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2022 | Book

Schlüsselwerke der Werbeforschung

Editors: Tino G.K. Meitz, Nils S. Borchers, Brigitte Naderer

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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About this book

Werbung spiegelt als zentraler Gradmesser die disruptiven Veränderungen unserer Medienlandschaft wider. Das vorliegende Werk möchte eine Reflexion dieser Veränderungen und des damit einhergehenden gesellschaftlichen Wandels bieten. Die „Schlüsselwerke der Werbeforschung“ präsentieren daher über einen hundertjährigen Forschungszeitraum die zentralen Werke der Werbeforschung. Sie geben den unterschiedlichen Perspektiven Raum, die die Forschung an die Werbung heranträgt: Von der Entschlüsselung persuasiver Strategien über die kritische Reflexion des gesellschaftlichen Nutzens der Werbung bis zum Beitrag der Werbeforschung in der Methodenentwicklung moderner empirischer Sozialwissenschaften versammeln sie einen umfassenden und interdisziplinären Aufriss der Werbe- und Persuasionsforschung.

Table of Contents

Frontmatter
Das belastete Verhältnis der Kommunikations- und Medienwissenschaft zur Werbung: Zur Notwendigkeit der Schlüsselwerke der Werbeforschung

Mit einer Fachgeschichte der Werbeforschung kann die deutschsprachige Kommunikations- und Medienwissenschaft nur bedingt dienen. Obschon Werbung den eigenen Phänomenbereich – die massenmediale, öffentliche Kommunikation und zunehmend auch medial vermittelte (digitale) interpersonale Kommunikation – zwar maßgeblich finanziert und die Ausdifferenzierung unseres Mediensystems nicht zuletzt mittels kommerzieller Zuwendungen vorantreibt, ist eine akademische Institutionalisierung in Form von Lehrstühlen und Forschungsschwerpunkten an den Universitäten – wie sie beispielsweise in den 1980er-Jahren für die Public Relations-Forschung beobachtet werden kann (Bentele und Liebert 2005), weitgehend ausgeblieben. Ist dies gleichbedeutend mit der Bedeutungslosigkeit werbewissenschaftlicher Forschung in der akademischen Ausbildung? 2011 erhob die Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) (Neuberger und Federkeil 2011) in einer Absolvent*innenbefragung unter anderem die Tätigkeitsbereiche, in welchen Bachelor-Absolvent*innen direkt nach ihrem Studienabschluss tätig waren. Unter den Absolvent*innen der allgemeinen Kommunikations- und Medienwissenschaft-Studiengänge (hier folglich ohne die reinen Journalistik-Studienangebote und ohne Berücksichtigung der medienökonomisch ausgerichteten Studiengänge) hatten 15,2 % der Befragten einen Beruf in den Tätigkeitsbereichen des Marketings und der Werbung ergriffen. Damit rangierten diese Berufsfelder bereits auf ähnlichem Niveau wie eine journalistische Tätigkeit (18,2 %) unter den Absolvent*innen. Der sozialen Wirklichkeit dieses Arbeitsmarktes steht ein fachliches Selbstverständnis innerhalb der Kommunikationswissenschaft entgegen, das auch für die Lehre eine grundlegende Ausrichtung an der publizistischen Aussagenproduktion vornimmt (AG-Lehre 2013) und persuasive (kommerzielle) Kommunikationsformen in den Bereich der curricularen Wahlpflichtbereiche komplimentiert.

Tino G. K. Meitz, Nils S. Borchers, Brigitte Naderer

Werbung & Gesellschaft

Frontmatter
Werbung in der Überflussgesellschaft: The new industrial state von Galbraith

In zwei zentralen Werken, „The Affluent Society“ (1958) und „The New Industrial State“ (1967), entwickelt der Ökonom John Kenneth Galbraith eine sozialkritische Wirtschaftstheorie auf Grundlage von Beobachtungen der US-amerikanischen Wirtschaft in der Nachkriegszeit, die neoklassischen Annahmen widerspricht. Seine zentralen Gedanken sind dabei, dass der Kapitalismus zu einer Überflussgesellschaft führe, die zwar private Wünsche erfülle und privaten Reichtum mehre, aber dabei Armut des Staates verursache und damit einen Wohlfahrtsstaat notwendig mache. Werbung (oder allgemeiner, Marketing) hat in diesem Gefüge eine Schlüsselfunktion als Kaufkraft-Managerin, die neue Konsumbedürfnisse wecken kann.Für eine ausführliche Exegese der beiden Monografien Galbraiths sind Chirat (2020) sowie Fuller (2019) empfehlenswert, wie auch das Vorwort von James K. Galbraith, dem Sohn des Autors, ebenfalls Ökonom (z. B. Galbraith 2012), zur fünften Auflage des „New Industrial States“ (2007).In der Werbeforschung wird Galbraith vor allem zu zwei Bereichen herangezogen, in die der vorliegende Beitrag einen Einblick bietet: Zur Beziehung zwischen Werbung, Konsum und Wirtschaftsentwicklung sowie zur Werbe- und Konsumkritik. Ein Überblick über ersteres Thema ist bei Seufert (2016) zu finden. Pollay (1986) ist ein prominentes Beispiel zum zweiten Thema, der sich mit negativen Externalitäten von Werbung aus Sicht von Konsument*innen auseinandersetzt. Im Zeitalter von Datafizierung und programmatischer Online-Werbung mit detailliertem User-Profiling bleiben Galbraiths Überlegungen zur Souveränität von Konsument*innen und der Macht der werbetreibenden Industrie relevant.

Juliane A. Lischka
Werbung und die Informativität der Nicht-Information: Die Realität der Massenmedien von Luhmann

Der Soziologe Niklas Luhmann hat sich nur einmal, in seinem Buch zur „Realität der Massenmedien“, explizit zu Werbung geäußert. Der Beitrag stellt Luhmanns Ausführungen im Kontext seiner Massenmedientheorie vor. Sodann diskutiert er dessen Reflexion in der Literatur, die überwiegend kritisch ausfällt. Die direkten Auswirkungen auf die Werbetheorie sind daher als eher gering einzuschätzen. Es gibt allerdings indirekte Auswirkungen auf die Werbetheorie; zudem wird erörtert, welchen Einfluss auf die Werbetheorie Luhmann über diesen Text hinaus ausgeübt hat.

Matthias Kohring
Kulturabhängigkeit von Werbung: The Hofstede model von De Mooij und Hofstede

Dreißig Jahre, nachdem Geert Hofstede zum ersten Mal sein vier, später sechs Dimensionen umfassendes Modell zur Klassifikation von Kulturen bzw. Ländern vorgelegt hat, erscheint der Zeitschriftenbeitrag von de Mooij und Hofstede. Dieser stellt das Hofstede-Modell vor, analysiert die Elemente, die die interkulturelle Werbeforschung ausmachen, und will zeigen, wie sich die Kulturdimensionen für Werbung und Markenpolitik auswirken.

Christina Holtz-Bacha
Werbung als Katalysator der digitalen Wirtschaftsordnung: The Age of Surveillance Capitalism von Zuboff

In The Age of Surveillance Capitalism legt Shoshana Zuboff eine ambitionierte Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus vor, den sie als Überwachungskapitalismus charakterisiert. Seine Vertreter sind einige der wertvollsten Unternehmen (und vor allem: Marken) des beginnenden 21. Jahrhunderts, darunter Apple, Google/Alphabet und Facebook/Meta. Die Macht dieser Unternehmen beruht laut Zuboff darauf, dass sie die Nachschubwege für „Verhaltensüberschuss“, den Rohstoff des Überwachungskapitalismus, kontrollieren. Im Überwachungskapitalismus wird dieser Verhaltensüberschuss in die künstliche Intelligenz eingespeist, um Vorhersagen über das Verhalten von Konsument*innen zu produzieren. Werbetreibende gehörten zu den frühen Kund*innen der Überwachungsunternehmen. Ihre Vorhersageprodukte sind für Werbetreibende attraktiv, weil sie ihnen anzeigen, wo und wann sie ihre Anzeigen platzieren sollten, damit diese effektiv sind. Auch wenn der Überwachungskapitalismus inzwischen gleich in mehrfacher Weise über die Werbeindustrie hinausgewachsen ist, wirkte diese Industrie mit dieser frühen Nachfrage und ihren an die Überwachungskapitalist*innen überwiesenen Werbegeldern als Katalysator für den Ausbau der Überwachungsinfrastruktur und den Wandel des Überwachungskapitalismus von Verhaltensvorhersage zur Verhaltensintervention und -modifikation

Chengyuan Shao, Nils S. Borchers

Rezeption & Wirkung

Frontmatter
Über die Grundlagen persuasiver Kommunikation: Communication and Persuasion von Hovland, Irving und Kelley

Carl I. Hovland leitete ab Mitte der 1940er-Jahre ein von der Rockefeller Foundation gefördertes Programm, das die Bedingungen und Mechanismen erfolgreicher persuasiver Kommunikation systematisch erforschen sollte (sog. „Yale Attitude Change Approach“). Irving L. Janis und Harold H. Kelley wurden Mitglieder diese Forschungsteams, das (auch in Kooperation mit noch weiteren Wissenschaftlern) zahlreiche Laborexperimente durchführte, um Effekte persuasiver Kommunikation zu analysieren. Die Autoren tragen in dem vorliegenden Buch zentrale Befunde dieses Forschungsprogramms sowie Erkenntnisse anderer Studien auf diesem Themengebiet zusammen, wobei der Fokus insbesondere auf Merkmalen des Kommunizierenden, den Inhalten persuasiver Botschaften und den Eigenschaften der Rezipient*innen liegt.

Thomas Koch
Die Messung von Involvement: The Measurement of Advertising Involvement von Krugman

Krugman wird oft der Verdienst zugeschrieben, dass er als einer der ersten erkannte, wie die Stärke des Involvements von Rezipient*innen auch deren Informationsverarbeitungsweise und entsprechend die Wirkung von Werbung beeinflussen kann. In dem Artikel „The Measurement of Advertising Involvement“ (Krugman 1966) überführte er theoretische Überlegungen in ein Messinstrument für Involvement und zeigte anhand von drei Studien den Einfluss der Stärke von Involvement. Herausragend ist hierbei auch die Methodik, die er angewandt hat und die stark an der psychologischen Experimentalforschung orientiert ist. Krugman verdeutlichte nicht nur die Relevanz von persönlichen Faktoren, sondern umriss Involvement auch als Komponente in einem Rezeptions-Prozess. Durch die Dichotomisierung in hohes und niedriges Involvement eröffnete er so neue Wege, die Effektivität von Werbung neu zu beurteilen.

Sarah Kohler
„Psst! Hey, du!“ – „Wer, ich?“: Die Entdeckung der Mundpropaganda als Thema der Werbeforschung von Arndt

Interpersonaler Kommunikation ist in Kaufentscheidungsprozessen bereits in den 1960er–Jahren ein großer Einfluss unterstellt worden. Dass das Thema Mundpropaganda bis heute zu einem so prominenten Forschungsthema wurde, ist hingegen ein zentraler Verdienst von Johan Arndt. Seine größte Leistung besteht darin, Mundpropaganda als Thema einer sozialwissenschaftlich geprägten Werbe- bzw. Marketingforschung etabliert zu haben. Während Arndt in seiner Literaturanalyse „Word of mouth advertising and informal communication“ den Forschungsstand zum Thema systematisiert, basiert der Aufsatz „Role of product-related conversations in the diffusion of a new product“ auf dem Feldexperiment seiner Dissertation.

Von Olaf Hoffjann
„The opposite of a great truth is also true“: Personality and Attitude Change von McGuire

William J. McGuire war einer der führenden sozialpsychologischen Forscher im auf dem Gebiet der Persuasionsforschung und wird als eine der zentralen Figuren im Rahmen der kognitiven Wende gesehen. Seine Arbeiten zu Persönlichkeit und Einstellungsänderung, insbesondere die dazu entwickelte Informationsverarbeitungstheorie, inspirierte eine Vielzahl von weiteren Studien sowohl in der Sozialpsychologie als auch in angrenzenden Disziplinen. Innovativ war daran insbesondere die Auffassung, dass man bei der Betrachtung von Einstellungsänderung als Zielgröße verschiedene vorgeschaltete Informationsverarbeitungs-phasen als Mediatoren begreifen muss, die wiederum von individuellen Unterschieden beeinflusst werden können. Über diese inhaltliche Ausrichtung hinaus beschäftigte er sich mit wissenschaftsphilosophischen Fragen und plädierte nicht nur sehr früh bereits für eine Fokussierung auf Rahmenbedingungen für zu interessierende Effekte, sondern auch für die Publikation aller Formen von Studien unabhängig von ihren (signifikanten) Ergebnissen. Seine Ausführungen wirken auch fünfzig Jahre später noch zeitgemäß.

Christina Peter
Der Effekt der bloßen Darbietung: Attitudinal Effects of Mere Exposure von Zajonc

Der Mere Exposure-Effekt (MEE) besagt, dass die mehrfache unverstärkte Darbietung eines Reizes zu einer positiven Bewertung des Reizes führt. Der MEE geht auf die Arbeit von Robert B. Zajonc (1968, Attitudinal Effects of Mere Exposure) zurück, der den Effekt mit einfachen Stimuli wie türkischen Wörtern, chinesischen Schriftzeichen und Bildern von Männern in Jahrbüchern nachweisen konnte. Für die Werbeforschung lässt sich zeigen, dass die bloße, mehrfache Darbietung von Markenlogos oder Produkten zu einer positiven Einstellungsänderung führen kann, und zwar vor allem dann, wenn die Marken oder Produkte wenig von den Rezipienten bemerkt bzw. wahrgenommen werden. Allerdings ist die Aussagekraft des MEE für praktische Fragestellungen begrenzt, da er sich nur für unbekannte Produkte eignet, die wenig aufmerksamkeitswirksam gezeigt werden. Zudem lassen sich kaum konkrete Aussagen über die für den MEE optimale Darbietungsdauer und -gestaltung ableiten.

Jörg Matthes
Die Kaufentscheidung als Lernprozess: The Theory of Buyer Behavior von Howard und Sheth

Das in The Theory of Buyer Behavior von Howard und Sheth entwickelte Modell galt lange Zeit als das umfassendste Modell zur Erklärung individuellen Kaufverhaltens, welches gleichzeitig praktische Implikationen für das Management bot, und fand so Eingang in die Grundlagenliteratur der Marketing- und Werbewirkungsforschung. Durch die Implementierung zentraler Wahrnehmungs- und Lernkonstrukte im Prozess der Kaufentscheidung gilt das Totalmodell als wegweisend in der differenzierten Berücksichtigung von kognitions- und lerntheoretischen Grundlagen und Kontextbedingungen in der Erforschung des Konsumverhaltens. Eine ganzheitliche empirische Prüfung des Modells birgt jedoch seit jeher methodische Herausforderungen.

Claudia Wilhelm
Zum Verhältnis von Überzeugungen, Einstellungen, Absichten und Verhalten: Belief, Attitude, Intention and Behavior von Fishbein und Ajzen

Das Hauptziel des Werkes von Martin Fishbein und Icek Ajzen kann als Versuch beschrieben werden, verschiedene bereits bestehende Einstellungs-Konzepte und -Theorien zu organisieren und miteinander zu verbinden sowie einen kohärenten Rahmen zu schaffen, der eine systematische theoretische Analyse ermöglicht. Als eines der ersten Multiattributmodelle, das eine mehrdimensionale Einstellungsmessung ermöglicht, konzipieren Fishbein und Ajzen ein Modell, in welchem sie den Zusammenhang von vier zentralen Variablen näher erläutern (Überzeugungen, Einstellungen, Verhaltensabsichten und Verhalten). Aufgrund seiner allgemeinen Anwendbarkeit wurde das Fishbein-Ajzen Modell in den unterschiedlichsten Disziplinen (z. B. Werbeforschung, Einstellungsforschung, Konsument*innenforschung etc.) als theoretische Grundlage verwendet, um die spezifische Wirkungen einzelner Variablen auf das menschliche Verhalten näher zu beleuchten. Obwohl dieses Framework weithin als wichtiger Meilenstein angesehen wird, üben doch einige ForscherInnen Kritik an der theoretischen Basis und der Konzeption des Modells sowie den Modellkomponenten. Nichtsdestotrotz erfreut sich Modell aufgrund der leichten Messbarkeit seiner Konstrukte und der Ausweitung auf persönliche Attribute großer Beliebtheit.

Isabell Koinig, Sandra Diehl
Die Einstellung gegenüber einer Werbeanzeige: Das AAd-Modell von MacKenzie und Lutz

Der Beitrag befasst sich mit der Publikation von Scott B. MacKenzie und Richard J. Lutz aus dem Jahr 1989. Schwerpunkt des Schlüsselwerks bildet die Auseinandersetzung mit einem für die Werbeforschung zentralen Konstrukt: der Einstellung gegenüber einer Werbeanzeige (AAd). Im Rahmen ihrer Publikation widmen sich MacKenzie und Lutz systematisch den Ausgangsfaktoren dieses Konstrukts und damit der Entstehung von AAd. Dafür stellen sie im Schlüsselwerk ein Modell vor, das die Einflussfaktoren auf die Einstellung gegenüber einer Werbeanzeige fokussiert, aber auch die Wirkung von AAd auf andere für die Werbewirkung relevante Variablen – etwa die Markeneinstellung – einschließt. Der Beitrag setzt sich daher mit den zentralen Bestandteilen des AAd-Modells sowie den Befunden auseinander, die aus der empirischen Überprüfung des ausgewählten Modellausschnitts von MacKenzie und Lutz hervorgehen.

Melanie Bößenecker
Zentral vs. Peripher: Persuasionswege und Einstellungsänderungen in den Arbeiten von Petty und Cacioppo

Das Elaboration Likelihood Model (ELM), das in den 1980er-Jahren von Richard E. Petty und John T. Cacioppo entwickelt wurde, gibt der Persuasionsforschung auch heute noch einen konzeptionellen Rahmen. Das entwickelte Zwei-Prozess-Model geht davon aus, dass es zwei Arten der Informationsverarbeitung von persuasiver Kommunikation gibt, die einen unterschiedlichen Einfluss auf die Einstellungsbildung und -änderung von Rezipient*innen haben. In den Artikeln The Elaboration Likelihood Model of Persuasion (1986) und Central and Peripheral Routes to Advertising Effectiveness: The Moderating Role of Involvement (1983), die als Schlüsselwerke der Werbeforschung angesehen werden, skizzieren und überprüfen die Autoren anhand sieben Postulate zwei Persuasionsrouten. Der erste Weg der Informationsverarbeitung, auch zentrale Route der Persuasion genannt, zeichnet sich durch den Einsatz von kognitiven Ressourcen aus und ist von sorgfältigen Überlegungen über die Argumente der persuasiven Mitteilung gekennzeichnet. Der zweite Weg der Informationsverarbeitung, auch periphere Route der Persuasion genannt, wird von einfachen Hinweisreizen geleitet. Welcher dieser beiden Wege der Informationsverarbeitung eingeschlagen wird, hängt von der Motivation und Fähigkeit der Rezipient*innen ab, die persuasive Mitteilung kognitiv zu verarbeiten. Das ELM macht nicht nur Aussagen über die Voraussetzungen von Persuasionsprozessen, sondern auch über die Konsequenzen von persuasiven Mitteilungen. Das Modell hat bis heute eine nachhaltige Wirkung auf die Persuasionsforschung.

Ariadne Neureiter
Erinnerungsfaktoren in der Werbung: The Effect of Advertising Retrieval Cues on Brand Evaluations von Keller

Kevin Lane Keller stellt in seinem Beitrag „Memory Factors in Advertising: The Effect of Advertising Retrieval Cues on Brand Evaluations“ eine aufwändige Experimentalstudie zu Hinweisreizen in der Werbung vor. Werden einzelne Elemente eines Werbeangebots wie z. B. Text oder Fotos auf dem Produkt oder seiner Verpackung platziert, so erhöht dies – so das Kernresultat – die Erinnerungsleistung der Konsument*innen an die Werbung und verbessert ihre Markenbewertung. Keller hat die Studie in mehreren Folgepublikationen aufgegriffen. In weiteren Experimenten konnte er die Befunde zur Wirksamkeit von Hinweisreizen präzisieren. Einflussreich war außerdem ein konzeptioneller Beitrag, in dem er die theoretische Grundlage zum Markenwissen ausbaute und ein bis heute viel zitiertes Modell des Markenwerts entwickelte.

Jens Hagelstein
Werbung als soziale Praktik: What Do People Do with Advertising? von Buttle

In seinem Aufsatz „What do people do with advertising?“ aus dem Jahr 1991 betrachtet Francis A. Buttle Werbung als soziale Praktik eines aktiven Publikums. Er geht der Frage nach, was über die Rolle des Publikums im Prozess der Werbewirkung bekannt ist und welche Möglichkeiten es gibt, diese Erkenntnisse zu vertiefen. Ausgehend von einer Analyse von 619 empirischen Studien aus den Jahren 1975 bis 1989 identifiziert er eine Forschungslücke im Bereich kontextualisierender Studien in der Werbeforschung, für deren Erkundung er die ethnographische Methode vorschlägt.

Daniela Schlütz

Kompetenz & Ethik

Frontmatter
Werbung aus der Sicht von Heranwachsenden: The Social Uses of Advertising von Ritson und Elliott

„The Social Use of Advertising“ von Mark Ritson und Richard Elliott (1999) untersucht die Wahrnehmung von Fernsehwerbebotschaften durch britische Heranwachsende. Die Autoren nutzen teilnehmende Beobachtungen und Leitfadeninterviews, um zu untersuchen, wie Heranwachsende Werbebotschaften wahrnehmen und in die soziale Interaktion mit anderen einbetten. Die Studie belegt, dass Heranwachsende regelmäßig über Werbung mit anderen sprechen, diese kritisch bewerten und ritualisieren. Der Aufsatz löste zahlreiche ethnographische Studien zu den sozialen Kontexten der Werbewahrnehmung aus.

Claudia Riesmeyer
Diktiert Fernsehwerbung die Wünsche von Kindern? Die Arbeiten von Robertson und Rossiter

Die vorliegenden Studien von Thomas S. Robertson & John R. Rossiter gehören zu den ersten empirischen Untersuchungen, die die Effekte der Werbung auf das Verhalten von Kindern untersuchen. Sie bestätigen die überwältigende Rolle der Fernsehwerbung als Hauptquelle für die kurzfristige Nachfrage von Kindern nach Kinderspielen und Spielzeug. Die wichtigste Erkenntnis dieser Studien ist jedoch, dass bestimmte Faktoren bei der Bewertung der Auswirkungen der Fernsehwerbung auf Kinder berücksichtigt werden müssen. Für die Werbewirkung sind die folgenden Eigenschaften des Empfängers von wesentlicher Bedeutung: das Ausmaß der Aussetzung gegenüber der Werbung, das Alter des Kindes, der Grad der Integration in Peer Groups und der familiäre Bildungshintergrund. Insbesondere zeigen die Studien, dass Fernsehwerbung die größten Auswirkungen auf jüngere Kinder hat, wenn sie der Werbung am stärksten ausgesetzt sind und ihnen der Bezug zu gleichaltrigen Freunden fehlt.

Meda Mucundorfeanu, Delia Cristina Balaban
Ich weiß, sie bekommt Geld dafür! Aber ich hab Guido Maria doch so gern! The Persuasion Knowledge Model von Friestad und Wright

Das Persuasion Knowledge Model (PKM) von Friestad und Wright (1994) hat die empirische Arbeit im Bereich Werbe- und Kommunikationforschung nachhaltig geprägt und ist mit dem digitalen Wandel des Werbemarktes und dem Aufkommen und breiten Einsatz integrierter Werbeformen wie Influencerwerbung, Advergames oder native Advertising aktueller denn je. Der vorliegende Eintrag rekapituliert Idee, Konzept und Ansatz des PKM wie in der Erstpublikation von 1994 dargelegt, ordnet diesen Beitrag in das Gesamtwerk der Autor:innen ein und zeichnet dessen Wirkungsgeschichte exemplarisch nach. Er geht zudem auf ausgewählte Kritik am Modell ein, benennt Desiderate der hieran anknüpfenden Forschung und stellt einige Entwicklungen in Bezug auf konzeptuelle Präzisierung und statistische Modellierung des PKM vor.

Jens Woelke
Von Kindern zu Konsumierenden: Consumer Socialization of Children von John

Die Entwicklung von Kindern zu Konsumierenden stellt einen wichtigen Forschungsbereich in der Werbung und im Marketing dar. Deborah Roedder John hat 1999 mit ihren Ausführungen zu den Consumer Socialization Stages das Verständnis von Kindern als Konsumierende maßgeblich geprägt. Auf Basis der kognitiven und sozialen Entwicklungen von Kindern, welche sich maßgeblich durch das steigende Alter erklären lassen, geht die Autorin von drei Phasen der Sozialisierung zu Konsumeierenden aus: 1) wahrnehmbare Phase, 2) analytische Phase, und 3) reflektierte Phase. Durch das Einbeziehung von 25 Jahren an Studien aus den Bereichen Kommunikation und Marketing schafft dieses Grundgerüst eine besondere Relevanz.

Alice Binder
Die vernachlässigte Produzent*innenethik: How Advertising Practitioners View Ethics: Moral Muteness, Moral Myopia, and Moral Imagination von Drumwright & Murphy

Das Schlüsselwerk von Drumwright und Murphy verweist einerseits auf die Vernachlässigung der Produzent*innenethik in der Werbeforschung und andererseits auf die Feststellung, dass viele Werbepraktiker*innen moralisch zu kurzsichtig sind, um sich mit Fragen ethischen Handelns zu beschäftigen oder stumm darin, ihre Bedenken zu äußern. Während theoretische und methodische Ansätze der Erforschung von Werbeethik generell rar sind, wird dies insbesondere für die Meso- und Makroebene betont. So sind organisationale Ansätze zur Erforschung der Werbeethik rar, wären jedoch geboten, da sie berücksichtigen können, inwiefern Organisationskulturen und -strukturen die ethische Entscheidungsfindung von Werber*innen beeinflussen. Das Schlüsselwerk zeichnet sich dadurch aus, dass die Werbeethik aus Perspektive der Verhaltensethik und Organisationskultur analysiert wird, die Mikro- mit der Mesoebene verbindet und analytisch auch die Makroebene miteinbezieht.

Cornelia Brantner
Mehr als nur ein kognitiver Schutz: Reconsidering Advertising Literacy as a Defense Against Advertising Effects von Rozendaal, Lapierre, van Reijmersdal und Buijzen

In der Forschung zur Werberezeption von Kindern galt Werbekompetenz lange als rein kognitive Ressource, die Kindern als Schutz vor Werbeeinflüssen dient. Mit ihrem Aufsatz regen Esther Rozendaal, Matthew Lapierre, Eva A. van Reijmersdal und Moniek Buijzen zu einer Neuerwägung dieser Sichtweise an. Sie argumentieren, dass Kinder in der Regel nicht über die kognitiven Fähigkeiten verfügen, um ihr konzeptuelles Werbewissen bei der Rezeption von Werbebotschaften abzurufen. Die Autor*innen schlagen daher eine Rekonzeptualisierung des Konstrukts Werbekompetenz vor, die neben dem konzeptuellen Wissen auch eine einstellungs- und anwendungsbezogene Dimension umfasst.

Johannes Beckert

Semantiken

Frontmatter
„It’s the Propaganda, stupid!“ Die Entdeckung der Werbewirkung aus kultursemiotischer Perspektive: Decoding Advertisements von Williamson

In Decoding Advertising analysiert Williamson anhand hunderter Anzeigenbilder kritisch die Wirkung von Werbeanzeigen auf die Rezipient*innen. Sie differenziert dabei zwischen der wirtschaftlichen und der ideologischen Funktion der Anzeigen. Mit dem Dekodieren von Werbeanzeigen versucht Williamson, die in den Werbebildern enthaltenen gesellschaftlichen Werte aufzuzeigen und den Leser*innen Analyse-Werkzeuge mitzugeben, mittels derer wir unsere Vorstellungen von den subtilsten und komplexesten Formen der Propaganda einer Gesellschaft überdenken und unsere Wahrnehmung davon ändern könnten.

Miriam Goetz
Überhöhung des Alltäglichen, Naturalisierung des Ideologischen: Mythen des Alltags und Rhetorik des Bildes von Barthes

In seinen Schlüsselwerken „Mythen des Alltags“ und „Rhetorik des Bildes“ entwickelt Roland Barthes ein semiotisches Analyseinstrumentarium, das er auf sehr unterschiedliche Untersuchungsobjekte anwendet – auch auf Beispiele aus der Werbung. Indem Barthes Gegenstände der Alltags- und Trivialkultur gleichrangig neben Objekten der Hochkultur untersucht, nobilitiert er sie nicht nur als Gegenstände wissenschaftlicher Forschung, er trägt zugleich zu einer Überwindung der Trennung von Trivial- und Hochkultur bei. Grundprinzip seiner semiotischen Analyse ist die Betrachtung der Untersuchungsobjekte als „Text“, das heißt als Träger kultureller Bedeutungen. Dabei unterscheidet Barthes mehrere Ebenen der Bedeutung. Mit der semiotischen Betrachtung von Werbung als mehrschichtigem, kulturellen Text etabliert sich eine Konstruktion des Gegenstandsbereichs „Werbung“ jenseits einer Konzeption von Werbung als psychologischem Stimulusmaterial oder marketingstrategischen Kommunikationsinstrument.

Burkard Michel
Kaufst Du mir die Geschichte ab? Advertising Narratives: What are they and how do they work? von Escalas

Dieses Kapitel gibt ausgehend von Jennifer E. Escalas‘ Schlüsselwerk Advertising narratives – What are they and how do they work? von 1998 einen Überblick über den Forschungsstand zu narrativer Persuasion durch Werbebotschaften. Hierzu werden zunächst zentrale Annahmen zur Überzeugungskraft von Geschichten im Allgemeinen zusammengefasst und ein Überblick über das Vorkommen narrativer Werbungen sowie über ihre Wirkungsmechanismen erarbeitet. Weiterhin wird Escalas‘ Studie in den forschungshistorischen Kontext sowie in Abgrenzung zu anderen Werken verortet. Schließlich gibt das Kapitel einen Überblick darüber, wie die zentralen Annahmen im weiteren Forschungsverlauf weiterentwickelt und auf neuere Anwendungsbereiche angewendet wurden und zeigt interdisziplinäre Richtungen zukünftiger Forschung zu narrativer Persuasion auf.

Tim Wulf
Wirklicher als die Wirklichkeit: Gender Advertisements von Goffman

Erving Goffman beschäftigt sich in seinem Buch Gender Advertisements mit der interaktiven Konstruktion des gesellschaftlichen Geschlechterdualismus sowie mit dem analytischen Status werblicher Geschlechterbilder. Werbliche Geschlechterbilder sind hyper-ritualisierte Inszenierungen und damit zunächst einmal nicht wahrheitspflichtig. Aber nicht obwohl, sondern gerade weil die Werbung kein getreues Abbild der Realität liefert, lohnt sich die Analyse ihrer Inhalte. Denn mit ihrer Hilfe eröffnet man sich den Zugang zu einer mikrosoziologischen Perspektive auf all jene sozialen Interaktionsrituale, die im Erlebnisstrom des alltäglichen Lebens unbemerkt an uns vorbei fließen. Den Hauptteil des Buches stellt die systematische Sammlung und Kommentierung prototypischer Inszenierungsformen von Männern und Frauen in der Anzeigenwerbung dar. Anhand des umfangreichen Bilderfundus wird hier gezeigt, wie in der Anzeigenwerbung etwa anhand der relativen Größe und Funktion von Männern und Frauen der zugeschriebene Rang in Szene gesetzt wird.

Guido Zurstiege

Kritik

Frontmatter
Werbung und Kulturindustrie als verwirklichte Unvernunft: Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno

Die heutige Werbeforschung kann nicht verstanden werden ohne den wegweisenden Aufsatz von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug. Dieser Aufsatz erschien erstmals 1944 in der Essaysammlung Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (1944/2010). Die Sammlung von Essays unterzieht die herrschende Vernunft einer radikalen Kritik und will sie so gegenüber ihrer pervertierten Form, die sich am deutlichsten in Form des Faschismus in Europa zeigt, verteidigen. Horkheimer und Adorno untersuchen, wie die Aufklärung, statt den Menschen zu befreien, sie weiterhin in Unfreiheit hält. Der Werbung kommt hierbei eine wichtige Rolle zu: Als wesentlicher Teil der Kulturindustrie generiert sie immer neue Bedürfnisse, die dann mit den Waren, die das Monopol produziert, befriedigt werden. Indem Werbung auf diese Weise die Wahlmöglichkeiten zwischen Waren als Freiheit des Subjekts postuliert, verschleiert sie die Kontingenz der gesellschaftlichen Verhältnisse und führt so zu einer Ideologie der Alternativlosigkeit zum Bestehenden. Dadurch wird Werbung zu einem zentralen Instrument der Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen und zum Lebenselixier der Kapitalismus.

Helena Esther Grass, Nils S. Borchers
Das Publikum als Ware: Communications: Blindspot of Western Marxism von Smythe

Dallas Smythe bearbeitet polit-ökonomisch eine Reihe von Fragen, die dann in der späteren Rezeptionsgeschichte des Textes v. a. in der sog. Blindspot-Debatte und in der Digital Labour-Debatte kontroverse Antworten provoziert haben: Warum werden aus ökonomischer Sicht überhaupt massenmediale Inhalte, wie Information und Unterhaltung produziert? Was genau kaufen die Werbetreibenden mit ihren Werbeausgaben? Wie stellen die Werbetreibenden sicher, auch das zu erhalten, wofür sie bezahlen? Welche Rolle spielt das Publikum für die wirtschaftliche Beziehung zwischen Massenmedien und werbetreibender Industrie? Wer produziert die Dienstleistung bzw. Ware, die die Werbetreibenden kaufen? Wie lässt sich die Werbeindustrie im (Monopol-)Kapitalismus im Rahmen einer marxistischen (Arbeits-)Werttheorie verstehen? Haben sowohl kritische als auch orthodoxe wirtschaftswissenschaftliche Ansätze die ökonomische Rolle werbefinanzierter Medien bisher missinterpretiert? Mit der Einführung des Begriffs der audience commodity (Publikumsware) bestimmt der Text die Rolle des Publikums für die kapitalistische Ökonomie als eine produktive, dessen Aktivität unter monopol- oder oligopolartigen Marktbedingungen fortlaufend gesichert werden muss, um sie ausbeuten zu können.

Sebastian Sevignani, Isabelle Busche
Die Magie der Werbung: Advertising, the Magic System von Williams

Im vorliegenden Beitrag wird der Aufsatz Advertising: The Magic System von Raymond Williams zusammengefasst. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der dort beschriebenen Entwicklung des Werbesystems von lokal begrenzten Anzeigen für Güter und Dienstleistungen hin zu einem globalen System der Marktkontrolle. Ebenso zeichnet er die von Williams als „Magie“ beschriebene Ebene der Werbung, die ihren Objekten noch eine zusätzliche, symbolische Dimension zuordnet, nach. Auch ordnet der Artikel den Aufsatz von Williams mit Blick auf dessen Gesamtwerk ein. Im Fokus steht der von Williams entwickelte theoretische Ansatz des „Kulturellen Materialismus“ und seine Rolle im Rahmen der Entwicklung der britischen Cultural Studies. Abschließend werden Verbindungen zu aktueller medien- und kommunikationswissenschaftlicher Werbekommunikationsforschung aufgezeigt und der Beitrag von Williams kritisch in den aktuellen Forschungsdiskurs eingeordnet.

Martin R. Herbers
Die Erfindung des Massenkonsums: Captains of Consciousness von Ewen

Die Entwicklung der fordistischen Massenproduktion hatte ein strukturelles Problem zur Folge: die Schaffung der entsprechenden Nachfrage. In den 1920er-Jahren entstand der massenhaft konsumierende, moderne Haushalt. Treibende Kräfte dabei: die Captains of Consciousness, die Initianten und Mitglieder des modernen Werbekomplexes. In seinem gleichnamigen Schlüsselwerk untersucht Stuart Ewen ihren Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Rahmen einer großangelegten Ideengeschichte.

Jürgen Häusler
Werbekritik als Gesellschaftskritik: Social Communication in Advertising von Leiss, Kline und Jhally

Social Communication in Advertising, 1986 erschienen, ist und bleibt die umfassendste historische Studie über Werbung und ihre Funktionen innerhalb konsumkapitalistischer Gesellschaften. Die Autoren William Leiss, Stephen Kline und Sut Jhally zeichnen auf Grundlage einer umfassenden interdisziplinären Literaturstudie und originärer Forschung den Einfluss der Werbung in drei wichtigen gesellschaftlichen Bereichen nach: der Warenindustrie, der Populärkultur und den Massenmedien. Trotz aktuell neuer Werbetechnologien und -strategien hat ihre Kritik der Werbung als umfassende Gesellschaftskritik auch im digitalen Zeitalter an Dringlichkeit und Aktualität nicht eingebüßt.

Mandy Tröger
„Ich weiß nicht warum, aber ich will jetzt ein Eis!“ The Hidden Persuaders von Packard

„The Hidden Persuaders“ verdanken wir den Mythos der subliminalen Werbung. Vance Packards kurzer Bericht über ein angebliches Experiment, bei dem in einem Kino sehr kurz eingeblendete Werbebotschaften von den Zuschauern unterbewusst aufgenommen wurden, hat zu regen Diskussionen und Forschungsaktivitäten geführt. Auch wenn Packards Buch einige Fragen aufwirft und ihm mangelnde Wissenschaftlichkeit vorgeworfen werden kann, kommt ihm aus heutiger Sicht zu Recht der Status eines Schlüsselwerks der Werbeforschung zu. Es fungierte auf einer gesellschaftskritischen Ebene erfolgreich als thematischer Impulsgeber und beeinflusst bis heute maßgeblich die Agenda der Werbewirkungsforschung. Die heute vorliegenden Forschungsergebnisse zu subliminaler, im Sinne von unbewusst wirkender Werbung belegen, dass unter bestimmten Voraussetzungen deratiges Werben durchaus Verhalten beeinflussen kann.

Jörg Tropp
Ich – mal Ziel, mal Müll: The Daily You von Turow

In The Daily You rekonstruiert Joseph Turow die Anfänge der personalisierten Werbeansprache von Konsument*innen auf Grundlage von Verhaltensdaten, die aus der Überwachung des Online-Verhaltens der Konsument*innen stammen. Turow stellt an der Funktion des Media Buyings dar, wie sich die Werbeindustrie durch das Vorhandensein dieser Daten verändert. Statt Werbekontexte zu kaufen (also etwa die Ausstrahlung eines TV-Spots in einem bestimmten Werbeblock eines bestimmten Fernsehsenders), erwirbt das Media Buying nun direkt die Möglichkeit, Konsument*innen anzusprechen, die es als Zielpersonen identifiziert hat. Diese Umstellung hat laut Turow aber nicht nur Folgen für die Werbeindustrie, sondern auch für die gesamte Gesellschaft. Erstens bringt die veränderte Praxis des Media Buyings das Mediensystem ins Ungleichgewicht und gefährdet das Fortbestehen des unabhängigen Journalismus. Zweitens erzeugt sie Anreize, Reputationssilos (Turows Variante von Filterblasen) zu schaffen. Turow macht diese Silos als eine Form sozialer Diskriminierung aus, die sich langfristig sowohl auf das psychische Wohlbefinden der Einzelnen als auch auf die Stabilität des politischen Systems negativ auswirken können. The Daily You ist ein Schlüsselwerk der Werbeforschung, weil es bereits frühzeitig einen detaillierten Einblick in kommerzielle Überwachungspraktiken bietet und deren potenzielle soziale Auswirkungen aufzeigt.

Nils S. Borchers
Metadata
Title
Schlüsselwerke der Werbeforschung
Editors
Tino G.K. Meitz
Nils S. Borchers
Brigitte Naderer
Copyright Year
2022
Electronic ISBN
978-3-658-36508-0
Print ISBN
978-3-658-36507-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36508-0

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