2007 | OriginalPaper | Chapter
Die Außenpolitik der Bundesrepublik und die deutsche Vergangenheit
Author : Birgit Schwelling
Published in: Handbuch zur deutschen Außenpolitik
Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Warschau, 7. Dezember 1970. Bundeskanzler Willy Brandt stattet Polen einen offiziellen Besuch ab. Zweck dieser ersten Reise eines deutschen Kanzlers nach Warschau ist die Unterzeichnung des „Warschauer Vertrages“, mit dem ein erster Schritt in Richtung Normalisierung der Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik vollzogen werden soll. Der Zweite Weltkrieg liegt erst fünfundzwanzig Jahre zurück, die Kriegsgeneration bestimmt das öffentliche Leben und Polens Sicht auf Deutschland ist nach wie vor von den Erinnerungen an das nationalsozialistische Unrechtsregime geprägt. Die Stadt Warschau ist dabei ein besonders sensibler Ort für eine solche Begegnung, wurde sie doch, nachdem deren Einwohner den nationalsozialistischen Besatzungsbehörden fünf Jahre lang unterworfen waren und nach zwei verzweifelten Aufständen, nahezu dem Erdboden gleichgemacht. Wenige Stunden nach der Unterzeichnung des Vertrages, in dessen Präambel Polen als erstes Opfer des Zweiten Weltkriegs benannt und mit dem die Westgrenze Polens anerkannt wird, erweist die deutsche Delegation den Opfern des Warschauer Ghettos mit einem Besuch des Denkmals für die Helden des Ghetto-Aufstandes ihre Referenz. Für alle völlig überraschend kniet Willy Brandt nach der Kranzniederlegung vor dem Denkmal nieder, das zur Erinnerung an den Aufstand der jüdischen Bevölkerung im Jahr 1943 nur wenige Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs errichtet worden war. Über dreißig Sekunden verharrt Brandt in dieser fast religiösen Demutshaltung, die als Schuldeingeständnis sofort zum Symbol wird. Sein besonderes Gewicht erhält der Kniefall von Warschau dadurch, dass gerade Brandt, der in der Zeit des Nationalsozialismus selbst zu den Opfern zählte, sich für sein Land und dessen Geschichte zu diesem Eingeständnis von Schuld bereit findet.