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14-03-2012 | Fahrzeugtechnik | Schwerpunkt | Article

Konzeptfahrzeug - Neue Oberflächen für das Elektroauto der Zukunft

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Die Studie smart forvision gibt einen Vorausblick auf neue Oberflächen, die in den kommenden Jahren bei Elektrofahrzeugen verwirklicht werden.

Kostenlose, weil verbrauchsneutrale Heizung dank Motorabwärme im Winter, komfortable Abkühlung per Klimaanlage im Sommer: In modernen Autos finden Fahrer und Passagiere immer eine angenehme Klimatisierung vor. Bei Elektrofahrzeugen sieht das anders aus. Dank des hohen Wirkungsgrades der Elektroantriebe gibt es kaum Abwärme, die man für die Beheizung des Interieurs nutzen kann. Und wenn der Elektroantrieb im Sommer zusätzlich Energie für die Klimatisierung bereitstellen soll, wird das die Reichweite empfindlich reduzieren.

Funktionale Oberflächen für das „Temperaturmanagement“

Die Entwickler von Elektrofahrzeugen müssen beim „Temperaturmanagement“ also neue Wege gehen, und dabei spielen die Oberflächen eine wichtige Rolle – bei Hitze ebenso wie bei Kälte. Für die Lackhersteller ist das eine Herausforderung und eine Chance, denn die Lacke können hier zusätzliche Aufgaben übernehmen. Dazu gehört die Reflexion von Sonnenstrahlen, um die Erwärmung des Fahrzeuginnern zu minimieren und die Voraussetzungen für den Verzicht auf eine Klimaanlage zu schaffen. Bei dem Konzeptfahrzeug „smart forvision“, das Daimler und BASF gemeinsam entwickelt haben und das auf dem Smart-Stand der IAA 2011 erstmals öffentlich zu sehen war, kommt daher eine neue Lacktechnologie zum Einsatz.

Cool Pigments reflektieren Sonneneinstrahlung

Das Konzeptfahrzeug ist mit einem weißen BASF-Effektlacksystem behandelt, der zum ganzheitlichen Temperaturmanagement des Autos beiträgt. Denn: Weiße Farben reflektieren Wärmestrahlen durch Sonne und Licht besonders gut. Somit heizt sich die Fahrgastzelle weniger auf, und die Klimaanlage wird im Sommer weniger benötigt. Da der Energieverbrauch der Klimaanlage die Reichweite eines Elektrofahrzeugs um bis zu 30 % reduzieren kann, ist eine Außenhaut mit hohem Reflexionsgrad ein „Muss“.

BASF hat sich auch intensiv mit der Frage beschäftigt, wie man ähnliche Effekte bei dunklen Fahrzeugen erzielen kann, deren Oberflächen nicht – wie helle Lacke – den Großteil der Infrarotstrahlung reflektieren, sondern das auftreffende Sonnenlicht absorbieren und in Wärme umwandeln. Ergebnis dieser Entwicklung ist die Technologie der „Cool Pigments“. Das sind Spezialpigmente, mit deren Hilfe auch schwarze und andere sehr dunkle Oberflächen die Strahlung reflektieren können und so die Wärmeaufnahme in etwa halbieren. Möglich ist das durch den Verzicht auf Rußpigmente; als Alternative kann man auch eine reflektierende Schicht unter dem Decklack vorsehen.

Bei Praxistests in Fahrzeugen führt die deutlich verbesserte Nahinfrarot-Reflektion im Gegensatz zu herkömmlichen Schwarzpigmenten zu einer Temperaturreduktion von bis zu 20 °C auf der Lackoberfläche und circa 4 °C im Innenraum.

Verglasung mit reflektierendem Polymerfilm

Dasselbe Problem – Vermeidung des Hitzeeintrags in den Innenraum von Elektrofahrzeugen – gilt es auch für die Verglasung zu lösen. BASF hat für diesen Zweck einen transparenten organischen Polymerfilm entwickelt, der die unsichtbare Wärmestrahlung (Infrarotstrahlung) reflektiert. Das geschieht außerordentlich effektiv: Die Wärmewirkung der Sonneneinstrahlung wird um mehr als 40 Prozent reduziert. Dank der hohen Transparenz lässt sich die Folie auch auf getönten Scheiben anbringen und gewährleistet in dieser Kombination eine bisher unerreichte Strahlen- und Hitzereflektion.

Im Vergleich zu metallgesinterten Folien, die in manchen Fahrzeugen bereits zur Anwendung kommen, bietet die von BASF entwickelte Folie den Vorteil, dass sie die Infrarotstrahlung der Sonne zwar reflektiert, aber durchlässig ist für Radiowellen, die unter anderem beim Betrieb von Navigationssystemen und Mobiltelefonen nötig sind. Das Bauprinzip der organischen Folien hat sich schon in anderen Anwendungen bewährt: Ähnliche Komponenten werden bereits seit Jahren für die Herstellung von hocheffizienten optischen Folien für LCD-Monitore gefertigt.

Interieur: Heizen an der Oberfläche

Auch bei der Beheizung von Elektrofahrzeugen spielt die Oberfläche eine neue Rolle. Man muss äußerst sparsam mit der Heizenergie umgehen, da jedes zusätzliche Beheizen die Reichweite des Fahrzeugs reduziert. Unter dieser Maßgabe ist es Verschwendung, den gesamten Innenraum zu beheizen. Statt dessen hat BASF eine neue Art der Sitzbeheizung entwickelt: Unter dem Bezug, der aus atmungsaktiven Fasern besteht, befindet sich eine Vliesschicht mit einem Superabsorber, der Feuchte aufnimmt und ein angenehmes Sitzgefühl erzeugt. Darunter wiederum ist eine Schaumstoffschicht mit einer textilen Leiterbahn vorgesehen, die den gesamten Sitz körpernah beheizt – und zwar so effizient, dass man auf eine Innenraumbeheizung verzichten kann. Auch die Armlehnen lassen sich auf diese Weise beheizen. Dieses Prinzip hat abgesehen vom geringen Energiebedarf den Vorteil, dass es sofort anspricht und die Vorwärmzeit minimal ist.

Metallic-Look mit neuer Effektlackierung

Die strahlend weiße Lackierung und der kupferfarbene Liquid-Metal-Lack des „smart forvision“ bringen Linien und Kanten des Fahrzeugs prägnant zur Geltung. Das zeigt sich besonders an den Türen mit „Knittereffekt“ – eine Formgebung, die bei Carbon-Leichtbauteilen einfach zu realisieren ist. In den weißen Lack sind Glasflakes eingearbeitet, die den Farbton besonders strahlen lassen und das auftreffende Licht vielfältig brechen. Der spezielle kupferfarbene Liquid-Metal-Lack setzt auf der Fahrgastzelle einen außergewöhnlichen Akzent: Die integrierten Aluminiumflakes des kupferfarbenen Liquid-Metal-Lackes erzeugen eine spiegelnde Oberfläche und abhängig vom Betrachtungswinkel einen Flop-Effekt mit spannenden Hell-Dunkel-Wechsel. Dieser sogenannte Flop-Effekt wird von der Teilchengröße, ihrer Verteilung und der Form der Aluminiumteilchen beeinflusst. Je dünner die Teilchen, je größer ihr mittlerer Durchmesser und je gleichmäßiger ihre Ausrichtung, umso ausdrucksstärker wird das Licht-Schatten-Spiel.

BASF setzt neuerdings bei Liquid-Metal-Lacken so genannte PVDA-Pigmente (Physical Vapor Deposited Aluminium) ein. Um sie herzustellen, wird Aluminium auf eine mit Lack beschichtete Folie aufgedampft. Der daraus entstandene Aluminiumfilm wird abgezogen und auf die gewünschte Größe zerkleinert. Die Dicke der Pigmente liegt zwischen 30 und 50 Nanometern, rund 10-bis 20-mal dünner als bei konventionellen Effektpigmenten. Die Körnigkeit des Lacks sinkt signifikant, gleichzeitig sind die schlanken Alu-Plättchen im Nassfilm beweglicher und nehmen leichter eine zur Substratoberfläche parallele Position ein.

Die Folge: Der Lack wirkt einheitlicher und erscheint wie eine metallische Haut. Die Flächen reflektieren das Licht intensiver und gewinnen an Glanz. Es entsteht ein metallischer Look in einer Intensität, die mit konventionellen Metallic-Lacken nicht zu erreichen ist. Um dies zu erreichen wurde ein wasserbasiertes Lacksystem entwickelt, das die Aluminiumflakes homogen orientiert und damit erst in der Lage ist, diese besondere Effekt-Automobillackierung zu realisieren.

Neuer Klarlack bewahrt den Glanz

Die letzte Schicht der Lackierung des „smart forvision“ bildet der kratzfeste Klarlack (iGloss), der die Vorteile von anorganischen „harten“ und organischen „weichen“ Stoffen vereint. Ein solches „Hybridmaterial“ ist in der Lage, Kratzfestigkeit zu gewährleisten – und das ohne die nachteilige Sprödigkeit, die beispielsweise Glas aufweist. Glasähnliche Silika-Cluster, die die Kratzfestigkeit steigern, kennzeichnen das neue Netzwerkdesign. Zudem gibt es weitere modifizierte Segmente im Netzwerk, die dessen „elastische Rückstellung“ – das heißt die immer gleichförmige Rückbildung nach Belastung – optimieren.

Die besondere Herausforderung, die dabei zu bewältigen war, bestand darin, den Lack trotz seiner Kratzfestigkeit bewitterungsresistent einzustellen – ein Problem, das in der Vergangenheit schon häufig zum Scheitern neuer Kratzfest-Systeme geführt hatte. Dies ist nun nach BASF-Angaben gelungen: Der Lack schützt nicht nur vor Mikrokratzern, er bleibt auch dauerhaft widerstandsfähig gegen Umwelteinflüsse.

Weißer Effektlack für Vollkunststoff-Felgen

Besondere Aufmerksamkeit hat die erste großserientaugliche Vollkunststoff-Felge (aus Ultramid Structure) erregt, die BASF für das Elektrofahrzeug entwickelt hat. Auch hier gibt es eine Innovation bei der Oberflächentechnik. Die Anmutung der Felge wird unterstützt durch den weißen Effektlack, der optisch eine Einheit mit den Karosserie-Panels bildet. Hier floss die langjährige Erfahrung im „Color Matching“ bei der Lackierung von Kunststoffanbauteilen mit ein – vom Außenspiegel bis hin zum Stoßfänger. Der Lack erfüllt alle technischen Eigenschaften, die auf Kunststoffen erforderlich sind, und erzeugt zugleich die Farbtonharmonie zur Karosserie.

Klarlacksystem mit UV-Absorber für Solarzellen

Ein auffälliges Designelement des „smart forvision“ sind die hexagonförmigen, transparenten Flächen auf dem Fahrzeugdach – dem ersten lichtdurchlässigen Dach, das gleichzeitig Energie erzeugt. Technisch handelt es sich dabei um vollflächig transparente organische Solarzellen (OPV-Zellen). Sie wurden mit einem speziellen Klarlacksystem überzogen, das zwar vor UV-Strahlen schützt, aber das sichtbare Sonnenlicht durchlässt, das von den Solarzellen in Strom umgewandelt werden kann. Der Lack härtet bei Raumtemperatur in etwa zehn Stunden aus; ein Einbrennen oder eine Ofentrocknung würde die Zellen zerstören.

Transfer in andere Fahrzeuge beabsichtigt

Bei Fahrzeugstudien stellt sich immer die Frage nach der Seriennähe beziehungsweise der Absicht, die Innovationen in reale Fahrzeuge zu überführen. Bei Smart und BASF lässt man keinen Zweifel daran, dass „forvision“ ein echter Technologieträger ist. Smart-Chefin Annette Winkler: „Smart ist die Denkfabrik für Daimler“. Somit dürfte man einige der Innovationen in den kommenden Jahren auch in größeren Fahrzeugen sehen. Dabei haben die Lacke gute Aussichten auf besonders schnelle Markteinführung– nach Angaben von BASF sind einige der Lösungen wie der kratzfeste Klarlack (iGloss) und der Liquidmetal-Basislack ab sofort verfügbar.

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