1 Einleitung
Seit einigen Jahren hat sich in der Arbeitswissenschaft ein neues Forschungsfeld etabliert, die gesundheitsfördernde Gestaltung von Interaktionsarbeit (Böhle et al.
2015; Becke und Bleses
2015). Interaktionsarbeit unterscheidet sich von anderen Arbeitsfeldern insbesondere dadurch, dass das zielgerichtete Handeln in der Interaktionsarbeit auf die Mitwirkung der beteiligten Personen (Klient*innen) angewiesen ist. Klassische Bereiche, in denen Interaktionsarbeit stattfindet, sind Dienstleistungen wie Pflege, Erziehung, Bildung, aber auch Beratung, Einzelhandel und technische Dienstleistungen. Bisher gibt es jedoch wenig Untersuchungen, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Interaktionsarbeit unter Genderaspekten analysieren. Und dies, obwohl einige klassischen Studien zur Interaktionsarbeit dem feministischen Spektrum zuzuordnen sind. Eng mit Interaktionsarbeit verwoben sind Geschlechtsrollenerwartungen, die einen starken Einfluss auf die Anerkennung von Belastungen und Gewährung von Ressourcen haben und die Interaktion zwischen den Beteiligten strukturieren und bisweilen eben auch hierarchisieren. Die Branchen und Tätigkeitsfelder, in denen Dienstleistungsarbeit verrichtet wird, sind selbst geschlechtersegregiert und mit sehr unterschiedlichen Ressourcen ausgestattet und durch spezifische Belastungen gekennzeichnet. Um gesundheitliche Chancengleichheit zu fördern, ist eine geschlechtertheoretische Reflexion der Vorgehensweise in der Gesundheitsförderung erforderlich sowie eine entsprechende gesundheitspolitische Gestaltung der jeweiligen Rahmenbedingungen von Interaktionsarbeit.
Der Beitrag skizziert, inwiefern Gender systematisch bei einer gesundheitsfördernden Gestaltung von Interaktionsarbeit berücksichtigt werden sollte. In diesem Zusammenhang wird zuerst die Frage gestellt, welche Bedeutsamkeit Geschlecht als soziale Kategorie bei der Gestaltung von Interaktionsarbeit einnimmt und welche Bedeutung gesellschaftliche Rahmenbedingungen hierbei haben. Daran anschließend soll herausgearbeitet werden, inwieweit Geschlecht eine Dimension in der Interaktionsarbeit darstellt. Abschn.
4 adressiert die Frage der menschengerechten Gestaltung der Interaktionsarbeit, der sich in Abschn.
5 daraus abgeleitete Empfehlungen anschließen.
2 Zum Verständnis von Geschlecht
Geschlecht ist eine soziale Kategorie, die in vielschichtiger Weise Einfluss auf die Verteilung von Belastungen und Ressoucen zwischen den Geschlechtern und somit auf deren Gesundheitschancen nimmt. Soll Interaktionsarbeit gesundheitsförderlich gestaltet werden – gleichermaßen für Frauen und Männer (oder sich divers zuordnenden Personen) – bedarf es eines entsprechenden Verständnisses davon, was „Geschlecht“ eigentlich ist und wie sich soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern erklären lassen. Im Rahmen gleichstellungspolitischer Strategien wie dem Gender Mainstreaming geht es um den gesetzlichen Auftrag, Entscheidungsprozesse, Programme, Gesundheitsförderung etc. für die Gleichstellung der Geschlechter nutzbar zu machen (Stiegler
2000). Dies impliziert, dass die Mechanismen, die zu einer (gesundheitlichen) Ungleichheit zwischen den Geschlechtern führen, untersucht werden. Daran schließt die Frage an, wie in diese Zusammenhänge interveniert werden kann, um Gleichstellung bzw. gesundheitliche Chancengleichheit zu fördern.
In diesem Abschnitt werden – in geboter Knappheit – zentrale Erkenntnisse der Geschlechterforschung skizziert, die einen analytischen Zugang schaffen.
Gender bzw. Geschlecht sind als soziale Kategorien zu verstehen, entlang derer gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Strukturen, Kontextbedingungen, Werte und Normen) als auch die Interaktion zwischen Menschen strukturiert werden.
3 Interaktionsarbeit und Gender
In diesem Abschnitt geht es um einen systematischen Zugang zur Bedeutung von Geschlecht (Gender) als eine Dimension in der Interaktionsarbeit. Dunkel und Rieder (
2003) verknüpfen doing gender mit dem Konzept von Interaktionsarbeit und sprechen dabei von working gender. Damit bezeichnen sie die interaktive Hervorbringung von Geschlechtlichkeit als Bestandteil der interaktiven Arbeit (Dunkel und Rieder
2003, S. 5). Grundlage ihrer Überlegungen ist das Konzept der Emotionsarbeit nach Hochschild (
1979). Interaktionsarbeit unterscheidet sich von Produktionsarbeit vor allem dadurch, dass ihr Gegenstand ein Mensch mit eigenen Interessen und Bedürfnissen ist und Interaktionsarbeit immer Ko-Produktion ist. Das Dienstleistungsergebnis kann nur in Zusammenarbeit mit der Kund:in/der Klient:in erzeugt werden (Böhle
2015, S. 37 f.). Für das Zustandekommen dieser Kooperation ist Interaktionsarbeit als Teil der Dienstleistungsarbeit
erforderlich. Die Interaktionsarbeit erfordert die Arbeit sowohl an den eigenen Gefühlen als auch an den Gefühlen der Kund:innen bzw. Klient:innen.
Dabei sind nach Dunkel und Rieder (
2003) die eigenen Gefühle eine Bedingung in der Interaktionsarbeit. Diese müssen soweit angepasst werden, dass sie zu den Anforderungen am Arbeitsplatz passen und mit den dort geltenden Gefühlsregeln übereinstimmen. Dauerhaft kann es für die Beschäftigten gesundheitlich belastend sein, wenn die eigenen Gefühle nicht mit den geforderten Gefühlen übereinstimmen.
Gefühle sind gleichzeitig ein Mittel der Interaktionsarbeit, über das die Situation und das Gegenüber erfasst wird, sich die Mitarbeiter:in auf das Gegenüber einstellt und das Arbeitshandeln darauf abstellt.
Darüber hinaus sind Gefühle auch Gegenstand des Arbeitshandelns. Die Bearbeitung der Gefühle andere Personen sind mitunter eine Voraussetzung, um das Arbeitsergebnis zu erreichen.
Analog dazu lässt sich Gender ebenfalls als Bedingung, Mittel und Gegenstand der Interaktionsarbeit begreifen (Dunkel und Rieder
2003).
4 Menschengerechte Gestaltung von Interaktionsarbeit
Böhle et al. (
2015) haben darauf hingewiesen, dass sich Interaktionsarbeit in spezifischer Weise von der Arbeit an Objekten unterscheidet und dass die Gestaltungskriterien menschengerechter Arbeit, die an der Produktionsarbeit entwickelt wurden, dem Wesen der Interaktionsarbeit nicht gerecht werden.
-
Bei der Gestaltung der Arbeit müssen sowohl die Belange der Beschäftigten als auch der Kund:innen berücksichtigt werden. Werden die Belange der Kund:innen nicht erfüllt, gefährdet dies die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit und stellt den Sinn der Dienstleistung infrage. Die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit wird maßgeblich über die gesellschaftliche Nützlichkeit der Produkte definiert und wird durch Böhle et al. (
2015) um den Gebrauchswert der Dienstleistung für die Kund:in ergänzt.
-
Die Vielfältigkeit der Tätigkeit kann zur Belastung werden, wenn Anforderungen der Kund:innen ausufern.
-
Gleichzeitig ist Interaktionsarbeit nur bedingt plan- und kontrollierbar. Das Kriterium der Vollständigkeit der Tätigkeit – Planung, Durchführung und Kontrolle – bildet Unwägbarkeiten und informelles Handeln nur unzureichend ab. Es wäre zu ergänzen um die Möglichkeit, situativ und informell zu handeln.
-
Vermeidung widersprüchlicher Anforderungen: ökonomischer Druck und eine Steuerung über Zielvereinbarungen und Controlling geraten in Widerspruch zu Arbeitshandlungen, die dem Wohl der Klient:innen/Patient:innen dienen.
Die oben erläuterten Kriterien leisten bereits einen Beitrag zu einer geschlechtergerechten Gestaltung der Interaktionsarbeit, indem sie wesentliche Anforderungen und damit einhergehende Belastungen und die zur Bewältigung erforderlichen Ressourcen in der Interaktionsarbeit überhaupt erst sichtbar machen und benennen.
Aus einer Genderperspektive werden Spannungsfelder und Besonderheiten sichtbar, die es in der Gestaltung von Interaktionsarbeit zu berücksichtigen gilt.
Studien zu gender and work oder gendered organizations (Acker
1990,
2010) zeigen, dass Geschlechtsrollenerwartungen sowohl in Arbeitsprozesse eingebettet sind als auch in Arbeitszeitregieme etc. Kleidervorschriften für Frauen, die sie sexualisieren und seitens der Organisation gefordert werden, dürften zu sexistischen und sexualisierten Praktiken beitragen und Grenzüberschreitungen der Kund:innen fördern
2. Die Abgrenzung dürfte hier schwerfallen, wenn das eigene Management auf „sex sells“ setzt. Die Abgrenzungsmöglichkeiten von Frauen sind gegenüber Männern durch ihren geringeren sozialen Status eingeschränkt (Hochschild
1983).
Geschlechtsbezogene Rollenwartungen stellen eine Anforderung und ggf. eine Belastung für die beteiligten Personen da. Damit sind sowohl gesundheitliche Auswirkungen verbunden, als auch Formen der Geschlechterdiskriminierung, wenn Frauen etwa von Aufstiegspfaden ausgeschlossen sind, weniger verdienen etc. In Bezug auf die Beurteilung von Arbeitsbedingungen und deren gesundheitsförderliche Gestaltung tragen geschlechtsbezogene Erwartungen dazu bei, dass die gestellten beruflichen Anforderungen nicht als solche erkannt und honoriert werden, weil sie z. B. als weibliche Eigenschaften vorausgesetzt und nicht als Arbeitsanforderung definiert werden. Ein anderes Phänomen ist die Bagatellisierung von Anforderungen, etwa die Konfrontation mit Aggressivität in männerdominierten Bereichen. Die geschlechtsbezogenen Rollenerwartungen verstellen den Blick auf vorhandene Belastungen und verhindern damit die Mobilisierung bzw. den Zugang zu Ressourcen, die für die Bewältigung förderlich wären oder schränken entsprechende Maßnahmen der Arbeitsgestaltung ein (Nielbock und Gümbel
2012; Nielbock
2013).
Gleichzeitig lassen sich verinnerlichte gesellschaftliche Vorstellungen über einen angemessenen Umgang der Geschlechter miteinander in der Interaktionsarbeit nicht ignorieren. Einerseits kann kaum gefordert werden, dass Frauen aus Berufen und Tätigkeiten ausgeschlossen werden, weil männliche Kollegen oder Kunden keine Frauen wünschen
3. Anderseits ist es einsichtig, dass z. B. in der Pflege die persönlichen Wünsche berücksichtigt und die Intimsphäre der pflegebedürftigen Personen gewahrt bleiben (Heusinger und Dummert
2017). Das Geschlecht der pflegenden Person kann aus Sicht der pflegebedürftigen Person problematisch sein (Lottmann
2020), etwa wenn biographische Erfahrungen mit sexueller Gewalt oder Diskriminierungen vorliegen. Von einem Mann oder einer Frau gepflegt werden zu wollen, ist ein legitimer Anspruch. Gender ist also Voraussetzung und Gegenstand der Interaktionsarbeit
4.
Um eine gendersensible Pflege zu ermöglichen, sind geschützte Räume erforderlich, in denen solche Aspekte überhaupt thematisiert werden können. Die in der Pflege geforderte biographische Arbeit, die eine Grundlage für eine gendersensible Pflege darstellt, erfordert entsprechende Rahmenbedingungen.
Auf der gesellschaftlichen Makroebene ist Geschlecht in die Arbeitsmarktsegregation eingelassen als auch in die Bewertung der einzelnen gesellschaftlichen Sektoren. Pflege als ein weiblich konnotierter Bereich ist deutlich unterbewertet, sowohl in der Vergütung der erbrachten Leistungen des Personals als auch in der Personalausstattung insgesamt. Die für eine angemessene Pflege und damit verbundene Interaktionsarbeit erforderlichen Zeiten stehen jedoch derzeit in der (vollstationären) Pflege nicht zur Verfügung (Rothgang et al.
2020). Insbesondere Zeiten für indirekte Pflege, die für die Dimension der Kooperationsarbeit erforderlich ist, sowie Zeiten zur Reflexion der eigenen Arbeitsbedingungen und Bewältigung der Anforderungen durch Emotionsarbeit, finden bisher bei der Personalbemessung nicht hinreichend Berücksichtigung (Zenz und Becke
2020). Rothgang et al. (
2020, S. 324) und Zenz und Becke (
2021) empfehlen, systematisch Zeit für Reflexionsräume einzupreisen, die sich einerseits auf die eigenen emotionalen Anforderungen bezieht und zum anderen auf die Rahmenbedingungen zur Erbringung der Versorgungsleistungen.
Die kollektive Befassung mit den Dilemmata in der eigenen Arbeit stellt eine gesundheitsrelevante Ressource dar, da sie die erlebten Unzulänglichkeiten und Verletzungen des Pflegeethos durch schlechte Rahmenbedingungen als solche erkennbar machen, statt diese als persönliches Versagen oder Schuld zu verarbeiten (moral injuries). Letzteres zahlt auch auf das Gestaltungskriterium der Vermeidung widersprüchlicher Anforderungen ein. Insbesondere im Gesundheitssystem sind die Beschäftigten mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert und ‚moral distress‘ (Rennó et al.
2018; Greenberg et al.
2020) ist oft die Folge. Die systematische Unterfinanzierung und Unterbewertung der Pflege bei gleichzeitiger Gewinnorientierung setzt die Pflegekräfte systematisch widersprüchlichen Anforderungen aus.
Gender spielt also sowohl für die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit, Chancengleichheit und Gleichstellung sowie für z. B. die geschlechtergerechte Versorgung der Klient:innen und Patient:innen eine Rolle.
Auf einer strukturellen Ebene sind personennahe Dienstleistungen eine Frauendomäne. Die Sonderauswertung des DGB Index gute Arbeit für Interaktionsarbeit zeigt, dass insbesondere in den Berufen, in denen der Anteil an Interaktionsarbeit sehr hoch ist, überwiegend Frauen arbeiten. Gleichzeitig sind dort die Belastungen und Arbeitsbedingungen im Vergleich zur nicht interaktiver Arbeit erhöht. Einzig die Ressource Sinnhaftigkeit der Tätigkeit liegt hier im Vergleich zur nicht interaktiver Arbeit höher (Roth
2019, S. 25 ff.).
Im Bereich der Interaktionsarbeit zeichnen sich Tendenzen ab (im Folgenden nach Böhle et al.
2015), die einer menschengerechten Gestaltung der Interaktionsarbeit zuwiderlaufen und somit mittelbar
5 vor allem Frauen treffen.
-
Standardisierung und Entpersonalisierung: Durch tayloristische Standardisierung (McDonaldisierung) und Arbeitsteilung soll die Dienstleistung möglichst der betrieblichen Steuerung und Kontrolle unterworfen werden. Durch eine Entpersonalisierung, bei der die Kund:in die Tätigkeiten selbst übernimmt und die Tätigkeiten der Beschäftigten auf gegenstandsbezogene Tätigkeiten reduziert werden, wird die notwendige Interaktionsarbeit negiert. Dadurch werden die durch Standardisierung auftretenden Probleme verschleiert und entziehen sich der Bearbeitung auf struktureller Ebene, ebenso die damit einhergehenden Belastungen der Beschäftigten.
-
Formalisierung und Objektivierung: unter dem Vorzeichen der indirekten Steuerung und der damit verbundenen Vermarktlichung und Subjektivierung sollen die Beschäftigten zwar eigenverantwortlich handeln, dies jedoch unter der Maßgabe vorgegebener Kennzahlen und Dokumentationspflichten, die ein planmäßig-rationales und objektivierendes Handeln voraussetzen. Subjektivierendes Arbeitshandeln, Gefühls- und Emotionsarbeit lassen sich jedoch nicht durch formale Kategorien und Kriterien dokumentieren. Dies führt dazu, dass die geleistete Interaktionsarbeit nicht wahrgenommen – und somit auch nicht vergütet und anerkannt – wird
6. Zumindest im Bereich der Pflege ist mit den Empfehlungen von Rothgang et al. (
2020) und der beabsichtigten Anhebung der Personalschlüssel hier eine zentrale Abhilfe in Sicht, die sowohl eine menschengerechte Gestaltung der Interaktionsarbeit ermöglicht als auch Grundlage für eine (gendergerechte) Pflege bildet.
-
Entgrenzung der Interaktionsarbeit und Beschränkung von Ressourcen: Dort wo Kund:innenenorientierung im Mittelpunkt steht, können Beschäftigte trotz hoher Autonomie erhöhten Belastungen durch entgrenzte Erwartungen seitens der Kund:innen ausgesetzt sein. Eine Abgrenzung gegenüber Kund:innen kann als Verweigerung von Kund:innenorientierung durch das Management interpretiert werden (Voswinkel und Korzekwa
2005). Gleichzeitig führen Einsparungen an anderer Stelle zur Einschränkung erforderlicher Ressourcen, die die Bewältigung der Anforderungen unterstützen. So fallen etwa durch Einsparungen von Lagerflächen Rückzugsmöglichkeiten weg, die es den Beschäftigten ermöglichen, sich aus der Interaktion mit dem Kund:innen zurückzuziehen und sich informell unter Kolleg:innen auszutauschen. In der Arbeitsorganisation wäre dementsprechend auf einen Tätigkeitsmix zu achten, der auch Tätigkeiten ohne Kund:innenkontakt beinhaltet sowie eine entsprechende räumliche Ausstattung.
5 Empfehlungen
Um Interaktionsarbeit geschlechtergerecht und gesundheitsförderlich zu gestalten, ist vor allem auf einer übergeordneten (gesundheitspolitischen) Ebene dafür Sorge zu tragen, dass die wesentlichen und tatsächlichen Anforderungen an Interaktionsarbeit mit arbeitsanalytischen Verfahren erfasst und entsprechend monetär bewertet werden. Hier geht es um die Aufwertung von typischerweise von Frauen verrichteten Tätigkeiten. Beispielsweise richtet sich die Aufwertung von Pflegearbeit nicht nur auf die Bezahlung der dort Beschäftigten, sondern auch auf die Personalausstattung und die damit einhergehende Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Zu letzteren würde auch die realistische Einschätzung von Dokumentationsaufwänden zählen, die in die Personalbemessung einfließen müssten. Ebenso sollten die Arbeitsschutznormen, die bisher primär an der Produktion und männerdominierten Tätigkeiten ausgerichtet sind, ein entsprechendes Schutzniveau für Interaktionsarbeit absichern.
Auf der organisationalen Ebene müssten die Kriterien für die menschengerechte Gestaltung von Interaktionsarbeit in die Verfahren und Instrumente des Betrieblichen Gesundheitsmanagements Eingang finden. Insbesondere die Aspekte „Gebrauchswert für die Kund:in“ und „Vermeidung widersprüchlicher Anforderungen“ sind zunächst Leitlinien, mit denen sich auch das Management und die verschiedenen Führungsebenen auseinandersetzen müssen. Sie sind es, die im Rahmen der Ausgestaltung von Controllingsystemen und Kennzahlen Handlungs- und Entscheidungsspielräume gewähren oder verhindern.
Für die konkrete Ausgestaltung der Interaktionsarbeit sind relevant:
-
Handlungs- und Entscheidungsspielräume
-
Professionelle Autonomie und Selbstverantwortung der Beschäftigten
-
Rückzugsräume, Phasen ohne Kund:innenkontakt
-
Raum für informellen Austausch unter Kolleg:innen.
Das Gesundheitsmanagement selbst sollte partizipativ angelegt sein, um so die Belange und Einschätzungen der Beschäftigten auch zu erfassen und tragfähige Lösungen für den Alltag zu entwickeln. Die Einrichtung von Projektgremien (Lenkungs- Steuerungsgruppen, Projektgruppen, Gesundheitszirkel etc.) sollte eine entsprechende Repräsentanz der Geschlechter und Tätigkeitsgruppen gewährleisten, um Marginalisierungen durch dominante Gruppen zu verhindern und die Unterrepräsentanz von Frauen insbesondere in Entscheidungspositionen auszugleichen.
Insbesondere für den Umgang mit bestehenden widersprüchlichen Anforderungen sind gruppenbezogenen Reflexionsräume eine zentrale gesundheitliche Ressource und dienen der emotionalen Bewältigung (,Schwatz-Rounds‘).
Das Gesundheitsmanagement sollte zudem systematisch Kommunikationsanlässe schaffen, um bestehende Regeln wie Vorgaben zur Emotionsregulation und Gefühlsdarstellung zur Kund:innenorientierung aus gesundheitlicher Perspektive zu reflektieren und anzupassen. Die bestehenden Regeln sollten den Beschäftigten die entsprechenden Spielräume gewähren, um sich gegen ausufernde Ansprüche abgrenzen zu können. Dies kann zudem durch entsprechende Trainings in der Gesprächsführung unterstützt werden. Für den Bereich der Pflege liegen bereits Leitfäden für eine geschlechtersensible Gefährdungsbeurteilung vor, die explizit die Geschlechtsrollenerwartungen integriern (Nielbock und Gümbel
2020).
Zu den widersprüchlichen Anforderungen gehört aus einer Genderperspektive vor allem die Beachtung des bestehenden Strukturkonflikts zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Fürsorgearbeit. Davon sind nach wie vor überwiegend Frauen betroffen. Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind dringend angezeigt – institutionelle Kinderbetreuung, Beratung und Unterstützung in der Pflege Angehöriger und eine lebensphasenorientierte Personalentwicklung. Damit einher geht auch die Möglichkeit für Frauen, Vollzeit zu arbeiten.
Es bleibt zu wünschen, dass diese Form der gesellschaftlichen Organisation von Care- und Interaktionsarbeit im Zuge einer Ausweitung der Dienstleistungsarbeit eine gesellschaftliche Hinterfragung und Reflektion erfährt – und entsprechend aufgewertet wird.
Open Access Dieses Kapitel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Kapitel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.