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2021 | Book

Verwaltung - Ethik - Menschenrechte

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About this book

Trotz der mitunter eingreifenden Gegenwart von Polizei und Verwaltung im Leben und Alltag der Menschen fehlt es in der Bundesrepublik aktuell an einer Ethik der öffentlichen Verwaltung - anders als im europäischen und internationalen Umfeld. Der Band versucht vor diesem Hintergrund einige konzeptionelle Linien auszuziehen, um eine ethisch-normative Reflexion der Verwaltung einschließlich ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen anzuregen.

Table of Contents

Frontmatter
Ethik „im“ Gewaltmonopol – zugleich eine kleine Einleitung
Zusammenfassung
Im Unterschied insbesondere zum angelsächsischen Raum findet sich in Deutschland keine ausgearbeitete Ethik der öffentlichen Verwaltung. Der Beitrag skizziert in einem ersten Teil einige Ansätze einer solchen Verwaltungsethik, weist auf ihre rechtsstaatliche Problematik sowie offene Forschungsthemen hin. Der zweite Teil blickt auf jene Form der Ethik, die sich – weitgehend ohne wissenschaftliche Absicherung – innerhalb der Verwaltung und hier besonders innerhalb der Polizei entwickeln konnte. Neben den vielen heterogenen und zum Teil auch widersprüchlichen Facetten und Ausprägungen einer solchen „Ethik im Gewaltmonopol“ versucht der Beitrag ein paar Themenfelder und Herangehensweisen auszugrenzen, die für eine ethische Reflexion und Diskussion der Polizei zielführend sein könnten.
Tobias Trappe
Verwaltungsdesaster und Verwaltungsethik
Zusammenfassung
Verwaltungsdesaster mit Schaden für Leib und Leben beruhen im Regelfall auf Handlungskonstellationen, die Fehler nahelegten, aber nicht unausweichlich machten. Solche Konstellationen zu erkennen, ihr Risikopotenzial unter Kontrolle zu halten und, wenn nötig, zu neutralisieren, ist der Inbegriff von Verwaltungsethik. Damit sind Anforderungen verbunden, die grundsätzlich leicht zu erfüllen sind. Werden folgenreiche Fehlentscheidungen dennoch getroffen, liegen dem regelmäßig Gegenanreize zugrunde, die, was objektiv falsch ist, subjektiv richtig und angemessen erscheinen lassen. Eine Variante ist die Politisierung von Fachrationalität. Sie ist nicht illegitim, weil Behörden berechtigten Erwartungen der Öffentlichkeit gerecht werden müssen. Kritisch wird es, wenn plausibles politisches Kalkül den Schutz von Leib und Leben relativiert. Die Abhandlung schildert und analysiert solche Grenzüberschreitungen am Beispiel der Loveparade-Katastrophe in Duisburg 2010 und des Scheiterns der kriminalpolizeilichen Ermittlungen im Zuge der sogenannten NSU Morde in den Jahren 2000–2007. Im administrativen Alltag, so das Argument, erfordert Verwaltungsethik intakte persönliche und institutionelle Integrität. Die Ausbildungspraxis kann und sollte dem Rechnung tragen.
Wolfgang Seibel
Beamtenethos – Anachronismus oder Bedingung des Rechtsstaats?
Zusammenfassung
Der Beitrag befasst sich mit dem Begriff und dem Phänomen „Beamtenethos“. Dieses wird vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Berufsbeamtentums, zumal der Unabhängigkeit des Beamten interpretiert und konkretisiert. Beamtenethos manifestiert sich insbesondere in der Bereitschaft zur Remonstration und in einer Absage an politisch gewünschte oder gar opportunistische Amtsführung.
Josef Franz Lindner
Gemeinwohlpflichten von Politik und öffentlicher Verwaltung in der Stadt- und Raumentwicklung - das Recht auf Wohnen und das Recht auf Stadt
Zusammenfassung
Der Beitrag diskutiert, wie eine gemeinwohlorientierte Ethik der Stadt- und Raumentwicklung aussehen müsste und wie ihre Antwort auf die Probleme von Obdachlosigkeit, Wohnungsnot und Gentrifizierung lauten sollte. Um diese Fragen anzugehen, wird ein zweistufiger Begriff des Gemeinwohls zugrunde gelegt, der mit existenznotwendigen Gütern der Daseinsvorsorge einen substanziellen Kern besitzt, aber hinreichend offen ist, um den freiheitlichen und demokratischen Anforderungen prozeduralistischer Gemeinwohlauffassungen gerecht zu werden. Einem kurzen Abschnitt zu basalen Gemeinwohlpflichten der Politik und der öffentlichen Verwaltung folgt die Erörterung der Frage, ob sich das Recht auf Wohnen und das viel diskutierte Recht auf Stadt auf Gemeinwohlgüter beziehen, deren Bereitstellung Mitglieder eines Gemeinwesens von Politik und öffentlicher Verwaltung erwarten dürfen. Dabei geht es auch um die Verhältnisbestimmung von politischen und wirtschaftlichen Aspekten und die Kontroverse zwischen einer moralisch-ethischen und einer ökonomisch-funktionalen Auffassung des Gemeinwohls.
Das Ergebnis lautet zum einen, dass das Recht auf Wohnen als subjektives, d. h. als individuell einklagbares Recht auf Bundesebene installiert werden sollte. Zudem bedarf es der Verbesserung des Instruments der ordnungsrechtlichen Unterbringung. Dem Recht auf Stadt kann hingegen nur eine schwächere normative Kraft zugesprochen werden. Es könnte allenfalls auf kommunaler Ebene Berücksichtigung finden. Für die Ethik der öffentlichen Verwaltung lassen sich aus der Diskussion von Maßstäben wie empowerment, special assistance und Bedarfsgerechtigkeit konkrete Anhaltspunkte gewinnen: So gilt es, Menschen aus besonders verletzlichen und sozial benachteiligten Gruppen besonders darin zu unterstützen, den Zugang zu ihnen zustehenden Leistungen und Gütern auch tatsächlich wahrzunehmen.
Eike Bohlken
Ausgewählte Herausforderungen für den Polizeivollzugsdienst in der „Coronakrise“ aus pandemie- und berufsethischen Perspektiven
Zusammenfassung
Dieser Beitrag stellt aus ethischer Perspektive Herausforderungen für die polizeiliche Arbeit zur Zeit der „Coronakrise“ in Deutschland dar. Spannungsfelder der konkreten (alltäglichen und möglichen) Polizeiarbeit vor dem Hintergrund dieser Pandemie werden ebenso beschrieben wie moralische Normen und Werte sowie ethische Theorien, die berufliches Polizeihandeln und die Setzung staatlicher Rahmenbedingungen für polizeiliches Handeln in dieser Phase leiten können und sollen. Public-health-ethische Ansätze werden dabei mit Perspektiven der polizeilichen Berufsethik kohärent integriert. Die Priorisierung von knappen Ressourcen, darunter auch Vakzinen, wird diskutiert und es wird argumentiert, dass es aus ethischer Sicht gute Gründe gibt, Polizistinnen und Polizisten bei der Verfügbarwerdung sicherer und effektiver Impfstoffe eine hohe Prioritätsstufe zu geben.
Peter Schröder-Bäck
Zur Führungsethik im Rahmen (nicht nur) der Bundeswehr und ihres Sanitätsdienstes
Zusammenfassung
Die Führungsethik gehört zu den wenigen Themenfeldern, bei denen sich ein echtes Interesse von Polizei und Verwaltung an ethischer Reflexion abzeichnet. Der Beitrag versucht in einem professionsübergreifenden Ansatz einen Zugang zur Führungsethik innerhalb der Exekutive zu gewinnen. Ausgehend von den vier Prinzipien der Medizinethik werden Bedingungen guten Führens innerhalb des Sanitätsdienstes der Bundeswehr skizziert. Abschließend versucht der Beitrag, Schutz und Achtung der Menschenwürde – Grundlage und Auftrag staatlichen Handelns – als „grundlosen Grund“ guten Führens herauszuarbeiten.
Tobias Trappe
„Wir befolgen Vorschriften und Gesetze, aber nur wenn sie uns nicht behindern.“
Eine organisationssoziologische Sichtweise auf Noble-Cause-Corruption und ihre Konsequenzen für die polizeiliche Ethik
Zusammenfassung
Abweichungen von Polizeibeamtinnen und -beamten können unterschiedlichste Erscheinungsformen annehmen. Sie können von der Ausübung exzessiver Gewalt über das Posten rechtsextremistischer Bilder bis hin zur Trunkenheit im Dienst reichen. In der angloamerikanischen Literatur zur Polizeiwissenschaft wurde mit dem Begriff der sogenannten Noble-Cause-Corruption jedoch eine neue Sichtweise auf polizeiliche Devianz eröffnet und es wurden die Abweichungen thematisiert, mit denen Polizeibeamtinnen und -beamte ein vermeintlich gutes Ziel erreichen wollen. Den meisten Beiträgen liegt dabei die Annahme zugrunde, dass diese Normbrüche aus dilemmatischen und teilweise sehr dramatischen Situationen, wie zum Beispiel Geiselnahmen, entstehen, sodass sich Polizeibeamtinnen und -beamte durch ihre Wertvorstellungen und ihrem Streben nach Gerechtigkeit zum Handeln in den Graubereichen der Legalität und jenseits davon verleiten lassen. In dem folgenden Beitrag werden diese Annahmen, die dem Begriff der Noble-Cause-Corruption zugrunde liegen, hinterfragt und es wird eine organisationssoziologische Sicht auf die Abweichungen zum vermeintlich guten Zweck eingenommen. Dafür werden Situationen herangezogen, die im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung im Wach- und Wechseldienst der Schutzpolizei sowie im Kriminaldauerdienst der Kriminalpolizei erhoben wurden. Abschließend folgt eine Diskussion über den Einfluss dieser Erkenntnisse auf die Thematisierung polizeilicher Devianz und polizeilicher Ethik.
Elena Isabel Zum-Bruch
Kann man Werten trauen? Anmerkungen zum Wertediskurs in der Polizei
Zusammenfassung
Werte haben Konjunktur. Das macht misstrauisch, denn beschworen wird häufig gerade das, was fehlt bzw. in einem nicht ausreichenden Maß vorhanden ist. Dieser Spur folgend beschreibt der vorliegende Beitrag die besonderen organisatorischen Herausforderungen, die mit der Implementierung von Werten in der Polizei verbunden sind. Es wird gezeigt, dass es im Wesen von Werten liegt, dass ihre Umsetzung im eigenen Handeln immer bruchstückhaft und damit kritikwürdig bleibt. Will man den eigenen Wertediskurs und die sich daraus ergebenden Ansprüche organisatorisch überleben, d. h. stärken und nicht schwächen, dann ist es zentral mit diesem Zurückbleiben und der daraus resultierenden Kritik offensiv umzugehen. Fehlen für einen solchen selbstkritischen Umgang mit Werten der Wille, das Können oder die dafür erforderlichen Ressourcen, dann bewirken Werte gerade das Gegenteil von dem, was mit ihnen intendiert war: Sie vermindern nicht, sondern sie verstärken dann sehr effektiv eine organisatorische Misstrauenskultur. Ein Bewusstsein für diese Risikostruktur von Wertediskursen ist deswegen ein erfolgskritischer Faktor für den verantwortlichen Umgang mit Werten in Organisationen.
Werner Schiewek
Polizeistaat und Überwachungsrepublik? – Auf welchem Weg befindet sich das Polizeirecht? Ist die Polizeiethik in Gefahr?
Zusammenfassung
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob sich derzeit ein Wandel im Polizeirecht in Richtung eines Polizeistaats oder einer Überwachungsrepublik vollzieht. Anlass für diese Betrachtung sind die Verschärfungen der Polizeigesetze in Bund und Ländern. Das Rechtsstaatsprinzip und die Menschenwürdegarantie sind ethische Bollwerke des Grundgesetzes gegen eine Ausuferung des staatlichen Gewaltmonopols, die es zu verteidigen gilt. Untersucht wird am Beispiel des NS-Staats, ob die aktuellen Erweiterungen der polizeilichen Befugnisse die Gefahr der Heraufbeschwörung eines modernen Polizeistaats bergen und damit die in der Verfassung verwurzelte Polizeiethik, wonach die Polizei auf einen Ausgleich von Freiheit und Sicherheit bedacht sein muss, ins Wanken bringen. Die Autoren verneinen Tendenzen einer Abkehr von rechtsstaatlichen Grundsätzen und verweisen auf die Kontrollmechanismen des Verfassungsstaats. Der Normbestand muss an eine sich stetig verändernde Sicherheitslage angepasst und die Polizeibehörden müssen für eine effektive Aufgabenerfüllung gewappnet werden können. Wenngleich gesteigerte Wachsamkeit stets angebracht ist, wenn Gefahren für den Rechtsstaat drohen, ist Sachlichkeit in der Diskussion über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einzelner polizeirechtlicher Instrumente geboten. Pauschale Verweise auf Polizeistaatlichkeit sind unangebracht und bringen die Diskussion nicht voran.
Markus Thiel, Bernd Josef Fehn
Gefahren rechtswidriger Terrorismusbekämpfung aus menschenrechtlicher Sicht. Haft, Folter und gezielte Tötungen
Zusammenfassung
Im Beitrag geht es darum, staatlichem Handeln seit dem 11. September 2001 gewissermaßen „über die Schulter“ zu blicken (soweit dies die öffentlich zugängliche Information zulässt) und Trends über einen längeren Zeitraum zu identifizieren. Für eine Rückschau auf politische und rechtliche Strategien nach dem 11. September 2001 werden Erfahrungen aus den USA, Großbritannien und Deutschland exemplarisch herangezogen. Problematische Entwicklungen in den drei zentralen Bereichen Haft, Folter und gezielte Tötung stehen im Mittelpunkt. Die Akteure Polizei, Geheimdienste, Militär und Justiz werden genauer in den Blick genommen. In der Bilanz ist festzuhalten, dass es zu erheblichen Verletzungen der Menschenrechte und des Humanitären Völkerrechts gekommen ist, gefolgt von einem meist geringem Aufklärungswillen und minimaler Strafverfolgung. All dies macht eine kritische Beobachtung von Regierungshandeln durch Parlament, Wissenschaft und Öffentlichkeit dringend erforderlich.
Wolfgang S. Heinz
Metadata
Title
Verwaltung - Ethik - Menschenrechte
Editor
Dr. Tobias Trappe
Copyright Year
2021
Electronic ISBN
978-3-658-32625-8
Print ISBN
978-3-658-32624-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32625-8