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12-03-2021 | Materialentwicklung | Schwerpunkt | Article

Die erstaunlichen Eigenschaften hierarchischer Materialien

Author: Dieter Beste

4:30 min reading time

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Nanometerkleine Metallstreben, die auf separaten Hierarchieebenen ineinander geschachtelte Netzwerke bilden, sorgen für eine erstaunliche Festigkeit: Forscher entwickeln neues Bauprinzip für künftige ultraleichte Werkstoffe.

Biologische Komposit-Materialien sind in der Regel hierarchisch strukturiert, schreibt Werner Nachtigall, einer der Begründer des Faches Bionik in Deutschland in dem Buchkapitel "Materialien und Strukturen": "Das heißt, sie setzten sich aus Einheiten zusammen, die funktionell definierbare Teilsysteme bilden. Eine größere Zahl davon ergibt wiederum ein übergeordnetes System etc., und so setzt sich der Weg vom molekularen Niveau bis zum makroskopischen biologischen System fort" (Seite 58). Ingenieure haben sich längst von diesem Prinzip inspirieren lassen wie etwa Gustave Eiffel. Eine raffinierte, filigrane Konstruktion aus hierarchisch angeordneten großen und kleinen Eisenstreben verlieh dem 1889 in Paris eingeweihten Eiffelturm eine enorme Stabilität. 

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2019 | OriginalPaper | Chapter

Micromechanics of Hierarchical Materials: Modeling and Perspectives

Hierarchical materials represent a new, promising direction of the materials development, inspired by biological materials and allowing the creation of multiscale materials design and multiple functionalities and achieving extraordinary material …

Seit einigen Jahren versucht nun die Materialforschung, dieses Konzept auch auf das Gefüge, also den inneren Aufbau von Materialien, zu übertragen – etwa mit 3D-Druckern, die Fachwerke im Mikrometer-Maßstab herstellen können, berichtet Jörg Weißmüller, Leiter des Instituts für Werkstoffphysik und Werkstofftechnologie der TU Hamburg und Leiter der Abteilung "Hybride Materialsysteme" am Institut für Werkstoffmechanik des Helmholtz-Zentrums Geesthacht (HZG). Doch die Hoffnung, auf diese Weise schnell eine neue Generation von hochstabilen Leichtbauwerkstoffen zu realisieren, habe sich bislang nicht erfüllt, so Weißmüller. Einer der Gründe: "Ein 3D-Drucker kann maximal circa zehntausend Streben drucken und braucht dafür Stunden. Das ist für praktische Anwendungen nicht sehr brauchbar."
Dennoch: Ließen sich Streben mit einem Durchmesser im Nanometerbereich elegant fertigen, könnten sie die Basis für eine neue Art von Werkstoffen bilden – Materialien, die leicht und zugleich hochfest sind. Allerdings müssten solche Stoffe Billionen solcher Streben enthalten – viel zu viel, selbst für die besten Drucker, sagt Shan Shi, Teamkollegin Weißmüllers: "Deshalb müssen wir die Natur dazu bringen, in einem Akt der Selbstorganisation solche Materialien für uns herzustellen." 

Zweistufiges Verfahren

Shan Shi ist Erstautorin einer Studie, die das Hamburger Forscherteam jetzt in der Wissenschaftszeitschrift "Science" veröffentlichte. Als Ausgangspunkt verwendeten die Wissenschaftler eine Legierung aus 93 Prozent Silber und 7 Prozent Gold. In einem ersten Schritt lösten sie etwa die Hälfte des Silbers mit verdünnter Schwefelsäure aus der Probe heraus. Dabei ordnete sich das verbleibende Metall so um, dass ein feines Netzwerk aus Streben entstand. Danach unterzogen sie die Probe einer Wärmebehandlung bei einigen hundert Grad Celsius. "Dadurch vergröberte sich das Netzwerk auf eine Strebengröße von durchschnittlich 150 Nanometern, wobei das ursprüngliche Bauprinzip erhalten blieb", berichtet Shi. In einem dritten Schritt wuschen die Forscher im Säurebad das restliche Silber aus den Goldstreben heraus, wobei Poren von durchschnittlich 15 Nanometer übrigblieben: Dem Team lag nun ein hierarchisch aufgebautes Material mit zwei höchst unterschiedlichen Strebengrößen vor. Aufgrund der Strebenstruktur bestehe der neue Stoff zu 80 bis 90 Prozent aus Luft, seine Dichte betrage also nur 10 bis 20 Prozent des massiven Metalls.

Luftig, leicht – und fest

Abschließend testete die Arbeitsgruppe die mechanischen Eigenschaften der millimetergroßen Proben. "Dafür, dass das Material eine so niedrige Dichte besitzt, zeigt es außergewöhnlich hohe Werte für wichtige mechanische Kenngrößen wie Festigkeit und Elastizitätsmodul", sagt Jörg Weißmüller. "Wir haben viel Masse herausgenommen und es blieb nur noch sehr wenig übrig, doch das Material ist viel fester als das, was bis jetzt Stand der Technik war." Denn wenn der Festkörperanteil unter etwa 30 Prozent liegt, verschlechtern sich die mechanischen Eigenschaften schnell, beschreiben die Wissenschaftler in "Science" bisherigen Erfahrungen in der Werkstoffwissenschaft. Das Team um Shi und Weißmüller fand nun heraus, dass ein zweistufiges Dealloying die Herstellung einer Silber-Gold-Legierung mit einem Festkörperanteil von nur 12 Prozent ermöglicht. Und anders als erwartet, verschlechtert dieser Prozess die mechanischen Eigenschaften nicht und ermöglicht sogar die Synthese großer Proben. 

Mikromechanik hierarchischer Materialien

Dieses aktuelle Beispiel zum Skalierungsverhalten der Steifigkeit und Festigkeit von hierarchischen Netzwerk-Nanomaterialien weist darauf hin, dass sich mit Hilfe der Nanotechnologie generell hierarchische Materialien von neuer Qualität herstellen lassen. Springer-Autor Leon Mishnaevsky Jr. hebt im Buchkapitel "Micromechanics of Hierarchical Materials: Modeling and Perspectives" vier Dimensionen dieser Entwicklungsrichtung hervor:

  • Synergie zwischen Strukturelementen auf mehreren Maßstabsebenen. Zum Beispiel steuern Fasern die Zugfestigkeit und Steifigkeit in hierarchischen Verbundwerkstoffen, während sekundäre Nanopartikel in der Matrix die Scher- und Druckfestigkeit steuern.
  • Möglichkeit, konkurrierende Eigenschaften von Materialien zu verbessern. Zum Beispiel zeigen hierarchische Keramiken sowohl eine höhere Festigkeit als auch eine höhere Zähigkeit.
  • Potenzielle Verbesserung der grenzflächengesteuerten Eigenschaften wie Druck- und Ermüdungsfestigkeit durch Platzierung von Nanopartikeln an Grenzflächen.
  • Die Kombination der Vorteile von Nanomaterialien und Verbundwerkstoffen.

Solche neuartigen Werkstoffe eröffnen völlig neue Perspektiven, schreibt Mishnaevsky, und zwar "als besonders widerstandsfähige Verbundwerkstoffe, multifunktionale Materialien, leitfähige Schutzschichten oder hochverschleißfeste Bearbeitungswerkzeuge" ("Handbook of Mechanics of Materials", Seite 1294). 

Ihre jetzt im HZG-Labor demonstrierte Strategie sollte auch auf andere Legierungssysteme anwendbar sein, ist das Hamburger Forscherteam überzeugt. So sei denkbar, die Methode des schrittweisen Dealloying auf Aluminium, Magnesium oder Titan zu übertragen. Dabei gelte es allerdings eine weitere Herausforderung zu bewältigen: Im Labor lassen sich bislang nur kleine, millimetergroße Materialproben herstellen. "Aber es scheint durchaus machbar, mit dem Verfahren auch Drähte oder sogar ganze Bleche herzustellen", hofft Weißmüller.

 
 

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