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2008 | Book

Europapolitik aus dem Ausschuss

Innenansichten des Ausschusswesens der EU

Author: Sebastian Huster

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Table of Contents

Frontmatter
Einleitung
Auszug
Ausschüsse sind ein integraler Bestandteil der kollektiven Entscheidungsfindung in modernen politischen Systemen. Sie bilden Foren, in denen politische Ideen beraten, Vorschläge diskutiert und Sachverstand sowie technisches Wissen in den politischen Prozess eingebracht werden. Schon vor 50 Jahren hat der britische Politikwissenschaftler Kenneth C. Wheare in seinem Buch mit dem richtungweisenden Titel ‚Government by Committee: An Essay on the British Constitution‘ (1955) die vielfältige und weit reichende Rolle der Ausschüsse für die Funktionsfähigkeit des britischen Regierungssystems hervorgehoben. Als Antwort auf die ständig wachsende Komplexität der Regulierung moderner Gesellschaften bilden Ausschüsse netzwerkartige Kooperationsformen öffentlicher, privater und zivilgesellschaftlicher Akteure, die einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Problemlösungsfindung und Durchsetzung von kollektiven Normen leisten. Auch in der Europäischen Union haben sich Ausschüsse zu einem unverzichtbaren Instrument der Entwicklung und Umsetzung von Unionspolitiken entwickelt.
1. Die Welt der Ausschüsse
Auszug
Das Institutionengefüge der Europäischen Union gleicht einem Eisberg — an der Oberfläche bilden die Europäische Kommission, der Ministerrat und das Europäische Parlament die Spitze des Eisbergs, während eine immense Zahl von Ausschüssen im Verborgenen unter der Wasseroberfläche arbeitet. Tagtäglich treffen sich in Brüssel bis zu 40 Ausschüsse bei Kommission, Rat oder Parlament, die weit reichende Vorarbeiten leisten. Zwar werden die Entscheidungen letztlich von den ‚offiziellen‘ Institutionen getroffen, ohne die Hilfe der Ausschüsse wären sie jedoch hoffnungslos überfordert. Unbemerkt von der Öffentlichkeit, den Medien oder der Wissenschaft hat sich das Ausschusswesen im europäischen Politikprozess zu einem verborgenen Machtapparat entwickelt, der durch richtungweisende Vorentscheidungen die EU-Gesetzgebung entscheidend beeinflusst.
2. Regieren durch Ausschüsse — Entwicklung eines analytischen Bezugsrahmens
Auszug
Die gemeinschaftliche Willensbildung zeichnet sich durch ein Regieren durch Ausschüsse aus. Die Allgegenwart der Ausschüsse in den verschiedenen Phasen des europäischen Politikzyklus ist zwar lange Zeit von der Europaforschung unentdeckt geblieben, hat dafür aber Ende der 1990er Jahre umso mehr Aufmerksamkeit erfahren. Durch ihre intransparente Arbeitsweise im Verborgenen umgibt die Ausschüsse etwas Geheimnisvolles, das sie zwischenzeitlich sogar — unter dem alles umfassenden Schlagwort Komitologie — zu einer Art Modethema der Europaforschung werden ließ. Inzwischen ist das Interesse allmählich abgeflaut, der Erkenntnisstand jedoch zumindest in empirischer Hinsicht noch immer weitgehend ernüchternd. Dabei mangelt es nicht an empirischen Untersuchungen. Diese gehen allerdings zumeist nicht über eine eher rechtsformalistische Beschreibung der Bedeutung und Arbeitsweise einzelner (Komitologie) Ausschüsse hinaus und sind deshalb nur beschränkt aussagekräftig. Aufgrund der Schwierigkeiten, die Ausschüsse in der Praxis zu erforschen, gibt es über die konkreten Interaktions- und Kooperationsbeziehungen in den Ausschüssen bisher allenfalls Vermutungen, jedoch keine empirisch gesicherten Erkenntnisse. Die Ausschüsse werden darüber hinaus vielfach als Erklärungsfaktor für die unerwartet hohe Problemlösungsfähigkeit des europäischen Institutionengefüges angeführt, dennoch mangelt es noch immer an einer differenzierten Bewertung der Bedingungen ihrer Gestaltungskapazität.
3. Forschungsdesign und methodisches Vorgehen
Auszug
Bevor zum empirischen Teil dieser Studie übergegangen wird, erscheinen einige Erläuterungen zur Methodik der Untersuchung angebracht. Eine empirische Analyse der Arbeits- und Funktionsweise der Ausschüsse ist angesichts der notdürftigen Quellenlage und des problematischen Zugangs zum Untersuchungsobjekt ein besonders schwieriges Unterfangen. Nicht ohne Grund ist der Wissens- und Forschungsstand über das Ausschusswesen so defizitär. Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten der Informationsgewinnung werden im Folgenden zunächst das Forschungsdesign erläutert und die die Untersuchung strukturierenden Auswahlentscheidungen begründet (3.1). Im Anschluss werden die einzelnen methodischen Bausteine der Datenerhebung vorgestellt und hinsichtlich ihrer methodologischen Gütekriterien hinterfragt (3.2).
4. Die Arbeitsweise der Ausschüsse
Auszug
Zum Auftakt des empirischen Teils gilt es die formalen Aspekte der Arbeitsweise der Expertengruppen und Komitologieausschüsse näher unter die Lupe zu nehmen. Einheitliche Rahmenbedingungen über die Praxis der Ausschussarbeit bestehen erst seit kurzem. Zuvor lag die praktische Handhabung der Ausschüsse allein in den Händen der einzelnen Kommissionsdienstellen, was insbesondere zu ihrer opaken Arbeitsweise beigetragen hat. Zur Verbesserung der Transparenz des Ausschusswesens hat die Kommission im Rahmen der Reform der Komitologie von 1999 im Jahr 2001 eine Standardgeschäftsordnung für die Komitologieausschüsse beschlossen, auf deren Grundlage die bereits bestehenden und die neu einzurichtenden Durchführungsausschüsse ihre Geschäftsordnung bestimmen.106 Diesem Beispiel folgend hat die Kommission im Jahr 2005 eine Mustergeschäftsordnung für die formell eingesetzten Expertengruppen vorgelegt.107 In der Standardbzw. Mustergeschäftsordnung sind die horizontalen Bestimmungen der Arbeitsweise der Ausschüsse festgelegt. Anhand dieser Regelungen werden im Folgenden die formalen Aspekte der Ausschussarbeit erläutert.
5. Die Ausschüsse in der Gemeinsamen Agrarpolitik
Auszug
Die Entstehung des Ausschusswesens ist eng mit der Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verbunden. So entstand die Idee der Komitologieausschüsse Anfang der 1960er Jahre im Rahmen der Verhandlungen über die ersten gemeinsamen Agrarmarktordnungen (vgl. Bergström 2005, S. 43ff.). Im Laufe der Jahre entwickelte sich ein differenziertes Ausschusssystem, das sich mit zunehmender Integration auch auf die anderen Politikfelder der EU ausweitete. Die GAP ist die älteste der gemeinsamen Politiken und bis heute Vorreiter der kollektiven Willensbildung in Ausschüssen.
6. Die Ausschüsse in der Umweltpolitik
Auszug
Auch die Umweltpolitik der EU zeichnet sich durch den Einsatz einer Vielzahl von Ausschüssen aus. Welche Ausschüsse es genau gibt, welche Rolle sie spielen und wie sie funktionieren, ist Gegenstand der folgenden Fallstudie. Die Untersuchung folgt dabei dem bewährten Beispiel der Agrarpolitik. Zum besseren Verständnis und zur Einordnung der nachfolgenden Analysen werden zunächst die Entstehung und Entwicklung der Umweltpolitik kurz skizziert (6.1). Im Anschluss folgt eine allgemeine Bestandsaufnahme der umweltpolitischen Ausschüsse, ihrer Tätigkeitsbereiche und Steuerungsfunktionen (6.2). Daraufhin werden die Arbeits- und Funktionsweise der Ausschüsse im Bereich der Regulierung von genetisch veränderten Organismen detailliert analysiert (6.3). Die Ergebnisse der umweltpolitischen Fallstudie werden abschließend noch einmal zusammengefasst und im Vergleich mit der agrarpolitischen Fallstudie einer Gesamtbewertung unterzogen (6.4).
7. Innenansichten des Ausschusswesens
Auszug
Am Beispiel der Agrar- und Umweltpolitik sind in den vorangehenden Fallstudien die vielschichtige Struktur des Ausschusswesens der Kommission und die Interaktions- und Kooperationsbeziehungen in den Ausschüssen eingehend untersucht worden. Dabei konnte ein bislang weitgehend unerreichter Einblick in die Binnenverhältnisse des Ausschusswesens erzielt werden. Der in Kapitel 2 systematisch ausgearbeitete Analyserahmen ist nun in der Lage, die Verallgemeinerbarkeit der empirischen Befunde der Fallstudien zu gewährleisten. Anhand von theoretischen Überlegungen über Wirkungszusammenhänge und den Ergebnissen der bereits vorliegenden empirischen Untersuchungen zum Ausschusswesen wurden forschungsleitende Hypothesen aufgestellt und Qualitätskriterien entwickelt, auf die es die in den beiden Fallstudien gewonnen Erkenntnisse nun zurückzubeziehen und abschließend zu bewerten gilt. Zur Stützung der empirischen Befunde werden die standardisierte Befragung der nationalen Delegierten und die in den Fallstudien bislang nicht berücksichtigten beobachteten Ausschüsse in die abschließende Analyse mit einbezogen.
8. Schlussfolgerungen
Auszug
Die vorliegende empirische Studie des Ausschusswesens der EU hat bislang unerreichte Inneneinsichten in die praktische Arbeits- und Funktionsweise der Ausschüsse der Kommission gewährt. Der systematisch ausgearbeitete Analyserahmen, in dem forschungsleitende Hypothesen aus theoretischen Überlegungen und den bereits vorliegenden empirischen Untersuchungen herausgearbeitet wurden, hat zugleich eine synthetisierende Gesamtbewertung des Ausschusswesens und somit verallgemeinerbare Aussagen über die Rolle der Ausschüsse sowie ihrer Interaktions- und Kooperationsbeziehungen ermöglicht. Darüber hinaus konnte die Formulierung der forschungsleitenden Hypothesen im Kontext der Problemlösungsfähigkeit der Ausschüsse näheren Aufschluss über ihr konkretes Problemlösungspotenzial geben. Bevor im Folgenden der Versuch unternommen wird, abschließend die Bedeutung des Ausschusswesens für die Eigenarten der europäischen Governance herauszuarbeiten, gilt es die zentralen empirischen Erkenntnisse dieser Studie nochmals kurz zu rekapitulieren.
Backmatter
Metadata
Title
Europapolitik aus dem Ausschuss
Author
Sebastian Huster
Copyright Year
2008
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-8350-5549-0
Print ISBN
978-3-8350-7023-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-8350-5549-0