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2021 | OriginalPaper | Chapter

4. Geld und Rationalitätsentwicklung. Zu den Pionierleistungen bei Alfred Sohn-Rethel

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Zusammenfassung

Das Kapitel erinnert an Alfred Sohn-Rethel und seine Theorie. Dort wurde erstmals eine enge Verschränkung von Geldentwicklung und Kognitionsentwicklung behauptet. Es wird argumentiert, dass der weithin vergessene Sohn-Rethel innerhalb der Soziologie einen ähnlichen Platz verdient hat wie beispielsweise Karl Mannheim, der Begründer der Wissenssoziologie. Dazu wird aufgezeigt, dass es sich beim Forschungsprogramm Sohn-Rethels um eine spezifische, nämlich soziologisch-materialistische, Variante von naturalistischer Epistemologie handelt.

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Footnotes
1
Rothe (2016, S. 45) klassifiziert Sohn-Rethels Unterfangen gar als „Theoriekunstwerk“, als Zwittergestalt aus Kunst und Wissenschaft, der er „Effekte, nichtdiskursiver Art zwar, eher auf der Ebene eines Aha (!)“ zuschreibt. Die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Fortsetzung erscheint Rothe als eher unwahrscheinlich (wobei es schwierig ist seine etwas kryptischen Ausführungen zu interpretieren): „Vielleicht ist die Motivation auch diese: das, was da als Theorie daherkommt – aber zugleich Kunst ist –, zu korrigieren, ihm die Evidenzeffekte abzuluchsen. Ein Vorhaben, das misslingen muss […], aber zum endlosen Sprechen verführt“ (ebenda).
 
2
Eine ausführliche, weitestgehend immanent verfahrende (aber vergleichend mit den Theorien von Adorno und Lukács angelegte) Rekonstruktion Sohn-Rethels findet sich bei Engster (2014). Als Einstieg in Sohn-Rethels Denken über den Weg einer Relationierung mit den einschlägigen Theorien von Piaget und Mead eignet sich auch das Kapitel „Von der Psychogenese zur Soziogenese des ‚reinen‘ Denkens“ bei Bammé (2011, S. 344 ff.).
 
3
Eine akademische Anstellung in Deutschland ist Sohn-Rethel als linkem Intellektuellen jüdischer Herkunft die längste Zeit verwehrt geblieben. 1936 emigrierte er wegen der Naziherrschaft über die Schweiz nach Frankreich und später nach Großbritannien, wo er in den folgenden Jahrzehnten seinen wissenschaftlichen Ambitionen nur als Hobby nachgehen konnte. Im Alter von über 70 Jahren konnte Sohn-Rethel schließlich eine Gastprofessur an der Universität Bremen wahrnehmen, gefolgt von einer regulären Professur, die er von 1978 bis Mitte der 1980er Jahre innehatte (siehe dazu den entsprechenden Eintrag auf Wikipedia).
 
4
Siehe dazu auch folgende retrospektiv geäußerte Bemerkung Sohn-Rethels zu seinem theoretischen Werdegang: „1921: Postulat: die Warenform begreift das Transzendentalsubjekt in sich (diese Erkenntnis resultierte aus einer anderthalbjährigen Wort-für-Wort-Analyse der Marxschen Warenanalyse in den Anfangskapiteln des Kapital in Kombination mit einem Seminar über die Prolegomena Kants unter Ernst Cassirer in Berlin 1920)“ (Sohn-Rethel 2018, S. 187).
 
5
Nur als Randnotiz: Eine solche Ausklammerung „harter Wissensformen“ stellt auch das Kerndefizit der frühen Wissenssoziologie Karl Mannheims dar. Die frühe Wissenschaftssoziologie in der Linie Robert K. Mertons hat die Frage des soziokulturellen Einflusses auf Kognitionsmodi gleich gar nicht erst aufgeworfen, sondern ihre Forschung auf die institutionelle Verfasstheit von Wissenschaft beschränkt. Bammé (2011) verschränkt im Zuge seiner Fortsetzung von Sohn-Rethels Forschungsprogramm entsprechend dessen Ansatz mit dem starken Programm der Edinburgh-Schule als einer Variante von Wissenssoziologie, die sich das erklärte Ziel gesetzt hat, auch die harten Wissenschaften soziologisch zu erklären.
 
6
Eine ähnliche Programmatik findet sich bei Horkheimer ebenfalls in den 1930er Jahren, wobei seine Überlegungen kaum über skizzenhafte Andeutungen hinausreichen (siehe Horkheimer 1937, S. 257 ff.). Bei Adorno – der sich bereits in den 1930er Jahren mit Sohn-Rethel produktiv ausgetauscht hat – finden von Sohn-Rethel zumindest mitinspirierte Überlegungen bis in dessen letzte Schriften Eingang (siehe etwa Adorno 1969, S. 154 f.).
 
7
Ob der Begriff der Deduktion hier passend gewählt ist, lässt sich natürlich bezweifeln, denn es geht ja um eine historisch-empirische Rekonstruktion der Genese von Denkformen.
 
8
Während die Wertformanalyse bei Marx vor dem Hintergrund des modernen industriellen Kapitalismus angesiedelt ist und dessen Bedingungen begrifflich einzuholen trachtet, geht es Sohn-Rethel bei seiner Analyse der antiken Polis „um die Genese des reziproken Warentausches als gesellschaftlichem Syntheseprinzip in Abgrenzung zur einseitigen, tributären Aneignung in unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen“ (Bammé 2011, S. 474). Die zahlreichen Fragestellungen, die sich hiermit auftun, werden im vorliegenden Buch in den beiden historischen Kapiteln sowie im sechsten Kapitel (zu Marx) im Detail mitverhandelt.
 
9
Es bleibt bei eher vagen Analogiebildungen, prominent mit Bezug auf Parmenides, in dessen ontologischem Seinsbegriff Sohn-Rethel eine unbewusste Reflexion auf den monetär vermittelten Tauschhandel erblickt: „Auch kann niemand, der diesen Begriff denkt von sich sagen, er habe ihn aus dem Gegebenen einer Sinneserfahrung durch graduellen Aufstieg vom Besonderen zum Allgemeinen gebildet. Niemand hat ihn gebildet, er ist ohne Ableitung und Hintergrund fertig da. Die Abstraktion, aus der er stammt, hat anderswo stattgefunden und auf einem anderen Weg als dem des Denkens. Alles, was das Denken hinzutut, ist die Anstrengung, die fertig gegebene Abstraktion zufriedenstellend zu benennen und ein Wort mit passender Definition dafür zu finden, ihrerseits die Identifizierung nachzuvollziehen. Der erste, der für dieses Element der Realabstraktion einen passenden Begriff fand, freilich ohne die geringste Ahnung davon, wofür sein Begriff einstand und was ihm denselben aufgenötigt hatte, war Parmenides mit seinem ontologischen Begriff des Seins. […] Der Gedanke dieses Begriffs ist eine offensichtliche Vereinseitigung und Verabsolutierung der darin identifizierten Stoffnatur des Geldes“ (Sohn-Rethel 2018, S. 325Bf.). Siehe jetzt als Übersicht Freytag (2020).
 
10
Siehe zu einer Kritik der im sowjetischen Einzugsbereich prominenten Widerspiegelungstheorie die erstmalig in 1962 erschienene und mittlerweile klassische Studie von Alfred Schmidt (2016) zum Begriff der Natur in der Lehre von Marx.
 
11
Hierauf hat aber jüngstens Schaper (2019, S. 73 f.) hingewiesen: „Real abstraction was generated much earlier than Sohn-Rethel thought: not in seventh-century Greece, but in late third-millennium Mesopotamia. While he was right in drawing attention to ‚real abstraction‘, he mistakenly traced it back to the realm of circulation instead of that of production“. Die dichotome Gegenübersetzung von Zirkulation oder Produktion ist freilich problematisch. Im sechsten Kapitel wird die Problemlage genauer inspiziert.
 
12
„Der entscheidende Unterschied zwischen Antike und Moderne ist, daß nur in der Moderne die Reichtumsbildung aus der Produktion des Mehrwerts erfolgt, und nicht nur durch Aneignung, also bloße Eigentumsverschiebung bestehender Werte. In der klassischen Antike war die Reichtumsbildung im wesentlichen außen-, nicht innenwirtschaftlicher Art, das heißt, auf die Beraubung und Ausbeutung anderer Gemeinwesen und stammesfremder Menschen, also auf Unterwerfung zur Tributpflicht oder Verwandlung in Sklaven gegründet“ (Sohn-Rethel 2018, S. 311Bf.).
 
13
So heißt es: „Gleichzeitig muß man die Gefahr sehen und möglichst vermeiden, monokausale, mechanistische Ableitungsschemata in die Geschichte zu projizieren, wie beispielsweise in der Erklärung der theoretischen Mechanik aus der manufakturellen Arbeitsteilung des 16./17. Jahrhunderts bei Borkenau oder aus den Maschinen des 14./15. Jahrhunderts bei Großmann. Auch in dem klassischen marxistischen Werk zur ‚History of Science‘ von Bernal ist der grundlegenden Argumentationsstruktur diese mechanistische Tendenz der Ableitung der Theorieentwicklung aus der Produktivkraftpraxis und der Entfaltung der Produktivkräfte zu finden“ (Woesler 1978, S. 232 f.).
 
14
Inwieweit solche Annahmen zur Antike vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes noch zutreffend sind wird im siebten Kapitel detailliert diskutiert.
 
15
Zwischenvermerkt werden soll aber nochmals, dass der von Woesler thematisierte Zusammenhang von monetären Strukturen und der Emergenz von naturwissenschaftlichen und proto-naturwissenschaftlichen Verfahren und Kategorien von Maß und Messung als solcher nicht erst für die Entstehung des modernen, industriellen Kapitalismus wichtig wird. Dieser Zusammenhang kann (und muss) bereits für die Analyse vormoderner Wirtschaftsweisen berücksichtigt werden.
 
16
Gleiches gilt für die ab Mitte der 1980er Jahre prosperierende Medientheorie, die Sohn-Rethel fast vollständig ignoriert hat (siehe als Ausnahme Krämer 2005).
 
17
Die Beiträge Seafords werden in Abschn. 7.​4. ausführlich referiert.
 
18
Das ist übrigens eine Einsicht, die seitens bestimmter schlichter Varianten des radikalen Konstruktivismus unberücksichtigt gelassen wurde, was deren idealistische Schlagseite miterklärt.
 
19
Natürlich ist eine Bezugnahme auf die Kant’sche Kritik der reinen Vernunft – beziehungsweise eine Abarbeitung an dieser – hierbei nicht notwendig. Es kann genauso gut an andere Varianten der Philosophie kritisch angeknüpft werden. Für das Feld naturalistischer Epistemologien im 20. Jahrhundert lässt sich aber aufgrund der Prominenz der Philosophie Kants oft ein solcher Bezug beobachten, insofern ist auch Sohn-Rethels Bezugnahme eher typisch.
 
20
So auch Wuketis (1984, S. 2): „In short, evolutionary epistemology is an epistemological system which is based upon the conjecture that cognitive activities are a product of evolution and selection and that, vice versa, evolution itself is a cognition and knowledge process“.
 
21
Eine orthodoxe Fortschreibung Sohn-Rethels müsste im Hinblick auf nach-kantsche Formen von Logik und Ontologie in etwa so argumentieren, wie Bammé (2011, S. 756) es tut: „Die Formen und Kategorien abendländischen Denkens werden deshalb als historisch gewordene und vergängliche durchschaubar und alternative Entwürfe lassen sich deshalb skizzieren, weil die ihnen zugrunde liegende Form gesellschaftlicher Synthese selbst an ihr historisches Ende gekommen ist und die prägende Kraft, die sie auf das Denken der Menschen ausübt, brüchig zu werden beginnt“. Mit dem Übergang von der marktzentrierten Synthesisform des modernen Kapitalismus zu einer technologischen Zivilisation, deren soziale Synthesis zunehmend direkt über eine technologisierte Produktionssphäre hergestellt wird, verändern sich auch die Formen der Vergesellschaftung des Geistes/der Kognition.
 
22
Während der evolutionstheoretische Fokus der meisten Varianten naturalistischer Epistemologie für die Frage der Passförmigkeit von Erkenntnisapparaten und Realwelt in der mittleren Dimension plausible Argumente anführen kann (eben die genannte evolutionäre Anpassung), ist diese Frage bezüglich der makro- und mikrologischen Dimensionen stärker umstritten und wird kontrovers verhandelt. Seit den 1960er Jahren bis heute wird beispielsweise unter Mathematikern, Physikern und Philosophen unter dem Stichwort The Unreasonable Effectiveness of Mathematics in the Natural Sciences die Frage diskutiert, ob es sich bei mathematischen Strukturen (mathematische Entitäten, Beweise) um konstruktivistische Erfindungen (der Wissenschaft) oder Entdeckungen (die in realen, letztlich physikalischen Strukturen gründen) handelt (siehe für eine eher populärwissenschaftliche Abhandlung Livio 2009). Handelt es sich um Erfindungen, bleibt die Frage ungeklärt, warum Mathematik sich als ein so überaus effektives Mittel für die Erforschung von Naturphänomenen und die Konstruktion von Technologien erwiesen hat. Handelt es sich bei mathematischen Strukturen hingegen um Entdeckungen mit extramentaler und extrakommunikativer Referenz, so müsste geklärt werden, wie und warum die Mitglieder der menschlichen Gattung über ein solches Instrument verfügen.
 
23
„Kant glaubt, gezeigt zu haben, daß der Erkenntnisbegriff der mathematischen Naturwissenschaft im Wesen der Vernunft begründet ist; er sieht nicht, daß er eben nur diejenige Vernunft analysiert hat, die mit der mathematischen Naturwissenschaft entwickelt worden ist, und daß auch diese Stufe der Erkenntnis noch keinen Abschluß bedeutet“ (Reichenbach 1933, S. 604).
 
24
Ähnlich wiederum Wuketis (1984, S. 4): „Evolutionary epistemology is mainly an attempt to explain a priori structures of our knowledge via evolution and to ‚dynamize‘ these structures“.
 
25
Im achten und abschließenden Kapitel wird auf den gegenwärtigen Stand der verschiedenen Wirklichkeitswissenschaften zusprechen gekommen, die Beiträge zum Nexus von biologischer Evolution, Kulturevolution und Kognitionsentwicklung liefern.
 
Metadata
Title
Geld und Rationalitätsentwicklung. Zu den Pionierleistungen bei Alfred Sohn-Rethel
Author
Hanno Pahl
Copyright Year
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32684-5_4