Der Strategie-Scout

In der Unternehmenspraxis wird strategisches Arbeiten zu häufig immer noch mit operativem Tun verwechselt. Doch Maßnahmen wie die Erarbeitung oder Einführung einer Innovation, Bestrebungen zur Internationalisierung, das Erreichen von Rendite- oder Kostenquoten etc. sind keine Strategie. Maximal sind es sinnvolle Meilensteine oder Maßnahmen einer Strategieumsetzung.

Am Anfang jeder Strategiearbeit steht immer ein Impuls, entweder ein Problem oder eine Idee, z. B.: „Wie kann unser Unternehmen in Zukunft weiter wachsen?“, „Sind wir noch auf dem richtigen Weg oder müssen wir unseren Kurs korrigieren?“ oder „Wie kommen wir aus der bestehenden Krise heraus?“. Oft kommt der Anstoß von außerhalb des Unternehmens und wird durch die Wettbewerbs- oder Marktsituation getrieben.

Bevor wir durch den Dschungel marschieren und die Strategie erarbeiten, erhalten Sie in diesem Kapitel einen Überblick über die Dschungel-Topografie. Unter einer Topografie versteht man „die Beschreibung und Darstellung geografischer Örtlichkeiten“ (Duden). Damit sind hier unterschiedliche Gebiete oder Sektoren gemeint, durch die Sie bei Ihrer strategischen Dschungel-Durchquerung gehen werden, und zwar ganz unabhängig davon, welchen Dschungel-Pfad und welche-Ausrüstung Sie wählen. Diese Gebiete und Sektoren stehen für bestimmte Erfordernisse auf dem strategischen Weg.

Den methodischen Werkzeugen kommt bei der Erarbeitung der Strategie eine Schlüsselfunktion zu. Deshalb ist es wichtig, die geeigneten – also der Strategie-Entwicklung förder lichen – Werkzeuge auszuwählen, und zwar in demjenigen Umfang und mit derjenigen Gründlichkeit, wie es für den Prozess erforderlich ist. Dies klingt einerseits selbstverständ lich und logisch, doch zeigt die Praxis der Strategie-Entwicklung in den Unternehmen meiner Erfahrung nach, dass es vielfach anders verläuft.

Der „Dschungel-Express“ eignet sich für einen strategischen Kontext, den ich mit dem Begriff „Tafelrunde“ auf den Punkt gebracht habe. „Tafelrunde“ darum, weil es sich beim Strategie-Team wie bei den „Rittern der Tafelrunde“ um kompetente Gefährten handelt, die auf der Basis eines großen Wissens- und Erfahrungsschatzes in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Dadurch kann das strategische Problem zügig bearbeitet, also der Dschungel mit hohem Tempo durchquert werden. Der Stratege kann pragmatisch und mit geringem methodischen Aufwand zu Werke gehen.

Charakteristisch für den strategischen Kontext der „Sandburg“ ist es, dass im Management bzw. unter den Gefährten unter schwierigen emotionalen Bedingungen ein strategisches Problem gelöst werden muss. Das Problem selbst ist unter fachlichen Aspekten durchaus zu bewältigen, doch die wahre Herausforderung liegt in der politischen Gemengelage: Wenn der Stratege nicht aufpasst, verliert er sich völlig in den Sümpfen der Positionen und Emotionen, die im Strategie-Team vehement vertreten werden, ohne dass wirklich eine tragfähige Strategie zustande kommt. In der „Sandburg“ ist vieles sprichwörtlich auf Sand gebaut. So können einem fähigen Strategen selbst Teilerfolge, die er im Laufe des Prozesses erringt, wieder verloren gehen und „durch die Hände rieseln“, wenn sich das Team in Grabenkämpfen verliert.

Der Club of Rome – eine 1968 ins Leben gerufene weltweite Vereinigung von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik – setzt sich für eine lebenswerte Zu kunft der Menschheit ein. Seine Leitidee ist eine nachhaltige Entwicklung, die sich an den Bedürfnissen der heutigen wie auch der zukünftigen Generationen, an den knappen Ressourcen der Erde wie auch an der begrenzten Belastbarkeit unserer Ökosysteme orientiert. Diese Leitidee ist in der Aussage „Gobal denken – lokal handeln“ („think global, act local“) als Markenzeichen des Club of Rome international bekannt geworden.

Die Information Management GmbH – kurz IM genannt – erwirtschaftet als Dienstleister eines europäischen Mischkonzerns mit ca. 15.000 Mitarbeitern, insgesamt fünf Geschäftsbereichen (Energiegewinnung, Kunststoffproduktion, Automotive, Solartechnik und Luftfahrt) und ca. 90 Einzelgesellschaften nach Konzernvorgabe mehr als zwei Drittel ihres Umsatzes konzernintern. Gegründet wurde die IM vor acht Jahren mit dem Ziel, im Konzern Synergien im Bereich der IT zu generieren. Dies gelang dem Unternehmen auch in der Vergangenheit sehr gut: Bei den Standard-IT-Dienstleistungen, den sogenannten Commodity-Bereichen, wie dem Betrieb von Rechenzentren, der Lizenzbeschaffung und dem Desktop-Service, konnte die IM eine Konsolidierung herbeiführen und ihrem Auftrag gerecht werden, und dies obwohl alle Konzerngesellschaften über eigene IT-Abteilungen verfügen. Mit ihren 200 Mitarbeitern wurde die IM – salopp ausgedrückt – zum „zentralen Kettenhund“ des Konzerns, der den IT-Abteilungen der Gesellschaften sagt, wo es langgeht.

Der Konzern Strom & Co. bietet eine Vielzahl an Leistungen rund um die Produkte Strom, Gas und Öl an. Mit gut 10.000 Mitarbeitern und mehreren Milliarden Euro Jahresumsatz gehört der Energiedienstleister zu einem der mittelgroßen Player auf dem europäischen Energie-Markt. Der Erfolg der Ökostrom-Unternehmen, die sich zunehmend auf dem Markt etablieren, hat den Konzern immer wieder veranlasst, sich Gedanken über die Aufnahme erneuerbarer Energien ins eigene Portfolio zu machen. Das Investitionskapital dafür ist ebenso vorhanden wie Marktkenntnisse. So hat die Strom & Co. in den letzten Jahren mehrere Institute bei der Erforschung von Photovoltaik, Windkraft, Biomasse, Solarthermie und solarthermischen Kraftwerken unterstützt und einige wenige Großprojekte realisiert. Eine Energiegewinnung im größeren Umfang oder die Teilnahme an anderen Wertschöpfungsstufen, wie beispielsweise der Modulherstellung oder der Rohstoffgewinnung für Photovoltaik, waren bisher nicht Thema. Mögliche Akquisitionsobjekte hat man sich angesehen, ohne jedoch Käufe zu tätigen. In seine weit verzweigten und recht unkoordinierten Aktivitäten und „Experimente“ im Bereich der erneuerbaren Energien hat das Unternehmen beträchtliche Summen investiert, deren Höhe mittlerweile mit dem bloßen „Sammeln von Erfahrungen“ nicht mehr gerechtfertigt werden kann.

Stellen Sie sich vor, Ihr Unternehmen wäre eine Stadt, die an ihrem derzeitigen Standort auf bestimmte Weise gebaut und gewachsen ist: Die Stadt ist in Bezirke eingeteilt, die Gebäude sind auf bestimmte Art angeordnet und beherbergen unterschiedliche Funktionen; es gibt Regeln und Gesetze, nach denen gelebt und gearbeitet wird. Ihre sauber ausgearbeitete Strategie – also Ihre zukünftige strategische Position – ist nichts anderes als die genauen GPS-Koordinaten, also der Ort, an den Sie Ihre Stadt umsiedeln wollen. Den neuen Standort haben Sie während der Dschungel-Durchquerung entdeckt und als attraktiv ermittelt.

Bisher haben wir den strategischen Kontext analysiert und einen „smarten“ Weg durch den Strategie-Dschungel zurecht gelegt (Phase I bzw. Teil 1 des Buches). Anschließend haben wir den Dschungel auf einem gewählten Pfad durchquert und dabei die Strategie erarbeitet (Phase II bzw. Teil 2 des Buches), sodass wir die neue strategische Position des Unternehmens kennen. Im Kloster des Durchdenkens schließlich haben wir ein Strategie-Konzept erstellt (Phase III bzw .Teil 3 des Buches), das klipp und klar beschreibt, wie das Unternehmen an der neuen strategischen Position aussehen und funktionieren wird, und zwar bis auf die Ebene der einzelnen Unternehmensbereiche.