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2008 | Book

Die Sicherheitsgesellschaft

Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert

Authors: Tobias Singeinstein, Peer Stolle

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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About this book

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten war ein grundlegender Wandel im Bereich sozialer Kontrolle zu beobachten, der bis heute seinen Abschluss nicht gefunden hat. Dabei unterliegt – mit teilweise deutlichen Differenzen zwischen den USA, Großbritannien und Kontinentaleuropa – sowohl das Verständnis von Devianz und sozialer Kontrolle einer Veränderung, als auch deren Mechanismen, Techniken und Institutionen. Die vorliegende Arbeit will zum einen diese E- wicklung und den Stand sozialer Kontrolle am Beginn des 21. Jahrhunderts skiz- 1 zieren. Zum anderen sollen Eckpunkte für eine Kritik dieser gegenwärtigen Formation sozialer Kontrolle aufgezeigt werden. Dabei legen wir ein besonderes Augenmerk darauf, dass soziale Kontrolle sowohl von ihrem Gegenstand her als auch in ihrer konkreten Ausprägung nur vor dem Hintergrund der jeweils bes- henden gesellschaftlichen Bedingungen verstanden werden kann. 1. 1 Soziale Kontrolle: Begriff und Erscheinungsformen Sozialkontrolle als Begriff umfasst sowohl staatliche als auch private Mechan- men und Techniken, mit denen eine Gesellschaft oder eine sonstige soziale Gruppe versucht, ihre Mitglieder dazu anzuhalten, den von ihr aufgestellten Normen als Verhaltensanforderungen Folge zu leisten. Sie reicht von der Soz- lisation als Vermittlungsinstanz über Familie, Schule und soziales Umfeld bis hin zur staatlichen Strafverfolgung und umfasst dementsprechend sehr unter- 2 schiedliche Institutionen, Mechanismen und Techniken. Dabei können jeweils zwei Ebenen unterschieden werden: eine Ebene der Normgenese, auf der Verh- tensanforderungen aufgestellt werden, und eine Durchsetzungsebene, auf der die Befolgung sozialer Normen gewährleistet werden soll. Die Reaktion auf abw- chendes Verhalten macht daher nur einen Teilbereich sozialer Kontrolle aus.

Table of Contents

Frontmatter
1. Einführung
Auszug
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten war ein grundlegender Wandel im Bereich sozialer Kontrolle zu beobachten, der bis heute seinen Abschluss nicht gefunden hat. Dabei unterliegt — mit teilweise deutlichen Differenzen zwischen den USA, Großbritannien und Kontinentaleuropa — sowohl das Verständnis von Devianz und sozialer Kontrolle einer Veränderung, als auch deren Mechanismen, Techniken und Institutionen. Die vorliegende Arbeit will zum einen diese Entwicklung und den Stand sozialer Kontrolle am Beginn des 21. Jahrhunderts skizzieren.1 Zum anderen sollen Eckpunkte für eine Kritik dieser gegenwärtigen Formation sozialer Kontrolle aufgezeigt werden. Dabei legen wir ein besonderes Augenmerk darauf, dass soziale Kontrolle sowohl von ihrem Gegenstand her als auch in ihrer konkreten Ausprägung nur vor dem Hintergrund der jeweils bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen verstanden werden kann.
2. Gesellschaft im Wandel
Auszug
Sowohl Gegenstand und Zweck von Sozialkontrolle als auch die dazu eingesetzten Mechanismen und Techniken sind nicht statisch, sondern hängen von den soziokulturellen, ökonomischen und politischen Strukturen und Bedingungen einer Gesellschaft ab.17 Ein Wandel dieser Rahmenbedingungen zieht auch Veränderungen im Bereich sozialer Kontrolle nach sich. Zum Verständnis der gegenwärtigen Formation von Sozialkontrolle ist es somit notwendig, sich mit den umfassenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen auseinanderzusetzen, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten sind. Denn diese bilden die Grundlage für einen erheblichen Wandel der gesellschaftlichen Bedingungen sozialer Kontrolle (dazu unten 3).
3. Wandel der gesellschaftlichen Bedingungen sozialer Kontrolle
Auszug
Die beschriebenen ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Veränderungen haben zu einem Wandel der gesellschaftlichen Bedingungen für soziale Kontrolle geführt. Der wohlfahrtsstaatlichen Sozialkontrolle (s. dazu unten 3.1) wurden infolge der Transformationen zum Teil die Grundlagen entzogen. Die daraus sich entwickelnde gegenwärtige Formation von Sozialkontrolle ist nicht nur ein Produkt der veränderten gesellschaftlichen Strukturen (dazu 3.2). Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang auch neue Sicherheitsdiskurse und eine verbreitete gesellschaftliche Verunsicherung (dazu 3.3) sowie das Wirken unterschiedlicher Protagonisten (dazu 3.4).
4. Soziale Kontrolle der Gegenwart
Auszug
Vor dem beschriebenen gesellschaftlichen Hintergrund bildet sich schrittweise eine veränderte Formation sozialer Kontrolle heraus. Diese zeichnet sich einerseits durch ein verändertes Konzept (dazu 4.1) und andererseits durch eine Erweiterung des Arsenals sozialkontrollierender Techniken aus (dazu 4.2).199 Darüber hinaus führen die gesellschaftlichen Transformationsprozesse zu einer organisatorischen und institutionellen Anpassung sozialer Kontrolle an die neuen Bedingungen (dazu unten 4.3).
5. Grundzüge einer Kritik
Auszug
In den vorangegangenen Teilen wurde gezeigt, dass sich Sozialkontrolle in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert hat. Neben die Disziplinierung des Individuums, die sich an einem umfassenden Normensystem orientiert, tritt zunehmend ein Konzept der Verwaltung des empirisch Normalen. Dieser Wandel wirkt sich auch auf die Techniken sozialer Kontrolle aus, wobei solche der Selbstführung, der Kontrolle und des Ausschlusses an Bedeutung gewinnen bzw. sich in ihrer Zielrichtung und Ausgestaltung den neuen gesellschaftlichen Bedingungen anpassen. Diesem vorwiegend deskriptiven ersten Teil der Arbeit soll an dieser Stelle ein eher theoretisch-analytischer Teil folgen, in dem wir uns mit möglichen Ansätzen einer Kritik an der gewandelten Formation von Sozialkontrolle auseinandersetzen. Ein solches Unterfangen kann sich nicht auf den Bereich der staatlichen Sozialkontrolle oder gar nur auf das Strafrecht beschränken, sondern muss den gesamten Bereich sozialer Kontrolle berücksichtigen.
6. Gesellschaftspolitischer Ausblick
Auszug
Im vorangehenden Kapitel haben wir aufgezeigt, wie verschiedene kritische Ansätze soziale Kontrolle und ihre Entwicklung theoretisch analysieren und welche alternativen Perspektiven sich hieraus jeweils ergeben. Im Folgenden wollen wir nun diese beschreibende Ebene verlassen und uns der Frage widmen, wie eine rechts- und gesellschaftspolitische Antwort auf die gegenwärtigen Entwicklungen aussehen kann. Zu diesem Zweck untersuchen wir zunächst gängige Argumentationsmuster, um davon ausgehend Ansatzpunkte für einen Umgang mit der Sicherheitsgesellschaft zu formulieren.
7. Fazit
Auszug
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind tief greifende gesellschaftliche Transformationsprozesse zu beobachten, die einen grundlegenden Wandel der gesellschaftlichen Bedingungen für soziale Kontrolle mit sich gebracht haben. Die alten Strukturen gerieten in die Krise, während Individualisierung, Pluralisierung sowie eine aufkommende Verunsicherung und Risikowirklichkeit neue Vorgaben schufen. Innerhalb dieses Rahmens gesellschaftlicher Bedingungen verfolgen Ideologien und Akteure ihre Ziele und beeinflussen so die Vorgaben für soziale Kontrolle. Die sich auf dieser Grundlage herausbildende gegenwärtige Formation sozialer Kontrolle lässt sich analytisch mit dem Begriff der Sicherheitsgesellschaft fassen, in dem sich die massiv gestiegene gesellschaftliche Bedeutung von individueller Sicherheit gegenüber einem Verständnis von sozialer Sicherheit widerspiegelt. Dies führt zu einem Bedeutungsverlust von vormals zentralen gesellschaftlichen Prinzipien wie Demokratie, sozialer Gleichheit, individueller Freiheit und Selbstbestimmung.
Backmatter
Metadata
Title
Die Sicherheitsgesellschaft
Authors
Tobias Singeinstein
Peer Stolle
Copyright Year
2008
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90864-9
Print ISBN
978-3-531-15478-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90864-9