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01-04-2020 | Materialentwicklung | Schwerpunkt | Article

Strahlendes Weiß ganz ohne Pigmente

Author: Dieter Beste

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Wie erzeugt man eine weiße Oberfläche? Bislang ist Titandioxid das Standardpigment, um Lacke und Kunststoffe, aber auch Kosmetika oder Tabletten weiß zu färben. Bioniker eröffnen jetzt einen alternativen Weg.

Wenn Licht auf einen Gegenstand auftrifft, können generell drei Prozesse stattfinden: Licht wird absorbiert, Licht wird reflektiert oder transparente Stoffe lassen Licht passieren. So erscheinen Stoffe dann farbig, wenn reflektierte oder durchgelassenes Licht in unser Auge fällt, nachdem Teile des auftreffenden weißen Lichts absorbiert oder durch Interferenz ausgelöscht worden sind, rekapitulieren Norbert Welsch und Claus Chr. Liebmann knapp die Physik des Lichts in "Farben": "Die Farbe ergibt sich durch additive Mischung der zurückgestreuten Lichtanteile. So erscheinen etwa die meisten Blätter grün, weil sie diesen Spektralanteil des weißen Lichts am wenigsten aufnehmen können. Der physikalische Prozess der Lichtabsorption kann damit erklärt werden, dass ein auftreffendes Lichtteilchen (Lichtquant) ein Elektron in einem Atom oder Molekül von einem bestimmten Energiezustand in einen höher gelegenen Energiezustand überführt" (Seite 137). 

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Einleitung

Strukturfarben sind die Folge von interferierenden Lichtwellen erzeugt durch Nanostrukturen unabhängig von der chemischen Zusammensetzung des Materials - jedoch bedingt durch dessen Brechungsindex - und ihren architektonischen Anordnungen im …

"Bei vielen Stoffen sind die Energiedifferenzen möglicher Elektronenübergänge so hoch, dass sie Lichtteilchen im Ultraviolettbereich entsprechen. Solche Substanzen absorbieren zwar UV-Licht, die Zusammensetzung von Licht im sichtbaren Wellenlängenbereich ändern sie aber nicht – sie erscheinen farblos oder aber weiß, wenn sie das Licht streuen", erklären Welsch und Liebmann, und behandeln ab Seite 215 eingehend die Farbe Weiß (Titanweiß, Abdeckweiß, Blinkweiß, Rutilweiß, Titanium), die seit etwa 100 Jahren meist auf der Grundlage von Titandioxid-Pigmenten hergestellt wird.

"Titandioxid hat einen sehr hohen Brechungsindex, es reflektiert einfallendes Licht fast vollständig, hat jedoch den Nachteil, dass sich seine Partikel nicht abbauen und dadurch auf Dauer die Umwelt belasten", sagt Hendrik Hölscher vom Institut für Mikrostrukturtechnik (IMT) des KIT. Hölscher leitet am IMT die Forschungsgruppe Biomimetische Oberflächen und hat sich vom weißen Käfer Cyphochilus insulanus inspirieren lassen, nach einer Alternative zum Titandioxid zu suchen. Bei näherer Betrachtung des Käfers stellte sich heraus, dass dessen Schuppen dank einer speziellen Nanostruktur seines Chitinpanzers weiß erscheinen. 

Strahlendes Weiß ohne Pigmente

Pflanzen und Tiere wie der weiße Käfer haben im Laufe der Evolution mikrostrukturierte Oberflächen mit nützlichen Eigenschaften entwickelt, denen die Karlsruher Forscher im Labor auf den Grund gehen, um sie zu verstehen und technisch zu imitieren. Mit einem kleinen Video geben sie Einblicke in ihre Arbeit. So gelang es dem Team um Hölscher aus Polymeren feste, poröse Nanostrukturen herzustellen, die wie beim Käfer-Vorbild einem Schwamm ähneln. Diese Struktur sorge auf gleiche Weise wie etwa die Bläschen von Rasier- oder Badeschaum für eine Streuung des Lichts und lasse das Material weiß wirken, erklärt der Physiker. "Die mit unserem Verfahren gefertigten Polymerfolien sind extrem dünn, flexibel und leicht, aber dennoch mechanisch stabil und lassen sich industriell auf unterschiedliche Produkte aufbringen."

Phänomene der Natur zu verstehen und zu imitieren, um sie technisch nutzbar zu machen, führe häufig zu völlig neuen Lösungen, charakterisiert Hölscher das Kernanliegen der Bionik – Lösungen, die auf anderem Weg vielleicht nie gefunden worden wären. Während etwa mit klassischen Ansätzen der Technik versucht werde, Materialien aus vielen verschiedenen chemischen Elementen zusammenzusetzen, beschränke sich die Natur meist auf ein einziges Grundmaterial, das dank einer komplexen dreidimensionalen Struktur interessante mechanische, optische oder physikalisch-chemische Eigenschaften aufweise.

Von der Natur lernen

Dabei ist Lernen von der Natur eigentlich so alt wie die Menschheit selbst und begann mit dem vorwissenschaftlichen Beobachten der Natur, das sich über mehrere Entwicklungsstränge hin bis zum heutigen Anwendungspotenzial der Bionik entwickelt hat, bringt Kristina Wanieck in ihrer Einleitung zu "Bionik für technische Produkte und Innovation" den Forschungsansatz auf den Punkt. Werner Nachtigall, Doyen der Bionik in Deutschland, hat 2010 diese eigentlich immer noch neue Disziplin in "Bionik als Wissenschaft" theoretisch eingeordnet: "Technische Umsetzung von Prinzipien der Natur" – diese Definition sei nicht sehr scharf, sagt er in seinem Vorwort, kennzeichne jedoch klar genug das methodische Vorgehen in der Bionik: "Bevor man etwas umsetzen kann, muss man es erforschen, das heißt, in seinem ‚So-Sein‘ erkannt haben. Und bevor man Prinzipien abstrahieren kann, muss man eine genügend große Datenmenge aus der Natur, das heißt das ‚So-Sein der Natur in ihren real existierenden Facetten‘, kennen." 

Damit ergebe sich folgende Vorgehensweise: 
(A)    Erforschen der belebten Welt. Im Allgemeinen: Erkennen von Struktur-Funktions-Beziehungen bei bestimmten Arten von Tieren und Pflanzen. 
(B)    Abstraktion allgemeiner Prinzipien aus den "biologischen Originaldaten", die sich aus (A) ergeben haben. 
(C)    Adäquate, der Technik angemessene Umsetzung allgemeiner Prinzipien nach (B) bis zur Realisation durch den konstruierenden Ingenieur.

Man könne sich nun streiten, wo in dieser Vorgehenskette Bionik als eigenständige Wissenschaft angesiedelt sei. Bionik betreiben bedeute gerade nicht, die Natur direkt zu kopieren. Das wäre Schritt (C) direkt auf Schritt (A) gesetzt, unter Auslassung von Schritt (B). Es bedeute vielmehr, abstrahierte Naturprinzipien technologisch umzusetzen. Das wäre das Kettenglied (B) zwischen Schritt (A) und Schritt (C).

Schwammförmige Mikrostruktur auch in Kügelchen?

"Bionik im eigentlichen Sinne" ist nach Werner Nachtigall somit Schritt (C). Exemplarisch kann dafür die Karlsruher Entwicklung stehen, bei der diese Transformationsarbeit gelang: Bei einer Stärke von neun Mikrometern reflektiert die neuentwickelte Polymerfolie nach Angaben des KIT mehr als 57 Prozent des einfallenden Lichts. 80 bis 90 Prozent seien bei einer dickeren Folie erreichbar. Hölscher hat die schwammförmige Mikrostruktur in Laborversuchen zunächst auf Acrylglas aufgebracht. Das Verfahren lasse sich jedoch auf viele andere Polymere übertragen: "Neben Folien lassen sich auch ganze Gegenstände entsprechend Weiß färben, wir planen als nächsten Schritt Partikel, zum Beispiel kleine Kügelchen, herzustellen, um sie in andere Materialien einbringen zu können."
 

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