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2007 | Book

Drachenflug

Wirtschaftsmacht China quo vadis?

Authors: Dr. Helmut Becker, Niels Straub

Publisher: Springer Berlin Heidelberg

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About this book

Der Drache China ist erwacht – mit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich China zu der wichtigsten Wachstumsregion der Welt entwickelt. Durch den von der kommunistischen Führung in Peking Ende der 1970er Jahre eingeschlagenen Reformkurs erlebt das Land einen Wirtschaftsboom sondergleichen. Die entscheidende Fragestellung dieses Buches ist, ob der gegenwärtig eingeschlagene Weg Chinas dauerhaft und eine langfristige wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität unter der Allmachtstellung der kommunistischen Partei möglich ist. Um diese Frage überzeugend zu beantworten, blicken die Autoren auf die über 4000-jährige Geschichte – den Aufstieg zum Reich der Mitte und den Abstieg zum Fernen Osten – zurück, und untersuchen den gegenwärtigen Wiederaufstieg auf seine Vereinbarkeit mit der gesellschaftlichen Ordnungstradition, der chinesischen Mentalität und Kultur. Erst auf Grundlage der Frage nach dem "Woher" kann die Frage nach dem "Wohin" gestellt und beantwortet werden.

Table of Contents

Frontmatter

Geschichte — Chinas langer Marsch durch die Weltgeschichte

Frontmatter
1. 4000 Jahre Drachenflug
Auszug
China gehört zu den ältesten Zivilisationen bzw. Hochkulturen der Menschheit. Archäologische Funde vor allem im mittleren Lauf des Gelben Flusses und des Yangtse zeigen, dass die Menschen vor etwa 8000 Jahren Landwirtschaft betrieben und unter anderem bereits Reis und Hirse anbauten und Keramik herstellten. Zu einer Zeit also, als an Euphrat und Tigris Noahs Arche strandete und der biblische Abraham seine Spuren hinterließ. Als Träger dieser Kultur und als dominierende Volksgruppe haben sich in der chinesischen Geschichte die Han-Chinesen etabliert. Schriftliche Aufzeichnungen reichen knapp 4000 Jahre zurück.
2. Drachen-Staat und -Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne
Auszug
Traditionelle gesellschaftliche Wert- und Ordnungsvorstellungen, Normen und Verhaltensmuster aus der Antike und der Kaiserzeit üben auch nach Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft noch starken Einfluss auf die chinesische Gesellschaft sowie auf die Weltansicht, Grundüberzeugungen und Verhaltensweisen vieler Chinesen aus. Die politische Ordnungstradition Chinas ist ganz wesentlich von der vor rund 2500 Jahren begründeten konfuzianischen Lehre geprägt worden. Kennzeichnend für das konfuzianische Ordnungsdenken ist ein patriarchalischer, autoritärer Grundzug von Law and Order, der nach Meinung vieler Experten die Durchsetzung liberaler, demokratischer Prinzipien westlicher Prägung in China bis heute, vielleicht auch dauerhaft, verhindert.
3. Außenbeziehungen — Der Drache und die „Barbaren“
Auszug
Es zeigt sich bereits in den frühen Aufzeichnungen des 1. Jahrtausends v. Chr., dass die Bezeichnungen der Chinesen für die außerhalb des chinesischen Reichs lebenden Völker nicht nur von der räumlichen Trennung geprägt waren, sondern auch von der Vorstellung der eigenen kulturellen Überlegenheit: Sie werden als „Barbaren“ bezeichnet. Mit der Schaffung eines Einheitsreiches und der Festlegung der Grenzen durch den ersten Kaiser Chinas wurde die Trennung zwischen „innen“ und „außen“, zwischen den Ackerbau treibenden Chinesen und den nicht zivilisierten, nomadisierenden Wilden festgeschrieben.
4. Resümee: Hält der Drache politischen Kurs?
Auszug
Die chinesische Geschichte ist seit vier Jahrtausenden von einer nicht enden wollenden Abfolge von Aufstieg, Niedergang, Umsturz, Aufstieg, Niedergang, Umsturz etc. von Dynastien – Herrschaftssystemen also mit absolutem Machtanspruch – gekennzeichnet. Eine politische Weiterentwicklung des Herrschaftssystems von der autokratischen Form des Gottkaisertums hin zu einer freien, aufgeklärten Demokratie westlicher Prägung fand nie statt.

Gesellschaft im Umbruch

Frontmatter
5. Warum der Drache anders ist: Wurzeln gesellschaftlicher und kultureller Unterschiede
Auszug
Die Volksrepublik China ist ein ethnisch vergleichsweise homogener Staat, in dem die Han-Chinesen über 90 % der Bevölkerung stellen. Aus westlicher Sicht lässt sich daher in vielerlei Hinsicht eine gewisse homogene chinesische Nationalkultur ausmachen, trotz der regionalen kulturellen Unterschiede, die selbstverständlich auch in China vorhanden sind. Aus westlicher Perspektive ist aber auf jeden Fall zumindest über die Fremdheit oder Andersartigkeit der chinesischen Kultur im Gegensatz zur abendländischen eine klare Abgrenzung gegeben.
6. Soziale Strukturen der Drachengesellschaft
Auszug
Ein grundlegendes Merkmal chinesischer Sozialstruktur ist der Vorrang des Gemeinwesens und der übergeordneten politischen Ordnung vor den Interessen des Individuums. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Der Einzelne zählt nichts, die Gemeinschaft zählt alles!
7. Was der Drache unter Freiheit und Menschenrechten versteht
Auszug
Vor dem geschilderten Hintergrund nimmt es nicht Wunder, dass auch in dem grundlegenden Bereich der traditionellen chinesischen Gesellschafts- und Staatsauffassung bezüglich persönlicher Freiheiten eindeutige Unterschiede zwischen der chinesischen und der westlichen Denktradition bestehen. Die politische Ordnungstradition Chinas ist ganz wesentlich von der seit über 2000 Jahren bestehenden konfuzianischen Lehre geprägt. Wie dargelegt, ist für das konfuzianische Ordnungsdenken ein patriarchalischer, autoritärer Grundzug maßgebend, der einer Durchsetzung liberaler demokratischer Prinzipien abendländischer Prägung in China bis heute entgegensteht.
8. Das Verhältnis von kultureller, moralischer und wirtschaftlicher Ordnung
Auszug
Das Grundprinzip der konfuzianischen Wirtschaftsordnung ist die Ausrichtung der Wirtschaft auf ethische Standards. Das bedeutet aber nicht, dass man das Streben nach mehr persönlichem Reichtum aufgeben, also grundsätzlich den Egoismus überwinden soll. Dieser gilt vielmehr als natürlich menschlich und soll auch in dem Maße ausgelebt werden, in dem das Verfolgen des Reichtumsziels der Sorge um die gute Ordnung der Gemeinschaft untergeordnet bleibt.
9. Gefahren für die innere Stabilität des Drachenstaates
Auszug
Das Hauptinteresse der politischen Führung Chinas liegt in der Bewahrung ihres Machtmonopols angesichts der gewaltigen sozialen und ökonomischen Umbrüche, die aus dem raschen Wachstumsprozess resultieren. Als wichtigste Grundmuster der gegenwärtigen politischen Ordnung lassen sich der Fortbestand eines leninistischen politischen Systems unter Kontrolle der KPCh, das Fehlen einer organisierten Opposition und der allmähliche Wandel des Führungssystems in Richtung auf einen zwar nach wie vor autoritären, aber deutlich konsultativeren Führungsstil identifizieren.
10. Resümee: Bleibt der Drachenstaat innenpolitisch stabil?
Auszug
Die chinesische Gesellschaft befindet sich in einem tiefgreifenden und noch nie dagewesenen Wandel. Seit mehr als zweitausend Jahren bestand die Gesellschaft aus einer konfuzianischen Elite, beziehungsweise aus dem kommunistischen Parteikader, und einer breiten Masse von armen Bauern und Arbeitern. Durch die wirtschaftliche Liberalisierung des Landes entstehen nun erstmals in der Geschichte Chinas eine neue, nichtstaatliche Oberschicht aus privaten Unternehmern sowie eine breite Mittelschicht aus gut ausgebildeten Akademikern und Angestellten der privaten Unternehmen.

Aufstieg des Drachens zur Wirtschaftsmacht

Frontmatter
11. Womit alles anfing: Der wirtschaftliche Reformprozess
Auszug
Mit dem Sieg der Kommunisten über die Kuomintang im Bürgerkrieg und der damit verbundenen Ausrufung der Volksrepublik im Jahr 1949 kamen einschneidende politische und wirtschaftliche Veränderungen auf das Land zu. Die Kommunisten unter dem Bauernführer Mao Zedong veränderten die gesamte Sozialstruktur des Landes nachhaltig. Ihre Herrschaftsideologie ließ nur vier Gesellschaftsgruppen zu: Bauern, Arbeiter, Kader und Intelligenz. Die „Volksmassen“ sollten eine egalitäre Einheit bilden, ohne ausdifferenzierte Merkmale (z.B. Einkommen oder soziale Schicht). Ehemals dominierende Schichten wie die der Kaufleute und Grundherren wurden zerschlagen.
12. Das rote Wirtschaftswunder
Auszug
Der schrittweise Übergang zu einer immer stärkeren marktwirtschaftlichen Orientierung hat große Wachstumskräfte in China freigesetzt. Auch nach 25 Jahren der „Reform- und Öffnungspolitik“ befindet sich China noch immer im Übergang zur Marktwirtschaft, von einer primär landwirtschaftlichen zur industriellen und Dienstleistungswirtschaft, von einer geschlossenen zu einer offenen Wirtschaft. Der Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation (WTO) Ende 2001 stellte nicht nur eine umfassende offizielle Erklärung Chinas und der WTO-Mitglieder zur Wiedereingliederung des Riesenlandes in das Weltwirtschaftssystem dar, sondern war auch für die chinesische Öffentlichkeit ein klares Zeichen der Hinwendung ihres Landes zur Welt. China ist inzwischen die viertgrößte Volkswirtschaft und drittgrößte Handelsnation der Welt. Mit einem durchschnittlichen Pro- Kopf-Einkommen von knapp ca. 1.700 US$ ist es aber auch das weltgrößte Entwicklungsland.
13. Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung bis 2015
Auszug
Die weltwirtschaftliche Bedeutung Chinas hat in den letzten zehn Jahren eindrucksvoll zugenommen. Das Bruttoinlandsprodukt ist in diesem Zeitraum um 136 % gestiegen und überholte im Jahre 2004 die wirtschaftliche Leistung Italiens. Nach einer Revision der volkswirtschaftlichen Daten im Herbst 2005 wurde das BIP deutlich nach oben korrigiert, aufgrund des zu niedrig eingeschätzten Dienstleistungssektors. Dessen Anteil am Bruttoinlandsprodukt wurde von 31,9 % auf 40,7 % revidiert. Nach dieser Korrektur hat China voraussichtlich Frankreich und Großbritannien hinsichtlich der absoluten Größe der Volkswirtschaft überholt und nimmt inzwischen bereits den vierten Rang unter den größten Volkswirtschaften der Welt ein. Nach Kaufkraftparitäten liegt China hinter den USA sogar schon auf Platz 2. Diese dynamische Entwicklung geht vor allem auf die Wirtschaftskraft des chinesischen Binnenmarktes mit 1,3 Mrd. Menschen, die eingeschlagenen Wachstumsstrategie und die durch den WTO-Beitritt in 2001 zunehmende Integration Chinas in die internationale Arbeitsteilung zurück. Im Vergleich zu anderen „Emerging Countries“ ist neben den stabilen politischen Machtverhältnissen vor allem die hohe Attraktivität des Standortes China für ausländische Investoren hervorzuheben.
14. Mögliche Turbulenzzonen beim Drachenflug
Auszug
In der alten zentralverwaltungswirtschaftlichen Ordnung waren das staatliche Bankensystem und der staatliche Unternehmenssektor die zentralen Säulen der chinesischen Volkswirtschaft. Heute stellen diese beiden Bereiche dagegen die größten Risikofaktoren für die chinesische Volkswirtschaft und die gesamtgesellschaftliche Stabilität dar. Die Kreditportefeuilles der großen chinesischen Geschäftsbanken sind trotz massiver staatlicher Anstrengungen noch immer in einem äußerst hohen Maß mit Not leidenden bzw. nicht wieder einbringbaren Krediten belastet. Hinter diesen „faulen“ Krediten steht ein Heer von maroden Staatsunternehmen, die ineffizient wirtschaften und in einem freien Marktwettbewerb nicht konkurrenz- und überlebensfähig wären. Andererseits können diese ineffizienten Staatsbetriebe nicht kurzfristig geschlossen oder von ihren Finanzierungsquellen (d.h. den chinesischen Geschäftsbanken) abgeschnitten werden, da die hiermit induzierte Massenarbeitslosigkeit nicht über hinreichende Sozialversicherungsnetze aufgefangen werden könnte. Das Auflösen der faulen Kredite im Bankensektor durch den Staat würde ebenso wie eine staatliche Finanzierung der Sozialversicherung den Staatshaushalt übermäßig belasten, die sichtbare Staatsverschuldung in die Höhe treiben und die volkswirtschaftliche Stabilität Chinas erheblich gefährden (vgl. Abb. 16).
15. Was der Drache vorhat — Der Flugplan nach dem 11. Fünfjahresplan (2006 – 2010)
Auszug
Im März 2006 tagte der chinesische Volkskongress und verabschiedete erwartungsgemäß den 11. Fünfjahresplan, den die Regierung für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes in der Zeit 2006 – 2010 vorgelegt hatte. Es wurde betont, dass der neue Plan ein weiterer Schritt in Richtung Marktwirtschaft sei, dabei aber auch weiterhin die sozialistische Komponente Chinas berücksichtige. Der neue Fünfjahresplan stellt laut Ansprache von Staatspräsident Hu einen Kurswechsel von einer quantitativen zu einer mehr qualitativ orientierten Wirtschaftsentwicklung in China dar. Der sozialen Gerechtigkeit wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt, mit speziellem Augenmerk auf der Verbesserung der Lebensbedingungen für die ländliche Bevölkerung. Des Weiteren ist in dem Plan eine größere Betonung des Umweltschutzes und der effizienteren Nutzung von Rohstoffen und Energiequellen vorgesehen und die technologische Innovationsfähigkeit Chinas soll gestärkt werden.
16. Schlussresümee: Drache weiter im Höhenflug!
Auszug
Das alte, folkloristisch angehauchte Reich der Mitte ist tot! Schon haben die ersten westlichen Touristikgesellschaften begonnen, China aus ihren Besucherprogrammen zu streichen.
Backmatter
Metadata
Title
Drachenflug
Authors
Dr. Helmut Becker
Niels Straub
Copyright Year
2007
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-540-71171-1
Print ISBN
978-3-540-71170-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-540-71171-1