Skip to main content
Top

2015 | Book

Persuasion durch Protest

Protest als Form erfolgsorientierter, strategischer Kommunikation

insite
SEARCH

About this book

Jasmina Gherairi analysiert alle an einem Protest beteiligten Akteure aus einer rhetoriktheoretischen Perspektive, liefert ein umfangreiches Klassifikationsmodell von Protesttechniken und illustriert an zahlreichen zeitgenössischen Beispielen, wann, wie und warum Protest (nicht) erfolgreich war. Wer protestiert, will überzeugen. Entgegen der landläufigen Meinung ist Protest keine planlose, spontane Unmutsbekundung, sondern eine Form erfolgsorientierter, strategischer Kommunikation. Es handelt sich dabei um die prinzipiell wiederholbare Anwendung von Protesttechniken, mit denen Protestierende ihr Anliegen ausdrücken und zu überzeugen versuchen.

Table of Contents

Frontmatter

Einführung

Frontmatter
1. Protest sub specie artis rhetoricae
Zusammenfassung
Mit der Aufforderung „Wer unter euch verlangt zu reden?“ begann in den antiken Poleis die Volksversammlung (ekklesia). Der Herold forderte die männlichen Bürger damit auf, an wichtigen politischen Entscheidungen teilzuhaben.
Jasmina Gherairi
2. Bestehende Forschungsansätze
Zusammenfassung
NEIDHARDT & RUCHT führten den Begriff ‚Bewegungsgesellschaft‘ in den wissenschaftlichen Diskurs ein und MEYER & TARROW prägten diesen. Ausgangspunkt war ein wahrgenommener Anstieg Sozialer Bewegungen und die Partizipation an politischen Entscheidungen jenseits der Parteienlandschaft. Mit dem Phänomen entstanden so zeitlich versetzt auch interdisziplinäre Forschungsinteressen und -ansätze, die unter dem Begriff Bewegungsforschung oder social movement research zusammengefasst werden und aus denen sich in den letzten 30 Jahren ein eigenständiger Forschungszweig der Soziologie und Politikwissenschaften entwickelte.
Jasmina Gherairi

Theoretische Grundlagen

Frontmatter
3. »Ist das nicht auch Protest?«
Zusammenfassung
Protest ist einer dieser aufregenden Begriffe, die umgehend Assoziationen und Emotionen hervorrufen, die im intersubjektiven Vergleich allerdings nur selten deckungsgleich sind. Zurückzuführen ist das auf eine fehlende (wissenschaftliche) Definition, sodass der Begriff den unterschiedlichsten politischen Auseinandersetzungen und propagandistischen Anwandlungen für jegliche interessengeleitete Deutung zum Opfer fällt. So ist Protest für die einen der Inbegriff demokratiest ärkenden Verhaltens, für Redakteure oftmals nur Ausdruck innerparteilicher Kritik und für die anderen Mittel zur Diffamierung politischen Handelns—wenn Guido WESTERWELLE beispielsweise die Demonstrationen und Streiks des DGB als „aberwitzige Aktion“ bezeichnet.
Jasmina Gherairi
4. Der Orator — Mittelpunkt der Rhetoriktheorie
Zusammenfassung
Der Begriff Orator ist ein Terminus technicus der Rhetoriktheorie und bezeichnet den strategischen Kommunikator, der in persuasiver Absicht handelt. Die rhetorische Zentralperspektive ist maßgeblich von ihm bestimmt. Das bedeutet (für manche auf den ersten Blick vielleicht überraschend), dass nicht der Adressat oder die Wirkung im Mittelpunkt der rhetorischen Reflexion stehen, auch wenn der Zuhörer nach ARISTOTELES richtungsgebend ist, sondern der Orator und seine Aufgaben, Herausforderungen und Schwierigkeiten beim Überzeugungsversuch.
Jasmina Gherairi
5. Der Adressat des Protests — Ziel jedes rhetorischen Handelns
Zusammenfassung
Der Orator kommuniziert nicht mit sich selbst und entscheidet nicht allein — ganz im Gegenteil: Sein Anliegen so überzeugend wie möglich zu artikulieren, ist sein Ziel, damit der Adressat ihm zustimmt. Aus diesem Grund sind die Zugangsregelungen und -beschränkungen zur Sprecherrolle in einer Gesellschaft stark umkämpft, denn davon hängt ab, wer über politische Entscheidungen und das gemeinschaftliche Zusammenleben (mit)bestimmt. Wer protestiert, sieht keine andere Möglichkeit, sein Anliegen in sozial relevanter Weise einem Adressaten gegenüber zu vertreten, da ihm der Zugang zur besagten Oratorrolle fehlt und er sich in einem ungünstigen asymmetrischen Machtverhältnis befindet.
Jasmina Gherairi

Facultates agendi, Modi operandi: Protesttechniken und ihre Funktion

6. Protest wird manifest: die Protesttechniken
Zusammenfassung
Zweck eines jeden Protests ist es, Stellung zu einem politisch-gesellschaftlichen Problem zu beziehen. Nur den Missstand zu benennen, ist jedoch nicht ausreichend, um eine (Nicht-)Änderung im Status quo herbeizuführen. Es muss ein kommunikativer Umweg über den öffentlichen Raum genommen werden, in dem Parrhesia gesprochen wird, um so Sichtbarkeit gegenüber der öffentlichen Meinung sowie der entscheidungs- und/oder handlungsmächtigen Instanz zu erhalten und diese so persuasiv im eigenen Sinne beeinflussen zu können. Das Kommunikationsverfahren Protest wird also erst dann manifest, wenn es im öffentlichen Raum als eine Art soziales Ereignis performiert wird. Durch dieses kommunikative Faktum entsteht die Interaktion der Protest-Oratoren mit ihren Adressaten, jedoch steht ihnen dazu nur ein begrenztes Repertoire an kommunikativ-persuasiven Zeigehandlungen zur Verfügung, welche »Protesttechniken« genannt werden.
Jasmina Gherairi
7. Appellativ-direktive Protesttechniken
Zusammenfassung
Bei der ersten Klasse von Protesttechniken handelt es sich um jene der appellativdirektiven. Ihr kommunikativer Zweck besteht vornehmlich darin, an die entscheidungs- und/oder handlungsmächtige Instanz zu appellieren und sie damit aufzufordern, eine andere Entscheidung oder Handlung zu treffen und so darauf zu verpflichten—diese über den Appell hinausgehende Komponente wird durch den aus der Sprechakttheorie entlehnten Begriff direktiv markiert. Bei jenen Protesttechniken geht es hauptsächlich darum, öffentlich die subjektive Meinung auszusprechen, den Widerspruch sowie die konkrete Kritik darzustellen. Ziel ist, über die öffentliche Meinung die entscheidungs- und/oder handlungsmächtige Instanz von der Notwendigkeit einer Entscheidungs- bzw.
Jasmina Gherairi
8. Interzedierende Protesttechniken
Zusammenfassung
Die zweite Klasse der hier unterbreiteten Taxonomie der Protesttechniken umfasst all jene, deren kommunikativer Zweck interzedierend ist. Wörtlich übersetzt bedeutet interzedieren »dazwischentreten« oder »für jemanden bzw. etwas eintreten«. Der Hauptfokus — im Unterschied zu den Techniken der ersten Klasse — liegt nicht mehr auf der Darstellung des Missstands und dem öffentlichen Appell an die entscheidungs- und/oder handlungsmächtige Instanz, diesen zu beheben, sondern auf dem öffentlichen Eintreten für eine Sache durch ein faktitives Eingreifen oder Behindern des Misstandes. Der Protest-Orator präsentiert sich durch die Performanz dieser Protesttechniken als aktiv Handelnder, indem er seine Handlungsmacht — so klein sie im Einzelfall auch sein mag — einsetzt.
Jasmina Gherairi
9. Irritierende Protesttechniken
Zusammenfassung
Die dritte Klasse der Protesttechniken verfolgt den kommunikativen Zweck der Irritation. Versuchen die ersten beiden, direkt und transparent die entscheidungsund/oder handlungsmächtige Instanz zu adressieren, indem sie entweder offen und explizit zu einem »Anders-Entscheiden/-Handeln« auffordern und verpflichten (appellativ-direktiv) möchten oder indem die Ausführung des Missstands so faktitiv wie möglich gestört bzw. verhindert wird (interzedierend), richtet sich der Persuasionsversuch durch irritierende Protesttechniken weniger an die entscheidungs- und/oder handlungsmächtige Instanz, als primär an die Adressatengruppen ‚situatives Publikum‘ und ‚Öffentlichkeit‘.
Jasmina Gherairi
10. Multifunktionale technische Instrumente
Zusammenfassung
Nachdem in Abschn. 6.1 Bisherige Klassifikationsmodelle von Protesttechniken anhand bisheriger Klassifikationsmodelle in Abschn. 6.2 Eine rhetoriktheoretische Taxonomie der Protesttechniken eine rhetoriktheoretische Taxonomie entwickelt wurde, handelten die Kapitel 7, 8 und 9 vom persuasiven Potential der einzelnen Protesttechniken und ihren Einsatzmöglichkeiten. Dabei wurden immer wieder technische Instrumente angesprochen, mittels derer die einzelnen Protesttechniken in ihrer expressiven Wirkung modifiziert werden. Einige Inszenierungsalternativen wurden bereits bei der Demonstration, insbesondere aber bei der Kundgebung vorgestellt und analysiert, da sie substantieller Bestanteil dieser Protesttechniken sind.
Jasmina Gherairi

Schluss

Frontmatter
11. Protest — ein rhetorischer Fall
Zusammenfassung
Parrhesia ist im 21. Jahrhundert kein verbrieftes bürgerliches Recht mehr. Der Wille, die Geschicke der Polis mitzubestimmen, besteht jedoch noch immer. Wer heute protestiert, deutet einen die Sozialität betreffenden Sachverhalt als Missstand und versucht, beratend durch das öffentliche Parrhesia-Sprechen auf die politischgesellschaftlichen Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Trotz eines asymmetrischen Machtverhältnisses, bedeutenden Zugangsschwierigkeiten zur sozial relevanten Sprecherrolle und der den Missstand betreffenden Absenz von Entscheidungs- und/oder Handlungsmacht bringen die Protest-Oratoren den notwendigen Mut auf und gehen Risiken ein, um ihr Anliegen agonistisch zu kommunizieren.
Jasmina Gherairi
Backmatter
Metadata
Title
Persuasion durch Protest
Author
Jasmina Gherairi
Copyright Year
2015
Electronic ISBN
978-3-658-08618-3
Print ISBN
978-3-658-08617-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-08618-3