Seit dreißig Jahren hat sich die Gesprächsforschung zu einem produktiven Forschungszweig entwickelt. Sie hat vor allem der Linguistik, der Soziologie und der Anthropologie neuartige Forschungsfelder eröffnet und Perspektiven auf alte Probleme verändert. Kein anderer wissenschaftlicher Ansatz hat sich mit solcher Konsequenz der Forderung angenommen, das Alltagsleben zu erforschen, welches ja zum allergrößten Teil aus Gesprächsereignissen besteht, sei es in der Familie, im Beruf oder in der Freizeit. Der Vielzahl von Untersuchungen und Erkenntnissen steht jedoch ein eigentümliches Defizit an methodischer Reflexion gegenüber. Es sind allenfalls rudimentäre methodische Standards zu erkennen, drängende Fragen des wissenschaftlichen Vorgehens werden nicht diskutiert, und der Versuch, explizite Verfahrensweisen und Kriterien der Gesprächsanalyse zu erarbeiten, wurde kaum unternommen. Diese Defizite ziehen gravierende Probleme nach sich: Untersuchungen bleiben oft bei vorwissenschaftlichen Paraphrasen oder bei bloßen Illustrationen vorgefaßter Theorien durch Gesprächsausschnitte stehen, Kriterien zur Beurteilung der Güte von Untersuchungen fehlen weitgehend, und der Gesprächsforschung kann im disziplinären Kontext mit dem Argument, es fehle ihr an wissenschaftlicher Methodik, die Anerkennung verweigert werden. Den gleichen Mangel bekommen Forschende, Lehrende und Studierende zu spüren, die sich auf die Suche nach systematischen Einführungen und Überblicksdarstellungen zur Methodik der Gesprächsanalyse machen.
In diesem Kapitel gebe ich einen Überblick über Unterschiede und Gemeinsamkeiten gesprächsanalytischer Fragestellungen, die Konsequenzen für Entscheidungen über das methodische Vorgehen nach sich ziehen (2.1.). Anschließend diskutiere ich die für die Gesprächsanalyse grundlegende Eigenschaft des Forschungsprozesses, daß die Entwicklung der Untersuchungsfragestellungen und der Gewinn von Erkenntnissen über Gesprächsstrukturen miteinander Hand in Hand gehen (2.2.).
Die erhobenen Daten gewinnen schnell an Umfang. Sie müssen von Beginn an so aufbereitet und verwaltet werden, daß ein ökonomischer Überblick über das Material möglich wird, Stellen, die für bestimmte Fragestellungen einschlägig sind, schnell gefunden werden und Entscheidungen für Gesprächsausschnitte, die eingehender untersucht werden sollen, fundiert getroffen werden können. Die Aufbereitung der Daten erfolgt in vier Schritten:
Erstellen von Gesprächsinventaren (4.1.),
Näherbestimmung des Untersuchungsziels und
Selektion der zu analysierenden Passagen (4.2.) sowie deren
Unter ‚Transkription‘ versteht man die Verschriftung von akustischen oder audiovisuellen (AV) Gesprächsprotokollen nach festgelegten Notationsregeln. In diesem Kapitel bespreche ich,
warum Transkripte für die Gesprächsanalyse nötig sind (5.1.),
welche Gesprächsmerkmale in Transkripten erfaßt werden und
wie Transkriptionssysteme an Untersuchungsfragen anzupassen sind (5.2.).
Dieses Kapitel behandelt die Gesprächsanalyse im eigentlichen Sinn: die Untersuchung von Ton- oder Videoaufnahme und Transkript. Die Darstellung folgt dem Untersuchungsablauf und gliedert sich in fünf Schritte:
den Analysebeginn (6.1.),
die Gesichtspunkte der Sequenzanalyse am Einzelfall (6.2.),
das Analyseziel: Formen und Funktionen von Gesprächspraktiken (6.3.),
die Analyseressourcen: Wissensbestände und Variationstechniken (6.4.),
die Analysevertiefung: die fallübergreifende Analyse (6.5.).
Als wissenschaftliche Gütekriterien werden vorrangig Reliabilität (Genauigkeit und Verläßlichkeit der Daten) und Validität (Verhältnis der Daten zur sozialen Wirklichkeit und zu theoretischen Konzepten, Wahrheit und Generalisierbarkeit der wissenschaftlichen Aussagen) diskutiert, daneben auch Forderungen wie Transparenz des Forschungsprozesses, (praktische) Relevanz oder Originalität. Hier sollen diejenigen Aspekte angesprochen werden, die für Gesprächsanalysen spezifisch und besonders wichtig sind.