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2016 | Book

Kommunikative Konstruktion von Zukunftsängsten

Imaginationen zukünftiger Identitäten im dystopischen Spielfilm

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About this book

Im dystopischen Zukunftsfilm artikuliert die Gesellschaft, welche Zukunftsängste sie umtreiben. Mithilfe einer Methodenkombination aus qualitativer Inhalts- und hermeneutisch-wissenssoziologischer Filmanalyse geht das vorliegende Buch den imaginierten künftigen Bedrohungen nach. Im Laufe der Filmgeschichte kristallisieren sich vier Krisenszenarien heraus, die ausführlich beschrieben werden: Totalitarismus, Super-Gau (Krieg und Umweltkatastrophen), Mensch-Maschine-Konkurrenz (Maschinenherrschaft, Maschine als menschliches Ebenbild und Simulationsraum) und Eskalation der Gewalt (Gewaltverdrängung und -verherrlichung). Die umfassende Bearbeitung des Untersuchungsfeldes bietet Anknüpfungspunkte sowohl zu soziologisch relevanten Themengebieten wie Zukunfts-, Risiko- und Identitätsforschung, Umwelt-, Technik- oder Gewaltsoziologie, als auch zu anderen Disziplinen wie Kultur-, Medien- und Filmwissenschaften.

Table of Contents

Frontmatter
0. Wieso Zukunft und Identität im Film?
Zusammenfassung
Die vorangestellten Zitate implizieren einerseits, dass das Leben im Hier und Jetzt stattfindet und als Konsequenz andererseits, dass die Beschäftigung mit der Zukunft eine müßige Sache ist, weil sich daraus niemals gesichertes Wissen ermitteln und ableiten lässt. Warum also sollte sich die Soziologie mit der Zukunft beschäftigen? Eine einfache Antwort lautet: Weil die Zukunft, ebenso wie die Vergangenheit, Handlungsrelevanz besitzt. Mit dem praktischen Syllogismus (siehe Tab. 1), so wie ihn Gerhard S chulze (2006: 35ff.) verwendet, als Methode des Verstehens (nach Max Weber und Alfred Schütz), d.h. als Rekonstruktion des subjektiv gemeinten Sinns von Handelnden, ist die Verknüpfung der drei Zeiten sehr leicht hergestellt.
Leila Akremi

Kommunikative Konstruktion realer und imaginierter Alltagswirklichkeit

Frontmatter
1. Herstellung gesellschaftlicher Ordnung
Zusammenfassung
Eine grundsätzliche Frage bei soziologischen Theorien lautet: Wo setzt man bei der Erklärung des Wechselspiels zwischen dem Handeln der Individuen und dem großen Ganzen der Gesellschaft, d.h. den Strukturen, Institutionen oder Systemen an und wie denkt man sich dieses Verhältnis? „ Alle soziologischen Theorien versuchen, Zustand und Entwicklung sozialer Zusammenhänge als Wechselwirkung struktureller Faktoren (‚transpersonale Ebene‘), sozialer Interaktionen (‚interpersonale Ebene‘) und individueller Perspektiven und Verhaltensweisen (‚personale Ebene‘) zu analysieren“ ( Mörth 1997). Es haben sich, sehr vereinfacht gefasst, drei Perspektiven herausgebildet: Entweder geht man vom großen Ganzen aus (ohne sich zunächst darüber Gedanken zu machen, woher das große Ganze kommt), das jedem Individuum als Faktizität gegenübersteht und sein Handeln, Denken, Erleben prägt bzw. determiniert (auch als normatives oder objektivistisches Paradigma bezeichnet).
Leila Akremi
2. Persönliche Identität im Rahmen des kommunikativen Konstruktivismus
Zusammenfassung
In dieser Arbeit geht es um Identität von Menschen, weshalb ich auf andere Verwendungen von Identität, z.B. Identität von Gegenständen synonym zum Begriff der „Echtheit“ oder Identität im mathematisch-logischen oder auch sprachlogischen Sinne, die großen Einfluss auf die philosophische Verhandlung von Identität hat, nicht eingehen werde. Der Begriff der Identität von Menschen ist dabei keiner, der im Alltag unbedingt häufig verwendet wird oder schon lange im allgemeinen Sprachgebrauch eine Selbstverständlichkeit wäre. Im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (1838-1961), das den hochdeutschen schriftsprachlichen Wortbestand vom 15. Jahrhundert bis 1961 beinhaltet, findet sich unter 350.000 Stichwörtern kein einziger eigener Eintrag zu Identität, wohl aber zu benachbarten und eng verbundenen Begriffen wie „Ich“, „Selbst“, „(Die)Selbigkeit“, „Subjekt“ oder „Person“.
Leila Akremi
3. Imagination alternativer Alltagswirklichkeit
Zusammenfassung
Wie bereits in Kapitel 1 angedeutet, schaffen Habitualisierung und Institutionalisierung Raum für innovatives Denken und Handeln, weil nicht unsere gesamte Aufmerksamkeit den grundlegenden Anforderungen des Alltags gewidmet werden muss. Wie das Anglerbeispiel zeigen sollte, sind aber vor dem Aufbau eines gesellschaftlichen Wissensvorrats die situativen individuellen Problemlösungen des Einzelnen im Überlebenskampf gewissermaßen immer innovativ, da nicht auf vorgefertigte Handlungsschemata zurückgriffen werden kann. Käme es also nicht zu einem kollektiv geteilten Wissen und der sozialen Vermittlung dieses Wissens etwa in Sozialisationsprozessen, so wäre Fortschritt undenkbar. Andererseits stellt sich die Frage, ob nicht irgendwann einmal für alle Probleme, mit denen wir konfrontiert werden, Lösungen existieren, so dass das Streben nach neuen Wegen und Antworten nicht mehr notwendig sein wird.
Leila Akremi
4. Verschiedene Felder der Herstellung und Formen der Imagination des Zukünftigen
Zusammenfassung
Zukunftsvorstellungen können als Sinnprovinzen, also als abgeschlossene Gebiete außerhalb des reinen Alltagsgeschehens betrachtet werden, die nach eigenen Gesetzmäßigkeiten verlaufen, die eigene Modi des Erlebens und Denkens haben. Räume und Zeiten können sich verdichten oder entfernen, Phantasiewesen und Gestalten aus der Vergangenheit können auftauchen, physikalische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft gesetzt werden. Die Vorstellungswelt der Zukunft kann Grenzen überschreiten, weshalb sie eine potentielle Gefährdung für eine bestehende Seinsordnung darstellen kann. Wesentlich für das Funktionieren der Gesellschaft ist, die symbolischen Sinnwelten, solche alternativen Realitäten irgendwie sinnvoll zu erklären, z.B. als Eingebungen durch göttliche Wesen, als Mitteilung von Vorfahren oder des Unterbewusstseins.
Leila Akremi

Soziologie und Film – Methodologie und Methoden

Frontmatter
5. Warum sollte sich die Soziologie mit Filmen befassen?
Zusammenfassung
In diesem Kapitel geht es im Wesentlichen darum zu erläutern, warum sich die Soziologie mit Filmen beschäftigen sollte, was eine soziologische Perspektive auf den Film ausmacht und warum Filme als Datenquelle für das Forschungsinteresse dieser Arbeit bedeutsam sind. Dazu gehört auch die Beschäftigung mit der Frage, um wessen Zukunft es in Spielfilmen eigentlich geht. Dies leitet dann zur Verknüpfung von Film, Gesellschaft und Zukunftsimaginationen über, dem Gegenstand dieser Arbeit.
Leila Akremi
6. Wie kann sich die Soziologie mit Filmen beschäftigen?
Zusammenfassung
Die sozialtheoretische Voreinstellung des kommunikativen Konstruktivismus ist sehr gut geeignet, um das Zusammenspiel zwischen gesellschaftlichen Strukturen einerseits und dem konkreten Handeln von Personen andererseits in Feinanalysen von Filmen herauszuarbeiten. Für eine längere zeitliche Perspektive, die sich auch damit beschäftigt, ob und wenn ja, wie sich diese Imaginationen dystopischer Zukunftswelten in ihren Themen und filmischen Umsetzungen gewandelt haben, und in welchem Verhältnis dies zur realgesellschaftlichen Timeline steht, benötigt man ein zusätzliches Begriffsrepertoire, das insbesondere Nina Baur (2005, 2015), aber auch Gerhard Schulze (2007) liefern.
Leila Akremi

Imaginationen zukünftiger Bedrohungen in dystopischen Spielfilmen

Frontmatter
7. Konstruktion von Zukunftsängsten über dystopische Filme – Vier Rahmungen (Settings)
Zusammenfassung
Die Entscheidung, die filmischen Imaginationen von zukünftigen gesellschaftlichen Bedrohungen in ihrer vollen Breite in den Blick zu nehmen, um dann spezielle Filme tiefergehend zu betrachten, hatte zur Konsequenz, dass aufgrund des umfangreichen Datenmaterials ein vorstrukturierender Analyseschritt zwingend notwendig war. Aus der qualitativen Inhaltsanalyse und den Grobsichtungen der Filme ergaben sich vier übergeordnete Rahmungen – vier fi lmische Settingtypen –, von denen sich wiederum drei in Untertypen gliedern, die zunächst im Gesamten vorgestellt werden und denen anschließend eigene ausführliche Kapitel gewidmet sind.
Leila Akremi
8. Einschränkung der individuellen Freiheit
Totalitarismus
Zusammenfassung
Betrachtet man das idealtypische Setting, so fallen die starken Parallelen sowohl zu historischen Vorbildern wie dem deutschen nationalsozialistischen Regime, als auch zu den an historischen Beispielen herausgearbeiteten wissenschaftlichen Totalitarismus-Definitionen auf.
Leila Akremi
9. Super-Gau
Ausrottung der Menschheit durch Krieg und Naturkatastrophen
Zusammenfassung
Die Vernichtung der Menschheit durch Krieg oder Naturkatastrophen weist in ihren Konsequenzen große Überschneidungen auf, weshalb ich sie auch zu einem übergeordneten Typus „Super-Gau – Ausrottung der Menschheit“ zusammengefasst habe. Im Prinzip lehren uns die dystopischen Filme generell, dass die Menschheit stets selbst an ihrem Unheil schuld ist. Dies unterscheidet auch die von Giddens als high-consequence risks bezeichneten modernen Risiken von früheren Katastrophen wie Sintfluten, Dürren oder Epidemien, die der Mensch nicht beeinfl ussen konnte. Wenn man jedoch genauer hinsieht, dann ist die Zuschreibung der Verantwortlichkeit des Menschen für das, was in der Umwelt passiert, keine moderne Erfindung.
Leila Akremi
10. Konkurrenz zwischen Mensch und Technik
Maschinenherrschaft, Menschliches Ebenbild und Simulation
Zusammenfassung
Die Imagination von möglichen technischen Innovationen aller Art bildet einen zentralen Kern der Science Fiction in Literatur und Film oder der naturwissenschaftlich-technischen Utopien, und die ersten phantastischen Reisen waren hauptsächlich technische Spielereien. Dabei ist die Science Fiction sowohl im Bereich der Alltagstechnologien (wie Haushaltsgeräte oder Fortbewegungsmittel) als auch im Bereich der industriellen Technik (auch der Waffentechnologie) äußerst kreativ, wahrscheinlich sogar innovativer als im Bereich der Imagination alternativer Organisationsformen von Gesellschaft. Auch bei filmischen Dystopien, die mehrheitlich als spezifische Teilgruppe große Überschneidungen mit Science Fiction aufweisen, spielt Technik eine große Rolle – sei es eine bestimmte Technologie zur Durchsetzung totalitärer Strukturen, sei es Technik als Waffe im Vernichtungskrieg oder aber Technikfolgen, die die Menschheit bedrohen.
Leila Akremi
11. Eskalation von Gewalt
Gewaltverdrängung und Gewaltverherrlichung
Zusammenfassung
Nicht nur das Thema Technik zieht sich durch fast alle Filme meiner Stichprobe, sondern insbesondere auch das Thema Gewalt. Als ständiger Begleiter der Menschheit von Anbeginn an, spielt Gewalt in vielen Filmen – natürlich auch außerhalb der von mir betrachteten, seit Beginn des Kinos bis heute und sicherlich auch in Zukunft – eine große Rolle. In jedem Settingtyp lassen sich demnach Darstellungen von Gewalt auffinden: So ist Staatsterrorismus zwangsläufig ein Mittel zur Durchsetzung von totalitären Strukturen (siehe Settingtyp 1) und als Akt der Gewalt gegen die Bürger des Staates zu bezeichnen. In Settingtyp 2: „Ausrottung der Menschheit durch Krieg und Natur“ gehören zwischenstaatliche oder innerstaatliche Gewalt in Form von Kriegen, Naturgewalten und der anschließende Rückfall in die Barbarei, der ebenfalls mit enormer Gewalt verbunden ist, zum zentralen Baustein des Settings.
Leila Akremi

Selbstverschuldete Entmenschlichung – Synthese & Ausblick

12. Die Dimension der selbstverschuldeten Entmenschlichung
Zusammenfassung
Aus der qualitativen Inhaltsanalyse der Filmbeschreibungen in Kombination mit einer Grobsichtung der Filme selbst erfolgte die Clusterung der Filmstichprobe in die vier beschriebenen idealtypischen Settings des dystopischen Zukunftsfilms. Grundlage für die Zuordnung waren die konstruierten Zukunftsängste, die die jeweiligen Filme thematisieren. In Tab. 47 sind noch einmal alle Settingtypen mit ihren jeweiligen Untertypen und den idealtypischen Filmbeispielen zusammengefasst.
Leila Akremi
13. Identität in der Risikomoderne und zukünftige Identitäten
Zusammenfassung
In Kapitel 7.3 wurde aufgezeigt, wie Giddens (1991) die gesellschaftliche Rahmung in der späten Moderne als Gegenwartsdiagnose vornimmt. Wesentlich waren dabei die vier institutionellen Achsen „Industrialisierung, Kapitalismus, Institutionen der Überwachung und Kontrolle der Machtmittel bezüglich der Industrialisierung von Kriegen“. Die Beschleunigung und Dynamisierung des sozialen Wandels in der späten Moderne, gekenntzeichnet durch die Abtrennung von Raum und Zeit, die Entbettung sozialer Institutionen und institutionelle Reflexivität, tragen dazu bei, dass die vier Dimensionen jeweils ihren speziellen Bedrohungspol erhalten: zerstörerische Kriegsführung, golbale ökologische Krisen, Zusammenbrechen der globalen ökonomischen Mechanismen, Erhebung totalitärer Superstaaten.
Leila Akremi
Backmatter
Metadata
Title
Kommunikative Konstruktion von Zukunftsängsten
Author
Leila Akremi
Copyright Year
2016
Electronic ISBN
978-3-658-10954-7
Print ISBN
978-3-658-10953-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-10954-7