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22.04.2024 | Verwaltungsmanagement | Gastbeitrag | Online-Artikel

Der 7. Oktober 2023 und seine Folgen

4:30 Min. Lesedauer

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Verfasst von: Professor Dr. Lars Dittrich, Professur für Staat und Verfassung, Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS), Dr. Eliane Ettmüller, Forschungsstelle Extremismusresilienz, HöMS, Swen Eigenbrodt, Leiter des Referats Prävention im Landespolizeipräsidium Hessen, Florian Hoffmann, Fachlehrer Recht, HöMS, Anika Schleinzer, Phänomenbereichsübergreifende wissenschaftliche Analysestelle Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit (PAAF), Landesamt für Verfassungsschutz Hessen

Nach den terroristischen Anschlägen auf Israel kam es in Deutschland zu Kundgebungen. Diese Serie gibt Hinweise zu den Hintergründen und zum Umgang mit den Versammlungslagen. Teil 1 beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Angriffs auf die Sicherheitslage hierzulande.

Am 7. Oktober 2023 verübten mehrere islamistische Organisationen unter der Führung der Hamas – Akronym für Harakat al-muqawama al-islamiyya, übersetzt „Bewegung des islamischen Widerstands“ – einen massiven terroristischen Angriff auf israelisches Staatsgebiet. Die Folgen dieses Anschlags beschäftigen bis heute nicht nur die internationale Politik. Sie erstrecken sich auch auf den öffentlichen Raum in der Bundesrepublik und stellen in besonderem Maße den Polizeivollzugsdienst sowie die Versammlungs- und Sicherheitsbehörden vor Ort vor Herausforderungen. 

So kam es in Hessen im Nachgang des terroristischen Angriffs zu einer Vielzahl von Versammlungslagen im Themenzusammenhang. Seit Dezember vergangenen Jahres zeigt sich zwar eine rückläufige Tendenz. Dennoch finden nach wie vor mehrere Demonstrationen pro Woche in Form von Mahnwachen, Kundgebungen oder Aufzügen statt, die überwiegend friedlich verlaufen. Bis Ende Februar 2024 wurden insgesamt rund 350 Versammlungen mit Nahost-Bezug dokumentiert. 

Hasspostings machen Großteil der Straftaten aus

Seit dem 7. Oktober 2023 wurden in Hessen ca. 900 Straftaten mit Nahost-Bezug polizeilich erfasst (Stand Anfang März 2024). Bei einem Großteil dieser Straftaten handelt es sich um so genannte „Hasspostings“, die unter Billigung von Straftaten gemäß § 140 Strafgesetzbuch (StGB) und Volksverhetzung gemäß § 130 StGB fallen. Nur eine vergleichsweise geringe Anzahl waren Gewaltdelikte in Form von Körperverletzungs- und Widerstandsdelikten.

Unmittelbar nach dem terroristischen Angriff am 7. Oktober 2023 wurde im Hessischen Innenministerium beziehungsweise Landespolizeipräsidium die Taskforce Nahostkonflikt, unter Leitung des Inspekteurs der Polizei, mit den vier Abschnitten Ermittlungen, Einsatz, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Prävention eingerichtet. Einen besonderen Schwerpunkt der Arbeit der Taskforce stellt die strategische und rechtliche Positionierung von polizeilichem Handeln in Einsätzen im Lagekontext dar, insbesondere anlässlich von Demonstrationsgeschehen. Dieses erstreckt sich zwischen den gegensätzlichen Polen der grundrechtlich verbrieften Meinungs- und Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 und Artikel 8 Grundgesetz (GG) auf der einen und der sachgerechten rechtsstaatlichen Reaktion auf strafbewehrtes Handeln von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung auf der anderen Seite, das durch das StGB und weitere Strafnormen bestimmt und durch die Strafprozessordnung geregelt wird. Der Anspruch der politischen Neutralität der Polizei schließt den konsequenten Schutz der Versammlungsfreiheit respektive friedlicher Demonstrationen und den Auftrag einer konsequenten und wirksamen Verfolgung von Straftaten gleichermaßen mit ein, wobei im Zweifelsfall stets zugunsten der Versammlungsfreiheit zu entscheiden ist.

Die Artikelserie „Der 7. Oktober 2023 und seine Folgen“ hier auf Springer Professional leistet für den Umgang mit entsprechenden Fragen und Problemstellungen einen Beitrag. Nach diesem einleitenden Überblick über das aktuelle Versammlungsgeschehen erläutert sie in weiteren Teilen die historischen Hintergründe des Konflikts, beschreibt die Beteiligung extremistischer Akteure im Protestgeschehen und ordnet mögliche Problemlagen versammlungsrechtlich ein.

Jüdische Bürgerinnen und Bürger fühlen sich deutlich unsicherer

Besondere Relevanz gewinnt die Auseinandersetzung mit den Folgen des terroristischen Angriffs aufgrund der Tatsache, dass Antisemitismus als Sammelbecken interpretiert werden muss. Indem Jüdinnen und Juden als gemeinsame Feinde betrachtet werden, bietet der Antisemitismus Anknüpfungspunkte an links- und rechtsextremistische Ideologien, religiös motivierten Extremismus, den Extremismus mit Auslandsbezug und die extremistischen Grundüberzeugungen der so genannten Reichsbürger und Selbstverwalter. 

Dementsprechend haben die terroristischen Anschläge der Hamas und ihrer Verbündeten sowie die Zunahme an antisemitisch motivierten Straftaten in Deutschland – so die Rückmeldungen aus der jüdischen Community und von Betroffenenberatungsstellen – auch die jüdische Gemeinschaft in Deutschland in ihrem Sicherheitsgefühl objektiv erheblich beeinträchtigt. In Hessen wurden zwar Mahnwachen für die Geiseln organisiert. In Teilen reagierten jüdische Bürgerinnen und Bürger aber mit einem Rückzug aus dem öffentlichen Raum, indem sie beispielsweise auf das öffentliche Tragen bestimmter Schmuckstücke oder der Kippa verzichteten. Dies umso mehr, da die Reaktion der Mehrheitsgesellschaft, insbesondere ein solidarisches Anteilnehmen und Anerkennen der Opferrolle angesichts des terroristischen Angriffs, nach Bewertung der jüdischen Community als in der Gesamtheit sehr schwach interpretiert werden müssen. Dazu kommen die einseitig pro-palästinensischen Demonstrationen als Indiz für ein Fortbestehen und Erstarken des Antisemitismus. 

Schutz jeder Minderheit in der Gesellschaft sicherstellen

Angesichts dieser Umstände sind die staatlichen Stellen, die Zivilgesellschaft sowie die Religionsgemeinschaften gefordert, ein friedliches Zusammenleben und den Schutz jeder Minderheit als Teil unserer Gesellschaft zu gewährleisten. Das Recht einer Minderheit auf ein sicheres und friedliches Leben sollte als globaler Kulturwert verankert sein.

Hier geht es zu Teil 2: Hintergründe des Konflikts

Weitere Teile:

Teil 3: Extremistischer Einfluss auf das Protestgeschehen

Teil 4: Rechtslage beim polizeilichen Umgang mit Versammlungen

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