor to fall back on the judgment of the rest of the world which is perhaps better informed. That is, we endeavor to conform with the behavior of the majority or the average. The psychology […] of endeavoring to copy the others leads to […] a conventional judgment.“ (Keynes, zit. nach Keen 2011: 227).
 
32
Beckert (1996: 141–142) nennt vier Mechanismen der „Ungewißheitsreduktion“: 1. Traditionen, Gewohnheit und Routine; 2. Normen, Institutionen, Konventionen; 3. Soziale Netzwerke, organisationale Strukturen und Pfadabhängigkeiten; 4. Macht.
 
33
„Crisis need to be narrated and explained. They are no self-apparent phenomena“ (Blyth 2002: 9 – Fußnote 17).
 
34
Mark Blyth entwickelt im Rahmen seiner Theorie über institutionellen Wandel fünf Hypothesen über den Zusammenhang von Krisen und (ökonomischen) Ideen. Demnach reduzieren Ideen erstens die Unsicherheit in Krisenzeiten, ermöglichen zweitens kollektive Handlungen und Koalitionsbildungen, eignen sich drittens als Waffen gegen die bestehende institutionelle Ordnung, fungieren viertens als Blaupausen für Institutionen und machen fünftens institutionelle Stabilität möglich (Blyth 2002: 35–44).
 
35
Abdelal (2009: 75) zeigt am Beispiel der Normen die entscheidenden Unterschiede zwischen den Theorieschulen: „For rationalists, norms are regulative; for many constructivists, norms are constitutive; but for post-modern constructivists, norms are objects of power that determine the boundaries of possible speech and action and operate by exclusion of alternatives“.
 
36
Es ist dieser Prozess der gegenseitigen Konstitution auf Basis von strukturell wirkenden Ideen, der dem Diktum der Konstruktion von (sozialer) Realität zugrunde liegt.
 
37
Das Konzept der Subjektivität und die damit eihergehenden Machtaspekte weisen zudem Schnittpunkte mit den Ausführungen zur politischen Kultur einerseits und der Handlungsspielräume des Entscheidungspersonals andererseits auf.
 
38
Bei der Theorie Laclaus und den Ausführungen über Subjektivität im Rahmen der konstruktivistischen Ansätze wurde bereits ein immaterieller Machtaspekt angesprochen: die Kommunikations- bzw. Diskursmacht. In diesem Kapitel wird es jedoch um primär um ‚materielle‘ bzw. materialistische Aspekte gehen.
 
39
Die Regulationstheorie entstand in Frankreich in den 1970er Jahren und knüpfte in kritischer Sympathie und Distanz an den strukturalistischen Marxismus Louis Althussers an. Ziel war es, die Dynamiken, Krisen und Veränderungen des damaligen Kapitalismus adäquater zu erfassen und raumzeitlich spezifische Entwicklungsphasen zu analysieren. Wegbereiter regulationstheoretischer Arbeiten in dieser marxistisch inspirierten Variante waren v. a. Michel Aglietta und Alain Lipietz. Ein zweiter Strang der Regulationstheorie unter v. a. Robert Boyer – der im Folgenden jedoch nicht weiter thematisiert wird – orientiert sich stärker an institutionalistischen und (post-)keynesianischen Konzepten (Atzmüller et al. 2013: 8–9; Becker 2013: 24–28).
 
40
Becker (2013: 37–38) und Becker/Jäger (2012: 172) unterscheiden innerhalb der finanzialisierten Akkumulation zwei weitere Formen: Erstens die Akkumulation von „fiktivem Kapital“ (Wertpapiere, Devisen etc.), die v. a. bei einer stagnierenden produktiven Sphäre erfolgt, mit dieser aber insofern verbunden bleibt, als hieraus Dividenden und Zinszahlungen extrahiert und abgeführt werden müssen; zweitens eine auf zinsbringendem Kapital basierende Finanzialisierung (z. B. Kapitalimport über Hochzinspolitik).
 
41
Lipietz (1985) erläutert mehrere der im Kapitalismus auftretenden Widersprüche: erstens die „Verteilungsrate der Wertschöpfung“, d. h. entweder „zuviel Lohn und zuwenig Akkumulation oder zuviel Profite und zuwenig Nachfrage“ (1985: 118), zweitens das konfliktive Wechselverhältnis von Arbeitskontrolle und Innovation, d. h. mehr direkte Kontrolle des Kapitalisten über die Arbeit bedingt weniger Innovation und vice versa (ebd.). Die meiste Aufmerksamkeit schenkt Lipietz jedoch dem Problem der Akkumulation bzw. der Frage, wie Akkumulation, die Verwertung von Arbeit (und Kapital) und damit die Reproduktion der den Kapitalismus kennzeichnenden sozialen Verhältnisse gelingen kann (ebd.: 119–122).
 
42
Jessop und Sum (2013: 61) nennen in diesem Zusammenhang den strukturalen Marxismus, die marxistische Formanalyse und neogramscianische Ansätze als komplementäre Theorien bzw. Ansätze.
 
43
Die folgenden Ausführungen knüpfen an die Pariser Schule und v. a. an die Arbeiten Michel Agliettas an.
 
44
Lipietz (1985: 121) hatte die folgenden strukturellen Formen genannt: 1. die Regulation des Lohnverhältnisses, 2. die Regulation der Reallokation von Geld-Kapital, 3. die Reproduktion und Steuerung des Geldes und 4. die Staatsintervention.
 
45
Zentrale Charakteristika dieses Neo-Extraktivismus sind 1. Fokussierung der Wirtschaftsstruktur auf Rohstoffextraktion und -export; 2. die Aufwertung des Staates als Wirtschaftsakteur, Garant und Stabilisator neo-extraktivistischer Praktiken; 3. das Auftreten neuer territorialer, sozialer und ökologischer Konfliktlinien; und 4. eine subalterne Weltmarktintegration als Folge der Rohstofffokussierung, da sich aufgrund geringer Produktivitätssteigerungen im primären Sektor Enklavenökonomien in den Exportländern ausbilden und ferner die Spielregeln der Globalisierung, westliche Modernisierungs- und Entwicklungsvorstellungen sowie kapitalistische Produktionsinteressen und -praktiken letztendlich akzeptiert werden (Gudynas 2009, 2011a, 2011b, 2012; Brand/Dietz 2013).
 
46
In der lateinamerikanischen Praxis zeigten sich solche strategischen Selektivitäten z. B. in den Staatsapparaten, die aufgrund partikularer (interner oder externer) Interessen ein effektives Regierungshandeln erschwerten (Dieterich 2006: 10; Escobar 2010: 51). Dies bekamen v. a. die (radikalen) Linksregierungen zu spüren, die – wie in der empirischen Analyse zu sehen sein wird – dadurch in ihren Handlungsspielräumen eingeschränkt waren und sich zu entsprechenden Gegenstrategien und -maßnahmen genötigt sahen.
 
47
Trotz der Relevanz der Rohstoffe für die Staaten der lateinamerikanischen Peripherie und v. a. für Venezuela wird in der Folge weder mit rententheoretischen Ansätzen noch mit dem Neo-Extraktivismus gearbeitet. Denn die im Forschungsstand an rententheoretischen Ansätzen dargelegte Kritik, wonach Rohstoffen eine zu große Erklärungskraft beigemessen wird und daher ein eindimensionales bzw. zu ähnliches Bild der diversen Regierungen gezeichnet wird, trifft auch auf den Neo-Extraktivismus zu. Im Rahmen dieser Arbeit werden Rohstoffvorkommen nicht als Determinante, sondern als ermöglichender Faktor konzipiert.
 
48
Diese Logik kann anhand der Rolle der „State manager“ exemplifiziert werden: „State managers reproduce capitalist relations not because they are directly answerable to the bourgeoisie, but because those who manage the State apparatus are dependent on some level of economic activity. The dependency exists both because economic activity produces State revenues and because public support for a regime will decline unless accumulation continues to take place. […] Given that the level of economic activity is largely determined by private investment decisions, such managers are particularly sensitive to […] ‘business confidence’“ (Carnoy 1984: 218).
 
49
Besonderes Kennzeichen dieses Post-Liberalismus ist zum einen die Anerkennung zweier grundsätzlich konträrer geistesgeschichtlicher Strömungen, die sich im Lauf der Zeit synthetisch im Typus der liberalen Demokratie verbanden: Liberalismus einerseits, Demokratie andererseits; und zum anderen die Stärkung (direkt-)demokratischer Elemente im Vergleich zu den liberalen Elementen, d. h. zu einem verfassungsmäßigen und gesetzlichen Grundrechtskatalog, der eine radikal-demokratischer Handhabe einschränkt (Arditi 2008; Wolff 2013). Diesen neuen Demokratietypen und den damit einhergehenden Konzeptualisierungsversuchen liegt die Erkenntnis bzw. Ansicht zugrunde, dass der traditionelle Konstitutionalismus und die daraus hervorgegangenen Verfassungen in Lateinamerika Elitenprojekte darstell(t)en und demgemäß den Eliten und ihren (Eigentums-)Interessen übermäßigen rechtlichen Schutz einräumen (Viciano/Martínez Dalmau 2011).
Aus liberal-demokratischer Sicht werden solche Modelle kritisiert. So wird der venezolanische Systemtypus zum Beispiel als „hybrid regime“ (Corrales/Hidalgo 2013), „electoral autocracy“ (Bertelsmann Stiftung, BTI 2014) oder als „participatory competitive authoritarianism“ (Mainwaring 2012: 963) typologisiert. An dieser Stelle ist jedoch Vorsicht geboten, denn der liberale Demokratietypus weist im Hinblick auf die lateinamerikanische Praxis eine bedeutende Schwachstelle auf: Aufgrund eines für liberale Demokratien typischen und konstitutiven Katalogs an (Freiheits-)Rechten können einflussreiche „Vetomächte“ entstehen, die die „effektive Regierungsgewalt“ (Merkel 2010: 33) ausschließlich demokratisch legitimierter Entscheidungsträger indirekt untergraben: „[L]iberal democracy as a political regime for capitalist societies accepts major economic decision-making power by business leaders and anonymous markets, with immediate and far-reaching implications for both democratic politics and society“ (Wolff 2013: 39). Die Macht bzw. der Einfluss dieser nicht demokratisch legitimierten Akteure kann auf subtile und legalisierte Weise erfolgen, die die effektive Regierungsgewalt zwar nicht direkt beeinträchtigt, diese jedoch untergräbt, indem sie Entscheidungen signifikant vorstrukturiert. So z. B. mittels eines ausufernden Lobbyismus, Schiedsgerichten im Rahmen von Freihandelsabkommen, oder – genereller – mithilfe einer neoliberalen Governance, die wirtschaftspolitische Entscheidungen an den Interessen von Kapitaleignern ausrichtet und gegenüber abweichendem politischen Verhalten Disziplinierungsmöglichkeiten bereithält (Downrating von Staatsanleihen inkl. Kapitalabzug etc.). Gill (2008: 138–139) spricht in diesem Zusammenhang von „disciplinary neo-liberalism“ und „new constitutionalism“. In diesem Kontext bildet der Mediensektor eine weitere dieser Vetomächte. Denn einerseits stellt die Rede- und Meinungsfreiheit einen fundamentalen Pfeiler liberaler Demokratien dar, andererseits können diese Rechte missbraucht werden. Konkret erfüll(t)en viele Medien in Lateinamerika aufgrund ihrer Verwobenheit mit dem Unternehmenssektor den Auftrag einer neutralen Berichterstattung nur in unzureichendem Ausmaß (Boris 2014: 113–115; Kitzberger 2012: 125–127; Avella/Rincón 2018), waren bzw. sind vielmehr „politische Akteure“ (Rincón 2018) und bilde(te)n einen Teil dessen, was innerhalb der lateinamerikanischen Linken bisweilen als „faktische Mächte“ („poderes fácticos“, Correa 2009) bezeichnet wird. Besonders betroffen hiervon waren v. a. die Linksregierungen, die sich zumeist von Beginn an mit oppositionell bis feindlich eingestellten Medien konfrontiert sahen (Boris 2014: 117–132; Kitzberger 2010, 2012).
 
50
Sofern es zur Erklärung des Explanandums relevant sein sollte, werden hier auch Aspekte berücksichtigt, die nicht genuin wirtschaftspolitischer Natur sind.
 
51
Jedoch bleibt festzuhalten, dass diese diskursiven Konstrukte zu einem dauerhaften (Fort-)Bestehen einer gewissen (tatsächlichen) materiellen Grundlage bedürfen. Jessop (2013: 76–77) arbeitet in diesem Zusammenhang mit dem Konzept der „ökonomischen Vorstellungswelt“ („economic imaginary“).
 
52
Die im Rahmen der politischen Kultur analysierte populistische Identitäts- und Legitimationspolitik ist insofern auch Machtpolitik, als sie gewisse Agenden, Visionen und Zielsetzungen diskursiv legitimiert. Diesen Aspekt, der einen Teil der „Handlungsspielräume“ (Feld 3) bzw. der „Machtverhältnisse“ (Feld 3.1) darstellt, symbolisiert im Modell ein Pfeil von der „politischen Kultur“ (Feld 1) zu den „Machtverhältnissen“ (Feld 3.1). Ungeachtet dessen zeichnen sich die anderen unter Feld 3 analysierten Aspekte der Handlungsspielräume dadurch aus, dass sie zwar einen Handlungskorridor vorgeben, innerhalb dessen sich die „(wirtschafts-)politischen Zielsetzungen“ (Feld 2) materialisieren können, aber über die idealistischen, ideell bedingten Interessen und Zielsetzungen und deren Konstitutionsprozesse wenig aussagen können. Da sich dies mit der „politischen Kultur“ (Feld 1) anders verhält, wird sie im Synthesemodell gesondert konzipiert und den „(wirtschafts-)politischen Zielsetzungen“ (Feld 2) vorangestellt.
 
53
Wendt (1996: 232) unterscheidet objektive und subjektive Interessen: „[N]eeds are “objective” in the sense that they exist even if the […] government is not aware of them […]. The concept of subjective interests refers to those beliefs that actors actually have about how to meet their identity needs, and it is these which are the proximate motivation for behavior.“
 
54
Solche Fragen spielen zwar ebenfalls eine Rolle, werden jedoch aus drei Gründen vernachlässigt: Erstens müssen ‚materielle‘ Anreize oder Interessen nach einem konstruktivistischen Verständnis durch einen ideellen, d. h. kognitiven und interpretativen, Filter hindurch analysiert werden. Zweitens bestehen hinsichtlich Aspekten der Macht oder der materiellen Bereicherung große Ähnlichkeiten zwischen den hier behandelten Untersuchungsfällen. Damit geht schließlich einher, dass sich dahingehende Interessen bzw. Zielsetzungen in der Erklärung des Explanandums als nicht prioritär erweisen.
 
55
Zu möglichen Verbindungen zwischen Konstruktivismus und Rationalismus: vgl. Fearon und Wendt (2002) und Risse (2003).
 
56
Polarisierung wird in der Folge definiert als „a situation in which two leading forces compete politically by moving increasingly in opposite directions ideologically, discursively, and policy-wise“ (Corrales 2011: 68).
 
58
Dieses Vorgehen ist zum einen angelehnt an Viehövers (2006: 197) „Episoden der Problemerzählung“, d. h. 1. Problem, 2. Problemursache, 3. Problemfolgen, 4. Problemlösungen, 5. Positive/negative Konsequenzen, 6. Legitimierende Leitbilder und Prinzipien, und zum anderen an Kellers (2007: 99–100) Phänomen- bzw. Problemstruktur, d. h. 1. Art des Problems, 2. kausale Zusammenhänge (Ursache-Wirkung), 3. Verantwortung/Zuständigkeiten (wer ist verantwortlich?), 4. Problemlösung, 5. Selbst- und Fremdpositionierung (Subjektpositionen) und 6. Wertungen.
 
59
In der „Materialisierung“ von Diskursen zeigt sich deren performative Wirkung, d. h. die Verbindung von diskursiver und materieller/tatsächlicher Ebene.
 
60
Abdelal et al. (2001: 8) beschreiben drei theoretische Wege, wie Identitäten das Verhalten beeinflussen können: Nach einer ersten „Theorie der Interpretation“… „action still flows from material or social incentives, but identity affects the valuation of incentives.“ Zweitens wird Verhalten basierend auf der social identity theory in Abhängigkeit zu anderen Gruppen gedacht: „[A]ction is […] a reaction to, and conditioned by the existence of, those who are different.“ Drittens und an die role theory anknüpfend ist Verhalten „more or less consistent with actorsʼ role expectations flowing from identities […], the reasons to act in a particular way are found in a decision to perform a role, not in a decision to choose […].“
 
61
Ellner (2013b: 77) z. B. analysiert ebenfalls mithilfe der „leeren Signifikanten“ von Laclau die einigende Funktion der Reden bzw. Begriffe Chávez᾽. Der Autor dieser Arbeit hat in seiner Magisterarbeit aus dem Jahr 2011 bereits eine ähnliche Diskurs- bzw. Dokumentenanalyse vorgenommen.
 
62
Nach Bonacker und Bernhardt (2006: 230) sollten bei der Analyse von Identitäten zum einen die Relationen bzw. Differenzen zwischen Akteuren, zum andern „die Prozesshaftigkeit der Entstehung sozialer Identitäten und Subjekte sowie politischer Konzepte und Rationalitäten“ hervorgehoben werden.
Abdelal et al. (2001: 18) stellen in diesem Zusammenhang folgende Fragen an den Diskurs: „How do informants “talk” about their identity and that of others?“; „What identity categories do they use to order their “world”?“; „What roles are considered appropriate to each category?“; „What metaphors and analogies are used to describe these categories?“.
 
63
Dieses an den leeren Signifikanten angelehnte Kodiersystem eignet sich nach Ansicht des Autors besser als andere Kodiersysteme, weil sich darüber die zentrale Anti-Dimension fassen lässt. Diese Dimension ist charakteristisch für Diskurs und Handeln zumindest von populistischen Anti-Bewegungen. Gerade für den venezolanischen Fall wird dies von Relevanz sein, da sich Identitäten gemäß Laclau gerade um diese leeren Signifikanten herum konstituieren. Denn sie repräsentieren in gebündelter (terminologischer) Form die unbefriedigten, gesellschaftlichen Forderungen und geben Hinweise über Problemwahrnehmung und -lösungen.
 
64
Aufgrund der unterschiedlichen sprachlichen Strukturen und Ausdrucksweisen im Deutschen und im Spanischen bzw. Portugiesischen ist eine wörtliche Übersetzung in vielen Fällen nicht möglich, weswegen dann sinngemäß übersetzt wurde.
 
65
Im Rahmen dieser Arbeit und Analyse wurde auf Experteninterviews verzichtet. Das hängt 1. mit dem großen Zeitaufwand und 2. mit einem geringen vom Autor dieser Arbeit erwarteten Mehrwert zusammen. Letzteres liegt darin begründet, dass die gewählten Quellen ausreichend Material darstellen und dass gerade im stark präsidentialistisch und teils zentralistisch (v. a. Venezuela) geprägten Lateinamerika die interessanten und relevanten Gesprächspartner zum Beispiel aufgrund der Positionshöhe schwer zu erreichen sind.
 
66
Venezuela zeichnete sich schon vor Chávez durch einen „extremen Präsidentialismus“ aus (Peeler 2007: 26).
 
67
Des Weiteren eignet sich die Sendung als Quelle, da es aufgrund der stark polarisierten Berichterstattung über Chávez fast keine Quellen gibt, die das Verhältnis des Präsidenten zu seiner (Wahl-)Bevölkerung realitätsgetreu zu fassen vermögen (Diehl 2005: 73–74).
 
68
Planung und Ausarbeitung solcher Pläne stellen keine Neuigkeit der PT-geführten Regierungen dar (Cardoso Jr./Melo 2011: 11). Eine genaue Beschreibung des Ablaufs der Entwicklungsplanung liefert dos Santos (2011: 312–313).
 
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GOPSS (2004: 17) merkt in diesem Zusammenhang jedoch an, dass die Forderungen der Zivilbevölkerung bei der Ausarbeitung der Entwicklungspläne letztendlich kein großes Gehör fanden.
 
Metadata
Title
Analyseperspektive: das synthetische Modell zur Wirtschaftspolitikanalyse
Author
Raphael M. Peresson
Copyright Year
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-33055-2_2