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Open Access 2021 | OriginalPaper | Chapter

3. Nutzung der Chancen der Digitalisierung durch digitale Leistungen – Technologien und Prozesse, Angebote und Geschäftsmodelle verbessern oder verändern

Authors : Dr. Harald Proff, Claudia Ahrens, Wencke Neuroth, Prof. Dr. Heike Proff, Dr. Florian Knobbe, Gregor Szybisty, Stefan Sommer

Published in: Accelerating Digitalization

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Wir wollen in diesem Kapitel zeigen, wie Unternehmen die Chancen der Digitalisierung nutzen können:
1.
durch Verbesserung oder Veränderung
  • zunächst der unternehmerischen Prozesse (z. B. durch die digitale Fabrik bzw. Industrie 4.0) und der dahinter liegenden digitalen Technologien (z. B. ein mehrschichtiges Fertigungsmanagement, MES), als den „Digital Activities“.
  • dann der Angebote, d. h. Produkte und Dienstleistungen (z. B. ein Angebot von Digitalkameras), die Unternehmen in Geschäftsmodelle – einzeln umsetzen oder verbindlich ausgerichtet auf einen definierten Kreis von Partnern (in einem Ecosystem) - umsetzen, als den „Digital Businesses“.
 
2.
durch radikale Veränderungen der Leistungen, die sehr viel weitreichender sind, als eine Verbesserung oder eine inkrementelle Veränderung der Technologien, Prozesse, Angebote und Geschäftsmodelle. Denn sie bedeuten die Entwicklung völlig neuer Geschäftsmodelle bzw. Geschäftsmodellinnovationen, die sich als neue Wege des Denkens auf völlig neue Angebote am Markt beziehen und auf neuartige Technologien und Prozesse stützen.
 
Damit ermöglicht die Digitalisierung eine Neuausrichtung der unternehmerischen Leistungen (Digital Performance) und treibt die Transformation von Unternehmen.
Dabei gilt, dass die Gewinnwirkung umso höher ist, je stärker Unternehmen dadurch Technologien, noch stärker Prozesse, mehr noch Angebote und am meisten Geschäftsmodelle verändert werden.
.
Wir wollen in diesem Kapitel zeigen, wie Unternehmen die Chancen der Digitalisierung nutzen können:
1.
durch Verbesserung oder Veränderung
  • zunächst der unternehmerischen Prozesse (z. B. durch die digitale Fabrik bzw. Industrie 4.0) und der dahinter liegenden digitalen Technologien (z. B. ein mehrschichtiges Fertigungsmanagement, MES), als den „Digital Activities“.
  • dann der Angebote, d. h. Produkte und Dienstleistungen (z. B. ein Angebot von Digitalkameras), die Unternehmen in Geschäftsmodelle – einzeln umsetzen oder verbindlich ausgerichtet auf einen definierten Kreis von Partnern (in einem Ecosystem) - umsetzen, als den „Digital Businesses“.
 
2.
durch radikale Veränderungen der Leistungen, die sehr viel weitreichender sind, als eine Verbesserung oder eine inkrementelle Veränderung der Technologien, Prozesse, Angebote und Geschäftsmodelle. Denn sie bedeuten die Entwicklung völlig neuer Geschäftsmodelle bzw. Geschäftsmodellinnovationen, die sich als neue Wege des Denkens auf völlig neue Angebote am Markt beziehen und auf neuartige Technologien und Prozesse stützen.
 
Damit ermöglicht die Digitalisierung eine Neuausrichtung der unternehmerischen Leistungen (Digital Performance) und treibt die Transformation von Unternehmen.
Dabei gilt, dass die Gewinnwirkung umso höher ist, je stärker Unternehmen dadurch Technologien, noch stärker Prozesse, mehr noch Angebote und am meisten Geschäftsmodelle verändert werden.
Die Veränderung der unternehmerischen Leistung infolge der Digitalisierung muss eine klare Gewinnwirkung versprechen, sonst richten sich Manager auf Tätigkeitsfelder, in denen sie stärkere Gewinnwirkungen vermuten. Damit würden sie allerdings wertvolle Zeit im Wettlauf um die digitale Transformation vertun. Es ist deshalb wichtig, dass Unternehmen die Potenziale der Digitalisierung erkennen und umfassend nutzen, statt isolierte Pilotanwendungen zu versuchen, wie es heute noch oft geschieht (vgl. Kap. 1).
Der Wertzuwachs bzw. die Gewinnwirkung (EBIT Impact) steigt mit dem Grad der Digitalisierung eines Unternehmens (Abb. 3.1). Das bedeutet zunächst, dass die Gewinnwirkung von digitalen Technologien über digitale Prozesse und Angebote hin zu digitalen Geschäftsmodellen steigt und damit am größten ist, wenn diese Technologien und Prozesse (Digital Activities) zu neuen Angeboten und damit neuen digitalen Geschäftsmodellen (Digital Businesses) führen (vgl. ebenfalls Abb. 3.1). Letztere setzen damit innovative Angebote voraus und diese wiederum neuartige Prozesse und neue Technologien.
Die Digitalisierung löst allerdings bisher noch längst nicht immer radikale Veränderungen durch sehr weitreichende „digitale“ Leistungen (Technologien, Prozesse, Angebote und Geschäftsmodelle) aus. Häufig reagieren Unternehmen zunächst mit einer Verbesserung oder inkrementellen Veränderung ihrer Leistungen durch „digitalisierte“ Technologien, Prozesse, Angebote und Geschäftsmodelle. Dabei folgt aus Kap. 2 jedoch die Hypothese, dass die Gewinnwirkung der Digitalisierung eines Unternehmens umso höher ist, je stärker (d. h. radikaler) dadurch Technologien und Prozesse, noch mehr Angebote und am meisten Geschäftsmodelle verändert werden (vgl. Abb. 3.1). Dies liegt daran, dass mit der Entwicklung von digitalisierten Prozessen hin zu digitalen Geschäftsmodellen immer mehr die in Kap. 2 abgeleiteten Chancen der Digitalisierung genutzt werden können.
Am Beispiel von Kühlschränken lässt sich zeigen, wie eine (starke) Digitalisierung die Herstellung und Nutzung von Produkten und ähnlich auch Dienstleistungen beeinflusst: Durch digitale Technologien und Prozesse bei der Herstellung traditioneller Kühlschränke, die verderbliche Nahrungsmittel lagern und kühlen, können mithilfe von Big-Data-Ansätzen Produktion und Supply Chain optimiert werden. Darüber hinaus sind neue intelligente Kundenlösungen möglich, also „intelligente Kühlschränke“, die mit Sensoren und Kameras ausgestattet sind und Zusatzleistungen anbieten: Der Kühlschrank meldet sich, wenn darin aufbewahrte Produkte wie z. B. Milch fehlen oder zur Neige gehen, und kann in einem nächsten Entwicklungsschritt die Produkte selbstständig bestellen. Durch umfassende Datenanalyse werden schließlich auch neue datenbasierte Geschäftsmodelle möglich: Der Kühlschrank generiert Daten und bietet diese Logistikunternehmen und dem Einzelhandel an (vgl den folgenden Kasten):
In den folgenden Unterabschnitten (3.1 bis 3.3) sollen mögliche Verbesserungen und Veränderungen durch die Digitalisierung bei Technologien und Prozessen, Angeboten sowie Geschäftsmodellen kurz einzeln betrachtet werden.

3.1 Ausdifferenzierung von Technologien und Prozessen durch Digitalisierung

Digitalisierung kann Prozesse und Abläufe („activities“) in allen Funktionsbereichen nicht nur
(1)
verbessern und inkrementell verändern (digitalisierte Prozesse) durch
  • intelligente. einzelne digitalisierte Prozesse, die kontinuierliche, oft inkrementelle (schrittweise) Anpassungen oder eine partielle Reorganisation ermöglichen, und durch
  • intelligente digitalisierte Gesamtprozesse,
    sondern auch
 
(2)
radikal verändern durch intelligente Prozesslösungen (digitale Prozesse), die eine umfassende und tief in die bestehenden Strukturen eingreifende, diskontinuierliche Neuausgestaltung der Handlungsspielräume von Unternehmen ermöglichen.
 
Dafür werden jeweils unterschiedlich weitreichende Technologien genutzt (vgl. Abb. 3.2).
Zu (1):
Verbesserung oder Veränderung einzelner intelligenter Prozesse und intelligenter Gesamtprozesse sowie dabei hilfreiche Technologien
  • Verbesserung oder Veränderung einzelner intelligenter Prozesse und dabei hilfreiche Technologien
Die Digitalisierung ermöglicht zunächst eine Verbesserung oder inkrementelle Veränderung von einzelnen Prozessen und dadurch Kostensenkungen entlang der Wertkette, aber auch Erlössteigerung durch verbesserte Kundeninteraktionen.1 Kostensenkungen sind z. B. möglich durch eine Effizienzsteigerung entlang der Supply Chain in Beschaffung, FuE, Produktion und Logistik, indem z. B. Messdaten für eine intelligente Instandhaltung oder Teileanlieferung digital erfasst werden, aber auch durch Effizienzsteigerungen bei indirekten Prozessen der Finanzierung, des HR-Management oder in Marketing und Vertrieb. Zu Erlössteigerungen kann die Digitalisierung durch verbesserte Kundeninteraktion führen, z. B. durch den Einsatz digitaler Medien in der Kundenbindung, wenn soziale Medien sowie Web- und Mobilplattformen genutzt werden. Durch mehr Nutzerinteraktionen können Kundendaten gesammelt werden, die wiederum eine wesentlich gezieltere Ansprache der Kunden auf Basis ihrer individuellen Präferenzen ermöglichen. Hat ein Hersteller alle Daten entlang der Wertschöpfungskette, kann er die Kunden gezielt mit angepassten Angeboten für eine ganzheitliche Kundenerfahrung bereichern.2
Hierbei helfen Technologien, vor allem ein Manufacturing Execution System (MES) und Enterprise Resource Planning (ERP), die bereits heute Standard sind. Ein MES ist ein mehrschichtiges Fertigungsmanagementsystem, das die Führung, Steuerung und Kontrolle der Produktion in Echtzeit u. a. durch Erfassung und Aufbereitung von Betriebs-, Maschinen- und Personaldaten ermöglicht.3 ERP bezeichnet eine komplexe Softwarelösung, die es erlaubt, Ressourcen wie Kapital, Personal, Betriebsmittel, Material und Informationen im Sinne der Unternehmensziele rechtzeitig und bedarfsgerecht zu planen und zu steuern.4
  • Verbesserung oder Veränderung intelligenter Gesamtprozesse durch hilfreiche Technologien
Weitreichender können durch die Digitalisierung intelligente digitalisierte Gesamtprozesse entwickelt werden. Hierbei hilft neben den Technologien des Management Execution System (MES) und des Enterprise Resource Planning (ERP) auch ein Product Lifecycle Management (PLM). Ein solches Produktlebenszyklusmanagement ermöglicht die Integration aller Informationen, die während des Lebenszyklus eines Produktes anfallen.5 Dabei unterstützen IT-Systeme die Aufzeichnung und Verwaltung der Daten. Damit intelligente Gesamtprozesse entstehen, müssen diese drei (IT-)Technologien zusammen betrachtet werden.
Zu (2):
Verbesserung oder Veränderung umfassender intelligenter Prozesslösungen durch hilfreiche Technologien
Noch weitreichender können durch die Digitalisierung umfassende intelligente Prozesslösungen geschaffen werden, z. B. in einer smarten Fabrik durch industrielle Vernetzung.6 Dabei wird auch von Industrie 4.0 gesprochen (vierte industrielle Revolution mittels Informatisierung der Fertigungstechnik durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Integration von Kunden und Geschäftspartnern in den Geschäfts- und Wertschöpfungsprozess). Sie folgt auf die Industrie 1.0 (die erste industrielle Revolution im 18. Jahrhundert durch die Mechanisierung), Industrie 2.0 (die zweite industrielle Revolution durch arbeitsteilige Massenproduktion und Fließfertigung nach Einführung des Fließbandes 1913 durch Henry Ford) und Industrie 3.0 (die dritte industrielle Revolution durch Elektronik und IT zur Produktionsautomatisierung in den 1970er-Jahren).7 Durch Industrie 4.0 können digitale Technologien „die Effizienz bestehender Prozesse [erhöhen], sei es durch Bedarfsplanung, eine optimierte Kundenansprache, oder ein genaueres Verständnis der Kundenwünsche“.8
Digitale Prozesse werden unterstützt durch Technologien – neben MES, ERP und PLM vor allem durch eine umfassende Datenanalyse (Data Analytics9), um Daten aus verschiedenen Datenquellen zu extrahieren und zu untersuchen, um versteckte Muster und unbekannte Zusammenhänge zu entdecken.

3.2 Ausdifferenzierung der Angebote und Geschäftsmodelle durch Digitalisierung

Digitalisierte oder digitale Prozesse ermöglichen „Digital Businesses“, d. h. eine Ausdifferenzierung der angebotenen Produkte und Dienstleistungen wie z. B. Kühlschränke oder Fahrzeuge10 (Abb. 3.3) und damit neue digitalisierte und digitale Geschäftsmodelle.11
Die Digitalisierung ermöglicht zunächst
(1)
eine Verbesserung oder inkrementelle Veränderung der Angebote, wenn Daten innerhalb eines Systems oder zu einem anderen System transferiert werden und intelligente digitalisierte Angebote schaffen, oder
 
(2)
eine radikale Veränderung, wenn eine Interaktion zwischen mindestens drei Systemen möglich wird und digitale Angebote mit umfassenden intelligenten Kundenlösungen hervorbringt (vgl. Abb. 3.3 mit dem Beispiel der Digitalisierung von Fahrzeugen).
 
Geschäftsmodelle werden in der Literatur nicht einheitlich,12 jedoch in der Regel über fünf Entscheidungen bzw. Komponenten definiert,13 wie Unternehmen Gewinne erwirtschaften (vgl. Abb. 3.4)14:
durch finanzielle Entscheidungen (entlang der Finanzachse des Geschäftsmodells):
1.
über die Ressourcenallokation, wann und wo Geld investiert wird,
 
2.
über das Gewinnmodell, wie Kosten und Erlöse entstehen,
 
und zudem durch leistungsbezogene Entscheidungen (entlang der leistungsbezogenen Achse):
3.
über die Wertarchitektur, was selbst erstellt und was fremd bezogen wird,
 
4.
über das Nutzenversprechen, welcher Nutzen für den Kunden geschaffen wird, und
 
5.
über den Wettbewerbsvorteil, wie die Differenzierung von den Wettbewerbern erfolgt.
 
Mit der Veränderung der Angebote durch die Digitalisierung werden verbesserte und veränderte Geschäftsmodelle möglich und nötig (Abb. 3.4):
(1)
bei Verbesserung oder inkrementeller Veränderung der Angebote durch Verbesserung oder Veränderung einzelner leistungsbezogener Komponenten von Geschäftsmodellen (digitalisierte Geschäftsmodelle),
 
(2)
bei radikaler Veränderung der Angebote hin zu umfassenden intelligenten (digitalen) Kundenlösungen durch eine radikale Veränderung aller drei leistungsbezogenen Komponenten von Geschäftsmodellen (digitale Geschäftsmodelle).
 
Die finanziellen Entscheidungen im Geschäftsmodell über Ressourcenallokation und Gewinnmodell sind dadurch immer mitbetroffen (vgl. Abb. 3.4).
(1)
Verbesserung oder inkrementelle Veränderung von Angeboten und Geschäftsmodellen
 
  • Verbesserung oder inkrementelle Veränderung von Angeboten
Analoge Produkte und Dienstleistungen wie z. B. Fahrzeuge werden durch die Nutzung einer leistungsfähigen technischen Infrastruktur, die Daten z. B. über Sensoren in Echtzeit gewinnt und direkt oder über Clouds transferiert, zu intelligenten (digitalisierten) Angeboten (Smart Offerings, vgl. Abb. 3.3). Diese sind immer noch auf traditionelle Produkte und Dienstleistungen bezogen und folgen damit einer produktdominierten Logik,15 die das Produkt, eine Dienstleistung oder die Marke ins Zentrum stellt. Die gewonnenen Daten, beispielsweise über die Tankfüllung, werden entweder in einem System wie dem Fahrzeug auf Armaturen angezeigt („systemimmanente intelligente Angebote“) oder zu einem anderen System transferiert, z. B. auf ein Handy übermittelt („intelligente, vernetzte Angebote“).16 So kann z. B. der „Mercedes me Adapter“ mithilfe einer Schnittstelle „Fahrzeugdaten auslesen und per Bluetooth® an [ein] Smartphone übermitteln“ und der Kunde hat „die Möglichkeit, mit der Mercedes me Adapter App auf diese Daten zuzugreifen und alle [Funktionen] zu nutzen“.17
Damit ermöglicht der Datentransfer eine Ein-Weg-Kommunikation und schafft Vernetzung, was z. B. bedeuten kann, dass „rund um das Infotainment und die Smartphone-Erfahrungswelt des Kunden bestehende Anwendungen in das Auto transportiert [oder] neue ermöglicht werden“.18 Denkbar sind z. B.
  • Informationen über Ladestationen, Parkhäuser, Straßenzustand, Gefahrenquellen, Sehenswürdigkeiten und Veranstaltungen, auch ein Notruf bei Unfällen
  • Fahrerassistenzsysteme wie beispielsweise Einparkhilfen, Totwinkelassistenten oder Kreuzungsassistenten, die über Sensorik das Fahrzeugumfeld erfassen sowie
  • nicht direkt mit dem Fahren zusammenhängende Funktionen wie Versenden und Empfangen von E-Mails
Die Vernetzung ermöglicht eine Personalisierung von Produkten (z. B. des Fahrzeugs), etwa indem man Funktionen auch nach dem Kauf herunterlädt oder einfach freischalten kann – dauerhaft oder temporär für einen bestimmten Zeitraum oder auch nur für eine einzelne Fahrt“.19
  • Verbesserung oder inkrementelle Veränderung von Geschäftsmodellen bei verbesserten oder inkrementell veränderten Angeboten
Unternehmen werden bei verbesserten oder inkrementell veränderten Angeboten auch ihre bestehenden Geschäftsmodelle verbessern bzw. inkrementell verändern Abb. 3.4). Eine Verbesserung von Geschäftsmodellen (Business Model Improvement20) erreichen Unternehmen bereits, wenn sie nur die Wertarchitektur als eine leistungsmäßige Komponente verändern, weil sich dadurch die Kosten senken lassen. So ist z. B. eine Auslagerung der Produktion von (unspezifischen) Standardprodukten auf spezialisierte Lieferanten (vgl. Kap. 2) immer kostengünstiger als eine Eigenfertigung im Unternehmen. Eine schrittweise, inkrementelle Veränderung von Geschäftsmodellen (Business Model Transformation21) bedeutet eine Veränderung von zwei der leistungsbezogenen Komponenten von Geschäftsmodellen: Es gilt, nicht nur die Wertarchitektur zu zerlegen, um Kosten zu senken, sondern gleichzeitig auch ein in Interaktion mit dem Kunden individualisiertes und integriertes Nutzenversprechen anzustreben,22 um Erlöse zu steigern. BMW bietet z. B. über das Kundenportal ConnectedDrive vernetzte Dienstleistungen an, z. B. im Paket „Connected Package Excellence“ u. a. Remote Services, Map Updates, On-Street Parking Information, Unlimited Streaming und Concierge Services für 195 Euro23 (vgl. Abb. 3.5).
(2) Radikale Veränderung von Angeboten und Geschäftsmodellen
  • Radikale Veränderung von Angeboten
Noch weitreichender kann die Digitalisierung langfristig digitale Angebote zu neuen individualisierten und integrierten Kundenlösungen (Smart Services24) veredeln, was einer sog. servicedominierten Logik („service-dominant logic“25) folgt (vgl. ebenfalls Abb. 3.3). Dafür ist die Interaktion zwischen mindestens drei Systemen erforderlich, da immer ein System zwischengeschaltet wird, das große Datenmengen (Big Data) nicht nur speichert, sondern auch analysiert und über geschlossene Plattformen (die nur im eigenen Unternehmen bzw. Netzwerk genutzt werden) und offene Plattformen (die allen Nutzern offenstehen) transferiert (Smart Data). Über solche Plattformen können Informationen ausgetauscht oder Interaktionen ermöglicht werden, aber auch ganz neue Systeme entstehen.26
Interaktionen auf Plattformen ermöglichen darüber hinaus intelligente interaktionsbasierte Kundenlösungen, bei denen mindestens zwei Systeme über eine Plattform als einem dritten System kommunizieren. Ein Beispiel ist die intelligente Aufbereitung der Smart Data für Dritte, ein anderes das autonome Fahren. Durch intelligente Analyse und Aufbereitung von Daten, die in Fahrzeugen, aber auch bei der Nutzung von Plattformen gewonnen werden, lassen sich z. B. Verkehrsprofile generieren, die Dritte wie z. B. Versicherungen nutzen. In diesen Fällen werden von einem System über ein zweites System (eine Plattform) Daten für Kundenlösungen intelligent aufbereitet und an ein drittes System vermittelt. Die Entwicklung des autonomen Fahrens beruht ebenfalls auf Plattformen, die nicht nur Daten zwischen Fahrzeugen und ihrer Umgebung (z. B. der Infrastruktur) tauschen, sondern auch über intelligente Analytiken verarbeiten. Als wesentlicher Treiber dafür gilt die „Konvergenz von sensorbasierten Lösungen mit Lösungen, die auf Vehicle-to-Vehicle-Kommunikation setzen“.27 Autonomes Fahren wird deshalb nicht nur als Perfektionierung von Fahrerassistenzsystemen gesehen, sondern als radikal veränderte Leistung mit neuer Basistechnologie. Denn „in letzter Konsequenz erfordert der vollständige Verzicht auf einen Fahrer eine andere Herangehensweise als nur weitestgehende Automatisierung des Fahrens“,28 bei dem die Kontrolle bei Störungen an den Fahrer übergeht. Als Endziel soll ein mit „umfangreicher Onboard-Sensorik“ ausgestattetes selbstfahrendes Fahrzeug „selbstständig am Straßenverkehr teilnehmen und Passagiere an einen bestimmten Ort bringen – gegebenenfalls auch gänzlich ohne Passagiere [oder Fracht] ein Ziel ansteuern [… und] quasi sich selbst auch dort abstellen“ können.29 Diese Sensorik lässt sich auch auf Transportdrohnen und Flugtaxen anpassen.
Die Entwicklung ganz neuer Systeme über Plattformen ermöglicht schließlich auch intelligente, systembasierte Kundenlösungen, die Unternehmen nur gemeinsam mit Partnern anbieten können. Gegenwärtig wird z. B. die Vermittlung von Mobilitätslösungen mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln wie Fahrzeugen, Car- und Bikesharing, öffentlichem Nahverkehr, Bahn und Autovermietung über eine innovative Plattform für individuelle Mobilitätsbedarfe getestet.30 Eine solche Plattform für multimodale Mobilitätslösungen (Mobility-as-a-Service, MaaS31) gilt als Schritt in Richtung eines Paradigmenwechsels in der Mobilität von einem eigentumsbasierten zu einem zugangsbasierten Transportsystem und damit zu nachhaltigem Verkehr.32 Über die Plattform werden auch Reiseplanungen, Reservierungen und Zahlungen möglich, wobei der MaaS-Anbieter in einem neuen Ecosystem (vgl. Kap. 2) Informationen über verschiedene Transportangebote sammelt sowie Kapazitäten kauft und weiterverkauft.33
  • Radikale Veränderung von Geschäftsmodellen (Geschäftsmodellinnovation)
Unternehmen müssen bei radikal veränderten Prozessen (bei intelligenten Gesamtprozessen und noch stärker bei intelligenten Prozesslösungen) und Angeboten (intelligenten Kundenlösungen wie neuen Verkehrskonzepten oder autonomen Fahrzeugen) auch ihre Geschäftsmodelle mit allen drei leistungsbezogenen Komponenten (Wertarchitektur, Nutzenversprechen und Wettbewerbsvorteil) radikal verändern. Durch eine solche Geschäftsmodellinnnovation (Business Model Innovation34) entstehen neue, innovative Geschäftsmodelle,35 z. B. in der Automobilindustrie, wenn Fahrzeugdaten als Smart Services kommerziell durch den Autohersteller oder Anbieter aus anderen Branchen wie z. B. mobilitätsbezogene Bezahldienste oder nutzungsabhängige Versicherungen genutzt werden.36 Dabei gelten neue Spielregeln: „Der Anbieter, der den Zugriff auf die Nutzerdaten hat und diese mit einer Vielzahl anderer Daten verknüpfen kann, macht das große Geschäft. Das physische Produkt ist oft nur noch Mittel zum Zweck, da nicht Gegenstände, sondern Nutzer miteinander vernetzt werden.“37
Datengetriebene Geschäftsmodelle ergeben sich auch durch die Digitalisierung von Kühlschränken (vgl. den Kasten zu Beginn des Kapitels), wenn ein Kühlschrank Kundendaten z. B. über den Kühlschrankinhalt generieren kann. Denn diese Daten helfen angesichts des Zielkonflikts zwischen
  • dem Servicegrad als der Wahrscheinlichkeit, dass der Kundenbedarf in einem bestimmten Zeitraum vollständig aus dem Warenbestand gedeckt werden kann, und
  • dem Waren- bzw. Sicherheitsbestand als der Warenmenge, die aus Sicherheitsgründen immer im Lager vorhanden sein sollte (vgl. auch Abb. 3.6a).
Der Konflikt besteht, wenn z. B. in einem Unternehmen ein Anstieg des Servicegrads von 95 auf 97,5 Prozent eine Verdoppelung des Warenbestandes erfordert. Damit können zwar die Kunden eher zufriedengestellt werden, größere Warenbestände erhöhen aber die Gefahr, dass Produkte über die Mindesthaltbarkeit hinaus in den Regalen stehen, ihren Wert verlieren und vernichtet werden müssen (steigende Risiken und Kosten). Daten über den Kühlschrankinhalt der Kunden in einer Region können diesen Zielkonflikt deutlich verringern: Die traditionelle Optimierung entlang der Kurve des Zielkonflikts kann überwunden werden, da sich die Bedarfe der Endkunden besser abschätzen lassen. Das erlaubt einen höheren Servicegrad bei reduzierter Kapitalbindung (Abb. 3.6b).
Ob diese Informationen von Kühlschrankanbietern den Unternehmen bzw. Unternehmensverbünden im Lebensmitteleinzelhandel (z. B. Rewe oder Edeka), den Managern einzelner Filialen (z. B. Edeka in Duisburg-Neudorf) oder von unabhängigen „Datenmanagern“ angeboten werden, ist noch zu definieren. In jedem Fall entsteht ein neues digitales Geschäftsmodell.
Mit zunehmendem digitalem Wert neuer Geschäftsmodelle und damit steigender Gewinnwirkung interagieren Unternehmen immer mehr mit anderen Unternehmen, insbesondere in neuartigen Netzwerken (Ecosystems, vgl. Kap. 2) über technische Plattformen, weil sie die digitalen Angebote nicht mehr alleine anbieten können. Sie interagieren entweder zur gemeinsamen Marktbearbeitung (z. B. für integrierte, intermodale Mobilitätsangebote) oder zur gemeinsamen Forschung und Entwicklung (z. B. im Übergang zum autonomen Fahren). Ziel ist es dabei, gemeinsam Wert zu schaffen, z. B. durch Erhöhung der Ressourcenkomplementarität, durch gemeinsame Investition in Engpässe und das Anwerben von neuen Partnern mit kritischen komplementären Leistungen.38 Dabei kommen Unternehmen mit kritischen komplementären Leistungen (in der Automobilindustrie z. B. Automobilhersteller, Kartendienste, Infrastrukturbetreiber, Verkehrsbehörden, Versicherungen und Kommunikationsdienstleister) und komplementären Zusatzleistungen (Mobilitätsanbieter) zusammen. Sie alle müssen ihr Geschäftsmodell durch die Teilnahme am Ecosystem verändern, entscheiden, wie sie sich einbringen, und zusehen, dass sie sich einen Teil des gemeinsam geschaffenen Mehrwertes aneignen. Sie können z. B. einen zentralen Wertbeitrag (Engpass) leisten oder das gesamte System verändern39 und dabei das Ecosystem führen oder ergänzen.40
In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass Unternehmen die Chancen die Digitalisierung durch digitalisierte und vor allem digitale Leistungen (Prozesse und Technologien, insbesondere aber Angebote und Geschäftsmodelle) nutzen und damit eine positive Gewinnwirkung erzielen können.
Anmerkungen zu Kapitel 3
1.
Vgl. z. B. Roland Berger (2015).
 
2.
Vgl. Stief u. a. (2016, S. 1836) und darauf bezogen Proff (2019).
 
3.
Vgl. z. B. Kletti (2006).
 
4.
Vgl. z. B. Shtub, Karni (2010).
 
5.
Vgl. z. B. Peschke (2017).
 
6.
Vgl. Köhler, Wollschläger (2014, S. 76).
 
7.
Vgl. ebd.
 
8.
Sedran, Gissler (2015, S. 1 und S. 3).
 
9.
Vgl. Kröckel (2019).
 
10.
Vgl. ähnlich Proff (2019, Kap. 3.3.1).
 
11.
Vgl. z. B. Kane u. a. (2016).
 
12.
Vgl. z. B. Baden-Fuller, Mangematin (2013); Schneckenberg, Spieth (2016).
 
13.
Vgl. z. B. Johnson u. a. (2008), Proff u. a. (2014b) und Proff (2019).
 
14.
Vgl. ähnlich den St. Gallener Business Model Canvas (z. B. Osterwalder, Pigneur 2002), der allerdings Geschäftsmodelle als operative Ergänzung zu Wettbewerbsstrategien sieht und deshalb Wettbewerbsvorteile nicht betrachtet.
 
15.
Vgl. Vargo, Lusch (2004).
 
16.
Vgl. z. B. die Unterscheidung zwischen intelligenten Produkten und intelligenten, vernetzen Produkten bei Porter, Heppelmann (2014).
 
18.
Köhler, Wollschläger (2014, S. 71).
 
19.
Ebd.
 
20.
Mitchell, Coles (2003).
 
21.
Stähler (2002).
 
22.
Vgl. Vargo, Lusch (2004); Lusch, Nambisan (2015).
 
24
Acatech (2014).
 
25.
Vgl. Vargo, Lusch (2008); Lusch, Nambisan (2015).
 
26.
Vgl. z. B. die Unterscheidung zwischen Produktsystemen und „Systeme von Systemen“ bei Porter, Heppelmann (2014). Der Austausch von Informationen über Plattformen ermöglicht zunächst „intelligente informationsbasierte“ Kundenlösungen wie z. B. „Peer-to-Peer-Carsharing“ oder „Free-floating Carsharing“. Beim „Peer-to-Peer-Carsharing“ werden z. B. digitale Plattformen bereitgestellt, über die Privatpersonen fremde Fahrzeuge oder das eigene Auto mit anderen Nutzern teilen (vgl. Sedran, Gissler 2015, S. 3). Beim Free-floating Carsharing kann ein Auto meist überall in einem städtischen Gebiet angemietet und abgestellt werden. Es muss nicht an bestimmten Stationen abgeholt und dorthin zurückgebracht wer en. In beiden Fällen werden Verfügbarkeitsdaten in Echtzeit zwischen zwei Systemen über eine Plattform als drittes System vermittelt.
 
27.
Köhler, Wollschläger (2014, S. 93).
 
28.
Ebd. (S. 88).
 
29.
Ebd.
 
30.
Vgl. z. B. Kamargianni, Matyas (2017).
 
31.
Vgl. Hietanen (2014).
 
32.
Vgl. z. B. Gould u. a. (2015); Jittapirom u. a. (2017).
 
33.
Vgl. auch Kamargianni, Matyas (2017).
 
34.
Vgl. z. B. Anderson, Tushman (1990); Bucherer u. a. (2012); Abdelkafi u. a. (2013); Frankenberger u. a. (2013).
 
35.
Vgl. Bucherer (2012); Abdelkafi u. a. (2013); Frankenberger u. a. (2013).
 
36.
Vgl. Sedran, Gissler (2015, S. 3).
 
37.
Schmidt (2015a, S. 4).
 
38.
Vgl. Szybisty (2020).
 
39.
Vgl.z. B. Szybisty (2020) bezogen auf Hannah, Eisenhardt (2018).
 
40.
Vgl. z. B. Dedehyir u. a. (2016).
 
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Metadata
Title
Nutzung der Chancen der Digitalisierung durch digitale Leistungen – Technologien und Prozesse, Angebote und Geschäftsmodelle verbessern oder verändern
Authors
Dr. Harald Proff
Claudia Ahrens
Wencke Neuroth
Prof. Dr. Heike Proff
Dr. Florian Knobbe
Gregor Szybisty
Stefan Sommer
Copyright Year
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31456-9_3