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2021 | OriginalPaper | Chapter

2. Monetäre Dynamiken und die sozio-kulturelle Evolution des Geldes als vernachlässigte Themen sozialwissenschaftlicher Forschung: Ein Abstecken des Feldes

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Zusammenfassung

Das Kapitel zeigt, dass die Thematisierung des Geldes in der Mainstream-Wirtschaftswissenschaft – aber auch in anderen einschlägigen Disziplinen und Forschungsrichtungen wie Neue Wirtschaftssoziologie, Wirtschaftsanthropologie, Wirtschaftsgeschichte, ökonomischem Neo-Institutionalismus sowie Akteur-Netzwerk-Theorie – viel zu selektiv ausfällt. Es geht bei dieser Abhandlung nicht um Fundamentalkritiken, sondern darum, herauszuarbeiten, dass und warum die problematisierten Positionen wenig instruktiv sind, um eine soziologische Geldtheorie in kultur-evolutionärer Absicht zu informieren.

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Footnotes
1
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008 ff. wurde von Vertretern der Neuen Wirtschaftssoziologie durchaus eingestanden, dass die eigene Leistungsbilanz als mediokre zu bewerten ist, wobei die strukturbildenden und transintentionalen Effekte von Geld als wichtiges Desiderat hervorgehoben wurden. Siehe dazu die Einschätzung bei Fligstein (2009, S. 41): „Sociologists who have been studying finance for the past 10 years completely missed the forces that produced the ongoing crisis. Their study of trading floors and trading instruments gave them no inkling of what was really going on in the financial world. While they may have caught the flavor of what was going on inside of stock exchanges, they have obviously missed what was really important about finance“ (vergleiche zu einer ähnlichen Selbstkritik Fourcade 2010).
 
2
Im Buch wird unterschieden zwischen extremeren Einbettungskonzeptionen (verbunden etwa mit den Arbeiten Moses Finleys), wo monetäre Dynamiken nahezu kategorisch negiert werden, und solchen – vorliegend vor allem bei Karl Polanyi – die sich als flexibler und offener erweisen.
 
3
An dieser Stelle wird von extensiven Literaturangaben abgesehen, im weiteren Verlauf des Kapitels und des Buchs kommen zahlreiche kritische Positionen aus dem Bereich soziologischer, historischer, anthropologischer und heterodox-ökonomischer Geldtheorien zu Wort.
 
4
Zum gleichen Befund kommt auch Schaps (2004, S. 9): „[T]he great importance of money for our market-based economy strongly suggests that this economy itself, at least in major aspects, did not exist before the invention of money and if so it cannot have been the reason for the invention“.
 
5
Zu den von Menger herangezogenen Belegen für die Umständlichkeit geldlosen Austauschs hält Echterhölter (2014, S. 217) fest: „In der Tat wird die Lästigkeit und Umständlichkeit des Naturaltausches bei Carl Menger durch sehr bezeichnende Passagen belegt: Seine Beispiele sind Reiseberichten entnommen, deren kolonialer Blick auf unverstandene ökonomische Gebräuche selbst durch die Zitate hindurch deutlich wird“ (siehe für Beispiele ebenda).
 
6
Siehe zur Ideengeschichte der tauschzentrierten Geldtheorie des ökonomischen Mainstreams auch Ingham (2002, S. 20 ff.) sowie zu heterodoxen Alternativen Semenova und Wray (2015, S. 5 ff.) und den Fortgang.
 
7
Etwas anders fokussiert lässt sich sagen: Gerade zu Beginn des Kapitalismus als dezidierter Geld- und Kreditwirtschaft wurde die Wirtschaft seitens der dominanten Theorien ironischer Weise so beschrieben, als handele es sich um eine einfache Tauschwirtschaft (vgl. Dillard 1980, S. 256). Diese Problematik wird unter 1.4. nochmals aufgenommen.
 
8
Siehe ähnlich Ingham (2004b, S. 21): „In Walras’s ‚moneyless‘ model of the economy the numeraire symbolizes an already existing value of an arbitrarily chosen commodity as the benchmark standard of value by which the calculation of the exchange rates between commodities can be made“.
 
9
Von Arrow und Debreu stammt die moderne Variante der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie. Siehe zum historischen Entstehungskontext und den konkreten Modalitäten des Konstruktionsprozesses Düppe und Weintraub (2014).
 
10
Man kann hier auch im Anschluss an Derrida von einem „Phonozentrismus“ sprechen, „der die Schrift als ein Abbild der gesprochenen Sprache beschreibt“ (Pohl 2005, S. 80).
 
11
Krämer (1998, S. 12) spricht hier treffend von einer „im Kulturkreis des phonetischen Alphabets gepflegte[n] Überzeugung, daß die Schrift als eine Konvention zur Transkribierung der gesprochenen Sprache zu verstehen sei“. Dem hält sie entgegen: „Doch mit dem Binäralphabet ist ein Typus von Schrift entstanden, welcher sich – in der Tradition mathematischer und logischer Schriften – der Vorstellung einer Schrift, die ein bloßes Derivat der mündlichen Sprache ist, nicht mehr umstandslos fügt“ (ebenda).
 
12
Einschränkend fügt Bohn (ebenda) zurecht hinzu: „Der lange behauptete Nexus allerdings zwischen Illiteralität und alogischem Denken bzw. Literalität und Logik ist mit Gewißheit aufgebrochen. Illiterale Bewußtseine sind – das haben Untersuchungen der vergleichenden Kultur- und Kognitionsforschung ergeben – durchaus in der Lage, logische Denkoperationen zu vollziehen. Sie vollziehen sie jedoch kontextabhängig, an einem bestimmten Gegenstand, an einem Beispiel, an einem Sachverhalt. Die Übertragung der gleichen Operation auf einen anderen Gegenstand oder ihre Symbolisierung in einer Formel, die Abstraktion vom Verwendungskontext voraussetzt, sind allererst schriftgestützte Operationen“.
 
13
Gut möglich, dass Marx bereits in diese Richtung gedacht hat, aber eine explizite Ausarbeitung findet sich nur in thesenhafter Form: „Das Geld mit der Sprache zu vergleichen ist […] falsch. Die Ideen werden nicht in der Sprache verwandelt, so daß ihre Eigentümlichkeit aufgelöst und ihr gesellschaftlicher Charakter neben ihnen in der Sprache existierte, wie neben den Waren. Die Ideen existieren nicht getrennt von der Sprache. Ideen, die aus ihrer Muttersprache erst in eine fremde Sprache übersetzt werden müssen, um zu kursieren, um austauschbar zu werden, bieten schon mehr Analogie; die Analogie liegt dann aber nicht in der Sprache sondern in ihrer Fremdheit“ (MEW 42, S. 96).
 
14
Es wird im Folgenden nur eine geraffte und selektive Diskussion makroökonomischer und geldpolitischer Entwicklungen präsentiert, die jene Punkte ins Zentrum stellt, die die oben thematisierte Neutralität des Geldes betreffen. Für eine umfassendere Darstellung der Entwicklungen innerhalb der Makroökonomik siehe Pahl (2018, Kap. 4). Eine detaillierte Analyse müsste zudem die Austauschprozesse zwischen akademischer Makroökonomik und praktischer Zentralbankpolitik präziser beleuchten, handelt es sich hierbei doch keinesfalls um einen einfachen Diffusionsprozess von Wissensbeständen aus der Ökonomik in den Bereich zentralbanklicher Geldpolitik, sondern um ein komplexes Wechselspiel. Siehe Sparsam und Pahl (2018) als Überblick zur Soziologie der Zentralbanken sowie Sparsam und Pahl (2020) und Sparsam und Flachmeyer (2020) für konkrete Einblicke am Beispiel historischer Episoden.
 
15
Siehe dazu detailliert Hoover (2007, S. 421): „Friedman argued that monetary policy could affect real output only in the short run. In the long run, the Phillips curve was vertical at a ‚natural rate of unemployment‘ determined by tastes, technology, resources, and institutions. The natural-rate hypothesis received a strong boost when, in the early 1970 s, inflation and unemployment rose simultaneously in most developed economies“.
 
16
Die Unterscheidung zwischen kurzer und langer Frist als solche blieb hier freilich noch intakt, sie wurde erst wenig später von den New Classical Macroeconomics in Gänze einkassiert (wie unten gezeigt wird).
 
17
Zum weiteren Fortgang von Austarierungsprozessen (Machtkämpfen) zwischen Gläubigern und Schuldnern in den 1980er und 1990er Jahren führt Streeck (2016, S. 116 f.) aus: „Alle drei nacheinander eingesetzten Methoden zur monetären Erzeugung von Wachstums- und Wohlstandsillusionen – Inflation, Staatsverschuldung und Privatverschuldung – funktionierten jeweils für eine begrenzte Zeit. Dann aber mussten sie aufgegeben werden, weil sie den Akkumulationsprozess mehr zu behindern begannen, als dass sie ihn unterstützt hätten“.
 
18
Ein dritter, hier nur zu markierender Punkt, betrifft die Frage der Messung der Inflationsrate. Je nachdem, welche Sachverhalte wie einbezogen (oder ausgeschlossen) und gewichtet werden, ändern sich die Messergebnisse. Es gibt keine streng objektiven Bestimmungsgründe zur Messung von Inflation, es fliessen stets pragmatische Erwägungen und politische Wertungen ein (vgl. Bullard 2011).
 
19
In der Tendenz lauft eine solche Homogenisierung der Temporalstrukturen auf eine Eliminierung der Differenz von Mikro- und Makroökonomie hinaus. Hoover (1988, S. 87) spricht mit drastischen Worten von einer „euthanasia of macroeconomics“, ein Aspekt, der bei Lucas (1987, S. 107 f.) als dezidiertes Ziel ausgewiesen wird: „[T]he term ‚macroeconomic‘ will simply disappear from use and the modifier ‚micro‘ will become superfluous. We will simply speak […] of economic theory“. Auch hier werden – wie oben anlässlich der interaktionistischen Fundierung der Ökonomik thematisiert – verschiedene Emergenzniveaus ausgeschlossen, das Ziel besteht in einer verabsolutierten gleichgewichtstheoretischen Beschreibung aller ökonomischen Sachverhalte.
 
20
Vergleiche dazu Quiggin (2012, S. 81): „Leading Keynesians conceded Friedman’s central points: that inflation is driven by the money supply, and that macroeconomic policy can affect real variables, like the levels of employment and unemployment, only in the short run“. Mit der originären Theorie von Keynes hatte schon die als neoklassische Synthese bekannte gleichgewichtstheoretische Formalisierung einiger Keynesscher Ideen wenig zu tun (vgl. dazu die klassische Studie von Leijonhufvud 1968), die New Keynesian Economics replizieren dieses Verfahren entsprechend der Weiterentwicklungen gleichgewichtstheoretischer Standards. Für Keynes selbst war eine monetäre Ökonomie dadurch ausgezeichnet, das Geld kategorisch eine eigenständige Rolle spielt und die Motive und Entscheidungen der Akteure beeinflusst. Der Ablauf des Wirtschaftsgeschehens kann weder auf lange noch auf kurze Frist vorhergesagt werden, ohne das Verhalten des Geldes mit in Betracht zu ziehen (vgl. Lau und Smithin 2002, S. 6). Keynes hat mit einem starken Begriff von Unsicherheit gearbeitet, der im Rahmen aller gleichgewichtstheoretischen Theoriearchitekturen einen Fremdkörper darstellen musste und entsprechend eskamotiert wurde.
 
21
Man kann hier zusätzlich anmerken, dass die politischen Neigungen von Walras in Richtung marktsozialistischer Reformprogramme gingen.
 
22
Siehe beispielsweise Orléan (2014, S. 76) für eine Auflistung solcher Voraussetzungen: „1. a set of goods and qualities known to all actors (classification postulate regarding commodities), 2. a common perception of the future (classification postulate regarding states of the world), 3. a collective acceptance of a centralized price mechanism (auctioneer postulate regarding prices), and 4. the adoption by all actors of a strictly utilitarian attitude toward commodities (convexity postulate regarding preferences)“.
 
23
Das Paradigma der Neuen Neoklassischen Synthese bezeichnet den ab den 1990er Jahren wirkungsmächtigen Kompromiss zwischen den oben genannten Forschungsrichtungen von New Classical Macroeconomics und New Keynesian Economics. Siehe zur Ideengeschichte moderner Makroökonomik ausführlich Snowdon und Vane (2005) sowie De Vroey (2016).
 
24
Die blinden Flecken der Mainstream-Makroökonomik lassen sich auch andersherum konturieren, durch Verweise auf die Eigenschaften und Blickwinkel jener Ansätze, die bezüglich der Antizipation und/oder Erklärung der Krise vergleichsweise gut abgeschnitten haben: „Those who ‚saw it coming‘ in their analyses emphasized financial assets, debt, and the flow of funds. […] Regarding behavioral assumptions, these include uncertainty, bounded rationality and non-optimizing behavior […].Methodologically, these analysts favor empirical work rather than theoretical formalism, and they share an aversion to methodological individualism” (Bezemer 2011: 15). Diese Attribute beziehen sich ersichtlich vor allem auf das Feld heterodoxer Ökonomik.
 
25
Nach Ausbruch der Krise reagierte die Mehrzahl der Mainstream-Ökonomen zunächst paralysiert (dies gilt insbesondere für die Vertreter der New Classical Macroeconomics). Die Zentralbanken hingegen, die sich nicht auf eine abwartende Position im akademischen Elfenbeinturm zurückziehen konnten, sondern in Echtzeit Entscheidungen mit großer Tragweite treffen mussten, reagierten mit einem pragmatischen trial-and-error-Kurs unter Preisgabe zahlreicher vormalig noch geheiligter wirtschaftswissenschaftlicher Dogmen: „It is to the credit of central banks that, when their standard tools failed, they were willing to adopt more radical measures. The most important was quantitative easing, that is, printing money and using it to purchase securities such as government bonds and corporate paper. Such radical steps, which contrast sharply with the passive response to the financial shocks of the Great Depression, have helped to prevent a complete meltdown of the financial system“ (Quiggin 2012, S. 28).
 
26
Eine weitere einschlägige Publikation der britischen Zentralbank ist der Beitrag „Banks are not intermediaries of loanable funds – and why this matters“ (Jakab und Kumhof 2015).
 
27
Für systematische Überblicke über die (Neue) Wirtschaftssoziologie siehe die ausführliche Systematisierung und Kritik bei Sparsam (2015), sowie Kraemer und Brugger (2017) für eine umfassende Sammlung von Kommentaren zu (alten und neuen) wirtschaftssoziologischen Schlüsseltexten. Lesenswert ist ferner der Beitrag von Convert und Heilbron (2007) zur Entstehungsgeschichte der New Economic Sociology, der auch institutionelle Faktoren (etwa die aktiv betriebene Schulenbildung) einbezieht. Einen aktuellen Überblick über die Forschung in Deutschland und ihre Besonderheiten gegenüber dem US-Kontext gibt Wilkinson (2019).
 
28
Ob die Bezeichnung Disequilibrium Economics bei Calnitzky sinnvoll ist, lässt sich hinterfragen, weil dieser Begriff innerhalb der Ökonomik eine Spielart makroökonomischer Forschung bezeichnet, in der – mit Fokus auf Koordinationsprobleme – versucht wurde, das neoklassische Marktmodell radikal zu transzendieren (siehe als Übersicht Backhouse und Boianovsky 2013). Als Analogie zu den Verfahren der Neuen Wirtschaftssoziologie scheint mir das Programm der New Keynesian Economics geeigneter, die – ganz explizit – auf Basis eines neoklassischen Marktmodells arbeiten, um dann qua Einbau von Friktionen zu teilweise anderen Ergebnissen und wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen zu gelangen als die Standard-Neoklassik (vgl. den Abschn. 2.1. sowie Pahl 2018, Kap. 4).
 
29
Darauf hat zum Beispiel Bourdieu (1998, S. 180 f.) hingewiesen: „Vielen Soziologen ergeht es daher so wie Mark Granovetter. Sie glauben der Vorstellung vom ökonomischen Agenten als […] egoistischer Monade […] zu entrinnen, lösen sich aber von der Benthamschen Sichtweise und vom ‚methodologischen Individualismus‘ nur, um an die interaktionistische Sichtweise zu geraten, die den Strukturzwang des Feldes ignoriert und nichts kennen will (oder kann) als den Effekt der bewußten und kalkulierten Antizipation, die jeder Agent in bezug auf die Wirkungen seiner Aktion auf die anderen Agenten zur Hand hätte“.
 
30
Die Debatten um Polanyi innerhalb der Wirtschaftssoziologie kranken fast immer an einer verkürzten Rezeption von dessen Gesamtoutput. Zumeist bezieht man sich lediglich auf wenige Aussagen aus der Great Transformation. Auf Polanyis Konzeption wird im Abschn. 2.3. sowie im Kapitel 3 zurückgekommen.
 
31
Siehe Colander et al. 2004 für diesen neuen, erweiterten ökonomischen Mainstream, der qua axiomatischer Variation (Kapeller 2012) eine Art Beforschung von Anomalien betreibt, wo all jene Fälle ins Zentrum gerückt werden, die durch das Standardraster der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie fallen.
 
32
In Beckerts (2016) letzter Monografie wird das Einbettungsprogramm erneut durchgespielt, dieses Mal mit Blick auf die Theorie rationaler Erwartungen von Robert Lucas, dem zentralen Baustein zeitgenössischer neoklassischer Makroökonomik. Auch hier bleibt es aber bei dem bekannten modus operandi einer interaktionistischen Kontingentsetzung neoklassischer Axiome, die aber deren Forschungshorizont und Erkenntnisinteresse verhaftet bleibt: „This book concurs with rational expectations theory that expectations matter greatly; however, it takes issue with the assertion that actors’ decisions are formed based on expectations that make efficient use of available information and that actors’ expectations concur on the dominant macroeconomic model“ (ebenda: 39).
 
33
Auf das Marxsche Theorieprogramm wird in Kap. 6 ausführlich eingegangen.
 
34
Bei Luhmann wiederum kommt der Einbettungsbegriff nur selten und zumeist negativ konnotiert vor, in „Organisation und Entscheidung“ rangiert er etwa als Beispiel für „analytisch unscharfe Vorstellungen“ (Luhmann 2006, S. 408 f.).
 
35
Um nur einige Meilensteine zu nennen: Ganßmann (1996), Deutschmann (2001), Ingham (2004), Paul (2012), Kohl (2014), Dodd (2016). Aus der Anthropologie Graeber (2011) sowie Di Muzio und Robbins (2017).
 
36
Ein weiteres Beispiel: „Zelizer mentions the envelopes in which sums of money are saved that record the special purpose to which they are assigned. She tells us the earmarking story of a prostitute who spends her income according to its origins: the money coming from prostitution goes to alcohol and drugs, social relief payments to the payment of rent and the education of her child“ (Steiner 2009, S. 100).
 
37
Dazu bereits Dodd (2005, S. 401): „But if earmarking renders money meaningful, it does not necessarily transform it in any fundamental way. In other words, while earmarking explains the multiplicity of money’s meaning, it cannot account for the diversity of monetary forms that circulate in the present day“.
 
38
Noch dezidierter wird der gleiche Sachverhalt bei Marx beschrieben: „Manch Kapital, das heute in den Vereinigten Staaten ohne Geburtsschein auftritt, ist erst gestern in England kapitalisiertes Kinderblut“ (MEW23: 784).
 
39
Die These der Differenzierung ist nicht einfach falsch – aber einseitig. Bei Dodd (2005) finden sich interessante Überlegungen zur Gleichzeitigkeit der Homogenisierung von Währungen und der Diversifizierung von Geldformen. Für eine adäquate Theoretisierung ist aber eine konsequente Unterscheidung von Geld und Währungen entscheidend, die Zelizer gerade nicht liefert. Zur Problemlage: „The changing nature of money is characterized by two simultaneous trends. On the one hand, large-scale currencies such as the US dollar are increasingly circulating outside the borders of their issuing states, and in some cases are actually replacing smaller currencies. This process constitutes a trend towards increasing homogeneity. On the other hand, the range of monetary forms other than state-issued currency in circulation is increasing, primarily through the development of e-money and complementary currencies. This constitutes a trend towards increasing diversity“ (Dodd 2005, S. 559).
 
40
Das bedeutet nicht, dass es an Polanyis Konzeptionen gar nichts zu kritisieren gäbe. Die dortigen theoriebezogenen Problemlagen werden in Unterkapitel 3.4. erörtert. In den beiden historischen Kapiteln werden zusätzlich jene Fälle erwähnt, bei denen man heute wissen kann, dass Polanyis Interpretationen unzureichend sind.
 
41
Bücher zählte zu den ersten Ökonomen, die auf ethnografisches Wissen referiert haben. Siehe hierzu die Einschätzung von Spittler (2016, S. 36): „Weber bezieht in seiner Religionssoziologie alle Weltreligionen mit ein, verzichtet aber auf die Berücksichtigung des ethnographischen Materials. Nur Marx und Bücher berücksichtigen die zeitgenössische Ethnographie, Bücher noch stärker als Marx. Aber ethnographische Arbeitsbeschreibungen gab es damals nur wenige, und sie waren methodisch unzulänglich“.
 
42
Freilich vertritt auch Bücher ein Stadienmodell wirtschaftlicher Entwicklung, er unterscheidet ebenfalls Hauswirtschaft (Antike), Stadtwirtschaft (Mittelalter) und Volkswirtschaft (Moderne). Gegenüber seinen Opponenten betont er aber wesentlich stärker die Eigenheiten der jeweiligen Stufen und verwehrt sich einer geradlinigen Fortschritts- und Kontinuitätslogik.
 
43
Zur Wirkmächtigkeit des Bandes siehe die Einschätzung bei Bongenaar (1999, S. 159): „It is the economic historian Karl Polanyi to whom scholars often refer whenever they deal with theoretical explanations for the intractable socio-economic data of the Ancient Near East, either following or refuting his theories. Polanyi's theories about trade and markets in early societies made an enormous impact in the late fifties and early sixties, not in the least because he was the first to describe Mesopotamian economics by means of anthropological and economic vocabulary and insight. Although some immediately rejected his theory about a marketless Mesopotamia based on redistribution, there is no reason to reject his theory about money and its uses in early societies without further examination“.
 
44
Kaum etwas dieser Begrifflichkeiten ist seitens der Neuen Wirtschaftssoziologie in hinreichender Weise aufgegriffen worden, obwohl sich dies geradezu aufdrängt.
 
45
Siehe zur Kritik an Finley auch die Einschätzung von Terpstra (2019, S. 234): „Criticism leveled at The Ancient Economy focused on the role of markets, which many scholars maintained was much larger than Finley allowed. But more pertinent for my present purposes, many also countered that a single model does not do justice to the diversity of ancient societies. Size apart, the economy of classical Athens was structurally different from that of the Roman Empire, which in turn was structurally different from that of the Hellenistic kingdoms. An emphasis on the specifics of ancient societies became the leading mode of research, and I think that few scholars would now subscribe to the idea of one ‚ancient economy‘ in the sense of Finley“.
 
46
Siehe auch die identische Einschätzung von North (1977, S. 703): „The widespread scepticism of scholars in other fields has not had much impact on economic historians who use neo-classical economics in history – the new economic historians“.
 
47
Cohen (2002, S. 5) vertieft den bei Bresson nur angetippten wissenschaftsinternen Grund für das Willkommenheissen modernistischer Interpretationen der Antike von Seiten klassischer Fachvertreter. Während des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden die auf dem Studium der klassischen Sprachen, der Literatur und der Kunst basierenden Bildungssysteme zunehmend durch neue technische Disziplinen in Frage gestellt (Ökonomik, Ingenieurswissenschaft, Naturwissenschaften, Mathematik). Die Vertreter des klassischen Bildungskanons sahen im neuen, auch ökonomischen Interesse an antiken Gesellschaften eine Chance, die Relevanz der eigenen Wissensbestände zu belegen.
 
48
Dass das Freihandelsparadigma des 19. Jahrhunderts faktisch durch hochgradig autoritäre Außenpolitiken flankiert und durch monopolistische Strukturen realisiert wurde und ohne diese nicht möglich gewesen wäre, ist mittlerweile bestens erforscht und wird an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt.
 
49
Die allgemeine Prominenz der Neuen Institutionenökonomie zeigt sich nicht zuletzt in der Verleihung der wirtschaftswissenschaftlichen „Nobelpreise“ an ihre maßgeblichen Vertreter, 1991 an Ronald Coase, 1993 an Douglass North und schließlich 2009 an Oliver Williamson (siehe dazu Meramveliotakis und Milonakis 2014: 1045). Eine ideengeschichtliche bzw. ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Hintergrund des Aufstiegs des Paradigmas kann und muss hier nicht geleistet werden, siehe aber als Einschätzung dazu Maucourant (2014: 203): „In the 1960 s and 1970 s the traditional spirit of capitalism was rather unstable throughout the Western world. In this respect, the ‚theory of property rights‘ and NIE developed in a world where the power of the big firm and the capitalist hierarchy of labor had to be justified in the name of ‚efficiency‘.”
 
50
Siehe für einen aktuellen und in Teilen deutschsprachigen Sammelband in dieser Linie Droß-Krüpe et al. (2016).
 
51
Weiterentwicklungen und Brüche innerhalb der Positionen von North und den anderen Vertretern des Neoinstitutionalismus müssen an dieser Stelle nicht im Detail verhandelt werden. North war vor seiner Ausarbeitung des Transaktionskostenansatzes beispielsweise einer der Gründer der Kliometrie (New Economic History), wo versucht wurde, Wirtschaftsgeschichte radikal auf quantitativen Methoden zu fundieren (siehe zu den wesentlichen Schaffensphasen und Brüchen bei North Milonakis und Fine 2016).
 
52
Die Einschätzung lautet: „These are ideas that should resonate well with ancient historians. In previous generations we have learned from Karl Bücher and Polanyi to see the economy as an ‚instituted‘ process characterized by historically varying patterns and forms of organization“ (Bang 2009, S. 196).
 
53
Dazu Milonakis und Fine 2016, S. 36 f.: „At the theoretical level, despite the prominence of institutions and ideology in North’s analysis, the individual remains the basic unit of analysis, the point of departure as well as the most pervasive element. Methodological individualism is North’s most sacred analytical principle. Everything from the existence of institutions to structural change is seen as the result of the (rational) action of individuals“.
 
54
Diese Orthodoxie wird freilich von North (1981) in Structure and Change in Economic History preisgegeben. Seitdem wird die Frage des Fortbestehens auch ineffizienter Institutionen adressiert, ohne dass sich damit aber die grundsätzliche Forschungsagenda des analytischen Voraussetzens eines perfekten Marktes ändern würde (vgl. Milonakis und Fine 2016, S. 31).
 
55
Dass sich der Aufstieg Westeuropas und später der USA auch geologischen Kontingenzen wie der Verfügbarkeit domestizierbarer Pflanzen und Tiere (Diamond 2005) sowie der Verfügung über leicht zugängliche Kohlevorkommen (Pomeranz 2000) verdankt hat, wird seitens des ökonomischen Neoinstitutionalismus aufgrund des ihm inhärenten Ökonomismus nicht in Rechnung gestellt.
 
56
Man kann dies auch so formulieren, dass die Neue Institutionenökonomik nur die Innenseite der Strukturen beschreibt, aber nicht deren Außenseite oder Kopplungen. Soziale, geologische und weitere mögliche Voraussetzungen, die als Bedingungen der Möglichkeit der Genese von Strukturzusammenhängen angesetzt werden können, deren interne Regulationsweise sich entlang von Transaktionskostenminimierung beschreiben lässt, werden ausgeblendet.
 
57
Einschränkend führen Çalışkan und Callon (2009, S. 382) aus, dass Soziologen wie Bourdieu, Fligstein oder White eine kritische oder distanzierte Haltung gegenüber dem Begriff der Einbettung eingenommen haben. Dennoch teilen sie mit der neuen Wirtschaftssoziologie die Überzeugung, so Çalışkan und Callon weiter, dass die Soziologie ihre Analyseinstrumente nicht verändern sollte, wenn sie wirtschaftliche Phänomen untersucht und dass die Wirtschaft insofern in die Soziologie eingebettet sein muss.
 
58
Was sich noch zusätzlich kritisch anmerken lässt, ist die Engführung des Economizing-Paradigmas auf Märkte. Dies mag mit Blick auf die Prominenz von Märkten in der modernen Gesellschaft empirisch verständlich sein, ist aber bezogen auf die Ausarbeitung eines allgemeinen Forschungsrasters sowie für historische Vergleiche hinderlich. Wie am Beispiel Mesopotamiens gezeigt wird, waren Kalkulationen zur Ordnung und Organisation wirtschaftlicher Sachverhalte historisch nicht auf Märkte beschränkt und sind dies auch heute nicht.
 
59
Aus der Versenkung gehoben wurden diese Einsichten Gottls maßgeblich durch die Arbeiten von Backhaus (1997). Zu einer zeitgeschichtlichen Verortung Gottls (der später im Nationalsozialismus fragwürdige politische Verbindungen eingegangen ist) siehe Köster (2011).
 
60
Stärker abwägende Perspektiven zu den Leistungen und Grenzen der Performativitätstheorie finden sich beispielsweise in Pahl und Sparsam (2016) sowie – oben bereits genannt – in Sparsam (2019).
 
61
Interessant ist auch der an obige Aussage anschließende Satz: „There is truth in the quip that if one wishes to learn about capitalism, read Marx; if one wishes to learn about socialism, read Marshall“ (Dillard 1980, S. 266).
 
62
Dem Großteil der Bevölkerung bleiben die hier involvierten – strukturell eher feudalistisch anmutenden – Kausalitäten freilich opak. Man hält sich an das, was in Schule (economic literacy) oder Universität (textbook economics) gelernt wurde, und überbrückt Disparitäten, die sich beim Blick auf die Wirklichkeit ergeben, mit Ad-hoc-Hypothesen (siehe dazu die sehr aufschlussreiche empirische Studie von Pühringer und Bäuerle (2019).
 
63
Dazu Di Muzio und Robbins (2017, S. 35) weiter: „[I]f we consider broad money, there is about $80.9 trillion in the world, but there is almost $200 trillion in debt. This means that the economy must perpetually grow in order to create the interest owed on debt; individually that means you must spend more this year than last and more next year than this in perpetuity“.
 
64
Nach Adam Riese ist das paradox. Aber die soziale Wirklichkeit sortiert Paradoxien – anders als in Philosophie- und Mathematikseminaren üblich – nicht als Paradoxien aus, sondern hält sie latent, um sich selbst im Rahmen von Münchhausiaden am eigenen Schopf aus dem Morast zu ziehen bzw. den Prozess des Herausziehens wenigstens ad infinitum zu verlängern.
 
65
Graeber (2011) hat hierbei zweifelsohne Pionierarbeit geleistet, auch wenn seinem eher einfach gebauten Narrativ eines Wechselspiels von Münzgeldsystemen und Kreditgeldsystemen, das sich trotz der breiten ethnologischen Forschungsagenda wenig für soziale und kognitive Kontexte (etwa: Schriftentwicklung, Entwicklung von Maß- und Gewichtssystemen, Rationalitätsentwicklung) interessiert, nicht in jeder Hinsicht gefolgt werden kann (siehe für eine hervorragende Abhandlung zu Graeber Dodd 2016, S. 94 ff.).
 
Metadata
Title
Monetäre Dynamiken und die sozio-kulturelle Evolution des Geldes als vernachlässigte Themen sozialwissenschaftlicher Forschung: Ein Abstecken des Feldes
Author
Hanno Pahl
Copyright Year
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32684-5_2