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Open Access 2024 | OriginalPaper | Chapter

6. Selbsterhaltung der Gesellschaft durch eine Wirtschaft mit begrenzter Reflexion

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird beschrieben, wie das politische System durch die Kontextsteuerung der Selbststeuerung der Wirtschaft mittels einer begrenzten Reflexion die Evolution zu einer sinnvollen Gesellschaft unterstützen kann. Im ersten Teil werden die Steuerungsmöglichkeiten der Politik beschrieben, die die Selbststeuerung einer Wirtschaft mit begrenzter Reflexion unterstützt. Anschließend wird dargestellt, wie die Kombination aus der Reflexion der Gesellschaft mithilfe von Netzwerken und der Generalisierung durch Nachhaltigkeit zu einem neuen Emergenz-Niveau der Gesellschaft führt.
In diesem Kapitel wird beschrieben, wie das politische System durch die Kontextsteuerung der Selbststeuerung der Wirtschaft mittels einer begrenzten Reflexion die Evolution zu einer sinnvollen Gesellschaft unterstützen kann. Im ersten Teil werden die Steuerungsmöglichkeiten der Politik beschrieben, die die Selbststeuerung einer Wirtschaft mit begrenzter Reflexion unterstützt. Anschließend wird dargestellt, wie die Kombination aus der Reflexion der Gesellschaft mithilfe von Netzwerken und der Generalisierung durch Nachhaltigkeit zu einem neuen Emergenz-Niveau der Gesellschaft führt.

6.1 Steuerungsmöglichkeiten der Politik für eine Wirtschaft mit begrenzter Reflexion

In Abschnitt 3.​3.​2 wurde beschrieben, dass die Politik aufgrund von Kontingenz autopoietische Systeme nicht direkt steuern kann, allerdings kann durch Kontextsteuerung mit einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit prinzipiell Einfluss auf selbststeuernde Systeme ausgeübt werden. In diesem Kapitel wird daher beschrieben, wie Politik durch Kontextsteuerung die Selbststeuerung des Wirtschaftssystems mit einer begrenzten Reflexion unterstützen kann.

6.1.1 Die Evolution zu einer sinnvollen Ökonomie braucht Politik

Wie in Kapitel 4 ausgeführt, entsteht durch eine begrenzte Reflexion eine neue Beobachtungsform in der Gesellschaft, die durch Selbststeuerung die pathologische Selbstreferenz des Wirtschaftssystems auflösen kann. Abschnitt 4.​3.​1 und die empirische Untersuchung der Nachhaltigkeitsratings in Kapitel 5 macht jedoch deutlich, dass Grenzen der Selbststeuerung existieren. Eine Selbststeuerung durch das Wirtschaftssystem reicht daher sehr wahrscheinlich nicht aus, um die Selbsterhaltung der Gesellschaft zu sichern, sondern sie muss auch durch die Politik unterstützt werden.
Luhmann traut dem Wirtschaftssystem zu, negative Auswirkungen auf die Gesellschaft zu verarbeiten, sieht jedoch gleichzeitig die Grenzen, die damit verbunden sind. Es ist möglich durch Input-Output-Modelle externalisierte Kosten wieder in die wirtschaftlichen Analysen einzubeziehen und damit die gesellschaftlichen Auswirkungen von Entscheidungen zu berücksichtigen. Daher gibt es Forderungen, dass wirtschaftliche Entscheidungen um die Auswirkungen auf die Umwelt erweitert werden. Allerdings kann das Wirtschaftssystem nur wirtschaftliche und keine gesellschaftlichen Ziele verfolgen, weshalb auch Unternehmen Umweltziele nur als Unterziele berücksichtigen können, wenn sie auf die wirtschaftlichen Ziele einzahlen. Wenn es also zu einer positiven Entwicklung des Aktienkurses beiträgt oder Kundenbedürfnisse befriedigt werden, ist es möglich, Auswirkungen auf die Umwelt zu berücksichtigen. Eine höhere Transparenz, ein ausgeprägteres Bewusstsein und eine stärkere Berücksichtigung in Entscheidungen können also neuen Sinn stiften. Es stellt sich aber immer noch die Frage, welche Nebenwirkungen dadurch entstehen oder unberücksichtigt bleiben (Luhmann 1986, S. 119 f.).
Die pathologische Selbstreferenz des Wirtschaftssystems beschreibt ein ähnliches Dilemma wie die Tragik der Allmende: Sobald eine Ressource allen Menschen unbeschränkt zur Verfügung steht, versucht jeder, seinen Gewinn zu maximieren, wodurch Raubbau entsteht. Die Kosten, die langfristig weitaus höher sind als die Gewinne, müssen von der Gemeinschaft übernommen werden. Damit trägt jeder Einzelne nicht nur zum Ruin der Gemeinschaft, sondern auch seiner selbst bei (Hardin 1968). Aus systemtheoretischer Sicht erfolgt der Raubbau des Wirtschaftssystems jedoch nicht an der Gemeinschaft, sondern an der Gesellschaft. Nach Ostrom et al. (2006) betrifft das beschriebene Problem einen unregulierten Sonderfall, der normalerweise nicht zutrifft, da die Beteiligten miteinander kommunizieren können. Aus Sicht der neuen Institutionenökonomik kann eine Übernutzung von lokalen Gemeingütern durch Selbststeuerung der Beteiligten verhindert werden. Neuartige institutionelle Arrangements können weitaus effektiver sein als eine reine Steuerung durch den Staat oder den Markt.
Da, wie in Abschnitt 3.​3.​3 beschrieben, mit den bisherigen Strukturen der Politik die zunehmende Kontingenz nicht mehr bewältigt werden kann, müssen neue Formen der gesellschaftlichen Steuerung gefunden werden. Dies beinhaltet nicht nur, wie in Kapitel 4 beschrieben, die Selbststeuerung durch das Wirtschaftssystem mit einer begrenzten Reflexion, sondern umfasst auch die Politik. Im folgenden Abschnitt soll daher expliziert werden, welche Möglichkeiten der Strukturanpassung der gesellschaftlichen Steuerung einer begrenzten Reflexion seitens der Politik existieren.
Nach Willke kann ein demokratisches System zwar eine Gesellschaft heilen, wenn sie krank ist, aber es ist nicht in der Lage, einen fundamentalen Wandel einzuleiten. Es müssen daher nachhaltige Demokratien im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung entstehen. Eine nachhaltige Demokratie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich auf die Kernkompetenzen beschränkt und die Rahmenbedingungen zur Bereitstellung von kollektiven Gütern verbessert. Alles andere sollte nicht als Hauptaufgabe der Politik gesehen werden, da diese Wohlfahrtspolitik durch zusätzliche Verantwortlichkeit belastend wirkt (Willke 2007, S. 117). Es gibt keine Alternative zwischen Markt und Staat, sondern es muss geklärt werden, welche Aufgaben die Gesellschaft übernehmen kann, damit sich die Politik nicht überfordert (Willke 2007, S. 95). Die Herausforderung einer gesellschaftlichen Steuerung besteht also darin, das liberale Potenzial einer privaten Steuerung mit dem öffentlichen Interesse so zu verbinden, dass ein Governance-Regime mit einer responsiven Regulierung und einer nachhaltigen Demokratie entsteht (Willke 2007, S. 117).
Neben einer stärkeren Ausrichtung der Demokratie an Nachhaltigkeit ist auch ein stärkerer Einbezug von Netzwerken notwendig, die die Intelligenz der Demokratie erhöhen.
Eine Möglichkeit, die Intelligenz der Demokratie zu erweitern, besteht in einer Erhöhung der Freiheitsgrade und Optionen der Governance-Strukturen. Durch den Einbezug von sozialen Vereinigungen in die demokratischen Entscheidungsfindungsprozesse und die Berücksichtigung von privaten Akteuren und Organisationen in der Politik kann die Wissensbasis erweitert werden, mit der die Politik Lösungen für Probleme zu finden vermag, für die die bisherigen politischen Strukturen sich als ineffizient erwiesen haben. Willke empfiehlt in diesem Zusammenhang die Kontextsteuerung, die die Stärken einer internen Selbstorganisation und eines externen strategischen Rahmens, die die Vielzahl an Optionen beschränken, kombiniert. Durch die Integration einer Vielzahl an Experten, von Lobbisten, Verbänden, Thinktanks, NGOs und Arbeitsgemeinschaften kann die Intelligenz der Demokratie weiter gestärkt werden. Durch den Einbezug von Stakeholdern wird die Qualität der Entscheidungsfindung erhöht, da mögliche Nebenwirkungen, negative Externalitäten und positive Wirkungen in der Regel mit betrachtet werden können. Ein Beispiel ist die EU, die auf kurzfristige Gewinne verzichtet und außergewöhnliche Kosten in Kauf nimmt, um langfristig einen höheren Nutzen für alle zu schaffen. Durch die Berücksichtigung von politischer Expertise durch politische Stiftungen, Thinktanks, NGOs, parteiunabhängige Interessensgruppen und so weiter wird die strategische Fähigkeit der Politik erhöht, da sie sich weniger an den kurzfristigen Wahlzyklen orientiert, sondern sich stärker langfristigen Interessen widmen kann (Willke 2007, S. 167 ff.).
Für eine erfolgreichere Risikosteuerung in der Finanzwirtschaft ist eine bessere Berechenbarkeit von unerwarteten Nebenfolgen durch eine Kombination von privatem und öffentlichem Wissen notwendig. Diese Herausforderung könne nur in einem globalen Policy-Netzwerk gelöst werden, in dem marktliche und hierarchische Steuerungsformen kombiniert werden (Strulik 2000, S. 31 ff.).
Zur Vermeidung von Chaos ist eine richtige Balance zwischen Stabilität und Wandel zu finden, weshalb auch für die gesellschaftlichen Funktionssysteme diese Balance als größte Herausforderung zu sehen ist. Insbesondere die Kreativität des Finanzsystems führt tendenziell zu einem chaotischen Zustand. Da es aufgrund der Komplexität unmöglich sein wird, Ordnung herzustellen, müssen aus einer Global Governance Perspektive die internationalen Institutionen lernen, mit dieser Unordnung umzugehen und außer auf rein finanzielle Aspekte auch auf Nachhaltigkeit einzugehen. Auf der anderen Seite müssen sich auch NGOs und soziale Bewegungen stärker mit den wirtschaftlichen Zusammenhängen und den interdependenten Beziehungen zu gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen (Willke 2007, S. 205 f.).
Durch eine Kopplung von selbstreferenziellen Systemen kann eine neue emergente Ordnung entstehen, die mehr als die Summe seiner Teile ist. In Policy-Netzwerken, die die Erwartungssicherheiten durch Hierarchie mit der Vielfalt und Flexibilität des Marktes kombinieren, können solche emergenten Strukturen entstehen, da die Vorteile aus beiden Steuerungsformen genutzten werden können. Durch den Blick auf die eigenen blinden Flecken ist es möglich, dass die Operationsweise des Anderen berücksichtigt wird. Dies führt nicht nur zu einer Einschränkung der eigenen Entwicklung, sondern sorgt auch für die Erkenntnis, dass durch eine Begrenzung der Möglichkeiten mehr erreicht werden kann, da sie für beide einen größeren Nutzen erzeugt. Durch die Kooperation zwischen privaten Akteuren und der Politik wird die Politik nicht mehr als autoritärer Steuerungseingriff wahrgenommen, sondern dahin gehend, dass aus der gemeinsamen Übernahme von Verantwortung eine höhere Emergenz entstehen kann. Denn dann werden auch unerwartete Nebenfolgen unwahrscheinlicher (Strulik 2000, S. 128 ff.). Kontingenz wird dadurch reduziert und die Komplexitätsverarbeitungskapazität gesteigert.
Die Roadmap for a Sustainable Financial System (United Nations Environment Programme (UNEP) und World Bank Group 2017), der Green Finance Synthesis Report (G20 Green Finance Study Group 2016), die Empfehlungen der hochrangige Sachverständigengruppe zur nachhaltigen Finanzierung der Europäischen Kommission (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2017, 2018), der EU Aktionsplans „Finanzierung nachhaltiges Wachstum“ (European Commission 2018) geben Beispiele, wie die Politik eine stärkere begrenzte Reflexion der Gesellschaft im Wirtschaftssystem unterstützen kann. Zur Beschreibung, wie die Politik die begrenzte Reflexion stärken kann, wird daher auf die dort genannten Ansätze Bezug genommen. Dabei kann zwischen Soft-Law-Instrumenten, deren Nutzung eher auf Freiwilligkeit beruht, und direkten staatlichen Eingriffen unterschieden werden (Bril et al. 2021a, S. 6 f.).
Aus systemtheoretischer Sicht zählen zu den indirekten Steuerungsmaßnahmen für eine Wirtschaft mit begrenzter Reflexion solche Maßnahmen, die zu einer höheren Reflexion der Gesellschaft und zu einer Generalisierung durch Nachhaltigkeit beitragen. Direkte Steuerungsmaßnahmen für eine Wirtschaft mit begrenzter Reflexion sind Maßnahmen, die gesellschaftliche Themen wirtschaftlich relevant machen, wodurch es wirtschaftlich wird, die gesellschaftlichen Themen in der Wirtschaft zu berücksichtigen.

6.1.2 Die Politik kann eine stärkere Reflexion im Wirtschaftssystem unterstützen

Wie in Abschnitt 4.​5.​4 beschrieben, gibt es weiterhin die Herausforderung für Nachhaltigkeitsratings, dass die Transparenz bei Unternehmen und damit auch bei den Investoren nicht hoch genug ist. Die Politik kann durch Transparenzanforderungen eine höhere Reflexion der Gesellschaft in der Wirtschaft unterstützen.
Die meisten Regulierungen für eine höhere begrenzte Reflexion der Gesellschaft im Finanzsystem beziehen sich auf die Verbesserung der Transparenz (United Nations Environment Programme (UNEP) und World Bank Group 2017, S. 56).
Aus einer Studie von United Nations Environmental Programme (UNEP) et al. (2016) geht hervor, dass die Anzahl der Instrumente, die einen Anreiz schaffen, dass Organisationen mehr über die gesellschaftlichen Auswirkungen berichten, über die Jahre 2013 bis 2016 von 180 in 44 Ländern auf 400 Instrumente in 64 Ländern zugenommen haben. Ein Großteil der Instrumente, wie zum Beispiel staatliche Anforderungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, ist verpflichtend, aber der Anteil von verpflichtenden Instrumenten ist im Verhältnis zu freiwilligen Instrumenten – wie zum Beispiel freiwillige Leitlinien oder Standards zur Berichterstattung – von 72 % im Jahr 2013 auf 65 % im Jahr 2016 gesunken. Zudem hat die Anzahl der Instrumente, die einen Anreiz erzeugen, dass gesellschaftliche Aspekte auch im Geschäftsbericht adressiert werden, von 67 auf 127 zugenommen. Instrumente, die eine höhere Transparenz in Nachhaltigkeitsberichten bewirken zu versuchen, haben zwar auch zugenommen, aber nicht in dem Maße, wie die Anzahl der Instrumente, mit denen eine höhere Transparenz in Geschäftsberichten erzeugt werden soll (United Nations Environmental Programme (UNEP) et al. 2016, S. 10 ff.).
Es gibt eine Vielzahl an Initiativen zur Berichterstattung, die das Ziel einer Harmonisierung oder Integration von finanziellen und nichtfinanziellen Informationen verfolgen. Dabei wird angestrebt, dass nichtfinanzielle Informationen die Qualität von Finanzinformationen erreichen und genauso geprüft werden können. Eine integrierte Berichterstattung unterstützt qualitativ diese Harmonisierung, indem die Berichterstattung gesellschaftliche Aspekte mit der Unternehmensstrategie verknüpft (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 56).
Obwohl es ein großes Wachstum in der Anwendung von zahlreichen Berichterstattungsstandards gab, wird ein Mangel hinsichtlich Vergleichbarkeit, Konsistenz und Vollständigkeit festgestellt. Marktakteure sind sich einig, dass eine stärker standardisierte Berichterstattung von Unternehmen benötigt wird, damit Investoren und Dienstleister die gesellschaftlichen Auswirkungen der Unternehmen besser bewerten können (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 169).
Mit der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) (Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 2019) erzeugte die EU einheitliche Regeln für Finanzmarktakteure, wie die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken und -auswirkungen in den Prozessen transparent gemacht und wie Nachhaltigkeitsinformationen über Finanzprodukte bereitgestellt werden müssen.
Zur Verbesserung der Nachhaltigkeitstransparenz bei Unternehmen wurde die seit 2014 gültige Non Financial Reporting Directive (NFRD) (Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 2014) von der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) (Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 2022b) abgelöst. Sie gilt für mehr Unternehmen und gibt detailliertere Vorgaben, über welche Nachhaltigkeitsinformationen Unternehmen im Lagebericht berichten müssen. Im Sinne einer doppelten Wesentlichkeit müssen Unternehmen sowohl die Wirkung von Nachhaltigkeitsaspekten auf die wirtschaftliche Lage als auch die Auswirkungen der Tätigkeit des Unternehmens auf Mensch und Umwelt darstellen.
Zur Erhöhung der gesellschaftlichen Reflexion in der Wirtschaft kann die Politik mit regulatorischen Vorgaben die Transparenz der gesellschaftlichen Auswirkungen der Unternehmen erhöhen, sodass Nachhaltigkeitsratings eher in der Lage sind, diese gesellschaftlichen Auswirkungen und deren finanzielle Relevanz besser zu beurteilen. Zudem können die gesellschaftlichen Auswirkungen eher reflektiert werden, wenn Anreize bestehen, die Perspektive langfristiger auszurichten, wodurch gesellschaftliche Folgen und deren Rückwirkung auf die Wirtschaft eher ersichtlich werden. Wie in Abschnitt 5.​3 beschrieben, sorgen Nachhaltigkeitsratings durch ihre Anfragen für eine Erhöhung der Transparenz der Unternehmen, indem sie durch Interpenetration mit anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen kommunizieren. Die Auswahl an Themen ist abhängig vom Netzwerk der Nachhaltigkeitsratingagenturen und den Akteuren, die darin beteiligt sind. Durch die eher zufällig entstandene Evolution dieses Netzwerks ist die Auswahl der gesellschaftlichen Themen in gewisser Weise dem Zufall ausgesetzt. Die Politik kann dieses zufällige Abbild der Gesellschaft, das nur einen Bruchteil der Realität abbildet, durch einen gesellschaftlichen Diskurs über die Transparenzkriterien mit der Beteiligung einer Vielzahl an Akteuren vergrößern und die Legitimität der geforderten Informationen erhöhen.

6.1.3 Die Politik kann eine stärkere Generalisierung im Wirtschaftssystem unterstützen

Wie in Abschnitt 4.​2.​1 und 5.​3.​3 beschrieben, besteht die Gefahr, durch eine zu starke Reflexion eine Überlastung zu verursachen. Ein Bezug zu Nachhaltigkeit grenzt den Möglichkeitsraum von gesellschaftlichen Themen ein. Auch Nachhaltigkeitsratings nutzen den Bezug zu Nachhaltigkeit, um gesellschaftliche Themen auszuwählen (Abschnitt 5.​4). Die Politik kann mit der Unterstützung der Generalisierung durch Nachhaltigkeit zu einer Stabilisierung der Wirtschaft mit begrenzter Reflexion beitragen.
Die Politik vermag durch ihre integrative Funktion, die Generalisierung durch Nachhaltigkeit zu unterstützen. Voraussetzung dafür ist ein gemeinsames Verständnis hinsichtlich des angestrebten Ziels. Da die Politik kollektiv bindende Entscheidungen ermöglicht, kann sie andere gesellschaftliche Funktionssysteme beeinflussen. Das politische System besitzt den Vorteil, nicht wirtschaftlich kommunizieren zu müssen, weshalb es auch nichtwirtschaftliche Aspekte zur Erreichung von gesellschaftlichen und ökologischen Zielen einfordern kann. Obwohl es diese Ziele nicht alleine festzulegen vermag, kann es doch als Transmissionssystem dienen, Probleme, die in anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen bestehen, zu kommunizieren und die Resonanz für die Selbstgefährdung der Gesellschaft zu erhöhen. Sie hat das Potenzial, den Aufbau von gesellschaftlichen Zielen und globalen Prinzipien zu unterstützen, die über die Logik eines einzelnen gesellschaftlichen Funktionssystems hinausgehen (Luhmann 1986, S. 225 f.).
Die Politik kann daher durch ihre integrative Funktion eine Generalisierung unterstützten, die eine Orientierung bietet, damit gesellschaftliche Aspekte stärker in der Wirtschaft berücksichtigt werden. Mithilfe von politischen Rahmenwerken kann die Funktion der Finanzwirtschaft mit öffentlichen Zielen vereint werden. Mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen wäre es möglich, Nachhaltigkeit im Finanzsystem zu verankern (United Nations Environment Programme (UNEP) 2016, S. 31 ff.). Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen geben eine klare Orientierung, wie zukünftige Investitionen getätigt werden sollen, und gleichzeitig werden diese Investitionen zu einem wesentlichen Treiber des Wirtschaftswachstums (UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) 2017, S. 42). Auch die Europäische Union orientiert sich beim Aufbau eines Finanzsystems, das nachhaltiges Wachstum ermöglichen soll, besonders an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen und dem Pariser Klimaabkommen (European Commission 2018, S. 1).
Eine reine Orientierung an den Nachhaltigkeitszielen reicht nicht aus, da es nicht nur Synergien bei der Erreichung der Ziele gibt, sondern auch Zielkonflikte zwischen Zielen bestehen, die nur im Einzelfall aufgelöst werden können (Bril et al. 2021b, S. 6).
Es bedarf daher einer zusätzlichen Diskussion darüber, wie genau die Ziele erreicht werden sollen. Die hochrangige Sachverständigengruppe zur nachhaltigen Finanzierung der Europäischen Kommission hat daher empfohlen, dass ein einheitliches Klassifizierungssystem entwickelt werden soll, das mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen und dem Pariser Klimaabkommen verbunden ist. Das Klassifizierungssystem soll zeigen, wie Investitionen zu den politischen Zielen beitragen. Außerdem soll es eine bessere Vergleichbarkeit ermöglichen, wodurch ein höheres Vertrauen in nachhaltige Investitionen entstehen soll (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 15).
Mit dem Klassifizierungssystem sollen eine gemeinsame Sprache und eine klare Definition gefunden werden, was unter „nachhaltig“ zu verstehen ist. Im „EU-Aktionsplan Finanzierung nachhaltiges Wachstum“ gilt das Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten als wichtigste Maßnahme des Aktionsplans. Das Klassifizierungssystem soll Kapitalströme in nachhaltige Sektoren, die sich finanzieren müssen, fördern, indem Kriterien und Grenzwerte definiert werden, die als Orientierung dienen, welche Aktivitäten tatsächlich zu den ökologischen und sozialen Zielen beitragen (European Commission 2018, S. 5).
Die Taxonomie-Verordnung zum Klimawandel wurde am 18. Juni 2020 verabschiedet und veröffentlicht. In der Taxonomie werden Grenzwerte für Wirtschaftsaktivitäten festgelegt, die einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung von Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leisten, ohne dabei eine negative Auswirkung auf die anderen Umweltziele zu erzeugen. Darüber hinaus müssen soziale Mindeststandards, die sich insbesondere auf OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte beziehen, eingehalten werden, damit die Wirtschaftsaktivität als nachhaltig deklariert werden kann (Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 2020).
Eine wesentliche Kritik gegenüber der EU-Taxonomie besteht darin, dass im ersten Schritt zwar das Ziel des Pariser Klimabekommen berücksichtigt wird, die Taxonomie aber nicht darauf ausgerichtet ist, Finanzströme in Maßnahmen zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu lenken (Nedopil Wang et al. 2020).
Zudem wurde die nachträgliche Entscheidung der EU-Kommission, Gas- und Atomenergie unter bestimmten Voraussetzungen als nachhaltige Wirtschaftsaktivität zu klassifizieren, (Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 2022a) kritisiert.
Im Vorfeld sprach sich die EU Platform on Sustainable Finance (2022) gegen eine Berücksichtigung von Gas- und Atomenergie aus, da diese Entscheidung nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert. Die Klassifikation von Gas- und Atomenergie als nachhaltige Wirtschaftsaktivität könnte zu Greenwashing von Investitionen führen, wodurch nicht-nachhaltige Projekte gefördert würden.
Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Glaubwürdigkeit der EU-Taxonomie darunter leidet. Mit ihren einheitlichen Definitionen bietet die EU-Taxonomie eine klare Orientierung, wie Klimaziele erreicht werden können. Sie schafft Klarheit, wie der Möglichkeitsraum des Wirtschaftssystems eingeschränkt werden kann und welche gesellschaftlichen Themen berücksichtigt werden sollen. Zwar verhindert der starke Fokus auf Klima und Umweltthemen eine Verbesserung der Entwicklungsmöglichkeiten des Teils der Umwelt und der gesellschaftlichen Funktionssysteme, der davon nicht betroffen ist. Grundsätzlich birgt die EU-Taxonomie jedoch durch diese starke Entscheidungssicherheit ein großes Potenzial, die Evolution zu einer Wirtschaft mit begrenzter Reflexion zu unterstützen. Es bleibt abzuwarten, welche Resonanz diese Irritation des politischen Systems in wirtschaftlichen Organisationen auslöst und welche Rückkopplungen daraus entstehen.
Insgesamt sorgt die Generalisierung von Nachhaltigkeit durch globale Nachhaltigkeitsziele, die mithilfe der Politik abgestimmt wurden, für eine Beschränkung der gesellschaftlichen Reflexion, wodurch Nachhaltigkeit besser operationalisiert und damit leichter in wirtschaftlichen Entscheidungen berücksichtigt werden kann. Eine wesentliche Orientierung für eine Beschränkung der Reflexion auf internationaler Ebene bieten besonders die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (United Nations 2015) –oder auf europäischer Ebene die Erarbeitung eines Klassifizierungssystems für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten (Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 2020). Beide Ansätze gehen über reine Transparenzstandards hinaus, da sie konkrete Ziele vorgeben und bestimmen, in welchen gesellschaftlichen Bereichen was erreicht werden soll. Dies basiert auf einem Multi-Stakeholder-Dialog, der sicherstellt, dass alle wesentlichen gesellschaftlichen Funktionssysteme berücksichtigt werden, wodurch gesellschaftliche Legitimität erzeugt wird. Im Gegensatz zu den Zielen der Vereinten Nationen werden in der EU-Taxonomie durch den Fokus auf nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten die Selektionsmöglichkeiten der Gesellschaft in Bezug auf das Wirtschaftssystem definiert. Allerdings fokussiert sich die EU-Taxonomie überwiegend auf Klimawandel und Umwelt, während die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen eine Vielzahl an unterschiedlichen gesellschaftlichen Themen abdecken. Eine umfangreiche Standardisierung zur Nachhaltigkeit, die eine beschränkte Reflexion für das Wirtschaftssystem international ermöglicht, gibt es allerdings bisher nicht.
Wie in Abschnitt 4.​4.​1 beschrieben, orientieren sich auch Nachhaltigkeitsratings an diesen Nachhaltigkeitszielen, allerdings erfolgen Auswahl und Priorisierung von gesellschaftlichen Themen besonders durch die Nachhaltigkeitsratingagenturen selbst. Damit haben die Nachhaltigkeitsratingagenturen einen starken Einfluss, wie die Kapitalallokation im Wirtschaftssystem erfolgt. Die Politik kann mit konkreten Vorgaben, welche Nachhaltigkeitsziele priorisiert werden, daher nicht nur Sicherheit schaffen, sondern auch durch einen politischen Diskurs ein gesellschaftlich legitimiertes einheitliches Verständnis schaffen, welche gesellschaftlichen Aspekte wie in die Finanzwirtschaft Eingang finden sollen. Dadurch können Kapitalströme und damit die Zahlungsfähigkeit und Zahlungen so beeinflusst werden, dass die Entwicklungsmöglichkeiten der Umwelt der Wirtschaft und der anderen gesellschaftlichen Funktionssysteme wiederhergestellt und verbessert werden.

6.1.4 Die Politik kann sinnvolle Entscheidungen im Wirtschaftssystem unterstützen

Neben einer indirekten Förderung der gesellschaftlichen Reflexion und Generalisierung von Nachhaltigkeit impliziert die Politik jedoch auch die Möglichkeit, eine begrenzte Reflexion in Entscheidungen zu unterstützen. Wie bereits in Abschnitt 4.​3.​1 beschrieben und im Rahmen der empirischen Auswertung durch Nachhaltigkeitsratings in Abschnitt 5.​5.​3 bestätigt, gibt es gesellschaftliche Themen, die aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Relevanz bisher nicht in wirtschaftlichen Entscheidungen berücksichtigt werden können. In dem Fall ist eine politische Unterstützung notwendig, da es der Markt in seiner Steuerungsfunktion verhindert, gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Das Wirtschaftssystem ist dann nicht in der Lage, die Irritationen der Umwelt in der Systemlogik mit dem binären Code aus Zahlungen und Nichtzahlungen zu verarbeiten.
Aus Sicht des Business Case für Nachhaltigkeit kann der Einfluss der Gesellschaft auf den Unternehmenserfolg sowohl marktlich als auch außermarktlich erfolgen. Der marktliche Charakter von gesellschaftlichen Themen beruht vor allem auf der Einstellung und dem Verhalten von Konsumenten. Über den Marktprozess haben diese gesellschaftlichen Themen eine direkte Auswirkung auf den Unternehmenserfolg. Viele Gesellschaftsthemen, beispielsweise Kinderarbeit, sind jedoch nicht marktlicher Natur, sondern entstehen innerhalb des rechtlichen und des gesellschaftlichen Umfelds. Diese Themen können jedoch beispielsweise über eine Diskussion in den Medien marktrelevant werden und beispielsweise zu Umsatzeinbrüchen führen. Außermarktliche Aspekte können aber auch gesellschaftliche und politische Prozesse wie Gesetzesänderungen beeinflussen, die sich dann wiederum auf den Unternehmenserfolg auswirken (Schaltegger und Hasenmüller 2005, S. 5). Wenn also gesellschaftliche Themen nicht marktrelevant sind, können sie durch den Marktprozess in Form von Reputationsrisiken indirekt wirtschaftlich relevant werden. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist, kann nur durch politische Regulierung die Wirtschaftlichkeit des Gesellschaftsthemas erzeugt werden. Erst dadurch ist die Wirtschaft in der Lage, den Gesellschaftsaspekt in ihrer Logik zu berücksichtigen.
Damit Unternehmen auch zukünftig stärkere Anreize für die Berücksichtigung von gesellschaftlichen Themen erhalten, ist ein intensiver Dialog zwischen Wirtschaft und Politik notwendig, denn die Politik muss die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so gestalten, dass eine langfristige Planungssicherheit besteht (Schaltegger und Hasenmüller 2005, S. 15 f.). Mit einer unterstützenden Regulierung können Unternehmen Möglichkeiten eröffnet werden, einen Shared Value (siehe Abschnitt 4.​3.​1) zu schaffen (Kramer und Porter 2011, S. 14). Neben der Frage, wie Investoren durch ihre Investitionsentscheidungen einen Shared Value erzeugen können, sollte auch die Zivilgesellschaft umdenken, wie sie als strategischer Partner mit den Unternehmen zu einem Shared Value beitragen kann (Porter und Kramer 2015, S. 158). Auch NGOs und Regierungen müssen lernen, ökonomische Aspekte zu berücksichtigen (Kramer und Porter 2011, S. 12 f.).
Aufgrund der Finanzkrise wurden öffentliche Ausgaben erhöht, die Potenzial für nachhaltige Investitionen bieten (United Nations Environment Programme (UNEP) 2016, S. 36). Staatliche Ausgaben können zur Finanzierung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen verwendet werden (United Nations Environment Programme (UNEP) 2016, S. 57). Dadurch können Finanzierungslücken zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele geschlossen werden. Zum Beispiel sollen im Rahmen des European Green Deal Investment Plan mindestens eine Billion Euro innerhalb des nächsten Jahrzehnts für nachhaltige Investments mobilisiert werden. Dafür wird ein Rahmenwerk entwickelt, mit dem sowohl öffentliche als auch private Investments für den Wandel zu einer klimaneutralen, grünen, wettbewerbsfähigen und inklusiven Wirtschaft ermöglicht werden sollen (European Commission 2020). In der Maßnahme zur Förderung von Investitionen in nachhaltige Projekte (European Commission 2018, S. 7) sollen die Instrumente zur nachhaltigen Finanzierung mit dem Sustainable Europe Investment Plan (European Commission 2020), InvestEU (European Commission 2019) und anderen relevanten EU-Fonds verknüpft werden.
Außer durch öffentliche Finanzen kann eine stärkere begrenzte Reflexion in wirtschaftlichen Entscheidungen auch durch Regulierung unterstützt werden (United Nations Environment Programme (UNEP) und World Bank Group 2017, S. 49 ff.). Die Politik kann die begrenzte Reflexion bei wirtschaftlichen Entscheidungen unterstützen, indem sie nichtwirtschaftliche Gesellschaftsthemen über die Internalisierung externer Kosten vermarktlicht (Pigou 1929; Coase 1960). Diese Maßnahmen bedeuten eine direkte Übersetzung der politischen Ziele in den wirtschaftlichen Code, weshalb sie vom Wirtschaftssystem direkt verarbeitet werden können. Sie finden sofortigen Eingang in die Entscheidungen.
Externalitäten können für nachhaltige Investments positiv sein, wenn durch sie bei Dritten ein Vorteil erzeugt wird. Externalitäten können sich jedoch auch negativ auswirken, wenn Dritten durch negative Aktivitäten ein Schaden zugefügt wird. Wenn externe Kosten nicht ausreichend internalisiert werden, führt das zu einer Unterinvestierung in positive und einer Überinvestierung in negative Aktivitäten (G20 Green Finance Study Group 2016, S. 10). Da das Finanzsystem bisher nicht vollständig auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ausgerichtet ist, haben Investoren durch Externalitäten und andere Marktversagen an vielen Stellen keine Anreize, gesellschaftliche Themen zu berücksichtigen (UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) 2016, S. 12). Dies betrifft beispielsweise die Steuer- und Subventionspolitik, in der Externalitäten nicht ausreichend berücksichtigt werden (UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) 2016, S. 15). Viele Steuern und Subventionen wurden ohne Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Gesellschaft oder die Umwelt verabschiedet (United Nations Environment Programme (UNEP) 2015, S. 25). Nach Earth Track (2022) gab es im Jahr 2021 weltweit 1,9 Billionen US-Dollar Subventionen für Maßnahmen, die die Flora und Fauna zerstörten oder den Klimawandel verstärkten, was ungefähr 2 % des weltweiten Bruttoinlandsproduktes entspricht. Es sollte von der Politik daher nicht nur sichergestellt werden, dass mehr Kapital in nachhaltige Aktivitäten strömt, sondern es sollte auch verhindert werden, dass Finanzströme in nicht nachhaltige Aktivitäten fließen, wie dies beispielsweise durch die Förderung und Subvention von fossilen Energien in vielen Ländern noch der Fall ist (United Nations Environment Programme (UNEP) und World Bank Group 2017, S. 52). Damit die Finanzwirtschaft und die Realwirtschaft gemeinsam zu den Nachhaltigkeitszielen beitragen, ist es notwendig, dass die externen Effekte insbesondere in der Realwirtschaft internalisiert werden (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 11), denn das Finanzsystem kann die sehr fundamentalen Anreize der Politik über Steuern und Subventionen nicht ersetzen (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 11). Zum einen ist das Finanzsystem nicht in der Lage, gesellschaftliche Themen wirtschaftlich relevant zu machen. Zum anderen kann das Wirtschaftssystem nur gesellschaftliche Aspekte, die mit der Logik des wirtschaftlichen Codes kompatibel sind, verarbeiten. Daher kann nur die Politik dafür sorgen, dass nichtwirtschaftliche Gesellschaftsaspekte in der Wirtschaft berücksichtigt werden.
Dies kann durch klassische umweltpolitische Instrumente (Perman et al. 2011, S. 177 ff.) erreicht werden. Ordnungsrechtliche Politikinstrumente wie Auflagen können zwar sicherstellen, dass die gewünschten Nachhaltigkeitsziele erreicht werden, aber garantieren nicht, dass dies kosteneffizient geschieht, da nicht berücksichtigt wird, wo die Umweltwirkungen kostengünstiger erzielt werden. Da nur Kosten entstehen, ergibt sich auch kein Anreiz, Innovationen zur Verbesserung der Umweltwirkung zu entwickeln, da eine Übererfüllung der Auflage nicht honoriert wird.
Markbasierte Instrumente wie Steuern und Subventionen sind kosteneffizienter, da die Internalisierung von Externalitäten dazu führt, dass bei einer höheren negativen Auswirkung auch mehr Steuern bezahlt werden müssen oder bei einer höheren positiven Auswirkung mehr Subventionen zu erhalten sind. Dies erzeugt den Anreiz, die Umweltwirkungen so lange zu reduzieren, bis die Kosten der Innovation zur Verbesserung der Umweltwirkung höher sind als die Kosten für die Steuern, die für die Umweltwirkung gezahlt werden müssen bzw. bis die Kosten der Innovation zur Verbesserung der Umweltwirkung höher sind als die Subventionen, die man erhält. Dadurch sind die Grenzvermeidungskosten bei allen Unternehmen gleich. Ein falsch gewählter Steuer- oder Subventionssatz kann dazu führen, dass das gewünschte Nachhaltigkeitsziel nicht erreicht wird (Baumol 1972).
Im Gegensatz zu dieser marktwirtschaftlichen Preislösung kann ein Emissionsrechtehandel als Mengenlösung sowohl die Zielerreichung als auch die Kosteneffizienz sicherstellen. Eine konkrete Emissionsvorgabe bedingt eine hohe Treffsicherheit hinsichtlich der gesetzten Nachhaltigkeitsziele. Mit dem Handel der vergebenen Zertifikate wird ein selbststeuernder Marktmechanismus verwendet, da die Unternehmen, die geringe Reduktionskosten haben, Emissionen reduzieren und an Unternehmen verkaufen können, für die es günstiger ist, die Zertifikate zu kaufen als Emissionen zu reduzieren (Dales 1968).
Ein neuerer Ansatz kommt von der hochrangigen Sachverständigengruppe zur nachhaltigen Finanzierung der Europäischen Kommission, die empfiehlt, die Kapitalanforderungen für Unternehmen des grünen Sektors zu reduzieren, um die finanzielle Attraktivität zu steigern und die Kreditvergabe zu erleichtern. Die Berechtigung eines solchen grünen Unterstützungsfaktors wird darin gesehen, dass grüne Projekte und Aktivitäten ökologische Risiken reduzieren und damit positive Externalitäten erzeugen (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 68). Darüber hinaus überlegte die hochrangige Sachverständigengruppe zur nachhaltigen Finanzierung der Europäischen Kommission auch, einen braunen Straffaktor einzuführen (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 68). Die Kommission sollte überprüfen, ob ein grüner Unterstützungsfaktor aus einer Risikoperspektive gerechtfertigt ist. Zudem sollte untersucht werden, wie die Implementierung möglich ist und wie Nebenwirkungen verhindert werden können (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 69).
Aus Sicht des Autors können mit politisch geförderten Finanzierungsmöglichkeiten bei geringeren negativen oder höheren positiven gesellschaftlichen Auswirkungen Unternehmen mehr Kapital zur Verfügung gestellt werden, um die Renditeerwartungen erreichen zu können und ihre Zahlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Hier erfolgt ein Eingriff in den Selbststeuerungsprozess des Marktes. Dies könnte als künstliche Marktverzerrung verstanden werden, die zu einer Ineffizienz des Marktes führt, da aus kurzfristiger Wirtschaftsperspektive Unternehmen, die gut wirtschaften, aber keine gesellschaftlichen Aspekte berücksichtigen, benachteiligt werden. Aus einer langfristigen Perspektive, die der Markt nur über die Kundenpräferenzen und sonstigen politischen Regulierungen wahrnimmt, werden durch diesen politischen Eingriff zukünftige finanzielle Effekte infolge der Auswirkungen auf die Gesellschaft schon heute stärker berücksichtigt. Dies bietet die Chance, die Wirtschaft dabei zu unterstützen, sich aus seiner pathologischen Selbstreferenz zu lösen und die Selbstgefährdung der Gesellschaft zu verhindern. Aufgrund der Irritation seitens der Politik mit dem direkten finanziellen Effekt entstehen eine sofortige Resonanz in der Wirtschaft und ein Anreiz, den Selbststeuerungsprozess des Marktes auf Nachhaltigkeit auszurichten. Mit der Beeinflussung der Rendite, die eine Reflexion der Zahlungsfähigkeit darstellt, erfolgt ein Eingriff an der sensibelsten Stelle des Wirtschaftssystems. Diese Stelle bietet die Möglichkeit, mit einem einzelnen Eingriff eine Verschiebung von Kapitalströmen in unfassbarer Höhe zu leisten, wodurch ein Potenzial mit einer enormen Steuerungswirkung existiert.
Eine Kombination der wirtschaftlichen Selbststeuerung durch die begrenzte Reflexion der Nachhaltigkeitsratings mit den bisherigen direkten wirtschaftspolitischen Steuerungsinstrumenten kann dabei helfen, die Kontingenz und Unsicherheit der gesellschaftlichen Komplexität zu reduzieren. Während die bisherigen politischen Steuerungselemente meist eindimensional und wenig dynamisch waren, sind Nachhaltigkeitsratings mehrdimensional und können durch eine Veränderung der bewerteten Gesellschaftsthemen und Gewichtungen flexibel angepasst werden. Durch die Annahme der Kommensurabilität, also der Verrechenbarkeit von unterschiedlichen Einheiten, liegt ein schwaches Nachhaltigkeitsverständnis vor, da davon ausgegangen wird, dass negative gesellschaftliche Auswirkungen mit positiven gesellschaftlichen Auswirkungen kompensiert werden können. Durch die begrenzte Reflexion der Nachhaltigkeitsratings mit einem Fokus auf Themen, die finanziell wesentlich sind, wird es möglich, aus mehreren unterschiedlichen Faktoren eine einheitliche Beschreibung zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Unternehmen zu finden. Da einige Investoren nachhaltige Unternehmen vorteilhaft behandeln, während nicht nachhaltige benachteiligt werden, kann diese Reallokation der Ressourcen zu höheren Refinanzierungskosten der Unternehmen führen, was auf die Unternehmen eine steuernde Wirkung haben kann. Durch die höheren Kosten werden Unternehmen dahin bewegt, sich in den Bereichen zu verbessern, die den höchsten gesellschaftlichen Nutzen mit geringstem finanziellem Aufwand erzeugen. Damit werden Nachhaltigkeitsziele nicht irgendwie, sondern möglichst effizient angestrebt. Maßnahmen werden dort umgesetzt, wo dies für das Wirtschaftssystem am schnellsten und am leichtesten möglich ist. Im Vergleich zu Instrumenten wie dem Zertifikatehandel, der sich nur auf einen Faktor und einen Bereich bezieht, können so mehrere Bereiche mit unterschiedlichen Themen gleichzeitig gefördert werden. Zudem muss kein konkreter Preis für eine Externalität ermittelt werden, da sich die monetäre Bedeutung für die Unternehmen über die Refinanzierungskosten ergibt. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Zielwert für die betrachteten Themen bestimmt wurde, der eine künstliche Knappheit erzeugt. Ein größerer Abstand vom Zielwert würde dementsprechend höhere Refinanzierungskosten verursachen. Im Vergleich zum Emissionsrechtehandel können dadurch nicht nur Maßnahmen auf unterschiedliche Branchen oder Unternehmen paretooptimal verteilt werden, sondern es wird auch möglich, dass innerhalb einer Branche oder einem Unternehmen priorisiert werden kann, welche Themen am ehesten bearbeitet werden. Die Politik kann diesen Prozess beschleunigen und verstärken, indem sie die durch Maßnahmen wie grüne Unterstützungsfaktoren die Refinanzierungskosten für Unternehmen mit positiven gesellschaftlichen Auswirkungen senkt beziehungsweise mit negativen gesellschaftlichen Auswirkungen erhöht. Dadurch wird es wirtschaftlicher Maßnahmen zur Verbesserung der gesellschaftlichen Auswirkungen umzusetzen, und es werden in der Realwirtschaft Innovationen zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele erleichtert. Der effizienzorientierte Fokus der Unternehmen bedeutet jedoch auch, dass sich die Unternehmen besonders auf die Themen fokussieren, die für sie am wirtschaftlichsten umsetzbar sind, was wiederum dazu führt, dass gesellschaftliche Themen, die keine wirtschaftliche Relevanz haben, möglicherweise nicht bearbeitet werden. Damit gesellschaftliche Ziele, die besonders schwierig zu erreichen sind, nicht vollständig vernachlässigt werden, reicht es daher nicht aus, einen Zielwert zu bestimmen, sondern es muss auch eine Einigung über die Priorisierung der gesellschaftlichen Themen geben. Denn erst über eine Gewichtung kann eine unterschiedliche Auslotung zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen erfolgen. Mit einer höheren Gewichtung wird eine höhere gesellschaftliche Dringlichkeit suggeriert. Damit spielt ein Mangel bei einem gesellschaftlichen Thema mit einer höheren Gewichtung eine größere Rolle für das Gesamtergebnis und hat damit auch eine höhere Bedeutung für die Refinanzierungskosten des Unternehmens. Unternehmen wird damit ein Anreiz gegeben, sich nicht nur in den wirtschaftlichen Gesellschaftsthemen, sondern auch in den Themen zu verbessern, die aus gesellschaftlicher Sicht eine gewisse Dringlichkeit haben oder aus anderen Gründen priorisiert wurden. Durch die stärkere Gewichtung tragen sie auch mehr zu den Refinanzierungskosten bei, weshalb sich die Umsetzung einer Maßnahme, die im Vergleich zu Maßnahmen für andere gesellschaftliche Themen relativ teurer ist, dennoch umzusetzen lohnt. Zur Reduktion des Risikos, dass die Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht werden, sollte die Politik daher nicht nur eine erleichterte Kreditvergabe an Unternehmen mit geringen negativen und hohen positiven gesellschaftlichen Auswirkungen erleichtern und eine höhere Reflexion durch eine stärkere Transparenz erzeugen, sondern auch mit einer Konkretisierung der Generalisierung durch Nachhaltigkeit bei der Auswahl und Priorisierung der gesellschaftlichen Themen mitwirken. Es ist klar, dass damit auch immer das Risiko verbunden ist, dass die Steuerungseingriffe zu unerwarteten Nebenfolgen führen und durch einen falschen Anreiz ein Schaden entsteht. Auf der anderen Seite steht die Menschheit einer gesellschaftliche Selbstgefährdung gegenüber, die eine schnelle und damit auch umfangreiche Veränderung der wirtschaftlichen Operationsweise notwendig macht. Am Ende muss im Einzelnen abgewogen werden, ob die Schäden durch unerwartete Folgen der Steuerung möglicherweise höher sind, als die Schäden der gesellschaftlichen Auswirkungen, die durch Unterlassung einer Steuerung oder durch zu geringe Steuerungsambitionen entstehen. Die immer weiter zunehmenden Gefahren für die Gesellschaft deuten aber darauf hin, dass ein höheres Steuerungsrisiko eingegangen werden kann.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Politik indirekt durch Verbesserung der gesellschaftlichen Reflexion und der Generalisierung von Nachhaltigkeit einen Beitrag zu einer Wirtschaft mit begrenzter Reflexion leisten kann.
Durch Transparenzanforderungen kann die Politik eine höhere gesellschaftliche Reflexion ermöglichen, wodurch die gesellschaftlichen Auswirkungen bekannt werden und ersichtlich wird, an welchen Stellen die Wirtschaft die Möglichkeiten anderer gesellschaftlicher Funktionssysteme einschränkt. Durch einen gesellschaftlichen Diskurs über die gesellschaftlichen Themen kann die Politik mehr Aspekte berücksichtigen, als die Nachhaltigkeitsratings über ihr zufällig entstandenes Netzwerk.
Zum Schutz vor einer Überlastung sollte die Reflexion jedoch beschränkt werden. Hier kann die Politik durch die Generalisierung in Form von Nachhaltigkeitszielen die Vielzahl an möglichen gesellschaftlichen Themen einschränken. Sie sollte jedoch auch eine Ebene tiefer eine Priorisierung der gesellschaftlichen Themen für die Wirtschaft vornehmen, damit gesellschaftliche Themen, die zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele notwendig sind, nicht vernachlässigt werden. Da Nachhaltigkeitsratings die Auswahl und Gewichtung der Themen im Wesentlichen selbst festlegen, kann die Politik durch einen gesellschaftlichen Diskurs einen Konsens erzeugen, wodurch die Auswahl und Priorisierung der Themen gesellschaftlich legitimiert wird. Aufgrund der höheren Transparenz durch die stärkere Reflexion und der deutlicheren Priorisierung der Nachhaltigkeitsziele wird auch die Steuerungswirkung durch Nachhaltigkeitsratings verbessert. Mit Hilfe von Transparenzpflichten kann die gesellschaftliche Reflexion gesteigert und mit Standards die Generalisierung durch Nachhaltigkeit gefestigt werden.
Da das Wirtschaftssystem nicht in der Lage ist, alle gesellschaftlichen Auswirkungen zu berücksichtigen, entstehen weiterhin negative Auswirkungen auf die Umwelt. Die Politik muss die Selbststeuerung des Wirtschaftssystems daher mit zusätzlichen Maßnahmen direkt unterstützen. Neben einer reinen Empfehlung der Politik hinsichtlich der zu berücksichtigen Themen der Gesellschaft in der Wirtschaft kann sie die Wahrscheinlichkeit der Berücksichtigung erhöhen, indem sie die bisher nicht wirtschaftlich relevanten Gesellschaftsthemen wirtschaftlich macht. Durch die Internalisierung von Externalitäten werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass gesellschaftliche Aspekte in der Logik der Wirtschaft berücksichtigt werden können, da sie dadurch zahlungsrelevant werden. Diese Maßnahmen werden das Wirtschaftssystem mit hoher Wahrscheinlichkeit beeinflussen, da sie den Wirtschaftscode direkt ansprechen. Allerdings können auch unerwartete Nebenfolgen entstehen, die potenziell weitere negative gesellschaftliche Folgen mit sich bringen.
Der größte Hebel besteht jedoch nicht in der direkten Beeinflussung der Zahlungen, sondern in der direkten Beeinflussung der Zahlungsfähigkeit. Durch vergünstigte Kredite oder eine verbesserte Darstellung der Kreditwürdigkeit können Unternehmen mit geringeren negativen gesellschaftlichen Auswirkungen oder höheren positiven gesellschaftlichen Auswirkungen eine höhere Rendite erzielen und erhalten damit eine bessere Zahlungsfähigkeit. Die Bewertung der gesellschaftlichen Auswirkungen der Nachhaltigkeitsratings bietet die Möglichkeit, mit einem Steuerungseingriff eine Vielzahl an gesellschaftlichen Themen zu adressieren und sich flexibel an die Gegebenheiten und Entwicklungen anzupassen. Zudem werden gesellschaftliche Themen untereinander priorisiert und damit wirtschaftlich effizient bearbeitet. Damit die wesentlichen Themen nicht nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgewählt werden, sondern die Auswahl den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht, sollte die Politik klare Nachhaltigkeitsziele festlegen und die Priorisierung für die Wirtschaft koordinieren. Dadurch wird ein Anreiz für Innovationen zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele geschaffen. Die Vermeidung von Schäden sollte jedoch nicht durch potenzielle Schäden aus unerwarteten Nebenfolgen des Steuerungseingriffes konterkariert werden.
Politik kann durch eine Förderung der gesellschaftlichen Reflexion und der Generalisierung von Nachhaltigkeit indirekte die Selbststeuerung des Wirtschaftssystems unterstützen. Ein direkter Einfluss der Politik auf das Wirtschaftssystem besteht in der Veränderung der Bedingungen von Zahlungen und der Zahlungsfähigkeit. Zur Berücksichtigung von nicht wirtschaftlichen Gesellschaftsthemen ist das Wirtschaftssystem auf solche Eingriffe angewiesen.

6.2 Begrenzte Reflexion ermöglicht ein neues Komplexitätsniveau der Gesellschaft

Zur Einordnung der Bedeutung von Nachhaltigkeitsratings für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft wird die begrenzte Reflexion, die sie im Wirtschaftssystem ermöglichen, in einen abstrakteren Kontext der Systemtheorie gestellt, indem eine Verbindung zu den grundlegenden Annahmen der Systemtheorie hergestellt wird.
In diesem Kapitel wird daher beschrieben, welche Bedeutung eine begrenzte Reflexion für die gesellschaftliche Entwicklung hat. Da die Systemtheorie ihren Ursprung in den Naturwissenschaften hat (Bertalanffy 1968; Parsons 1971), wird für eine Anknüpfung der begrenzten Reflexion an die abstrakten grundlegenden Überlegungen der Systemtheorie auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen, indem das Konzept der Entropie auf die gesellschaftliche Evolution und Sinnsysteme übertragen wird. Daraus wird ersichtlich, dass die gesellschaftliche Reflexion von Netzwerken in einer Verbindung mit der Generalisierung durch Nachhaltigkeit zu einer Kombination aus Einheit und Vielfalt führt, die eine Emergenz erzeugt, mit der die Gesellschaft ein neues Komplexitätsniveau erreicht, wodurch sie Kontingenz besser verarbeiten kann.
In Abschnitt 2.​1 wurde bereits beschrieben, dass die Herausforderung der modernen ausdifferenzierten Gesellschaft nicht in Komplexität, sondern in der daraus resultierenden Kontingenz besteht, da jede Komplexitätsreduktion mit einem Komplexitätsaufbau einhergeht. Zur Beschreibung, wie Kontingenz in der Gesellschaft aufgelöst werden kann, soll einerseits der Blick auf den Begriff der Entropie gerichtet werden, andererseits geht der Blick auch in die Vergangenheit, wie im Verlauf der gesellschaftlichen Evolution mit Kontingenz umgegangen wurde.
Für die Weiterentwicklung auf der abstraktesten Ebene der Systemtheorie wird auf die Grundlagen der Systemtheorie zurückgegriffen, die in den Naturwissenschaften zu finden sind. Dazu gehören die Thermodynamik und die Auseinandersetzung mit Entropie (Porr 2002, S. 4). Der Ursprung von Entropie liegt in der statischen Physik, in der sie als eine physikalische Größe verwendet wird. Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik gibt es keine Maschine, die die zugeführte Wärme vollständig in Arbeit überführen kann, sondern ein Teil der Wärme wird immer an die Umwelt abgegeben (Planck 1897). In jedem Energieumwandlungsprozess wird also nicht mehr nutzbare Energie irreversibel abgegeben, weshalb ein Perpetuum mobile unmöglich ist (Clausius 1867). Nach Boltzmann (1877) kann Entropie daher auch als Maß verstanden werden, das die Unordnung der Bewegungen eines Systems beschreibt. In den Sozialwissenschaften wird als Maß für eine soziale Unordnung auch „soziale Entropie“ (Wöhlcke 2003) verwendet. In der Informationstheorie wird Entropiezunahme als ein Informationsverlust verstanden (Lewis 1930). Shannon (1948) verwendet Entropie als ein Maß für den Informationsgehalt einer Nachricht. Je mehr Zeichen von einer Quelle ausgehen, desto höher ist der Informationsgehalt, da dadurch gleichzeitig die Unsicherheit über die Information reduziert wird.
Auch für Luhmann und Baecker (2009, S. 44 f.) stellt sich aufgrund des zweiten Grundsatzes der Thermodynamik die Frage, wie Systeme sich trotz Entropie dauerhaft erhalten können und Ordnung möglich ist. Dieser Annahme liegt jedoch ein geschlossenes System zugrunde, insofern kein Austausch mit der Umwelt stattfindet. Luhmann geht bei Sinnsystemen jedoch von offenen Systemen aus, weil durch den Import von „Negentropie“ (Luhmann und Baecker 2009, S. 45) die Entropie kompensiert werden kann, was aber nicht immer der Fall muss. Das heißt, Sinnsysteme beziehen Informationen aus der Umwelt und interpretieren Unerwartetes. Sie sind in ein Netzwerk mit anderen Sinnsystemen eingebaut, das auch auf das informationsverarbeitende System reagiert. Die systemtheoretische Antwort auf Entropie besteht daher in einem Austauschprozess zwischen System und Umwelt. Diese systemtheoretischen Überlegungen sollen mit weiteren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zur Entropie ergänzt werden.
Wenn beim Universum von einem geschlossenen System ausgegangen wird, ist anzunehmen, dass durch maximale Entropie ein thermisches Gleichgewicht des Universums entsteht, das so statisch ist, dass es einen Wärmetod erleidet (Thomson 1862). Es stellt sich also die Frage, warum das Universum trotz Entropie noch existiert und wie auch operativ geschlossene Systeme, wie sie Luhmann eigentlich annimmt, sich nachhaltig erhalten können. Nach dem Maximum Entropy Production Principle (MEPP), das sowohl in der Physik, Chemie und Biologie diskutiert wird, entwickeln sich Systeme, die sich nicht im Gleichgewicht befinden, so, dass sie unter den gegeben Umständen ein Maximum an Entropie erzeugen (Martyushev und Seleznev 2006). Das System wird daher nicht nur, wie vom 2. Grundsatz der Thermodynamik beschrieben, Entropie erzeugen, sondern auch einen Zustand erreichen, in dem die Entropie am höchsten ist (Ziegler 1983). Aus Sicht der biologischen Evolution entwickelt sich die Evolution in eine Richtung, in der der Gesamtenergiefluss durch das System mit den gegebenen Einschränkungen am höchsten ist. Das heißt, Arten, die den Anteil des gegebenen Energieflusses am effizientesten für ihr Wachstum und ihre Existenz nutzen, werden ihre Bevölkerung steigern, wodurch der Energiefluss durch das System steigt. Solange die Energiequelle nicht ausgeschöpft ist, wird die Evolution den Pfad der maximalen Entropieproduktion einschlagen (Lotka 1956).
Wenn die verfügbare Energie jedoch verbraucht ist, gibt es durch die Evolution eine schnelle und schrittweise Anpassung mittels der Optimierung der Strukturen, wodurch die Entropie reduziert wird. Wenn das System sich somit in der Nähe eines statischen Zustandes befindet, gilt eher das Minimum Entropy Production Principle (Lotka 1956). Die Energiedissipation erzeugt also eine Unordnung, die dazu führt, dass durch den Aufbau von dissipativen Strukturen die Entropie reduziert wird. Das bedeutet, dass durch den Aufbau von komplexeren Strukturen Energie immer schneller und effizienter umgewandelt wird. Dazu gehören Sterne, Planten, Pflanzen, Tiere, Menschen und menschliche Gesellschaften (Prigogine 1965; Chaisson 2005).
Während also die Systeme in ihren Strukturen immer komplexer werden, sind sie in der Lage eine höhere Energiemenge in einer schnelleren Zeit umzusetzen. Damit führen die zunehmende Entropie und der damit verbundene Anstieg der nicht nutzbaren Energie dazu, dass die noch verfügbare Energie durch zunehmende Komplexität der Strukturen immer effizienter verwendet werden und somit der Wärmetod des Universums hinausgezögert wird. Durch eine neue komplexere Struktur entsteht eine neue Evolutionsstufe, in der das emergente System in der Lage ist, Entropie zu reduzieren. Für die Übertragung auf Sinnsysteme, die nicht mit Energie arbeiten, sondern Informationen verarbeiten, bedeutet das, dass Systeme in ihren Strukturen immer komplexer werden müssen, um aus den zunehmenden Informationen ihrer Umwelt brauchbare Informationen zu filtern. Ein neues Komplexitätsniveau wird nur erreicht, wenn Möglichkeiten gefunden werden, Informationen effizienter und schneller zu verarbeiten.
Für eine Einordnung der Entropie in die gesellschaftliche Evolution wird ein Blick auf die bisherigen Evolutionsstufen der Gesellschaft geworfen und deren Umgang mit Unsicherheit beschrieben. Luhmann (1978, S. 432 ff.) zergliedert die bisherige gesellschaftliche Entwicklung in die segmentär differenzierte archaische Gesellschaft, die stratifikatorisch differenzierte Gesellschaft der Hochkultur und die moderne Gesellschaft mit einer funktionalen Differenzierung. Die archaische Gesellschaft hat mit der segmentären Differenzierung die ursprünglichste Organisationsform. Sie besteht aus gleichartigen Teilsystemen wie beispielsweise Familien oder Dorfgemeinschaften (Becker und Reinhardt-Becker 2001, S. 80 ff.).
Die entscheidende Entwicklung für die Entstehung einer archaischen Gesellschaft beruht auf Kommunikation. Sie ermöglicht mit der Differenz aus nah und fern eine segmentäre Differenzierung, wodurch die Umwelt strukturiert und verarbeitet werden kann. Durch zunehmende Konflikte mit anderen Gruppen mussten neue Strukturen geschaffen werden (Luhmann 2018, S. 428 ff.).
Daraufhin entstand eine stratifizierte Gesellschaft mit einer hierarchischen Ordnung, welche sich durch die Leitdifferenz von „oben“ und „unten“ beobachten lässt. Die bedeutenden Systeme für die Auflösung von sozialen Konflikten waren Staat und Religion. Bei einem strittigen Gesellschaftsthema, das in beide Sphären reicht, lag die Deutungshoheit beim religiösen System (Becker und Reinhardt-Becker 2001, S. 84).
Durch die religiösen Leitbilder, sonstigen Konventionen und sozialen Normen existierten symbolische Generalisierungen, die die Kontingenz auf ein verträgliches Maß beschränken konnten (Willke 1993, S. 27). Latenz trug erheblich zur Aufrechterhaltung der Hierarchie als oberstes Organisationsprinzip bei (Luhmann 1984, S. 459). Erst mit der Aufklärung und der wissenschaftlichen Rationalisierung gab es eine „Entzauberung der Welt“ (Weber 2009, S. 102), wodurch die bisher unhinterfragten Rituale und Traditionen nach ihrem Sinn hinterfragt werden konnten und viele Strukturen nicht mehr als gegeben hingenommen wurden (Willke 1993, S. 28).
Luhmann geht davon aus, dass Hierarchie durch Funktionsorientierung abgelöst wird, wenn Systeme zu komplex geworden sind. Der Vorteil der Funktionsorientierung besteht darin, dass Redundanzen erzeugt werden können und somit eine höhere Sicherheit möglich ist (Luhmann 1984, S. 406).
Der Umgang mit Kontingenz in der ausdifferenzierten Gesellschaft kann auf der abstraktesten Ebene in Form von Sinn beschrieben werden. Mithilfe des Formenkalküls von Spencer Brown kann Sinn als Form mit zwei Seiten beschrieben werden. Es kann zwischen einer inneren bestimmten Seite und einer Außenseite, die unbestimmt ist, unterschieden werden. Sinn liegt auf der bestimmten Seite und verweist auf die unbestimmte Außenseite, die dem Möglichkeitsraum von Sinn entspricht. Die Zwei-Seitenform mit Innen und Außen entspricht also der Unterscheidung von Aktualität und Potenzialität, wodurch Sinn entsteht. Luhmann ergänzt das Formenkalkül mit der Unterscheidung von Form und Medium. Durch diese Unterscheidung können zwei Arten beschrieben werden, wie Elemente miteinander gekoppelt werden. Durch ein Medium wird eine lose Kopplung und durch Form eine feste Kopplung von Elementen beschrieben. Sinn ist also ein Medium, das lose gekoppelte Elemente bereitstellt, die in einer Form fest miteinander gekoppelt werden können. Medien bilden somit einen Horizont von Möglichkeiten, wie eine Form gebildet werden kann. Das Potenzial einer Form wird durch die Bildung der Form jedoch nicht verbraucht, sondern wiederhergestellt. Während das Medium stabil ist, werden Formen immer wieder erneuert (Schützeichel 2003, S. 41).
Nach Luhmann (1988) stellt das Medium eine lose Kopplung und die Form eine rigide Kopplung dar. Ein Medium entsteht erst durch einen Überschuss an Elementen. Ab einer gewissen Komplexität entsteht ein Raum für Selektionsmöglichkeiten, der für die Existenz eines Mediums notwendig ist. Die moderne Gesellschaft mit den Funktionssystemen konnte sich nur durch Organisationen bilden. Denn die Organisation erzeugt als Form Rigidität, die innerhalb der Funktionssysteme die Entstehung eines Mediums ermöglicht, durch das eine lose Kopplung von Elementen erfolgt. Im Funktionssystem der Wirtschaft beruht das Medium „Geld“ auf den Elementen Zahlungen und Nichtzahlungen. Ohne Rigidität würden sich Preise jederzeit sofort ändern und jede Änderung eines Preises wirkte sich auf alle anderen Preise aus. Organisationen sorgen somit mit ihren Strukturen für Stabilität. Organisationen entscheiden darüber, wofür gezahlt wird. Da Organisationen eine spezifische Rigidität aufweisen, sind Veränderungen nur bis zu einem bestimmten Grad möglich. Indem Organisationen über die Verwendung des Geldes bestimmen, schränken sie den Möglichkeitsraum ein. Rigide Strukturen bestimmen daher über die losen Kopplungen durch das Medium. Demgegenüber ist Geld unendlich flexibel einsetzbar, sodass dessen Verwendungsmöglichkeiten um einiges vielfältiger sind als bei Gütern. Die Kombination des lose gekoppelten Geldes und der rigiden Kopplung der Organisation verbessert daher insgesamt das Auflösungsvermögen und vermehrt die Rekombinationsmöglichkeiten. Voraussetzung hierfür ist also eine Differenz einer losen Kopplung, die Flexibilität ermöglicht, und einer festen Kopplung, die Stabilität schafft. (Luhmann 1988, S. 303 ff.).
Mit dieser Kombination aus Form und Medium ist es also möglich Informationen beziehungsweise Sinn effizienter zu verarbeiten. Insbesondere durch den Aufbau von komplexen Strukturen in Organisationen können in den gesellschaftlichen Funktionssystemen ein sehr großer Informations- bzw. Sinnfluss schnell verarbeitet werden.
Durch die Ausdifferenzierung der Gesellschaft haben sich die wichtigsten Teilsysteme der Gesellschaft auf eine spezifische Funktion fokussiert. Mit diesem Formprinzip ist es möglich gewesen, die Gesellschaft auf ein neues Leistungsniveau mit einer enormen Komplexitätssteigerung zu bringen. Allerdings kann dadurch auch die geringe Resonanz der Teilsysteme untereinander und gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt erklärt werden (Luhmann 1986, S. 70 ff.).
Diese Form der gesellschaftlichen Evolution stößt aufgrund der Steuerungsprobleme an die Grenzen ihrer Komplexitätsverarbeitungskapazität. Die herkömmlichen Integrationsmechanismen sind inzwischen überfordert. Dies gilt insbesondere für Staat und das Recht (Willke 1993, S. 238).
Die zu hohe Kontingenz für das politische System in der sachlichen, zeitlichen und sozialen Sinndimension wurde bereits in Abschnitt 3.​3.​3 dargestellt. Im Grunde bedeutet dies, dass die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen an ihre Grenzen stoßen und nicht mehr in der Lage sind, die Unmengen an Informationen zu erfassen und zu verarbeiten.
Wie in Abschnitt 3.​2. beschrieben, sorgt insbesondere das Wirtschaftssystem aufgrund seiner pathologischen Selbstreferenz für eine Selbstgefährdung der Gesellschaft.
Durch die kaum noch zu verarbeitbare Kontingenz scheint die moderne Gesellschaft mit ihren Strukturen und der Differenz zwischen Organisation als Form und gesellschaftlichen Funktionssystemen als Medium das Maximum an Entropieerzeugung nahezu erreicht zu haben. Der daraus drohende statische Zustand einschließlich des Wärmetodes zwingt die Gesellschaft, neue Strukturen für eine Minimierung der Entropie zu entwickeln. Nach der Maximierung von Kontingenz in der ausdifferenzierten Gesellschaft müssen zur Vermeidung der Selbstgefährdung der Gesellschaft neue Strukturen gefunden werden, die die Kontingenz minimieren und Sinn schneller und effizienter verarbeiten können.
Mit der Entstehung von sozialen Folgen durch die Ausdifferenzierung während der Anfänge der Industrialisierung kommt Marx zu dem Schluss, dass dem entgegengewirkt werden könnte, wenn die Komplexitätsverhältnisse umgekehrt werden. Das heißt, die ausgeprägte interne Autonomie und die Komplexität insbesondere des Wirtschaftssystems, die diese Probleme verursachen, scheinen nur dadurch aufgefangen werden zu können, indem sich alle Teilsysteme der politischen Steuerung durch die Arbeiterklasse unterwerfen. Der Realsozialismus hatte sich jedoch oftmals als eine Diktatur und Unrechtsstaat herausgestellt. Den Fehler im Marx’schen Modell sieht Willke darin, dass der Staat die Komplexität der ausdifferenzierten Systeme nur bearbeiten konnte, indem er einen Teil der Komplexität unterdrückte. Der Fortschritt der einzelnen Systeme wurde dadurch immer stärker verhindert, was bis zu einer repressiven Unterdrückung reichte, die die gesellschaftliche Entwicklung nahezu gänzlich behinderte (Willke 1996, S. 49).
Das bedeutet allerdings nicht, dass die liberalistische Steuerung erfolgreicher ist. Denn die Steuerung der Systeme durch Selbststeuerung hat zwar den Vorteil, dass sie es den Systemen auch ermöglicht, eine große Vielfalt innerhalb der Systeme mit ausgeprägter Leistungsfähigkeit zu erzeugen. Allerdings entwickelt sich durch diese Eigenständigkeit eine eigene Systemlogik, die als systemindividuelle Rationalität verstanden werden kann (Willke 1993, S. 256).
Dadurch können die differenzierten Systeme zwar die Kontingenz der Umwelt durch eine sehr starke interne Komplexität verarbeiten, allerdings führt diese Komplexität zu weiterer Kontingenz, was für die anderen Systeme der Gesellschaft zur Gefahr werden kann. Es werden immer mehr Möglichkeiten und Optionen erzeugt, die von anderen Systemen nicht mehr verarbeitet werden können (Willke 1993, S. 227 ff.).
Das liberalistische Modell mit autonomen gesellschaftlichen Funktionssystemen stößt an die Grenzen seiner Möglichkeiten, da die Gesellschaft sich mittlerweile selbst gefährdet. Wenn beide Extreme der Steuerung zum Scheitern verurteilt sind, stellt sich die Frage, ob eine Kombination der Selbststeuerung bzw. -organisation mit Restriktionen nicht erfolgversprechender ist. Durch dezentrale Kontextsteuerung könnte ein viables Ganzes entstehen (Willke 1996, S. 49 f.).
Nach der undifferenzierten und differenzierten Gesellschaft kann als weitere gesellschaftliche Evolutionsstufe eine reintegrierte Gesellschaft folgen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die differenzierten Systeme nicht wieder entdifferenziert werden, vielmehr wird es eine Vielzahl an verschiedenen Mechanismen geben, die Einheiten miteinander verbinden und in eine komplexe Supraeinheit integrieren (Willke 1993, S. 282 ff.).
Dadurch wird die bisherige Ambivalenz, die aufgrund der Kosten der Integration der entdifferenzierten Gesellschaft einerseits (Sozialistische Gesellschaft als „over-managed societies“ (Willke 1993, S. 204)) und der funktionalen Differenzierung auf Kosten der gesamtgesellschaftlichen Integration andererseits entsteht (kapitalistische Gesellschaft als „drifting societies“ (Willke 1993, S. 204)), überwunden (Willke 1993, S. 240).
Die Voraussetzungen dafür bestehen nach Willke (1993, S. 259) darin, dass die Systeme gegenseitig ihre Autonomie und geschlossene Operationsweise akzeptieren, aber gleichzeitig operative Beschränkungen berücksichtigen, die sich aus den Bedingungen der gegenseitigen Abhängigkeit der Systeme ergeben. Ferner wird ein operativer Kontext beachtet, der eine Richtungsvorgabe für die Entwicklung der Gesellschaft als Ganzes darstellt. Dies ist möglich, wenn Verhandlungssysteme etabliert werden, indem die Regelungen des Kontextes nicht von einem gesellschaftlichen Funktionssystem alleine, sondern von allen gesellschaftlichen Funktionssystemen gemeinsam mit Blick auf die ganzheitlichen Zusammenhänge festgelegt werden. Eine neue Emergenz wird jedoch erst dann erreicht, wenn die gesellschaftlichen Funktionssysteme ihre Entwicklungsmöglichkeiten, über die sie aufgrund der bestehenden Kontingenz verfügen, nicht vollständig ausnutzen, sondern sich mit Blick auf die ganzheitlichen Zusammenhänge beschränken.
Kontextsteuerung verbindet Selbststeuerung und Fremdsteuerung zu einem emergenten System. Dazu ist allerdings ein übergeordnetes Ziel des Gesamtsystems notwendig. Eine Kooperation ist nur durch ein gemeinsames Ziel möglich, das dann gefunden werden kann, wenn alle Beteiligten einen höheren Nutzen aus ihm ziehen (Willke 2007, S. 16 f.).
Willke (1993, S. 111 f.) geht davon aus, dass Reflexion in den Einzelsystemen Kosten verursacht, aber auf der höheren gesellschaftlichen Ebene insgesamt zu Gewinnen führt. Zudem werden dadurch die Gewinne ausgeschlossen, die nur kurzfristig einen Vorteil bringen.
Diese Erhöhung interner Komplexität durch Integration entspricht nicht einer Laune des Systems, sondern sie wird durch veränderte und „schwierigere“ Umweltbedingungen erzwungen, die eine Notwendigkeit für eine verbesserte Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit erzeugen. Integration ist mithin zu verstehen als ein Prozess, in dem autonome Einheiten bestimmte Handlungsmöglichkeiten und Optionen aufgeben, um als funktional differenzierte Teilsysteme dem neu gebildeten Gesamtsystem gegenüber neuen Umweltkonstellationen verbesserte evolutionäre Chancen zu verschaffen. Durch die Reflexion, die eine neue Integration der Gesellschaft ermöglicht, entsteht eine neue Komplexitätsverarbeitungskapazität (Willke 1993, S. 238). Damit Systeme durch diese Zusammenarbeit ein höheres Emergenz-Niveau erreichen, ist eine Ordnung in Form von Integration notwendig. Erst mit Integration wird das Gesamtsystem auch wieder steuerungsfähig (Willke 1993, S. 114 f.). Nach Luhmann zeichnen sich aber Reflexionstheorien in Bezug auf einen gesamtgesellschaftlichen Sinn bisher nicht ab (Luhmann 1984, S. 622 ff.). Erst wenn die Gesellschaft mit einem höheren Abstraktionsgrad denkt und wenn Interaktionssysteme mit höheren Freiheitsgraden entstehen, wird der Schritt zu einer weiteren Evolution wahrscheinlicher (Luhmann 1984, S. 576).
Aus einer systemtheoretischen Perspektive stellt sich die Frage, mit welcher Differenz eine neue Beobachtungsform möglich ist, die eine andere Steuerung der Gesellschaft zulässt.
Allgemein entsteht Komplexität in Systemen durch eine Differenz zwischen Einheit und Vielfalt (Luhmann 1988, S. 318).
Aus einer operativen Perspektive sorgt Sinn zugleich für Stabilität und Instabilität in Systemen. Sinn verändert sich mit jeder Aktualisierung. Aber der Möglichkeitshorizont bleibt derselbe. Sicher ist also, dass es einen instabilen Kern gibt, der sich aktualisiert, es ist aber unsicher und riskant, auf welchen stabilen Horizont sich der Sinn bezieht. Sinn erzeugt so Sicherheit und Unsicherheit gleichzeitig (Schützeichel 2003, S. 40).
Stabilität und Flexibilität werden in den Sinnsystemen aus der Differenz zwischen einem Medium mit einer losen Kopplung und einer Struktur mit einer festen Kopplung erzeugt. Ob die gewählte Differenz langfristig erfolgreich ist, entscheidet die Evolution (Luhmann 1988, S. 315).
Eine Wirtschaft mit begrenzter Reflexion arbeitet mit anderen Beobachtungsdifferenzen und unterstützt die Evolution der Gesellschaft in Richtung eines neuen Emergenz-Niveaus. Aus physikalischer Sicht kann der zunehmenden Entropie entgegengewirkt werden, wenn durch Evolution Strukturen entstehen, die einen höheren Energieumsatz erreichen. Bezogen auf die klassischen Steuerungsmedien bedeutet das beispielsweise, wie in Abschnitt 2.​2 beschrieben, dass die Dichotomie aus Markt und Hierarchie mithilfe von Netzwerken, die Informationen bzw. Sinn schneller verarbeiten, aufgelöst wird. Durch soziale Bewegungen und die Adressaten der Netzwerke, die Zugriff auf verschiedene gesellschaftliche Funktionssysteme haben, entsteht ein lose gekoppeltes Medium, das Vielfalt und Flexibilität erzeugt. Durch diese gesellschaftliche Reflexion (siehe Abschnitt 4.​1) wird es möglich, die Latenz von Indifferenz und Diffusität sichtbar zu machen. Die Gesellschaft beginnt, sich von den stabilen Funktionssystemen zu emanzipieren, wodurch sie selbst veränderbar wird. Das Beispiel der Reflexionsfunktion (Abschnitt 5.​3) von Nachhaltigkeitsratings zeigt, wie durch Netzwerke insbesondere mit NGOs die gesellschaftliche Reflexion in der Wirtschaft erhöht werden kann. Durch die Vielzahl an beobachteten gesellschaftlichen Themen tragen Nachhaltigkeitsratings zur Erhöhung der Vielfalt im Wirtschaftssystem bei. Gleichzeitig können sie durch die flexibel anpassbaren Methoden schnell auf gesellschaftliche Änderungen reagieren.
Ein höherer Energieumsatz reicht jedoch nicht aus, sondern es muss eine Struktur geschaffen werden, die eine Einheit bildet. Reflexion alleine reicht nicht aus, sondern muss um Integration ergänzt werden. Nachhaltigkeit kann durch seine Strukturen mit fester Kopplung eine solche Einheit herstellen. Durch die Generalisierungsfunktion kann Nachhaltigkeit als Referenzpunkt der gesellschaftlichen Reflexion herangezogen werden (siehe Abschnitt 4.​2.). Dadurch werden die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Funktionssysteme so beschränkt, dass sie einen höheren Mehrwert für die Gesellschaft als Ganzes bedingen, sodass die gesellschaftlichen Funktionssysteme durch diese Einschränkungen mehr erreichen als nur die Maximierung der eigenen Logik – nämlich die Selbsterhaltung der Gesellschaft.
Auch Nachhaltigkeitsratings sorgen durch ihre Generalisierungsfunktion (siehe Abschnitt 5.​4) für Einheit, indem sie zu einem einheitlichen Verständnis von Nachhaltigkeit beitragen und somit einen stabilen Bezugspunkt in der Wirtschaft erzeugen, auf den bei Entscheidungen referenziert werden kann. Die Auswahl und Gewichtung der gesellschaftlichen Themen der Nachhaltigkeitsratings schränkt den Möglichkeitsraum der wirtschaftlichen Operationen so ein, dass das Wirtschaftssystem auf ein gemeinsames gesellschaftliches Ziel ausgerichtet wird und andere gesellschaftliche Systeme in ihren Möglichkeiten nicht behindert werden.
Durch die Kombination von Einheit und Vielfalt beziehungsweise von Stabilität und Flexibilität bilden die Generalisierung durch Nachhaltigkeit zusammen mit der Reflexion durch Netzwerke, insbesondere der sozialen Bewegungen, einen Rahmen um die bestehenden gesellschaftlichen Funktionssysteme und Organisationen. Sie sind daher nicht als ersetzende Steuerungsform zu betrachten, sondern entstehen als eine ergänzende Steuerungsform. Nachhaltigkeit ist abstrakter als die gesellschaftlichen Funktionssysteme und Netzwerke sind spezifischer als Organisationen. Diese Steuerungsform setzt auf einer anderen Ebene an, wodurch die Evolution der Gesellschaft auf ein neues Emergenz-Niveau gehoben wird, das eine ganz andere Leistungsfähigkeit besitzt, mit Kontingenz umzugehen.
Daher gehören auch Nachhaltigkeitsratings mit ihrer begrenzten Reflexion zu den Strukturen, mit denen die Kontingenz reduziert werden kann, wodurch eine neue Stufe der gesellschaftlichen Evolution erreicht wird.
Zwar basiert die Entstehung eines neuen gesellschaftlichen Emergenz-Niveaus auf einer Selbststeuerung. Allerdings kann Politik durch Fremdsteuerung diesen Selbststeuerungsprozess fördern. Indem sie sowohl das einheitliche Verständnis von Nachhaltigkeit stärkt als auch Vielfalt durch eine stärkere gesellschaftliche Reflexion erhöht, trägt sie zu einer deutlicheren Differenz zwischen Einheit und Vielfalt bei, was die Verwendung der Beobachtungsperspektive einer begrenzten Reflexion und die damit verbundenen Strukturen wahrscheinlicher macht.
In Abschnitt 2.​1 wurde beschrieben, dass Sinn entsteht, wenn ein Sinn gefunden wird, der die Entstehung von weiterem Sinn ermöglicht. Die zu hohe Kontingenz in der modernen Gesellschaft verhindert, dass im Wirtschaftssystem weiterer Sinn gefunden werden kann, da Zahlungen die Umwelt zerstören können, wodurch Zahlungen in der Zukunft möglicherweise nicht mehr getätigt werden können. Durch eine Wirtschaft mit begrenzter Reflexion kann im Wirtschaftssystem neuer Sinn gefunden werden, denn Zahlungen, die keine Zerstörung in der Umwelt verursachen, bedingen die Möglichkeit, dass auch in Zukunft weiterhin Zahlungen erfolgen können. Nachhaltigkeitsratings leisten mit ihren Bewertungen einen Beitrag zur Identifikation dieser Zahlungen. Durch eine begrenzte Reflexion entsteht daher Sinn, der weiteren Sinn ermöglicht und somit zur Selbsterhaltung der Gesellschaft beiträgt.
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass Systeme aus einer naturwissenschaftlichen Sicht zu einem Zustand neigen, in dem sie maximal Entropie erzeugen. Bevor sie den Wärmetod erleiden, minimieren sie die Entropie durch den Aufbau von effizienteren Strukturen, wodurch der Wärmetod herausgezögert werden kann. Von Sternen über Planeten, Bakterien, Lebewesen zum Menschen haben sich immer effizientere Strukturen entwickelt. Übertragen auf Sinnsysteme, müssten auch dort Strukturen geschaffen werden, die Informationen effizienter verarbeiten, um mit der zunehmenden Kontingenz zurechtzukommen.
Die Gesellschaft hat sich von einer archaischen, über eine stratifikatorische zur modernen Gesellschaft entwickelt. Jede Gesellschaftsform hat bestimmte Strukturen entwickelt, um die vorhandene Kontingenz zu verarbeiten. Wenn die Verarbeitungskapazität der Strukturen erreicht wurde, musste eine neue Gesellschaftsform gefunden werden. In der modernen Gesellschaft wird Kontingenz begrenzt, indem die Funktionssysteme mit einem Code arbeiten, der nur bestimmte Ereignisse in der Gesellschaft wahrnimmt. Dadurch ist jedes Funktionssystem für sich genommen sehr leistungsfähig, erzeugt aber durch die Systemrationalität eine Selbstgefährdung der Gesellschaft, da die Gesellschaft als Ganzes nicht betrachtet wird. Es stellt sich daher die Frage, mit welchen Strukturen und neuen Beobachtungsdifferenzen die Kontingenz verarbeitet werden kann, die zu einer Selbstgefährdung der Gesellschaft führt.
Der Sozialismus versuchte die Kontingenz durch politische Kontrolle zu beschränken, was jedoch zu einer Unterdrückung von Wirtschaft und Gesellschaft führte. Demgegenüber sind liberale Gesellschaften, die auf eine Selbststeuerung setzen, besonders den negativen Folgen einer unbeschränkten Entwicklung des Wirtschaftssystems ausgesetzt.
Eine reintegrierte Gesellschaft versucht beide Konzepte miteinander zu verbinden, indem die Selbststeuerung nur insoweit eingeschränkt wird, dass sie einen Vorteil für die Gesellschaft erzeugt. Durch diese Einschränkungen kann ein Mehrwert generiert werden, den die Funktionssysteme, wenn sie unabhängig operierten, in der Summe nicht erreichen würden. Es entsteht ein neues Emergenz-Niveau. Während die moderne Gesellschaft mit einer Differenz zwischen Organisation und Funktionssystem arbeitet, müssen zur Reduktion von Kontingenz neue gesellschaftliche Strukturen gefunden werden, welche Einheit und Vielfalt kombinieren.
Ein Wirtschaftssystem mit begrenzter Reflexion erzeugt sowohl durch gesellschaftliche Reflexion mithilfe von Netzwerken Vielfalt als auch durch eine Generalisierung mit Nachhaltigkeit eine Einheit. Mit dieser Steuerungsform, die Einheit und Vielfalt kombiniert, kann Kontingenz besser verarbeitet werden. Wie im Fall der Verhinderung des Wärmetodes des Universums durch Entropie sorgen in der Gesellschaft Netzwerke für effizientere Strukturen, mit denen die gesellschaftliche Selbstgefährdung durch Kontingenz verhindert wird. Emergenz entsteht jedoch nur durch Beschränkung und gegenseitige Abstimmung, weshalb Netzwerke nur in Verbindung mit der Generalisierung durch Nachhaltigkeit ihre vollen Komplexitätsverarbeitungskapazitäten erreichen. Nachhaltigkeitsratings tragen durch ihre Reflexions- und Generalisierungsfunktion zu einer begrenzten Reflexion in wirtschaftlichen Operationen bei und fördern damit auch den Aufbau von Strukturen mit dieser Beobachtungsdifferenz. Die Politik kann die Entstehung eines neuen Emergenz-Niveaus fördern, indem sie den Selbststeuerungsprozess durch Fremdsteuerung unterstützt. Die begrenzte Reflexion leistet einen Beitrag zur Selbsterhaltung der Gesellschaft, da neuer Sinn erzeugt wird, indem Zahlungen ermöglicht werden, die auch Zahlungen in der Zukunft noch möglich machen.

6.3 Zwischenfazit

Die Selbststeuerung der Wirtschaft mit begrenzter Reflexion kann durch das politische System in Form von Kontextsteuerung unterstützt werden, sodass eine Evolution zu einer sinnvollen Gesellschaft mit einem höheren Emergenz-Niveau entsteht.
Die Politik kann die Entstehung einer Wirtschaft mit begrenzter Reflexion beschleunigen oder verstärken, indem sie indirekt die Reflexion der Gesellschaft und die Generalisierung durch Nachhaltigkeit fördert. Neue Transparenzanforderungen können die Reflexionsleistung von Nachhaltigkeitsratings stärken. Zudem kann durch einen gesellschaftlichen Diskurs über die Auswahl der Themen eine breitere Perspektive eingenommen werden, als es den Netzwerken der Nachhaltigkeitsratings möglich ist. Mit der Definition von Nachhaltigkeitszielen, die eine Priorisierung von Themen beinhaltet, kann die Generalisierung mithilfe von Nachhaltigkeit verstärkt werden. Durch einen gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der gesellschaftlichen Themen wird eine höhere Legitimität erzeugt als durch die selbstbestimmte Auswahl der Nachhaltigkeitsratings. Während die Politik die Reflexion und Generalisierung im Wirtschaftssystem unterstützen kann, ist die Selbststeuerung des Wirtschaftssystems besonders bei der Berücksichtigung von gesellschaftlichen Themen auf die Politik angewiesen. Da Unternehmen gesellschaftliche Themen nur berücksichtigen, wenn sie nicht zu einer wirtschaftlichen Gefährdung führen, muss die Politik dafür sorgen, dass nichtwirtschaftliche Gesellschaftsthemen wirtschaftlich werden. Einerseits kann die Politik durch öffentliche Finanzen dafür sorgen, dass Investitionen in gesellschaftliche Themen rentabel werden. Alternativ besteht die Möglichkeit, durch Regulierung externe Kosten zu internalisieren. Durch klassische Instrumente wie Auflagen, Steuern, Subventionen oder Emissionsrechtehandel können bisher nichtwirtschaftliche Gesellschaftsthemen wirtschaftlich werden. Neben der direkten Beeinflussung von Zahlungen kann das Wirtschaftssystem auch durch eine Stärkung der Kreditwürdigkeit die Zahlungsfähigkeit beeinflussen. Neben der Frage, ob die Zahlungsfähigkeit erhalten bleibt, indem Zahlungen zukünftige Zahlungen ermöglichen, kann auch betrachtet werden, ob die Rückwirkungen der Gesellschaft, die durch die Zahlungen entstehen, zukünftig wiederum für den Erhalt der Zahlungsfähigkeit sorgen. Auch Nachhaltigkeitsratings ermöglichen diese Einschätzung, da durch die Bewertung der gesellschaftlichen Auswirkungen mögliche Rückwirkungen der Gesellschaft auf das Unternehmen identifiziert werden können. Nachhaltigkeitsratings unterscheiden sich von klassischen Politikinstrumenten dadurch, dass sie inhaltlich mehrdimensional und zeitlich flexibel angepasst werden können. Nachhaltigkeitsratings ermöglichen bereits heute, dass die Bedingungen der Zahlungsfähigkeit gesellschaftlich reflektiert werden, sodass damit beispielsweise die Kreditwürdigkeit von den wirtschaftlichen Rückwirkungen der Gesellschaft auf die Zahlungsfähigkeit abhängt. Durch einen stärkeren Eingriff der Politik in die Entscheidung über die Bedingungen der Zahlungsfähigkeit könnte ein Reentry der Gesellschaft gestärkt werden, da sich auch Nachhaltigkeitsratings bei der Auswahl und Priorisierung der gesellschaftlichen Themen an der Wirtschaftlichkeit orientieren. Indem die Politik gesellschaftliche Ziele bei der Einschätzung der Zahlungsfähigkeit, beispielsweise der Kreditwürdigkeit, honoriert, können Investitionen in nachhaltige Innovation verstärkt werden. Neben einzelnen Kriterien wie dem Klimawandel kämen hier auch Nachhaltigkeitsratings infrage. Diese Maßnahme hätte eine sehr starke Steuerungswirkung, weshalb die Auswahl und Gewichtung im Sinne der Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist. Es besteht immer die Gefahr von unerwarteten Nebenwirkungen. Daher muss abgewogen werden, ob die Risiken, die aus der Selbstgefährdung der Gesellschaft resultieren, das Eingehen eines solchen Risikos rechtfertigen.
Die Selbststeuerung der Wirtschaft mit begrenzter Reflexion sorgt für die Evolution einer sinnvollen Gesellschaft. Bei der Einordnung einer begrenzten Reflexion in die abstrakte Ebene der Systemtheorie hilft ein Blick auf die Grundlagen der Systemtheorie, die in den Naturwissenschaften liegen. Aus thermodynamischer Sicht kann ein Wärmetod aufgrund von Entropie durch eine Evolution zu effizienteren Strukturen verhindert werden. Auch in der gesellschaftlichen Evolution von einer segmentären über eine stratifizierte zur modernen ausdifferenzierten Gesellschaft entwickelten sich effizientere Strukturen, um mit Unsicherheit umzugehen. Wegen der Selbstgefährdung der Gesellschaft müssen nun Strukturen gefunden werden, die mit der zunehmenden Kontingenz umzugehen ermöglichen. Während der Sozialismus an der Unterdrückung der Wirtschaft und Gesellschaft scheiterte, führten liberale Gesellschaften durch eine unkontrollierte Entwicklung des Wirtschaftssystems zu einer ähnlichen Gefährdung. Eine reintegrierte Gesellschaft versucht, die Selbststeuerung so zu begrenzen, dass ein neues Emergenz-Niveau entsteht. Zur Verarbeitung von Komplexität ist die Differenz aus Einheit und Vielfalt notwendig. In der ausdifferenzierten Gesellschaft existiert diese Differenz als Differenz von Organisationen und Funktionssystemen. Eine Wirtschaft mit begrenzter Reflexion kann neue Strukturen ergänzen, indem durch Netzwerke eine gesellschaftliche Reflexion entsteht, die Vielfalt erzeugt, und indem durch Generalisierung mithilfe von Nachhaltigkeit eine Einheit entsteht. Zu diesen Strukturen gehören Nachhaltigkeitsratings, deren Beitrag zur Selbststeuerung der Wirtschaft durch Politik unterstützt werden muss, da die Selbststeuerung der Wirtschaft mit begrenzter Reflexion nicht ohne Politik auskommt. Dadurch entsteht neuer Sinn im Wirtschaftssystem, da Zahlungen ermöglicht werden, die auch Zahlungen in der Zukunft noch möglich machen.
Die Politik kann also durch Kontextsteuerung die Selbststeuerung der Wirtschaft mit begrenzter Reflexion unterstützen, sodass eine Evolution zu einer sinnvollen Gesellschaft mit einem höheren Emergenz-Niveau entsteht.
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Metadata
Title
Selbsterhaltung der Gesellschaft durch eine Wirtschaft mit begrenzter Reflexion
Author
Christian Strangalies
Copyright Year
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-44078-7_6