3.1 Klassischer Vertrieb
Der Wettbewerb um Endkunden im klassischen Stromvertrieb findet heute zum größten Teil auf Vergleichsplattformen wie Verivox und Check24 statt, da sich dort die Mehrzahl der Konsumenten über Anbieter und Preise informiert – wobei der Preis den für die Kunden wichtigsten Grund für einen potenziellen Wechsel des Stromanbieters darstellt (pwc
2015). Die Vergleichsplattformen finanzieren sich zu durchschnittlich 90 % über Provisionszahlungen der Unternehmen, welche auf ihrer Plattform angezeigt werden (BKartA
2019b). Neben dieser Einkommensquelle ist eine weitere Möglichkeit die (Teil‑)Finanzierung über Werbeschaltung (Verivox
2019). Beide Finanzierungsmöglichkeiten ermöglichen die Einflussnahme der verglichenen Unternehmen auf das Ranking der Vergleichsergebnisse – durch höhere Provisionszahlungen oder die Buchung eines Werbeplatzes zu Beginn der Ergebnisseite können sich die Unternehmen die bessere Auffindbarkeit und Aufmerksamkeit der Kunden „erkaufen“. Diese Intransparenz über die Neutralität der Vergleichsergebnisse (i. S. v.: Werden den Kunden wirklich die besten/günstigsten Ergebnisse angezeigt?) ist ein wesentlicher Kritikpunkt am Modell der Vergleichsplattformen (BKartA
2019b).
Eigentlich sollen und können die Portale die Markttransparenz erhöhen, Such- und Wechselkosten verringern und individuelle, präferenzgerechte Angebote für Konsumenten ermöglichen. Dies hat im Verlauf der letzten Jahre auch ein Ansteigen der Lieferantenwechsel bei Haushaltskunden hervorgerufen. Häufig jedoch ist die Wechselbereitschaft der Kunden trotzdem noch immer gering, sodass die Lieferantenwechselquote im Jahr 2017 bezogen auf Haushaltskunden lediglich bei 11,8 % und bezogen auf Nicht-Haushaltskunden – mit über 10 MWh Jahresverbrauch – bei 13,0 % lag (BNetzA und BKartA
2018, S. 29). Dies kann beispielsweise dadurch begründet werden, dass Einsparpotenziale unter- und Wechselkosten noch immer überschätzt werden (Thorun et al.
2017). Kunden könnten daraufhin erwägen, ihre knappen kognitiven Ressourcen bevorzugt für andere Transaktionen, die ihrer Meinung nach größere Aufmerksamkeit bedürfen und mehr Einsparpotenzial versprechen, zu konzentrieren. Ein weiterer Grund könnte auch die hohe Intransparenz des Marktes (trotz Strom als homogenem Gut) und der angesprochenen Qualitäts- und Preisintransparenz auf den Vergleichsportalen sein, welche die Kunden davon abhält die Portale zum Lieferantenwechsel zu nutzen. Gerade durch die noch immer bestehende grundsätzliche Wechselträgheit eines Großteils der Kunden, ist der Wettbewerb um Neukunden und die wechselbereiten Kunden kritisch für die Wettbewerbsdynamik des gesamten Marktes. Der Wettbewerb um diesen, wenn auch kleinen Anteil der Kunden wirkt sich so potenziell als positiver (pekuniärer) externer Effekt auf den Großteil der Kunden aus, der nicht wechselwillig ist. Damit findet der Wettbewerb auf den Vergleichsplattformen zwar nur um einen kleinen (wenn auch wachsenden) Teil der Konsumenten statt, ist jedoch relevant, um insgesamt den Wettbewerbsdruck zwischen den Stromanbietern am Leben zu erhalten.
Auf den Vergleichsportalen findet automatisch eine regionale Marktaufteilung und damit verbunden eine individuelle
1 Preisdifferenzierung statt. Das Vorgehen bei der Nutzung der Portale erfordert die Angabe der Postleitzahl durch den Endkunden. Anhand dieser werden dem Kunden die verfügbaren Anbieter und Tarife angezeigt, geordnet nach den Präferenzen des Kunden, meist ausgehend vom günstigsten Preis. Diese Preise ergeben sich (sofern nicht vom Kunden in den Voreinstellungen des Portals geändert) aus den normalen Tarifen der Anbieter, inklusive verschiedener Boni und Vergünstigungen (Verivox
2019). Diese Vergünstigungen sind durch spezielle Neukundenboni zumeist zeitlich begrenzt, sodass die tatsächlichen Preise nach einem Zeitraum von 12 bis 24 Monaten wesentlich höher sein können. Die gewährten Boni und der dadurch verringerte Preis bewirken jedoch das Anzeigen des Angebots weiter oben auf der Seite des Vergleichsportals (ebenso wie das Schalten von Werbung und/oder höheren Provisionszahlungen der Unternehmen). Je weiter oben und damit leichter ersichtlich die Angebote der Anbieter sind, desto eher werden sie vom Konsumenten wahrgenommen und genutzt, wobei viele Nutzer nur wenige Top-Suchergebnisse überhaupt wahrnehmen und Ergebnisse außerhalb der ersten Seite der Treffer kaum noch relevant sind (Granka et al.
2004; Lorigo et al.
2006; Pan et al.
2007; Paraskevas et al.
2011). Dementsprechend entsteht hier im Neukundenmarkt ein Wettbewerb um Listenplätze, so dass Anreize für Energielieferanten bestehen, möglichst viele Tarife mit einem (zumindest kurzfristig) niedrigen Preis auf diesen Plattformen anbieten zu können, Werbeplätze auf der Plattform zu kaufen und/oder sich höhere Listenplätze einzelner Tarife durch gesteigerte Provisionszahlungen zu erkaufen. Durch die Kombination dieser Strategien werden möglichst viele der Top-Listenplätze innerhalb der Suchergebnisse von einem Anbieter (wie beispielsweise der Neuen E.ON) besetzt und konkurrierende Angebote in den von den meisten Kunden nicht mehr wahrgenommenen Bereich verdrängt. Es ist außerdem zu beachten, dass datenbasierte Vergleichs- und Empfehlungsdienstleistungen zu Markteintrittsbarrieren werden können, wenn eine Vielzahl der Wechselwilligen sich ausschließlich über diese informiert (und durch die potenziell verzerrte Anzeige der Suchergebnisse nicht alle Angebote bzw. nicht die Angebote mit dem tatsächlich besten Preis und Konditionen wahrnimmt) und vorgelagerte Unternehmen über vertikale Marktmacht (gegenüber den Vergleichsdienstleistern) verfügen (Gaenssle und Budzinski
2019).
Mit der Übernahme der innogy-Angebote verbessert E.ON in erheblicher Weise seine Möglichkeiten, die Top-Suchergebnisse der Vergleichsportale zu beherrschen: nach dem Deal wird die Neue E.ON ca. 160 Strom-Marken mit mindestens 840 verschiedenen Tarifen im Angebot haben, mit welchen der Lieferant ca. 50 % der deutschen Gemeinden als Grundversorger versorgen wird (Seidel
2018; Lichtblick
2019a). Dieses große und differenzierte Portfolio spiegelt sich potenziell auch auf den Vergleichsplattformen wieder (LBD
2019c). Auf diesen herrscht für Endkunden Intransparenz, nicht nur aufgrund der bereits beschriebenen Anreizen zu einer intransparenten Preispolitik, sondern auch wegen des Scheinwettbewerbs, welcher dort zwischen den verschiedenen Marken einzelner Lieferanten besteht. So gehören neben den als „E.ON“-Tarifen klar erkenntlichen Angeboten weitere Marken, wie beispielsweise „E wie Einfach“, zum Konzern. Nach der Übernahme kommen hier noch „eprimo“ und „innogy“ dazu, sodass eine Abdeckung verschiedener Preissparten und die Präsenz auf den Preisvergleichsportalen gesichert ist (LBD
2019c). Damit wäre dann grundsätzlich eine potenzielle Quersubventionierung günstiger Tarife/Marken durch teurere Tarife/Marken innerhalb der Neuen E.ON durch das Anbieten verschiedenster Marken mit unterschiedlicher Bepreisung möglich. Diese Quersubventionierung wird durch die bereits genannte regionale Marktaufteilung innerhalb der Plattformen und verschiedener Marken eines Anbieters potenziell noch verstärkt (hier sind beispielsweise Informationen zu demographische Faktoren, vorhandener Industrie/Kleingewerbe in der jeweiligen Region und potenziellen Wettbewerbern relevant). So kann durch vielschichtige Preisdifferenzierung die Konsumentenrente durch die Versorger abgeschöpft werden, was durch die Vielzahl an Marken und Regionen in welcher die Neue E.ON aktiv sein wird noch besser umsetzbar ist. Ebenfalls grundsätzlich denkbar sind auch kurzfristige predatory pricing Strategien des zusammengeschlossenen Unternehmens – also die Preissetzung (einzelner Marken) unterhalb der Grenzkosten. So könnten kleinere Marktteilnehmer verdrängt und potenzielle neue Markteintritte verhindert werden. Auf lange Sicht, nach erfolgreicher Durchsetzung der Verdrängungspreisstrategie, ist eine marktmachtbedingte Erhöhung der Endkundenpreise wahrscheinlich (inter alia, Elzinga und Mills
2001). Auch die Sammlung und Aufbereitung von (preisbezogenen) Daten ist hier durchaus relevant – eine Vielzahl von Vergleichs- und Kundendaten kann die Preisdifferenzierung noch genauer und damit für die Unternehmen lukrativer machen. Größere Unternehmen mit größeren Datenmengen haben hier also einen klaren Vorteil bei der Preisdifferenzierung nach Postleitzahl-Gebiet und Marken.
Insgesamt handelt es sich bei der marktmachtbasierten Verdrängung der Wettbewerber aus den entscheidungsrelevanten Bereichen der Vergleichsplattformen um eine unseres Wissens in der Literatur bisher nicht beachtete neue Schadenstheorie in der Digital- und Datenökonomik, welche auch für andere Industrien relevant sein könnte (bspw. Anbieter von Internetzugängen). Sie ist den Schadenstheorien des Search Bias (inter alia, Bork und Sidak
2012; Haucap und Kehder
2013; Edelman
2015) oder Gatekeeper-Effekten verzerrter Empfehlungssysteme (Gaenssle und Budzinski
2019) verwandet, entfaltet aber überwiegend horizontale Wirkungen.
Auf weitere Vorteile des zusammengeschlossenen Unternehmens im Bereich der Datenökonomik, insbesondere in den neueren Geschäftsfeldern des Smart Metering und der Nutzung von Daten für die Entwicklung im Bereich der E‑Mobilität gehen die beiden folgenden Kapitel ein. Insgesamt lässt sich im Bereich des klassischen Stromvertriebs festhalten, dass durch den Zusammenschluss und die damit verbundene verstärkte Präsenz auf den Vergleichsportalen negative Wohlfahrtswirkungen i. S. v. Abschöpfung von Konsumentenrente und Ausnutzung der erheblichen Informationsasymmetrien zu erwarten sind.
3.2 Mess- und Zählerwesen
Nach der Übernahme kommt es potenziell auch im Bereich Mess- und Zählerwesen zu einer verstärkten Konzentration. Hier könnte sich die Neue E.ON, mit den künftig mehr als 20 Mio. Zählerstellen (LBD
2019a), durch das Zusammenführen der eigenen Daten mit denen von innogy zu einem Daten-Hub etablieren, welcher in der Lage ist, die gesammelten Nutzerdaten nicht nur zu speichern, sondern auch auszuwerten, zu kombinieren und für verschiedenste Anwendungen weiterzuverarbeiten – so zum Beispiel auch für genauere Prognosen von Großhandelspreisen, welche an den neuen Miteigentümer RWE weitergegeben werden könnten. Eine weitere Möglichkeit, welche zudem auch ein weiteres zukünftiges Geschäftsmodell darstellen könnte, wäre der Verkauf der Daten. Entweder im „Rohformat“ (hier bestünde allerdings durch Datenschutzvorgaben potenziell die Notwendigkeit der Anonymisierung der Daten) oder aber auch bereits ausgewertet und kombiniert, sodass beispielsweise andere Energielieferanten oder auch Drittanbieter von Mess- und Zähleranlagen diese für eigene Zwecke weiterverwenden könnten (Budzinski und Kuchinke
2020; Budzinski et al.
2020). Auch der Verkauf abgeschlossener Analysen auf Grundlage der gesammelten Daten, jeweils maßgeschneidert für den jeweiligen Kunden (beispielsweise aus der Automobil- oder der Versicherungsbranche, aber grundsätzlich auch Wettbewerber innerhalb der Energiebranche), ist denkbar. Durch die Analyse der Datensätze innerhalb der Neuen E.ON entsteht ein zusätzliches Geschäftsfeld, in welchem das Unternehmen seinen wettbewerblichen Vorteil der Vielzahl an Messstellen ausnutzen kann. Gleichzeitig können so auch mögliche datenschutzbezogene Hürden beim Direktverkauf der Datensätze umgangen werden (Analysen könnten zwar auf einzelne Nutzer bezogen sein, jedoch anonymisiert). Durch dieses Vorgehen würde die Neue E.ON zudem den Wettbewerbsvorteil der gesammelten Datensätze nicht aus der Hand geben. Dieses Geschäftsmodell der Datennutzung eröffnet dem Unternehmen zudem Möglichkeiten zur Diskriminierung: beispielsweise könnte ein Verkauf der Analysen an nur einige wenige Wettbewerber stattfinden, während anderen das Angebot versagt wird. Und auch im Bereich Kooperationen, beispielsweise mit der Automobilbranche im Geschäftsbereich der E‑Mobilität, könnte es zu dieser Art Diskriminierung kommen. Im Bereich Smart Home könnte das zusammengeschlossene Unternehmen ebenfalls exklusive Kooperationen eingehen, oder aber seine Daten nutzen, um eigene Angebote in diesem Bereich auf den Markt bringen zu können.
Dies sind grundsätzliche Möglichkeiten für Energielieferanten (insbesondere jene mit großen Marktanteilen und damit großen verfügbaren Datenmengen), um aus den Nutzerdaten der Endkunden neue Geschäftsmodelle und/oder Verbesserungen für bestehende Leistungen und Services abzuleiten. Dabei ist für diese Arten der (Aus‑) Nutzung der Datensammlung zwar eine Mindestmenge an Daten notwendig, keinesfalls aber bedarf es einer marktbeherrschenden Stellung oder gar eines Monopols. Vielmehr greift auch bei der Datensammlung und -analyse grundsätzlich das Prinzip des abnehmenden Grenznutzens. Eine dominante Marktstellung ist somit nicht notwendig, um die Vorteile der Auswertung personalisierter Daten nutzen zu können, wohl aber bestehen für ein dominantes Unternehmen Anreize über den Datenzugang den Wettbewerb zu behindern bzw. die eigene Marktmacht abzusichern und auszuweiten.
Um die angesprochenen neuen Geschäftsmodelle umsetzen zu können, sind neben dem Zugang zu möglichst vielen Endkunden-Haushalten und anderen Messstellen auch intelligente Messsysteme (iMSys), sog. Smart-Meter nötig. Durch das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) sind die Rahmenbedingungen für den verpflichtenden und freiwilligen Einbau intelligenter Messsysteme geregelt. Standard ist der Betrieb der Messstellen durch den Netzbetreiber, welcher grundzuständig ist. Grundsätzlich können Endverbraucher und Gewerbetreibende (insbesondere Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen) jedoch den Betreiber der Messstelle zwischen dem vorhandenen Netzbetreiber, einem anderen Energielieferanten oder einem Dritt-Anbieter auswählen (BNetzA
2019). Durch den standardmäßigen Betrieb der Messstelle durch den örtlichen Netzbetreiber liegt hier erneut ein deutlicher konzentrationsbedingter Wettbewerbsvorteil auf Seiten der Neuen E.ON vor, welche mit ihrem erweiterten Netzgebiet auch die Anzahl der potenziellen Messstellen steigert, für welche sie grundzuständig ist.
Aufgrund der strengen Regulierung und der Vorgaben bzgl. des Datenschutzes durch das BSI
2 entstehen der Neuen E.ON weitere Vorteile aufgrund von Skaleneffekten. Nach § 25 MsbG müssen Produzenten von Smart-Meter-Gateways (SMGW) gesicherte Kommunikationskanäle der informationstechnischen Anbindung von Messgeräten und von anderen an das SMGW angebundenen technischen Einrichtungen garantieren können. Diese Kommunikationseinheit empfängt und speichert die Messdaten von Zählern und ist außerdem dazu in Lage, diese Daten für andere Marktakteure aufzubereiten (
BSI2019a). Die Erfüllung dieser Anforderungen ist mit hohem technischem und personellen Aufwand sowie Know-How verbunden, sodass derzeit nur 36 Unternehmen diese Zertifizierung besitzen (
BSI2019b). Die Gateway-Administration stellt den Kern des Smart-Metering dar und ist durch die regulativen Auflagen stark fixkostengetrieben. Eine hohe Anzahl an Messstellen stellt hier also einen Wettbewerbsvorteil i. S. v. erheblichen Kostenvorteilen dar (LBD
2019b). Durch die Zusammenlegung der innogy- und der E.ON-Messstellen wird die Neue E.ON zukünftig einen prognostizierten Marktanteil von 41 % im Bereich des Messstellenbetriebs innehaben – das ist rund viermal so viel wie der nächste Wettbewerber Netze BW, mit 11 % Marktanteil (LBD
2019b), wodurch sich potenziell starke Größenvorteile durch Fixkostendegression einstellen.
Mit den iMSys können sowohl Kundendaten gesammelt, als auch ausgewertet und zur Beeinflussung der Kunden genutzt werden. Beispielsweise können durch temporale Preisdifferenzierung (d. h. unterschiedliche Preissetzung zu verschiedenen Tageszeiten) Anreize zur Nutzung bzw. Nicht-Nutzung gesetzt werden (Gerpott und Paukert
2014). Zudem ist zusätzlich der Verbau einer sog. Steuerbox vorgesehen, welcher beispielsweise die Steuerung strombasierter Heizungen wie Wärmepumpen und Stromspeicherheizungen, aber auch die Steuerung von einzelnen Lasten und Erzeugern durch externe Marktteilnehmer ermöglichen soll (VDE & FNN
2017). Durch das Zusammenspiel von SMGW und Steuerbox soll laut EU-Vorgabe die Transparenz der Verbrauche und damit der Abrechnungsmodalitäten für die Konsumenten erhöht werden (Richtlinie 2012/27/EU), gleichzeitig können so jedoch noch größere Datenmengen gesammelt werden, beispielsweise zum Verbrauch einzelner Geräte in einem Haushalt. Diese Daten könnten von den Stromanbietern dann wiederum ausgewertet und genutzt werden, um den Kunden zum einen individuelle Angebote für die eigene Energieversorgung zu machen (i. S. v. Preisdifferenzierung und damit Abschöpfung der Konsumentenrente) und zum anderen könnten so die bereits erwähnten maßgeschneiderten Analysen für Drittparteien verbessert werden. Eine Möglichkeit wäre die Kooperation von Energielieferanten mit Herstellern von Elektrogeräten (für diese wären vertiefte Nutzungsanalysen ihrer Geräte potenziell von großem Interesse) und die so mögliche Schaltung von personalisierter Werbung der Art „Wir haben festgestellt, Sie besitzen einen sehr verbrauchsintensiven Kühlschrank. Hier finden Sie individuelle Angebote für verbrauchsärmere Modelle“. Diese Art von Werbung kann für Kunden sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben, abhängig von der Werbemenge, den Werbevermeidungskosten und den individuellen Präferenzen der Konsumenten (Budzinski und Kuchinke
2020; Budzinski et al.
2020). Weitere potenzielle Kooperationsmöglichkeiten der Energielieferanten sind beispielsweise denkbar mit Dienstleistern, welche wissen müssen, ob der Kunde zuhause ist (Postbote) oder auch mit Versicherungsunternehmen, welche so das risikoaverse bzw. -affine Verhalten ihrer Kunden besser überwachen und Tarife entsprechend justieren könnten. Durch die Steuerboxen soll zukünftig jedoch nicht nur die Überwachung des Energieverbrauchs möglich sein, sondern auch die externe Steuerung und die noch bessere Schaffung von Nutzungs- bzw. Nicht-Nutzungs-Anreizen zur besseren Lastverteilung über den Tag. So kann beispielsweise sog. Peak-Shaving vorgenommen werden (der Ausgleich von Verbrauchsspitzen durch preisbasierte Anreizsetzung Energie zu einer bestimmten Tageszeit zu nutzen bzw. nicht zu nutzen). Dies wird insbesondere relevant für den Bereich der E‑Mobilität (siehe Abschn. 3.3). Hier wäre es potenziell problematisch, wenn zukünftig alle Haushalte ihre E‑Autos zur gleichen Zeit (beispielsweise am frühen Abend und über Nacht) zum Laden an das Stromnetz anschließen. Denkbar wären hier beispielsweise zum einen eine differenzierte Preisgestaltung zu verschiedenen Tageszeiten, aber auch ein Anreiz über Bonizahlungen an den Konsumenten, wenn dieser es dem Energielieferanten überlässt, das E‑Fahrzeug bis zu einem vereinbarten Zeitpunkt (beispielsweise zu einer bestimmten Uhrzeit am Morgen) vollzuladen. So könnte der Lieferant das Laden des Fahrzeugs flexibel nach den jeweiligen Lastspitzen ausrichten. Die Nutzungsdaten sind hierzu höchstrelevant für die Energielieferanten.
Durch diese verschiedenen potenziellen Anwendungsmöglichkeiten der Nutzungs- und Verbrauchsdaten entstehen jeweils verschiedene wettbewerbs- und wohlfahrtsökonomische Auswirkungen. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass Daten in Zukunft neue unternehmerische Möglichkeiten für die Energielieferanten eröffnen, welche sich häufig erst mit einer gewissen Mindestmenge an Datenpunkten umsetzen lassen und lukrativ sind, und somit der Zugang zu einer hinreichenden Zahl von Messstellen wesentlich für diese neuen Geschäftsmodelle ist. Es bedarf also eine Marktstruktur mit einer Mehrzahl von größeren Anbietern, um wettbewerbliche Anreize zur konsumentenorientierten Nutzung der neuen Geschäftsmöglichkeiten zu setzen. Dominiert hingegen ein Anbieter den Markt, so könnten Daten oder der Zugang zu ihnen eine Markteintrittsbarriere darstellen oder horizontale und vertikale Foreclosure-Strategien hervorrufen (Dewenter und Lüth
2016). Hierbei könnten die Lieferanten mit einer Vielzahl von Messstellen den kleineren Anbietern (wie beispielsweise örtlichen Stadtwerken) den Zugang zu Datensätzen oder Analyseergebnissen verwehren und so die Qualität von deren Angeboten verringern bzw. ihre eigene Angebote dadurch vergleichsweise attraktiver machen.
Bei einem Lieferantenwechsel durch den Kunden ist der Datenaustausch zwar gesetzlich geregelt (BNetzA
2016), diese Regelung umfasst allerdings nur die Übergabe der technischen und Kundenstammdaten, sowie des aktuellen Zählerstands vom alten an den neuen Lieferanten (§ 14 StromNZV; bdew
2017). Minutengenaue Verbrauchsdaten oder über Jahre entwickelte Kundenprofile – also die Daten mit dem höchsten ökonomischen Wert – werden hiervon nicht erfasst.
Insgesamt haben kleinere Anbieter durch die hohen regulatorischen Hürden und die Notwendigkeit von spezifischem Know-How, aber auch durch die hohen Skalenvorteile der größeren Lieferanten mit mehr Datensätzen erhebliche wettbewerbliche Nachteile im Bereich der Sammlung und Aufbereitung von Verbrauchsdaten. Hier könnte es zu einem Trend zur Auslagerung bzw. Zentralisierung der Dienstleistungen im Bereich des Mess- und Zählerwesens kommen, da die kleineren regionalen Anbieter diese schon jetzt teilweise von großen Netzbetreibern in Anspruch nehmen. Eine eigene Zertifizierung im Bereich der iMSys ist für Anbieter mit wenigen Messstellen aufgrund der hohen Fixkostenabhängigkeit kaum kostendeckend bzw. lukrativ. Die hohe Komplexität des Messstellenbetriebs ist ein wesentlicher Vorteil (unter anderem bzgl. Finanzen, Know-How, Skaleneffekte und Professionalität bzw. Reputation) für große Energielieferanten gegenüber den kleineren Anbietern. Hier wird die Neue E.ON durch die Kombination der innogy- mit den E.ON-Messstellen potenziell erhebliche Wettbewerbsvorteile erhalten. Durch die Vielzahl an Messstellen und dem damit einhergehenden Zuwachs von Marktmacht hat das Unternehmen nach dem Zusammenschluss potenziell die Möglichkeit und auch den Anreiz, diese Marktmacht auszunutzen und beispielsweise für Foreclosure-Strategien oder Preisdiskriminierung einzusetzen.
3.3 Auswirkungen im Bereich E-Mobilität
Wie in Abschn. 3.2 bereits erwähnt ist die Nutzung von Verbrauchsdaten zukünftig insbesondere relevant für den Bereich der E‑Mobilität. Hier ist beispielsweise das Wissen über das Nutzungs- und Ladeverhalten der Konsumenten relevant für Prognosen zum möglicherweise notwendigen Netzausbau, der Nutzung von E‑Autos als Speicher in Verbindung mit bidirektionalem Laden oder auch die Veräußerung der Datensätze bzw. vorgefertigten Analysen an verschiedene Marktteilnehmer als potenzielles neues Geschäftsmodell. All diese Möglichkeiten zeigen erneut den Vorteil von größeren Energieversorgern mit größeren Datensätzen – mehr Datenpunkte ermöglichen genauere Prognosen für künftige Geschäftsmodelle und notwendige Investitionen, sind monetär wertvoller i. S. v. können für eine höhere Summe beispielsweise an Fahrzeughersteller und andere Marktteilnehmer veräußert werden, und lassen eine genauere Preisdifferenzierung für Endkunden zu. Preisdifferenzierung zwischen Konsumenten mit und ohne Elektrofahrzeug wird teilweise schon jetzt auf Grundlage des erhöhten Verbrauchs betrieben (siehe beispielsweise Volkswagen AG
2019). Nach § 14a EnWG dürfen die Netzbetreiber Elektrofahrzeuge zudem als sog. „steuerbare Verbrauchseinrichtungen“ behandeln und damit unterschiedlich zum Haushaltsstrom bepreisen.
Des Weiteren birgt das Vorhandensein von größeren Datensätzen auf Seiten der Neuen E.ON erneut die Gefahr des Ausnutzens dieses Vorteils im Umgang mit Wettbewerbern und anderen Drittparteien. Beispielsweise in Form von Foreclosure-Strategien und Diskriminierung beim Zugang zu Daten bzw. Analysen durch Exklusivverträge mit einzelnen Anbietern/Partnern (Kommunale Energieversorger
2019). Das kann potenziell auch Auswirkungen auf Innovationen in diesem Bereich haben. Ohne Zugang zu Nutzungsdaten oder Analysen könnten sich Innovationen, beispielsweise im Bereich der Fahrzeugentwicklung, verzögern.
Eine weitere Auswirkung des Zusammenschlusses im Bereich der E‑Mobilität ist der Ausbau des Marktanteils der Neuen E.ON bzgl. der öffentlichen Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge (beispielsweise Ladesäulen an Autobahn-Rastplätzen, städtischen Parkplätzen oder auch Tankstellen). innogy besitzt hier, Stand Januar 2019, einen Anteil von 15,2 % im deutschen Gesamtmarkt und ist damit derzeitiger Marktführer. Die Neue E.ON wird in Zukunft einen prognostizierten Marktanteil von ca. 21 % halten. Dieser Wert scheint zunächst nicht so hoch zu sein, dass eine marktbeherrschende Stellung nach §18 (4) GWB begründet ist, liegt jedoch weit über dem Marktanteil des nächstfolgenden Wettbewerbers Allego, mit lediglich 6,2 % Anteil (LBD
2019b). Insbesondere regional ist die Marktkonzentration auf einzelne Anbieter von öffentlicher Ladeinfrastruktur noch weitaus höher als im gesamtdeutschen Vergleich. Diese dominanten, regionalen Marktstellungen haben sich im Verlauf der letzten Jahre verstärkt und gefestigt und insbesondere innogy konnte, Stand Juni 2019, vielerorts Marktanteile von bis zu 100 % vorweisen (Lichtblick
2019b). Die Kombination der Regionen, in welchen innogy oder E.ON jeweils marktbeherrschende Stellungen bzw. teilweise sogar Gebietsmonopole innehaben, führt potenziell zu Anreizen für die Neue E,ON, diese Stellungen (zumindest regional) zu missbrauchen und beispielsweise höhere Konsumentenpreise für Ladestrom (sowohl im Vergleich zu Haushaltsstrompreisen, als auch insgesamt) durchzusetzen (Lichtblick
2019b). Insgesamt ist dadurch auch zu erwarten, dass die Neue E.ON ihren Anteil auf dem gesamtdeutschen Markt weiter ausbauen kann.
Die öffentliche Ladeinfrastruktur ist ein wesentlicher Aspekt der zum Erfolg oder Misserfolg der Verbreitung von Elektrofahrzeugen beiträgt. Ein Ausbau dieser Infrastruktur ist unerlässlich, um die politischen Ziele zur Energie- und Verkehrswende zu erreichen (Lichtblick
2019b; BMWi
2019b; Monopolkommission
2019b, S. 96 ff.). Eine dominante Stellung in diesem Markt ist somit ein wesentlicher konzentrationsbedingter Wettbewerbsvorteil für den zukünftigen Erfolg der Neuen E.ON im sich entwickelnden Geschäftsfeld der Elektromobilität. So kann die Neue E.ON durch die Kombination der Vielzahl an ihr zur Verfügung stehenden (privaten) Ladedaten und öffentlichen Ladesäulen potenziell auch im Bereich E‑Mobilität Preise subventionieren und Kunden durch eingeschränkte Wechselmöglichkeiten an sich binden.
Der Zusammenschluss der E.ON mit innogy, als dem derzeitigen Technologieführer im Bereich Ladesäulen (Lichtblick
2019b), hat neben den Auswirkungen durch den gesteigerten Marktanteil im Bereich der öffentlich zugänglichen Ladepunkte potenziell auch Auswirkungen im Bereich Innovation. Fusionen tragen regelmäßig nicht zu Innovationsanreizen bei, insbesondere wenn das zusammengeschlossene Unternehmen eine dominante Stellung auf dem Markt hat, sodass Preiswettbewerb nicht zu befürchten ist. Doch potenziell könnten durch die Kombination der Stärken beider Unternehmen, also der führenden Ladesäulen-Technologie innogys mit dem wohl erheblichen F&E-Budget der E.ON, gerade auch Innovationsvorteile bzw. -anreize entstehen (inter alia, Aghion et al.
2005; Baker
2007,
2016). Grundsätzlich wäre dies im Sinne der Verbraucher, läge im (umwelt- und energie-) politischen Interesse und wäre damit wohlfahrtssteigernd. Die so potenziell entstehende weitere Verbesserung der Stellung der Neuen E.ON auf dem Markt für Ladesäuleninfrastruktur würde den Wettbewerb in diesem Bereich jedoch weiter eindämmen. Auf lange Sicht könnte das die Preise für das Laden eines Elektrofahrzeuges an öffentlichen Ladesäulen erhöhen und Anreize zur Ausnutzung der dominanten Marktstellung bieten. Auch Preisdiskriminierung von Nicht‑E.ON-Kunden, welche an E.ON-Ladesäulen einen höheren Tarif zahlen müssen, ist dadurch denkbar.
Eine weitere Verfestigung der dominanten Marktstellung kann durch den Abschluss von Exklusivverträgen mit Tankstellenbetreibern entstehen. Diese sind zwar im Markt üblich und werden von verschiedenen Energielieferanten genutzt, stärken jedoch für die Laufzeit der Verträge potenziell die Vormachtstellung der Neuen E.ON auf dem Ladesäulenmarkt weiter, blockieren den Wettbewerb und ermöglichen so den Ausschluss von möglichen Konkurrenten. Diese Konkurrenten sind potenziell auch die Rohölförderer selbst. So bietet Shell beispielsweise mit Shell PrivatEnergie schon jetzt Strom- und Gastarife für Privatkunden an – unter anderem mit der Option eines dauerhaften Nachlasses auf das Tanken an Shell Tankstellen (Shell PrivatEnergie
2019). Ein solcher kombinierte Tarif ist auch denkbar für das Tanken von Strom mit einem Elektroauto. Damit stellen die Rohölförderer potenziell ernstzunehmende und finanzstarke Konkurrenz für die Neue E.ON dar, welche deren Marktmacht im Bereich der Ladesäuleninfrastruktur (mindestens im öffentlichen Raum) auf lange Sicht potenziell eindämmen und damit den Wettbewerb stärken könnten.