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Open Access 2019 | OriginalPaper | Chapter

6. Survey-Projekte aus einer survey-weltlichen Perspektive

Author : Raphael Vogel

Published in: Survey-Welten

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Tatsächliche oder reale Produktionswelten können als „compromising devices“ aufgefasst werden (Thévenot 2001, S. 410), da hier Kompromisse zwischen verschiedenen möglichen Produktionswelten erstellt werden müssen (Storper und Salais 1997, S. 97 ff.). Im Gegensatz zur vorangehenden idealtypischen Identifikation und Analyse von verschiedenen möglichen Survey-Welten.
Tatsächliche oder reale Produktionswelten können als „compromising devices“ aufgefasst werden (Thévenot 2001, S. 410),1 da hier Kompromisse zwischen verschiedenen möglichen Produktionswelten erstellt werden müssen (Storper und Salais 1997, S. 97 ff.). Im Gegensatz zur vorangehenden idealtypischen Identifikation und Analyse von verschiedenen möglichen Survey-Welten liegt das Ziel der folgenden Rekonstruktion von zwei Survey-Projekten in der Analyse der pragmatischen Kompromissbildung in der Survey-Praxis. Die Notwendigkeit zum Kompromiss in der Survey-Praxis besteht aus der Perspektive der Survey-Welten-Theorie in zweifacher Hinsicht. Einerseits muss ein Kompromiss zwischen verschiedenen Survey-Welten hergestellt werden. Denn bereits die Analysen von Storper und Salais zeigten den grundlegenden Kompromisscharakter von tatsächlichen Produktionswelten auf (Storper und Salais 1997, S. 97 ff.). Folglich müssen Kompromisse zwischen den verschiedenen Konventionen und daraus folgend, auch zwischen den unterschiedlichen Produktionsprozessen und Epistemologien der verschiedenen Survey-Welten erstellt werden. Der zweite notwendige Kompromiss betrifft die Survey-Pragmatik. Denn während der erste Kompromiss zwischen den verschiedenen Survey-Welten lediglich das Element des Wissensformats der Survey-Pragmatik betrifft, so muss in einem zweiten Schritt ebenfalls ein Kompromiss mit den Dimensionen des Survey-Managements und der Methodik der Survey-Pragmatik vorgenommen werden (vgl. Abschn. 2.​5.​5). Die folgenden Fallanalysen wollen dieser doppelten Kompromissbildung in der Survey-Praxis anhand der Analyse zweier Survey-Projekte nachspüren. Damit wird in diesem Kapitel das dritte Forschungsinteresse aufgearbeitet, nämlich die Frage nach der Kompromissbildung zwischen verschiedenen Konventionen und Produktionswelten und den sich daraus ergebenen Herausforderungen für die Survey-Praxis. Die Analyse der Survey-Praxis stellt zugleich einen Test für die Theorie der Survey-Welten im Sinne von Boltanski und Thévenot dar (2007, S. 65), da hier zutage tritt, inwiefern sie die Survey-Praxis kohärent erklären und sortieren kann und dadurch einen Mehrwert für die Survey-Methodologie zu leisten im Stande ist.

6.1 Fall (A): „Wirkungsmessung“ in einem NPO-Projekt

Der folgend vorgestellte und analysierte Fall stellt ein Survey-Projekt einer schweizerischen Non-Profit-Organisation (kurz: NPO) dar, welche ein eigenes Projekt2 evaluieren will. Die Ausgangslage des Falls ist eine sich abzeichnende Veränderung der Wirkungsmessung von nationalen Projekten. Während Wirkungsmessungen in internationalen Projekten von NPOs, d. h. der Entwicklungszusammenarbeit, mittlerweile Standard sind, ist dies bei sog. Inlandprojekten noch nicht der Fall. Die Organisation ZEWO,3 welche in der Schweiz Non-Profit-Organisationen (NPO) zertifiziert, will die Wirkungsmessung für Non-Profit-Organisationen auch bei Projekten in der Schweiz einführen. Zu diesem Zweck wurde durch die ZEWO zusammen mit mehreren NPOs der „ZEWO Leitfaden für Dienstleistungen und Projekte im Inland“ erstellt (Burkhard et al. ohne Jahresangabe).4 Die NPO, in welcher das NPO-Projekt angesiedelt ist, nimmt dies zum Anlass, um eine eigene Position zur Einführung der Wirkungsmessung von Inlandprojekten durch ZEWO zu entwickeln. Dafür soll intern ein Referenzprojekt einer Wirkungsmessung eines Inlandprojektes durchgeführt werden, um der NPO Hinweise für die Tauglichkeit, den Umfang und die sich dabei stellenden Probleme zu liefern.5 Der Entstehungsprozess dieses Surveys ist relativ komplex. Die Entscheidung für die Durchführung des Surveys stammt vom leitenden Management der NPO („Geschäftsleitungssitzung NPO“), welches hierfür jedoch das Einverständnis der operativen Leitung des NPO-Projekts benötigt („Leitung NPO-Projekt“). Das grundlegende Forschungsdesign und zwei unterschiedliche Versionen von Fragebögen werden in einem zweitägigen Workshop entworfen („Workshop Wirkungsmessung“). Die definitive Festlegung des Forschungsdesigns wie auch des Fragebogens entsteht im Austausch mit einer Survey-Firma, bei welcher zwei Personen für das Projekt verantwortlich sind (u. a. „Vorbesprechung mit Survey-Firma“ und „Koordinationssitzung mit Survey-Firma“). Durchgeführt werden schlussendlich zwei unterschiedliche Befragungen. Einerseits eine schriftliche standardisierte Befragung. Wie zu zeigen sein wird, wird das Befragungsdesign für diese Befragung zunächst im Workshop entworfen, später jedoch durch die Survey-Firma überarbeitet. Der Druck und Versand der Fragebögen wird durch die Leitung des NPO-Projekts selbst organisiert. Zudem wird auch eine leitfadengestützte halb standardisierte telefonische Befragung durchgeführt. Hierbei werden 21 Personen befragt. Zum Zeitpunkt des ersten Interviews mit der Leitung des NPO-Projekts sind bereits Vorarbeiten für die Wirkungsmessung geleistet, insbesondere das Forschungsdesign steht bereits und eine erste Fassung der beiden Fragebögen und es fand bereits ein erstes Koordinationstreffen mit der Survey-Firma statt („Vorbesprechung mit Survey-Firma“), welche später auch die Wirkungsmessung in Zusammenarbeit mit der NPO durchführt. Ein wichtiges Element dieser Vorbereitungsarbeiten ist ein zweitägiger Workshop („Workshop Wirkungsmessung“). An diesem nehmen verschiedene Projektleiter des NPO-Projekts, die verantwortliche Person für das Qualitätsmanagement der NPO, der Leiter des NPO-Projekts und eine externe Fachperson für Evaluationsfragen teil. Die Datengrundlage für die Fallanalyse setzt sich aus den folgenden Interviews, Beobachtungen und Dokumenten zusammen:
  • Leitfaden „Wirkungsmessung Inland“. Dieser Leitfaden stellt die Grundlage für das untersuchte Wirkungsmessungsprojekt dar. In diesem werden methodische Strategien und Forschungsdesigns präsentiert, sowie verschiedene praktische Anleitungen für die Durchführung von Wirkungsmessungen in Inlandprojekten von NPOs gegeben (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). Hier werden zentrale Formen als Rahmen für die Wirkungsmessung definiert, auf welche in den folgenden Beobachtungen und Dokumenten verwiesen wird und welche den konzeptionellen Rahmen des Evaluationsprojektes darstellen.
  • Interview mit dem Leiter des NPO-Projekts. Die leitende Person übernimmt einen Großteil des Managements des Wirkungsmessungs-Projekts und koordiniert insbesondere auch die Umsetzung der Befragung mit der Survey-Firma. In diesem Interview werden die grundsätzlichen Ideen und Entscheidungsabläufe des Wirkungsmessungsprojekts dargestellt.
  • Beobachtung der zentralen Koordinationssitzung. Nach einer Vorbereitungssitzung zwischen der Survey-Firma und der Leitung des NPO-Projekts werden in dieser Sitzung die methodischen Vorgehensweisen mit Bezug auf den Workshop Wirkungsmessung definiert. Teilnehmende an dieser Sitzung sind die leitende Person des NPO-Projekts sowie ein Geschäftsleitungsmitglied und ein Projektleiter der Survey-Firma. Die Sitzung wurde audiotechnisch aufgenommen und anschließend transkribiert, sowie durch Notizen während der Sitzung ergänzt.
  • Auswertungsbericht der Survey-Firma. In ihm werden die Ergebnisse der Befragung aufgearbeitet und so der Leitung des NPO-Projekts übermittelt.
  • Abschlussbericht des Wirkungsmessungsprojekts. Die hier untersuchte „Wirkungsmessung“ in einem NPO-Projekt stellt ein Pilotprojekt für zukünftige Wirkungsmessungen der NPO insgesamt dar. Deswegen wird nach dem Abschluss dieses Projekts ein Abschlussbericht zuhanden der Geschäftsleitung der NPO erstellt. Darin werden methodische Fragen und Ergebnisse reflektiert und Empfehlungen für zukünftige Wirkungsmessungen abgegeben.
  • Fragebögen der beiden Befragungen. Sowohl der Fragebogen für die standardisierte schriftliche Befragung, wie auch derjenige für die halb standardisierte schriftliche Befragung sind Teil des Datenkorpus. Infolge der Überarbeitung des Fragebogens für die standardisierte schriftliche Befragung durch die Survey-Firma liegen hier zudem unterschiedliche Versionen des Fragebogens vor.
Der Fall erweist sich für das Konzept der Survey-Welten deswegen als interessant, weil hier auf komplexe Art verschiedene Ansprüche an die Wirkungsmessung integriert werden müssen. Außerdem ist das Projekt stark auf verschiedene Situationen distribuiert und muss verschiedenen Stakeholdern genügen. Zudem stellt das Projekt ein Pilotprojekt für zukünftige Wirkungsmessungen der NPO dar, sodass methodische Entscheidungen und Entscheidungsabläufe in diesem Projekt aufseiten der NPO zuerst definiert werden müssen. Koordinationsprozesse werden so direkt sichtbar. Dabei baut das Wirkungsmessungsprojekt auf verschiedenen Formen der Survey-Forschung auf, wie beispielsweise auf Forschungsdesigns der Evaluationsforschung, welche im Wirkungsmessungsbericht dargestellt werden.
Für die Fallanalyse werden folgende Abkürzungen gebraucht: (A1) bezeichnet den Auftraggeber, d. h. den Leiter des Wirkungsmessungsprojekts, welcher zugleich das NPO-Projekt leitet, dessen Wirkungsmessung den hier analysierten Fall darstellt. (P1) stellt den leitenden Projektleiter der Survey-Firma dar, mit welchem auch die Vorbesprechung zum Wirkungsmessungsprojekt mit (A1) stattgefunden hat. (P2) stellt den Projektleiter auf Seiten der Survey-Firma dar, welcher schlussendlich die tatsächliche Bearbeitung dieses Projekts übernimmt, wobei (P1) unterstützend tätig ist. (I1) und (I2) stellen jeweils die beiden Interviewenden des SNF-Projekts dar, in welchem die vorliegende Dissertation geschrieben wurde.
In Abb. 6.1 werden die zentralen Situationen des hier untersuchten Survey-Projekts, sowie die Daten, welche die Grundlage für die empirische Analyse des Projekts darstellen, gemeinsam vorgestellt.6

6.1.1 Die Auswahl der Survey-Firma

In diesem Unterkapitel wird der Prozess der Beauftragung der Survey-Firma untersucht. Dabei zeigen sich die zentralen survey-weltlichen Dimensionen dieses Survey-Projekts. Denn Kriterien für die Zusammenarbeit mit einer Survey-Firma, sowie der Findungsprozess selbst stellen eine wichtige Ressource für die startende survey-weltliche Aufarbeitung eines Survey-Projekts dar. Denn einerseits wir hier deutlich, welche Leistung sich ein Auftraggeber von der Survey-Firma überhaupt erhofft, d. h. welche Art eines Produkts überhaupt eingekauft werden soll. Andererseits zeigt sich bei den Findungsstrategien explizit die soziale Einbettung des Markthandels (Granovetter 1985), welche weitere Hinweise auf die survey-weltliche Dimension des Projekts liefern kann.
Wie bereits dargestellt liegt der Ursprung dieses Projekts in der Intention der NPO-Geschäftsleitung, eine eigene Position gegenüber dem von der ZEWO angestrebten zukünftigen Standard der Wirkungsmessung bei Inlandprojekten zu entwickeln. Dafür muss jedoch zunächst ein Inlandprojekt gefunden werden, an welchem die Wirkungsmessung testweise geprüft werden kann. Dafür wird die Leitung des hier behandelten NPO-Projekts angefragt, welche diesem Vorhaben auch zustimmte. Für die Umsetzung wird eine Arbeitsgruppe gegründet, welche in einem zweitägigen Workshop das Vorhaben Wirkungsmessung ausarbeitete. Hierfür wird der „Leitfaden Wirkungsmessung Inland“ (Burkhard et al. ohne Jahresangabe) auf das NPO-Projekt bezogen. Dabei zeigen sich bereits Übersetzungsschwierigkeiten. Die operativen Kategorien des NPO-Projekts müssen in Kategorien der Wirkungsmessung übersetzt werden. Die zentrale Herausforderung ist dabei die Übersetzung des NPO-Projekts in die Auftrennung des im ZEWO Leitfaden beschriebenen Wirkungsmodells. Das Projekt muss in die Kategorien Input, Aktivitäten, Output, Outcome und Impact übersetzt werden. Die dabei auftretenden Schwierigkeiten lassen sich nicht im Detail rekonstruieren. Dass es jedoch Schwierigkeiten gibt, bzw. Formgebungsaktivitäten notwendig sind, lässt sich aus dem Interview mit dem operativen Leiter des NPO-Projekts entnehmen. Auf die Frage, wie und wie stark eine für den Workshop beigezogene Beratungsperson bei der Erstellung des Wirkungsmodells mitgearbeitet hat, antwortet dieser:
A1:
Jaa, es ist, einerseits hat [der Berater für Wirkungsmessung] uns schon ein bisschen uns abgeholt zum Thema. Wo [der Berater für Wirkungsmessung] uns so ein bisschen hingeführt hat. Andererseits ist das eigentlich auch, ist das auch das was auch ZEWO definiert hat in ihrem Wirkungsmodell grundsätzlich. Es ist dann eigentlich mehr die Frage, was tust du wohin. Und was sind vielleicht wirklich Ziele, die du bewegen willst, oder?
Deutlich wird hier das Stützen auf die von ZEWO vordefinierte Form der Wirkungsmessung (vgl. zum Konzept der Forminvestition Thévenot 1984), welche jedoch durch formgebende Aktivitäten durch den während des zweitägigen Workshops anwesenden Berater für Wirkungsmessungen im Kulturbereich gestützt wird.
Nach der Operationalisierung des Wirkungsmessungskonzepts der ZEWO wird eine Survey-Firma mit der Befragung beauftragt. Was zunächst als „technische“ Wahl verstanden werden kann, entpuppt sich als survey-weltlich komplexer Kompromiss zwischen verschiedenen Welten. Wie weiter unten sichtbar wird, sucht (A1) nicht zwischen verschiedenen, auf einem „anonymen“ Markt bestehenden Angeboten aus, sondern sucht aktiv nach einer Survey-Firma als Partner, welche ihn durch den Prozess der Wirkungsmessung mit einer Expertise begleitet. Damit wird die starke interpersonelle Dimension der Beratungswelt deutlich (Storper und Salais 1997, S. 35 f.). Dabei greift (A1) auf einen bereits bestehenden Kontakt zur später engagierten Survey-Firma zurück. So kennt er (P1) bereits aus einem früheren Workshop und weiß deshalb, dass dieser auch bereits Erfahrungen mit Wirkungsmessungen hat. Als Alternativmöglichkeit sieht er eine Zusammenarbeit mit der Universität.7 Diese wird jedoch durch ihn verworfen, da hierbei gemäß seinen Berechnungen kein großer finanzieller Vorteil entstehen würde:8
A1:
[…] ich habe dann gedacht gehabt, ich würde das gerne mit euch machen, eigentlich dann diese Realisierung von der Befragung. Und habe dann gedacht, wie viel das eigentlich würde kosten bei der [Survey-Firma] schlussendlich und das ist das ja eben, dann hat sich das eben so ergeben, dass sie da eigentlich unglaublich, äh, preiswert das Anbieten im Moment.
(A1) beschreibt in diesem Zitat den Ablauf des Entscheidungsprozesses, welcher schlussendlich zur Zusammenarbeit mit der beauftragten Survey-Firma geführt hat. Er verweist darauf, dass er zunächst eine Zusammenarbeit mit Sozialforschern einer Universität geplant, sich parallel dazu aber auch zusätzlich eine Offerte von der schlussendlich beauftragten Survey-Firma eingeholt hat. Hierbei wird für ihn erkennbar, dass sie die von ihm gewünschte Dienstleistung zu einem tieferen Preis als erwartet anbieten. Leitend für die Anfrage an Sozialforscher der Universität ist damit vordergründig ein finanzielles Argument. Trotzdem spricht er daraufhin zunächst informell mit (P1) über eine mögliche Zusammenarbeit, wobei deutlich wird, dass eine Zusammenarbeit mit den Sozialforschern der Universität nicht unbedingt günstiger ausfallen würde. (A1) bezieht sich folglich zunächst auf die Akteursform des Kunden, indem er finanziell verschiedene „Angebote“9 miteinander vergleicht. Im weiteren Gespräch wird jedoch schnell klar, dass der Preis nicht das primäre Kriterium für eine Zusammenarbeit darstellt:
A1:
Ich habe zuerst gedacht gehabt, ich habe realisiert […], selber können wir das nicht machen, oder? Und wir wollen eigentlich auch noch jemand dazu haben, wo da mehr Wissen hat oder? Also weißt du auch im Statistischen, wie viele Leute müssen wir befragen, wie viele Leute müssen antworten, dass es irgendwie statistisch einigermaßen stichfest ist und so weiter. Und dann noch jemand, der an das denkt wo wir nicht dran denken, weil wir nicht von diesem Fach kommen, oder? Und dann habe ich dann gedacht, das wäre spannend, das mit der Uni eben zu machen.10
(A1) macht in diesem Zitat deutlich, dass er nach der Beauftragung durch die Leitung der NPO für die Durchführung einer Wirkungsmessung schnell zu der Feststellung gekommen ist, dass er selber nicht fähig ist, diesen Auftrag durchzuführen. Als zentralen Anspruch an einen Projektpartner formuliert er ein tieferes methodisches Wissen, sowie einen Partner, der auch an Projektaufgaben denkt, welche durch (A1) nicht wahrgenommen werden. Diese beiden von ihm identifizierten Kompetenzen führen ihn dazu, eine Zusammenarbeit mit der Universität anzustreben. Zentral für die Zusammenarbeit ist folglich die Kompetenz des durchführenden Partners, bzw. der durchführenden Organisation, eine umfassende Verantwortung für die methodische und auch organisatorische Umsetzung des Survey-Projekts zu übernehmen. (A1) verortet sich folglich selbst stark in der Akteursform des Klienten und sucht deswegen einen Partner für das Wirkungsmessungs-Projekt, welcher „mitdenkt“ und folglich Verantwortung nicht nur für das Gelingen des erteilten und spezifizierten Auftrages, sondern darüber hinausgehend für das gesamthafte Gelingen dieses Projekts übernimmt. Diese Verantwortungsübernahme sieht (A1) auch bei der Universität vorhanden. Obwohl die Aussagen auf die Zusammenarbeit mit der Universität bezogen sind, wird klar, dass (A1) eine beratungsweltliche Perspektive auf die Zusammenarbeit mit der Survey-Firma entwirft. Als „Produkt“ eingekauft wird nicht lediglich eine Dienstleistung im Sinne einer fest definierten Leistung, sondern eine Expertise, deren genaue Ausprägung durch die leitende Person des Befragungsprojekts (noch) gar nicht klar formuliert werden kann, da sie selbst die dazu notwendige Kompetenz nicht besitzt. Das schlussendliche „Produkt“, welches durch die Survey-Firma verkauft wird, zeigt sich folglich erst am Schluss des Wirkungsmessungs-Projektes, da der eigentliche Auftrag erst in einem gemeinsamen Prozess zwischen Klient und Survey-Firma definiert werden kann. Folglich kann berechtigt nach dem Zeitpunkt der Auftragsvergabe gefragt werden. Dieser lässt sich jedoch nicht exakt identifizieren, da bereits das (informelle) Gespräch zwischen (A1) und (P1) eine notwendige Bedingung für eine Auftragsvergabe aus Sicht der Beratungswelt darstellt. Der persönliche Kontakt ist, wie in Abschn. 5.​2 dargestellt wurde, eine Voraussetzung für die Auftragsvergabe in der Beratungswelt. Die Auftragsvergabe selbst muss folglich als Prozess betrachtet werden. Die Funktionsweise dieser verallgemeinerten Expertise zeigt sich an der Umwandlung der Fragebogen. Diese wurden nicht direkt von der Survey-Firma übernommen. Zu Beginn wurden zwei Versionen des Fragebogens als Basis für die Befragung in Auftrag gegeben. Durch die Überarbeitung des Fragebogens sahen es die beiden Projektleiter der Survey-Firma jedoch als überkommen an, zwei unterschiedliche Versionen des Fragebogens zu verwenden.11
Die Identifikation von beratungsweltlichen Konventionen als zentrale Koordinationsgrundlage dieses Survey-Projekts soll nicht darüber hinweg täuschen, dass der (kollektive) Konventionenbezug stets Gegenstand von situativen Aushandlungsprozessen ist (Storper und Salais 1997, S. 15 ff.). Es wäre deshalb falsch, den vorgängig identifizierten Bezug auf die beratungsweltliche Survey-Welt für das Projekt als gegeben und festgelegt für die weitere Analyse vorauszusetzen. Vielmehr zeigt sich an verschiedenen Stellen – insbesondere in der zentralen Koordinationssitzung – die situative und reziproke Aushandlung von Konventionenbezügen (Rawls 2008, S. 712). Dies wird in der folgend dargestellten Sequenz deutlich, in welcher besprochen wird, ob ein Reminder an diejenigen Personen verschickt werden soll, welche den schriftlichen Fragebogen nach einer gewissen Zeit nicht beantwortet haben.12 Die Sequenz startet mit einer Anfrage von (P2) an (A1):
P2:
Also. Genau, das ist auch noch eine Frage von mir, macht man dann einen Reminder? Also weißt du?
A1:
Das fragst du mich?
P2:
ja.
Nach einer Frage von (P2) zum Einsetzen eines Reminders erkundigt sich (A1) in diesem Ausschnitt mit Erstaunen, ob wirklich er mit der Frage adressiert sei. Dies wird umgehend von (P2) bestätigt. Hier zeigt sich, dass (A1) in Bezug auf den Reminder sichtlich unwohl ist in der ihm zugeschriebenen Form des Kunden. Trotzdem nimmt er die ihm zugeschriebene Rolle als Kunde ein und beantwortet die Frage:
A1:
Nein, das kommt ein bisschen darauf an, äh, wie der Rücklauf
P1:
Wie der Rücklauf
P2:
ja, genau
A1:
auch ist, oder nicht? Also. Es steht und fällt mit dem.
Trotz der anfänglichen Beantwortung der von (P2) gestellten Frage, gibt (A1) die endgültige Beantwortung der Frage an (P1) und (P2) zurück, indem er sich durch ein „oder nicht?“ versichert, dass das Verschicken eines Reminders von der Rücklaufquote abhängt. (P2) nimmt daraufhin wieder die Akteursform des Beraters ein:
P2:
Je nachdem müsste man dann schon noch einmal nachfassen
A1:
Oder? Die die Projektleitende haben geschätzt, dass dreißig Prozent […] Und ich habe das Gefühl, dass sie das noch gut können beurteilen. Wir haben sogar mal von fünfzig Prozent, oder? [Anm. RV: A1 bezieht sich hier auf die geschätzte Rücklaufquote]
P2:
Ja, das ist aber bei Online, das habe ich nicht bedenkt […] da müssen wir einfach sicher schauen, dass wir quasi sicher genug herausschicken, dass wir dann die dreißig Prozent sicher
A1:
Genau, ja, mmh
P2:
Zurückbekommen […] Und wenn es mehr sind ist es natürlich schön.
Damit wird die Beratungswelt als Koordinationsgrundlage für die Behandlung der Reminder-Frage festgelegt. (A1) stellt sich als Wissenslieferant zu den Eigenschaften der NPO-Projektnutzenden zur Verfügung. (P2) übernimmt die Verantwortung für methodische Fragen, wobei sich hier ein Kurswechsel hin zu einer größeren Stichprobe zeigt. Sichtbar wird hier die situative Koordination der Verantwortungsübernahme für eine methodische Teilfrage des Survey-Projekts. Der produktionsweltliche Rahmen des Projekts ist folglich nicht bereits gesetzt und den beteiligten Personen vor der Koordinationssitzung bewusst. Innerhalb dieser Sitzung findet vielmehr eine situative Feinjustierung des surveyweltlichen Rahmens statt. Wie in der dargestellten Sequenz zudem sichtbar wird, geht dies nicht ohne ein reflexives Management auch durch den Käufer. Denn (A1) muss in der Sequenz (P2) zu verstehen geben, dass er sich nicht in der Lage fühlt, die Frage zur Durchführung eines Reminders selber beantworten zu können.
Wie bereits angedeutet wurde, ist es nicht nur die Beratungswelt, welche (A1) Kriterien liefert für die Zusammenarbeit mit der Survey-Firma. Wie im folgenden Ausschnitt aus der zentralen Koordinationssitzung mit der Survey-Firma erkennbar wird, soll die Zusammenarbeit mit der Survey-Firma auch eine hohe Glaubwürdigkeit der Daten ermöglichen. (A1) macht hier deutlich, dass die Glaubwürdigkeit von surveybasierten Daten nicht lediglich auf statistische Maße zurückgeführt werden kann. Datennutzende prüfen aufgrund verschiedener Kriterien die Glaubwürdigkeit von Daten. Für (A1) stellen dabei die Bekanntheit und der Name der Survey-Firma wichtige Kriterien für die Rezeption der Daten dar:13
A1:
Ja und eben, das hat für uns noch den Vorteil, also nichts gegen die Uni, oder? Aber es ist halt dann ein wie, ein sehr ein etabliertes, äh
I2:
Ein Label oder auch
A1:
Ein Label wo drauf ist, wo für uns für die erste Wirkungsmessung Inland, schon wertvoll ist, oder? Auch für die Vermarktung nachher, oder? Also für die Vermarktung, für die Kommunikation, ja
Der Grund für die Zusammenarbeit mit der Survey-Firma liegt nicht nur darin begründet, dass diese das Projekt zur Zufriedenstellung bearbeitet, sondern dass die Survey-Firma für die Glaubwürdigkeit der Daten als Garant auftritt. (A1) macht deutlich, dass dieser Survey-Firma aus seiner Perspektive eine größere Signalwirkung zukommt, als der Universität. Rechtfertigungstheoretisch wird hier folglich eine meinungsweltliche Dimension der Zuschreibung von Qualität zur Zusammenarbeit sichtbar (Boltanski und Thévenot 2007). Für die Diskussion um Datenqualität wird hierbei erkennbar, dass sich aus der Perspektive von (A1) die Qualität der Daten „nicht für sich selbst spricht“. Die alleinige organisatorische und methodische Bearbeitung des Projekts – im Sinne eines Partners – reicht für ihn folglich nicht aus. Wie weiter oben sichtbar wurde, benötigt er die Daten auch für die weitere Kommunikation mit Stakeholdern. Der Wert der Zusammenarbeit mit der Survey-Firma liegt nun auch darin, dass diese die (öffentliche) Glaubwürdigkeit der Daten stützt. (A1) beruft sich bei der Argumentation, dass die Survey-Firma genau diese Glaubwürdigkeit stützt, darauf, dass diese durch deren Etablierung wie ein Label funktioniert. Die Zuschreibung von Qualität findet hier folglich auf Basis der meinungsweltlichen Konvention statt. Diese Argumentation lässt folglich bereits bei der Auswahl der Survey-Firma die informationsweltliche Dimension dieses Projekts durchscheinen. Denn der Bezug auf die meinungsweltliche Konvention, welcher die Anerkennung einer breiten Masse als Gütekriterium zugrunde liegt (Boltanski und Thévenot 2007), kann dann zu einem zentralen Kriterium für die Geltung von Daten werden. Dies ist dann der Fall, wenn die produzierten Daten nicht nur für die operative Leitung alleine, sondern insbesondere der Kommunikation gegenüber einem breiten und heterogenen Publikum dienen. Verschärft wird dieser Aspekt noch, wenn das Publikum nicht über fundierte Survey- und Statistikkenntnisse verfügt. Sichtbar wird dadurch ein grundlegend auf der Informationswelt aufbauender Aspekt der Wirkungsmessung, welcher auch als Anspruch an die Survey-Firma formuliert wird.
In der Darstellung der Informationswelt wurde darauf verwiesen, dass diese oft dreiteilig ist: Survey-Firma, Auftraggeber und Formgeber. Die Produktion von statistischem Wissen ist in dieser Welt folglich typischerweise stark auf verschiedene Organisationen und Akteure distribuiert und stellt entsprechend hohe Anforderungen an die kollektive Koordination (Hutchins 1996). Für eine hohe Reichweite ist eine Vereinheitlichung der statistischen Form notwendig.14 Zentral ist im vorliegenden Fall das Wirkungsmodell, welches im „Leitfaden Wirkungsmessung Inland“ (Burkhard et al. ohne Jahresangabe) beschrieben wird.15 Denn dies erfordert eine Reformulierung der operativen Kategorien in eine vereinheitlichte Form, welche eine Vereinheitlichung über verschiedene inländische NPO-Projekte hinweg ermöglicht. Verfolgte Wirkungen bei den Nutzenden (Impact/Outcome) und Ergebnisse der Maßnahmen der NPO (Output) des NPO-Projekts müssen expliziert werden. Somit wird eine direkte Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen NPO-Projekten auch für einen Laien machbar, da die Wirkung der verschiedenen Projekte in denselben Kategorien aufgeschlüsselt wird. Deutlich wird jedoch auch, dass die hier angestrebte hohe Reichweite der Information nicht alleine durch den Auftraggeber selbst erreicht werden kann. Vielmehr ist er auf vorgängige Forminvestitionen durch die ZEWO angewiesen, wodurch die Distribution der Statistikproduktion in der Informationswelt deutlich wird (Hutchins 1996). Erst deren Investition in eine kollektiv geteilte Form der Wirkungsmessung ermöglicht es dem Auftraggeber, die von ihm angestrebte hohe Reichweite überhaupt zu erreichen. Es ist genau diese Formatierungsfunktion, welche im vorliegenden Fall dem Leitfaden zur Wirkungsmessung zukommt (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). ZEWO setzt damit nicht nur Standards für die Wirkungsmessung von NPO-Projekten und fungiert so als kollektives Organ der Qualitätssicherung von NPOs. Sie hat darüber hinaus die Funktion eines Informations-Intermediärs (Bessy 2017; Bessy und Chauvin 2013), welcher die Informationsproduktion der verschiedenen NPOs im Hinblick auf die Wirkungsmessung mit einer hohen Reichweite versieht, d. h. in die statistische Form investiert (Thévenot 1984).
Als Koordinationsgrundlage dieses Falls ist jedoch auch die Dienstleistungswelt relevant, da beispielsweise das Forschungsdesign zum Zeitpunkt der ersten Verhandlungen mit der Survey-Firma bereits steht und zum Zeitpunkt des Auftrags zwei Fragebögen vorformuliert waren. Das Management des NPO-Projekts tritt somit auch als Kunde im Sinne der Dienstleistungswelt auf. Für die Befragung wird bereits in der ersten Koordinationssitzung ein fixer Preis vereinbart, sowie die entsprechende Gegenleistung der Survey-Firma.16 Folglich findet eine Arbeits- und Verantwortungsteilung zwischen der Survey-Firma und der operativen Leitung des NPO-Projekts statt, welche einen Kompromiss zwischen der Beratungs-, Dienstleistungs- und Informationswelt darstellt und welche eine Kompetenzverteilung auf verschiedene involvierte Akteure bedingt.
Dargestellt wurden im vorangehenden Kapitel die Kriterien für die Zusammenarbeit mit der Survey-Firma und der Findungsprozess, welcher schlussendlich zur Zusammenarbeit führte. Dabei traten sowohl ein beratungsweltlicher wie auch ein informationsweltlicher Aspekt dieses Survey-Projekts hervor: Einerseits soll die Survey-Firma als insbesondere in methodischen Belangen kompetenter Partner die methodische Fundierung des Survey-Projekts stützen und absichern. Andererseits soll die Survey-Firma auch als Label für zukünftige Datennutzende dienen und so eine erhöhte Reichweite der Daten ermöglichen. Die informationsweltliche Qualität der Daten wird aber auch durch die Operationalisierungen der Fachperson für Evaluationsfragen während des Workshops geleistet. Diese unterstützt das NPO-Projekt beim Bezug der Funktionsweise des NPO-Projekts auf die Kategorien des Leitfadens Wirkungsmessung von ZEWO (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). Das Wirkungsmessungsprojekt weist jedoch auch dienstleistungsweltliche Bezüge im Hinblick auf die Auswahl der Survey-Firma auf. Diese werden deutlich in der ursprünglichen Intention des Angebotsvergleichs zwischen der Survey-Firma und der Universität. Denn ein potentieller Vergleich bedingt gerade der Akteursform des Kunden, welche wiederum fähig sein muss, die für den Vergleich notwendigen Dimensionen bestimmen zu können (vgl. Abschn. 5.​3). Sichtbar wurde jedoch auch, dass diese survey-weltlichen Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen dem NPO-Projekt und der Survey-Firma nicht als strukturale Eigenschaften dieses Survey-Projekts missverstanden werden sollen. Denn die survey-weltlichen Bezüge stellen das Produkt von konstanten situativen und reziproken Aushandlungsprozessen dar (Rawls 2008, S. 712; Storper und Salais 1997, S. 14), wie in der Diskussion um die Verwendung eines Reminders zur Erreichung einer höheren Ausschöpfungsrate anschaulich wurde.

6.1.2 Alternativen zur standardisierten Befragung?

In der folgend dargestellten und analysierten Sequenz wird eine zentrale methodische Herausforderung dieses Falls diskutiert. Gemäß den Schätzungen der Workshop-Teilnehmenden haben zwanzig Prozent der zu Befragenden der Grundgesamtheit nicht die sprachlichen Fähigkeiten, um einen Fragebogen verstehen und ausfüllen zu können. Weitere dreißig Prozent werden der Schätzung zufolge sprachlich Mühe haben, den Fragebogen verstehen und ausfüllen zu können. Die Grundgesamtheit wird dabei durch sämtliche Nutzenden des NPO-Projekts gebildet. Die Gründe für die Sprach- und Verständnisprobleme liegen gemäß den Workshopteilnehmenden darin, dass es sich um Personen handelt, welche nicht Deutsch als Muttersprache haben oder dass sie zwar deutscher Muttersprache sind, aber nicht auf einem genügend hohen Niveau. Die Sequenz beginnt gleich nach den Begrüßungsworten in der zentralen Koordinationssitzung zwischen (A1), (P1) und (P2). (A1) fügt der Besprechungsliste der Survey-Firma an, dass er noch gerne methodische Fragen besprechen würden:
A1:
[…] ich habe noch zwei drei, so ein bisschen methodische, äh, Fragen, wo ich mir überlegt habe, ob wir dann wirklich die richtigen Resultate bekommen, wo gerne natürlich würden natürlich ansprechen
P1:
Methodische Fragen, ja
A1:
Also weißt du, was machen wir mit diesen Leuten, die den Fragebogen nicht verstehen, zum Beispiel. Weil das sind relativ viel und die haben ja vielleicht andere, äh, Erfahrungen mit [dem NPO-Projekt]
P2:
Also meinst du Sprachen
A1:
Also die. Sprachen, ja
P2:
Nicht deutsch Sprechende, so
A1:
Mmh. Ja, oder nicht fähig zum Lesen und Schreiben […] Also eine Schätzung der Projektleitung ist, zwanzig Prozent sind technisch nicht fähig, um einen schriftlichen Fragebogen zu beantworten. Und dreißig Prozent haben Mühe damit, oder? Also nur fünfzig Prozent eigentlich sind gut fähig.
(A1) macht deutlich, dass er potenzielle Probleme in der Befragung der Nutzenden des NPO-Projekts sieht, welche er in fehlenden sprachlichen Voraussetzungen für die geplante standardisierte schriftliche Befragung verortet. Dadurch sieht er einen potenziellen Nonresponse-Bias dieser Gruppe. Das eigentliche Problem verortet er darin, dass er dieser Gruppe eine spezifische Erfahrung der Dienstleistungen des NPO-Projekts zuweist, welche dann in den Ergebnissen nicht oder eben unterrepräsentiert auftauchen würde. Interessant sind an dieser Einstiegssequenz zwei Punkte: Einerseits wird hier wieder die beratungsweltliche Dimension der Koordination in diesem Fall deutlich. Der Auftraggeber „übergibt“ die methodische Herausforderung der Sprachproblematik der Befragten der Survey-Firma. Bedeutsam ist jedoch noch ein zweiter, nicht offensichtlicher Punkt dieser Sequenz. Das Forschungsdesign dieses Falls wird grundlegend in den zwei Workshops erarbeitet und definiert, das heißt in derselben Situation, in welcher auch die Sprachproblematik der Beantwortenden bereits thematisiert wird. Das Forschungsdesign, welches grundlegend aus einem schriftlichen Survey besteht, wird dennoch im Workshop beibehalten. (P1) verweist anschließend darauf, dass man deswegen bereits methodische Vorkehrungen getroffen hat, dass der Idealfall einer telefonischen Befragung jedoch wohl zu teuer wäre für das NPO-Projekt:
P1:
Das heißt, also da haben wir ja mal entschieden online sicher nicht, oder? […] Dort haben wir eigentlich schon mal Abstriche gemacht, oder? Das hätte sich ja auch geeignet sonst, ähmm […] Sonst müssten wir, sonst müssten wir ein anders, eine andere Befragungsmethodik verwenden. Dann müssten wir überall anrufen […]. Da sind wir irgendwie, sind wir in einem Kostenbereich drinnen, oder? Vom Aufwand her, etwas […] Das vermutlich nicht zu leisten ist, oder?
Deutlich wird hier, dass (P1) unterschiedliche Modes nicht nur als unterschiedliche technische Möglichkeiten der Befragung sieht, sondern ihm gemäß auch unterschiedliche Ansprüche an die Artikulationsfähigkeit gestellt werden (vgl. dazu ausführlich Abschn. 6.1.6). Innerhalb des zur Verfügung stehenden Budgets sieht er deswegen die Möglichkeiten als ausgeschöpft an, auf dieses Problem einzugehen. Die Hinweise auf die Mode-Möglichkeiten und deren Eignung für das Evaluationsprojekt ergänzt (P1) danach durch den Hinweis auf sprachverständliche Optimierungsmöglichkeiten der schriftlichen Befragung:
P1:
Was wir können machen, was man kann berücksichtigen, ich sage Fragebogen, so einfach wie möglich, […] Verständlich, und, natürlich, ähm, standardisiert, das heißt möglichst viel kreuzlen, oder?17
(P1) schlägt hier eine Anpassung des Fragebogens vor, um eine höhere Inklusion der thematisierten Gruppe mit Verständnisschwierigkeiten ermöglichen zu können. Nicht standardisierte Fragen sollen aus dem Fragebogen entfernt werden und durch standardisierte ersetzt werden. Es findet folglich eine Vereinfachung des Fragebogens statt, um Verständnisschwierigkeiten vorzubeugen. (P1) verweist weiter auf die Möglichkeiten und auch Grenzen der verschiedenen Befragungsmodes.
P1:
Aber sonst, oder? Gibt es eigentlich nur die Möglichkeit, eigentlich, wenn wir in eine, in eine Situation hineingehen, wo wir dann eins zu eins Betreuungssituationen hat, wo jemand da ist. Quasi, face-to-face oder? […] Das sind Möglichkeiten […]. Aber ich meine auch selbst telefonisch, also wenn jetzt jemand, also ich meine alle telefonischen Befragungen basieren auf diesen […] passiven Sprachverständlichkeiten, deutsch, französisch, italienisch, ich meine von diesen Landessprachen, und wenn das nicht geht, dann […] stoppt eigentlich jede telefonische Befragung, oder? Wenn man merkt, da kommt man nicht durch, da geht es nicht weiter, dann hat man da eigentlich keine Möglichkeit, oder? […]. Also das ist sicher ein Bereich, ja, wo man muss, wo man muss berücksichtigen, wo man halt auch von der Nutzung von einem solchen Instrument quasi ist natürlich generell die Frage, ob das die richtige Zielgruppe ist oder?
(P1) macht in diesem Zitat deutlich, dass nur eine face-to-face-Befragung die Möglichkeit bieten würde, dem von (A1) aufgebrachten Problem von sprachlich kaum fähigen Befragten zufriedenstellend zu begegnen. Er verweist darauf, dass auch telefonische Befragungen sprachliche Grundfähigkeiten erfordern. Daraufhin problematisiert er die Nutzung der Befragung als geeignete Methodik für das Wirkungsmessungsprojekt generell, da er sich unsicher ist, ob die Befragung das richtige Instrument für die Zielgruppe darstellt. Interessant für die folgende Diskussion dieser Sequenz ist der abschließende Hinweis von (P1) darauf, dass es grundsätzlich die Frage sei, ob das bei dieser Evaluation verwendete Instrument der schriftlichen Befragung überhaupt geeignet sei für diese Zielgruppe. Denn wie ausgeführt wird, nehmen die beteiligten Personen in Kauf, dass mit der Verwendung einer standardisierten schriftlichen Befragung das Risiko eines Unit-Nonresponse von minimal zwanzig Prozent einhergeht.18 Zusätzlich wird bereits vor der Erhebung bezweifelt, dass weitere dreißig Prozent der Befragten valide Antworten liefern werden. Darüber hinaus wird angenommen, dass eine direkte Korrelation zwischen der Wirkung des NPO-Projekts, der Nutzungsart und der Nonresponse- und Validitätsproblematik besteht. Die identifizierte Nonresponse- und Validitätsproblematik ist demzufolge das Resultat einer spezifischen, durch (A1) und die restlichen Workshop-Teilnehmenden identifizierten Nutzergruppe des NPO-Projekts. Auffällig ist angesichts dieser tief greifenden methodischen Einschränkung, dass die Erläuterungen und Möglichkeits-Skizzierungen durch (P1) damit beendet sind. Es werden durch (P1) und (P2) keine alternativen Möglichkeiten der Wissensproduktion dargelegt oder angesprochen.19 (P2) macht jedoch einen alternativen Vorschlag, welcher nicht die Methodik selbst, sondern die Kommunikation der Daten betrifft. Er ergänzt im folgenden Zitat die Ausführungen von (P1):
P2:
Ich glaube, man muss einfach, also weißt du, ich verstehe deine Sorge schon, aber man muss halt einfach ganz klar deklarieren beim Auswerten […], wer da mitgemacht hat und dass man auch, und dass man auch sagen muss, es kann sein, dass, dass man jetzt die Zielgruppe […], wo nicht gut deutsch spricht und dass man die nicht einfach abholen kann mit dem […] Oder? Ich meine, meistens sind halt solche Methoden einfach beschränkt.
(P2) bringt zum Ausdruck, dass er die Sorgen von (A1) bezüglich der Sprachproblematik versteht. Er verweist darauf, dass jede Methode eine Beschränkung aufweise und dass man diese Beschränkung bei der Auswertung für die Rezipienten deutlich machen kann und soll. Auch (P2) macht klar, dass die Methode einer standardisierten schriftlichen Befragung nur begrenzt geeignet ist für die Befragung der NPO-Projekt-Teilnehmenden. Trotzdem weicht auch er nicht von dieser Erhebungsmethode ab. Auffällig ist, dass die standardisierte schriftliche Befragung als Methode zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt wird. Wie lässt sich dies anhand des erwarteten hohen Nonresponse und der durch (A1) angesprochenen Validitätsproblematik interpretieren? Zu Beginn dieser Fallanalyse wurde auf die grundlegende informationsweltliche Dimension dieses Surveys verwiesen. Zentral ist in dieser Welt eine hohe raumzeitliche Reichweite der erhobenen Daten (vgl. Abschn. 5.​4). Dies wird produktionsweltlich betrachtet durch zwei Faktoren erreicht. Zunächst durch eine Standardisierung der Erhebung, wie sie auch in der Dienstleistungswelt stattfindet. Dies geschieht durch die Ausrichtung der Erhebung am Leitfaden Wirkungsmessung von ZEWO. Dies stellt den ersten Schritt eines Reichweitengewinns dar. Die Informationswelt geht jedoch über diese Standardisierung hinaus, indem eine inhaltliche Vereinheitlichung der Erhebung stattfindet. Dies geschieht durch die Ausrichtung an einem generischen Daten nutzenden, was sich in einer Datenerhebung in dieser Welt vor einer Äußerung des (spezifischen) Informationsbedürfnis durch die schlussendlichen Datennutzenden zeigt (Storper und Salais 1997). Diese beiden Eigenschaften von Survey-Projekten der Informationswelt (Standardisierung der Erhebungsanlage, d. h. der methodischen Konzeption und Ausrichtung an einem generischen Informationsbedürfnis) lassen sich auch in diesem Survey-Projekt identifizieren. Einerseits findet eine Orientierung an methodischen Formen des ZEWO-Leitfadens „Wirkungsmessung Inland“ statt (Burkhard et al. ohne Jahresangabe).20 Zudem ist eine Standardisierung der Erhebung über die Zeit geplant, um Vergleiche zwischen den verschiedenen Erhebungen ziehen zu können und damit eine Trendanalyse zu ermöglichen. Außerdem findet eine Ausrichtung der Erhebungskategorien an der generischen Informationswelt statt (vgl. Abschn. 6.1.3). Die Ausrichtung der Erhebung findet folglich nicht an individuellen Informations-Rezipienten statt, sondern ist an anonymen (generischen) Informations-Rezipienten ausgerichtet. Eine Orientierung der Erhebung an einer hohen Reichweite wird folglich in mehreren Situationen des Survey-Projekts deutlich. Es ist diese Kombination von standardisierter Erhebung und kategorialer Ausrichtung an generischen Datennutzenden, welche das spezifische Wissensformat dieser Welt, nämlich dasjenige der Information, ermöglichen soll. Diese Rahmenbedingungen für die Produktion von unterschiedlichen Wissensformaten schlagen sich jedoch auch in der (möglichen) Wahl von verschiedenen Forschungsmethoden nieder.
Obwohl der Fokus dieser Arbeit auf surveybasierten Erhebungen liegt, so wird doch sichtbar, dass beispielsweise die Beratungswelt sehr offen für die Kombination mit anderen Erhebungsmethoden, wie beispielsweise Experteninterviews etc. ist (vgl. Abschn. 5.​2). Die Standardisierung und die Ausrichtung an generischen Datennutzenden schränken die Verwendung insbesondere von qualitativen Methoden in der Informationswelt jedoch stark ein. Denn hier soll insbesondere gerade eine hohe Objektivität der Daten (Diekmann 2007, S. 247 ff.), d. h. ein möglichst hoher „Realismus“ der Daten (Desrosières 2009a), durch eine hohe intersubjektive raumzeitliche Reichweite der hier verwendeten Methoden und Kategorien, erreicht werden. Zentral ist dabei eine Abstraktion von der spezifischen Situation. Es ist genau diese fehlende Abstraktionsleistung vom Einzelfall von qualitativen Methoden, welche deren Verwendung in der Informationswelt erschwert. Denn qualitative Methoden ermöglichen zwar eine Generalisierbarkeit im Hinblick auf identifizierte soziale Mechanismen, jedoch keine zahlenmäßige Einschätzung ihrer Verbreitung (Strübing 2008, S. 80 ff.). Dieser Umstand lässt sich nur durch den Verweis auf die Kommunikationsfunktion von Surveys in der Informationswelt erklären. Eine zentrale Eigenschaft von Surveys in dieser Welt stellt deren hohe Kommunikationsreichweite durch standardisierte Formen dar. Der Rückgriff auf andere Methoden – insbesondere qualitative, interviewbasierte Strategien der Wissensgewinnung – kollidieren jedoch exakt mit diesem Objektivitätsanspruch (Daston 2001). Das Ersetzen der schriftlichen Befragung durch qualitative Forschungsstrategien wäre folglich grundlegend keine mögliche Strategie, weil sie das Wissensformat der Informationswelt direkt gefährden würde. Diese Problematik zeigt sich im vorliegenden NPO-Projekt in Form eines „Schweigens“ über alternative Möglichkeit und damit als Ausdruck einer spezifisch informationsweltlichen Survey-Pragmatik. Die Survey-Pragmatik wurde in Abschn. 2.​5.​5 als pragmatische Kompromissschließung zwischen wissensontologischen, methodischen und organisatorischen Dimensionen eines Survey-Projekts vorgestellt. In der vorangehend dargestellten Sequenz wird nun deutlich, wie gemeinsam durch (A1), (P1) und (P2) versucht wird, einen Kompromiss dieser drei Dimensionen zu erreichen. Die Ausgangslage besteht dabei darin, dass das wissensontologische Format der Information im spezifischen Fall methodisch problematische Konsequenzen – d. h. den erwarteten minimal fünfzig Prozent Survey-Error – provoziert werden. Diese Problematik wird durch (A1) angesprochen, wobei durch (P1) auf die organisatorischen Grenzen einer konsequenten methodischen Änderung durch das Umstellen auf eine konsequente face-to-face-Befragung durch fehlende finanzielle Ressourcen hingewiesen wird. Anstelle dessen schlägt er eine Vereinfachung der Befragung vor, um den Konflikt zwischen dem zu erzielenden Wissensformat und der methodischen Grundlegung der Befragung zu minimieren. Zusätzlich wird durch (A1) eine teilweise Ergänzung der standardisierten schriftlichen Erhebung durch face-to-face-Interviews vorgeschlagen. Dieser Vorschlag stellt sich jedoch als untauglich heraus, den Konflikt zwischen dem Informationsformat und den durch die standardisierte schriftliche Befragung einhergehendem Problem des hohen Survey-Errors zu entschärfen, da am dazu vorgeschlagenen Ort lediglich Neunutzende verkehren (vgl. dazu ausführlicher Abschn. 6.1.4). In der Folge bleibt die Strategie der „Entschärfung“ des Fragebogens durch eine möglichst einfache Sprache, sowie eine hohe Standardisierung durch das Weglassen von offenen Fragen, bestehen. Trotz Bemühungen um eine Kompromissschließung zwischen dem erstrebten Wissensformat und der Methodik bleibt das methodische Problem jedoch weiterhin bestehen.
Auch im Hinblick auf die Verwendung der Daten kann ein survey-weltlicher Konflikt ausgemacht werden. In Abschn. 6.1.7 wird dargestellt, wie die ursprüngliche Idee der Durchführung einer Wirkungsmessung im Verlauf des Survey-Prozesses zunehmend zu einer Analyse der Nutzung des NPO-Projekts umgewandelt wird. Dies wird als survey-weltliche Verschiebung von der Informations- hin zur Dienstleistungswelt beschrieben. Angesichts des hier erwarteten hohen Survey-Errors und der hohen Korrelation dieses Survey-Errors mit der Art der Nutzung des Angebots der NPO, ergeben sich auch Konsequenzen für die Nutzung der Daten. Für die informationsweltliche Verwendung ergibt sich einerseits eine Qualitätsminderung der Daten durch die erwartete niedrigere Response-Rate. Interessanterweise ergibt sich jedoch auch eine potenziell gesteigerte Legitimität des NPO-Projekts. Denn wie in Abschn. 6.1.3 dargestellt wird, erwartet (A1) eine kritische Perspektive auf die Unterstützung von ausländischen Staatsangehörigen durch das NPO-Projekt durch die Öffentlichkeit sowie darauf aufbauend auch von finanzierenden Stakeholdern. Die systematische Reduktion von ausländischen Staatsangehörigen durch die „Sprachbarriere“ Fragebogen hat folglich den Effekt, dass diese in den Daten weniger auftauchen und dadurch eine verzerrte Beteiligung in den Daten wiederspiegelt wird, welche zum legitimatorischen Vorteil der NPO führt. Zugleich sind die Daten aus der Perspektive der Dienstleistungswelt, d. h. für die Verwendung für operative Entscheide, aber auch problematisch, da darin eine Nutzendengruppe des NPO-Projekts unterrepräsentiert ist. Damit fehlt Wissen über eine zentrale Nutzendengruppe, welche durch die Teilnehmenden des Workshops geschätzte fünfzig Prozent der Gesamtnutzenden ausmacht. Für operative Entscheide fehlt so eine Entscheidungsgrundlage, da bei den Daten ständig unklar ist, ob dies tatsächlich verallgemeinerbare Aussagen sind, welche auch für die unterrepräsentierte Gruppe gelten.
Deutlich wird durch die analysierte Sequenz die komplexe Survey-Pragmatik dieses Survey-Projekts. Das Ziel liegt in der Produktion von Informationen, d. h. von Wissen mit einer hohen Reichweite. Wie durch (A1) eingeführt wird, steht die Orientierung an diesem Informationsformat jedoch in einem grundlegenden Konflikt mit den sprachlichen Fähigkeiten der Befragten. In der Folge wird ein survey-pragmatischer Kompromiss installiert, welcher jedoch kaum fähig ist, eine Balance zwischen der Methodik sowie den Konventionen der Information einzuführen. Klar wird aber auch, dass eine grundlegende Änderung des Forschungsdesigns – insbesondere hin zu qualitativen Erhebungsmethoden – einen ebenfalls problematischen Kompromiss zwischen den verschiedenen Dimensionen der Survey-Pragmatik darstellen würde, da dies auf Kosten des Wissensformats der Information geschehen würde, welche eine hohe Standardisierung und Vereinheitlichung von Erhebungen voraussetzt.
Deutlich wird damit, dass abhängig von der Dimension der Survey-Pragmatik, auf welche gerade ein Fokus gelegt wird, „geschlossene Augen“ für andere Dimensionen der Survey-Pragmatik notwendig sind (Thévenot 2011e, S. 36). Dies stellt dabei nicht eine Abkehr von der Notwendigkeit einer ausgeglichenen Survey-Pragmatik dar, sondern erst deren Möglichkeit. Zudem wurde in diesem Unterkapitel dargestellt, inwiefern die erwartete Unterrepräsentation für unterschiedliche Survey-Welten unterschiedliche Konsequenzen hat. Aus der Perspektive der Informationswelt kann sogar ein Legitimationsgewinn aus der systematischen Unterrepräsentation der identifizierten Gruppe einhergehen, wobei die Nutzung der Daten als Entscheidungsgrundlage grundlegende Verallgemeinerbarkeitsfragen aufwirft.

6.1.3 Erhebungskategorien für die operative Leitung des NPO-Projekts oder die interessierte Öffentlichkeit?

Die folgend diskutierte Sequenz entstammt der zentralen Koordinationssitzung zwischen (A1), (P1) und (P2). Darin wird thematisiert, ob und wie bei den demografischen Angaben nach der Staatszugehörigkeit21 gefragt werden soll. Sie stellt einen Teil einer größeren Sequenz in der Sitzung dar, in welcher der Fragebogen für die standardisierte schriftliche Befragung gemeinsam von (A1), (P1) und (P2) durchgegangen wird.22 Sie schließt an eine vorherige Sequenz an, in welcher die Familiensituation und die damit zusammenhängende Kategorisierung von Kindern und Jugendlichen diskutiert werden:
A1:
Also es ist glaube ich wie darum gegangen, sind das ähm, sind das Singles oder sind das Leute die noch eine Familie haben, das ist eigentlich die Idee.
P1:
Das ist klar. Also wenn wir die Familiensituation abfragen da
P2:
Da kann man einfach machen Anzahl Erwachsene und Anzahl Kinder
P1:
und Anzahl Kinder. Jetzt fragt sich bei dir […] was sind die für euch […]
P1:
Wenn du, also willst du da differenzieren, oder ist das für dich
P2:
Unter Akzent
P1:
relevant, oder?
A1:
Ja
P1:
Wir haben Jugendliche, junge Erwachsene, wo andere Bedürfnisse, oder? Haben die wieder einen eigenen Antrag, also weißt du so ein bisschen?
(A1) legt hier die allgemeine Idee dar, welche dem Workshop zur Wirkungsmessung entsprungen ist, nämlich die Trennung in Single- und Familienhaushalte. (P2) übernimmt diese Auftrennung und schlägt dafür als Lösung die Befragung der Anzahl Kinder und Erwachsener vor. Er bezieht sich dabei auf eine dienstleistungsweltliche Koordination, da er ausführt (bzw. hier operationalisiert), was von dem Auftraggeber verlangt wird. (P1) bezieht sich auf eine andere Akteursform des Projektleiters, indem er die Kategorisierung der Familiensituation von (A1) aufnimmt und weiterdenkt. Aus diesem Grund fragt er nach, ob es für das NPO-Projekt einen Unterschied macht, ob jemand ein Kind oder ein Jugendlicher ist. Dies begründet er damit, dass diese potenziell unterschiedliche Ansprüche an die Nutzung des NPO-Projekts stellen könnten und so differenziert erfasst werden müssten. Gleich anschließend versichert er sich aber, ob die zu erfassenden Jugendlichen nicht als eigener Fall durch die NPO registriert würden.
Hier ist bereits deutlich zu sehen, wie (P1) eine Kompromissposition zwischen der Beratungs- und der Dienstleistungswelt im Hinblick auf die Akteursform des Projektleiters einnimmt. Denn einerseits macht hier (A1) eigene Vorschläge, was der Akteursform des Auftraggebers der Dienstleistungswelt entspricht,23 nämlich des „Kunden“. Andererseits denkt sich (P1) jedoch in die Situation von (A1) ein und schlägt eine eigene Kategorisierung vor, in Abhängigkeit von der für ihn zu diesem Zeitpunkt unbekannten organisationalen Realität, d. h. der Kategorisierung der Thematik in operativen Belangen. Unabhängig vom beratungsweltlichen oder dienstleistungsweltlichen Bezugsrahmen wird sichtbar, dass (P1) die diskutierte Kategorie als Resultat von operativen Überlegungen, bzw. bestehenden operativen Kategorisierungen, des NPO-Projekts sieht.
Das Kriterium für die Bewertung der Kategorien „Kinder“ und „Jugendliche“ liegt in der Beurteilung von deren Potenzial für die Fundierung von operativen Entscheiden. Der Unterschied zwischen dem beratungsweltlichen und dem dienstleistungsweltlichen Vorgehen liegt darin, ob (P1) lediglich den Wunsch von (A1) übernimmt, oder sich selber kritisch in das Funktionieren des NPO-Projekts und sich daraus ergebende Kategorisierungsfragen hineindenkt und daraus Konsequenzen für die Befragung zieht. Im Anschluss daran kommen (A1), (P1) und (P2) beim Durchgehen des Fragebogens zur nächsten Kategorie des Fragebogens, der Nationalität:
P2:
Und bei der Nationalität, wollen wir dort auch Vorgaben machen. Schweiz und nicht Schweiz oder willst du differenzierter?
P1:
Ja, es geht um Schweizer oder Nicht-Schweizer
A1:
Eigentlich ja, Mmh
P2:
Oder? Dann kann man einfach CH oder nicht CH. Ja, da haben wir auch ein Antwort irgendwie standardisiert […]
A1:
Oder müsste man noch differenzieren, welcher Staat dass das wäre? Nein ist eigentlich nicht so relevant. […]
P1:
Nein
P2:
Das ist nicht interessant. Also weißt du, das macht bei der Auswertung den Braten nicht fett.
P1:
Wenn schon. Ja ich würde, der Teil ist wirklich zu überlegen, oder? Also wir müssen ja nicht, was wird jetzt da erwartet, ich mein das könnten. Gut, im Nachhinein ist man immer gescheiter, oder? Ich sage jetzt auch, weil Berufsbildung oder? Weil haben jetzt da natürlich mit einem ganz, ganz speziellem spezifischem […] Segment zu tun, oder? […] Weil die Leute die haben ja alle einen Anspruch auf das, oder? […] Von dem her gesehen ist einfach die Familienzusammensetzung oder die Nutzung, wie man das nutzt ist auch ein bisschen interessanter als alle weiteren, alle weiteren Informationen, oder?
Im Anschluss an die Diskussion zur Kategorisierung der Haushaltszusammensetzung wird nun die Kategorisierung der Staatszugehörigkeit angesprochen. (P2) übernimmt wiederum die vorgeschlagene Kategorisierung von (A1), während (P1) skeptisch ist, indem er darauf verweist, dass schlussendlich alle Befragten im Hinblick auf das Angebot des NPO-Projekts teilnahmeberechtigt seien und die Familienzusammensetzung und Nutzung des NPO-Projekts wichtig für das Verständnis der Struktur der Teilnehmenden aus operativer Sicht seien. (P1) nimmt also wiederum eine beratende Perspektive ein, indem er die Vorschläge von (A1) hinterfragt. Er verweist auf den geringen Wissensvorteil für die operative Leitung des NPO-Projekts infolge der Kategorisierung von Berufen und auch der Nationalität und sieht in der Folge nicht, warum diese Kategorisierung übernommen werden soll. (A1) reagiert darauf folgendermaßen:
A1:
Aber gerade so die Aufteilung, Schweizer, Nicht-Schweizer, die ist auch sonst immer so, mmh, ein heißes Eisen, wo ich schon gerne würde, also was heißt, heißes Eisen ist das falsche Wort, aber das ist so etwas, das immer interessiert, oder? […] und ist die Frage, wie, wie man das definiert, oder wie verständlich dass das ist, oder? Also weißt du ist ein Secondo oder so. Ist das mit Migrationshintergrund oder nicht?24
(A1) verteidigt diese Kategorisierung mit dem Argument, dass „das immer interessiert“. Zu diesem Zeitpunkt bleibt jedoch noch unklar, wen genau die Staatszugehörigkeit interessiert. Es wird jedoch bereits hier deutlich, dass das Thema auch für ihn heikel ist und kaum für ihn selbst als operativen Leiter des NPO-Projekts relevant ist. (A1) folgt dem Hinweis von (P1) folglich nicht. In der Folge geht die Diskussion zwischen (A1) und (P2) zur Kategorisierung der Staatszugehörigkeit weiter. (P1) verweist darauf, dass man bei dieser Diskussion schlussendlich beim Pass lande und ergänzt: „Ja was machen wir mit dem, oder? […] was machen wir mit dieser Information?“ (P2) geht währenddessen weiter auf die Messung dieser Kategorie ein und schlägt vor, dass man danach fragen könne, ob jemand einen Schweizer Pass hat oder nicht. (A1) entgegnet dem, dass dann das Problem bestehe, dass man damit Personen ohne Schweizer Pass mitmesse, welche nur keinen Schweizer Pass haben, weil dies Nachteile für sie bringe. (P1) will wiederholt intervenieren und bringt ein: „Die Frage ist“, wird jedoch nicht gehört, weil die beiden anderen Sitzungsteilnehmenden weiter über Operationalisierungsschwierigkeiten sprechen. Zwischen (P2) und (A1) ist der Koordinationsbezug folglich weiterhin die Dienstleistungswelt. In diesem Zusammenhang schlägt (P2) eine Operationalisierung mittels Sprache vor.25 Gefragt werden soll, welche Sprache hauptsächlich zu Hause gesprochen werde, dies habe sich in vorherigen Befragungen als Operationalisierung der „Integration“ bewährt. (P1) nimmt diese Operationalisierungsdiskussion auf und verweist erneut auf den ihm gemäß fraglichen Sinn der Kategorie Staatszugehörigkeit:
P1:
Finde ich noch eine spannende Frage, die natürlich in eine Richtung geht, was wollen wir denn genau wissen, oder? […] Weil einfach Schweiz Ausländer, ich habe auch Mühe mit diesen […] Einteilungen, weil das bringt wie nichts, oder? […] Was heißt denn das, oder?
(P1) übt abermals Kritik an dieser Kategorisierung mit dem Verweis darauf, dass diese nichts bringe. Dabei lässt sich gut die reflexive Herstellung des tieferen Sinns dieser Kategorie zwischen den beteiligten Akteuren beobachten (Rawls 2008, S. 719 ff.). Im Zusammenhang mit seinen vorherigen Äußerungen kann dies interpretiert werden als Kritik an der allgemeinen, gesellschaftlich etablierten Einteilung, welche jedoch für die operative Leitung nichts bringe, da die Personen schlussendlich die Kriterien für den Zugang zum NPO-Projekt erfüllen. (P1) formuliert hier eine dienstleistungsweltliche Kritik an der informationsweltlichen Kategorisierung von „Schweizern“ und „Ausländern“. Sein Argument bezieht sich darauf, dass die gesellschaftlich bestehende Kategorisierung noch nicht bedeute, dass dies automatisch auch für das operative Wirken der NPO relevant sei. Survey-weltlich nimmt (P1) hier folglich wiederum eine Kritik am Wunsch von (A1) vor. (P1) sieht bezieht sich folglich in der Diskussion um die Kategorie „Staatsangehörigkeit“ immer stärker auf die Akteursform des Projektleiters der Beratungswelt, indem der den Wunsch von (A1) nicht als Auftrag versteht, sondern als Ausgangspunkt für eine kritische Reflexion über den Sinn der Aufnahme dieser Kategorie für operative Entscheidungen. (P1) macht dabei deutlich, dass aus seiner Sicht die Erhebung diese Kategorie keinen Wissens-Mehrwert bringe, da sie auf die operative Entscheidung im NPO-Projekt keinen Einfluss habe. Dies begründet er damit, dass die Teilnahme am NPO-Projekt nicht an die Staatszugehörigkeit gebunden sei. (A1) bleibt jedoch auf der Notwendigkeit dieser Kategorie bestehen und macht im Anschuss die informationsweltliche Dimension dieser Kategorie explizit:
A1:
Also das ist jetzt schon noch eine Frage jetzt auch, finanzierungsseitig, wo wir jetzt auch bei vielen Projekten, die wir haben, kommt jetzt, betrifft das Ausländer oder betrifft das Schweizer oder? […] Das ist schon […] Schon etwas, das relevant ist. Auch wenn es so ein bisschen mit einer Schubladisierung zu tun hat […] Merken wir das schon und ich glaube, das ist schon der Punkt, den wir beantworten müssen, da drinnen.
Wie (A1) nun erkennbar macht, ist diese Kategorisierung für ihn nicht entscheidend für die operative Tätigkeit des NPO-Projekts, sondern dient mehr der Rechtfertigung gegenüber Geldgebern. (A1) eröffnet so die rechtfertigungstheoretische Dimension dieser Kategorie und den informationsweltlichen Aspekt der Kategorie „Staatsangehörigkeit“. Damit geht auch ein Regimewechsel im Hinblick auf die Nutzung der Kategorie einher. (P1) stellte hier stets das Regime des Plans voraus. Demgemäß wäre es das Ziel dieser Kategorie, die Möglichkeiten des zielgerichteten Handelns zu stärken (Thévenot 2011d). (A1) bezieht den Nutzen der Kategorie jedoch auf deren Fähigkeit der Rechtfertigung des NPO-Projekts und somit auf deren Legitimationspotenzial. (A1) nimmt hier Bezug auf einen rechtfertigungsbasierten Diskurs, welcher als ein Kompromiss zwischen der staatsbürgerlichen (Boltanski und Thévenot 2007, S. 254 ff.) und der meinungsweltlichen Rechtfertigungsordnung (Boltanski und Thévenot 2007, S. 245 ff.) verstanden werden kann. Denn einerseits zeigt sich in diesem Diskurs der Bezug auf ein (schützenswertes) Kollektiv. Rein aus der Perspektive der staatsbürgerlichen Rechtfertigungsordnung ist jedoch die Grenzziehung dieses Kollektivs auf Nationalstaaten nicht vorgegeben (Boltanski und Thévenot 2007, S. 254 ff.). Der Bezug auf dieses Kollektiv zeigt sich darin, dass die Geldgeber gemäß (A1) darauf bauen wollen, dass ihr Geld nicht alleine für einen bestimmten Zweck, sondern spezifisch für bestimmte Personen verwendet werden soll. Hier findet folglich ein Kompromiss mit der meinungsweltlichen Rechtfertigungsordnung statt, welche die geltende (öffentliche) Meinung als zentrales Bezugskriterium nimmt (Boltanski und Thévenot 2007, S. 245 ff.). Die starke Präsenz der Kategorisierung von Staatsangehörigkeit in der Schweiz führt in einem Kompromiss mit der staatsbürgerlichen Rechtfertigungsordnung zu einer Eingrenzung des Kollektivs auf die Schweizer Staatsangehörigkeit. Die surveybasierte Erhebung kann folglich als Prüfung des NPO-Projekts im rechtfertigungstheoretischen Sinne für diesen öffentlichen Diskurs betrachtet werden (Boltanski und Thévenot 2007, S. 187 ff.). Im Anschluss an die Eröffnung der informationsweltlichen Dimension dieser Kategorie durch (A1), lenkt (P1) in die Verwendung dieser Kategorie ein. (P1) macht hier in Bezug auf die Akteursform des Projektleiters einen Kompromiss zwischen der Beratungs- und der Informationswelt. Es lässt sich folglich eine Kompromissverschiebung ausgehend von einem Kompromiss zwischen der Beratungs- und der Dienstleistungswelt hin zu einem Kompromiss zwischen der Beratungs- und der Informationswelt feststellen. Er bleibt in seiner Rolle als Berater bestehen, indem er weiterhin Verantwortung über das Gelingen des Survey-Projekts übernimmt. Der Perspektivenwandel besteht jedoch darin, dass er die Kategorie nicht mehr auf die operative Tätigkeit des NPO-Projekts bezieht, sondern auf deren informationsweltlichen Aspekt:
P1:
Jaja, ich mein grundsätzlich von dem her, was du gesagt hast, das leuchtet schon ein, wir müssen schon irgendetwas […]
A1:
Weil die wollen das wissen […]
P1:
Ist es der Schweizer […]
A1:
Populistische Kultur aber das ist […] wenn jemand kommt, dann ist es natürlich […] stark, wenn du ganz klar kannst sagen
P1:
Doch, es gibt auch Schweizer, wo das brauchen, he ja
P2:
Mmh, macht Sinn, ja
P1:
Also ich finde, also wir müssen uns da, wir finden da noch eine Lösung, oder?
(A1) und (P1) werden sich daraufhin einig, dass die Aufnahme dieser Kategorie auch zu einer erhöhten Legitimität des NPO-Projekts führen kann, wenn man belegen kann, dass auch Schweizer die Hilfe dieses NPO-Projekts in Anspruch nehmen. Die Prüfung der Stakeholder kann bei einem Bestehen folglich auch positive Konsequenzen für das NPO-Projekt haben. (A1) und (P1) nehmen nun in reflexiver Weise Bezug auf die durch die Öffentlichkeit und die Geldgeber „diktierte“ Kategorie „Staatsangehörigkeit“. Diese stellt nun nicht mehr lediglich ein Problem dar, indem diese in den Fragebogen integriert werden muss, sondern (A1) und (P1) sind sich einig, dass sie – angesichts des diskursiven Kontext – auch zum Vorteil für die Legitimität des NPO-Projekts werden kann, indem dargestellt werden kann, dass es „auch Schweizer“ sind, welche die Hilfestellung des NPO-Projekts benötigen. Es ist auch dieser Legitimationsaspekt, welcher erklärt, warum auch (A1) diese Kategorisierung auf Basis dieses Kompromisses zwischen der meinungsweltlichen und der staatsbürgerlichen Rechtfertigungsordnung kritisiert, indem er sie als „populistische Kultur“ bezeichnet. Damit kritisiert (A1) den meinungsweltlichen Aspekt dieser Kategorisierung.
In Bezug auf die Akteursform des Projektleiters nimmt (P1) folglich eine wechselnde Positionierung vor: Zuerst bezieht er sich auf die Akteursform des Projektleiters der Beratungswelt, den Berater.26 Er weist auf den fehlenden Wissensgewinn in Folge dieser Kategorisierung mit Blick auf die unternehmerische Praxis hin. (A1) widersetzt sich dieser Expertise und bezieht sich auf die Auftraggeber-Form, indem er auf den diskursiven Kontext der Umfrage und das Informationsbedürfnis der finanzierenden Stakeholder verweist. Er entpuppt damit die umstrittene Kategorisierung als nicht operative, sondern informationale Kategorie, die er selber nicht für das operative Betreiben dieses NPO-Projekt braucht, aber die von ihm als Wissenskategorie von Stakeholdern gefordert wird. (A1) verweist regimetheoretisch darauf, dass der Miteinbezug dieser Kategorie für ihn nicht Sinn in Bezug auf das Regime des Plans mache, sondern eine legitimierende (rechtfertigungsbasierte) Funktion für Dritte einnehme (Thévenot 2011d). Diese Orientierung an einem – wenn auch zunächst noch beschränktem – öffentlichen Interesse ist gerade charakteristisch für die Informationswelt.
Sieht man von zukünftig folgenden Situationen ab, welche für die vorliegende Fallanalyse nicht berücksichtigt werden können, so scheint die Koordination im Hinblick auf die Kategorie „Staatszugehörigkeit“ durch die explizite Koordination von (P1) und (A1) und die Operationalisierungsmaßnahmen von (P2) gelungen zu sein und die informationsweltliche Nachfrage der Öffentlichkeit sowie der Geldgeber befriedigt. An dieser Stelle soll jedoch zu den Konsequenzen einer fehlenden Koordination im Hinblick auf die Kategorie „Staatsangehörigkeit“ ein Gedankenexperiment angestellt werden. Dieses Gedankenexperiment wird vorgenommen, um die Tragweite dieser kurzen Sequenz ermessen und insbesondere deren Dimension für den Wissensproduktionsprozess darstellen zu können. Dabei sind grundsätzlich zwei Möglichkeiten denkbar: Die erste besteht darin, dass sich (A1) von (P1) hätte umstimmen lassen27 und auf dessen Insistieren auf die Bewertung der Notwendigkeit der Benutzung dieser Kategorie mit Blick auf deren operativer Bedeutung eingegangen wäre, die Kategorie jedoch für die Kommunikation gegenüber Stakeholdern nichtsdestotrotz gefordert worden wäre. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass (P1) (A1) nicht auf die operative Beurteilung dieser Kategorie aufmerksam gemacht hätte, die Kategorie aber als Grundlage für das operative Management des NPO-Projekts hätte dienen sollen.
Der erste Fall hätte eine zu geringe Reichweite der Erhebung zur Folge, d. h. einen verringerten Informationswert. Wie (A1) deutlich macht, dient die Kategorie „Staatszugehörigkeit“ der Kommunikation gegenüber den Stakeholdern des NPO-Projekts. Angenommen die Einschätzung von (A1) trifft zu, dass diese auch wirklich „Rechenschaft“ zu dieser Kategorie fordern, so hätte ein Fehlen dieser Kategorie zur Folge, dass das Projekt für die Stakeholder durch eine fehlende Bewertungsgrundlage nicht einschätzbar wäre. (A1) riskierte hier mit seinem NPO-Projekt in den Bewertungskategorien der Stakeholder nicht aufzutauchen und so dessen finanzielle Basis zu gefährden.
Der zweite Fall hat auf den ersten Blick potenziell weniger dramatische Konsequenzen, da er lediglich eine überschüssige Kategorie in den Fragebogen integriert, welche nicht für die Auswertung gebraucht werden kann. Aus einer survey-weltlichen Perspektive ergeben sich jedoch tiefer gehende Probleme. Die Übernahme dieser „öffentlichen“ Kategorien führt zu einer Politisierung des Fragebogens. Gefragt wird nicht nach den operativen Kategorien, deren Bedeutung sich erst aus dem Zusammenhang mit der Funktionsweise des NPO-Projekts ergeben, sondern nach Kategorien, deren politischer Bedeutung den meisten Beantwortenden klar sein dürfte. Die Einführung dieser Kategorie führt zu einer Politisierung der Befragung, indem die Befragten nicht lediglich Entscheidungsgrundlagen für die Funktion des Projekts liefern sondern politische Informationen. Hier wäre zu klären, inwiefern eine solche Politisierung zu geringeren Response-Raten führt.28
In der diskutierten Sequenz, in welcher die genaue Implementierung der Kategorie „Staatsangehörigkeit“ verhandelt wurde, zeigten sich unterschiedliche Standpunkte zwischen (A1) und (P1) auf der einen Seite und (P2) auf der anderen Seite. Ein Vergleich zwischen der Aufnahme verschiedener Kategorien in den Fragebogen zeigt jedoch schnell, dass nicht jede Aufnahme einer Kategorie vergleichbar intensiv diskutiert wird. In der folgend diskutierten Sequenz ist gerade das Gegenteil der Fall. Hier wird die Aufnahme der Kategorie „Ausbildung“ besprochen. Nach einer Sequenz, in welcher die Aufnahme und die genaue Ausgestaltung der Kategorie „Regionen“ diskutiert wird, leitet (P2) weiter zur Kategorie „Ausbildung“:
P2:
Berufsbildung dasselbe, dort gehören wir auch, da haben wir standardisierte Fragebögen, haben wir so Vorgaben
A1:
Ja
P1:
Höchste abgeschlossene Ausbildung, oder? […]
P2:
Man kann einfach Ausbildung schreiben und dann Primarschule, Sekundarschule […]. Und dann auch immer in Klammern Anzahl Schuljahre anschreiben, das ist manchmal noch
P1:
Genau, ich würde das auch so machen
P2:
Je nach Land oder so
A1:
Je nach Kanton ist es ja
P2:
Oder nach Land.
A1:
Ja
P2:
Wenn jetzt jemand irgendwo im
P1:
Migrationshintergrund
P2:
Ja, die haben ja manchmal irgendwie zehn Jahre Primarschule
A1:
Ja klar, ja
(P2) verweist darauf, dass sich die Aufnahme der Kategorie „Ausbildung“ ähnlich gestalte wie bei der Kategorie „Regionen“, dass sie da über „standardisierte Fragebögen“ verfüge und die Survey-Firma auch „Vorgaben“ habe. In der Folge findet eine kurze Diskussion zwischen (P1) und (P2) statt über die genaue Operationalisierung dieser Kategorie. Dabei wird auf die unterschiedlichen Schulsysteme zwischen verschiedenen Kantonen und Staaten eingegangen. In dieser Sequenz nicht sichtbar ist dabei, dass die Diskussion um die Erhebung der Kategorie „Ausbildung“ somit abgeschlossen ist. Im Gegensatz zur Diskussion über die Kategorie „Staatsangehörigkeit“ scheint die Kategorie „Ausbildung“ für sämtliche Beteiligten nicht problematisch zu sein. Interessant ist hierbei besonders der anfängliche von (P2) geäußerte Zusatz, wonach die Survey-Firma im Hinblick auf die Erhebung der Ausbildung von Befragten über „Vorgaben“ verfüge. Die Erhebung der Ausbildung wird folglich nicht als Spezifität von einzelnen Erhebungen betrachtet, sondern als allgemeines Wissensinteresse verschiedener Survey-Projekte, was ein verallgemeinerbares Wissensinteresse der verschiedenen Survey-Projekte voraussetzt. Hierbei werden die Kategorien des staatlichen Ausbildungssystems übernommen und als unproblematische Kategorien in verschiedene Survey-Projekte überführt. Einerseits wird dadurch der informationsweltliche Charakter dieser Übernahme deutlich. Denn hier findet eine Standardisierung der Kategorie, sowie eine Orientierung an einem generischen Informations-Rezipienten statt (Storper und Salais 1997, S. 32 ff.). Andererseits wird klar, dass der informationsweltliche Bezug in den Hintergrund rückt durch den Verweis von (P2) auf die Operationalisierung dieser Kategorie gemäß Vorgaben der Survey-Firma. Die Verwendung wie auch die Operationalisierung dieser Kategorie werden so zum Standard für Survey-Erhebungen gemacht, ohne dass eine weiterführende Diskussion zum Nutzen dieser Kategorie stattfindet. Es wird folglich angenommen, dass die Erhebung dieser Kategorie einen allgemeinen Wissensfortschritt in sämtlichen Survey-Welten gleichermaßen ermöglicht.
Deutlich zeigt sich in der Sequenz ein grundlegender Aspekt von Survey-Projekten. Die Survey-Pragmatik wurde als Handhabung der drei unterschiedlichen Dimensionen von Survey-Projekten dargestellt: des Survey-Managements, der Methodik und des Wissensformats. Erkennbar wird in der präsentierten Sequenz die enge Verbindung zwischen den verschiedenen Dimensionen. Die Diskussion um die Kategorie „Staatsangehörigkeit“ macht sichtbar, dass sich die Kategorien nicht aus dem Untersuchungsgegenstand selbst ergeben, auch wenn methodisch systematisch und gewissenhaft vorgegangen wird. Die Verwendung von Kategorien als Grundlage der Befragung stellt so folglich keine rein methodische Entscheidung dar, sondern kann nur unter dem Einbezug des zu erreichenden Wissensformats entschieden werden. Wie aufgezeigt werden konnte, ergeben sich deshalb unterschiedliche Perspektiven auf die Kategorisierung, abhängig von der einer Erhebung zugrunde liegenden Survey-Welt. Im konkreten Fall lässt sich deswegen die vorgestellte Diskussion um die Verwendung der Kategorie „Staatsangehörigkeit“ nicht ohne die Kenntnis des öffentlichen Diskurses der Schweiz nachvollziehen.29 Sichtbar wird in der dargestellten Sequenz auch der reflexive Umgang von (P1) mit der von (A1) geforderten Kategorie „Staatsangehörigkeit“. Hier zeigt sich der von der EC angenommene reflexive Akteur (Diaz-Bone 2011a). Die Angemessenheit der Kategorie wird durch deren Bezug auf eine Konvention beurteilt. Erfolgt eine Änderung des konventionellen Rahmens wie in der vorherigen Sequenz aufgezeigt, so erfolgt auch eine Änderung der Bewertung der Kategorie. (P1) wechselt nach dem Hinweis auf die eigentliche Bedeutung der Kategorie „Staatsangehörigkeit“ durch (A1) seine Haltung dazu grundlegend. Aber auch auf Seiten von (A1) ist eine Reflexivität notwendig. Trat er in den bis jetzt im Fall diskutierten Thematiken meistens als Klient im Sinne der Beratungswelt auf, was grundlegend mit einem Vertrauen gegenüber den Entscheiden der Survey-Firma einhergeht, so tritt er nun als Auftraggeber auf. Durch diesen survey-weltlichen Wechsel findet eine Veränderung der Entscheidungsverantwortung statt. Es ist in diesem Fall (A1), welcher verantwortlich ist für die informationsweltliche Passung der Kategorien und er muss diese gegenüber (P1) und (P2) durchsetzen. Damit findet eine grundlegende Veränderung der Zusammenarbeit zwischen (A1), (P1) und (P2) statt, welche durch (A1) eingeleitet wird. Und es wird außerdem deutlich, dass sich (A1), wie auch (P1) und (P2) auf unterschiedliche Konventionen von Käufern, bzw. Verkäufern von Survey-Dienstleistungen beziehen.

6.1.4 Die kritische Bezugnahme auf Kundenwünsche durch den Auftragnehmer

Eine zentrale Konvention der Beratungswelt stellt die Übernahme der Verantwortung nicht nur für die Durchführung der Befragung, sondern auch für die Resultate in Form von Empfehlungen dar, welche spezifisch auf Klienten zugeschnitten sind. Diese Konvention baut unumgänglich auf einem besseren Kennenlernen zwischen Klient und Berater auf, um die Befragung überhaupt erst an der Individualität des Klienten und des Survey-Projekts ausrichten zu können. Es wurde in der Darstellung der Beratungswelt weiter argumentiert, dass das Erreichen einer Empfehlung nicht ohne ein reflexives Stützen auf das Regime des Vertrauten funktioniert (vgl. Abschn. 5.​2). Es ist folglich für den Berater zentral, einer phänomenologischen Grundhaltung folgend die subjektive Welt des Klienten zu erkunden und diese subjektive Welt reflexiv bei der Ausarbeitung der Empfehlung miteinzubeziehen (Eberle 2015). Die beratende Person muss folglich eintauchen in die Welt des Klienten – wobei die Tiefe des Eintauchens maßgeblich durch den vorhandenen Kompromiss mit der Dienstleistungswelt oder weiteren Survey-Welten bestimmt wird. Im Folgenden wird eine Sequenz der Koordinationssitzung zwischen der operativen Leitung des NPO-Projekts und der Survey-Firma dargestellt, in welchem der Bezug auf das Vertraute des Klienten zu sehen ist. Wie zu zeigen sein wird, leistet dieser Bezug einen wichtigen methodischen Beitrag für das Gelingen des Wirkungsmessungsprojektes.
Die Vorgeschichte der folgend analysierten Sequenz besteht in der Diskussion um die zu erwartende Response-Rate der befragten Personen (vgl. Abschn. 6.1.2). (A1) verweist zu Beginn der Sitzung darauf, dass er diesen Punkt gerne noch einmal besprechen würde und setzt dies als Tagesordnungspunkt. Er verweist darauf, dass im Workshop ein Konsens darüber bestand, dass 20 % der befragten Personen sprachlich gar nicht fähig sein werden, einen schriftlichen Fragebogen auszufüllen. Zusätzlich seien 30 % der befragten Personen sprachlich nur bedingt fähig, dies zu tun. Daraufhin werden verschiedene Lösungsansätze diskutiert, wie mit dieser Situation umgegangen werden soll. (A1) macht in der Folge einen eigenen Vorschlag:
A1:
Wir haben jetzt in [der Zweigstelle der NPO], dort gibt es so das einzige [NPO-Projekt], äh, welcome desk oder irgendeine, man würde sagen, das ist eine offene [NPO-Projekt] Stelle, wo man vorbeigeht. Und wenn man jetzt dort drinnen ist, dort kommen pro Tag zwanzig Leute rein, die eine [Mitgliedschaft] wollen und dort (zählen?) nicht viele, die vorbeikommen, die in diese Gruppe gehören, oder? Ich habe mir dann auch noch überlegt, wir könnten vielleicht zwei, drei Tage dort sein und die ein bisschen probieren, äh, Leute herauszupflücken oder die Fragen, ob sie schnell könnten Zeit nehmen, zum einen, eine mündliche Befragung.
(A1) verweist hier auf die Möglichkeiten einer face-to-face-Befragung in einer Zweigstelle der NPO. Dadurch, dass dort Teilnehmende des NPO-Projekts vorbeikommen, besteht die Möglichkeit, diese direkt anzusprechen und zu befragen. Analog zur qualitativen telefonischen Befragung stellt die Möglichkeit einer qualitativen, nicht standardisierten Face-to-face-Befragung eine additive Absicherung der Befragungsergebnisse aus der schriftlichen Befragung dar. Die Idee besteht darin, überprüfen zu können, ob ein starker Bias in der standardisierten schriftlichen Befragung vorhanden ist und abschätzen zu können, wie dieser gegebenenfalls aussieht. Die Intention der zusätzlichen Befragung kann folglich als Versuch einer Steigerung der Reichweite dieses Survey-Projekts verstanden werden, indem dargelegt werden kann, inwiefern die standardisierte Befragung repräsentativ ist. Daraufhin werden die Möglichkeiten und Grenzen einer standardisierten Befragung weiterdiskutiert. (P2) kommt daraufhin auf den ursprünglichen Vorschlag des Auftraggebers zurück:
P2:
Wir können aber den Ansatz mit den [unverständlich] ich meine, da müsste man halt berücksichtigen, dass jemand von euch die Daten dort erheben gehen würde und das wäre eigentlich grundsätzlich schon noch spannend, nicht? Wenn wir, wenn wir da noch so ein.
P1:
Wenn es möglich ist, wir haben ja den gleichen Fragebogen und
P2:
Jaja, da kannst du genau vergleichen
A1:
Wir können es ja mal laufen lassen und die, die ihn nicht schaffen, dass die das können
P2:
Wir können ja mal schauen
P1:
Das, das müsstest du halt schauen, ob das möglich ist, oder wie das aussieht, oder?
Sowohl (P2) wie auch (P1) stehen dem Projekt einer face-to-face-Befragung in der Zweigstelle positiv gegenüber. Durch den gleichen Fragebogen wie bei der standardisierten schriftlichen Befragung stellt dies für beide Projektleiter eine gute Möglichkeit dar, einen allfälligen Bias der standardisierten Befragung zu entdecken. Der Vorschlag von (A1) wird folglich aufgegriffen und als ergänzende Methode zur schriftlichen Befragung festgelegt. Beschlossen wird zudem, dass der Auftraggeber die Möglichkeiten dazu abklärt. Diese Abstimmung findet im Regime des Plans statt (Thévenot 2011d, S. 267 ff.). Der Vorschlag des Auftraggebers wird aufgenommen und weitere Handlungsschritte werden geklärt. Von (P1) und (P2) wird daraufhin der Vorschlag gemacht, diese zusätzliche Erhebung als Pretest für den Fragebogen der standardisierten Befragung zu gebrauchen. Daraufhin fragt (P1) nach der Art der Personen, welche diese Anlaufstelle frequentieren:
P1:
Aber was wäre dann das für welche, dass die Leute die ihr dort habt. Das sind auch solche wo sie schon länger haben, oder?
A1:
Das ist
P1:
Die gleiche Gruppe oder welche Gruppe wäre denn das, wer geht denn dort hinein und heraus
A1:
Das sind ähm Neu-Nutzende hauptsächlich
P1:
Das wären also Neue oder?
A1:
Ja, Mmh
P2:
Mmh, die kann man ja gar nicht so fragen
P1:
Nein
A1:
Wo die Erfahrung noch nicht haben. Ja, Mmh, das ist richtig, ja.
Die Nachfrage von (P1) bringt zutage, dass sich die Anlaufstelle frequentierenden Personen gar nicht für eine Befragung eignet, da diese sich erst für das NPO-Projekt anmelden, dessen Wirkung gemessen werden soll. Im Gegensatz zur Dienstleistungswelt findet folglich eine Verantwortungsübernahme der methodischen Grundlegung des Survey-Projekts durch (P1) statt. Wünsche und Ideen des Klienten werden nicht direkt umgesetzt, sondern es wird abgeklärt, inwiefern diese Wünsche und Ideen mit dem grundsätzlichen Erkenntnisziel kompatibel sind. Das zentrale Moment bei der Nachfrage durch (P1) stellt jedoch das Eindenken und die Bezugnahme in die subjektive Welt des Klienten dar. Es ist notwendig, dass sich der Projektleiter reflexiv auf die subjektive Auffassung von (A1) bezieht. Reflexiv bedeutet hier, dass der Projektleiter den Vorschlag des Auftraggebers mit dem generellen Ziel der Wirkungsmessung und Nutzendenbefragung abgleicht und den Vorschlag so bewerten kann. Dies geht nicht ohne eine Rekonstruktion des vertrauten „Wissens“ des Klienten (Thévenot 2011d). Notwendig ist dafür jedoch auch, dass der Projektleiter der Survey-Firma einen Sinn für die Bedürfnisse des Auftraggebers hat. Dies ist in der Beratungswelt für eine gelingende distribuierte Koordinan unerlässlich, denn die distribuierte Kognition (Hutchins 1996) von Survey-Projekten muss in dieser Welt maßgeblich durch Projektleiter (Berater) von Survey-Firmen gesteuert werden.
In diesem Abschnitt wurde das Eingehen auf das vertraute Wissen von Klienten als zentraler Eigenschaft der Beratungswelt rekonstruiert. Die von (A1) geäußerte Idee, zusätzlich zur standardisierten schriftlichen Befragung ein zusätzliches face-to-face-Sampling direkt in einer Zweigstelle der NPO vorzunehmen, wird durch (P1) und (P2) kritisch aufgenommen und schlussendlich aufgrund der methodischen Untauglichkeit verworfen. Hierbei zeigt sich die von (A1) in einem früheren Kapitel geäußerte Qualität der Zusammenarbeit, wonach die Survey-Firma auch an solche Sachen denken soll, welche er selbst nicht sieht (vgl. Abschn. 6.1.1). Die von (A1) geäußerte Idee stellt folglich noch keinen Wunsch und damit einen Auftrag an die Survey-Firma dar, sondern ein auf der Basis der besseren NPO-Kenntnis vorgenommener Vorschlag, dessen methodische Tauglichkeit gemeinsam analysiert werden muss. Für die Beratungswelt gilt daher in besonderem Masse, dass Survey-Projekte ein kollektives Projekt darstellen, welche aus der interorganisationalen Dynamik heraus begriffen werden müssen. Wie im folgenden Unterkapitel deutlich wird, steht diese Koordinationslogik jedoch in einem Konflikt mit in vielen Märkten üblichen vorab festgelegten Preisen. Denn ein zusätzliches, wie durch (A1) vorgeschlagenes, face-to-face-Sample hätte durchaus einen höheren Aufwand für die Survey-Firma bedeuten können durch eine allfällige Schulung von Befragenden. Ein vorab definierter Preis hätte dann zum Effekt gehabt, dass das zusätzliche Sample nicht realisiert hätte werden können, was in einem Kontrast zur stark prozesshaften Koordinationslogik der Beratungswelt stehen würde. Eine Durchführung der face-to-face-Befragung trotzdem hätte zur Folge, dass der vorab definierte Preis erhöht werden müsste. Dadurch wird die Funktion von festen Preisen, die Kalkulierbarkeit von Ausgaben, jedoch untergraben.

6.1.5 Eine erneute Preisverhandlung

Die folgenden Ausführungen thematisieren die erneute Preisverhandlung während der zentralen Koordinationssitzung. Eigentlich wurde der Preis für die vereinbarte Dienstleistung30 bereits im Vorgespräch zwischen (A1) und (P1) festgelegt. Die anschließende Nachverhandlung zeigt auf, dass in die Preisverhandlung ein Konflikt um Zuständigkeiten hineinwirkt. Dieser entsteht dadurch, dass zu Beginn der Verhandlungen zwischen Auftraggeber und Survey-Firma bereits einiges an Vorarbeit durch die Auftraggeber geleistet wurde. So fand bereits die Operationalisierung des Modells für die Wirkungsmessung statt und es wurden darauf aufbauend zwei Fragebögen entworfen, welche zudem bereits einem Pretest unterzogen wurden. Das NPO-Projekt stellt so einen mündigen Kunden dar, da es zentrale Untersuchungsparameter wie den Fragebogen, Aspekte des Forschungsdesigns (Trennung in schriftliche und telefonische Befragung) sowie die grundlegende Ausrichtung der Befragung, in diesem Fall die Orientierung am ZEWO-Leitfaden Wirkungsmessung Inland (Burkhard et al. ohne Jahresangabe), festgelegt hat. Trotzdem wird aus der Rekonstruktion der verschiedenen Koordinationssitzungen deutlich, dass der Survey-Firma nicht nur eine ausführende Rolle zukommt, sondern explizit nach deren Experten- und Fachwissen im Hinblick auf das Forschungsdesign des Survey-Projekts gefragt wird. Dies zeigt sich – wie in den folgenden Abschnitten zu zeigen sein wird – im Hinblick auf die Wiederaushandlung des Fragebogenstatus und generell im Auferlegen der Verantwortung der methodischen Grundlegung der Survey-Erhebung an die Survey-Firma.31 Deutlich werden damit die hohen Anforderungen an die distribuierte Kognition in Survey-Projekten (Hutchins 1996), da bei unterschiedlichen Themen unterschiedliche survey-weltliche Konventionen relevant sein können.
In der ersten Koordinationssitzung – in welcher nur (A1) und (P1) anwesend gewesen sind – ist der durch (A1) zu zahlende Preis für die von der Survey-Firma zu erbringende Leistung festgelegt worden. Am Morgen vor der zweiten Koordinationssitzung hat (A1) die sich darauf beziehende schriftliche Offerte erhalten. Darin wird jedoch ein höherer Preis aufgeführt. Die Differenz ist größtenteils durch die von (A1) nicht mitkalkulierte und von (P1) in der ersten Koordinationssitzung nicht erwähnte Mehrwertsteuer zu erklären. In der Folge wird in der zentralen Koordinationssitzung zwischen den drei Akteuren ausgehandelt, wie mit dieser Unstimmigkeit umgegangen werden soll. (A1) fügt an, dass der Preisunterschied für ihn deswegen ein Problem darstelle, da er die Zahlen intern bereits kommuniziert habe. Der Preis wirkt hier demnach als Dispositiv für die industrielle Rechtfertigungsordnung, in welcher die Kalkulierbarkeit ein zentrales Gut darstellt (Boltanski und Thévenot 2007, S. 276 ff.; Diaz-Bone 2017b). Dieser Umstand ist deshalb besonders spannend, da (A1) den Preis auch in seiner durch die Mehrwertsteuer erhöhten Version noch als angemessen für die erwartete Dienstleistung empfinden würde. Dies macht er deutlich, nachdem (P2) darauf hinweist, dass die Offerte bereits ohne den Miteinbezug der Mehrwertsteuer knapp kalkuliert war:
P2:
Ja. Ich sehe es eigentlich schon, also, ich sehe eher schon eigentlich so schon relativ knapp. […]
P1:
Also, es ist ja per se, äh, sowieso eine gute Offerte, oder? […] Das will ich gar nicht, äh, irgendwie […] In Frage stellen.
Obwohl also (A1) auch den höheren Preis als angemessen empfinden würde, führt der bereits kommunizierte Preis zu einer Fokussierung der Koordination auf einen Kompromiss zwischen der marktweltlichen und der industriellen Rechtfertigungsordnung.32 Dies führt zur paradoxen Ausgangslage der weiteren Diskussion, dass eigentlich sämtliche Sitzungsteilnehmende eine Erhöhung des Preises als angemessen für die zu erbringende Dienstleistung empfinden würden, ihnen jedoch der bereits kommunizierte Preis eine industrielle Rationalität aufzwingt (Boltanski und Thévenot 2007, S. 276 ff.). Im Hinblick auf die marktweltliche Rechtfertigungsordnung besteht folglich eine breite Einigkeit zur Preisgestaltung, die jedoch durch das Dispositiv des festen und bereits kommunizierten Preises unterminiert wird. Die Preisdiskussion ist damit nicht durch die Suche nach einem angemessenen Preis, beziehungsweise nach einer dem Preis angemessenen Dienstleistung gerahmt, sondern durch den Versuch von (A1), als rationaler Marktteilnehmer gegenüber den internen Stakeholdern aufzutreten. Es ist folglich nicht die substanzielle Rationalität der Marktteilnehmer, welche die Preisdiskussion lostritt, sondern die Orientierung an dieser industriellen Rationalitätsform (Favereau 1989a). Zugleich wird die Ohnmacht der Sitzungsteilnehmenden anschaulich. Obwohl sich alle im Grundsatz darüber einig sind, dass auch der durch die Mehrwertsteuer verursachte höhere Preis für die dafür erbrachte Dienstleistung angemessen wäre,33 wird diese Einigkeit durch das Dispositiv-Objekt „Preis“ in dem Moment gestört und die Sitzungsteilnehmende werden dazu gezwungen, trotz ihrer gegenteiligen Ansicht eine erneute Preisverhandlung aufzunehmen.34
An die Einschätzung von (P2) anschließend, macht auch (P1) daraufhin deutlich, dass er keinen Spielraum sehe, den Preis trotz der Erbringung sämtlicher Leistungen senken zu können. (P1) fügt an, dass die von ihm geforderten Leistungen seit der ersten Koordinationssitzung gestiegen seien in Form eines größeren Aufwands bei der Überarbeitung des Fragebogens:
A1:
Ich glaube ganz […] hast du mal gesagt, ja, ich glaube, die Auswertung tausend, Telefon 3′000, da haben wir, da hast du gesagt, das ist dann aber wirklich zu wenig, komm, da machen wir dreieinhalbtausend pauschal, so habe ich es mir irgendwie […] Aufgeschrieben […]
P1:
Ja, ich denke was ich natürlich noch gesehen habe, ich habe natürlich in der Zwischenzeit noch den Fragebogen ein bisschen tiefer angeschaut gehabt
A1:
Ja
P1:
Ich habe dort ein bisschen mehr erwartet gehabt und du hast mir auch gesagt, ja, wir haben dort auch Pretest gemacht, ich habe gedacht, es sei, es sei in der Ausreife her, sei der, habe der auch noch, sei der noch ein bisschen ein Stück weiter […] sage ich in diesem Sinn […] da sehe ich schon noch, dass wir den Fragebogen schon noch ein bisschen können […] Eine Qualitätsstufe heraufsetzen.
Eine nun nachträglich engere Kalkulation sieht (P1) als für ihn unrentabel an, da er ursprünglich davon ausgegangen sei, dass der Fragebogen in einem beinahe finalisierten Zustand sei. Ein zentrales Stützobjekt stellte bei dieser Einschätzung dabei der von (A1) unternommene Pretest der Fragebögen dar. Bei der erst nach dem ersten Gespräch mit (A1) erfolgten Begutachtung des Fragebogens sei ihm jedoch klar geworden, dass der Fragebogen nicht dem von ihm erwarteten Niveau entspreche. Hier wird eine survey-weltliche Kritik und Rechtfertigung zwischen (A1) und (P1) deutlich im Hinblick auf den Fragebogen, dessen methodische Konsequenz weiter unten dargestellt wird. (P1) hat in (A1) in Bezug auf den Fragebogen stärker einen Kunden als einen Klienten gesehen. Diese Einschätzung wird durch die Begutachtung des Fragebogens korrigiert, wodurch der survey-weltliche Koordinationsrahmen im Hinblick auf den Fragebogen geändert wird. Die Wirtschaftlichkeit des Survey-Projekts sieht (P1) dadurch gefährdet und sieht sich so außerstande, dem auch für (P1) nachvollziehbaren Mehrwertsteuer-Problem von (A1) entgegenkommen zu können. Der Status des Objekts „Fragebogen“ erfährt durch die Begutachtung von (P1) folglich eine Statusänderung. Zu Beginn – stützend auf das Objekt „Pretest“, welches für (P1) als Stütze für die Dienstleistungswelt diente – betrachtete (P1) diesen als unproblematisch in den eigenen Arbeitsablauf zu integrierendes Objekt. Mit der Begutachtung – welche eine Testsituation im Sinne Boltanski und Thévenots darstellt (2007, S. 179 ff.), wird für (P1) jedoch dessen problematischer Charakter einsichtig und er übt folglich Kritik an dessen dienstleistungsweltlicher Wertigkeit. Die Statusänderung des Fragebogens führt deswegen zu einer Änderung des Koordinationsrahmens von der Dienstleistungs- zur Beratungswelt, was einen Mehraufwand für (P1) und (P2) bedeutet, der im Endeffekt eine „einfache“ Beilegung des Preiskonfliktes durch ein preisliches Nachgeben seitens der Survey-Firma verunmöglicht.
Direkt im Anschluss an diese Teilsequenz, in welcher geklärt wird, ob jemand der beiden Parteien finanzielle Zugeständnisse machen kann, wirft (A1) eine survey-weltlich interessante Frage betreffend des gehandelten Produktes auf:
A1:
[…] Es ist vielleicht gar nicht zu wissen, du sprichst von Kostendach, oder?
P1:
Ja, das heißt mehr gibt es nicht
A1:
Außer man merkt nach 30 Telefon, man müsste jetzt noch mehr Telefon machen […]. Dann, dann würde man das Kostendach anschauen, oder? Es könnte schon noch sein, dass es
P1:
Nein, dann ist das so, dann können wir nicht mehr, dann tun wir auch nicht mehr in Rechnung stellen […] Das ist auch das Risiko natürlich, das wir nehmen, oder? […] Das ist unser Risiko […]. Also ich sage, wir tun einfach, wir tun die dreißig. Wir garantieren, dass wir Resultate haben, wo wir Aussagen machen können, oder?
Die Wertigkeit des Fragebogenstatus wird zum Anlass genommen, das eigentliche Produkt dieses wirtschaftlichen Austauschs genauer auszuhandeln.35 Mit Boltanski und Thévenot könnte man hier von einer Prüfungssituation sprechen (2007, S. 179 ff.). Dabei wird deutlich, wie stark diese Nachfrage der neoklassischen Idee des Marktes widerspricht. Denn (A1) fragt am Ende der zentralen Koordinationssitzung, d. h. nach dem Vorbereitungsgespräch mit (P1) und somit in der zweiten Sitzung, nach dem Kostenmodell des gemeinsamen Survey-Projekts. Zugleich geschieht dies nach der detaillierten Besprechung des Forschungsdesigns des Survey-Projektes, sowie nach der erneuten Preisverhandlung infolge der nicht mitkalkulierten Mehrwertsteuer. Eine solch späte Nachfrage widerspricht dem Modell des rationalen Akteurs und macht eine prozessuelle Rationalität sichtbar (Favereau 1989a), welche situationsbasiert und Schritt für Schritt versucht, eine Rationalität in der wirtschaftlichen Handlung zu erreichen. Zugleich wird aber auch die Eigenheit einer wirtschaftlichen Beziehung jenseits des Marktes sichtbar. In ihrer Kritik des neoklassischen Marktmodells kritisieren Michel Callon und Fabian Muniesa die Asituativität dieser Marktkonzeption, welches davon ausgeht, dass Märkte aus dem Nichts entstehen und so als gegeben betrachtet werden können (2005, S. 1230). Stattdessen betrachten sie Märkte als calculative devices, welche die Vergleichbarkeit von Produkten in konkreten Schritten herstellen. Die Fähigkeit, einen Markt mit einer hohen Reichweite herzustellen, sehen sie dabei durch drei Elemente bedingt:
A calculative agency will be all the more powerful when it is able to: a) establish a long, yet finite list of diverse entities; b) allow rich and varied relations between the entities thus selected, so that the space of possible classifications and reclassifications is largely open; c) formalize procedures and algorithms likely to multiply the possible hierarchies and classifications between these entities (Callon und Muniesa 2005, S. 1238).
Zentral ist Callon und Muniesa folgend, dass verschiedenste Marktelemente als Produkte etabliert werden, unterschiedliche Verhältnisse und Relationen zwischen diesen aufgezeigt werden36 und schlussendlich Prozeduren und Algorithmen entwickelt werden, um diese Hierarchien und Klassifikationen zwischen den verschiedenen Elementen, bzw. Produkten zu vervielfachen. Wird diese Marktkonzeption mit dem wirtschaftlichen Handeln im untersuchten Survey-Projekt kontrastiert, so wird sichtbar, dass hier ein wirtschaftliches Handeln jenseits eines objektiven Marktes stattfindet (vgl. auch Abschn. 7.​2). Denn zu Beginn hat kein objektiv (d. h. in diesem Fall intersubjektiv) vorliegendes Produkt existiert. Dies wird durch die Nachverhandlung im Hinblick auf den Fragebogenstatus deutlich. Noch existieren aus der Perspektive von (A1) tatsächlich vergleichbare Produkte. Dies alleine aus dem Umstand, dass erst durch diesen Prozess – welcher zum aktuellen Zeitpunkt zwei Sitzungen und diverse andere Situationen, wie beispielsweise die Begutachtung des Fragebogens umfasst – das Produkt langsam einsehbar ist, aber noch immer nicht klar spezifiziert ist.
Zunächst irritierend ist die Nachfrage von (A1) nach dem Preismodell der Dienstleistung durch die Survey-Firma angesichts der vorherigen Preisverhandlung. Während (A1) vorher den in der Vorbereitungssitzung zwischen (A1) und (P1) vereinbarten Preis durchsetzen wollte, fragt er nun nach, ob es nicht doch sein könnte, dass es zu einer Erhöhung des in der Preisverhandlung festgelegten Preises kommen könnte. Interessanterweise scheint dies für (A1) nicht das – wie erwartet werden könnte – worst-case-Szenario darzustellen, sondern eine logische Konsequenz des qualitativen Forschungsprozesses, welcher aus seiner Warte auch für (P1) und (P2) kaum in seinen Details abschätzbar ist und in der Folge auch nicht preislich zur Gänze festgelegt werden kann. Sichtbar wird hier folglich ein erneuter Bezug von (A1) auf die Beratungswelt. Er sieht sich selbst nicht imstande, Kriterien für ein Vorgehen bei der unstandardisierten telefonischen Befragung vorzugeben und übergibt dies der Survey-Firma. Da ihm, wie in den dargestellten Zitaten deutlich wird, daran liegt, dass der Prozess sich an einer ausgeglichenen Survey-Pragmatik orientieren soll, übergibt er die Verantwortung an (P1) und (P2). Er geht jedoch davon aus, dass diese den Verlauf des Forschungsprozesses auch nicht voraussehen können. (P1) entgegnet jedoch (A1), dass dies möglich sei und er mit der vereinbarten Zahl an Interviews auch inhaltliche Aussagen garantieren könne. In der Folge ist auch für (A1) geklärt, dass die dienstleistungsweltliche Konvention des festen Preises hier als Koordinationsgrundlage gilt. Dennoch ist spannend, wie (A1) zunächst eine spätere Veränderung des in der Sitzung (umkämpft) vereinbarten Preises in Kauf nimmt. Das Dispositiv des vereinbarten Preises der Dienstleistungswelt scheint für ihn folglich nur für die Offerte eine Gültigkeit zu haben, während der später berechnete Betrag durchaus davon abweichend sein könnte. Für (A1) scheint es so durchaus plausibel, dass die Preiskonvention während des Projektverlaufs eine Veränderung erfahren könne. Es kann aber auch als Hinweis gelesen werde, dass sich (A1) infolge des Dispositivs des festen Preises zwar genötigt fühlt, im Moment eine intensive Nachverhandlung des Preises machen zu müssen, gleichzeitig jedoch den beratungsweltlich orientierten Charakter – und damit das gegenseitige Vertrauen – insgesamt nicht gefährden will. Beide Möglichkeiten verweisen auf einen von (A1) vorgenommenen survey-pragmatischen Kompromiss zwischen der Methodik und dem Survey-Management. Das Survey-Management basiert durch das Konzept des festen Preises und der dadurch geforderten Planungssicherheit auf der industriellen Rechtfertigungsordnung (Boltanski und Thévenot 2007, S. 276 ff.). Insgesamt zeigt sich jedoch eine erstaunliche survey-weltliche Sensibilität seitens (A1), welcher abwechselnd unterschiedliche survey-weltliche Konventionen in verschiedenen Situationen als Koordinationsgrundlage zu verwenden imstande ist.
Auch in dieser Diskussion wird folglich deutlich, dass ein Kompromiss zwischen der Beratungs- und der Dienstleistungswelt geschlossen wird. Denn einerseits werden Objekte aus der Dienstleistungswelt adressiert, wie feste Befragungszahlen als Qualitätsindikator und der fixe Preis. Andererseits garantiert (P1), dass damit inhaltliche Aussagen durch (P1) und (P2) getätigt werden können. Er übernimmt damit nicht nur die Verantwortung für die Durchführung des Survey-Projekts, das heißt die Befragung einer vorher festgelegten Anzahl von Personen, die Einhaltung von Quoten, die Befragung festgelegter Fragen etc., sondern auch die Verantwortung für die Passung zwischen inhaltlicher Fragestellung und methodischer Umsetzung.37 Auch der von (P1) erwähnte, für ihn finanziell notwendige Risikozuschlag stellt einen Kompromiss zwischen der Beratungs- und der Dienstleistungswelt dar. Denn er trägt in diesem Survey-Projekt – bis zu einem gewissen Grad – sowohl das finanzielle wie auch das inhaltliche Risiko der Wissensproduktion.38
In Verlauf der Diskussion zum Preis wird ersichtlich, dass keine der beiden Parteien finanziell ein Zugeständnis machen kann. Dadurch wird nach weiteren Möglichkeiten gesucht, die für (A1) gesetzte finanzielle Summe zu erreichen. (P1) macht deutlich, dass es für ihn nur bei den telefonischen halb standardisierten Interviews Einsparungsmöglichkeiten gibt, ohne die Qualität des Survey-Projekts zu gefährden, nicht jedoch bei der schriftlichen Befragung:
P1:
Da sehe ich, da sehe ich einen Spielraum, oder? Wo ich sage, ja wenn wir jetzt fünfundzwanzig oder dreißig haben, das ist immer schön, wenn wir mehr haben, oder? Dann hast du noch mehr, Informationen, aber irgendwann gibt es auch eine Sättigung, wo man sagt, ja, nach zwanzig hat man es etwa gehört, oder? Und jetzt sollte man halt noch […] zwei, dreimal eigentlich das Gleiche, dazu, in dem Sinn, wo das noch bestätigt […] wo man schon weiß, oder? Also quasi nach der Geschichte der theoretischen Sättigung, oder? Äh, in diesem Sinne, oder?
A1:
Mmh, ja. Also wenn das so ist, dann, dann wäre es für mich natürlich sinnvoll, dann bei 22 oder 23 aufzuhören und und näher an das Budget […]. Dass man dort dann vielleicht, äh, abklemmt und sage ich mal. Aber es wäre sicher nicht das Ziel, also von euch wie von mir, oder? Dass wir das Resultat […] wegen diesem schlussendlich kleinen Betrag irgendwie würde qualitativ schwächen […].
P1:
Nein, also beim anderen [Anm.: bei der standardisierten schriftlichen Befragung] würde ich auch, da sehe ich auch keine, da sehe ich auch von der Qualität her, von der Befragung, oder? Da finde ich es auch nicht sinnvoll, wenn wir dort etwas anders, dass wir dort etwas anderes machen, oder?
Wichtig – und wie zu Beginn der Sequenz behauptet – ist, dass selbst in dieser stark auf die Preiskonvention der Dienstleistungswelt – den bereits zu Beginn festgelegten Preis – konzentrierenden Teilsequenz der Koordinationssitzung ein Kompromiss zwischen der Beratungs- und der Dienstleistungswelt erkennbar wird. Denn (A1) entscheidet nicht eigenmächtig, sondern die Entscheidung wird interaktiv unter Beizug der methodischen Expertise von (P1) und (P2) hergestellt. (A1) ist folglich Kunde und Klient zugleich. In dieser Situation wagt er es nicht eigenmächtig, als Kunde das zu kaufende Produkt zu definieren, da ihm dafür das notwendige methodische Wissen fehlt. Andererseits ist er durch die organisationsinterne Kommunikation zu einem gewissen Maße auf die Akteursform des Kunden festgelegt. (A1) nimmt hier folglich eine intermediäre Position zwischen den Anliegen der NPO, welche dienstleistungsweltlich am festgelegten Preis orientiert ist und der Survey-Firma ein, welche auf den zunehmenden beratungsweltlichen Charakter des Survey-Projekts verweist. Wie in der Teilsequenz jedoch deutlich wird, will (A1) die inhaltsabhängige Bezahlung mit dem Kompromiss akzeptieren, dass nach dem Erreichen eines nicht weiter definierten „Qualitätslevels“ die Befragung zugunsten einer Kostenminimierung abgebrochen wird. Die von außen nicht einsehbare Definition des zu erreichenden inhaltlichen Qualitätslevels der Aussagen ist dabei dem beratungsweltlichen Charakter dieses Survey-Projekts geschuldet, was (A1) in der Folge nur das Vertrauen in die Kompetenz von (P1) und (P2) übriglässt. Denn die Einschätzung der Qualität der möglichen Aussagen aus den telefonischen Interviews ist durch diese Veränderung weniger stark auf die Anzahl der Interviews gestützt, was einem stärker dienstleistungsweltlichen Charakter entspricht, denn auf die subjektive Einschätzung von (P1) und (P2). Im Anschluss an die Diskussion will (P1) eine Entscheidung herbeiführen und fragt (A1) offensiver, wie mit der notwendig gewordenen Kostenreduktion verfahren werden soll:
P1:
Ja, was machen wir bei diesen Interviews, tun wir da reduzieren?
A1:
Also wenn es der Qualität keinen Abbruch […] tut, dann machen wir das
P1:
würde ich also so machen, oder?
A1:
Mmh. Dann wäre das für mich der richtige Entscheid, ja
P1:
Ich tue das so anpassen […]
A1:
Also die Anpassung, die ist auf fünfundzwanzig oder auf zwanzig jetzt
P1:
Ja, also ich muss schauen, jetzt wir haben, zwanzig ist ein Drittel danach, oder? […] Also mit zwanzig geht es sicher, jetzt ist die Frage geht es mit fünfundzwanzig, oder?
P2:
Du kannst ja schreiben zwanzig bis fünfundzwanzig und dann kann man dann ja je nachdem eben wie es läuft
A1:
Aha und dann tun wir dann proportional dann eigentlich […] irgendwie, 2′500 durch dreißig […]
P1:
Ja, wir schreiben doch da zwanzig bis fünfundzwanzig, tun wir das noch anpassen.
A1:
Ok.
(A1) will die Reduktion der telefonischen Interviews umsetzen, stützt sich dabei jedoch auf die Expertise von (P1) und stellt diese als Bedingung für sein Einverständnis voraus. Obwohl (P1) und (A1) bereits die Anzahl der Interviews festlegen wollen, macht (P2) den Vorschlag, die Anzahl telefonischer Interviews aufwandsabhängig festzulegen. Folglich wird ein Kompromiss zwischen der Preiskonvention der Beratungs- und der Dienstleistungswelt etabliert. Die Anzahl Interviews wird nicht linear im Verhältnis zum Preis gekürzt, wie es in der Dienstleistungswelt zu erwarten wäre. Der Preis wird jedoch trotzdem fixiert, anders als in der Beratungswelt. Der Kompromiss besteht folglich darin, dass der Preis fixiert wird, die Anzahl Interviews jedoch aufwandsabhängig definiert wird. Trotz des Preisbezuges wird eine „Garantie“39 zur inhaltlichen Aussagekraft der Interviews abgegeben, wobei eine Unter- und eine Obergrenze der Anzahl telefonischer Interviews festgelegt werden.
Sichtbar wird in der diskutierten Sitzungs-Sequenz die bedingte Steuerbarkeit des Survey-Prozesses durch die beteiligten Personen. Die Initialzündung für die dargestellte Diskussion stellte der Dispositivcharakter des festgelegten Preises dar. Obwohl auch (A1) die Höhe des festgelegten Preises durchaus für angemessen, bzw. sogar für eine „gute Offerte“ hält, wird er durch die zusätzliche Mehrwertsteuer gezwungen, eine Neuverhandlung des Preises und des Produkts zu lancieren. Zentral für diese Interpretation der Sequenz ist dabei, dass (A1) an keiner Stelle argumentiert, dass ein erhöhter Preis für seine internen Vorgesetzten ein Problem darstellen würde, sondern das Problem in der Verschiebung des Preises liege. Sichtbar wird außerdem der nicht marktliche Charakter des wirtschaftlichen Austauschs. Obwohl die diskutierte Sequenz aus der zentralen Koordinationssitzung und damit nach dem Vorgespräch zwischen (A1) und (P1) stammt, tauchen am Ende immer noch Fragen zur Preisgestaltung und zur konkreten Produktgestaltung auf. (A1) kann folglich kaum als rationaler Akteur im Sinne der Neoklassik verstanden werden, welcher rational aus einem bestehenden Angebot das beste Angebot ausgewählt hat. Vielmehr zeigt sich der für die Beratungswelt typische Prozesscharakter der Produktdefinition (vgl. Abschn. 5.​2).
Anhand der durch die Preisdifferenz zwischen dem Vorbereitungsgespräch zwischen (A1) und (P1) und der hier thematisierten zentralen Koordinationssitzung entstandenen Preisdiskussion wird die situative Aushandlung des Koordinationsrahmens auf der Basis der Stützung durch Objekte und Formen erkennbar. Wie auf der Basis des sich ändernden Fragebogenstatus sichtbar wird, kann sich dies durch eine veränderte Situationseinschätzung jedoch auch wieder ändern. Die Frage nach der koordinativen Grundlage stellt sich für die Projektleitenden mit der Übermittlung einer Anfrage für einen Survey. Bereits mit dem Konzept der Anfrage wird deutlich, dass die koordinative Grundlage nicht die idealtypische Dienstleistungswelt ist, sondern es sich um die Beratungswelt oder einen Kompromiss zwischen Beratungs- und Dienstleistungswelt handelt. Beim vorgestellten Fall, welcher aus einem Kompromiss zwischen Beratungs- und Dienstleistungswelt besteht, stellt sich für die Projektleitenden die Frage nach der Absteckung beider Welten als Koordinationsgrundlage, was konventionentheoretisch in einen Kompromiss – das heißt in eine Vermittlung beider Welten an einem Gegenstand – oder in einer Verteilung der Welten nach Gegenständen münden kann. Bessy und Chateaureynaud folgend, basieren beide Möglichkeiten der Weltenvermittlung auf einer „Perception“ der Koordinationssituation (2014, S. 291 ff.). Hier zeigt sich der situative-pragmatische Charakter der Aushandlung der survey-weltlichen Koordinationsgrundlage. Diese wird weder zu Beginn explizit zwischen (A1), (P1) und (P2) im Hinblick auf die verschiedenen Dienstleistungsdimensionen geklärt, noch steht diese zu Beginn komplett fest. Die survey-weltliche Grundlage muss als situatives Produkt verstanden werde, welche unter dem Rückgriff auf Objekte und Formen zustande kommt. Der Verweis von (A1) auf die Durchführung eines Pretest stellt für (P1) eine situative Stütze für eine dienstleistungsweltliche Koordination im Hinblick auf den Fragebogen dar. Die dargestellte Sequenz hat nun die Anfälligkeit dieser Perception aufgezeigt. Denn es wurde deutlich, dass (P1) mit der Einschätzung des Fragebogenstatus falsch gelegen ist.40 Diese Fehleinschätzung bezieht sich insbesondere auf die Frageformulierung. (P1) merkt hier an, dass mit einer Überarbeitung durch ihn und (P2) ein höheres Qualitätslevel mit Blick auf die Evaluation der Selbsteinschätzung der Wirkung erreicht werden könnte. Eine wichtige Stütze für die ursprüngliche Qualitätseinschätzung des Fragebogens bildet für (P1) die Durchführung eines Pretests durch (A1). An diesem Punkt wird die Verbundenheit zwischen dem Konzept der Perzeption von Bessy und Chateaureynaud (2014) und den Regimen des Engagements von Thévenot deutlich (Thévenot 2011d), sowie deren Verbindung zum Konzept der Produktionswelten (Storper und Salais 1997), was im Folgenden ausgeführt werden soll. Das Stützen der Wahrnehmung der Fragebogenqualität auf die Durchführung des Pretests basiert auf der damit einhergehenden Einschätzung, dass wer Pretests durchführt, Fragebogen erstellen kann. Diese Einschätzung lässt sich auf ein manifestes Kommunikationsverständnis zurückführen: Wörter haben demgemäß feste Bedeutungen. Diese Kommunikationsform lässt sich dem Regime des Plans zuweisen, in welcher durch das Ziel der Erfüllung eines Plans die Frage ist, was Sache ist. Diese Kommunikationsform stützt sich dabei auf eine kodifizierte Sprache, bzw. auf eine kodifizierte Koordinationsform (Thévenot 2011c, S. 267 ff.), wie sie der Welt der Dienstleistung eigen ist. Hier sind die gehandelten Güter Produkte, was eine hohe Explizierung notwendig macht, welche unumgänglich mit der Kompetenz der Kunden zusammenhängt. Märkte funktionieren hier über Begriffe und Konzepte als Signale, welche kompetente Empfänger und Entschlüssler dieser Signale erfordern. Es ist diese Kompetenz, welche die Kommunikation via manifester Begriffe ermöglicht. Das Stützen auf manifeste Begriffe wird im vorliegenden Fall jedoch zum Problem. Dies hängt unmittelbar mit der Koordinationsform der Beratungswelt und deren starker Bezugnahme auf das Regime des Vertrauten zusammen. Thévenot konzipiert dieses Regime als stark auf nonverbaler Kommunikation basierend (2011c, S. 238 ff.) und es ist folglich das Regime mit dem kleinsten gemeinsamen kognitiven Rahmen (Basto und Centemeri 2014, S. 171). Die Kommunikationsform ist hier folglich nicht wie in der Dienstleistungswelt manifest, sondern latent. Am Übergang zwischen dem Regime des Plans und dem Regime des Vertrauten ergibt sich die Bedeutung von Wörtern aus deren Kontext („Wie meinst du das?“), während die Kommunikation in den Tiefen des Vertrautseins gar auf (kodifizierte) Begriffe verzichten kann.41 Die Fehleinschätzung der Fragebogenqualität lässt sich folglich als ein Regime-Problem rekonstruieren und verstehen, welche auf unterschiedliche survey-weltliche Handlungsformen verweist. (P1) übernimmt den Fragebogenstatus durch das Stützen auf die Durchführung eines Pretests durch (A1) in manifester Form, ohne den spezifischen, situativen Bedeutungsgehalt dieser Konzepte zu prüfen. Eine auf die Beratungswelt und somit stärker auf das Regime des Vertrauten sich stützende Koordination würde demgegenüber die manifeste Bedeutung des „erstellten Fragebogens“ und des durchgeführten „Pretest“ einklammern und deren situative Bedeutung durch gezieltes Nachfragen evaluieren: Wie genau kam der Fragebogen zustande? Wie wurde der „Pretest“ durchgeführt? Und grundlegend: Eignet sich die Auffassung von (A1) eines „fertigen“ Fragebogens und eines „durchgeführten“ Pretest für die eigene Auffassung von (P1) eines guten Surveys? Die Notwendigkeit einer Einschätzung des Fragebogenstatus ergibt sich dabei grundlegend aus dem Kompromisscharakter dieses Survey-Projekts zwischen Beratungs- und Dienstleistungswelt. In der idealtypischen Beratungswelt ist eine Einschätzung nicht notwendig, da keine Vorschläge des Klienten vorliegen, in der Dienstleistungswelt ist eine Einschätzung nicht notwendig, weil die „Vorschläge“ hier fertiggestellte Aufträge darstellen. Damit wird ein Verhältnis zwischen Regimen und Rechtfertigungsordnungen sichtbar, welches in der Konventionentheorie bislang noch nicht systematisch aufgearbeitet wurde. Thévenot weist zwar auf den Ausschlusscharakter zwischen gewissen Regimen und Rechtfertigungsordnungen hin (Thévenot 2014b, S. 14), jedoch fehlt eine konsequente Ausarbeitung des Verhältnisses zwischen den verschiedenen Regimen und Rechtfertigungsordnungen. Wie in Abschn. 5.​2 aufgezeigt wurde, baut die Beratungswelt stark auf der häuslichen Rechtfertigungsordnung auf (Boltanski und Thévenot 2007, S. 254). Zugleich wurde aufgezeigt, wie stark in einer solchen wirtschaftlichen Beziehung ein Berater auf das Vertraute eines Klienten zurückgreifen muss. Stattdessen baut die Dienstleistungswelt, welche auf einem marktweltlich-industriellen Kompromiss aufbaut (Boltanski und Thévenot 2007), stärker auf manifesten Wünschen des Kunden auf und damit auf dem Regime des Plans (Thévenot 2011d). Der Rückgriff verschiedener Rechtfertigungsordnungen auf unterschiedliche Regime ist folglich nicht zufällig und kann zum Gegenstand einer systematischeren Ausarbeitung gemacht werden (vgl. hierfür das Postscriptum in Kap. 9).
Die diskutierte Sequenz macht zudem klar, dass die Qualität der durchgeführten Befragung direkt von der Qualität der Koordination abhängt. Deutlich wird damit die hohe Abhängigkeit der verschiedenen Dimensionen der Survey-Pragmatik voneinander (vgl. Abschn. 2.​5). Der Ausgangspunkt für die vorgestellte Koordinationssequenz, die nicht miteinberechnete Mehrwertsteuer, mischt sich mit Fragen der Produktdefinition und der (falschen) Annahmen der Projektleitenden. Der Effekt der Koordinationsprobleme ist dabei nicht rein koordinativer Natur im Sinne einer erschwerten Zusammenarbeit, sondern hat direkte Effekte auf die Survey-Qualität. Im vorliegenden Fall zeigt sich dies im Fehlen eines Pretests, trotz dessen vorheriger Einplanung. Einerseits stellt sich erst spät im Koordinationsverlauf des Survey-Projekts heraus, welcher Art der von (A1) durchgeführte Pretest ist. Das grundlegende Problem stellt jedoch die Fragebogenänderung durch die Survey-Firma dar, ohne dass dieser Fragebogen danach einem Pretest unterzogen worden ist. Auch dieser Umstand lässt sich als Ergebnis eines Kompromisses und eines nachfolgenden Konflikts zwischen der Beratungs- und der Dienstleistungswelt rekonstruieren. Analog zur Festlegung der Anzahl der Interviews steht hier vermutlich die Preiskonvention der Dienstleistungswelt verbunden mit der bereits erwähnten Miss-Perzeption der Fragebogenqualität im Zentrum, was sich jedoch aus der Koordinationssitzung nicht rekonstruieren lässt.42 Durch die aus Sicht von (P1) real niedrigere Fragebogenqualität als erwartet ergibt sich die Notwendigkeit einer Fragebogennachbearbeitung durch die Survey-Firma. Wie dargestellt wurde, belastet bereits dieser Umstand aus Sicht von (P1) die vereinbarte Preissumme. Ein zusätzlicher Pretest wäre aus Sicht von (P1) kaum budgetkonform und würde für (A1) das bereits bestehende Dilemma des bereits kommunizierten Preises verschärfen. Der nicht durchgeführte Pretest lässt sich so auf einen Konflikt zwischen der Beratungs- und der Dienstleistungswelt zurückführen. Die – aus Sicht der Beratungswelt frühe – notwendige Preis- und die sich daraus ergebende Produktfestlegung baut auf einer Missperzeption auf, welche sich in der Folge in neuen notwendigen methodischen Maßnahmen zeigt. Durch das (nun) enge Budget liegt ein zusätzlicher Pretest kaum mehr im Rahmen der Möglichkeiten, zumal ein Pretest auch nicht als Bestandteil des Produkts aufgeführt ist.
Die Diskussion um die Anpassung der teilstandardisierten telefonischen Interviews macht den stark beratungsweltlichen Charakter dieses Survey-Projektes erkennbar. Qualität wird – wie an der variablen Interviewanzahl deutlich wird – nicht nur über die Quantifizierung verschiedener statistischer Masse und klassischer Gütekriterien der Survey-Methodologie wie eben der Anzahl der durchgeführten Interviews kommuniziert und im Survey-Projekt etabliert. Qualität wird hier über die methodische, aber auch inhaltliche Expertise von (P1) und (P2) etabliert. Diese Art der Qualitätsfestlegung ist undenkbar ohne ein großes Vertrauen seitens von (A1) in die Kompetenz von (P1) und (P2) einerseits und in den verantwortungsbewussten Umgang mit diesem Vertrauensvorschuss seitens der beiden Projektleiter andererseits.

6.1.6 Die Befragung als Übersetzungspraxis

In Abschn. 6.1.4 wurde aufgezeigt, wie die Projektleitenden der Survey-Firma Bezug auf das Vertraute des Klienten nehmen, um methodische Entscheide verstehen und dadurch kontrollieren zu können. Nebst der behandelten Thematik des Forschungsdesigns, welche sich in der Überlegung des Erhebungsorts und der Zeitplanung zeigt, wird jedoch noch eine direkte methodische Fragestellung deutlich, welche in den zitierten Zeilen durchscheint. So kann danach gefragt werden, was überhaupt den Grund dafür darstellt, die Erhebung direkt in der Zweigniederlassung durchführen und nicht „einfach“ bei der standardisierten schriftlichen Befragung bleiben zu wollen. Die leitende Person des NPO-Projekts erläutert diese Idee im Interview:
A1:
Und dort kommen pro Tag glaube ich etwa 15 Leute vorbei, die […] [Anm. RV: am NPO-Projekt teilnehmen] wollen. Und dort könntest du natürlich theoretisch, äh sein, ein paar Tage und, und bei denen, wo du dann offensichtlich merkst, äh, sprachlich nicht so möglich, könntest du dann vielleicht ein Interview machen zu dieser Kulturlegi, oder? Dann könntest du diese Gruppe wie so ein bisschen inkludieren, das wäre so ein bisschen eine Alternative, zum Telefon, ja, dann rufst du einfach jemanden an, dann wählst du einfach mal ein paar aus.
Die projektleitende Person präsentiert hier zwei Ziele der in einer Zweigstelle vor Ort stattfindenden face-to-face-Befragung. Diese soll einerseits eine spezifische Nutzendengruppe erreichen, von welcher er annimmt, dass sie in der telefonischen Befragung untervertreten wäre. Den Grund dafür sieht er in einer sprachlichen und kognitiven Hürde. Zudem wird implizit auch deutlich, dass diese identifizierten Hürden durch die face-to-face-Befragung überbrückt werden können. Denn eine ergänzende face-to-face-Befragung kann nur Sinn machen, wenn sie nicht am selben Inklusionsproblem einer Befragung wie die telefonische Befragung scheitern muss. Die Möglichkeit einer face-to-face-Befragung bei einer Zweigniederlassung wird auch in der Koordinationssitzung mit der Survey-Firma von (A1) angesprochen und als mögliche Lösung für das von ihm eingeführte Problem des mangelhaften Sprachverständnis von geschätzt 50 % der Befragten präsentiert. Dieser Vorschlag macht für (P2) intuitiv Sinn, er sieht jedoch dadurch entstehende Mode-Effekte:
P2:
Und dann könnten wir eigentlich mit dem Fragebogen einfach mit ihnen durchgehen. […] Das Problem ist dann einfach soziale erwünschte Antworten oder? Wenn wir jetzt, wenn jetzt jemand [unverständlich] Frage stellt. Und dann sagt er ja, […] und dann sagt er eher das, was ich hören will, in diesem Sinn […].
(P2) spricht einen klassischen Mode-Effekt von face-to-face-Befragungen an, wonach eher sogenannte sozial erwünschte Antworten geliefert werden (Groves et al. 2009, S. 292). Aus der Perspektive der Regimetheorie kann jedoch kritisch nach dem hier zugrunde liegenden Problem und in der Folge auch nach der Funktion der Fragebogenassistenz gefragt werden. Denn der eigentliche Ursprung der Idee, eine zusätzliche face-to-face-Befragung durchzuführen, liegt in Sprachproblemen, welche durch die face-to-face-Befragung umgangen werden soll. Dies steht jedoch potenziell im Konflikt mit dem Vorschlag, diese Befragung selbst, d. h. durch (A1), (P1) und (P2) durchzuführen, da aus der Diskussion nicht ersichtlich wird, dass diese in anderen Sprachen besonders kompetent sind. Aus der Perspektive der Regimetheorie zeigt sich hier stärker der Versuch, Regimekonflikte, d. h. in diesem Fall die Übersetzung von Formen des Rechtfertigungsregimes ins Regime des Vertrauten und wieder zurück zu übersetzen. Denn die verwendeten Befragungskategorien stellen oft allgemeine informationsweltliche Kategorien mit einer hohen Reichweite dar, welche auf das Spezifische der Situation des Befragten bezogen werden müssen. Genau dies stellt den Übergang zwischen dem Regime der Rechtfertigung und dem Regime des Vertrauten dar, welcher durch die befragten Personen bewältigt werden muss (Thévenot 2011d). Die Idee der Fragebogenassistenz besteht folglich darin, mitzuhelfen bei dieser Übersetzungsleistung – einerseits wie erwähnt vom Rechtfertigungsregime ins Regime des Vertrauten und andererseits vom Regime des Vertrauten wieder zurück ins Rechtfertigungsregime. Die betreuende Person stellt folglich ein Intermediär für die Übersetzung zwischen verschiedenen Handlungsregimen dar und soll so eine distribuierte Fragebogenkognition bis zu den befragten Personen selbst sicherstellten (Diaz-Bone 2018, S. 109 ff.; Hutchins 1996).43
Wie in Abschn. 6.1.4 ersichtlich wurde, wird die face-to-face-Befragung in der Zweigstelle der NPO schlussendlich nicht durchgeführt, da dort kaum Nutzende anwesend wären, welche bereits Erfahrungen mit dem NPO-Projekt hätte machen können und bei denen in der Folge überhaupt eine Wirkung messbar wäre. Die Problematik der Inklusion von Befragten mit Verständnisproblemen – welcher in den vorhergehenden Absätzen insbesondere auch als Regimekonflikt rekonstruiert wurde – ist dadurch aber noch nicht beantwortet. Bereits bei der Diskussion zwischen (A1), (P1) und (P2) über die face-to-face-Befragung macht (P2) die grundlegende Problematik von standardisierten Befragungen deutlich:
P2:
Ja, also grundsätzlich gilt es immer diese Überlegung machen, eigentlich zwischen Standardisierung von der Massen, sage ich mal, oder? Von denen können sie zumuten, oder? Es ist da zumutbar.
(P2) macht hier klar, dass bei jeder Befragung ein Kompromiss zwischen zwei Dimensionen geschlossen werden muss: Der Standardisierung der „Massen“ und dem, was für die Befragten noch „zumutbar“ sei. Regimetheoretisch wird hier erkennbar, dass die Fähigkeit, standardisierte Fragen auf die eigenen, individuellen Lebensumstände zu beziehen, bei Befragten unterschiedlich ausgeprägt ist und in der Folge abhängig von der spezifischen Grundgesamtheit der Befragung unterschiedliche Fähigkeiten diesbezüglich existieren, was schlussendlich die Möglichkeit einer validen standardisierten Befragung begründet.
Die Standardisierungs-Problematik wird auch in der Diskussion um den Fragebogen sichtbar. Wie in Abschn. 6.1.5 aufgezeigt wurde, entstand im Hinblick auf den Fragebogen ein Konflikt um dessen Niveau. In der Folge machten (P1) und (P2) deutlich, dass der Fragebogen noch von ihnen überarbeitet werden wird, da sie diesen noch auf ein höheres Niveau bringen könnten. Was dies genau bedeutet, wird im folgenden Ausschnitt erkennbar:
P1:
So ein bisschen die Wirkung auf diese […] tut abfragen, ähm. Und wir haben eigentlich da, vor allem bei diesen so Wirkungszielen, wie so ein bisschen ein Stück weiter weg, oder die länger brauchen, bis sie sich entfalten, beziehungsweise, wo nicht so unmittelbar nach der Nutzung [des Angebots] äh, zu sagen ist, haben wir uns noch überlegt, ob es da nicht noch so einen, wie so einen Zwischenschritt, äh, würde, äh, würde brauchen, vor allem eigentlich bei diesen ersten, äh, bei den ersten Drei, äh, also Wissen, Wissen erweitert, ja, noch am ehesten, also sicher am schwierigsten tut es Gesundheit verbessern, oder? Uund
A1:
Mmh
P1:
Selbstbewusstsein wird gestärkt. Die sind für uns eigentlich wie am schwierigsten zu erfassen. Soziale Netzwerke gestärkt, ich meine in dem Sinne, dass man da fragt: Ich habe die mit der Familie verwenden, ich habe sie mit Freunden verwendet, ja, das kann dann, äh, einen Hinweis geben drauf, äh, wie das tatsächlich
A1:
Mmh
P1:
auf wie, wie das tatsächlich, ähm
P2:
Mmh
P1:
Wie das tatsächlich funktioniert, oder? Und jetzt ist unsere Frage einfach nochmal, einfach nochmal wenn du könntest uns vielleicht zu diesen einzelnen Punkten noch einmal kurz etwas. […] Könntest sagen, wie ihr das […] seht, von den Wirkungen her, dass man noch etwas schauen könnte, wie man das, wie man die Fragen vielleicht noch ein bisschen, ähm, ja, ob man die noch etwas könnte anpassen, dass wir noch mehr an die, an die Wirkung herankommen, oder?
(P1) bittet (A1), die genaue Bedeutung und den Hintergrund der verschiedenen Befragungskategorien zu klären und insbesondere „wie das tatsächlich funktioniert“. Er macht dabei klar, dass ihm der „Zwischenschritt“ fehle, ohne weiter darauf einzugehen, was genau damit gemeint ist. Daraufhin problematisiert an der Kategorie „Selbstbewusstsein gestärkt“, dass diese für ihn schwierig zu erfassen sei. Die Kategorie „Soziale Netzwerke gestärkt“ ist für ihn bereits einfacher verständlich, da sie einfacher auf die konkreten Lebensumstände zu beziehen sei. Daraufhin bitte (P1) (A1) noch einmal um eine ausführlichere Darstellungen der Funktionsweise des NPO-Projekts, um die Fragen noch stärker an die Wirkungen heran zu bringen. Deutlich wird in diesem Zitat einerseits der starke Bezug auf die Form des Projektleiters der Beratungswelt. (P1) „prüft“ die Tauglichkeit des von (A1) und weiteren Mitarbeitenden während des Workshops erarbeiteten Fragebogens auf seine Eignung. Das zentrale Anliegen ist die Heranführung der abstrakten Fragebogenkategorien an die Lebenssituation der befragten Personen und damit das Gelingen der distribuierten Survey-Koordination ausgehend von den Befragten (Hutchins 1996). Das Ziel liegt dabei in einer Herabsetzung von Antworthürden, sodass die Befragungskategorien von den Befragten nicht zuerst interpretiert und auf ihre Lebenssituation bezogen werden müssen. Das Ziel von (P1) liegt darin, dass Befragte das Vorhandensein von Wirkungen des NPO-Projekts direkt, d. h. lebensnah beurteilen können ohne einen Umweg über abstrakte Kategorien. Stellte der Bezug der Tätigkeiten des NPO-Projekts auf die Kategorien der durch ZEWO definierten Formen der Wirkungsmessung eine Erhöhung der Reichweite durch eine Vereinheitlichung dar, so wird nun eine Rückübersetzung dieser Formen mit einer hohen Reichweite in das Vertraute und eine damit einhergehende Reduzierung der Reichweite angestrebt.
Sowohl der angedachte Einsatz von face-to-face-Befragungen, wie auch die Hilfe durch (P1) bei der Operationalisierung der Kategorien der Wirkungsmessung in Fragebogenfragen, können als Stützen für die Übersetzung zwischen verschiedenen Regimen des Engagements verstanden werden (Thévenot 2011d). Der Befragung vorausgegangen ist die Operationalisierung des Survey-Projekts in die durch ZEWO vorgegebenen Kategorien der Wirkungsmessung. Wie weiter dargelegt wurde, stellt dieser Bezug durch die zumindest teilweise Standardisierung über verschieden NPO-Projekte hinweg eine Erhöhung der Reichweite der Wirkungsmessung dar. Die Tätigkeit der NPO (im Regime des Plans) wird in allgemeine Aktivitätskategorien (im Regime der Rechtfertigung) übersetzt, um eine Rechenschaft gegenüber der interessierten Öffentlichkeit bezüglich der Tätigkeiten und Wirkungen des NPO-Projekts zu ermöglichen. Diese allgemeinen Kategorien der Wirkungsmessung müssen nun in der Befragung selbst auf die spezifischen Verhältnisse der Befragten rückübersetzt werden. Dass dies während des zentralen Workshops noch nicht gut gelungen ist, moniert (P1) durch seinen Vorschlag einer „lebensnäheren“ Operationalisierung der Fragen. Das von Cicourel beobachtete konstante Abstrahieren von individuellen Bedingungen in der quantitativen Sozialforschung (Cicourel 1981) findet folglich distribuiert auf verschiedene Personen während dem Survey-Prozess statt (Hutchins 1996). Es sind nicht alleine die Befragten und auch nicht nur die Befragenden, welche den Prozess des Bezugs von individuellen Umständen auf allgemeine Kategorien der Befragung leisten. Die Intention von (A1) für die face-to-face-Befragung wie auch diejenige von (P1) für eine lebensnähere Operationalisierung der Befragungskategorien stellen folglich Anstrengungen dar, die in standardisierten Befragungen grundsätzlich notwendige Übersetzungsleistung möglichst stark durch die Befragenden, bzw. die Fragebogengestalter, übernehmen zu lassen und die Befragung so näher an die Person zu bringen. Obwohl zunächst von (A1), (P1) und (P2) als Sprachproblematik behandeltes Thema, wird ersichtlich, dass hier eine darüber hinaus gehende Problematik durch die involvierten Akteure behandelt wird. Denn aus der Perspektive der Regimetheorie wird deutlich, dass das alleinige beherrschen der Sprache noch nicht ausreicht, um eine gelungene Übersetzung zwischen den verschiedenen Regimen des Engagements gewährleisten zu können. Vielmehr ist eine spezifische Übersetzungskompetenz notwendig, wie diese von Thévenot beispielsweise bei Pflegearbeitenden identifiziert wurde (Thévenot 2009b). Valide Ergebnisse sind aus einer solchen Perspektive Ergebnisse, welche einem kohärenten Bezug des Vertrauten auf Konventionen der Messung entspringen und so eine erfolgreiche Übersetzungsleistung zwischen verschiedenen Handlungsregimen gewährleisten. Da (A1), (P1) und (P2) bei der Zielgruppe unterdurchschnittliche Fähigkeiten im Hinblick auf deren Kapazität dieser Übersetzungsleistung ausmachen, werden die aufgeführten Anstrengungen unternommen, um dennoch zu validen Ergebnissen zu gelangen.

6.1.7 Die Zielsetzung des Surveys als Prozess

Das grundlegende Ziel des hier untersuchten Survey-Projekts besteht in der Durchführung einer Wirkungsmessung durch (A1). Der Gegenstand der Wirkungsmessung ist das von (A1) selbst geleitete NPO-Projekt. Hierbei zeigt sich an verschiedenen Stellen, dass dieser Wirkungsmessung eine Survey-Praxis zugrunde liegt, welche aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive kaum mehr als Wirkungsmessung bezeichnet werden kann. Trotzdem werden die Begriffe der „Wirkungsmessung“ und der „Evaluation über das gesamte Survey-Projekt hinweg als Label für das Survey-Projekt und die leitende Zielsetzung der Befragung verwendet. In diesem Kapitel werden zunächst die sozialwissenschaftlichen Grundlagen der Wirkungsmessung dargestellt. Daran anschließend wird die Entwicklung der methodologischen Strategie des Survey-Projekts über verschiedene Stationen des Survey-Prozesses nachgezeichnet. Analysiert werden soll hier, welche Survey-Praxis dem Begriff der Wirkungsmessung zugrunde liegt, d. h. wie das Konzept der Wirkungsmessung de facto umgesetzt wird. Anschließend wird geklärt, inwiefern sich die identifizierte Survey-Praxis von sozialwissenschaftlichen Konzepten der Wirkungsmessung unterscheidet. Wie sich zeigen wird, ist dies nicht offensichtlich, da sich auch in der Survey-Praxis die sozialwissenschaftliche Begrifflichkeit von „Wirkungsmessung“ wiederfindet. Der Unterschied zwischen beiden Wirkungsmessungskonzepten liegt folglich nicht in einer unterschiedlichen Begrifflichkeit, sondern in einer unterschiedlichen konventionell fundierten Konnotation der Begriffe. Im sozialwissenschaftlichen Sinn stellt die Evaluationsforschung eine Form der Kausalanalyse dar. Geklärt werden soll, inwiefern eine Maßnahme einen bestimmten Effekt auf einen Prozess oder eine Gruppe Menschen hat. Helmut Kromrey stellt das Ziel der Evaluationsforschung wie folgt dar:
Ein bestimmter Sachverhalt oder ein bestimmtes Handeln – z. B. ein politisches Reformprogramm oder eine neue Technologie oder das Handeln einer bestimmten Gruppe, etwa der Hochschullehrer – solI nach vorgegebenen Kriterien mit Hilfe empirischer Informationen bewertet werden (Kromrey et al. 2016, S. 98).
Zentral für die Erreichung dieser Zielsetzung sind folglich zwei Elemente: Zunächst muss definiert werden, was mit der verwendeten Maßnahme überhaupt bezweckt werden soll, d. h. es muss ein Maßnahme-Ziel definiert werden. Zudem muss definiert werden, ab wann das Erreichen dieses Maßnahme-Ziels als gegeben betrachtet werden kann, d. h. es muss ein Richtwert für die Zielerreichung definiert werden. Geklärt werden muss darauf folgend, inwiefern die Maßnahme zur Zielerreichung beigetragen hat. Hierbei sind aus sozialwissenschaftlicher Perspektive zwei Punkte zu beachten: Erstens soll die Maßnahme eine Veränderung bei der untersuchten Gruppe oder dem untersuchten Prozess herbeiführen. Die dabei erhoffte Veränderung benötigt Zeit. Deswegen ist ein Vergleichsdesign (Vor- und nach dem Treatment, bzw. der Maßnahme) zentral für die Evaluationsforschung (Kromrey et al. 2016, S. 99). Zudem muss durch das Forschungsdesign eine Klärung möglich sein, ob die zu verschiedenen Zeitpunkten feststellbare Veränderung, bzw. auch die Gleichheit der festgestellten Zustände,44 tatsächlich auf die Maßnahme und nicht durch weitere Umwelteinflüsse bedingt sind (Kromrey et al. 2016, S. 99). Ein Evaluationsdesign soll folglich klären, inwiefern eine Maßnahme einen messbaren Effekt auf eine soziale Gruppe oder einen Prozess hat und inwiefern dieser Effekt als Zielerreichung bewertet werden kann.
Das Ziel des ZEWO-Leitfadens „Wirkungsmessung Inland“ (Burkhard et al. ohne Jahresangabe) liegt in der methodischen Fundierung von Evaluationsprojekten von NPO-Projekten und dessen Implementierung in das Projektmanagement solcher Projekte. Hierbei werden verschiedene Forschungsdesigns vorgestellt, wobei die meisten der Designs einen Vergleich der Maßnahme-Wirkung mit einer Vergleichsgruppe vorsieht, welche nicht an dem Programm oder Projekt der NPO teilgenommen hatte, d. h. keiner Maßnahme „ausgesetzt“ war. In diesem Sinn liegt hier zunächst eine mit dem sozialwissenschaftlichen Evaluationskonzept vergleichbare methodische Strategie vor.45 Es wird weiter darauf hingewiesen, dass es zwischen verschiedenen Zielen der Evaluation zu unterscheiden gelte:
Idealerweise wird zu Beginn geklärt, welche Ziele die Wirkungsmessung hat bzw. welche Erkenntnisse die Wirkungsmessung bringen soll. Je nachdem ob es darum geht, etwas zu beweisen, etwas zu verbessern oder etwas zu lernen, verändern sich die Anforderungen für die Wirkungsmessung. Je nach Akteur stehen hier unterschiedliche Interessen im Zentrum. Politiker und Politikerinnen, Behörden, Führungsorgane der Non-Profit-Organisation, direkt Betroffene oder Spenderinnen und Spender haben unterschiedliche Ansprüche an die Ergebnisse einer Wirkungsmessung. Idealtypisch unterscheiden wir im Folgenden die drei Aspekte Lernen, Lenken und Legitimieren, welche in der Praxis jedoch nicht in dieser klaren Abgrenzung auftreten (Burkhard et al. ohne Jahresangabe).
Deutlich gemacht werden hier unterschiedliche Dimensionen der Evaluationsforschung. So wird zwischen Lernen, Lenken und Legitimieren als unterschiedlichen Aspekten der Wirkungsmessung unterschieden. Dabei wird auch ersichtlich, dass diese verschiedenen Dimensionen der Wirkungsmessung in der Praxis häufig nicht klar getrennt werden können, d. h. dass ein Kompromiss zwischen diesen verschiedenen Dimensionen geschlossen wird. Die verschiedenen durch ZEWO dargestellten Dimensionen lassen sich unschwer den verschiedenen Wissensformaten von Survey-Welten zuordnen. Legitimieren ist das zentrale wissensontologische Ziel der Informationswelt, insofern hier eine öffentliche Repräsentation und Darstellung des eigenen Projekts verfolgt wird. Demgegenüber ist Lenken das zentrale Ziel der Dienstleistungswelt, da hier auf der Basis von Entscheidungsgrundlagen operative Entscheide gefällt werden. Lenken ist aber auch ein Ziel in der Beratungswelt, da auch in dieser Welt unter fachkundiger Begleitung durch Berater Prozesse gesteuert werden müssen. Lernen stellt ein zentrales Diktum der akademischen Welt dar. Denn in der akademischen Welt findet die Suche nach neuer Erkenntnis statt. Lernen ist jedoch auch ein wichtiger Aspekt der Beratungswelt. Denn diese ist dadurch gekennzeichnet, dass das bisherige Wissen der zu beratenden Organisation in Frage gestellt wird durch neue, durch den Berater produzierte Empfehlungen. Der Wirkungsmessungsbericht verweist somit auf die unterschiedlichen survey-praktischen Konnotationen von „Evaluation“, bzw. „Wirkungsmessung“. Es nimmt damit die survey-weltlich unterschiedliche Bedeutung und Ausrichtung von Evaluation vorneweg, welche anhand des folgenden Verlaufs der Wirkungsmessung des hier behandelten NPO-Projekts diskutiert werden soll.
Die erste datenbasierte Rekonstruktionsmöglichkeit für die Survey-Praxis der Wirkungsmessung im Survey-Projekt stellt das Interview mit (A1) dar. Dieser stellt das Ziel und die Vorgehensweise der Wirkungsmessung wie folgt vor:
A1:
Jetzt müssen wir eigentlich wie Messgrößen, Indikatoren und Richtwerte definieren, oder? […] Haben wir eben jetzt gesagt, machen wir eine nationale Befragung mit einem Fragebogen und einem Telefon. Siehe Fragebogen, wo dann da das eigentlich aufnimmt, das Thema oder? Messintervalle haben wir mal gesagt, vielleicht alle drei Jahre, weil wir haben jetzt Erkenntnisse. Und werden etwas justieren, weil wir Learnings daraus haben und dann nachher wollen wir es noch einmal messen und schauen ob es sich verändert hat, oder?
(A1) verdeutlicht hier die generelle methodische Strategie des Wirkungsmessungsprojekts. Er erwähnt einerseits Messgrößen, Indikatoren und Richtwerte, welche infolge der Wirkungsmessung definiert werden müssen. Zusätzlich erwähnt er die Messintervalle, welche auf drei Jahre festgelegt wurden. Danach werde geschaut, ob sich die gemessenen Werte verändert haben, d. h. ob eine unterschiedliche Wirkung des NPO-Projekts auf die Befragten sichtbar wird. Sichtbar wird hier, dass ein Vergleichsdesign mit verschiedenen Messgrößen und Zielwerten als Ziel der Wirkungsmessung bestimmt wird. Wiedererkennbar sind in diesem Zitat die von Kromrey beschriebenen zentralen Elemente des Vergleichsdesigns, sowie der Bewertung des Erfolgs des gemessenen Effekts (Kromrey et al. 2016, S. 98 f.). Ungeklärt bleibt hierbei, inwiefern eine Erhebung alle drei Jahre als Vergleichsdesign für die Wirkung des NPO-Projekts auf Personenebene geeignet ist. Denn wie aus dem Interview erkennbar wird, ist die Teilnahme am NPO-Projekt gerade durch eine hohe Fluktuation charakterisiert. Eine Erhebung alle drei Jahre ist folglich dazu geeignet, eine Verbesserung des NPO-Projekts darzustellen, jedoch kaum die tatsächliche Wirkung auf der Personenebene. Deutlich wird in der Darstellung der Wirkungsmessung durch (A1) zudem, dass zu diesem Zeitpunkt eine relativ klare Anbindung an das Wirkungsmessungskonzept des ZEWO-Leitfadens vorliegt. Der Verweis auf Messgrößen, Indikatoren und Richtwerte spiegelt sich direkt gegenüber dem dortigen Beschrieb der Operationalisierung von Wirkungsmessungsprojekten (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). In einem weiteren Zitat stellt (A1) die Ziele und den erhofften Nutzen der Wirkungsmessung dar:
A1:
Und dann der Nutzen, den wir von dieser Wirkungsmessung haben wollen, wir haben ein viel präziseres Wirkungsverständnis einerseits. Und die soll uns dann viele Erkenntnisse geben für die Entwicklung und Optimierung von der [NPO-Projekt], von dieser Dienstleistung, welche wir anbieten. Und es soll eigentlich auch der Grundstein sein für die Vision [des NPO-Projekts]. […] Und dann gibt es natürlich für uns ein […] ein fundiertes Argumentarium für alle Stakeholder, also für das Fundraising sicher relevant oder? Für unsere Angebotspartner ist das sicher spannend, für die Nutzenden, für die Öffentlichkeit, aber auch [NPO-intern], versprech ich mir relativ viel von dem, oder?
Sichtbar wird hier der doppelte erhoffte Nutzen der Wirkungsmessung für das NPO-Projekt. Einerseits dient er einem präziseren Wirkungsverständnis, welches im Anschluss ein besseres Verständnis der Wirkungsweise des NPO-Projekts ermöglichen soll für das Management des NPO-Projekts. Zudem dient die Wirkungsmessung der Legitimation, indem deren Wirkung verschiedenen Stakeholdern kommuniziert werden kann, wobei externe Stakeholder (Geldgeber) und interne Stakeholder mitbedacht sind.46 Zugleich macht (A1) deutlich, dass das Wirkungsmessungsprojekt praktisch umsetzbar bleiben muss:
A1:
[…] auch von den Kosten her realistisch ist im Verhältnis zu unseren Budget, die wir haben, und da nicht irgendeinen Papiertiger zu entwickeln, oder weiß ich nicht was für ein Monster auf die Beine stellen, oder? Das ist so ein Grundanspruch gewesen, den wir gerade gehabt haben, oder? Darum auch das was ich euch jetzt zeigen wird ist eine relativ schlanke Form der Wirkungsmessung für mein Verständnis, aber es ist irgendwie auch vernünftig dadurch.
(A1) macht in diesem Zitat deutlich, dass er eine schlanke Form der Wirkungsmessung verfolgt. Unklar bleibt hier jedoch, was genau er unter einer schlanken Form der Wirkungsmessung versteht, bzw. welche Arten von Wirkungsmessung für ihn nicht dazu gezählt werden können. (A1) bringt damit zum Ausdruck, dass die geplante Wirkungsmessung keinen Selbstzweck darstellt, sondern vielmehr als Teil des gesamten NPO-Projekts betrachtet werden muss, wobei insbesondere das Budget dabei begrenzt ist.47 Die Wirkungsmessung muss folglich als Teil der Zielsetzung des NPO-Projekts betrachtet werden. Während des Interviews mit (A1) stellt dieser auch die beiden Fragebögen vor, welche während des zentralen Workshops definiert wurden.48 Interessant daran ist, dass hier viele Fragen nicht eine eigentliche Wirkungsmessung betreffen, sondern auf die Nutzung der Dienstleistung durch die Teilnehmenden ausgerichtet sind. Erfragt wird hier in verschiedenen Fragen die Art und Weise der Nutzung, wobei kein erkennbarer Zusammenhang zur bestimmbaren Wirkung des NPO-Projekts sichtbar ist.
Die Koordinationssitzung mit der Survey-Firma stellt eine der zentralen Stationen dieses Survey-Projekts dar. Dies ist deshalb der Fall, da die Survey-Firma zu diesem Zeitpunkt bereits einen tiefen Einblick in das Survey-Projekt und insbesondere bereits einen Überblick über die beiden im Workshop erstellten Fragebögen für die Verlängerer und die Nichtverlängerer hat. Zwei Elemente sind hierbei für das schlussendlich zur Anwendung gekommene Forschungsdesign zentral:
Einerseits findet keine grundsätzliche Korrektur der im Workshop entwickelten Strategie der Selbsteinschätzung der Wirkung durch die befragten Nutzenden statt. Die Survey-Firma setzt folglich das von der NPO in Auftrag gegebene Survey-Projekt in diesem Punkt direkt um. Dies ist aus zwei Gründen nicht selbstverständlich. Erstens nimmt die Survey-Firma in vielen Belangen eine der Beratungswelt folgende, steuernde Funktion ein, was hier nicht der Fall ist. Zudem ist der Survey-Firma selbst der Leitfaden zur Wirkungsmessung bekannt und man kann grundsätzlich davon ausgehen, dass sie sich mit Evaluationsdesigns auskennt.49 Zudem findet während des Gesprächs ein zunehmender Ausbau der bereits im ursprünglichen Fragebogen angelegten Nutzeranalyse statt. Dies wird beispielsweise in folgendem Zitat deutlich. Hierbei gehen (P1), (P2) und (A1) den Fragebogen gemeinsam durch. Dabei gelangen sie zur Frage, in der allfällige Gründe für eine zukünftige Nicht-Teilnahme am Programm des NPO-Projekts erfragt werden:
P2:
Und das mit der: “Ich will die [das NPO-Projekt] nicht mehr”, wieso, also, die wissen ja vielleicht noch nicht, ob sie sie noch verlängern wollen oder nicht? Oder schon?
A1:
Mich, also einfach dieser Punkt dass relativ viele nicht verlängern, der nimmt mich recht stark wunder.
(P2) problematisiert hier zunächst, ob die Befragten zum Zeitpunkt der Befragung überhaupt bereits abschätzen können, ob sie am Programm des NPO-Projekts bereits weiter teilnehmen wollen. Darauf antwortet (A1), dass ihn grundsätzlich interessiere, warum viele der Teilnehmenden die Mitgliedschaft beim NPO-Projekt nicht verlängern. Damit wird deutlich, dass die „Wirkungsmessung“ nicht nur die Wirkung der Teilnahme am NPO-Projekt zutage fördern soll, sondern zusätzlich auch das Nutzerverhalten und die Perspektive der Teilnehmenden auf das NPO-Projekt. Diesen Fokus auf eine Nutzeranalyse zeigt sich schlussendlich auch im für die Befragung der Verlängerer verwendeten Fragebogen. Circa ein Drittel des Fragebogens besteht aus Fragen zur Nutzung des NPO-Projekts. Zudem wird infolge der Koordinationssitzung mit der Survey-Firma deutlich, dass die Wirkung nicht durch ein Vergleichsdesign (mit einer Non-Treatment-Gruppe oder durch den Vergleich über die Zeit) ermittelt werden soll, sondern durch die Selbsteinschätzung durch die Befragten. Diese werden folglich danach befragt, inwiefern in den verschiedenen erwarteten Wirkdimensionen des NPO-Projekts Wirkungen bei ihnen eingetreten sind.
In der Auswertung findet schlussendlich eine Zweiteilung der Darstellung der Ergebnisse statt. Einerseits wird Auskunft über die Nutzung des NPO-Projekts gegeben, andererseits findet sich ein zweiter Teil zur Wirkung des NPO-Projekts. Die Nutzeranalyse findet folglich einen mit der ursprünglich intendierten Wirkungsmessung gleichberechtigten Eingang in den Abschlussbericht. Zudem wird im Fazit das Einsparen von Geld als Hauptwirkung des NPO-Projekts ausgewiesen. Andere Wirkungen werden als weniger wichtig für das NPO-Projekt eingeschätzt.
Die Auswertung selbst lässt sich in zwei Teile gliedern. Auswertung eins wird von der Survey-Firma durchgeführt und umfasst einen Bericht, in welchem die Ergebnisse der Befragung festgehalten werden. Dies ist das klassische Format der Dienstleistungswelt. Im Bericht werden – im Verhältnis zum kompletten Bericht kurzgefasst – auch Empfehlungen für die Auftraggeber abgegeben. Sowohl der Survey-Firma als auch der Leitung des NPO-Projekts ist jedoch klar, dass das nicht das eigentliche „Produkt“ der Wirkungsmessung darstellt, sondern eine Vorstufe von diesem.50 Hier kommt „Auswertung“ zwei ins Spiel.51 Das eigentliche Produkt der Wirkungsevaluation stellen zwei Abschlussberichte dar, welche durch die operative Leitung des NPO-Projekts verfasst werden. Der erste Bericht ist für den NPO-internen-Gebrauch gedacht, umfassender und enthält Details für weitere Wirkungsmessungsprojekte der NPO sowie die inhaltlichen Ergebnisse der Wirkungsevaluation. Der zweite Bericht ist für die verschiedenen Stakeholder gedacht und beinhaltet nur die inhaltlichen Ergebnisse. Im internen Wirkungsbericht zeigt sich deutlich die Notwendigkeit einer Forminvestition, um aus den präsentierten Daten für die Rezipienten sinnhafte und verstehbare Informationen werden zu lassen. Denn zur Kommunikation der Ergebnisse ist ein statistisches Grundwissen der Rezipienten unumgänglich. Da dies durch das breite Publikum nicht grundsätzlich vorausgesetzt werden kann, wird beispielsweise die Maßzahl des Konfidenzintervalls erklärt, um für die folgende statistische Darstellung der Befragungsergebnisse mündig zu sein:
Wir bewegen uns im Kanton Waadt statistisch gesehen im Fehlerbereich von 5.5 %. Das heißt, wenn 50 % die eine Antwort gegeben haben, kann es auch sein, dass in Realität 55.5 % oder 44.5 % diese Antwort geben würden. Es ist also repräsentativ im entsprechenden Vertrauensintervall.
Deutlich wird hier die Notwendigkeit einer Forminvestition in das Verständnis von statistischem Grundwissen der Rezipienten durch (A1). Da sich die Auswertung zwei an eine interessierte Öffentlichkeit richtet, kann hier das für das Verständnis von Statistik notwendige statistische Grundwissen nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Stellt die durch die Survey-Firma vorgenommene Auswertung eins eine dienstleistungsweltliche Form der Auswertung dar,52 so findet in Auswertung zwei eine Übersetzung durch (A1) statt. Dabei muss einerseits sichergestellt werden, dass die Legitimationsfunktion der Wirkungsmessung sichergestellt ist. (A1) muss folglich dafür sorgen, dass die Wirkungsmessung nicht zum Nachteil im Hinblick auf das öffentliche Bild des NPO-Projekts wird. Auswertung eins stellt eine basale Datenauswertung dar, welche auf der Basis von Methoden und Expertenwissen als Produkt der industriellen Rechtfertigung betrachtet werden kann (Boltanski und Thévenot 2007, S. 276 ff.). Auswertung zwei muss hingegen den öffentlichen Diskurs mit in die „Auswertung“, bzw. nun präziser die „Präsentation“, der Ergebnisse miteinbeziehen und so ein Öffentlichkeitsmanagement betreiben. Folglich muss hier die industrielle Rechtfertigungsordnung der Messung in einen Kompromiss mit der Rechtfertigungsordnung der Meinung gebracht werden, um eine legitime öffentliche Darstellung der Ergebnisse gewährleisten zu können (Boltanski und Thévenot 2007, S. 245 ff.). Die Kompromissbildung zwischen industrieller und meinungsweltlicher Rechtfertigungsordnung kann als informationsweltliche Formatierung der Ergebnisse verstanden werden, da hier eine maßgeblich technische und datenbasierte (Experten-)Auswertung in eine allgemeinverständliche Information übersetzt wird, wobei zusätzlich eine öffentliche Positionierung des NPO-Projekts stattfindet.
Wie in den vergangenen Absätzen nachgezeichnet werden konnte, hat sich die ursprünglich intendierte Wirkungsmessung über die verschiedenen Stationen der Survey-Produktion zu einem Survey-Projekt entwickelt, welche der Nutzeranalyse und der Wirkungsmessung einen ähnlichen Raum einräumt. Folglich zeigt sich im Abschlussbericht zum Survey-Projekt eine deutliche Abweichung zum vorher beschriebenen sozialwissenschaftlichen Evaluationsdesign. So wird die Messung der Wirkung der Maßnahmen des NPO-Projekts nicht durch das Messen von Sachverhalten, sondern durch die Wirkungseinschätzung der Befragten selbst ermittelt. Trotz der ursprünglichen Intention von (A1) des Einrichtens von Messgrößen, Indikatoren und Richtwerten, an welchen die Wirkung des NPO-Projekts gemessen werden soll, werden diese offensichtlich weder im Vorfeld der Erhebung, noch in der Auswertung eingesetzt. Dadurch wird kein eigentliches Vergleichsdesign der Forschung eingerichtet, da der Vergleich durch die Befragten selbst vorgenommen werden soll. Zwar sind zukünftige Messungen geplant, jedoch wird bereits die erste Messung als Wirkungsmessung aufgefasst und entsprechend werden bereits nach der ersten Messung Wirkungen (Effekte) dargestellt. Das Forschungsdesign überlässt es den Befragten selbst, inwiefern die eingetretene oder nicht eingetretene Wirkung auf die Maßnahme selbst oder andere Umwelteinflüsse zurückzuführen ist. Andererseits wird eine zunehmende Überhandnahme einer Nutzendenanalyse im Verhältnis zur ursprünglichen Intention der Wirkungsmessung deutlich. Dies zeigt sich alleine daran, dass Fragen zur Nutzung des Angebots des NPO-Projekts mehr als die Hälfte des Fragebogens einnehmen und zu einem gleichen Anteil wie die Wirkungsmessung selbst im Schlussbericht dargestellt werden.
In den vorausgegangenen Absätzen wurde die Entwicklung und Festlegung der die Wirkungsmessung fundierenden Methodologie nachgezeichnet. Deutlich wurde hier, dass die von (A1) zu Beginn im Interview dargestellte Methodologie, welche auf Messgrößen, Indikatoren und Richtwerten, sowie einem Vergleichsdesign aufbaute, schlussendlich nicht umgesetzt wurde. Festzuhalten ist, dass bereits zum Zeitpunkt des Interviews ein Fragebogen vorlag, in welchem die dargestellten Elemente einer Wirkungsmessung nicht existierten (Kromrey et al. 2016, S. 98 f.). Damit wird ein Unterschied zwischen der von (A1) dargestellten Survey-Programmatik und der tatsächlichen Survey-Praxis sichtbar. In den folgenden Ausführungen wird aus der Perspektive der Theorie der Survey-Welten zu klären versucht, wie dieser Dissens zu verstehen ist.
Wie weiter oben dargestellt, existiert bereits im Leitfaden zur Wirkungsmessung von ZEWO der Hinweis auf verschiedene Dimensionen, bzw. Schwerpunktsetzungen einer Wirkungsmessung. Unterschieden wird hier zwischen Lernen, Lenken und Legitimieren (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). Wie bereits dargestellt, orientiert sich das vorliegende Survey-Projekt maßgeblich an den Elementen Lenken und Legitimieren, was durch die beiden unterschiedlichen Schwerpunkte der Nutzungsanalyse und der Wirkungsmessung begründet wurde. Es lässt sich auch das Element des Lernens feststellen, allerdings nicht im Sinne der akademischen Welt, d. h. dass eine allgemeine Erkenntnis produziert werden soll. Vielmehr dient das Lernen hier dem besseren Lenken, bzw. dem optimierten Legitimieren.
Wie in Abschn. 5.​3 dargestellt wurde, orientiert sich die Dienstleistungswelt maßgeblich am operativen Führen einer Unternehmung. Dafür werden in Surveys Entscheidungsgrundlagen produziert, welche Antworten auf operative Steuerungsfragen liefern sollen. Dieser Aspekt lässt sich an der durch (A1) initiierten und während verschiedener Stationen bestätigten Nutzungsanalyse wiederfinden. Hier werden Fragen zur Art der Nutzung und insbesondere zur Zufriedenheit und weiteren Wünschen im Hinblick auf das Angebot des NPO-Projekts gestellt. Dadurch findet keine kausale Zuteilung von Anstrengungen des Projekts auf Wirkungen statt, sondern es werden hier operative Möglichkeiten zu einer erhöhten Akzeptanz und Nutzung des Angebots bei den Befragten ausgelotet. Im Gegensatz dazu orientiert sich die Wirkungsmessung selbst an einer Legitimation des NPO-Projekts gegenüber verschiedenen Stakeholdern und kann so als informationsweltliches Element der Befragung verstanden werden. Dies wurde einerseits direkt durch (A1) im Interview erwähnt. Noch grundlegender wird der informationsweltliche Aspekt jedoch durch den Druck seitens von ZEWO zur Durchführung von Wirkungsmessungen als Teil von Inlandprojekten von NPOs sichtbar. Denn damit sollen Standards gesetzt werden für die öffentliche Einschätzbarkeit der Wirkung verschiedener NPOs, d. h. die öffentliche Rechenschaftspflicht von NPOs zu ihren Tätigkeiten erhöht werden. Die Intention von ZEWO besteht jedoch nicht darin, eine reine Werbeplattform für die verschiedenen NPOs zu schaffen. Vielmehr ist es das Ziel, die verschiedenen NPOs durch einen gewissen Druck dazu zu bringen, objektive Daten zu ihrer Wirkung mittels Wirkungsmessungen zu produzieren. Die Idee dahinter ist, dass dies durch die verwendeten Methoden gewährleistet werden soll (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). Die Wirkungsmessung kann so durchaus als Test für NGOs im Sinne von Boltanski und Thévenot aufgefasst werden für deren Existenzberechtigung (2007, S. 179 ff.). Eine Wirkungsmessung kann so auch eine Gefahr für ein NPO-Projekt darstellen. Dass die Einführung der Wirkungsmessung von Inlandprojekten durch ZEWO nur mit einem gewissen Druck möglich wird, ist diesem Umstand geschuldet. Das Interesse von NPOs an Wirkungsmessungen ist dadurch nicht unbedingt dem eigenen Interesse an der eigenen Wirkung geschuldet, sondern vielmehr dem Interesse der verschiedenen Stakeholdern an einer Überprüfung der Tätigkeit der NPO. Die Wirkungsmessung stellt so eine Möglichkeit für NPOs dar, ihre eigene Tätigkeit gegenüber den verschiedenen Stakeholdern zu präsentieren und die eigene Arbeit in ein gutes Licht zu rücken. Genau dies wird im vorliegenden Survey-Projekt versucht. Dies zeigt sich insbesondere in der Auswertung. Deutlich wird dort, dass sich verschiedene erwartete Wirkdimensionen nicht wie erwartet abbilden. Als stärkste Wirkdimension wird folglich die Ersparnis von Geld aufgeführt. Kritisch kann hier eingewendet werden, dass die genannten Ersparnisse durch das NPO-Projekt kaum echte Ersparnisse darstellen, da gerade die Nutzung der Angebote des NPO-Projekts Mehrausgaben zur Folge haben. Der springende Punkt ist dabei die Repräsentationsfunktion des Surveys. Dadurch besteht bereits im Hinblick auf die methodologische Ausrichtung ein fundamentaler Unterschied zwischen der von Kromrey dargestellten Methodik für Evaluationen und der methodologischen Ausrichtung der Wissensmessung im vorliegenden Survey-Projekt. Die erste ist daran interessiert, allgemeine und objektive Wirkungen eines Programms oder einer Tätigkeit darzustellen. Die zweite ist hingegen daran interessiert, eine plausible Wirkung und somit einen Nutzen für die verschiedenen Stakeholder darstellen zu können. Dadurch werden erweiterte Anforderungen an (A1) deutlich. Methodische Kenntnisse, bzw. das Einholen von methodischer Expertise alleine reichen nicht aus, um das Survey-Projekt erfolgreich durchführen zu können. Vielmehr ist es notwendig, einen Kompromiss zwischen der Methodik und dem spezifischen Wissensformat der Information herzustellen. Dies zeigt sich in diesem Absatz einerseits im Bestreben, trotz der an ihn gestellten Forderung der Durchführung einer Wirkungsmessung, diese finanziell im Rahmen zu halten. Es zeigt sich aber auch darin, dass (A1) sicherstellen muss, dass die Methodik nicht den Legitimationszwecken der Informationswelt widerspricht. Dadurch wird eine situative Governance und auch Rechtfertigung sichtbar. Denn einerseits schuldet (A1) Rechenschaft im Hinblick auf die methodische Fundierung des Projekts. (A1) tut dies im Interview durch den Verweis auf die im ZEWO-Leitfaden dargestellte Methodik von Wirkungsmessungen anhand der Begriffe Messgrößen, Indikatoren, Richtwerte etc. Er darf gleichzeitig aber auch die operative Logik des von ihm geleiteten NPO-Projekts nicht aus den Augen verlieren, welche er durch die Einhaltung eines knappen Budgets, sowie der Ergänzung der Wirkungsmessung durch eine Nutzungsanalyse tut. Zudem muss er sicherstellen, dass die Wirkungsmessung legitime Resultate produziert, welche das NPO-Projekt vor den verschiedenen Stakeholdern in einem guten Licht darstellen lässt.

6.1.8 Fazit

In den folgenden Absätzen werden die zentralen Ergebnisse der Rekonstruktion des analysierten Falls der Wirkungsmessung in einem NPO-Projekt rekonstruiert. Zunächst wird hierfür ein Überblick über die verschiedenen survey-weltlichen Bezüge dieses Survey-Projekts erarbeitet. Zentrale Aspekte des Survey-Projekts lassen sich hierbei auf Koordinationsformen der Beratungs- und der Informationswelt beziehen, aber auch Aspekte der Dienstleistungswelt lassen sich hier wiederfinden. Daran anschließend werden fünf Ergebnisse der Fallanalyse diskutiert: Die Prozesshaftigkeit der Survey-Forschung, die Entstehung methodischer Probleme aus survey-weltlichen Koordinationsproblemen, survey-welten typische methodische Fallstricke, Perzeption als Meta-Kompetenz für die Koordination von Survey-Welten in der Survey-Praxis und die Befragung als Ort der Regime-Koordination.
Wie dargestellt wurde, erfolgt die Auswahl des Erhebungspartners, wie auch die schlussendliche Beauftragung der Survey-Firma, auf der Grundlage persönlicher Bekanntschaften von (A1). Die von (A1) gesuchte Dienstleistung wird folglich nicht auf einem anonymen, durch objektive Angebote charakterisierten Markt eingekauft. Dabei wurde argumentiert, dass dies keine Gelegenheitsstrategie von (A1) darstellt, sondern durch das notwendige Vertrauensverhältnis zur Survey-Firma begründet ist. Denn der zentrale Anspruch von (A1) an die Survey-Firma liegt darin, einen Berater als Partner zu gewinnen, welcher nicht nur einen Auftrag ausführt. Im Gegenteil soll dieser proaktiv Verantwortung über das Gelingen des Survey-Projekts übernehmen und so als kompetenter und vertrauenswürdiger Partner (A1) zur Seite stehen. Dieser Rückgriff auf persönliche Beziehungen wurde als charakteristisch für die Selektion der Survey-Firma in der Beratungswelt identifiziert. Die von Granovetter beschriebene Embeddedness ist damit eine zentrale Koordinationsform der Beratungswelt (Granovetter 1985).53 Geradezu charakteristisch für diese Welt ist die weiter identifizierte Prozesshaftigkeit der Produktbestimmung. Wie aufgezeigt wurde, fand die Bestimmung der Dienstleistung, welche durch (A1) bei der Survey-Firma eingekauft wird, erst in einem kontinuierlichen Prozess über verschiedene Treffen verteilt, gemeinsam zwischen (A1), (P1) und (P2) statt. Der Prozess zwischen den verschiedenen involvierten Akteuren bis zur Bestimmung des gekauften Produkts weist dadurch insgesamt stark beratungsweltliche Aspekte auf. Der beratungsweltliche Aspekt dieses Survey-Projekts zeigt sich jedoch nicht alleine im Prozess der Auftragsvergabe. Der Sinn der Auswahl dieser Survey-Firma besteht gerade darin, einen Verantwortung übernehmenden Partner im Hinblick auf die methodische Grundlegung und zusätzlich auch der Prüfung der Operationalisierung des ZEWO-Wirkungsmodells zu finden. Die proaktive Steuerung der methodischen Ausrichtung zeigt sich beispielsweise im Vorschlag von (A1), eine zusätzliche face-to-face-Befragung in einer Zweigstelle der NPO durchzuführen. Dieser Vorschlag wird von (P1) nicht als Auftrag verstanden, sondern als in Bezug auf deren methodische Tragbarkeit zu prüfende Idee und wird auf der Basis dieser kritischen Prüfung auch wieder verworfen. Der beratungsweltliche Aspekt wird aber auch in der Auswertung deutlich, in welcher nicht lediglich Daten und Zusammenfassungen versammelt sind, sondern ebenfalls Empfehlungen der Survey-Firma zur Verbesserung der Tätigkeit des NPO-Projekts.
Der beratungsweltlichen Einbettung sind jedoch an einem zentralen Punkt Grenzen gesetzt. Am Ende der zentralen Koordinationssitzung zwischen (A1), (P1) und (P2) weist (A1) auf den höheren Preis der Offerte durch die in einer vorherigen Offerte nicht miteinberechnete Mehrwertsteuer hin. Die interne Kommunikation des Preises durch (A1) macht daraus ein Dispositiv-Objekt für die Dienstleistungswelt. In der Folge muss durch die beteiligten Akteure ein Kompromiss zwischen der Beratungs- und der Dienstleistungswelt herausgearbeitet werden. Dabei wird vereinbart, einerseits den festen Preis beizubehalten, andererseits die Anzahl telefonischer Interviews aufwandsabhängig festzulegen. Obwohl (A1) einen praktischen Sinn für notwendige Kompetenzen der Survey-Firma (Verantwortungsübernahme und Vertrauen) zeigt, führt der zu Beginn festgelegte feste Preis zu einem Konflikt, da dadurch der beratungsweltliche Prozess der konstant fortschreitenden Produktdefinition limitiert wird.54 Der Dienstleistungsaspekt zeigt sich aber auch im Hinblick auf den Ausgangspunkt der Planung des Survey-Projekts zwischen (A1), (P1) und (P2). Hierbei bestehen bereits ausführliche Vorarbeiten von (A1) und weiteren aufseiten des NPO-Projekts in das Survey-Projekt involvierten Akteuren, welche während des vorbereitenden Workshops erarbeitet worden sind. Aus der Perspektive der Survey-Welten muss folglich ein Kompromiss geschlossen werden zwischen der Beratungswelt, in welcher das Survey-Projekt maßgeblich durch Berater aufseiten der Survey-Firma geplant und durchgeführt wird und der Dienstleistungswelt, in welcher die Planung beim Auftraggeber liegt und die Survey-Firma eine ausführende Instanz darstellt. Durch die Vorarbeiten seitens des NPO-Projekts waren (P1) und (P2) an bereits existierende methodische Entscheidungen gebunden und folglich nicht mehr gänzlich frei in der Planung des Survey-Projekts.
Die Informationswelt bildet die Ausgangslage des Projekts und definiert (zunächst) das zentrale Wissensformat der Information, welches durch die Erhebung erreicht werden soll. Denn die Wirkungsmessung soll grundsätzlich Daten produzieren, welche für eine interessierte Öffentlichkeit nachvollziehbar die Wirkung des NPO-Projekts darstellt und dabei einen Vergleich mit anderen Projekten zulässt. Es ist folglich nicht erstaunlich, dass bereits bei der Auftragsvergabe informationsweltliche Ansprüche an die Survey-Firma gelegt werden. Dies zeigte sich in Abschn. 6.1.1 darin, dass sich (A1) für die gewählte Survey-Firma entschieden hab, weil diese auch ein Label für die verschiedenen Stakeholder des Survey-Projekts darstellt. Hierbei zeigt sich, dass die produzierten Daten nicht einfach Wissen darstellen, sondern dass sie den Status von legitimen Informationen erreichen sollen. Dieses Ziel soll gemäß (A1) durch die Survey-Firma gestützt werden. Wie in der Rekonstruktion des Survey-Projekts dargestellt wurde, wird die Produktion des spezifischen Wissensformats der Information jedoch nicht alleine durch die Survey-Firma sichergestellt. Dies wird an zwei Punkten deutlich: Einerseits an der Diskussion um die Verwendung der Kategorie „Staatsangehörigkeit“. Hier wird klar, dass die Survey-Firma zwar einerseits die Operationalisierung des Wirkungsmodells überprüft55 und dadurch auch legitimiert. Andererseits tritt die operative Leitung des NPO-Projekts auch als Auftraggeber auf, indem sie den Miteinbezug dieser Kategorie durchsetzen muss, um den inhaltlichen Informationsgehalt für das Zielpublikum zu garantieren. An die formale informationsweltliche Expertise der Operationalisierung des Wirkungsmodells und die Signalfunktion durch die Legitimität der Organisation tritt folglich die inhaltliche Ausgestaltung durch die operative Leitung. Zweitens finden formgebende Aktivitäten im Hinblick auf die Wirkungsmessung bereits während der beiden Workshops statt.56 Dieser wurde begleitet durch eine externe Fachperson für Evaluation, welche die Operationalisierung des ZEWO Wirkungsmodells auf die spezifischen Gegebenheiten des NPO-Projekts gemeinsam mit den restlichen Teilnehmenden organisierte. Die Produktion von Informationen wird folglich distribuiert durch folgende Elemente organisiert:
  • Operationalisierungsunterstützung des ZEWO-Wirkungsmodells durch einen Experten für die Wirkungsmessung von NPO-Projekten: Im zweitägigen Workshop, in welchem das Forschungsdesign, sowie der Fragebogen für das Wirkungsmessungs-Projekt entworfen werden, wird wie dargestellt ein externer Experte (d. h. eine Person, welche nicht der NPO angehört) hinzugezogen für die Operationalisierung des ZEWO-Leitfadens für das konkrete Wirkungsmessungsprojekt (vgl. hierfür Abb. 6.1). Diese Person stellt folglich einen Intermediär (Bessy und Chauvin 2013; Diaz-Bone 2018, S. 109 ff.) dar, welche zugezogen wird, um eine Investition in Formen, basierend auf der Form des Wirkungsmessungsmodells der ZEWO, zu leisten. Diese Forminvestition soll gewährleisten, dass die im NPO-Projekt vorgenommene Wirkungsmessung für Dritte erkennbar als „Wirkungsmessung“ im Sinne des ZEWO-Leitfadens wiedererkennbar ist. Wie deutlich wird, beinhaltet diese Forminvestition durch den Intermediär des Experten für Wirkungsmessungen insbesondere die Einordnung des NPO-Projekts in die Kategorien des Wirkungsmodells (Burkhard et al. ohne Jahresangabe).
  • Legitimation der Erhebung durch die Survey-Firma: Das spezifische Wissensformat der Information wird außerdem durch weitere Forminvestitionen seitens der beauftragten Survey-Firma erreicht. Dies geschieht einerseits durch die weitere Begutachtung des Wirkungsmodells der Survey-Firma, ohne dass dabei grundlegende Änderungen im Hinblick auf die Wirkungsmessung vorgenommen werden. Sie geschieht andererseits aber insbesondere dadurch, dass die Durchführung der Befragung durch die Survey-Firma die dadurch produzierten Daten quasi labelt, da durch deren Bekanntheit eine Legitimation der Wissensproduktion mit hoher Reichweite stattfindet, welche für die Informationsproduktion zentral ist. Der Survey-Firma kommt hier folglich nicht lediglich die Funktion eines reinen Datenproduzenten zu wie etwa in der Dienstleistungswelt, in welcher Survey-Firmen einen festgelegten Auftrag bearbeiten. Ihr kommt auch nicht nur die Funktion eines Partners wie in der Beratungswelt zu, in welcher Survey-Firmen eine reflexive Haltung gegenüber einem Anliegen, bzw. organisationalen Problemen und eine Verantwortung für den gesamten Wissensproduktionsprozess einnehmen. Die Bekanntheit und das Renommee – welches in Abschn. 6.1.1 als Qualitäten der meinungsweltlichen Rechtfertigungsordnung beschrieben wurden (Boltanski und Thévenot 2007) – wirken hier als Dispositiv für die Informationsproduktion.57 Denn die basale Anforderung an die Wissensproduktion in dieser Welt ist die mit Informationen generierte hohe Reichweite. Diese wird durch die Survey-Firma als Marke für die Stakeholder unterstützt.
  • Inhaltliches Management der zu erhebenden Kategorien durch die operative Leitung des NPO-Projekts: Wie im Abschn. 6.1.3 deutlich wurde, wird eine hohe Reichweite der in diesem Wirkungsmessungsprojekt produzierten Daten auch dadurch erreicht, dass die zur Erhebung verwendeten Kategorien dem Informationsbedürfnis der verschiedenen Stakeholder entsprechen. Diese scheinbare Ausrichtung an schlussendlichen Datennutzenden wird jedoch wieder survey-weltlich gebrochen. Denn die Ausrichtung kann sich unmöglich an einem einzelnen Stakeholder orientieren, sondern muss sich an gesellschaftlichen Kategorien ausrichten, um die verschiedenen Stakeholder insgesamt durch die verwendeten Kategorien ansprechen zu können. Dieser Fokus auf einen gesamtgesellschaftlichen Äquivalenzraum (Desrosières 2005)58 zeigt sich in der Diskussion um die Verwendung der Kategorie „Staatsangehörigkeit“. Die Relevanz dieser Kategorie für einen öffentlichen Diskurs ist (P1) durchaus bewusst, er sieht jedoch keinen Verwendungszweck dafür für das operative Führen des NPO-Projekts.
Die Produktion des Wissensformats der Information wird folglich durch verschiedene Elemente und Tätigkeiten während des gesamten Survey-Prozesses gestützt. Man kann folglich von einer distribuierten Kognition der Informationsproduktion sprechen (Hutchins 1996). Trotz des Rückgriffs von (A1) auf die Survey-Firma als methodischer Berater wird damit die verschiedene Stationen übergreifende Koordination des Informationsformates durch ihn sichtbar. Obwohl er also an vielen Stellen als Klient der Survey-Firma in Erscheinung tritt, so investiert er doch durch den Einsatz der verschiedenen dargestellten Elemente der Informationsproduktion in das angestrebte Wissensformat. Dennoch zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zur Idee einer klaren, zeitlich aufeinander abfolgenden Governance von Survey-Projekten auf, wie sie in der Survey-Methodologie dargestellt wird (Lyberg und Biemer 2008, S. 422 ff.). Denn wie aufgezeigt wurde, sind einige der dargestellten Schritte zur Informationsproduktion an die Survey-Firma oder die externe Fachperson für Evaluationsfragen ausgelagert und werden so nicht zentral gesteuert. Der Survey-Prozess zeigt sich in der Fallanalyse vielmehr als verschiedene Objekte, Formen, Konventionen und Akteure mobilisierendes Netzwerk.
In der Darstellung der verschiedenen Thematiken, welche in diesem Fall bearbeitet werden und insbesondere in der Darstellung der Veränderung des Survey-Charakters ausgehend vom Auftrag einer Wirkungsmessung hin zu einer Nutzendenanalyse zeigt sich die Prozesshaftigkeit des Survey-Projekts und des damit verknüpften Wissensinteresses. Die konkrete Umsetzung der ursprünglichen Intention, eine Survey-Forschung durchzuführen, zeigt sich dabei erst infolge eines Fortschreitens des Survey-Prozesses selbst. Diese Prozesshaftigkeit steht im Gegensatz zur klassischen Annahme, bzw. zur normativen Grundlegung der Survey-Methodologie, wonach die Definition der Forschungsfrage stets am Beginn der Survey-Produktion stehen soll (Schnell 2012, S. 19 ff.). Hierbei zeigt sich besonders deutlich die beratungsweltliche Dimension dieses Survey-Projekts. Das eigentlich durch die Survey-Firma produzierte und verkaufte Produkt zeigte sich erst durch die konkrete Arbeit am Projekt und ist nicht bereits zu Beginn des Projekts definiert. Wie in Abschn. 6.1.5 dargestellt wurde, führt dies zu einem Konflikt mit dem bereits zu Projekt-Beginn festgelegten Preis der Dienstleistung. Der grundlegende prozesshafte Charakter von Survey-Projekten zeigt sich jedoch am stärksten in der Rekonstruktion des Prozesses der Zielsetzung des Survey-Projekts (vgl. Abschn. 6.1.7). Die ursprüngliche Intention der NPO-Leitung der Durchführung einer Wirkungsmessung gemäß dem Leitfaden zur Wirkungsmessung von Inlandprojekten von ZEWO (Burkhard et al. ohne Jahresangabe) erfährt mit dem Fortschreiten der Survey-Produktion eine situative Anpassung, so dass schlussendlich eine Nutzungsanalyse in die Wirkungsmessung integriert wird.
In Abschn. 6.1.3 wurde der survey-weltlich unterschiedliche Bezug zwischen (P1) und (A1) auf die Kategorie „Staatsangehörigkeit“ rekonstruiert. (P1) beurteilt die Verwendung dieser Kategorie anhand deren operativen Nutzens, während (A1) diese Kategorie aufgrund ihres Informationswertes für die verschiedenen Stakeholder des NPO-Projekts bewertet. Die Bewertung einer Erhebungskategorie lässt sich folglich nicht allein durch deren Abgleich mit dem Forschungsgegenstand beurteilen, sondern erst durch den Bezug auf eine survey-weltliche Konvention. Der identifizierte Konflikt unterstreicht folglich die konventionelle Fundierung von Kategorien. Hier wird die exakte Bedeutung des in Abschn. 2.​5.​5 eingeführten Konzepts des Wissensformats deutlich. Im Anschluss an diese Analyse wurde ein Gedankenexperiment unternommen, um der Auswirkung einer misslungenen survey-weltlichen Koordination am Beispiel der Kategorie „Staatsangehörigkeit“ nachzuspüren. Ersichtlich wurde dabei, dass in einem breiten Sinn verstandene methodische Probleme – infolge einer Ausdehnung des Methodenbegriffs auf die gesamte statistische Kette des Wissensproduktionsprozesses – nicht alleine durch fehlende finanzielle Ressourcen oder fehlendes methodisches Wissen entstehen können. Die Ursache von methodischen Problemen kann ebenfalls in einer ungenügend koordinierten konventionellen Stützung des angestrebten Wissensformats von Survey-Projekten liegen. Damit wird deutlich, dass die alleinige Thematisierung des Befragungsprozesses und technischer Instrumente nicht ausreichen, um qualitativ hochwertiges, empirisch gestütztes Wissen zu produzieren. Dies ist erst durch die reflexive Anwendung von survey-weltlichen Konventionen in den verschiedenen Stationen des Survey-Prozesses möglich. Der in Abschn. 6.1.3 dargestellte Vorschlag der Survey-Firma, bei der Erhebung der demografischen Daten auf Standards zurückzugreifen, erscheint in diesem Licht problematisch. Denn dadurch findet gerade eine survey-weltliche Entpolitisierung statt, indem die unhintergehbare konventionelle Grundlegung von Kategorien nicht gesehen und Erhebungskategorien so naturalisiert werden. Wie am Beispiel der Kategorie „Staatsangehörigkeit“ aufgezeigt, kann dies zu breit verstandenen methodischen Problemen führen, indem das angestrebte Wissensformat nicht erreicht wird.
Ein weiteres methodisches Problem, welches durch ein survey-weltliches Koordinationsproblem entstanden ist, stellt das Fehlen eines Pretests des schlussendlich verwendeten Fragebogens dar. In seiner Preisberechnung stützt sich (P1) stark auf die Aussage von (A1) ab, wonach dieser bereits einen Pretest durchgeführt hat. Dies wirkt für (P1) als Signal für eine stärker dienstleistungsweltliche Preisberechnung, bei welcher nicht mehr groß Änderungen am Fragebogen durchgeführt werden müssen. Wie sich jedoch herausstellen sollte, zeigt sich bei näherer Betrachtung des Fragebogens durch (P1), dass dies aus Sicht von (P1) eine Fehleinschätzung war. Dies hat zur Folge, dass (P1) im bereits erwähnten Preiskonflikt eine Senkung des Preises für unrealistisch hält, da er bereits mit Mehrleistungen in Form des Überarbeitens des Fragebogens konfrontiert wurde. Ein weiterer Effekt besteht aber darin, dass durch (P1) kein Pretest des Fragebogens geplant wird. Zudem wäre die spontane Planung eines Pretest angesichts des bereits bestehenden Preisdrucks unrealistisch. Auch hier zeigt sich infolge eines survey-weltlichen Koordinationsproblems die Entstehung von methodischen Problemen.
Erkennbar wird zudem, dass nicht sämtliche im Projekt identifizierbaren methodischen Probleme auf einen heterogenen Survey-Welten-Bezug zurückzuführen sind. Dies wurde an der Diskussion um die sprachlichen Fähigkeiten der Personen in der Grundgesamtheit deutlich. Trotz der Schätzung, wonach 50 % der Grundgesamtheit sprachliche Probleme haben werden, den Fragebogen kompetent auszufüllen oder dazu nicht in der Lage sind, wird ein Survey durchgeführt. Sichtbar wird hier, dass Surveys als Wissensproduktionsmethode durch die notwendige hohe Reichweite der Daten außer Frage stehen.59 Man könnte deshalb hier von einem survey-weltlich typischen methodischem Fallstrick sprechen, da die Notwendigkeit von standardisierten, generischen Daten ein Unikum der Informationswelt darstellt, wogegen andere Survey-Welten „einfacher“, beispielsweise auf qualitative Methoden, umsteigen könnten. Auch die Möglichkeit, eine Befragung ersatzlos zu streichen, ist eine Alternative, welche für die Informationswelt teilweise nicht gegeben ist durch die Kommunikationspflicht gegenüber den verschiedenen Stakeholdern.
Durch die verschiedenen untersuchten Thematiken wird klar, dass die beiden Projektleiter abhängig von der survey-weltlichen Grundlage unterschiedliche Kompetenzen für die Bewältigung der Aufgaben und Probleme des Survey-Projekts mitbringen müssen. So unterstützen die beiden Projektleiter einerseits das Informationsformat durch ihre Mithilfe bei der Operationalisierung des Leitfadens „ZEWO-Wirkungsmessung“ (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). Die Kompetenz liegt hierbei darin, spezifische Organisationsverhältnisse auf ein allgemeines, vorgegebenes Wirkungsmodells zu beziehen und dies in ein Forschungsdesign zu übersetzen. Da die Verantwortung für diese Operationalisierung jedoch nur teilweise bei der Survey-Firma liegt, muss zugleich eine Prüfung der methodischen Vorschläge – beispielsweise der vorgeschlagenen face-to-face-Erhebung in einer Zweigstelle der NPO – vorgenommen werden, was beratungsweltliche Kompetenzen, wie den reflexiven Bezug auf das Vertraute des Klienten, beinhaltet. Deutlich wird hier folglich eine erste Kompetenzanforderung an die beiden Projektleitenden, das Beherrschen unterschiedlicher survey-weltlicher Koordinationsmodi.60 Durch die Kombination verschiedener Survey-Welten in einem Survey-Projekt wird aber noch eine zweite Kompetenzanforderung an die beiden Projektleiter sichtbar, nämlich das Schließen von Kompromissen zwischen verschiedenen survey-weltlichen Konventionen. Die Diskussion in Abschn. 6.1.5 zur erneuten Preisaushandlung zwischen (A1), (P1) und (P2) macht jedoch noch eine dritte Kompetenzanforderung an die beiden Projektleiter sichtbar, die Identifikation des angebrachten survey-weltlichen Koordinationsrahmens. Denn die Schwierigkeit eines Eingehens von (P1) auf die Forderung einer Preisreduktion durch (A1) basiert auf einer Fehleinschätzung des für das Objekt „Fragebogen“ angebrachten survey-weltlichen Koordinationsrahmens. Die Zuordnung des Objekts „Fragebogen“ zur Dienstleistungswelt basiert dabei maßgeblich auf dem Objekt „Pretest“. (P1) betrachtet den von (A1) durchgeführten Pretest als situative Stütze für die Adäquatheit eines dienstleistungsweltlichen Umgangs mit dem Fragebogen. Diese objektgestützte Situationsdefinition erweist sich jedoch als problematisch, da (P1) bei der Fragebogenbegutachtung eine von seinen Erwartungen abweichende Wertigkeit des Fragebogens feststellt. Notwendig wird dadurch die Abschätzung der Authentizität von situativen Stützen der Koordination. Eine zentrale Herausforderung besteht folglich in der reflexiven Anwendung der verschiedenen Konventionen der Survey-Welten, wobei der Perzeption der situativen Stützen ein besonderer Stellenwert zukommt (Bessy und Chateauraynaud 2014).
Ein zentrales Problem bei der Umsetzung der Befragung stellen aus der Perspektive von (A1), (P1) und (P2) die erwartete unterdurchschnittliche Sprachkompetenz der Befragten dar. Erwartet wird deswegen einerseits eine tiefere Response-Rate, andererseits eine mangelhafte Validität bei einem gewissen Anteil der Antworten der Befragten. Aus diesem Grund werden Anstrengungen unternommen, die Artikulationsschwelle für die Befragten zu senken. Hierbei wurde argumentiert, dass es nicht alleine ein sprachliches Artikulationsproblem ist, welches durch die beteiligten Akteure gelöst werden soll. Anhand der beiden Strategien, der stärkeren Standardisierung der Fragebögen einerseits und dem Vorschlag der Einführung von face-to-face-Interviews von (A1) andererseits wurde dargestellt, wie beide Strategien dazu dienten, die Survey-Fragen näher an die Person zu bringen. Die Beantwortung von Survey-Fragen ist grundsätzlich als ein Bezug von individuellen Verhältnissen auf allgemeine Befragungskategorien und folglich als Abstraktionsleistung zu verstehen (Cicourel 1981). Eine stärkere Standardisierung bewirkt konkrete Anschlusspunkte für diesen Bezug. Face-to-face-Befragungen bieten die Möglichkeit, dass Interviewer als Intermediäre auftreten können, welche die Vermittlung zwischen individuellen Umständen und allgemeinen Fragekategorien unterstützen können (Diaz-Bone 2018, S. 109 ff.). Befragungen können so als Übersetzungsleistung zwischen verschiedenen Regimen des Engagements verstanden werden, wobei die Übersetzung des Regimes des Vertrauten und des Plans ins Regime der Rechtfertigung als Ort allgemeiner Befragungskategorien im Hinblick auf die Befragung zentral ist (Thévenot 2011d). Die Senkung der Artikulationsschwelle kann so als Versuch aufgefasst werden, die Befragung stärker ins Vertraute und den Plan der befragten Personen zu bringen und so die immer noch zu leistende Übersetzungsleistung zu minimieren. Messung ist folglich nicht alleine durch Konventionen organisiert (Diaz-Bone 2018, S. 333 ff.), sondern bedingt ebenfalls der Koordination zwischen verschiedenen Regimen des Engagements.

6.2 Fall (B): Ein akademisches Survey-Projekt

Das folgend dargestellte Survey-Projekt beschreibt den Fall eines durch eine akademische Institution durchgeführten Survey-Projekts. Im Vergleich zum vorher beschriebenen Survey-Projekt nimmt dieses Projekt um einiges größere Maßstäbe an. Dies zeigt sich erstens an der Anzahl der in das Survey-Projekt involvierten Personen. So sind im Vergleich zum vorher beschriebenen Projekt der Wirkungsmessung des NPO-Projekts einerseits deutlich mehr Personen aufseiten der Auftraggeber direkt in die Koordination mit der Survey-Firma involviert. Andererseits sind auch aufseiten der Survey-Firma mehr Personen involviert, unter anderem bei der grundlegenden Koordinationssitzung auch der Geschäftsführer der Survey-Firma.61 Das Survey-Projekt ist zudem durch die Einbindung mit anderen Forschenden und durch Gremien eng mit der scientific community vernetzt, was eine abschließende Darstellung der beteiligten Personen des Survey-Projekts verunmöglicht. In Tab. 6.1 sind die zentralen Akteure aufgelistet, welche das Survey-Projekt und die Auslagerung der Hotline an ein Call-Center gemeinsam koordinieren und in den folgenden Analysen auftauchen.
Tab. 6.1
Akteure in Fall (B)
A1
Operativer Projektleiter des Survey-Projekts; Verantwortlicher Auftraggeber
A2
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Survey-Projekt
A3
Praktikant im Survey-Projekt
A4
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Survey-Projekt
A5
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Survey-Projekt
P1
Projektleiter aufseiten der Survey-Firma; Übernimmt die operative Projektleitung
P2
Projektleiter aufseiten der Survey-Firma
P3
Projektleiter aufseiten der Survey-Firma
P4
Projektleiter aufseiten der Survey-Firma
P5
Geschäftsführer der Survey-Firma
SM
Sales Manager des Call-Centers; Zuständig für die Akquise und die Definition des Auftrags
Die Größe dieses Survey-Projekts zeigt sich zudem bei der Anzahl der befragten Personen, welches die bei der Wirkungsmessung des NPO-Projekts Zahl an befragten Personen um ein Vielfaches übersteigt. Nicht überraschend ist deswegen auch das massiv größere Budget, welches hier für die Befragung aufgebracht werden kann.
Der folgend thematisierte Fall entpuppt sich als komplexes Survey-Projekt aus zwei Gründen: Erstens handelt es sich um eine Mixed-Mode-Studie.62 Die Befragung wird als Web-Interview (CAWI), wie auch als telefonisches Interview (CATI) durchgeführt. Die Web-Interviews werden dabei vom Auftraggeber selbst durchgeführt, während die telefonischen Interviews durch die Survey-Firma durchgeführt werden. Diese Auftrennung macht einen hohen Koordinationsaufwand notwendig. Zudem finden viele Arbeitsschritte aufgeteilt zwischen dem Auftraggeber und der Survey-Firma statt, es wird also relativ zum vorherigen Fall weniger ein Produkt und eine Beratung eingekauft, sondern ein Auftrag erteilt. Dadurch steigert sich der Koordinationsaufwand, da viele Detailvorgänge im Vertrag festgelegt oder zumindest besprochen werden müssen. Obwohl dies nicht das erste gemeinsame Survey-Projekt zwischen dem Auftraggeber und der Survey-Firma ist, wird die Auftragsvergabe durch Offerteinholungen und Offertgespräche mit verschiedenen Survey-Firmen entschieden. Es liegt in dieser Situation begründet, dass Aussagen zu vorherigen Zusammenarbeiten trotzdem einen Teil dieses Falls darstellen, da diese – wie zu zeigen sein wird – auch im vorliegenden Survey-Projekt wirkmächtig werden.
Das Survey-Projekt wird mittels fünf unterschiedlicher Interviews, Beobachtungen und Dokumente rekonstruiert, welche allesamt Dokumentationen des Projekts darstellen. Die erste Dokumentation stellt eine Beobachtung einer Koordinationssitzung zwischen dem Survey-Auftraggeber und einer Call-Center-Organisation dar. Hier wird der Ablauf der Auslagerung einer Hotline für das Survey-Projekt koordiniert. Die zweite Beobachtung stellt die zentrale Koordinationssitzung zwischen den Auftraggebern und der Survey-Firma dar, an welcher durch teilnehmende Beobachtung teilgenommen wurde. Hier werden die zentralen Grundlagen des Survey-Projekts koordiniert. Dabei kamen auch positive und negative Aspekte der vorangehenden Zusammenarbeit aus der Sicht von beiden Parteien zur Sprache, um die künftige Koordination zu vereinfachen. Daran anschließend wurde ein Interview mit (A1) auf Auftraggeber-Seite durchgeführt. Hier werden einerseits Aspekte des aktuellen Survey-Projekts diskutiert, darüber hinaus aber auch grundlegende Herausforderungen der Survey-Praxis. Die vierte Dokumentation stellt eine Beobachtung einer Abschluss-Sitzung zwischen Auftraggeber und Survey-Firma dar. Hier wird die Zusammenarbeit resümiert und finanzielle Fragen geklärt. An dieser Sitzung wurde wiederum durch nicht teilnehmende Beobachtung teilgenommen. Die letzte Dokumentation stellt der Abschlussbericht des Survey-Projekts durch die Auftraggeber dar, in welchem methodische Grundlagen der Befragung dargestellt werden und darüber hinaus inhaltlich auf die Befragungsdaten Bezug genommen wird. In der folgenden Abbildung werden die verschiedenen Situationen von Fall (B) sowie die erhobenen Daten grafisch dargestellt. Das Projekt Survey-Projekt ist insgesamt jedoch zu groß und verästelt, um es vollständig abbilden zu können. In der in Abb. 6.2 dargestellten Situationsmap von Fall (B) sind deswegen nur die zentralen Situationen aufgeführt, um einen Einblick in die Datenbasis zu erhalten.63

6.2.1 Ein anspruchsvoller Auftraggeber

Im folgenden Kapitel wird auf die interorganisationale Koordination zwischen dem Auftraggeber und der Survey-Firma eingegangen. Aus den verschiedenen, während des Forschungsprozesses geführten Interviews, wird ersichtlich, dass sich die Koordination zwischen der klassischen Marktforschung, d. h. der Dienstleistungswelt und der universitären Survey-Forschung in vielen Punkten grundlegend unterscheidet. Akademische Survey-Projekte stellen folglich für Survey-Firmen eher die Ausnahme denn die Regel der bearbeiteten Survey-Projekte dar. In den folgenden Absätzen wird dieser Unterschied analysiert. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass der Großteil der durch die Survey-Firmen bearbeiteten Aufträge privatwirtschaftliche Firmen als Auftraggeber haben (Siegrist 2015). Öffentlich-rechtliche Auftraggeber – und damit auch akademische Auftraggeber – machen folglich einen geringen Teil der Auftraggeberschaft aus. Drei grundlegende Fragen werden im Folgenden angegangen. Zunächst wird auf die genauen Unterschiede dieser Koordination eingegangen. Wie unterscheiden sich die beiden Koordinationsarten? Geklärt wird in einem zweiten Schritt auch, an welchen Stellen sich Unterschiede zeigen. Schlussendlich soll insbesondere auf unterschiedliche Messkonzepte und -prozesse der beiden Koordinationsarten eingegangen werden. Geklärt wird in diesem Punkt folglich auch, inwiefern die unterschiedlichen Koordinationsformen einen Einfluss haben auf die durch einen Survey durchgeführte Messung.
Zu Beginn des Interviews mit (A1) verweist dieser auf die zentrale Rolle einer guten Zusammenarbeit mit der Survey-Firma für ein gelingendes Survey-Projekt. Dabei macht (A1) deutlich, dass sich die Bewertungsprinzipien zwischen Marktforschungs-Kunden und ihm als Projektleitenden des hier untersuchten Survey-Projekts im Hinblick auf Befragungen unterscheiden. Die Bewertungsprinzipien der Marktforschung charakterisiert er folgendermaßen:
A1:
Diese Befragungsinstitute, die sind sich gewohnt, da kommt ein Auftraggeber, irgendeine, ein Unternehmen, das ist der große Teil ist ja Marktforschung, oder? Äh, und die sagen, wir wollen tausendfünfhundert Interview. Diese Fragen, diese Länge, macht uns das. Und dann holen die noch Offerten ein und dann gehen die mit dem Günstigsten. Das ist so der Standard, wie die funktionieren. Und die sind sich einfach gewohnt, Interviews zu bolzen. Und die sind sich gewohnt, ok, wir machen 1000 Interviews und dann hören wir auf. Oder? Das ist das was verlangt ist.
Deutlich werden aus dieser Charakterisierung der „Marktforschung“, welche aus der Perspektive der Survey-Welten maßgeblich die Dienstleistungswelt darstellt, zwei zentrale Eigenheiten der Koordination. (A1) charakterisiert diese Art der Koordination als auf einigen wenigen Qualitätsdimensionen basierend: Den betreffenden Fragen, deren Länge und der zu erreichenden Anzahl Interviews. Als zentralen Qualitätsfaktor für die Auswahl von Survey-Firmen in der Marktforschung identifiziert (A1) die Anzahl der durchgeführten Interviews. Zusätzlich wird erkennbar, dass die verschiedenen Dimensionen einer Befragung nicht lediglich individuelle Vorstellungen einzelner Kunden in dieser Welt sind, sondern allgemein etablierte Qualitätskriterien für Befragungen in der Dienstleistungswelt darstellen. Dies wird daraus ersichtlich, da die Spezifikation eines Survey-Projekts mittels der drei verschiedenen Dimensionen bei verschiedenen Survey-Firmen als Beschrieb eines Survey-Projektes dient, um danach vergleichbare Offerten zu bekommen. Surveys sind folglich in der Dienstleistungswelt standardisiert, da eine einfache Vergleichbarkeit zwischen Offerten der verschiedenen Survey-Firmen gegeben ist. Im nächsten Zitat macht (A1) noch ein weiteres durch ihn identifiziertes Qualitätskriterium der Dienstleistungswelt aus, nämlich Quotierungen:
A1:
Auch so diese Momente oder? Wenn du merkst, heute haben sie ein paar Mal von, von Quotierungen geredet. […] Und sie sind sich natürlich gewohnt, die arbeiten sehr viel in der Marktforschung mit Quotenstichproben. Das heißt, du sagst, eben du gibst Quoten, sie haben schon Zufallsstichproben meistens die sie nutzen, aber dann definierst du Quoten, du willst so und so viele in diesen Altersgruppen, Männer, meistens sind das dann so Matrixen, wo du dann eher die Zähler füllen willst. Das ist uns völlig egal, wir wollen eigentlich das quasi jede, jede Adresse die sie haben möglichst sinnvoll behandelt wird […].
Ersichtlich wird hier, dass nebst der Anzahl von Interviews als zwischen Kunden und Survey-Firma etabliertem Qualitätskriterium für Befragungen auch Quoten als Qualitätskriterium der Befragung existieren. Dabei bleibt jedoch unklar, ob dieses Kriterium auch als Qualitätskriterium im Austausch mit Kunden verbreitet ist oder als internes Qualitätskriterium innerhalb von Survey-Firmen gehandhabt wird. (A1) macht jedoch wie bereits beim Kriterium der Anzahl der Interviews deutlich, dass er auch von diesem Qualitätskriterium der Dienstleistungswelt nicht viel hält. Er verweist darauf, dass für ihn die Behandlung des Einzelfalls zentral ist und nicht Quoten, ohne dass er weiter ausführt, was er mit einer sinnvollen Behandlung des Einzelfalls meint. Damit wird ein Kompromiss zwischen der markt- und meinungsweltlichen Rechtfertigungsordnung in der durch (A1) charakterisierten Marktforschung erkennbar (Boltanski und Thévenot 2007, S. 245 ff.). Trotz der individuellen Aufträge von Kunden im Hinblick auf die genaue Ausgestaltung der Forschungsdimensionen existieren doch allgemeine, standardisierte Qualitätskriterien, anhand welcher eine wirtschaftliche Beziehung bewertet wird (Boltanski und Thévenot 2007). Erkennbar wird damit der in Abschn. 5.​3 dargestellte Bezug auf wenige, aber etablierte Bewertungskriterien als Formen des Survey-Marktes in der Dienstleistungswelt. Diese starke Orientierung des Marktes in der Dienstleistungswelt an der Anzahl der durchgeführten Interviews sieht (A1) in der Folge auch als zentralen Orientierungspunkt der Survey-Firmen. Sowohl das Kriterium der Anzahl Interviews als auch dasjenige der Quoten lassen sich als Formen im Survey-Markt (der Dienstleistungswelt) verstehen (Thévenot 1984), welche eine Standardisierung der Anfragen und des Angebots dieses Marktes ermöglichen, was die von Storper und Salais beschriebene Economies of Scale ermöglicht (Storper und Salais 1997). Denn die standardisierte Form des Angebots geht mit standardisierten Formen der Bearbeitung einher. Zugleich wird im Hinblick auf das Kriterium der Quoten der Bezug auf die meinungsweltliche Rechtfertigungsordnung als Koordinationsgrundlage sichtbar (Boltanski und Thévenot 2007). Die von (A1) genannten Quoten Geschlecht und Alter stellen standardisierte Kategorien für die Befragung dar, ohne dass gleichzeitig deren Wirksamkeit im spezifischen Survey-Projekt für das spezifische Befragungsklientel geklärt würde. Die Verwendung dieser Kategorien ist folglich nicht in einem spezifischen Survey-Projekt begründet, sondern stützt sich auf durch den Survey-Markt rezipierte Formen von Sozialforschung. Es findet folglich eine standardisierte Rezeption der Sozialforschung in der Dienstleistungswelt statt und damit eine Investition in Formen, welche den meinungsweltlichen Aspekt dieses Survey-Marktes ausmacht.
Die Darstellung der unterschiedlichen Qualitätsperspektive von ihm selbst führt (A1) im folgenden Zitat fort:
A1:
Uns spielt’s eigentlich nicht so eine Rolle, ob wir 3000 oder 4000 Interviews haben. Also wir hätten natürlich schon, diese 3500 ist einfach eine Zielgröße und ob man zehn oder zwanzig Prozent darüber liegt, spielt für uns eigentlich nicht so eine Rolle, also wenn man dann massiv darunter liegt, haben wir dann schon ein Problem, aber ob, das ist ein Schwankungsbereich, das spielt, das ist relativ egal, oder? Da sind viele Daten da, mit denen man etwas machen […] kann, und es ist eigentlich wichtig, dass die einfach qualitativ möglichst hoch stehend sind und sie sind sich gewöhnt, man gibt 3500 Interviews vor, wir müssen auf Biegen und Brechen 3500 Interviews machen. Und wir sagen, nein, wir hätten dann lieber etwas weniger Biegen und Brechen, wir hätten eigentlich lieber quasi eine sinnvolle Behandlung dieser Adressen und wenn es dann weniger Interviews gibt, spielt das nicht so eine Rolle. Aber da merkt man schon eben, da sind sie in einer sehr anderen Logik, sie sie sind sich auch nicht gewöhnt natürlich mit Partnern zusammen zu arbeiten, die so viel Wissen wollen und können oder?
(A1) verweist hier darauf, dass zwar auch in dem hier untersuchten Survey-Projekt Zielvorgaben bezüglich der Anzahl Interviews gemacht werden. Diese sind jedoch als Richtwert zu verstehen. Zentraler ist gemäß (A1) der Fokus auf eine „sinnvolle“ Behandlung der Adressen und auf qualitativ hochstehende Interviews, wobei die dabei angelegten Qualitätskriterien nicht weiter ausgeführt werden. Schlussendlich sieht (A1) in dem von ihm geleiteten Survey-Projekt für die Survey-Firma eine besondere Herausforderung, da er im Verhältnis zum Durchschnittskunden viel mehr über Survey-Erhebungen wisse und zudem auch viel mehr über die durch die Survey-Firma durchgeführte Erhebung wissen wolle. Damit wird klar, dass (A1) Wert auf eine gewisse Art der Behandlung von Adressen wie auch der einzelnen Interviews legt, welche durch den starken Fokus auf die Anzahl der getätigten Interviews in der Dienstleistungswelt den Kunden und Klienten verborgen bleiben. Ohne dass die beiden Qualitätskriterien weiter ausgeführt werden, so wird doch deutlich, dass diese unmittelbar mit der durch (A1) erwähnten hohen Kompetenz und der Steuerung des Auftraggebers zusammenhängen. Denn im Hinblick auf die „Qualität“ von Interviews existieren keine einfachen, weit verbreiteten Formen im Survey-Markt, welche analog zur Anzahl der getätigten Interviews quantifizierbar sind. Die Qualität von Interviews zu beurteilen, erfordert folglich ein umfassendes Survey-Wissen aufseiten des Auftraggebers sowie die Bereitschaft einer umfassenden Steuerung und Kontrolle, da die Qualität nicht durch den Bezug auf etablierte Marktformen steuerbar ist. Die von (A1) betonte unterschiedliche Qualitätsperspektive geht folglich direkt mit einer unterschiedlichen Koordinationsform einher, da sie aufgrund fehlender allgemeiner im Survey-Markt existierender Formen der Qualität eine intensiven Steuerung und Kontrolle durch den Auftraggeber notwendig machen, wenn dieser Gewissheit haben will, das die eigenen Qualitätskriterien auch bei der Befragung umgesetzt werden. Im nächsten Zitat verdeutlicht (A1) die eigene Qualitätsperspektive, indem er die Ausschöpfungsrate als zentrales Qualitätskriterium für seine Erhebung präsentiert:
A1:
Und unsere Logik ist dann eine ganz andere, oder? Wie unsere Logik ist, quasi, wir wollen, wir geben quasi Adressen rein und dann […] wollen wir, dass die möglichst gut ausgeschöpft sind […].
Die Aussage von (A1) macht drei Punkte sichtbar. Zunächst verweist er darauf, dass sich seine Qualitätslogik von derjenigen der vorher beschriebenen Marktforschung deutlich unterscheidet. Weiter verweist er darauf, dass in dem von ihm geleiteten Survey-Projekt nicht Adressen befragt werden sollen, welche durch die Survey-Firma ausgewählt werden, sondern diejenigen, welche durch den Auftraggeber vorgegeben werden. Damit wird bereits ersichtlich, dass im Vergleich zur Marktforschung, bzw. eben zur Dienstleistungswelt, eine stärkere Steuerung des Survey-Prozesses durch den Auftraggeber selbst stattfindet. Als dritten Punkt wird das Qualitätskriterium einer hohen Ausschöpfung durch (A1) genannt. Sichtbar wird dadurch ein unterschiedliches Qualitätssystem, welches von (A1) verfolgt wird. Im Sinne eines stärkeren Drivings basieren die Qualitätsvorstellung folglich nicht auf allgemeinen Qualitätskriterien des Survey-Marktes wie in der Dienstleistungswelt, sondern werden umfassend durch den Auftraggeber spezifiziert (Ponte und Sturgeon 2014).64
Dieses umfassende Driving der Erhebung durch den Auftraggeber selbst wird auch in der folgenden Interviewsequenz sichtbar. Hier thematisiert (A1) Koordinationsprobleme während der Erhebung, d. h. nachdem die Vorbesprechungen mit den verschiedenen Projektleitenden der Survey-Firma abgeschlossen sind. Dabei bezieht er sich jedoch auf eine frühere Zusammenarbeit mit der Survey-Firma und nicht auf das aktuelle Survey-Projekt. Thematisiert wird die (problematische) Koordination mit den Befragenden und der Feldleitung. Der Ausgangspunkt bildet das spezifische Anrufmanagement des Auftraggebers. Dieser liefert nicht die gesamten Stichprobenadressen auf einmal an die Survey-Firma, sondern jeden Tag nur eine bestimmte Anzahl an Adressen. (A1) macht darüber hinaus deutlich, dass die unterschiedlichen Qualitätslogiken direkt eine unterschiedliche Organisation von Survey-Firmen mit sich ziehen:
A1:
[…] die müssen ja auch ihr Labor auslasten. Das ist für sie ein Kostenfaktor, ist, das, das Telefonlabor auszulasten. Und das heißt dann, die spielen einfach den Leuten dauernd Adressen rein, oder? Und und, und dann werden die abtelefoniert. Ohne Rücksicht auf Verluste oder? Und äh, bei dieser [Befragung], haben wir denen vorgegeben, Moment: Das Ziel ist quasi, da werden jeden Tag Adressen aufgeschaltet und ihr müsst diese Adressen nach einem genauen Kontaktschema abarbeiten.
(A1) identifiziert zunächst das Telefonlabor als zentralen Kostenfaktor, welches durch eine spezifische Organisation des Befragungsprozesses ausgelastet werden muss. Das „dauernde Reinspielen von Adressen“ sieht er als effiziente Strategie der Erreichung des Qualitätskriteriums der Anzahl Interviews, welche zugleich eine kostensparende Nutzung des Telefonlabors ermöglicht. Sein Hinweis, dass dies ohne „Rücksicht auf Verluste“ geschieht kann derart gelesen werden, dass der Fokus nicht auf eine hohe Ausschöpfung, sondern wie dargelegt auf das effiziente Erreichen der Anzahl Interviews gelegt wird. Dieses Vorgehen kontrastiert er daraufhin wieder mit dem von ihm geleiteten Survey-Projekt. In diesem werden einerseits – wie bereits erwähnt – Adressen von dem Auftraggeber selbst geliefert. Andererseits können diese nicht nach dem eigenen Gutdünken der Survey-Firma kontaktiert werden, sondern es liegt ein durch den Auftraggeber vorgegebener Kontaktplan vor. Deutlich wird damit die Investition in Formen durch (A1) (Thévenot 1984). Dieser überlässt den Befragungsplan nicht der Survey-Firma, sondern gibt eigene Prozesse für die Befragung vor, welche durch die Survey-Firma einzuhalten sind. Wie (A1) darstellt, führt dies zu Koordinationsproblemen bei den Befragenden und der Feldleitung:
A1:
Und dann im Feld, was da passiert ist, klar, dann hast du jeden Tag, kommen da vielleicht zwei, dreihundert Adressen drauf. Und, also sie machen es jetzt ja anders, aber ich erklär euch nur, wo was jetzt ein Moment ist, wo du merkst, wie die anders funktionieren. Da kommen jeden Tag zwei, dreihundert Adressen drauf. Und und das ist, und die hatten dann genau fixierte Zeitfenster, ihr dürft, ihr müsst zwischen zwei und fünf und dann zwischen […] sechs und neuen, jede dieser Adressen genau einmal kontaktieren. Und dann haben die natürlich Interviewer darauf gesetzt. Und dann haben die telefoniert und dann wenn sie die Leute nicht erreicht haben, dann kommen die, waren sich gewöhnt, da kommen immer neue Adressen und da waren natürlich die Adressen aufgebraucht. Und dann haben die angefangen zu fordern, gebt uns neue Adressen, wir wollen telefonieren. […] die Feldleitung, also die Laborleitung, die hatten, die hatten […] dann gesagt, was ist das für ein Quatsch. Wir wollen telefonieren. Und wir kriegen die Adressen nicht, also das sind so Momente, wo du das merkst, oder?
(A1) nennt in diesem Zitat ein Beispiel für einen Moment, in welchem er bei der Zusammenarbeit bemerkt hat, dass er für die Survey-Firma einen „Kunden“ mit besonderen Ansprüchen darstellt. Für CATI-Befragungen werden der Survey-Firma in verschiedenen Tranchen jeweils 200–300 Adressen übermittelt, welche durch die Befragenden als Basis genutzt werden können. Da diese relativ schnell kontaktiert sind, kam daraufhin die Forderung nach neuen Adressen auf, damit die Befragenden weiter telefonieren können. Deutlich wird in diesem Zitat zunächst die enge Begleitung und Kontrolle des Erhebungsprozesses durch den Auftraggeber, von dem während der Befragung regelmäßig eigene Projektleiter bei der Survey-Firma anwesend sind. Sichtbar wird, dass sich sowohl die Befragenden wie auch die Feldleitung auch bei der durch (A1) beauftragten Befragung stärker an einer Erreichung einer vorgegebenen Anzahl Interviews orientieren, als an der von (A1) eigentlich gewünschten möglichst hohen Ausschöpfungsrate. Dadurch wird eine Orientierung am Qualitätskriterium der Anzahl Interviews ersichtlich, welches als charakteristisch für die Dienstleistungswelt rekonstruiert wurde. Sichtbar wird hier folglich die enge Verknüpfung zwischen den Dimensionen der Survey-Pragmatik, dem Wissensformat und dem Survey-Management. Denn das von (A1) angestrebte Wissensformat der Entdeckung geht direkt mit einer unterschiedlichen Organisation der Befragung einher. Bereits die Lieferung der Adressen in Tranchen kann dabei als Dispositiv für den von (A1) intendierten Fokus auf eine hohe Ausschöpfungsrate betrachtet werden (Thévenot 2004). Die Verfügbarkeit lediglich weniger Adressen soll den Effekt haben, dass ein intensiverer Fokus auf einzelne Adressen gelegt wird. Dies führt jedoch zu dem von (A1) beschriebenen Protest seitens der Befragenden und der Feldleitung, da sich diese auf eine andere Rechtfertigungsordnung der Befragung beziehen, indem sie ihre Zeit nutzen wollen für die Erreichung einer möglichst hohen Anzahl Interviews. Wie argumentiert wurde, entspricht dies der Qualitätslogik der Dienstleistungswelt. Damit wird sichtbar, dass die Befragenden nicht eine „schlechte“ Qualität der Befragung anstreben, sondern sich auf eine andere Rechtfertigungsordnung der Befragung beziehen. Die Projektleitenden und auch (A1) sind in der Folge gezwungen, in neue Formen für die Befragung zu investieren (Thévenot 1984). Diese besteht darin, dass die Befragenden selbst eine unterschiedliche Investition der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit vornehmen und statt des Fokus auf eine maximale Anzahl Interviews eine möglichst hohe Ausschöpfung der ihnen zur Verfügung stehenden Adressen anstreben.
Die Befragung ist jedoch nicht der einzige Ort, an welchem im Vergleich zur Dienstleistungswelt eine neue Organisation der Arbeitsprozesse seitens der Survey-Firma notwendig wird. Ein während des gesamten Survey-Prozesses wiederholt diskutierter Gegenstand stellt der Fragebogen dar. Die Herausforderung von dessen Übergabe an die Survey-Firma charakterisiert (A1) wie folgt:
A1:
Manchmal frage ich mich ob das sinnvoll, aber unsere Fragebögen sind (eigentlich) unendlich komplex, oder? […] die Filterführung unseres soziodemographischen Teils, das ist ein purer Wahnsinn, da wird das irgendwie in einer Differenziertheit irgendwie abgefragt. Und da hatten sie schon auch […] Probleme auch, weil wir uns, und dann haben wir, da haben wir viel Änderungen. Nö nö nö, wollen alles kontrolliert haben. Das ist vielleicht auch noch so eine Herausforderung, wo sie, wo sie lernen müssen, diese, diese Ansprüche, diese […] Komplexität zu handhaben.
Zunächst verweist (A1) hier auf die Komplexität des Fragebogens am Beispiel der Filterführung des demografischen Teils. Zudem macht er deutlich, dass auch nach der Übermittlung des Fragebogens an die Survey-Firma noch Änderungen durch den Auftraggeber vorgenommen werden, was eine zusätzliche Herausforderung für die Survey-Firma darstellt. Zudem werden sämtliche Änderungen wiederum durch den Auftraggeber kontrolliert. (A1) betrachtet dies als große Herausforderung für die Survey-Firma und sieht darin für diese keinen alltäglichen Vorgang. Damit werden zwei Eigenschaften des Survey-Projekts von (A1) sichtbar: Einerseits findet im Hinblick auf die im Fragebogen verwendeten Kategorien keine Anbindung an einfache Formen des Survey-Marktes statt. Vielmehr wird eine differenzierte Kategorisierung durch den Auftraggeber selbst entworfen, welche die Survey-Firma bei der Befragung verwenden muss. Es ist folglich einerseits die Komplexität der Kategorien, welche für die Survey-Firma eine Herausforderung darstellt, da diese nicht den Konventionen der Dienstleistungswelt entspricht. Andererseits wird deutlich, dass sich die eigentliche Problematik der Implementierung überhaupt erst dadurch ergibt, dass die Survey-Firma einen durch den Auftraggeber vordefinierten Fragebogen in ihr Befragungssystem implementieren muss. Die Survey-Firma ist folglich mit einem Fragebogen konfrontiert, welcher gemäß der Kategorisierungslogik des Auftraggebers erstellt wurde und in dieser fertigen Form nun durch die Survey-Firma umgesetzt werden muss. Es ist diese unilaterale Bestimmung der Kategorisierung durch den Auftraggeber, welche im Gegensatz steht zur Orientierung der Kategorisierung in der Dienstleistungswelt, welche sich an Formen des Survey-Marktes orientiert. Und genau dieser Umstand macht die Komplexität für die Survey-Firma aus. Insgesamt wird so ein unterschiedlicher Bezug auf Rechtfertigungsordnungen sichtbar: (A1) bezieht sich maßgeblich auf die industrielle Rechtfertigungsordnung. Diese bemisst die Nutzung von Kategorien an deren Voraussagbarkeit von sozialen Prozessen (Boltanski und Thévenot 2007, S. 278). Boltanski und Thévenot weisen darauf hin, dass der Gebrauch von Methoden und Methodologien ein zentrales Charakteristikum darstellen. Im Hinblick auf Kategorien wird dadurch deutlich, dass diese nicht allein und ad-hoc verwendet und eingesetzt werden, sondern dass ein Rückgriff auf den akademischen Diskurs stattfindet, welcher Methoden und Methodologien für die Kategorienverwendung zur Verfügung stellt. Dabei misst sich die Kategorienverwendung wieder daran, inwiefern sie – im spezifischen Survey-Projekt – fähig ist, eine Vorhersehbarkeit und ein realistisches Verständnis zu liefern. Im Gegensatz dazu lässt sich die Kategorienverwendung im Dienstleistungsmarkt als Kompromiss zwischen der markt- und der meinungsweltlichen Rechtfertigungsordnung identifizieren. Denn einerseits findet eine Orientierung an der Nachfrage auf dem Survey-Markt statt, diese stützt sich andererseits wiederum auf in der Öffentlichkeit verwendete Kategorien der Sozialforschung. Der grundlegende Realitätstest der marktweltlichen Rechtfertigungsordnung stellt die Nachfrage auf einem Markt und folglich der daraus entstehende Wert der angebotenen Güter dar (Boltanski und Thévenot 2007, S. 268). Der Realitätstest der meinungsweltlichen Konvention stellt demgegenüber die öffentliche Akzeptanz oder das Renommee von Kategorien dar (Boltanski und Thévenot 2007). Damit wird eine rechtfertigungstheoretisch und survey-weltlich grundlegend unterschiedliche Ausrichtung zwischen der Dienstleistungswelt einerseits und der akademischen Welt andererseits sichtbar. Obwohl in beiden Welten auf der Basis der Methode Survey „Forschung“, bzw. eine Wissensproduktion stattfindet, so unterscheiden sich beide Welten doch grundlegend in deren epistemologischer Ausrichtung, sowie insbesondere auch im Hinblick auf den Gebrauch von Kategorien.
Die Problematik der Übertragung des durch den Auftraggeber entworfenen Fragebogens wird auch in der Briefing-Sitzung zum Thema. (P1) stellt hier die Frage, wie der Fragebogen übermittelt werden soll. Er macht klar, dass er den Programmierungsaufwand gerne minimieren würde. Die Auftraggeber machen deutlich, dass sie eine Vorprogrammierung vornehmen werden, da sie über ein eigenes Surveyprogramm verfügen. (P1) erkundigt sich daraufhin, ob das Programm über eine für die Befragungssoftware geeignete Exportschnittstelle verfüge. Daraufhin wird sichtbar, dass keine ohne weiteres kompatible Exportschnittstelle existiert. (P1) schlägt deswegen vor, die Standardformate Excel oder Word zu nutzen. Geklärt wird in diesem Zusammenhang auch, wer auf beiden Seiten die Ansprechperson für den Fragebogen ist. Sichtbar wird hierbei die enge Koordination der verschiedenen Schritte. Diese wird notwendig durch die im Vergleich zu anderen Survey-Welten späte Lieferung des Fragebogens und dessen ungewöhnlich großen Umfangs. Im Vergleich zur Dienstleistungswelt werden hier nicht einzelne Fragen geliefert, sondern ein Gesamtkonzept des Fragebogens. Der Fragebogen wird in der hier referenzierten Welt nicht von Grund auf aufgebaut, sondern die Fragebogenerstellung schließt direkt an interne Vorprozesse des Auftraggebers an. Es ist folglich für die Survey-Firma nicht weiter möglich, an (internen) Standardprozeduren der Fragebogenerstellung festzuhalten, sondern es gilt möglichst effizient eine Schließung zwischen den Prozessen auf Auftragnehmer- und Auftraggeberseite herzustellen. Der Koordinationsaufwand wird so auf beiden Seiten höher, weil sich die Koordination nicht an einheitlichen Marktformen orientieren kann.
Wie in diesem Unterkapitel deutlich wurde, sind Survey-Welten als Koordinationsrahmen nicht einfach gegeben. Vielmehr müssen sie durch den Bezug von Akteuren auf Objekte, Formen und Konventionen aktiv hergestellt werden. Dies ist im Hinblick auf das hier untersuchte Survey-Projekt deshalb von besonderer Bedeutung, da die akademische Welt als dem hier untersuchten Survey-Projekt zugrunde liegenden Koordinationsrahmen für Survey-Firmen generell eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Dadurch ergibt sich der von (A1) beschriebene konstante Konflikt mit Konventionen der Dienstleistungswelt. Diese funktioniert auf der Basis eines breit sichtbaren Angebots (Marktformen) und wenigen, standardisierten Qualitätsmaßen, wie beispielsweise der Stichprobengröße, Anzahl der Interviews etc. Im Vergleich dazu findet in der Quality-Chain der akademischen Welt keine Orientierung an der Rechtfertigungsordnung des Marktes statt. Qualitätskriterien entspringen hier nicht Marktstandards,65 sondern direkt den Anforderungen des Auftraggebers. Die Idee des Auftraggebers basiert grundlegend auf der Idee, wonach sich der Auftragnehmer am (individuellen) Plan des Auftraggebers ausrichten soll. Der oben zitierte Interviewausschnitt macht nun insofern einen Konflikt zwischen beiden Welten sichtbar, da er aufzeigt, wie sich die Survey-Firma an der Erreichung der Qualitätsstandards der Dienstleistungswelt orientiert. Dies hat in dem hier erwähnten Fall jedoch zur Folge, dass ein Kompromiss mit der Survey-Methodik geschlossen wird, indem einseitig auf die Zahl der Interviews fokussiert wird und die Ausschöpfungsrate als sekundär bewertet wird. (A1) kritisiert jedoch diesen survey-pragmatischen Entschluss und fordert einerseits die Aufgabe der Orientierung an Marktstandards der Dienstleistungswelt und andererseits die Orientierung am Plan des Auftraggebers.

6.2.2 Die Kontrolle des Feldprozesses

Wie im vorherigen Kapitel dargelegt wurde, stellt die von (A1) erwartete Koordinationsform auf Basis der akademischen Welt eine Herausforderung für die Survey-Firma dar. Dies ist dadurch begründet, dass akademische Auftraggeber und solche aus der öffentlichen Statistik nur einen vergleichsweise geringen Anteil am Umsatz der Survey-Branche haben. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, für diese Art von Kunden eine anders gelagerte Koordinationsform über den gesamten Erhebungsprozess hinweg durchzusetzen. Eine zentrale Eigenheit der akademischen Koordination stellt die Forderung nach Transparenz und die starke Kontrolle des Erhebungsprozesses durch den Auftraggeber dar. In diesem Unterkapitel wird detaillierter auf diesen Aspekt des untersuchten Survey-Projekts eingegangen. Aufgearbeitet wird, wie die Kontrolle des Feldprozesses geschieht und welche Hürden dabei sowohl vonseiten des Auftraggebers als auch der Survey-Firma genommen werden müssen.
An verschiedenen Stellen dieses Falles wird deutlich, dass nebst einem detaillierten Auftrag auch ein detailliertes Feedback vom Auftragnehmer gefordert wird. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Auftraggeber dieses Survey-Projekts eine detaillierte Kontrolle des Erhebungsprozesses vornimmt. Im Interview verweist der leitende Käufer beispielsweise auf sog. Keystroke-Files. Diese geben Auskunft darüber, wie lange die Interviewenden bei einer Frage geblieben sind, bevor sie in der Eingabemaske zur nächsten Frage geklickt haben. Keystroke-Files sind damit für den Auftraggeber ein ideales Instrument, um die Tätigkeit der Befragenden überwachen zu können. Ein anderes Kontrollinstrument für den Auftraggeber stellt der Vergleich zwischen der gezogenen Stichprobe und den tatsächlich erfolgten Interviews dar. Der leitende Käufer verweist hierbei auf unterschiedliche Angaben der Interviewenden und der gezogenen Stichprobe. Denn bei jedem Interview werden auch Fragen zum Alter und zum Geschlecht erhoben, obwohl dies bereits durch das Stichprobenregister bekannt wäre. Beim Vergleich stellt sich heraus, dass sechzig Geschlechtsangaben der Interviewenden nicht mit den Angaben des Stichprobenregisters übereinstimmen. Für (A1) bedeutet dies, dass die Interviews mit der falschen Zielperson im Haushalt geführt wurden. Deutlich wird an beiden Beispielen, wie detailliert der Auftraggeber in Fall (B) die Ausführung des Auftrags durch die Survey-Firma rückverfolgen und bewerten kann. Die Möglichkeit des Vergleichs der Stichprobe mit den tatsächlichen Interviews ist direkt an die Möglichkeit der Nutzung des Stichprobenregisters des BfS gebunden. Dabei bestehen jedoch strenge Nutzungsregeln und es ist dadurch nur für die generischen Survey-Welten zugänglich. So dürfen diese Daten nur an Forschungsprojekte übermittelt werden, welche von nationalem Interesse sind (Bundesamt für Statistik 2008). Deutlich wird damit die staatsbürgerliche Grundlage des Stichprobenregisters (Boltanski und Thévenot 2007, S. 254 ff.). Denn die Nutzung der Daten ist an das kollektive, nationale Interesse gebunden und soll damit deren Nutzung durch Eigeninteressen unterbinden. Bei den Keystroke-Files zeigt sich jedoch klar, dass die Kontrolltätigkeit tatsächlich durch eine unterschiedliche Koordinationsform und nicht alleine durch die unterschiedlichen Möglichkeiten begründet ist. Denn der Einsatz von Keystroke-Files wäre durchaus auch für Kunden in der Dienstleistungswelt möglich.
Das von (A1) formulierte zentrale Qualitätskriterium der Transparenz für die Zusammenarbeit mit der Survey-Firma bedingt jedoch einiges an Kompetenzen aufseiten der Projektleiter des Auftraggebers. Wie im Kapitel zur Informationswelt und zur akademischen Welt ausgeführt, macht Transparenz und die darauf aufbauende konstante Steuerung der Abläufe durch den Auftraggeber eine hohe Survey-Kompetenz auf dessen Seite notwendig. Diese übersteigt die Kompetenz eines Kunden deutlich, da ein Auftraggeber nicht nur im Hinblick auf einen Markt kompetent sein (Kaufkompetenz), sondern über ein detailliertes Wissen über verschiedene Parameter der Survey-Forschung und deren Zusammenspiel verfügen muss (Steuerungskompetenz). Diese Steuerungskompetenz ist die Basis für die stetige Koordination mit der Survey-Firma, d. h. die industrieweltliche Steuerung der Vorgänge in der Survey-Firma (Boltanski und Thévenot 2007, S. 276 ff.). Die Transparenzgewährung steht dabei im Konflikt mit dem Großteil des Umsatzes von Survey-Firmen in der Dienstleistungswelt, bei welcher eine solche Form der Transparenz unüblich ist. Entsprechend ist Transparenz kein Gut, welches per se vorhanden ist, sondern es muss aktiv in Zusammenarbeit mit Survey-Firmen hergestellt werden. Darauf verweist (A1) im folgenden Interview:
A1:
Dann denk ich was eben eine Herausforderung war, sie dazu zu bringen, eben sehr transparent zu sein. Das hat, das ist äh, oder? Da muss man dann aber umgekehrt Fehler akzeptieren können, dass Sachen schieflaufen, dass äh, dass man sagt, ok, das gehört zum Business. Da kann man sich darüber ärgern oder mehr oder weniger darüber ärgern, aber äh, aber äh, das muss man dann halt lernen, aber für uns ist eigentlich Transparenz ein höheres Gut […].
(A1) macht hier deutlich, dass die Etablierung von Transparenz keine Selbstverständlichkeit ist und aktiv als Koordinationsform hervorgebracht werden muss. Er verweist weiter auf die Spezifitäten dieser Koordinationsform, wonach durch die Transparenz auch Fehler ans Tageslicht kommen. Zentral sei in diesem Fall eine weiterhin für beide Seiten angenehme Zusammenarbeit, um vonseiten der Survey-Firma weiterhin Einblicke in den Arbeitsprozess zu erhalten und damit Transparenz herzustellen. Die Transparenz und die möglichst direkte Prozesssteuerung durch den Auftraggeber stellen folglich ein wichtiges Gut in diesem Fall dar. Sichtbar wird hier der Einfluss der akademischen Welt als leitender Koordinationsrahmen.
Trotz dieses Anspruchs, der grundlegend an verschiedenen Stellen des Interviews mit (A1) geäußert wird und an verschiedenen Stellen in Koordinationssitzungen auftaucht, sind im hier behandelten Survey-Projekt dieser Steuerung durch den Auftraggeber Grenzen gesetzt. Dies wird in der folgenden Episode aus der De-Briefing-Sitzung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer deutlich.66 Die Sequenz beginnt damit, dass sich der Leiter des Survey-Projekts über eine teilweise fehlende Einsicht in den tatsächlichen Feldprozess beklagt. Der Informationsfluss sei teilweise problematisch und über verschiedene Stationen gelaufen und so für ihn kaum einsehbar gewesen. (P1) meint darauf hin, dass die Feldplanung bei CATI-Interviews sehr komplex und diese nicht einfach zu vermitteln sei. Diese Komplexität liege insbesondere in der Planung der notwendigen Anzahl Interviewer begründet. Gerade darin liege jedoch die Kernkompetenz der Survey-Firma. Er verweist dabei auf zwei Punkte: Einerseits seien die grundlegenden Schritte im Vertrag definiert. Die elementaren Vorgänge bei der Laborplanung seien so der Leitung des Survey-Projektes bekannt. Andererseits sei ein gewisses Vertrauen in die Survey-Firma notwendig, dass sie das Adäquate im Sinne des Auftraggebers tue. Man könne die genaue Laborplanung schon im Voraus planen, dies sei dann jedoch sehr teuer. Er schlägt als Lösung vor, sich beim Reporting auf einzelne Indikatoren der Feldplanung zu konzentrieren. Der leitende Käufer des Survey-Projekts verweist darauf, dass die Feldphase der CATI-Interviews für ihn die stressigste Phase des gesamten Koordinationsprozesses gewesen sei und gibt sich folglich mit der durch (P1) vorgeschlagenen Lösung nicht zufrieden. Als erneuerte Lösung schlägt (P1) deshalb vor, dass der Verlauf der Feldplanung bei einer allfälligen weiteren Kooperation detaillierter festgelegt werden sollte.
Bei einer vordergründigen Betrachtung dieser Sequenz könnte man zum Schluss kommen, dass die Survey-Firma etwas zu verstecken habe oder dass sie einfach den Aufwand scheue, sich an ein transparentes Reporting und eine verbindliche Planung des Labors zu halten. Im Folgenden wird jedoch aufgezeigt, dass sich diese Argumentation aus der Erstellung eines Survey-Welten-Kompromisses zwischen der akademischen Welt und der Beratungs- und Dienstleistungswelt ergibt. Insgesamt wird aus der wiedergegebenen Konversationssequenz deutlich, dass (P1) einen dreifachen Kompromiss bewältigen muss: Einerseits muss er den (methodischen) Auftrag des Survey-Projekts umsetzen. Die Einrichtung einer Transparenz für den Auftraggeber dient dabei der Möglichkeit der konstanten Justierung und Steuerung des Auftrags. Diese konstante Steuerung wird dadurch notwendig, da verschiedene Elemente der CATI-Befragung nicht im Vornhinein bekannt sind, wie beispielsweise die tatsächliche Interviewbereitschaft der Befragten, die Erreichbarkeit der gezogenen Stichprobe etc. Dies sind grundlegende Konventionen der Informationswelt und der akademischen Welt. Andererseits wird aber auch ersichtlich, dass die Survey-Firma bei aller Einhaltung der Vorgaben des Auftraggebers stets auch die entstehenden Kosten im Blick behalten muss. Vereinbart worden ist, dass nach einer gewissen Zeit die Interviewbefragung abgeschlossen ist, die einzelnen Zwischenschritte jedoch in der Verantwortung der Survey-Firma liegen. Die Laborplanung wird jedoch in der Abschlusssitzung von (A1) kritisiert, gemäß ihm waren zu Beginn der Befragung zu wenige Personen auf sein Befragungsprojekt angesetzt. Diese Kritik wird von (P1) mit Verweis auf die Komplexität der Laborplanung verneint. Er verweist darauf, dass auch Tagessolls vereinbart werden könnten, welche jedoch einen höheren Preis nach sich ziehen würden. Hierbei wird ein Konflikt zwischen der Dienstleistungswelt und der akademischen Welt sichtbar. Denn in diesem Survey-Projekt wurde ein fester Betrag mit variablen Anteilen für die Befragung vereinbart, was grundlegend der Preiskonvention der Dienstleistungswelt entspricht, welche an gewissen Stellen – hier der tatsächlich sich ergebenden Zeit für die CATI-Interviews – mit der aufwandsabhängigen Preiskonvention der akademischen Welt in einen Kompromiss gesetzt werden muss. Vergessen werden darf hierbei nicht, dass der vereinbarte Fixpreis einem konkurrenzfähigen Marktpreis entspricht, da er sich gegen andere Offerten durchsetzen musste. Dieser Preis basiert folglich auf Erfahrungswerten der Survey-Firma und auf der Einbettungsmöglichkeit des Projekts in die Bearbeitung von verschiedenen Survey-Projekten der Organisation. Die Kritik von (A1) an der Laborplanung zielt gerade auf die Effizienzkalkulation der Survey-Firma. Sie basiert auf der akademischen Welt, in welcher eben nicht die auf der Dienstleistungswelt aufbauende Effizienz-Logik der Survey-Firma ausschlaggebend ist, sondern die Auftragsbearbeitung gemäß den Vorgaben des Auftraggebers im Zentrum steht. (P1) macht daraufhin deutlich, dass er auch fixe, durch den Auftraggeber vorgegebene, Tagessziele erreichen könne, dies jedoch viel teurer werde. Folglich besteht eine grundlegende Spannung zwischen der Preis- und der Laborplanung im Hinblick auf Konventionen der Dienstleistungswelt und der akademischen Welt. Denn die Offertstellung basiert auf der Konvention der Dienstleistungswelt mit fixem Preis und „freier“ Erreichung der Zielvereinbarung, während der leitende Käufer bei der Ausführung eine stärkere Auftraggeberfokussierung fordert. Die von (P1) vorgeschlagene Lösung einer Vorgabe von Tagessolls von Interviews stellt hierbei eine Verschiebung des Kompromisses zwischen Dienstleistungswelt und akademischer Welt in Richtung akademischer Welt dar. Klar wird, dass diese Verschiebung mit einer erhöhten Planungssicherheit und Kontrolle für den Auftraggeber einhergeht, aber dadurch auch mit einem erhöhten Preis. Zu aktualisieren wäre in diesem Fall jedoch auch der Vertrag, um den neu ausgehandelten Kompromiss auch entsprechend zu dispositivieren (Diaz-Bone 2017b).
Eine dritte Survey-Welt, welche hier in einen Kompromiss eingearbeitet werden muss, ist die Beratungswelt. (P1) verweist auf die schwierig zu kommunizierenden Detailmaßnahmen der Laborplanung. Hier wird deutlich, dass die Survey-Firma im Hinblick auf diesen Punkt über mehr Kompetenz verfügt. Dies macht es für sie unmöglich, die Befragungssteuerung komplett dem Auftraggeber zu übergeben und es begründet das schwierige Reporting gegenüber dem Auftraggeber. Die Kommunikation der Anzahl getätigter Interviews ist dabei noch allgemeinverständlich. Reaktionsstrategien beispielsweise auf geringe Beantwortungs- oder Kontaktraten67 bedürfen jedoch eines Vorverständnisses dieser Laborplanungs-Parameter, um sie dem Auftraggeber kommunizieren zu können und so die Situation darstellen und ggf. auch legitimieren zu können. Es ist schlussendlich genau dieser Umstand, welcher dazu führt, dass (P1) vom Auftraggeber Vertrauen gegenüber der Survey-Firma einfordert.
In den vorangehenden Absätzen wurden zunächst verschiedenen Arten von Kontrolltätigkeiten des Auftraggebers gegenüber der Survey-Firma dargestellt. Daran anschließend wurden die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Survey-Firma rekonstruiert. In den folgenden Ausführungen sollen die vielfältigen Anforderungen an den Auftraggeber analysiert werden, welche mit der umfassenden Kontrolltätigkeit und der starken Steuerung der Abläufe in der Survey-Firma einhergehen. In der De-Briefing-Sitzung fordert (P1) ein fallbezogeneres Feedback zu den Befragenden. Das Feedback sollte also nicht mehr in generellerer Form geschehen (Bspw. „Fragen müssen wortwörtlich vorgelesen werden“), sondern in Bezug gesetzt werden zu einzelnen Befragenden. Er macht zudem den Vorschlag, dass diejenigen Personen des Auftraggebers, welche den Feldprozess begleiten, selber mittelefonieren sollten, da dies die Qualität des Feedbacks steigern würde. Der Verweis auf die Feedbackqualität der begleitenden Personen zeigt eine generelle Herausforderung der Koordination in diesem Fall auf. Erkennbar wird, dass trotz oder gerade wegen des Fokus auf den einzelnen Auftrag das Regime des Plans verlassen und ebenfalls auf das Regime des Vertrauten zugegriffen werden muss. (A1) wird von (P1) aufgefordert, nicht lediglich eine Problematik zu schildern, sondern diese für (P1) handhabbar zu formulieren. Dadurch muss (A1) ebenfalls auf das Vertraute von (P1) Bezug nehmen.
In der Dienstleistungswelt findet eine Auftragsformulierung vor der eigentlichen Bearbeitung statt. Denn bereits das Erstellen eines Angebotes stellt eine formgebende Aktivität dar, indem in die Definition von Produkten investiert wird. Sie geht aber mit weiteren formgebenden Aktivitäten einher, indem die (formalen und informalen) Prozesse auf das erstellte Angebot hin ausgerichtet werden müssen. Diese formgebenden Aktivitäten erlauben eine kodifizierte, weil auf etablierten Formen basierende Kommunikation mit dem Kunden. Da dieser seine Wissenslücke selber ermittelt und in ein Bedürfnis transformiert, kann die Kommunikation hier im Regime des Plans bleiben, da ein vorgegebenes Ziel erreicht werden soll. Andere Voraussetzungen existieren jedoch in der akademischen Welt. Durch die Individualität der Aufträge muss eine direkte Vermittlung des durch den Auftraggeber formulierten Auftrags an bestehende Strukturen stattfinden. Durch die Steuerung des Auftrags durch den Auftraggeber wird eine Übersetzungsleistung durch ihn notwendig. Diese besteht darin, den Auftrag an die Möglichkeiten und die Funktionsweise der Survey-Firma und damit zusammenhängend, der Survey-Praxis, vorzunehmen. Diese liegen jedoch unmöglich komplett im Wissen des Auftraggebers, da hierfür eine direkte und konstante Mitarbeit bei der Survey-Firma notwendig ist. Dadurch besteht die notwendige Übersetzungsleistung, welche sich regimetheoretisch als Koordination des Regimes des Plans mit dem Regime des Vertrauten wiedergibt (Thévenot 2011d). Genau dies wiedergibt (P1) in seiner Kritik des Feedbacks, indem er darauf hinweist, dass ein Mittelefonieren für die Qualität des Feedbacks hilfreich wäre. Denn dadurch wird ein Einblick in die situative Handhabung der Befragenden möglich. Der Miteinbezug dieser Handhabung ermöglicht es, die pragmatischen Möglichkeiten der Befragung miteinzubeziehen.
Diese Koordination zwischen zwei unterschiedlichen Regimen lässt sich auf eine grundlegende Einsicht der Distributed Cognition rückbeziehen. In seiner Untersuchung der marinen Navigation beschrieb Hutchins die Strategie der systematischen Wissensüberlappung bei der Besetzung verschiedener Navigationsposten. Für die Navigation zentrale Posten wurden mit Personen besetzt, welche bereits in anderen Navigationsposten Erfahrungen gesammelt hatten. Es stellte sich heraus, dass dadurch die Koordination stabilisiert wurde (Hutchins 1996, S. 263 ff.). Regimetheoretisch lässt sich dies wie dargestellt als Koordination zwischen dem Regime des Plans und dem Regime des Vertrauten rekonstruieren (Thévenot 2011d). Deutlich wird durch eine regimetheoretische Betrachtung jedoch, dass zwischen beiden Regimen ein grundlegender Konflikt im Hinblick auf die jeweiligen Güter („chose commune“) besteht. Während das Regime des Plans die Zielerreichung anstrebt, ist es beim Regime des Vertrauten die Annehmlichkeit. Der spezifische Kompromiss, welcher hier zwischen beiden Regimen geleistet werden muss, besteht darin, auf die individuelle Handhabung der Survey-Firma Rücksicht zu nehmen, ohne die Zielerreichung aus den Augen zu verlieren. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer solchen pragmatischen Vermittlung des Plans an die situative Handhabung ist auch dem Auftraggeber bewusst, wie im Eingangs des Unterkapitels aufgeführten Zitats erkennbar wurde. Hierbei machte (A1) klar, dass mit der Einforderung von Transparenz aufseiten der Survey-Firma auch die Notwendigkeit einhergehe, mit Fehlern der Survey-Firma angemessen umzugehen. Daran anschließend weist er darauf hin, dass man entsprechende Voraussetzungen schaffen muss, damit die Survey-Firmen auch eine entsprechende Transparenz gewährleisten:
A1:
[…] muss man den Rahmen schaffen, dass sie das machen auch, dass sie uns gegenüber klar sagen, da haben wir ein Problem, und dass man dann quasi auch nicht irgendwie Druck macht oder? […] wenn es um diese Fehler geht, sondern das dann sehr so präsentieren […] ok, was lernen wir jetzt daraus.
(A1) verdeutlicht hier, dass die reine Forderung nach Transparenz diese noch nicht gewährleiste. Vielmehr sei es notwendig, nicht übermäßig Druck auf die Projektleitenden der Survey-Firma auszuüben. Eine Strategie von (A1) liegt darin, Fehler nicht primär als Probleme zu betrachten, sondern als Anlass für kollektives Lernen. Ersichtlich wird hier, dass ein reines Beharren auf dem Regime des Plans auch in der akademischen Welt nicht möglich ist, bzw. Koordinationsprobleme birgt. Ein fehlendes Eingehen auf die situative Handhabung (Breviglieri 2004) kann ein Scheitern des Plans zur Folge haben, indem die dafür notwendige Vermittlung an die situative Handhabung der Akteure nicht miteinbezogen wird und so die in jedem Fall notwendige Übersetzung scheitert.68 Dieses Scheitern kann sich in Zeitverzögerungen der Fallbearbeitung etc. zeigen. Im Hinblick auf die Befragenden ist denkbar, dass diese durch die fehlende Vermittlung des Regimes des Plans an ihre Möglichkeitsbedingungen das Feedback einfach ignorieren, da der Auftrag für sie nicht handhabbar ist oder Dienst nach Vorschrift geleistet wird. Umgekehrt birgt die Koordination zwischen beiden Regimen jedoch auch die Gefahr, zu stark auf das Regime des Vertrauten einzugehen und ein zu großes Verständnis für die situativen Herausforderungen zu entwickeln, was schlussendlich die Planausführung bedrohen kann.
In diesem Kapitel wurde argumentiert, dass die intensive Kontrolle des Erhebungsprozesses nicht lediglich ein „Wunsch“ oder ein „Anspruch“ des Auftraggebers, sondern eine eigene Koordinationsform darstellt. Denn die im Vergleich zu anderen Survey-Projekten hohen Erwartungen an die Transparenz und die Steuerung des Erhebungsprozesses, welche mit verschiedenen Kontrolltätigkeiten überprüft werden, stellen ebenfalls erhöhte Ansprüche an die Survey-Kompetenz des Auftraggebers. Die intensive Bemühung um eine umfangreiche Kontrolle der Tätigkeiten der Survey-Firma spiegeln folglich nicht nur ein anderes Bedürfnis des Auftraggebers wieder, sondern führen auch zu erhöhten und andersartigen Ansprüchen an den Auftraggeber selbst. Dieser Hinweis auf eine unterschiedliche Koordinationsform zeigt sich insbesondere bei der Verwendung von Keystroke-Files als Möglichkeit der Überwachung der Interviewenden-Tätigkeit. Denn im Gegensatz zum ebenfalls diskutierten Abgleich der vom BfS gelieferten Stichprobendaten mit den durch die Survey-Firma erhobenen Daten wären Keystroke-Files durchaus auch durch Kunden in der Dienstleistungswelt einsetzbar.
Deutlich wird an diesem Beispiel die Systemhaftigkeit einer solchen Kompromissverschiebung, bzw. genereller eines Wechsels von Survey-Welten als Koordinationsbasis. Denn mit dem Wechsel hin zu einer stärkeren Vorgabe der Laborplanung durch den Auftraggeber übernimmt dieser zwangsweise sowohl die fachliche wie auch die finanzielle Verantwortung dafür. Dadurch stellt sich die Frage, inwiefern dieser auch über die notwendigen Kompetenzen einer direkten Laborsteuerung verfügt und ob die durch die dadurch entstehenden höheren Kosten durch den Auftraggeber getragen werden können und wollen. Stark erhöht wird dabei auch der Koordinationsaufwand während der Feldphase, da der genaue Feldverlauf durch dessen Abhängigkeit vom (unplanbaren) Antwortverhalten nicht im Voraus geplant werden kann und so ein ständiges Intervenieren vonseiten des Auftraggebers notwendig macht.

6.2.3 Das Outsourcing der Projekthotline

In den folgenden Ausführungen wird das Projekt einer Auslagerung der Survey-Hotline an ein Call-Center analysiert.69 Nach einer vorlaufenden Sitzung zwischen dem Sales Manager (kurz: SM) des Call-Centers, (A1) und (A4) hat eine zweite Sitzung stattgefunden, in welcher zentrale Parameter der Auftragsvergabe festgelegt werden sollten. An dieser zweiten Sitzung nehmen wiederum (SM) und (A1) teil und zusätzlich (A2) und (A3). Bei der Begleitung von verschiedenen Survey-Projekten hat sich gezeigt, dass insbesondere Surveys der akademischen Welt und der Informationswelt komplexe, auf viele Organisationen distribuierte Befragungsprojekte darstellen. Die Qualität der Survey-Befragung hängt dadurch nicht nur von der Koordination zwischen Auftraggeber und Survey-Firma alleine ab. Vielmehr ist auch die Koordination mit weiteren Organisationen wie beispielsweise eben Hotline-Dienstleistern, Druckereien, Verkäufern von Befragungssoftware und insbesondere in der akademischen Welt und der Informationswelt in der Schweiz mit dem Bundesamt für Statistik, welches das Stichprobenregister verwaltet (Bundesamt für Statistik 2008), zentral. Die folgende Analyse zielt auf diese Distribution der Survey-Produktion und deren Konsequenzen für die Survey-Qualität. Dargestellt wird im Folgenden insbesondere die Herausforderung einer solchen Auslagerung für den Leiter des Survey-Projekts (A1). Wie dieser während des Interviews deutlich macht, sieht er die Auslagerung der Projekt-Hotline als eine doppelte Investition. Einerseits kurzfristig als (praktische) Möglichkeit, die bei vorherigen Befragungen bereits gemachte Erfahrung der personellen Überlastung durch Nachfragen von Befragten an ihn während der Befragung zu vermeiden. Zusätzlich sieht er darin jedoch auch eine Investition in das Know-how der (zukünftigen) Zusammenarbeit mit Hotline-Dienstleistern.
Die Auswahl des Hotline-Dienstleisters ist stark anhand des Preises geschehen. Im Internet sind zuerst verschiedene Hotline-Dienstleister identifiziert worden, welche danach mit Bitte um eine Offerte angeschrieben worden sind. Von den erhaltenen Offerten ist dann mit dem günstigsten Anbieter ein erstes Treffen vereinbart worden, was in ein zweites Treffen und schlussendlich in einen Vertragsabschluss geführt hat. Der Grund für die Zusammenarbeit und dadurch die Bewertung der spezifischen Qualität des Hotline-Dienstleisters charakterisiert (A1) wie folgt mit Bezug auf die erste Koordinationssitzung mit dem Hotline-Dienstleister:
A1:
[…] also erstens war es eben dann eben schon damals die Einschätzung, die sind sehr transparent, die sind sich auch gewohnt eben, eine hohe Transparenz den Kunden gegenüber zu liefern, oder? Und und es gibt eine extrem hohe Flexibilität, das habe ich schon damals gemerkt, oder?
(A1) nennt hier zwei für ihn relevante Qualitätskriterien, welche durch den Hotline-Dienstleister erfüllt werden: Transparenz und Flexibilität. Transparenz als Qualitätskriterium zeigt hier die generische Ausrichtung des Survey-Projekts auf, bei welcher eine Trennung zwischen dem Auftraggeber des Survey-Projekts und den Datennutzenden existiert. Transparenz ist dann das Kriterium, welche eine Nachvollziehbarkeit des Datenerhebungsprozesses auch für Dritte gewährleisten soll (vgl. Abschn. 5.​4 und 5.​5). Der Hinweis auf Flexibilität als Qualitätskriterium verweist auf die Akteursform des Auftraggebers der generischen Welten. Flexibilität meint hierbei den Verzicht auf ein standardisiertes Marktangebot, wie es idealtypisch in der Dienstleistungswelt, bzw. in der Welt des Marktes, zu finden ist (vgl. Abschn. 5.​3).70 Erkennbar wird damit, dass (A1) auch in Bezug auf die Koordination mit dem Hotline-Dienstleister einen umfassenden Steuerungsanspruch verfolgt, wobei bereits in diesem ersten Zitat deutlich wird, dass der Hotline-Dienstleister diesen Anspruch zu erfüllen imstande scheint.
In der folgenden Sequenz wird das Thema Schulung der Call-Agents koordiniert. Der Vorlauf der Sequenz liegt in einer Diskussion der von (A1) vorgelegten FAQ. (SM) lobt dabei das Erstellen der FAQ durch (A1), (A2) und (A3). Diese hätten für ihn die Form, die benötigt werde, um sie den Call-Agents verfügbar zu machen. Daraufhin kommt das Gespräch auf die Schulung zu sprechen. Hierbei werden durch (A1) zwei zu klärende Punkte geäußert: Einerseits bittet er (SM), die FAQ auf ihre Verständlichkeit und Praxistauglichkeit für die Call-Agents zu prüfen. Andererseits fragt er nach der notwendigen Dauer für die Schulung der Call-Agents:
A1:
Und in der Schulung, nochmal um darauf zurückzukommen […]. In der Schulung geht’s würd ich jetzt mal denken geht’s ja nicht darum das alles [Anm.: Die FAQ] abzuarbeiten. Das kann man sich ja nicht merken. Oder?
SM:
Mmh
A1:
Das ist es ja dann eben dann gespeichert. Und in der Schulung ging es wahrscheinlich eben drum, was ist das für ein Projekt?
SM:
Mmh
A1:
Die Grundzüge, wer ist der Auftraggeber? Wie ist das, äh, grob strukturiert […] wenn wir das mal so grob definieren. Eben, dass es geht um, um Struktur des Projektes. Wie lauft diese ganze […] Umfrage ab. Also werden dann die Leute kontaktiert mit was und […] die Agents müssen ja das wissen
SM:
Mmh.
A1:
Aber das würden wir quasi vorbereiten. Aber ich denke sinnvoll wäre, wenn sie das dann gegenchecken, oder? Und schauen, okay, da, das versteht jemand jetzt so nicht. Oder? Das müssen wir vielleicht ergänzen, das kann man eher weglassen. Damit das auch effizient ist, oder?
SM:
Richtig. Das ist dann der Senior Agent. Das danach
A1:
Ja
SM:
verantwortlich ist für das ganze Know-how vom Team
A1:
Okay
SM:
Das ist der Senior Agent. Der ist für das verantwortlich. Deshalb gibt es eigentlich die Stelle. Und wenn jemand dann ein Telefon, am Tag wenn der Senior Agent hier ist, eine Frage hat, kann er auch […] kurz fragen. Oder? Oder? Muss er natürlich dazulernen. Oder? Deshalb haben wir einen second level. Deshalb brauchen wir auch immer wieder Feedbacks, oder? Wir merken, okay, die Frage, die war jetzt nicht klar beantwortet. Äh die ist nicht klar beantwortet worden von uns. Warum nicht? Und dann können wir das Team informieren. Oder? Frage A ist die Antwort Y.
Im Hinblick auf die Klärung des FAQ-Status scheint ein Koordinationsproblem zu existieren. (A1) erbittet (SM), die Schulungsunterlagen auf ihre Verständlichkeit und ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen. (SM) verweist dabei auf die Zuständigkeit des Senior-Agents. Es scheint jedoch, dass sich (SM) nicht auf die Schulungsunterlagen, sondern auf die vorher besprochenen FAQ bezieht, welche für (A1) jedoch nur die Grundlage für die zu erfolgende Ausarbeitung der Schulungsunterlagen darstellen. Trotz dieses scheinbaren Missverständnisses wird der Bezug auf unterschiedliche Konventionen eines Auftragnehmers zwischen (A1) und (SM) deutlich. (A1) erwartet eine beratende Rolle, d. h. die Akteursform des Beraters. Für ihn wäre es – aus Mangel an eigenen Erfahrungen – hilfreich, wenn (SM) mit seiner zugeschriebenen Erfahrung von verschiedenen Call-Agent-Schulungen die Schulungsunterlagen anschauen und auf die erwähnten Kriterien hin begutachten könnte. Bei einer ad-hoc Betrachtung könnte nun der Eindruck entstehen, dass (SM) diese Funktion „einfach“ dem Senior Agent überträgt. Tatsächlich bezieht er sich produktionsweltlich jedoch auf eine andere Konvention eines Auftragnehmers. Die Kompetenz des Auftraggebers zur Formulierung der FAQ steht bei dieser Konvention für (SM) außer Frage. Die Problematik liegt für ihn alleine in der nie vollständig abzuschätzenden Praxis der Anrufbeantwortung. Damit unterminiert er jedoch die Anfrage von (A1) nach einer vorhergehenden Prüfung der FAQ, welcher dieser offensichtlich durch seine fehlende Erfahrung im Betreiben von Hotlines und der dadurch notwendigen Wissensbereitstellung einfordert. Deutlich wird folglich ein Konflikt im Hinblick auf die Arbeitsaufteilung zwischen (A1) und dem Call-Center. Während (SM) die Auftragsformulierung als Aufgabe des Kunden im Sinne der generischen Welten sieht, erhofft sich (A1) eine Hilfestellung von (SM) dabei. Dieser unterschiedliche Bezug auf Survey-Welten, bzw. in diesem Fall auf Produktionswelten (Storper und Salais 1997), wird in der direkt an die erste Sequenz anschließenden zweiten Sequenz bestätigt:
A1:
Wie lange bräuchte ich jetzt für eine Schulung?
SM:
Das ist abhängig vom, vom Auftraggeber, wie lange er schulen möchte. Basis ist meistens […]
A1:
Haben wir eine Vorstellung, wie lang wir [An A2 und A3 gerichtet]
SM:
Die meisten sind eine Stunde.
A1:
Okay.
SM:
[…] Das ist die Basis. […] Ihr könnt hier natürlich eine Schulung vorbereiten und sehen, hey, das bring ich in einer Stunde durch oder ich brauch anderthalb Stunden für das. Und dann organisieren wir das. Ganz richtig.
(A1) fragt, wie viel Zeit für eine Schulung in seinem spezifischen Fall notwendig wäre. (SM) weist in der Folge darauf hin, dass die aufgewendete Zeit für die Schulung vom Auftraggeber abhängig sei, worauf sich (A1) fragend an (A2) und (A3) wendet. (SM) führt danach Durchschnittszeiten und weitere Möglichkeiten der Schulung aus. Der unterschiedliche produktionsweltliche Bezug zwischen (A1) und (SM) wird in dieser zweiten Sequenz noch deutlicher. Auf die Frage nach der angemessenen zeitlichen Dauer der Schulung verweist (SM) auf die übliche Dauer, aber nicht auf eine zeitliche Dauer, welche er für das spezifische Projekt für angemessen hält. Auch hier zeigt sich die Auffassung von (SM) von der eigenen Rolle als Auftragsempfänger und nicht als Berater, obwohl (A1) explizit danach fragt. In der dritten Sequenz der Koordinationssitzung mit dem Hotline-Dienstleister wird die Anzahl zu erwartender Anrufe auf die Hotline thematisiert.
A1:
Ja. Also wir […] die Stichprobe sind etwa 16.500 Personen, die dann angeschrieben werden. Das ist schon relativ viel.
SM:
Okay.
A1:
Aber eben was, wie gesagt, was die keine Ahnung haben ist, mmh, wieviel Volumen dass die Hotline generiert.
SM:
Das ist natürlich für uns […] auch challenging. […] Äh, wir können natürlich, ohne dass wir einen Richtwert haben wieviel Anrufe dann kommen, müssen wir irgendwie Ressourcen haben um die Telefonanrufe auch äh entgegenzunehmen. […] Es ist schon schwierig. Wir können natürlich nicht hier drei zusätzliche Mitarbeiter haben, dann kommt nichts. Dann müssen wir für drei Mitarbeiter den Lohn zahlen, oder?
Ersichtlich werden in dieser Sequenz zwei Punkte. Einerseits wird klar, dass weder (SM) noch (A1), (A2) oder (A3) über Anhaltspunkte verfügen, wie die Anzahl Anrufe abgeschätzt werden kann. Dabei wird sichtbar, dass (A1) eine Auftraggeberposition einnehmen und selber eine Schätzung zur Anzahl der Anrufenden vornehmen muss,71 da das Survey-Projekt das aus einer Fehleinschätzung entstehende Risiko für die Hotline-Qualität oder das finanzielle Risiko mittragen muss. Andererseits wird deutlich, dass dieses Unwissen auch für (SM) mit einem Risiko einhergeht. Für (A1) besteht einerseits ein Risiko eines unnötig hohen finanziellen Aufwands durch die Schulung von zu vielen Call-Agents. Das im Hinblick auf die Survey-Qualität bestehende Risiko zeigt sich hier darin, dass unnötig viele Ressourcen für die Hotline verwendet werden, welche an anderen Stellen des Projekts hätten eingesetzt werden können. Es besteht aber auch darin, dass aufseiten des Hotline-Dienstleisters zu wenige Call-Agents verfügbar sind, welche Anrufe von zu Befragenden entgegennehmen können. Das Risiko besteht hier in einer potenziell niedrigeren Response-Rate. Für den Hotline-Dienstleister besteht dieses in einem finanziellen Risiko, aber auch in der Möglichkeit der Erbringung einer guten Auftragserfüllung für den Kunden.
In den vorangehenden analysierten Sequenzen wurde eine produktionsweltliche Diskrepanz zwischen (A1) und (SM) deutlich. (A1) bezog sich konstant auf die Akteursform des Klienten der Beratungswelt, bzw. interpersonellen Welt (Storper und Salais 1997). (SM) hingegen sah sich als Auftragsempfänger im Sinne der generischen Welten, welcher ein Produkt verkauft, wobei die Verantwortung über deren Nutzen in den Händen des Auftraggebers liegt (vgl. Abschn. 5.​4 und 5.​5). Wie hierbei klar wird, kann der rationale Marktakteur nicht als gegeben vorausgesetzt werden. Die Akteursform des Auftraggebers bedingt vielmehr eine spezifische Kaufkompetenz. Im Hinblick auf die Hotline-Dienstleistung ist es die Kompetenz, die verschiedenen Parameter eines Call-Center-Auftrages zu kennen und auf das eigene Hotline-Projekt zu beziehen. Wie in der vorangehenden Analyse gezeigt werden konnte, wird (A1) auf die Akteursform des Auftraggebers festgelegt, ohne immer die dafür notwendige Kompetenz zu haben. (A1) ist sich dieses Umstandes jedoch bewusst, indem er die Auftragsvergabe an das Call-Center auch als Investition in zukünftige Outsourcing-Projekte versteht. Dies kann als Investition in Formen verstanden werden, da (A1) hier in die Form des Auftraggebers investiert (Thévenot 1984). Insgesamt wird ersichtlich, dass die von (A1) forcierte Auslagerungspraxis nicht unproblematisch ist. Wie (A1) deutlich machte, diente die Auslagerung der Hotline für die Befragten der Preisreduktion. Kaufte er in vorherigen Survey-Projekten jeweils die Befragung zusammen mit der Hotline-Dienstleistung ein, so kauft er nun die verschiedenen Dienstleistungen separat ein. Dadurch erhofft er sich eine Kostenersparnis. Infolge der survey-weltlichen Analyse wird jedoch auch erkennbar, dass er sich mit der Auslagerung unbeabsichtigt auch einen veränderten survey-weltlichen Rahmen einhandelt. Denn Survey-Firmen sind auf die von (A1) eingekaufte Art der Befragung spezialisiert und können dieses Wissen auch auf die Einrichtung einer Hotline übertragen, während dieses Wissen dem beauftragten Call-Center fehlt. Zusätzlich ist zumindest das beauftragte Call-Center in diesem Fall nicht darauf eingerichtet, auf der Basis der Beratungswelt inhaltliche Empfehlungen abzugeben. Der Ausgang des Hotline-Outsourcings ist leider nicht bekannt, sodass die Problematik der Festlegung der Anzahl Anrufenden leider nicht weiterführend rekonstruiert werden kann. Trotzdem wird deutlich, dass sich durch eine potenziell unterbesetzte Hotline niedrigere Response-Raten durch unzufriedene Anrufer ergeben können.
Zentral bei der Betrachtung dieser Koordinationsproblematik ist, dass dies kein individuelles Verständigungsproblem darstellt, sondern als produktionsweltlicher Konflikt gelesen werden muss. Der Grund für diese Betrachtungsweise liegt darin, dass (SM) beispielsweise selber keine Einschätzung der zu erwartenden Anzahl Anrufe vornehmen kann. Dies würde zusätzlich zur Kompetenz der Auftragsbearbeitung eine Kompetenz im Hinblick auf die hier vorliegende spezifische Art von Survey-Projekten erfordern. Die Orientierung des Hotline-Dienstleisters an der Dienstleistungswelt, bzw. der Marktwelt, ist dabei keine rein mentale Orientierung. Vielmehr ist diese Welt alleine durch die spezifische Organisation des Verkaufs- und Dienstleistungsprozesses dispositiviert (Diaz-Bone 2017b). Wie im Kapitel zur Dienstleistungswelt ausgeführt wurde, bedingt die Auftrennung in separate organisationale Verkaufs- und Produktionseinheiten die gegenseitige Vermittlung durch standardisierte Auftragsspezifikationen, was gerade in der Beratungswelt nicht möglich ist. Bereits diese Trennung kann als Ursache für das fehlende Eingehen von (SM) auf inhaltliche Fragen von (A1) betreffend der Schulung der Call-Agents betrachtet werden, indem entsprechendes Erfahrungswissen auf Seiten von (SM) zur „Praxis“ der Call-Agents-Schulung fehlt.
Die spezifische Organisation des Verkaufs- und Dienstleistungsprozesses ist zwar einerseits auf eine standardisierte, interne Auftragsweitergabe angewiesen, sie ermöglicht jedoch durch die jeweilige Spezialisierung der Tätigkeiten eine effizientere Abarbeitung der Aufträge und dadurch tiefere Kosten. Das Kostenargument ist auch für (A1) in einem ersten Schritt das zentrale an die Hotline-Dienstleister angelegte Qualitätskriterium gewesen, was den Ausschlag für das erste Treffen gegeben hat. Abgeglichen mit den Koordinationsproblemen scheint dieses Qualitätskriterium nun potenziell problematisch, da die primäre Preisevaluation gerade weg von der eigentlich in vielen Punkten nachgefragten Beratungswelt und hin zur Dienstleistungswelt führt.72 Folglich ist bei (A1) eine Inkohärenz im Hinblick auf die Qualitätsbewertung vor dem Auftrag und die später nachgefragte Qualität der Koordination mit dem Hotline-Dienstleister festzustellen. Denn auch hier gilt, dass der Preis erst dann zur grundlegenden Koordinationsform werden kann, wenn die Qualität des Produkts, bzw. hier der Dienstleistung, klar ist (Favereau 1989a). Diese Kaufkompetenz ist jedoch – wie aufgezeigt – bei (A1) nicht ohne weiteres gegeben. Dass die verschiedenen Konventionen der Projektleitenden in den unterschiedlichen Survey-Welten keine rein mentalen Orientierungspunkte darstellen, wird jedoch auch im Hinblick auf das notwendige Know-how deutlich. Denn wie am Beispiel der Einschätzung der Anzahl Anrufenden ersichtlich wird, fehlt (SM) dafür schlicht die Erfahrung.

6.2.4 Die Grenzen der Steuerung des Survey-Prozesses

In Abschn. 6.2.1 wurde dargelegt, inwiefern die dem Projekt zugrunde liegende akademische Welt spezifische Anforderungen an die Survey-Firma stellt. Das Survey-Projekt sieht sich als Auftraggeber im Sinne der akademischen Welt und der Informationswelt, welcher verschiedene Parameter der Survey-Produktion einerseits spezifisch für das jeweilige Survey-Projekt festlegen und andererseits die Tätigkeit der Survey-Firma auch kontrollieren will. Wie dargestellt wurde, stellt diese Form der Zusammenarbeit die Survey-Firma vor Herausforderungen. Wie in diesem Unterkapitel analysiert wird, ist jedoch der Bezug auf die Akteursform des Auftraggebers auch in diesem Survey-Projekt nicht vollumfänglich. Vielmehr zeigen sich an einigen Stellen der ersten Koordinationssitzung und auch im Interview mit (A1) Diskussionspunkte, bei welchen insbesondere durch (A1) geklärt werden muss, ob die Akteursform des Auftraggebers ein sinnvoller Koordinationsrahmen darstellen kann. Diese Stellen werden im Folgenden analysiert. Im ersten Zitat gibt (A1) Auskunft über Herausforderungen der Zusammenarbeit mit Survey-Firmen und wie sich diese Zusammenarbeit in Zukunft allenfalls auch verändern könnte. Deutlich wird dabei, dass er eine ambivalente Position gegenüber der genauen Dienstleistung einnimmt, welche er bei den Survey-Firmen einkauft:
A1:
[…] das Grundproblem für uns ist inzwischen, dass wir eigentlich, oder? Ich denke wir haben gegenüber [Survey-Firma] in vielen, nicht in allen Bereichen, haben wir in sehr vielen Bereichen eigentlich ein Know-how Vorsprung. Wir wissen eigentlich mehr, wir haben auch einen besseren Überblick, über was in der Forschung läuft, was auch in anderen Instituten läuft, […] wenn ich jetzt auch so diese Kostenstruktur, diese Offerten anschaue oder? Dann ist, der reine Telefonteil, das ist das, was wir sie eigentlich brauchen, das ist vielleicht, das ist geschätzt, aber sagen wir von diesen [gesamter Preis], die uns jetzt diese Nachwahlbefragung kostet, sind das […] irgendwo zwischen [Preis] ist quasi der Teil, den wir eigentlich fürs CATI brauchen […] wir bezahlen eigentlich eine sehr hohe Summe für Prozesse und äh, Leistungen, die wir eigentlich selber in einer höheren Qualität und zu einem günstigeren Preis erbringen könnten […].73
(A1) verweist einerseits auf eine praktische Handlings-Kompetenz im Hinblick auf komplexe Studien. Andererseits verweist er darauf, dass er eigentlich für die Tätigkeiten der Survey-Firma außerhalb der CATI-Befragung nicht zu zahlen bereit ist, da er diese auch selber erbringen könne. Diese Argumentation wird dadurch unterstützt, dass er als Auftraggeber sowieso die meisten Parameter vorgibt, sodass der Handlungsspielraum des Auftragnehmers beschränkt ist. (A1) konstatiert folglich einen Know-how-Vorsprung. Dieser wird durch einen besseren Überblick über die aktuelle survey-methodologische Forschung begründet. Angesichts dessen problematisiert er die Kostenstruktur des Auftrags an die Survey-Firmen, in welcher die eigentlich benötigte Leistung der CATI-Telefonate nur einen Anteil an den Gesamtkosten ausmacht. Durch den Know-how-Vorsprung sieht er jedoch die Möglichkeit, diese Nebenleistungen selber in einer höheren Qualität und gleichzeitig zu einem niedrigeren Preis erbringen zu können. Hier zeigt sich einerseits deutlich die Koordinationsgrundlage des Auftraggebers der akademischen Welt und der Informationswelt. Ein umfassendes Know-how im Hinblick auf die Survey-Produktion ist die notwendige Voraussetzung, um gezielt einzelne Prozesse eines Survey-Projekts auszulagern und als Leistung bei einer Survey-Firma einzukaufen (vgl. Abschn. 5.​5). Gleichzeitig wird hier eine industrielle Bewertung der Qualität der Survey-Produktion sichtbar. Der Verweis von (A1) auf den besseren Überblick über die Forschung kann dahin gelesen werden, dass der Austausch mit Experten und aktuellen Standards und Prozeduren des wissenschaftlichen Diskurses eine hohe Survey-Qualität ermöglichen soll, was der industriellen Rechtfertigungsordnung entspricht (Boltanski und Thévenot 2007). Aus der Warte dieser Rechtfertigungsordnung problematisiert er anschließend die Qualität der Leistungen neben der CATI-Telefonie, wobei er zusätzlich auf die marktweltliche Rechtfertigungsordnung Bezug nimmt, indem er ebenfalls deren preisliche Konkurrenzfähigkeit im Vergleich zu einer Eigenleistung kritisiert (Boltanski und Thévenot 2007, S. 264 ff.). Im folgenden Zitat führt er die Problematik und sein Abwägen weiter aus:
A1:
[…] wenn wir sagen, wir kaufen eigentlich nur noch den Telefonteil ein irgendwo, äh, dann könnten wir natürlich mit den verfügbaren Mitteln, mehr Interviews, mehr Studien, mehr was auch immer machen, oder? Das ist so eine Optimierungsfrage wo optimiert man, oder? Der Grund wieso wir das jetzt sicher nicht machen, ist, äh, erstens natürlich die Komplexität der Handling der Mixed-Mode Studie, dann eine der Gründe ist, wir haben eigentlich ein Interesse in der universitären Forschung, Umfrageforschung und auch in der Forschung die von äh, von zum Beispiel öffentlichen, äh, aus öffentlichen Geldern finanziert ist, quasi Partner zu haben, die auch kompetent sind. […] Und und wenn wir natürlich die ausbluten lassen und die nur zu reinen Dienstleistungen verkommen lassen, dann geht natürlich da auch eben diese Kompetenz […] geht dann verloren, wobei dann ist auch die Frage, wie fest sind wir bereit, das das irgendwie […] zu bezahlen und […] der dritte Grund ist denke ich äh, eben, das gibt dann verschiedene Modelle, oder? Wir könnten, ich weiß nicht. Meine Einschätzung ist im Moment, dass natürlich die Befragungsinstitute, die haben natürlich schon viel mehr Know-how wie man Befragungen dieser Art durchführt, weil das ist ihr Kerngeschäft. Und ein normales Call-Center kann, das ist, ich weiß nicht, vie, vielleicht nicht, aber ein normales Call-Center kann das nicht in dieser Qualitäts, auf diesem Qualitätslevel bieten, wie […] es das Befragungsinstitut kann.
In diesem zweiten Zitat wird nun die Entscheidungsproblematik von (A1) ersichtlich. Denn den Preis, welchen er für die Nebendienstleistungen bezahlt, könnte er für andere Prozesse im Survey-Projekt verwenden, um so beispielsweise durch das Durchführen von mehr Interviews eine höhere Survey-Qualität erreichen zu können. Den Umstand, dass er trotz der im ersten Zitat von ihm angenommenen „höheren Qualität“ nicht sämtliche Nebendienstleistungen auslagern will, begründet er mit der durch ihn und seine Mitarbeitenden nicht zu verarbeitenden Komplexität einer Mixed-Mode-Studie. Zudem fügt er an, dass er gemeinsam mit anderen öffentlich-rechtlichen Auftraggebern ein Interesse an kompetenten Survey-Firmen habe, deren Kompetenz er durch ein systematisches Auslagern bedrohen würde. Schlussendlich fügt er seine Einschätzung an, wonach Survey-Firmen im Vergleich zu Call-Centern eine höhere Befragungsqualität produzieren könnten. In einem Vergleich zum ersten Zitat – wobei das zweite Zitat auch im Interview direkt an das erste anschließt – schätzt (A1) nun die Kompetenz von Survey-Firmen auch weiterhin als nicht ohne weiteres ersetzbar an. Deutlich wird hier folglich eine ambivalente Haltung gegenüber der tatsächlichen Kompetenz der Survey-Firmen. (A1) scheint hier nicht vollständig klar zu sein, über welche Kompetenz die Survey-Firmen im Detail verfügen, um einerseits die Komplexität der Mixed-Mode-Studie zu bewältigen und andererseits die erhöhte Befragungsqualität zu erreichen. Dadurch stellt sich für (A1) das Problem eines Abwägens zwischen dem angenommenen preislichen Vorteil einer Eigenbearbeitung der Nebenleistungen und einer erhöhten Qualität der Bearbeitung dieser Nebenleistungen durch die Survey-Firma. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der zweite von (A1) angegebene Grund für eine zukünftige Zusammenarbeit mit Survey-Firmen, dem Erhalt von spezifischem Know-how. Einerseits wird hier ebenfalls eine Ambivalenz im Hinblick auf die Einschätzung der Kompetenz von Survey-Firmen sichtbar. Denn der Erhalt der spezifisch auf öffentlich-rechtliche Auftraggeber zugeschnittenen Kompetenz erscheint nur dann sinnvoll, wenn diese klar spezifiziert und als notwendig auch für Auftraggeber erachtet wird.
Die Ambivalenz zwischen der Rolle als Auftraggeber und dem Bezug auf die Empfehlungen des Auftragnehmers lässt sich an verschiedenen Stellen der beiden Koordinationssitzungen identifizieren. In der ersten Koordinationssitzung ist dies sichtbar bei der Diskussion über die Feldplanung. Das grundlegende Forschungsdesign wurde durch den Auftraggeber formuliert und wird hier durchgegangen. Vonseiten der Survey-Firma wird dabei deutlich gemacht, dass die enge Abfolge zwischen der Einladung für die Befragung und den Erinnerungsschreiben zu viel Druck auf die Befragten erzeugen würde. Es wird durch die Projektleiter des Auftragnehmers vorgeschlagen, die Erinnerungsschreiben nicht wie geplant vor dem Wochenende, sondern erst am Montag zukommen zu lassen, da die Personen die Umfragen häufig am Wochenende ausfüllen würden.74 (A1) lässt sich auf diese Idee ein. In dem später folgenden Interview kommentiert er diesen Entscheid:
A1:
[…] wir haben auch die Frage gehabt mit diesen, wir nennen das den Befragungsdruck, oder? Wie viel Druck setzen wir auf, damit wir eine möglichst hohe Response-Rate haben. Und dann, wie viel ist da ethisch vertretbar und wie viel […] bringt so eine, […] wird dann eigentlich kontraproduktiv, dass es dann eigentlich eher eine Verweigerung produziert. Es ist immer so ein, das das ist immer ein extrem schwieriges Abwägen, oder? Wie weit geht man, oder? […] und da haben wir jetzt auch heute Entscheide gefällt, die mir etwas wehtun, oder immer noch, aber ich stehe schon dahinter, ich seh schon auch, ich kann, ich vertrete das auch und wenn ich das grundsätzlich nicht gewollt hätte, hätte ich dann schon mein Veto eingelegt, aber die Frage, oder? Die Feldzeit jetzt in diesen Nachbefragung, die sollte natürlich möglich kurz sein und wenn möglich kurz und noch Mixed-Mode würde bedeuten, extreme Menge Staffelungen und da haben wir heute eigentlich gemeinsam entschieden, da war [die Survey-Firma] schon, also die hätten das gemacht, denn wir sind die Auftraggebenden, die müssen machen was wir ihnen sagen, aber die waren schon auch glücklich, als wir ihnen gesagt haben, ok, wir staffeln das jetzt etwas zeitlich weiter auseinander[…] das verringert dann den Druck.
(A1) nennt zwei unterschiedliche Logiken, welche im Hinblick auf die Feldplanung zu beachten sind. Einerseits einen höheren Befragungsdruck, andererseits das Verhalten von Befragten, welche gemäß (A1) auf einen erhöhten Befragungsdruck auch durch Unit-Nonresponse reagieren können. (A1) zeigt dabei eine Ambivalenz gegenüber dem in der ersten Koordinationssitzung gemeinsam mit der Survey-Firma getroffenen Entscheid, den Befragungsdruck zu verringern. Die durch (A1) in Zusammenarbeit mit weiteren Mitarbeitenden vorgenommene Feldplanung – im Spezifischen hier die Abfolge von Fragebogen-Versänden und Remindern – ist in dieser ersten Sitzung durch die Survey-Firma dahin gehend kritisiert worden, dass die geplante enge Abfolge durch die Beantwortenden als „Frechheit“ aufgefasst werden könne und so Unit-Nonresponse generieren können.
Wie hier deutlich wird, lässt sich die Befragung, bzw. das Survey-Projekt insgesamt, als Übersetzungskette zwischen verschiedenen Regimen begreifen. Die ursprünglichen Erhebungsziele liegen hier im Rechtfertigungsregime. Denn das Ziel der generischen Welten liegt gerade in der Beantwortung von Forschungsfragen, welche von allgemeinem Interesse sind. Diese Forschungsfragen müssen in verschiedenen Maßnahmen und Instrumenten zu einem Forschungsdesign operationalisiert werden, was einer Übersetzung in das Regime des Plans entspricht. Die hier diskutierte Problematik stellt dabei den Übersetzungsschritt hin zum Vertrauten der Befragten dar, welche einen unangemessenen Zugriff darauf als „Frechheit“ taxieren könnten, was in der Folge zu Problemen im Regime des Plans und der Rechtfertigung führen würde. Wie in den vorangehenden Kapiteln ersichtlich gemacht wurde, übernehmen (A1) und die weiteren Mitarbeitenden und Projektinvolvierten die Koordination im Regime der Rechtfertigung, d. h. die Konzeption der Fragestellung, die Abschätzung der erhofften Ergebnisse, usw. Auch deren Operationalisierung im Regime des Plans wird größtenteils durch (A1) und seine Mitarbeitenden übernommen, wie auch die Planung der Vermittlung an das Regime des Vertrauten. Die eigentliche Vermittlung an das Vertraute wird jedoch bei den CATI-Interviews durch die Survey-Firma vorgenommen.75 Diese übernimmt in der Thematik des Befragungsdrucks die Rolle eines „Anwalts der Befragten“, was durch deren Nähe zum Vertrauten der Befragten verstehbar wird. Sie mobilisieren folglich die Perspektive der Befragten für die Planung des Survey-Projekts. Survey-weltlich beziehen sie sich dabei nicht lediglich auf die Konvention eines Auftragsempfängers der akademischen Welt und der Informationswelt, sondern greifen auf die Akteursform des Beraters der Beratungswelt zurück, indem sie aktiv das Survey-Projekt mitgestalten. (A1) wird dadurch in einen survey-weltlichen Konflikt gebracht, indem er zwischen der Akteursform des Auftraggebers und derjenigen des Klienten wählen muss. Diese Wahl findet jedoch nicht im luftleeren Raum statt, sondern gestützt auf das Objekt „Vertrautes“ der Beantwortenden. Durch dessen unterschiedliche Konzeption zwischen (A1) und den Projektinvolvierten der Survey-Firma stellt sich diese Wahl für (A1) als eine Frage der Kompetenzabschätzung. Trotz der grundsätzlich akademischen und informationsweltlichen Grundlegung dieses Projekts wird durch die von (A1) im Zitat dargestellte Auftragsänderung eine beratungsweltliche Dimension im Hinblick auf das Management des Vertrauten der Befragten ersichtlich. Die bei (A1) identifizierbare Ambivalenz hinsichtlich des Befragungsdrucks basiert folglich auf der Uneinigkeit gegenüber der relevanten Survey-Welt und direkt damit zusammenhängend auf der Kompetenzabschätzung der Survey-Firma. Infolge seines Stützens auf die Einschätzung der Projektleiter der Survey-Firma wird deutlich, dass (A1) diese als kompetent im Hinblick auf das Management des Vertrauten von Befragten einschätzt. Die Einwilligung in eine Senkung des Befragungsdrucks zeigt im Endeffekt eine Verschiebung des survey-weltlichen Koordinationsrahmens hinsichtlich der Befragungsplanung und des Einsatzes von Remindern von der akademischen Welt hin zur Beratungswelt auf.
Eine weitere Ambivalenz im Hinblick auf das Kompetenzmanagement zeigt sich auch in der Diskussion um die Implementierung der Berufsklassifizierung in die Befragung mittels Smartphones. (A1) weist darauf hin, dass die vom Auftraggeber vorgesehene Berufsklassifikation den Download von großen Datenmengen notwendig machen würde. Er fragt daher nach, ob der vom Auftraggeber vorgesehene Detaillierungsgrad notwendig sei und ob nicht ein geringerer Detaillierungsgrad möglich wäre, um eine reibungslose Beantwortung für Smartphone-Nutzende gewährleisten zu können. (A1) entgegnet dem, dass die Erhebung lediglich der Branche für ihn zu ungenau sei. Er schlägt dann vor, die Berufsklassifizierung in der von ihm zunächst als Grundlage für alle Erhebungsarten vorgeschlagenen Form für die Online-Erhebung nicht zu nutzen und diese lediglich als Grundlage für die telefonische Erhebung zu verwenden.
Die Ambivalenz, zwischen der Empfehlung des Auftragnehmers und der selbst gewählten Kategorisierung zu wählen, wird auch hier deutlich. Soll eine Entscheidung in dieser Koordinationssituation gefällt werden, bleiben (A1) wiederum die beiden Optionen des Vertrauens auf das Urteil von (P1) oder das Beharren auf dem formulierten Auftrag. Die Option des Vertrauens auf die Empfehlungen von (P1) besteht hier nicht nur im Vertrauen in die technische Kompetenz, das Datenvolumen abschätzen zu können. Es besteht vielmehr auch darin, (P1) die Kompetenz zuzuschreiben, die Tragweite seines Änderungsvorschlags für das Survey-Projekt insgesamt zu verstehen und dennoch die Änderung vornehmen zu wollen. Folglich existiert für (A1) auch in dieser Entscheidung wieder die Wahl zwischen der akademischen und informationsweltlichen Survey-Welt76 und der Beratungswelt als relevantem Koordinationsrahmen. Diese Entscheidung wird untermauert durch zwei damit einhergehende, grundlegende methodische Problemstellungen. Vertraut er auf das Urteil von (P1), so riskiert er den Bezug auf die Berufsklassifikationen. Orientiert er sich lediglich an der Berufsklassifikation und ignoriert dabei die Empfehlung des Projektleiters, riskiert er niedrigere Response-Raten, was den Gesamtwert der Studie schmälert. Deutlich wird hierbei also der Zwiespalt, in welchem sich der Auftraggeber befindet. Der zentrale Punkt ist jedoch nicht das Abwägen zwischen den beiden Gütern, sondern vielmehr die untrennbar damit verbundene Zuordnung von Kompetenz. Die Relevanz der Berufsklassifikation ist insofern gesetzt, als dass sie eigenen Kriterien für die Befragung entspringt. Die Problematik des Datendownloads hingegen ist untrennbar mit der Einschätzung, bzw. dem Zugeständnis der Kompetenz des Projektleiters verknüpft: Ist das Problem tatsächlich so groß wie geschildert? Ist das Problem auch für diese Art von Befragungen relevant oder gewichten die Beantwortenden den Umfragezweck höher als die aufzubringende Mehrzeit? Existieren alternative (technische) Möglichkeiten, das Datenvolumen trotz der Berufsklassifikation zu senken?
Die grundlegende Ambivalenz zwischen dem Beharren auf dem Auftrag und dem Vertrauen in die Kompetenz des Projektleiters hat eine weitere Reichweite als nur die bereits dargestellten situativen Beispiele vermitteln könnten. Dies wird in der folgenden Rekonstruktion eines Teils der Debriefing-Sitzung deutlich, bei welcher die Koordination im Hinblick auf den Fragebogen reflektiert wird. (P1) weist darauf hin, dass der Fragebogen noch einiges an Aufwand für die beteiligten Projektleiter gebracht habe. Dies begründet er damit, dass sämtliche Fragen zwar aufgelistet gewesen seien, jedoch ein Storytelling gefehlt habe. Gemeint ist damit, dass die Einleitung, die Überleitungen zwischen den verschiedenen Frageblöcken und die Verabschiedung gefehlt haben. Dieses „Storytelling“ habe die Survey-Firma in Eigenregie erstellen müssen, was für sie einen Mehraufwand und einen erhöhten Zeitdruck vor der Befragung bedeutet habe. (P1) weist darauf hin, dass es für das Befragungsprojekt insgesamt von Vorteil gewesen wäre, wenn der Fragebogen jeweils bereits in einem fertigen Zustand abgeliefert werden würde. Im Gegensatz zu (P1) ist (A1) der Meinung, dass der Fragebogen bei der Ablieferung bereits fertig war. Nach einer Diskussion um den genauen Stand des Fragebogens bei der Ablieferung kommt der Auftraggeber zum Schluss, dass der Fragebogen fertig gewesen sei, jedoch das Storytelling gefehlt hat. Auch hier wird eine Kompromissbildung zwischen der akademischen Welt und der Beratungswelt sichtbar, welche allerdings gar nicht durch (A1) intendiert wurde. Erst infolge der Diskussion wird für (A1) die Notwendigkeit des beratungsweltlichen Eingreifens durch die Survey-Firma deutlich. Obwohl nicht durch (A1) in Auftrag gegeben, hat hier die Survey-Firma zentrale Maßnahmen für ein Gelingen des Survey-Projekts unternommen, was auf einen beratungsweltlichen Aspekt hinweist.
Zu Beginn dieses Kapitels wurde das ambivalente Verhältnis von (A1) gegenüber der eigentlichen Kompetenz der Survey-Firma dargestellt. Anhand der in der ersten Koordinationssitzung und während der Abschlusssitzung diskutierten Themen des Befragungsdrucks, der Berufsklassifikation und des Storytellings wurde diese Ambivalenz rekonstruiert. Die akademische Survey-Welt und die damit zusammenhängende Akteursform des Auftraggebers kann als Grund für ein starkes Steuerungsbestreben seitens (A1) identifiziert werden. Dieses Steuerungsbestreben wird durch die beratungsweltlichen Anmerkungen und Kritiken seitens der Projektleitenden der Survey-Firma infrage gestellt, worauf durch (A1) ein allfälliger Kompromiss mit der Beratungswelt geprüft werden muss. Wie sichtbar wird, handelt es sich bei diesem Kompromiss nicht um einen grundsätzlich im Survey-Projekt angelegten Kompromiss, vergleichbar zum Fall (A), sondern um einen situativen Kompromiss bei Themen, welche insbesondere die praktische Ausführung der Erhebung betreffen. Die Survey-Firma nimmt dabei konstant die Rolle eines „Anwalts der Befragten“ ein. Dies zeigt sich einerseits in der durch die Survey-Firma vorgeschlagenen Reduzierung des Befragungsdrucks, als auch in der Einbettung des Fragebogens in ein Storytelling.
Die Analyse einerseits der Thematik des ausgeübten Befragungsdrucks auf die Befragten mittels Remindern und andererseits der Berufsklassifizierung machen deutlich, dass auch Survey-Projekte, welche den generischen Welten zugerechnet werden können, Kompromisse mit anderen Welten eingehen müssen. Wie dargestellt wurde, stellt der hier analysierte Kompromiss mit der Beratungswelt (A1) vor eine besondere Herausforderung, da diese Welt zu den Steuerungsbemühungen der generischen Welten konträr steht. Die zu Beginn durch (A1) in Ausdruck gebrachte ambivalente Haltung gegenüber unterschiedlichen Befragungsqualitäten bei unterschiedlichen Survey-Firmen drückt genau diesen schwierigen Kompromiss aus. Denn prinzipiell ist es die industrielle Steuerung der Vorgänge (Boltanski und Thévenot 2007, S. 276 ff.), welche die spezifischen Qualitäten der generischen Welten auch in der Zusammenarbeit mit den Survey-Firmen garantieren sollen. Andererseits ermöglicht ein auf das Ziel der Befragung ausgerichtetes Mitdenken aufseiten der Survey-Firma gerade, die verschiedenen Konventionen der generischen Welten auch auf Parameter der Befragung zu übertragen, bei welchen die Auftraggeber selbst zu wenig Praxiserfahrung haben.
Eine zentrale Anforderung an (A1) ist folglich die Abschätzung der Kompetenz der Survey-Firma, um eine Umsetzung der verfolgten survey-weltlichen Konventionen auch in Situationen zu gewährleisten, welche durch (A1) selbst nur ungenügend eingeschätzt werden können. Zentral ist folglich eine „Prise“ der Relevanz und der Eignung der durch die Projektleitenden der Survey-Firma vorgenommenen Vorschläge und Problematisierungen (Bessy und Chateauraynaud 2014). Der Kompromiss zwischen einer generischen Welt und der Beratungswelt besteht folglich darin, dass der Auftraggeber zwar nicht jede Entscheidung selbst steuert, jedoch einen Sinn für die Verantwortungsübergabe an die Projektleiter der Survey-Firma entwickelt. Ist dieser Sinn – beispielsweise durch fehlende Erfahrung in vergleichbaren Situationen – nicht vorhanden, läuft der Auftraggeber Gefahr, Verantwortung auch in solchen Situationen zu übergeben, in welchen die Einhaltung des verfolgten Wissensformats nicht gewährleistet ist.
Die Notwendigkeit eines Kompromisses zwischen der akademischen Welt und der Beratungswelt ist nicht unbedingt auf das fehlende „Wissen“ von (A1) zurückzuführen Survey-Projekte können als Übersetzungsketten zwischen verschiedenen Regimen betrachtet werden. Die Survey-Firma stellt in diesem Zusammenhang einen „Anwalt der Befragten“ dar. Der Grund dafür liegt darin, dass diese täglich mit der Übersetzung des Regimes des Plans und der Rechtfertigung in das Regime des Vertrauten (Thévenot 2011d) konfrontiert ist durch die hohe Zahl an Befragungen. Es ist schlussendlich diese Nähe, welche die Kompetenz der Survey-Firma im Hinblick auf das Management des Vertrauten der Befragten begründet. Trotz der vielfältigen methodischen Kenntnisse von (A1) ist dieser in seiner Funktion der Projektleitung doch weiter von den Befragten entfernt, da er nicht über einen täglichen Umgang mit dieser Übersetzung verfügt. Der Kompromiss zwischen der akademischen Welt und der Beratungswelt im Hinblick auf den Umgang mit Befragten ist folglich auch strukturell begründet.

6.2.5 Uneinigkeit über die Preiskalkulation

Die folgend analysierte Sequenz ist ein Teil der Debriefing-Sitzung des Survey-Projekts. Gegen Ende der Sitzung weist der leitende Projektleiter der Survey-Firma darauf hin, dass die Kosten höher als in der Offerte prognostiziert ausgefallen sind und folglich auch ein höherer Preis in Rechnung gestellt werden muss. Erst im weiteren Verlauf der Diskussion wird ersichtlich, dass es sich beim Fehlbetrag um ca. 15 % des ursprünglich offerierten Preises handelt. In den folgenden Ausführungen soll aus einer surveyweltlichen Perspektive rekonstruiert werden, wie dieser Fehlbetrag zustande gekommen ist und welche survey-weltliche Problematik durch diese Preisdiskussion zutage tritt.
Die Sequenz startet damit, dass (P1), (P2) und (P3) gemeinsam die Gesamtrechnung für die Befragung präsentieren. Dabei wird deutlich, dass die Rechnung teurer ausfällt als ursprünglich geplant. Sie begründen dies mit verschiedenen Punkten, bei denen sich für die Survey-Firma ein Mehraufwand ergeben hat. Als zentralen Punkt der Teuerung stellt (P1) die Konkurrenzierung der CATI-Interviews durch die vom Auftraggeber selbst durchgeführten CAWI-Interviews dar. Dies habe sich in einer niedrigeren CATI-Produktivität gezeigt.77 Die CATI-Produktivität sei folglich unterdurchschnittlich gewesen, das heißt niedriger als sie sonst bei vergleichbaren Projekten erwartet werden könnte. (A1) weist demgegenüber auf den vereinbarten Betrag im Vertrag hin. Darin seien ein Fixum und zusätzlich variable Kosten abgegolten. Er weist zudem darauf hin, dass er einen Fixbetrag haben wollte, dieser von der Survey-Firma jedoch abgelehnt worden sei.78 Abgesehen von der zusätzlichen CATI-Zeit sei er folglich nicht bereit, für die Mehrkosten aufzukommen, da er diese bereits durch den Vertrag als abgegolten betrachte. Er sei grundsätzlich von einem niedrigeren Preis ausgegangen. (P1) weist darauf hin, dass sich bei anderen Voraussetzungen auch andere Kosten ergeben. (A1) meint darauf hin, dass es dann jedoch keine Verträge mehr brauche, wenn der Preis so variabel sei. (P1) entgegnet dem, dass die Offerte die effektiv prognostizierten Kosten für die Survey-Firma abgedeckt habe, jedoch keinen Risikozuschlag beinhalte. (A1) gibt daraufhin zu bedenken, dass er in Treu und Glauben nicht von Mehrkosten ausgegangen sei. Er weist auf das Problem hin, dass er an fixe Forschungsbudgets gebunden sei, die er nicht verändern könne. Er findet aber auch, dass eine Preiserhöhung zum jetzigen Zeitpunkt grundsätzlich nicht gehe. (P1) entgegnet dem, dass die Punkte, welche zu einem Mehraufwand geführt haben, zusammen definiert worden seien. Er gehe dann davon aus, dass er die daraus entstehenden Mehrkosten immer abrechnen könne. Der Vertrag befinde sich durch ständig neue Entscheidungen immer im Fluss.
Die Passage zeigt eindrücklich den Bezug von Auftraggeber und -nehmer auf verschiedene Preiskonventionen auf. Die Survey-Firma bezieht sich hier auf einen aufwandsabhängigen Preis, welcher sich durch neue Abmachungen und einen Mehraufwand entsprechend erhöht. Er verweist darauf, dass durch Abmachungen mit dem Auftraggeber neu entstandene Aufwände höhere Kosten nach sich ziehen würden. Der Vertrag ist hier als Zeitdokument der Aushandlungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer gedacht, welches durch neue Vereinbarungen konstant erweitert und verändert wird. Wie sich hier auch zeigt, ist deswegen für den Auftragnehmer auch kein Risikozuschlag notwendig, da er gemäß dieser Konvention sämtliche anfallenden Kosten direkt abrechnen kann. Der Auftraggeber bezieht sich jedoch auf einen festen Preis, dessen Leistung der Auftragnehmer gemäß dem unternehmerischen Risiko tragen muss. Der Preis ist hier die feste Leistung, welcher der Kunde aufbringen muss, für den er aber auch ein Produkt einkauft. Die Kalkulation der Leistung kommt dabei dem Auftragnehmer zu, welcher dafür schauen muss, dass er für den vereinbarten Preis gewinnbringend arbeiten kann. Deutlich wird, dass sich die unterschiedlichen Preis- und Vertragskonzeptionen bei der Verteilung des finanziellen Risikos und damit auch in der Kalkulation eines Risikozuschlags unterscheiden. In der Dienstleistungswelt kommt dieses Risiko dem Auftragnehmer zu, während es in der akademischen Welt der Auftraggeber trägt. In der akademischen Welt kommt folglich dem Auftraggeber die Aufgabe zu, die Kosten der Befragung zu Steuern und in den gesetzten Grenzen zu halten.
Bei einer genauen Analyse des Gesprächsverlaufs wird jedoch noch ein weiterer Punkt klar. Der Bezug auf Survey-Welten als Koordinationsrahmen ist über die Zeit nicht konstant, sondern scheint in gewissem Masse einer Wellenbewegung zu gleichen. Dies wird deutlich, wenn die Koordinationseigenheiten des Survey-Projektes zu verschiedenen Zeitpunkten miteinander verglichen werden. In der ersten Koordinationssitzung werden die grundlegenden Abläufe des Survey-Projektes geklärt. Dabei wird ersichtlich, dass das Projekt stark durch die Akteursform des Auftraggebers charakterisierbar ist. Wie bereits erwähnt muss diese Auftraggeberperspektive jedoch mit der Preiskonvention der Dienstleistungswelt – des im Vornhinein festgelegten Preises – in Einklang gebracht werden. Eine Bedingung dafür, dass dies überhaupt möglich ist, stellt die genaue Abschätzung des Auftrags und dessen preislicher Konsequenzen dar. Erst in späteren Dokumentationen wird deutlich, dass sich die vom Auftraggeber vorgeschlagene Konvention des festen Preises anscheinend nicht halten konnte und in einen festen Preis mit zusätzlich explizierten variablen Anteilen umgewandelt wurde.
Während des Fortgangs des Survey-Projektes scheint sich jedoch die Koordinationsform stärker in Richtung eines Kompromisses zwischen der akademischen Welt und der Beratungswelt zu verschieben. Maßgeblich ist dabei immer noch die Akteursform des Auftraggebers, wonach also der Käufer eine umfassende Steuerung des Survey-Projekts vornimmt. Die Survey-Firma hingegen stellt die ausführende Instanz dieser Aufträge dar. Das Projekt wird jedoch während des Fortgangs des Survey-Projektes durch Aspekte der Beratungswelt ergänzt. Dies wird sichtbar bei einer genaueren Beobachtung der Fragebogenerstellung. Aus Sicht der Survey-Firma wurde der Fragebogen im Hinblick auf das Storytelling unfertig abgeliefert. Dies wird auch durch den Leiter des Survey-Projektes akzeptiert. Die Survey-Firma muss hier folglich eine im Vertrag nicht festgelegte Leistung erbringen, welche so nicht absehbar war.
In der Abschlusssitzung will daraufhin (P1) die durch die verschiedenen Aufträge und Änderungen entstandenen Mehrkosten abrechnen. Daraufhin entsteht der oben beschriebene Konflikt um den zu zahlenden Preis. Deutlich wird hier, dass sich beide Parteien auf unterschiedliche Konventionen hinsichtlich des Preises beziehen. Die eigentliche Spannung hat dabei die Survey-Firma aufzulösen: Einerseits ist sie an einen mehr oder weniger stark festgelegten Preis gebunden, andererseits ist sie mit Änderungsvorschlägen und anderen Voraussetzungen wie der notwendigen Einarbeitung eines Storytellings in den Fragebogen konfrontiert.
Sichtbar wird in der rekonstruierten Preisdiskussion die fehlende Objektivität der Preisfestlegung und des Vertragsabschlusses. Denn einerseits ist zu beobachten, dass der Konflikt um den zu zahlenden Preis ausbricht, obwohl in der Briefing-Sitzung, wie auch in späteren Situationen der Preis und dessen Berechnung ein wiederholtes Thema der Aushandlung zwischen der Survey-Firma und dem Auftraggeber waren. Andererseits ist es bemerkenswert, dass während dem Preiskonflikt niemand direkt auf den Vertrag verweist oder den Vertrag während der Diskussion zu Rate zieht. Erkennbar wird dadurch die Interpretativität des Vertrags und des Rechts, welche erst durch den Bezug auf Konventionen ihren spezifischen Sinn erhalten (Reynaud 2005, S. 850; Thévenot 1992b). Der Vertrag dient dabei zwar als Dispositiv, kann jedoch Sachverhalte nicht frei von einer interpretativen Basis festlegen (Diaz-Bone 2018, S. 284 f.). Es ist genau diese interpretative Basis, welche den Diskussionsgegenstand zwischen (A1) und (P1) darstellt.
Zudem wird eine Verschiebung der survey-weltlichen Koordinationsgrundlagen über das Projekt hinweg sichtbar, ohne dass dies eine angepasste Preisfestlegung zur Folge hat, was schlussendlich in die Konfliktsituation am Ende des Projekts führt. So wird zu Beginn ein Kompromiss zwischen der Dienstleistungswelt und der akademischen Welt vereinbart, wonach ein fixer Preis die Ansprüche des Auftraggebers abdecken soll. Während der Projektbearbeitung werden jedoch beratungsweltliche Aspekte dieses Survey-Projekts sichtbar, wie etwa das Erstellen eines Storytellings durch die Survey-Firma. Zusätzlich werden gemäß (P1) Veränderungen am Auftrag vorgenommen, d. h. es findet ein Bezug auf die akademische Konvention der konstanten (direkten) Steuerung durch den Auftraggeber statt. Beide survey-weltlichen Koordinationsrahmen werden jedoch nicht auf den zu Beginn festgelegten Preiskompromiss zwischen der Dienstleistungswelt und der akademischen Welt bezogen. Es ist schlussendlich diese uneinheitliche Handhabung der Preiskonvention über das Projekt hinweg, welche den dargestellten Konflikt auslöst. Dies ist insofern bedeutend, da es aus der Perspektive der Survey-Welten nicht die erst am Ende des Projekts erfolgende Festlegung des Preises ist, welche problematisch ist. Eine solche Preisfestlegung erscheint beispielsweise aufgrund dem stark prozesshaften Vorgehen der Beratungswelt, aber auch in den generischen Welten durch die direkte Steuerung des Auftrags durch den Auftraggeber vielmehr angebracht, da in diesen Welten der tatsächliche Aufwand für die Survey-Firmen nur schwer abschätzbar ist. Die Grundproblematik des Preiskonflikts liegt folglich im uneinheitlichen Bezug der beiden Parteien auf Preiskonventionen.
Eine methodische Problematik der Preisdiskussion ergibt sich hier erst mittelbar. Wie bereits dargestellt, trägt die Notwendigkeit des beratungsweltlichen Eingreifens der Survey-Firma in das Storytelling des Fragebogens zum Preiskonflikt bei, da hier Leistungen durch die Survey-Firma erbracht werden, welche vertraglich nicht vereinbart wurden. Dennoch trägt diese Leistung zum methodischen Gelingen, d. h. in diesem Fall insbesondere zur Validität, aber auch zu einer höheren Response-Rate bei, indem eine kontextuelle Einbettung des Fragebogens stattfindet, welche das Verständnis für den Sinn des Fragebogens erhöht. Eine Preiseinigung zu Ungunsten der Survey-Firma kann so zum Effekt haben, dass sich die Survey-Firma in Zukunft strikt auf die Funktion der Survey-Firma in der akademischen Welt beschränkt (vgl. Abschn. 5.​5), d. h. sich nur noch als Ausführende von Aufträgen des Auftraggebers betrachtet. In einem solchen Fall würde sie folglich ihre Funktion als „Anwalt des Befragten“ wie in dem hier untersuchten Projekt hinter sich lassen. Dadurch kann die Problematik entstehen, dass die Auftraggeber durch ihre höhere Distanz zu den Befragten nur eine mangelhafte Übersetzung des Fragebogens und der Kontaktierung in das Regime des Vertrauten leisten können, was eine mangelhafte Validität der Daten mit sich ziehen kann.

6.2.6 Die Festlegung der Anzahl Kontaktversuche

Der folgende Abschnitt thematisiert den Umgang von (A1) mit Standesregeln des VSMS.79 Deutlich wird im Hinblick auf die Regeln betreffend der maximalen Anzahl an Anrufen einerseits und betreffend Sonntagsanrufen im Speziellen andererseits ein Konflikt mit der methodischen Anlage des hier behandelten Survey-Projekts. Dieser Konflikt wurde bereits in der Koordinationssitzung mit der Hotline-Firma ersichtlich, in welcher (A1) (SM) den Befragungsplan erklärte und dabei auch auf den Konflikt mit den Standesregeln des VSMS hinwies. Im Interview bekräftigt und begründet (A1) den Entscheid für einen Verstoß gegen die VSMS-Standesregeln. Die folgend diskutierte Sequenz des Interviews mit (A1) wird eröffnet durch die Darstellung des Verhältnisses zwischen der Ausrichtung des Survey-Projekts und allgemeinen ethischen und rechtlichen Grundsätzen der Befragung:
A1:
Also, wir haben natürlich schon ein grundsätzliches Interesse an, uns an ethische Grundsätze und und die dann auch in Standesregeln sind, umgesetzt sind, natürlich uns an die zu halten. Datenschutzgesetze, das ist natürlich für uns auch essentiell. Oder? Äh, umgekehrt haben wir natürlich auch ein Interesse, uns abzuheben, von was so Marktforschung und so alles läuft, das ist für uns dann natürlich nicht ein sinnvoller Referenzrahmen.
Einerseits macht (A1) hier deutlich, dass sich das Survey-Projekt grundsätzlich an ethischen Grundsätzen, den Standesregeln des VSMS und Datenschutzgesetzen orientiere. Gleichzeitig nimmt er aber eine Distanzierung zu den Praktiken und Grundsätzen der Marktforschung vor, welche er nicht als angemessene Referenz für das eigene Survey-Projekt betrachtet. In der Folge führt er den Zweck von Standesregeln aus seiner Sicht aus:
A1:
Also, aber ich denke, diese ethischen Standesregeln, die haben ja einen Zweck, eben der Zweck ist, dass man, dass man die Last die Bürde, die die Befragten tragen müssen, dass man die möglichst minimiert, oder dass man rechtfertigen kann mit diesen Dingen, Untersuchungsobjekten, eine, äh, eine eine gewisse Belastung zuzumuten. Der Grundsatz ist natürlich schon, dass die Belastung durch eine Befragung, dass das grundsätzlich eigentlich sehr gering ist, oder? Also wir geben den Leuten ja die Möglichkeit zu sagen, ich will da nicht mitmachen, äh.
Als zentralen Zweck der VSMS-Standesregeln identifiziert (A1) die Reduktion der Last der Befragten, d. h. des Befragungsdrucks. Zugleich sieht er in den Standesregeln auch eine Legitimationsquelle gegenüber den Befragten. Die Reduktion der Befragungslast sieht er dabei auch als grundlegendes Ziel des eigenen Survey-Projekts.
Ohne dass (A1) spezifisch darauf eingeht, tritt hier die Problematik der VSMS-Standesregeln hervor. Einerseits sollen diese die Last der Befragung für die Befragten minimieren. Deutlich wird hierbei ein klassisches Allmende-Problem. Während die einzelnen Survey-Projekte eher ein Interesse daran haben, die Last der Befragten infolge von mehr und längeren Fragen zu erhöhen, so hat das Kollektiv der VSMS-Mitglieder ein Interesse daran, diese Last zu minimieren, bzw. zwischen den verschiedenen Survey-Projekten gleichmäßig zu verteilen. Dahinter steckt das Problem, dass in den meisten westlichen Staaten ein steigendes Befragungslevel existiert (Schnell 2012, S. 12 ff.). Es besteht folglich das Risiko, dass eine höhere Nachfrage nach Befragungsdaten besteht, als die Befragten bereits sind, bei Befragungen mitzumachen. Standesregeln stellen deshalb auf der staatsbürgerlichen Rechtfertigungsordnung aufbauende Formen dar, welche das kollektive Interesse der im VSMS vertretenen Survey-Firmen an einer Befragungsakzeptanz in der Schweizer Bevölkerung erhalten sollen, indem verschiedene Regeln definiert werden, welche die Last der Befragten minimieren sollen. Sichtbar wird in dieser Forderung das Zurücktreten von individuellen Wünschen hinter ein kollektives Interesse, was gerade charakteristisch für die staatsbürgerliche Rechtfertigungsordnung ist (Boltanski und Thévenot 2007, S. 254 ff.). Andererseits sollen die Standesregeln des VSMS minimale methodische Standards der Befragung sicherstellen, welche der Legitimation gegenüber den Kunden von im VSMS vertretenen Survey-Firmen, der Öffentlichkeit im Hinblick auf die Wertigkeit der durch eine Befragung produzierten Daten und schlussendlich auch gegenüber den Befragten dienen (Verband Schweizer Markt- und Sozialforschung 2013) Die Kommunikation von minimalen methodischen Standards soll es gemäß (A1) ermöglichen, dass ihnen die Legitimität der Befragung kommuniziert und glaubhaft vermittelt werden kann. (A1) zeigt sich grundsätzlich bereit, sich ebenfalls am Kollektivprojekt des VSMS zu beteiligen. Im folgenden Zitat nennt er jedoch Ausnahmen von dem generellen Interesse an dieser Beteiligung:
A1:
Dann gibt’s einfach gewisse Standesregeln. Wo man sich fragen muss, ja gut ok, das ist so etwas äh, etwas ein Problem für uns. Zum Beispiel eben die Anzahl der Anrufe. […] Also ich meine, das ist ja meines Wissens die einzige, die wir wirklich quasi überschritten haben. Weil einfach wir gesagt haben, also einfach zehn Anrufe ist einfach schon wahnsinnig wenig. Also das kannst du fast einfach nicht mehr, oder gerade wenn du lange Befragungszeiten hast. Das geht, wenn du sagst, wir bolzen Interviews in einer Woche und und die Response-Rate ist ist einfach uns völlig egal. Und wenn du aber sagst, äh, nein, das ist wichtig, dann sind 10 Anrufe schon wahnsinnig wenig, oder? Da muss man überlegen, das sind quasi, zwei Anrufe, das sind ja Versuche he, zwei Anrufe, Versuche, pro Tag für fünf Tage, das ist nichts, oder?
(A1) erwähnt hier die aus seiner Sicht für das Survey-Projekt problematische Regel der Begrenzung von Kontaktversuchen. Diese ist gemäß dem VSMS auf maximal zehn Anrufe begrenzt, d. h. eine Adresse darf maximal zehn Mal kontaktiert werden. Er verweist dabei darauf, dass diese Regelung nur für diejenigen Fälle Sinn mache, in denen die Response-Rate nicht einen zentralen Qualitätsfaktor der Befragung ausmache. (A1) identifiziert „hinter“ dieser Regel folglich eine im Vergleich zu dem von ihm geleiteten Survey-Projekt unterschiedliche Qualitätslogik. Hierbei lässt sich auf die in Abschn. 5.​3 von (A1) identifizierte marktweltlich-meinungsweltliche Qualitätslogik der Dienstleistungswelt verweisen, welche sich stark an der reinen Anzahl Anrufe orientiert und eben gerade nicht an der Response-Rate. Es zeigt sich nun, dass die vom VSMS initiierten Standesregeln keine rein methodischen Standards darstellen im Sinne der Survey-Pragmatik. Vielmehr fließen survey-weltliche Konventionen in die Definition der Standesregeln mit ein, d. h. die Standesregeln sind durch die Eigenheiten der verschiedenen Wissensformate und survey-weltlichen Konventionen beeinflusst. Die Standesregeln stellen so auf survey-weltliche Konventionen Bezug nehmende Formen dar, welche eine spezifische Qualität von Befragungen sicherstellen sollen. Die Kritik durch (A1) basiert folglich nicht lediglich auf einem Voranstellen des eigenen Projektvorteils vor die durch den VSMS definierten Kriterien der Anzahl Kontaktversuche, sondern in einer Kritik der Qualitätslogik hinter den VSMS-Kriterien. Wie in Abschn. 5.​3 dargestellt wurde, stellt der Rückgriff der Dienstleistungswelt auf die Anzahl der Befragten und zusätzlich auf Quoten eine auf der markt- und meinungsweltlichen Rechtfertigungsordnung aufbauende Qualitätslogik dar (Boltanski und Thévenot 2007, S. 245 ff.), wohingegen deutlich wurde, dass (A1) eine industrieweltliche Qualitätsperspektive einnimmt (Boltanski und Thévenot 2007, S. 276 ff.). Die Kritik und die sich daraus ergebende Nichtbeachtung der hier diskutierten VSMS-Standesregel kann ebenfalls als Ergebnis der Mobilisierung dieser unterschiedlichen Rechtfertigungsordnungen gelesen werden. Dabei wird sichtbar, dass die von (A1) an den von ihm beauftragten Survey-Firmen vorgenommene Kritik bezüglich deren Orientierung an absoluten Befragtenzahlen und Quoten nicht lediglich individuelle Orientierungen – bzw. aus Sicht von (A1) Probleme – darstellen, sondern als kollektive definierte Regeln für die gesamte Branche wiederzufinden sind. An der von (A1) vorgenommenen Kritik wird deutlich, dass dieser eine Erhöhung der Anzahl Kontaktierungen für methodisch sinnvoll hält, um eine höhere Response-Rate erzielen zu können. Im folgenden Zitat wird jedoch ersichtlich, dass andere Argumente gegen eine massive Erhöhung der Kontaktierungsversuche existieren:
A1:
Und dass wir dann sagen, also ok, da gehen wir höher. Und das ist ee eben ein Problem geworden, aber auch in jüngster Zeit überhaupt, weil die Leute sehen, wer angerufen hat und dass es die gleiche Nummer ist, also da haben wir schon jetzt gesagt, da müssen wir runter kommen. Aber auf zehn kommen wir sicher nicht runter, abe da haben wir sagen wir, ja ok, wir haben Qualitätsanforderungen, die halt in diesem Graubereich sind. Und wo wir sagen können, die begründen eine Ausnahme von dieser Standesregel. Oder dass man sagt, äh, das das ist auch so festgehalten in der Begründung, wenn etwas begründen kann, kann man natürlich irgendetwas machen, oder?
(A1) zieht hier den Schluss, dass aus seiner Qualitätsperspektive eine Erhöhung der Kontaktierungsversuche und darauf folgend ein Bruch mit den Standesregeln – bzw. eine Ausnahme davon – des VSMS notwendig und angebracht ist. Dabei wird sichtbar, dass die vom VSMS definierte Regel Ausnahmen explizit vorsieht, solange diese methodisch begründbar sind (Verband Schweizer Markt- und Sozialforschung 2013) Zugleich erwähnt (A1) jedoch, dass er trotzdem eine Obergrenze für die Anzahl Kontaktierungsversuche einführen will. Als Argument für eine Beschränkung bringt er ein, dass die kontaktierten Personen infolge von technischen Fortschritten die Kontaktierungsversuche digital mitverfolgen können, was für Befragungen mittlerweile zu einem Problem geworden sei. Ohne dass (A1) im Gespräch eine absolute Anzahl an maximalen Kontaktversuchen nennt, wird nun deutlich, dass sich diese Anzahl aus einem Kompromiss zwischen zwei unterschiedlichen Logiken zusammensetzt.80 Einerseits besteht das auf der industriellen Rechtfertigungsordnung aufbauende Interesse an einer möglichst hohen Kontaktierungsrate. Andererseits besteht gemäß (A1) ein Problem darin, wenn die Befragten zu viele Kontaktierungsversuche nachvollziehen können. Regimetechnisch lässt sich dieser zweite Punkt als Management des Vertrauten von kontaktierten Personen beschreiben. Kontaktierungen durch anonyme Telefonanrufer stellen demgemäß einen Eingriff in das Vertraute dar, welche dessen spezifisches Gut der Annehmlichkeit bedrohen (Thévenot 2011d, S. 266 f.). Interessanterweise findet infolge moderner Telefongeräte eine zeitliche Ausdehnung des Raums des Vertrauten statt, da es diese Telefongeräte erlauben, auch versuchte Telefonanrufe in Abwesenheit sichtbar zu machen. Es ist diese zeitliche Verschiebung, auf welche (A1) durch eine Senkung der Kontaktierungsversuche zu reagieren versucht.
In den vorangehenden Ausführungen wurde der Umgang von (A1) mit den Standesregeln des VSMS bezüglich der Anzahl Kontaktierungsversuche analysiert, sowie sich daraus ergebende Anschlussfragen bezüglich der Festlegung der Anzahl Kontaktierungsversuche. Drei Punkte sind hierbei für eine survey-weltliche Betrachtung von Survey-Prozessen zentral. Zunächst wurde deutlich, dass die durch den VSMS erstellten Standesregeln keine rein methodischen Regeln darstellen. Erst durch den Bezug auf survey-weltliche Konventionen erhalten diese ihren spezifischen Sinn und Zweck. Es ist exakt diese survey-weltliche Grundlage, welche durch (A1) kritisiert wird und welche von ihm als unpassend für das eigene Survey-Projekt eingeschätzt wird. Sichtbar wird dadurch die von der EC angenommene Interpretativität von Regeln. Diese werden nicht lediglich als externe Constraints betrachtet, sondern auf Konventionen bezogen und erhalten auf dieser Basis ihre spezifische Bedeutung (Diaz-Bone 2012, S. 69 ff.; Favereau 1989a, S. 294 ff.). Im vorliegenden Fall bezieht (A1) die Regel bezüglich der Anzahl Kontaktversuche auf die Beratungs- und Dienstleistungswelt. Diese Interpretation wird durch den Kompromisscharakter der Regelung unterstützt, welche methodisch begründete Ausnahmen vorsieht. Da der VSMS nicht lediglich eine Survey-Welt zu vertreten und zu reglementieren gedenkt, sondern sich als Vereinigung von Survey-Firmen sieht, welche ihrerseits in verschiedenen Survey-Welten tätig sind, ergibt sich das Problem einer Regelung, welche in den verschiedenen unterschiedlichen Survey-Welten Sinn macht. Dieses wird vom VSMS durch eine Ausnahmeregelung erreicht, welche in methodisch begründeten Ausnahmefällen eine Abweichung von der Regel ermöglicht. Die Gewährung einer Ausnahmeregelung der Anzahl Kontaktierungsversuche zeigt auf, dass der VSMS bemüht ist, die Kontaktierungsregel als Kompromissobjekt zu erstellen, welche für verschiedene survey-weltliche Qualitätslogiken tauglich ist, bzw. nicht gewisse Survey-Welten systematisch benachteiligt (Boltanski und Thévenot 2007, S. 373). Wie infolge der Kritik und der Auseinandersetzung von (A1) mit der Regel bezüglich der maximalen Anzahl Kontaktierungsversuche zudem deutlich wird, hängt die schlussendliche Survey-Qualität nicht alleine von der technischen Kompetenz von (A1) ab. Entscheidend ist zudem eine rechtfertigungsbasierte Argumentationskompetenz von (A1) im Umgang mit der VSMS-Regel. Ist es diesem nicht möglich, die Ausnahme von der Regel zu begründen, so hat dies direkte methodische Konsequenzen in Form einer tieferen Response-Rate, welche ein zentrales Qualitätskriterium der akademischen und informationsweltlichen Survey-Welt ist. Die Bedeutung dieser Kompetenz würde allerdings noch stärker ins Gewicht fallen, wenn der VSMS keine Ausnahmeregelung vorsehen würde und (A1) intensives Lobbying betreiben müsste, um die akademische Konventionen der Survey-Forschung gegenüber VSMS-Regeln durchsetzen zu können. Die Festlegung der Anzahl Kontaktierungsversuche stellt sich nicht alleine als technisches oder betriebswirtschaftliches Problem dar. Wie ersichtlich wurde, muss auch das Vertraute und die Annehmlichkeit von den kontaktierten Personen reflexiv durch (A1) gemanagt werden. Diese Problematik hat sich durch den technischen Wandel hin zur digitalen Telefonie verschärft, da für die kontaktierten Personen auch Anrufe in ihrer Abwesenheit sichtbar werden. Hierbei wird wie bereits schon in den vorherigen Unterkapiteln deutlich, dass der Übersetzungsleistung zwischen den verschiedenen Regimen des Engagements eine hohe Bedeutung in der Survey-Praxis zukommt (Thévenot 2011e, S. 14 ff.). Zentral ist dabei, eine Übersetzung des Plans in die Annehmlichkeit der Befragten zu erreichen.

6.2.7 Fazit

Zunächst zeigt sich das hier untersuchte Survey-Projekt als besondere Herausforderung für die Survey-Firma, wie dies durch (A1) deutlich gemacht wird. Denn im Gegensatz zum Großteil der durch Survey-Firmen durchgeführten Survey-Projekte wird hier eine hohe Transparenz des Befragungsprozederes gefordert. Mittels verschiedener Maßnahmen wird zusätzlich durch den Auftraggeber selbst die Einhaltung methodischer Standards überprüft. Zum Einsatz kommen hierbei nebst der persönlichen Anwesenheit von Projektleitenden des Auftraggebers während der telefonischen Befragung auch Keystroke-Files und ein Abgleich der Stichprobendaten mit den durch die Survey-Firma erhobenen Daten. Insbesondere im Hinblick auf die Nutzung von Keystroke-Files wird eine spezifische Koordinationsform erkennbar. Denn diese Form der Überwachung könnte durchaus auch durch andere Kunden von Survey-Firmen verwendet werden, was jedoch nicht der Fall ist. Das Vorhandensein intensiver Steuerungsbemühungen zusammen mit den erwähnten Kontrollinstrumenten zeigt den Bezug auf die Konventionen der generischen Welten. Im Gegensatz zu den gewidmeten Welten findet hier eine Umkehrung des Expertenstatus von den Survey-Firmen hin zu den Auftraggebern statt. Das von (A1) genannte Qualitätskriterium der Transparenz kann deshalb als Qualitätskriterium gelesen werden, welches diese umfassende Steuerung durch den Auftraggeber ermöglichen soll.
Deutlich wird aber auch, dass die Intention einer umfassenden Steuerung nicht als lediglich andersartige mentale Orientierung missverstanden werden darf. Denn einerseits gehen mit den Steuerungsabsichten höhere Ansprüche an die Kompetenzen des Auftraggebers einher. Dies wurde als Steuerungskompetenz im Gegensatz zu einer reinen Angebotskompetenz wie in der Dienstleistungswelt bezeichnet. Es würde folglich für eine erfolgreiche Steuerung des Survey-Prozesses durch (A1) nicht ausreichen, verschiedene Angebote oder Offerten miteinander vergleichen zu können. Vielmehr muss er einerseits über umfassende methodische Kenntnisse verfügen, um die Methodik der Erhebung überhaupt steuern zu können. Für eine erfolgreiche Koordination ist es darüber hinaus jedoch zentral, dass er die organisationalen Prozesse der Survey-Firmen kennt, um die Übersetzung des von ihm formulierten Auftrags in organisationale Prozesse mitzugestalten und so eine umfassende Kontrolle über die praktische Umsetzung seines Auftrags gewährleisten zu können. Dabei wurde argumentiert, dass der Wechsel von einer Angebots- zu einer Steuerungskompetenz jedoch zusätzlich mit einem Regimewechsel verbunden ist. Die Dienstleistungswelt wurde als Welt der Marktformen konzipiert, in welcher die Kommunikation zu den hier erteilten Survey-Aufträgen auf ebendiesen Marktformen aufbaut. Dies ermöglicht eine hohe Reichweite der hier verwendeten Parameter und Qualitätskriterien von Survey-Projekten, was jedoch auf Kosten einer umfassenden Spezifizierung der Aufträge erkauft wird (vgl. auch Abschn. 5.​3). Die in dieser Welt stattfindende Kommunikation kann folglich als manifest verstanden werden, da sie auf etablierte, verallgemeinerte Formen aufbaut (Thévenot 1984). Der im vorliegenden Survey-Projekt rekonstruierte Anspruch einer umfassenden Steuerung des Auftrags gemäß den spezifischen Vorgaben des Auftraggebers steht demgegenüber vor dem Problem, dass hier kein Rückgriff auf diese allgemeinen Formen stattfinden kann. Es wurde deshalb argumentiert, dass ein Rückgriff auf das Vertraute der Projektleitenden und Mitarbeitenden der Survey-Firma unerlässlich ist, um die sinngemäße Umsetzung des Survey-Projekts gewährleisten zu können. In diesen Zusammenhang wurde auch die durch (A1) angestrebte positive Fehlerkultur gesetzt, da es diese Art des Umgangs ermöglichen soll, eine konstante Re-Justierung der „Handhabung“ (Breviglieri 2004) des spezifischen Auftrags gewährleisten zu können. Es ist folglich erst der Bezug auf das Vertraute der beauftragten Personen, welche eine Einsicht in deren (individuelles) Verständnis des Auftrags ermöglicht, welche grundlegend durch die Unmöglichkeit des Bezugs auf etablierte (Markt-)Formen der Survey-Forschung notwendig wird. Damit wird die Notwendigkeit einer reflexiven Steuerung durch (A1) deutlich. Um eine erfolgreiche Umsetzung seines Survey-Projekts durch die Survey-Firma gewährleisten zu können, ist die Kenntnis von anderen Koordinationsrahmen, d. h. anderen Survey-Welten, von großem Vorteil. Denn dies ermöglicht ihm, potenzielle Fallstricke der Umsetzung seines Survey-Projektes vorauszusehen und gezielt Vorkehrungen zu treffen, welche eine Umsetzung des Survey-Projekts gemäß den eigenen Vorgaben ermöglicht.
Dass der Wechsel zur auf der akademischen Welt basierenden Koordinationsform nicht lediglich mentaler Natur ist, wird jedoch noch an anderen Punkten ersichtlich. So ist es für die Verwendung von Keystroke-Files beispielsweise notwendig, dass die durch die Survey-Firma eingesetzte Befragungssoftware überhaupt fähig ist, solche zu produzieren. Obwohl dies infolge eines intern stattfindenden Qualitätsmanagements wohl für die allermeisten der gängigen Befragungssoftware der Fall sein wird, wird dennoch der materielle und technische Aspekt von verschiedenen Koordinationsrahmen sichtbar. Denn um überhaupt Käufer als „Auftraggeber“ gewinnen zu können, ist eine Investition in Formen durch die Survey-Firmen unerlässlich (Thévenot 1984), welche das Steuerungsbegehren erst ermöglichen. Ein Beispiel für eine solche Investition stellt der Erwerb einer Befragungssoftware dar, welche die Ausgabe von Keystroke-Files unterstützt.81
In verschiedenen Situationen des Survey-Projekts wurde jedoch auch sichtbar, dass der grundlegende akademische Koordinationsrahmen Kompromisse mit anderen Survey-Welten eingehen muss. Zentral ist dabei die Briefing-Sitzung zwischen Auftraggeber und Survey-Firma zu Beginn des Survey-Projekts. Bei der Planung des Erhebungsprozesses werden durch (P1) und weitere Projektleiter Änderungen im Hinblick auf den Befragungsdruck, aber auch auf die Verwendung der Berufsklassifizierung bei Befragungen auf Basis von Smartphones vorgeschlagen, welche schlussendlich durch (A1) schlussendlich auch akzeptiert werden. Während dieser Sitzung wird von (A1) zudem eine höhere Transparenz der Laborplanung im Vergleich zu einer vorhergehenden Zusammenarbeit angemahnt. Dem wird durch (P1) jedoch entgegnet, dass die Laborplanung schwierig zu vermitteln und damit transparent zu machen sei, da viele Steuerungsparameter existierten. In der De-Briefing-Sitzung wird schlussendlich durch (P1) kritisiert, dass der Fragebogen unfertig in Bezug auf das Storytelling angeliefert worden sei. Alle diese Beispiele machen deutlich, dass der Steuerungsanspruch des Survey-Projekts hier auf eine Fach- und Praxiskompetenz der Survey-Firma trifft. Im Hinblick auf die Reduktion des Befragungsdrucks und die Implementation der Berufsklassifizierung werden dabei Empfehlungen der Projektleitenden der Survey-Firma angenommen und umgesetzt. Im Hinblick auf die Laborplanung stimmt (A1) nur widerwillig der Komplexitätsproblematik der Steuerung zu. Das fehlende Storytelling schlussendlich wird umgesetzt und erst bei der De-Briefing-Sitzung als Leistung der Survey-Firma ersichtlich. Damit werden beratungsweltliche Aspekte des Survey-Projekts erkennbar. Die Übernahme von Entscheidungen im Survey-Projekt durch die Survey-Firma als Prinzip der Beratungswelt steht jedoch in einem Konflikt zur Steuerungsabsicht des Auftraggebers in den generischen Survey-Welten. Dies macht das Zögern von (A1) in den verschiedenen genannten Beispielen verständlich, auf das Urteil der Projektleitenden der Survey-Firma zu vertrauen.
Insgesamt wird deutlich, dass selbst ausgeprägte akademische Survey-Projekte, wie das vorliegende eines darstellt, durch einen Kompromiss zwischen verschiedenen Welten gekennzeichnet sein können. Die Existenz von Kompromissen mit beratungsweltlichen Konventionen der Survey-Produktion an den genannten Stellen ist dabei kaum ein Zufall. Denn einerseits attestiert (A1) der Survey-Firma gerade eine Praxiskompetenz im Hinblick auf die praktische Organisation der Erhebung, insbesondere für die Durchführung von Mixe-Mode-Studien. Dies ist auch der Grund, warum (A1) einer vollständig eigenständigen Umsetzung eines solchen Survey-Projekts ambivalent gegenübersteht. Andererseits ergibt sich durch den konstanten Umgang der Projektleiter der Survey-Firma mit Befragten ein großer Erfahrungsschatz im Hinblick auf den Umgang mit Befragten. Auf diese Kompetenz setzt auch (A1), was bei den Themen „Reminder“ und „Berufsklassifizierung“ im Kompromiss mit der Beratungswelt mündet.
Damit wird auch sichtbar, dass sich die Befragung als Übersetzungsleistung zwischen verschiedenen Regimen verstehen lässt (Thévenot 2011d). Denn einerseits muss die Befragung, welche infolge der Absicht der Produktion von Daten mit einer hohen Reichweite, d. h. einer allgemeinen Gültigkeit, auf das Regime der Rechtfertigung abzielt, in eine konkrete Umsetzung übersetzt werden. Hierbei findet eine Übersetzung in das Regime des Plans statt, welche die beschriebenen Herausforderungen an (A1) evoziert. Weiter findet aber eine zweifache Vermittlung an das Regime des Vertrauten der Befragten statt (Thévenot 2011d, S. 266 ff.), wie sich an der Diskussion zwischen (A1) und den Projektleitern der Survey-Firma ablesen lässt: Zunächst muss überhaupt im Vertrauten ein Zugang zu den Personen gefunden werden, sodass sich diese auf die Befragung einlassen. Unterschiedliche Meinungen für eine gute Strategie hierfür existieren zwischen (A1) und den weiteren Projektleitern des Auftraggebers und den Projektleitern der Survey-Firma im Hinblick auf den Einsatz und die Staffelung von Remindern. Hier schließt sich (A1) schlussendlich der Position der Survey-Firma an, wonach die ursprüngliche Staffelung zu eng und damit einen negativen Effekt auf den Zugang zu den Befragten zu Folge haben würde. Es findet jedoch noch eine zweite Vermittlung an das Vertraute der befragten Personen statt, wobei wiederum ein Konflikt zwischen den Projektleitenden der Survey-Firma und (A1) im Hinblick auf die Notwendigkeit und die genaue Art der Vermittlung der Befragung an das Regime des Vertrauten existiert. Wie dargestellt, kritisiert insbesondere (P1) das fehlende Storytelling des vom Auftraggeber angelieferten Fragebogens in der De-Briefing-Sitzung. Diese Ansicht wird von (A1) in der Folge geteilt. Dabei wird deutlich, dass hierbei das Problem nicht in der Fragestellung an sich, sondern deren Vermittlung an die Befragten darstellt. Beide Elemente der Vermittlung machen sichtbar, dass ein spezifischer Zugang zu den Befragten gefunden werden muss. Zudem wird erkennbar, dass die Survey-Firma sensibler in Bezug auf die Vermittlung der Befragung an das Vertraute der Befragten agiert. An verschiedenen Stellen nimmt die Survey-Firma die Rolle eines „Anwalts der Befragten“ in der Diskussion mit dem Auftraggeber ein. Diese Rolle der Survey-Firma wird auch von (A1) anerkannt und dieser stützt sich in verschiedenen Entscheidungen auf die Vorschläge der Survey-Firma zu dieser Übersetzungstätigkeit. Interessant ist diese Feststellung deshalb, da sich (A1) selbst eine höhere generelle Methodenkompetenz im Hinblick auf die Kenntnis des aktuellen Forschungsstandes zuschreibt. Die Kompetenz der Survey-Firma im Hinblick auf das Management der Übersetzungsleistung der Befragung ins Vertraute scheint folglich kaum auf einem expliziten Wissen zu basieren, sondern kann mit Michael Polanyi als implizites Wissen verstanden werden (1985), bzw. eben als vertrautes Wissen (Thévenot 2011d). Die Projektleitenden zeichnen sich folglich nicht unbedingt durch ein umfassenderes, explizites Wissen zur Übersetzung der Befragung ins Vertraute der Befragten aus, sondern vielmehr durch ein auf ihrer Nähe und dem täglichen Umgang mit Fragen zum Zugang zu den Befragten basierenden sozialen Sinn.
Eine intensive Diskussion wird in der De-Briefing-Sitzung um den zu zahlenden Preis geführt. Die Survey-Firma macht einen um 15 % höheren Preis geltend, als zu Beginn vereinbart. Dies begründet (P1) anhand zweier Punkte: Einerseits moniert er, dass eine Vielzahl an Mehrleistungen durch (A1) in Auftrag gegeben worden sind und dass sich deshalb auch der Preis selbstverständlich erhöhe. Diese Argumentation wird durch (A1) kritisiert, da er die Survey-Firma in der Pflicht sieht, die aus Mehrleistungen entstehenden Kosten bereits bei der Umsetzung zu kommunizieren. Andererseits verweist (P1) auf einen Mehraufwand infolge des fehlenden Storytellings. Vertraglich festgelegt sei die Übermittlung eines fertigen Fragebogens gewesen, welcher jedoch nicht fertig übermittelt worden sei. Dieser Kritikpunkt wird durch (A1) akzeptiert. In beiden Fällen wird ersichtlich, dass trotz der umfassenden Vorgaben des Auftraggebers und der damit prinzipiell gegebenen Vergleichbarkeit der unterschiedlichen eingeholten Offerten, der Preis ein problematisches Evaluationskriterium für die Zusammenarbeit sein kann. Denn der beschriebene Kompromiss mit der Beratungswelt führt an einigen Stellen gerade dazu, dass eine Abschätzung der durch die Survey-Firma erbrachten Leistung nicht mehr ohne weiteres gegeben und dadurch auch die direkte Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Firmen nicht mehr ohne weiteres möglich ist. Dies wird besonders deutlich in der Auslagerung der Hotline an das Call-Center. Hierbei ist der Preis das massgebliche Kriterium für die Auswahl des Call-Centers. Während der gemeinsamen Auftragsfestlegung wird jedoch sichtbar, dass sich (A1) im Hinblick auf Schulungsunterlagen, die Schulung und die erwartete Anzahl Anrufe auf die Hotline eine beratungsweltliche Hilfestellung seitens (SM) erhofft hat. Diese Hilfestellung konnte jedoch durch (SM) nicht geleistet werden. Deutlich wird hierbei, dass ein einseitiger Fokus auf den Preis als Evaluationskriterium zu einer durch Käufer nicht intendierten Konkurrenz zwischen verschiedenen Survey-Welten führen kann. Dies kann den Effekt von methodischen Problemen durch einen heterogenen Bezug auf survey-weltliche Konventionen auf Seiten der Käufer und der Auftragnehmer mit sich ziehen.82 Am Beispiel der Hotline-Auslagerung wurde hierbei aufgezeigt, wie dieser survey-weltliche Konflikt infolge einer potenziell schlechteren Verfügbarkeit und Schulung der Call-Agents zu einer tieferen Response-Rate führen kann.
Der Preiskonflikt macht jedoch auch die Schwierigkeit deutlich, eine spezifische survey-weltliche Koordination in einem Vertrag festzulegen. Denn obwohl ein umfassender Vertrag die vereinbarte Dienstleistung spezifizieren soll und in der Folge als Dispositiv (Thévenot 2004) für den wirtschaftlichen Tausch wirkt, wird der Vertrag nicht als Instanz für die Konfliktlösung während der Debriefing-Sitzung zu Rate gezogen. Ein gelungenes Survey-Projekt hängt folglich auch in der akademischen Welt, bzw. auch der Informationswelt, nicht alleine von der Kompetenz des Auftraggebers hinsichtlich der Spezifikation der Anforderungen und dem Vergleich der verschiedenen Offerten im Hinblick auf deren bester Eignung für das Ziel des Survey-Projekts ab. Vielmehr spielt Erfahrung im Umgang mit Survey-Firmen eine zentrale Rolle. Erfahrung als Wissenskonzept zielt gerade auf den grundlegend interpretativen Charakter von Verträgen ab (Favereau 1989a; Bessy und Favereau 2003). Diese umfasst gerade die Einschätzung der spezifischen Interpretation und Umsetzung des Vertrags durch die Survey-Firmen. Trotz der Steuerung und folglich einer umfassend auf Standards, Vorgaben, Definitionen und Verträgen distribuierten Governance von Survey-Projekten kommt folglich der Erfahrung des Auftraggebers im Hinblick auf die Praxis von Survey-Firmen ein wichtiger Stellenwert für eine gelingende survey-weltliche Koordination zu.
Auch an anderer Stelle zeigt sich, dass methodische Frage nicht nur durch rein methodisches Wissen beantwortet werden können. In der zweiten Koordinationssitzung mit dem Call-Center weist (A1) darauf hin, dass die Standesregeln des VSMS nicht immer einen sinnvollen Rahmen für akademische Erhebungen darstellen. Konkret scheint es ihm nicht angemessen, sich auf zehn Kontaktversuche pro Adresse zu beschränken. Deutlich wird hier, dass die Perspektive auf Standesregeln zwar methodischer Natur, der Umgang damit jedoch auf Verhandlungsgeschick aufbaut und dabei insbesondere in der Darstellung der eigenen, andersartigen Qualitätsperspektive liegt. Zentral ist hier die Kompetenz, Ausnahmen von diesen Regeln durch einen Bezug auf Rechtfertigungsordnungen begründen zu können (Boltanski und Thévenot 2007, S. 179 ff.). (A1) als leitender Auftraggeber des Survey-Projekts ist folglich nicht rein methodisch gefordert, sondern auch im Hinblick auf die Darstellung der Legitimität des Forschungsprojekts durch den Bezug auf Rechtfertigungsordnungen. Obwohl diese Legitimation der Abweichung des Survey-Projekts von den Standesregeln des VSM im Hinblick auf die Anzahl Kontaktversuche nicht allzu anspruchsvoll zu sein scheint, so ermöglicht eine geschickte Legitimationsarbeit dennoch eine höhere Response-Rate. Die Bedeutung der Legitimationsarbeit für Survey-Projekte wird noch deutlicher im Hinblick auf die Nutzung des durch das Bundesamt für Statistik verwalteten Stichprobenregisters des Bundes. Denn dieses steht gemäß der Verordnung über die Durchführung von statistischen Erhebungen des Bundes explizit nur Forschungsprojekten zu, welche von nationalem Interesse sind (Bundesamt für Statistik 2008). Eine geschickte Legitimationsarbeit kann folglich der Grund sein, auf das Stichprobenregister überhaupt erst zugreifen zu dürfen, was in methodischer Hinsicht eine immense Senkung des Coverage-Errors bewirken kann (Weisberg 2005, S. 205).
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Footnotes
1
Thévenot bezieht das Konzept von „compromising devices“ auf Organisationen und Rechtfertigungsordnungen. Allerdings stellen, wie folgend argumentiert wird, auch Survey-Projekte Kompromissformationen zwischen verschiedenen Produktionswelten dar.
 
2
Infolge einer effektiven Anonymisierung (vgl. hierzu Abschn. 4.​2), ist in der Folge immer vom „NPO-Projekt“ die Rede, wenn das hier behandelte NPO-Projekt gemeint ist.
 
3
Schweizerische Stiftung, welche an vertrauenswürdige und geprüfte Spenden sammelnde Organisationen das ZEWO-Gütesiegel vergibt.
 
4
Um Lesenden eine möglichst einfache Rekonstruktion der Situationen und deren Vernetzung zu ermöglichen, werden im Text die in den Situationsmaps aufgeführten Situationen in Klammern erwähnt. Die Situationsmap befindet sich am Ende der Einleitung.
 
5
In Abschn. 6.1.7 wird kritisch diskutiert, inwiefern das in diesem Survey-Projekt zur Anwendung gekommene Forschungsdesign tatsächlich als Wirkungsmessung in einem akademischen Verständnis aufgefasst werden kann.
 
6
Dabei sind die erhobenen und verfügbaren Daten mit den jeweiligen Situationen durch Striche verbunden, um einen Überblick über die empirische Rekonstruktion des Falles zu ermöglichen. Die Y-Achse hat keine inhaltliche Bedeutung, sondern ist alleine der graphischen Darstellung geschuldet.
 
7
Was auch den Grund darstellt, warum dieses Survey-Projekt als Fall für das SNF-Projekt begleitet werden konnte. Die Kontaktaufnahme mit der Universität fand durch das NPO-Projekt selbst statt.
 
8
Wobei angemerkt werden muss, dass hier wohl ein Missverständnis bezüglich der Zusammenarbeit zwischen dem NPO-Projekt und der Universität vorlag. Die Universität hätte zwar eventuell Werkstudierende vermitteln können und einen fachlichen Austausch anbieten können, jedoch kein Interesse und auch nicht die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine operative Übernahme des Projekts gehabt. In der Argumentation, warum das Projekt nicht mit der Universität durchgeführt wurde, zeigen sich jedoch survey-weltlich spannende Argumente.
 
9
Bereits hier wird deutlich, dass sich dieser „Angebots-Vergleich“ in einem Kompromiss zwischen der Beratungs- und der Dienstleistungswelt bewegt, da kein anonymes, für verschiedene Marktteilnehmende einsichtbares Angebot besteht.
 
10
Hier muss auf eine sprachliche Schweizer Eigenart verwiesen werden, welche für die Interpretation der folgenden Zitate für deutsche Lesende missverständlich sein kann. Das oft verwendete „oder?“ stellt keine Infragestellung, sondern vielmehr eine Nachfrage um eine Bestätigung des Gesagten dar.
 
11
Dies ist ein typischer Ablauf einer Koordination von Survey-Projekten, welche zwischen Beratungs- und Dienstleistungswelt angesiedelt sind. Zuerst wird ein Auftrag vom Auftraggeber erteilt, welcher danach von der Survey-Firma abgeändert wird.
 
12
Es stellt sich im weiteren Verlauf der Sitzung heraus, dass dies gar nicht möglich ist, weil kein System für das Rücklaufmanagement der Fragebögen eingerichtet wurde. So kann beim Erhalt der ausgefüllten Fragebögen nicht ermittelt werden, von wem diese stammen.
 
13
Unklar bleibt hierbei, für welches Publikum (A1) in der betreffenden Survey-Firma ein etabliertes und mit einem guten Namen ausgestattete „Label“ sieht.
 
14
Die Reichweite dieser Befragung ist selbstverständlich nicht vergleichbar mit beispielsweise nationalen Statistiken. Dafür wäre ein höheres Maß an Vereinheitlichung und Forminvestition notwendig. Ersichtlich wird deswegen, dass die vom ZEWO Leitfaden Wirkungsmessung dargestellte Zielsetzung einer Kommunikation der Wirkung auch gegenüber Spendenden nur bedingt möglich ist (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). Die notwendige Reichweite ist hier die einer interessierten Fachöffentlichkeit, d. h. insbesondere private und institutionelle Geldgeber, wobei hier wohl primär institutionelle Geldgeber angesprochen sind.
 
15
Tatsächlich wird hier bereits ein mehrfacher Kompromiss zwischen Informations- und Dienstleistungswelt geschlossen. Einerseits hängt die tatsächliche Umsetzung des Wirkungsmodells von vielen operativen Faktoren der auftraggebenden Organisationen ab. Die effektiven Ziele sind nicht festgelegt und abhängig von den jeweiligen Zielen der NPO. Andererseits werden verschiedene Wirkungsmodelle präsentiert. Eine Vergleichbarkeit wird folglich nur in Ansätzen verfolgt. Dennoch wird eine erhöhte Reichweite durch die Vergleichbarmachung des Wirkungsmessungsprozesses angestrebt.
 
16
Wie zu zeigen sein wird, kommt das Preis-Leistungs-Gefüge durch die fehlende Beachtung der Mehrwertsteuer schnell wieder in Bedrängnis. Bei der anschließenden Preis-Nachverhandlung zeigt sich dann ein Konflikt hinsichtlich der Preisgestaltung zwischen der Beratungs- und der Dienstleistungswelt (vgl. Abschn. 6.1.5).
 
17
„Kreuzlen“ entspricht einer schweizerischen Ausdrucksart für Ankreuzen. (P1) will folglich darauf aufmerksam machen, dass möglichst viele Multiple-Choice-Fragen verwendet werden sollen, in welchen lediglich die passende Antwort ausgewählt und angekreuzt werden muss.
 
18
Minimal zwanzig Prozent, da von den Teilnehmenden des zweitägigen Workshops zur Wirkungsmessung vorgenommene Schätzung nur den Nonresponse-Anteil betrifft, welcher durch die sprachlichen Hürden auf Seiten der Befragten begründet wird.
 
19
Jedoch wird durch (A1) im Anschluss daran die Möglichkeit einer face-to-face-Befragung in einer Zweigstelle der NPO diskutiert. Diese Anschlussdiskussion wird in Abschn. 6.1.4 analysiert.
 
20
Auch wenn diese Form relativ viel Spielraum in der konkreten methodischen Ausgestaltung zulässt. Dieser Freiraum schlägt sich jedoch auch in der begrenzten Reichweite dieser Erhebung nieder, welche kaum über eine Branchenöffentlichkeit hinausreicht.
 
21
Die Frage, was genau gemessen werden soll, fängt bei der Diskussion um die Erhebung der Staatsangehörigkeit an. Aus der Diskussion geht jedoch hervor, dass mit der behandelten Frage die „Integration“ in die Schweizer Gesellschaft gemessen werden soll. Im Folgenden ist der Übersicht halber immer von der Kategorie „Staatszugehörigkeit“ die Rede.
 
22
Im Workshop werden zwei unterschiedliche Fragebögen entworfen. In der zentralen Koordinationssitzung wird dann aber ganz am Ende entschieden, dass nur ein Fragebogen für die schriftliche und die telefonische Befragung zum Einsatz kommt.
 
23
Bzw. hat (A1) in der Folge des Workshops bereits weitreichende methodische Vorschläge gemacht, wie beispielsweise zwei ausgearbeitete Fragebögen, welche bei der Operationalisierung der ZEWO-Wirkungsmessung für das eigene NPO-Projekt entstanden sind. Angemerkt werden muss jedoch, dass der Workshop durch eine beratende Person mit Spezialisierung auf Evaluation betreut worden ist. So dass bereits diese Situation nicht als Eigenproduktion betrachtet werden kann und so beratungsweltliche Aspekte aufweist.
 
24
„Secondo“ (männlich) oder „Seconda“ (weiblich) ist der in der Schweiz gebräuchliche Begriff für Kinder von Migranten, welche in der Schweiz geboren wurden.
 
25
Und hier zeichnet sich ab, dass mit der Kategorie Staatsangehörigkeit eigentlich die Trennung in „Integrierte Personen“ vs. „Nicht Integrierte Personen“ gemeint ist und erhoben werden soll.
 
26
Wie in Abschn. 3.​1.​1 ausgeführt, orientieren sich survey-weltliche Konventionen stärker am Konventionenkonzept von Dodier (1994, 2011), denn am Konzept der Rechtfertigungsordnungen von Boltanski und Thévenot (2007).
 
27
D. h. weiter eine beratungsweltliche Koordination stattgefunden hätte.
 
28
Hinweise darauf finden sich bei Barth und Schmitz (2017) und Leemann und Wasserfallen (2016).
 
29
D. h. insbesondere die politische Agendabesetzung mit den Themen „Migration“ und „missbräuchlicher Sozialhilfebezug“ durch die Schweizerische Volkspartei.
 
30
Wobei sich während der Preisverhandlung zeigt, dass die Dienstleistung zu diesem Zeitpunkt noch ungenügend spezifiziert war.
 
31
Die Veränderung des Fragebogens durch die Interaktion mit Auftragnehmer stellt ein zuverlässiger Indikator dafür dar, dass die Beratungswelt im entsprechenden Survey-Projekt zum Tragen kommt.
 
32
Genauer betrachtet bezieht sich die Fokussierung auf einen stabilisierten Preis, was einem Kompromiss zwischen der marktweltlichen und der industriellen Rechtfertigungsordnung zuzuschreiben ist. Denn Preise können sich in der Marktwelt sehr schnell ändern (Boltanski und Thévenot 2007, S. 264 ff.).
 
33
Wobei wieder darauf hingewiesen werden muss, dass die zu erbringende Dienstleistung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend spezifiziert ist.
 
34
Die Bezeichnung des Preises als Objekt mag zunächst befremden, da in der EC der Objektbegriff meistens auf materielle Objekte bezogen wird infolge der Auseinandersetzung mit der Actor-Network-Theory (ANT) (Diaz-Bone 2018, S. 21; Thévenot 1993). Boltanski und Thévenot sprechen jedoch in Bezug auf den Zinssatz von einem Spaltobjekt zwischen der industrielle Welt und der Welt des Marktes (Boltanski und Thévenot 2007, S. 265). Der Objektbegriff nach Boltanski und Thévenot geht in der EC folglich über materielle Objekte hinaus und ähnelt damit demjenigen der „oriented objects“ in der Ethnomethodologie, bzw. der Workplace Studies (Rawls 2008, S. 713 ff.). Der Unterschied besteht darin, dass die EC in einer strukturalistischen Perspektive Objekte als Dispositive für Weltenbezüge sieht. Dennoch besteht in der Ausdifferenzierung des Objektbegriffs in der EC noch Potential. Steigerungsmöglichkeiten bestehen hier im Beizug der Ethnomethodologie, bzw. der Workplace Studies, welche eine Detailperspektive auf die situative Koordination und das Stützen auf Objekte einnehmen (Rawls 2008).
 
35
Dies ist insofern spannend, da sich hier ein intuitives Bewusstsein von (A1) für die Logik unterschiedlicher Produktionswelten zeigt. (A1) sieht die „Unberechenbarkeit“ der qualitativen Befragung hinsichtlich eines Endes. Diese Unberechenbarkeit speist sich jedoch maßgeblich aus seiner fehlenden Wissensformatierung der Dienstleistungswelt. Denn dadurch hätte er ein Gespür für die Standardisierung dieser Unberechenbarkeit. Gleichzeitig verweist er auf das Konzept des fixen Preises der Dienstleistungswelt und führt so eine Klärung des Kompromisses beider Survey-Welten in der Dimension des Preises herbei.
 
36
Callon und Muniesa folgen hier ihrem früheren Marktkonzept der Qualitäten, wonach Produkte einerseits vergleichbar, aber dennoch voneinander unterscheidbar sein müssen (Callon et al. 2002).
 
37
Dabei stellt bereits die Übernahme dieser Verantwortung einen Kompromiss zwischen Beratungs- und Dienstleistungswelt dar. Denn in der idealtypischen Beratungswelt hat der Klient keinen Einfluss auf das methodische Design, so dass methodische Vorschläge/Wünsche im Hinblick auf deren Aussagemöglichkeiten gar nicht beurteilt werden müssen.
 
38
Nämlich bis zu dem Grad, an welchem die Dienstleistungs- und die Informationswelt zu tragen kommt. Durch das Etablieren eines fixen Preises werden die Möglichkeiten der Survey-Firma, sich allein inhaltlich zu orientieren, beschränkt. Im Hinblick auf die Informationswelt wird in den kommenden Abschnitten aufzuzeigen sein, inwiefern diese ebenfalls als Referenzrahmen in das dargestellte Survey-Projekt einfließt und (A1) hier als Auftraggeber auftritt.
 
39
Wobei nicht weiter ausgeführt oder schriftlich fixiert wird, was genau garantiert wird. Dies ist gerade für die Beratungswelt kennzeichnend, da hier dem Klienten die Fähigkeit fehlt, die methodische Qualität der Resultate überprüfen zu können.
 
40
Es wird und kann nicht weiter auf die diesbezügliche Meinungsverschiedenheit über die Vereinbarung zwischen (A1) und (P1) eingegangen werden, wie stark der Fragebogen durch (P1) und (P2) überarbeitet werden soll. Dazu fehlt das notwendige Datenmaterial und die Fehleinschätzung von (P1) bezüglich des Fragebogenstatus bleibt auch bei einer allfälligen Vereinbarung zur Überarbeitung des Fragebogens bestehen, da (P1) in diesem Fall den Umfang der Überarbeitungsarbeiten unterschätzt hat.
 
41
Thévenot verweist darauf, dass die idealtypische Kommunikationsform in diesem Regime die Körpersprache ist (2011d, S. 266 f.).
 
42
Die genauen Gründe zum fehlenden Pretest können aus den vorliegenden Daten nicht rekonstruiert werden.
 
43
Vergleiche für eine Einführung des Intermediär-Begriffs in der EC mit Bezug auf Arbeitsmärkte (Diaz-Bone 2018, S. 109 ff.). Zentral für den Intermediär-Begriff in der EC ist die Vermittlung zwischen verschiedenen Logiken. Im erwähnten Abschnitt wird die Vermittlung verschiedener Rekrutierungs-Konventionen behandelt, ein Intermediär kann jedoch auch zwischen verschiedenen produktionsweltlichen Konventionen oder Handlungsregimen eine Übersetzungsleistung vollbringen.
 
44
Kromrey et al. machen darauf aufmerksam, dass auch konstante Merkmalszustände dem Einfluss einer Maßnahme, bzw. eben auch Umwelteinflüssen, geschuldet sein können (2016). Ein alleiniger Fokus auf Veränderungen würde hier verkennen, dass Maßnahmen auch dazu dienen können, Merkmalszustände konstant zu halten.
 
45
Es wird zudem auf die Notwendigkeit von genügend Zeit zwischen den verschiedenen Messungen hingewiesen: „Die Umsetzung von Dienstleistungen und Projekten braucht Zeit. Die geplanten Outputs müssen erst einmal umgesetzt und bereitgestellt werden bevor sie auf die Zielgruppen Einfluss nehmen können. Dementsprechend sind Wirkungen bei den Zielgruppen (Outcome) erst nach einiger Zeit messbar. In der Regel geht man bei den Outcomes von einem Zeithorizont von drei bis vier Jahren und bei den Impacts von fünf und mehr Jahren aus“ (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). Zudem wird darauf hingewiesen, dass Wirkungsmessungen aufgrund des Legitimationsdruckes oft zu früh durchgeführt werden (Burkhard et al. ohne Jahresangabe).
 
46
Dies wird ersichtlich in folgendem Zitat von (A1): „[…] für die internationale Zusammenarbeit gibt es schon lange ein Wirkungsmessungsmodell. Und das ist eigentlich Standard in jedem Projekt wird die Wirkung gemessen. Und bei Inlandprojekten ist das völlig nicht üblich. In [internationalen Projekten] ist das vor allem, diejenigen, die das Finanzieren, die haben den Anspruch und da ist es sehr standardisiert, es gibt kein Projekt, in dem nicht schon im Projektentwurf nicht schon die Wirkungsmessung mitgeplant wird.“ Der Fokus auf die Kommunikation gegenüber Drittparteien zeigt sich auch im ZEWO-Leitfaden „Wirkungsmessung Inland“ (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). Dennoch werden dort drei unterschiedliche Ziele von Wirkungsmessungen aufgeführt: Lernen, Lenken und Legitimieren (Burkhard et al. ohne Jahresangabe). In der Wirkungsmessungs-Praxis zeigt sich ein Fokus auf das Legitimieren, welcher dann jedoch ermöglicht, die restlichen Ziele mitbedienen zu können.
 
47
Dies macht (A1) im Interview deutlich. Gemäß den Verantwortungsträgern des NPO-Projekts soll die Wirkungsmessung maximal fünf Prozent des jährlichen Budgets betragen.
 
48
Zu diesem Zeitpunkt bestanden noch zwei Fragebögen. Einer für die halbstandardisierte telefonische Befragung, der andere für die standardisierte schriftliche Befragung. Während der zweiten Koordinationssitzung mit der Survey-Firma wurde jedoch entschieden, dass nur noch ein Fragebogen für sowohl für die telefonische wie auch die schriftliche Befragung eingesetzt werden wird.
 
49
Was aus anderen Studien der Survey-Firma hervorgeht.
 
50
Vgl. zu Problematisierung des Produktbegriffs Abschn. 7.​2.
 
51
Im Gegensatz zu Auswertung eins ist Auswertung zwei keine eigentliche Datenauswertung, sondern eine Informationsproduktion. Während Auswertung eins auf die statistischen und auswertungstechnischen Fähigkeiten der Rezipienten zählt, bzw. zählen muss, richtet sich Auswertung zwei an ein breites „Publikum“ und ist hier den Bedingungen der Informationsproduktion, im spezifischen Fall insbesondere den Grenzen des statistischen Wissens der Adressenten, unterworfen.
 
52
Wobei darin an einigen Stellen auch Empfehlungen aus Sicht der Survey-Firma vorgenommen werden, insbesondere im Hinblick auf Verbesserungsmöglichkeiten des NPO-Projekts. Dadurch sind auch beratungsweltliche Einflüsse sichtbar.
 
53
Vgl. hierzu auch Abschn. 5.​2 für eine umfassende Darstellung der Beratungswelt.
 
54
Das Konzept des praktischen Sinns stammt ursprünglich von Pierre Bourdieu (1993). Es wird jedoch auch in der EC beispielsweise von Claude Didry in Form einer „legalen Sensibilität“ in Rechtswelten (Diaz-Bone 2018, S. 300; Didry 2002, S. 76 ff.) oder von Bessy et al. für die situative Interpretation von Gesetzen verwendet (Bessy et al. op. 2011, S. 17).
 
55
Dies, da die Survey-Firma bereits Erfahrungen mit diesem Wirkungsmodell gesammelt hat.
 
56
Die formgebende Aktivität lässt sich nur schon daran ablesen, dass die Erhebungskosten für eine nachfolgende Wirkungsmessung deutlich geringer ausfallen werden, da die Operationalisierung der ZEWO-Wirkungsmessung dann bereits stattgefunden hat.
 
57
Für eine Klärung der Bedeutung des Dispositiv-Begriffs für die EC vgl. Diaz-Bone (2017b) und Thévenot (2004).
 
58
Wobei sich hier die Grenzen der Gesellschaft mit den Grenzen des Äquivalenzraums decken. Das Konzept des Äquivalenzraums ist in der EC jedoch stark an den Staat gebunden, da die für die Erschaffung eines solchen Äquivalenzraums mit der entsprechend hohen raumzeitlichen Reichweite maßgeblich auf Forminvestitionen des Staates angewiesen, beispielsweise in Form des Rechts (Desrosières 2005).
 
59
Tatsächlich sind auch hier andere Methoden der Wissensproduktion als Alternative für Surveys denkbar wie beispielsweise administrative Daten.
 
60
Vgl. zur konventionenabhängigen Bewertung von Kompetenzen und Rekrutierungspraktiken (Eymard-Duvernay und Marchal 1997).
 
61
Der Umfang dieses Falls hat zur Konsequenz, dass es im Vergleich zu Fall (A) viel schwieriger war, survey-weltliche Konflikte über verschiedene Situationen hinweg zu rekonstruieren. Dennoch konnten auch in diesem Fall verschiedene Konflikte identifiziert werden, welche in den folgenden Ausführungen dargestellt werden.
 
62
„Mixed-Mode“ bezeichnet eine Befragung, welche verschiedene Befragungsmodes, d. h. unterschiedliche Befragungsarten, einsetzt und so telefonische, postalische, webbasierte etc. Befragungen kombiniert.
 
63
Dabei sind die erhobenen und verfügbaren Daten mit den jeweiligen Situationen durch Striche verbunden, um einen Überblick über die empirische Rekonstruktion des Falles zu ermöglichen. Die Y-Achse hat keine inhaltliche Bedeutung, sondern ist alleine der graphischen Darstellung geschuldet.
 
64
Wie später aufgezeigt wird, sind die dabei verwendeten Qualitätskriterien keine individuellen Kriterien, sondern können maßgeblich auf die industrielle Rechtfertigungsordnung bezogen werden, deren grundlegender Realitätstest in der Prognosefähigkeit besteht (Boltanski und Thévenot 2007, S. 284).
 
65
Was seinerseits bereits einen Kompromiss zwischen der Rechtfertigungsordnung des Marktes und der Industrie darstellt.
 
66
Leider konnte hierbei keine Audioaufnahme angefertigt werden und die Rekonstruktion basiert folglich auf Feldnotizen.
 
67
Die genauen Parameter, welche für die Survey-Firma schwierig zu kommunizieren sind, erwähnt der leitende Projektleiter nicht.
 
68
Der Effekt liegt dann in einer standardisierten Befragung mit unstandardisierten Befragten (Riesman 1958, S. 305).
 
69
Leider kann anhand der Daten nur die Auftragsplanung rekonstruiert werden, jedoch nicht die effektive Auftragsabwicklung durch das Call-Center. Hier wären mögliche Koordinationsprobleme einsichtbar gewesen und das Auslagerungsprojekt so in einer höheren Detailliertheit survey-weltlich rekonstruierbar gewesen.
 
70
Die Anwendung der Survey-Welten auf die Koordination mit dem Hotline-Dienstleister macht hier nur bedingt Sinn, da die Theorie der Survey-Welten am Gegenstand der Branche der Surveydienstleister herausgearbeitet wurde und sich nicht bedingungslos auf andere Branchen beziehen lässt.
 
71
Wie aus der weiteren Diskussion ersichtlich wird, will der Käufer dies durch das Einholen von Erfahrungswerten bei vergleichbaren Survey-Projekten tun.
 
72
Leider konnte der Ausgang der Hotline-Auslagerung nicht dokumentiert werden.
 
73
Der Anteil an der CATI-Dienstleistung macht gemäß (A1) einen Drittel bis die Hälfte des gesamthaft bezahlten Preises aus.
 
74
In der ersten Koordinationssitzung sind nicht nur die Projektleitenden anwesend gewesen, welche die operative Bearbeitung dieses Survey-Projekts übernehmen, sondern ebenfalls Personen aus der Geschäftsleitung und der Qualitätssicherung.
 
75
Wobei dies vom Grad der Standardisierung abhängig ist. Ein unstandardisiertes und unterstützendes Verhalten der Befragenden ermöglicht eine stärkere Unterstützung dieser Übersetzungsleistung (Suchman und Jordan 1990), während sich diese Übersetzungsleistung lediglich auf eine Vermittlung der Störung durch den Anruf beschränkt. Bei schriftlichen oder webbasierten Befragungen findet diese Übersetzungsleistung durch die Befragten selber statt, d. h. sowohl die (zeitliche) Organisation der Befragung, als auch die inhaltliche Übersetzungsleistung.
 
76
Die Verwendung der Berufsklassifikation, des Firmenverzeichnisregisters und auch von „klassischen“ demographischen Daten wie Alter, Einkommen, Ausbildung etc. sind alles Elemente, welche eine Erhöhung der Reichweite der Befragungsresultate ermöglichen. Der Bezug auf diese öffentlichkeitswirksamen Kategorisierungen ermöglicht auch für Laien einen „schnellen“ Überblick über die Resultate der Befragung, was den informationsweltlichen Aspekt dieses Survey-Projekts – trotz des Fokus auf die akademische Wissensproduktion – aufzeigt. Eine idealtypische Ausrichtung des Survey-Projekts an der akademischen Welt würde mit sich ziehen, dass die Klassifikation der Befragten von der der Befragung zu Grunde liegenden Theorie abhängig wäre. Die Hinzunahme von allgemeinen Kategorisierungen ermöglicht eine höhere Reichweite und damit einhergehend eine öffentliche Relevanz der Forschung.
 
77
(P2) weist darauf hin, dass die durchschnittliche Einleitungszeit für Interviews bei 1,2 min liege, bei diesem Projekt jedoch bei 2,9 min.
 
78
Aufgrund der eigenen Beobachtung der ersten Koordinationssitzung hätte man davon ausgehen können, dass tatsächlich ein Fixbetrag vereinbart worden sei. Dort verwies der Leiter des Survey-Projekts auf die Notwendigkeit eines festen Betrags durch eigene, begrenzte Budgets. Die Survey-Firma müsse folglich das Projekt so umsetzen, dass sie selber noch Profit machen könne. Wie aus der Abschlusssitzung deutlich wird, wurde die Finanzierung mittels eines festen Betrags aber nicht umgesetzt.
 
79
Vgl. zu den VSMS-Standesregeln Verband Schweizer Markt- und Sozialforschung (Verband Schweizer Markt- und Sozialforschung 2013). Einen Überblick zu verschiedenen Standards in der Survey-Forschung liefert Smith (2016).
 
80
Wobei dieser Kompromiss noch durch einen Kompromiss mit dem finanziellen Budget des Survey-Projekts für die Befragung komplettiert wird. Dieser zweite Kompromiss wird von (A1) jedoch nicht explizit erwähnt.
 
81
Eine andere Investition stellt die Bereitstellung von Schnittstellen für den Import von komplexen Fragebögen dar, wie dies in Abschn. 6.2.1 diskutiert wurde. Dies ist ein Spezifikum der generischen Welten, da nur hier fertig designte Fragebögen durch die Survey-Firma importiert werden müssen.
 
82
Und es zeigt sich, dass ein Preisvergleich nur innerhalb des angestrebten survey-weltlichen Koordinationsrahmens Sinn ergibt, da hier vergleichbare Qualitäten untereinander mittels des Preises verglichen werden.
 
Metadata
Title
Survey-Projekte aus einer survey-weltlichen Perspektive
Author
Raphael Vogel
Copyright Year
2019
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-25437-7_6