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2006 | Book

Politik in China

Eine Einführung

Author: Jürgen Hartmann

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Table of Contents

Frontmatter
Einleitung
Auszug
China hat in 25 Jahren den weiten Weg von einer durch Ideologie, Elend und Misswirtschaft ermatteten Gesellschaft zum kapitalistischen Wachstumsmagneten zurückgelegt. Schon im äußeren Erscheinungsbild unterscheiden sich Städte wie Kanton (Guangzhou), Shanghai und Beijing kaum von den mit Hochstraßen und Bürotürmen übersäten Megastädten Japans. War China bis Mitte der 1970er Jahre den wechselnden Launen eines charismatischen Führers ausgeliefert, so wird es heute durch unscheinbare, solide Macht- und Verwaltungstechniker und immer mehr durch gut ausgebildete, wirtschaftskundige Kader regiert. Auf der politischen Bühne spielen etablierte Akteure wie der Sicherheitsapparat, die Wirtschaftsverwaltung, das Militär und die wichtigsten Provinzführer des Landes. Sie bevorzugen eine experimentelle Politik der kleinen Schritte auf Kosten großer Entwürfe. Kurz: Die politikwissenschaftliche Analyse findet reichlich Material vor, um die Verhältnisse in China so zu beschreiben, wie es sich beim Studium politischer Systeme seit langem bewährt hat.
1. Botschaften des imperialen China in die Gegenwart
Auszug
China ist eines der ältesten imperialen Gebilde der Welt. Seine Geschichte ist die des Volkes der Han. Der Name geht auf eine vom dritten vorchristlichen bis zum dritten nachchristlichen Jahrhundert im nördlichen China herrschende Dynastie zurück. Die Han einten — durch militärischen Eroberung — erstmals die vielen unabhängigen Herrschaften im Gebiet des heutigen China. Das vom Gelben Flusses durchquerte Gebiet beherbergt die Wiege der chinesischen Kultur. Von dort aus hatten die Han ihre Siedlungen immer weiter nach Süden ausgedehnt. Der erste über ganz China gebietende Han-Herrscher teilte sein Reich in Verwaltungsgebiete ein; er begann ferner mit dem Bau der Großen Mauer, um die Einfälle der benachbarten Nomadenvölker zu erschweren. Die Verwaltung des Reiches überließ er regionalen, adelsähnlichen Klans. Diese Klans hatten aber vor allem die Macht des eigenen Geschlechts vor Augen.
2. China im 19. und 20. Jahrhundert
Auszug
Den Höhepunkt seiner Macht erreichte das alte China im 15. Jahrhundert. Die damals noch herrschende Ming-Dynastie hatte die imperialen Strukturen Chinas perfektioniert. Sie hatte die umliegenden Reiche ihrer Suzeranität (Tributpflicht) unterworfen, die konfuzianische Ethik zur Staatsideologie gezüchtet und die Beamtenherrschaft als Instrument der Kaiserherrschaft verstetigt. Sogar in der Seefahrt brachte es China weit, es gab sogar Ansätze eines Handels mit Afrika und Arabien. Der Schiffbau wurde im 14. Jahrhundert allerdings eingestellt und die Erkundung der Meere abgebrochen. Diesem Beschluss waren Naturkatastrophen vorausgegangen. Die Berater des Kaisers schrieben sie dem Zorn des Himmels über die Vorstöße in fremde Welten zu. Tatsächlich waren sie für das Mandarinat, d.h. die Beijinger Beamten, ein Anlass, um fremde Ideen von China fernzuhalten. Das Interesse an der außerchinesischen Welt erlosch. Die Pflege des Status quo wurde Staatsdoktrin (eine plastische Momentaufnahme der politischen Verhältnisse in der Ming-Periode vermittelt Huang 1986). Die Folgen der nun einsetzenden Versteinerung der überkommenen Ordnung zeigten sich in Hungersnöten und Bauernaufständen. Vom Nordosten her eroberten 1644 die Mandschus große Teile des Landes. Der Mandschu-Herrscher erhob Anspruch auf den chinesischen Thron. Bis zum Ende der Kaiserherrschaft sollten Mandschus als Qing-Dynastie China beherrschen.
3. Die Guanxi-Gesellschaft
Auszug
Die politische Vorstellungswelt Chinas kennt keine so scharfkantige Unterscheidung der Begriffe von Gesellschaft und Staat, wie sie im Westen gebräuchlich ist. Si bezeichnet die Handlungssphäre, in der ein persönlicher Vorteil angestrebt wird. Gong meint demgegenüber die Sphäre des Ganzen, der Gruppe oder des Staates. Riskiert man einen schiefen Vergleich, so kommen Si und Gong ungefähr der Abgrenzung zwischen dem politisch-staatlichen und dem gesellschaftlich-privaten Bereich in der westlichen Welt gleich.
4. Das politische System
Auszug
Das politische System hat seine Ursprünge im Modell des Sowjetsystems. Dieses weist die folgenden Merkmale auf (dazu Einzelheiten und weiterführende Literatur im lexikalischen Werk von Ziemer 1986):
1.
Alle wichtigen Positionen in Regierung, Verwaltung und gesellschaftlichen Organisationen (Vereine, Verbände) werden von der Partei direkt oder aber mit Zustimmung der Partei besetzt (Kaderpolitik).
 
2.
Für die Wahlen kandidieren allein Kandidaten der KPCh oder nicht-kommunistische Kandidaten, die mit Zustimmung der KPCh antreten.
 
3.
Grundlegende politische Entscheidungen werden von der Parteiführung getroffen und mit den Regierungsspitzen abgestimmt. Von den Volksvertretungen werden sie im Allgemeinen pauschal und ohne Debatte abgesegnet.
 
5. Die Provinzen
Auszug
Die chinesischen Provinzen zeichnen sich durch eine seit Jahrhunderten währende Identität aus. Die Metropolen Tianjin, Chongqing und Shanghai wurden aus historischen Provinzen herausgelöst; sie erhielten als regierungsunmittelbare Städte provinzgleichen Status; die Hauptstadt hatte von jeher einen Sonderstatus gehabt. Die Identität der Provinzen wird beträchtlich von der Geografie bestimmt. Die südlichen Provinzen sind von Gebirgen und Flüssen durchzogen. Unwegsame Verhältnisse haben in den Provinzen südlich des Jangtse markante Unterschiede im Dialekt und in der Lebensweise konserviert. Dank der natürlichen Verhältnisse gelang es den Bewohnern dieser Provinzen besser als denen des Nordens, sich historischen Eroberern zu widersetzen. Der Süden erwarb sich den Ruf, von Beijing schwerer beherrschbar zu sein als die nördlichen Provinzen.
6. Stadt und Land
Auszug
Im Juni 2004 entschied die politische Führung Chinas nach langer Vorbereitung, dass die chinesischen Bauern von Steuern und Gebühren entlastet werden sollen. Im November 2005 wurde ferner angekündigt, in den meisten Provinzen das für Landbewohner geltende Niederlassungsverbot in den Städten aufzuheben. Beide Maßnahmen sind darauf angelegt, die Spaltung der chinesischen Gesellschaft in eine bäuerlich-ländliche und eine urbane Teilgesellschaft zu beenden.
7. Die Organisationsfähigkeit gesellschaftlicher Interessen und der politische Dissens
Auszug
Vier Kategorien von Unternehmen lassen sich auf dem chinesischen Markt unterscheiden. Die wichtigste umfasst ausländische und private Unternehmen. Darunter fallen zum einen a) europäische, japanische und US-amerikanische Produzenten. Sie lassen High-tech-Produkte fertigen und gehören zur Liga der Weltkonzerne. Zum anderen handelt es sich b) um kleine, mittelständische Unternehmen, unter anderem aus Taiwan, Korea und Singapur, die mit wenig qualifiziertem Personal arbeiten (Wang 2001: 40f.). Die mächtigsten Investitionsanreize sind billige Arbeit und — gemessen an Europa und Asien — ein niedriges Steuerniveau. Daneben gibt es noch c) eine Reihe chinesischer Staatsunternehmen sowie d) eine breite Palette von chinesischen Privatunternehmen, die von randständigen Selbständigen bis zu größeren Produktions- und Dienstleistungsfirmen reicht (Li, C. 2001b).
8. Resümee
Auszug
Der Blick auf das politische System Chinas enthüllt auf nahezu allen Ebenen das Nebeneinander und die Vermischung ungleicher Strukturen. Mit den herkömmlichen politikwissenschaftlichen Begrifflichkeiten kommt man nicht weit. Das Hybride ist ein Generalmerkmal der chinesischen Politik: Hier ein TurboKapitalismus, Bau-, Lebens- und Unterhaltungsformen sowie Wirtschaftspraktiken, die Chinas Wachstumszonen längst an das Erscheinungsbild der Wirtschaftsmetropolen Asiens und der übrigen Welt herangerückt haben — dort, nicht allzu weit entfernt, landwirtschaftliche Armutsgebiete, die von einer aufgeblähten, parasitären Bürokratie in einer Weise ausgebeutet werden, wie man sie aus den rückständigsten Staaten Afrikas und Asiens kennt. Hier industrielle Megagebiete mit frappierender Arbeitslosigkeit, darunter bereits Industriebrachen, wie in Bitterfeld, Oberschlesien oder im Ural, dort ein Kapitalismus, der Arbeiter- und Beschäftigtenrechte ignoriert und mit der Ausbeutung billiger und illegaler Arbeit eindrucksvolle Gewinne erwirtschaftet. Hier offene Arme für das ausländische Kapital, dort der Versuch, die politischen Ideen des Auslandes von China fernzuhalten.
9. Literatur
10. Verzeichnis der Tebellen und Abbildungen
Metadata
Title
Politik in China
Author
Jürgen Hartmann
Copyright Year
2006
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90477-1
Print ISBN
978-3-531-15242-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90477-1