Aktionärsorientierung der Unternehmenspolitik?

Dieses Zitat bringt eine gängige Vorstellung über die Verhaltensweisen von Unternehmen aus verschiedenen Ländern zum Ausdruck: Bezüglich der faktischen Relevanz der Interessen und Werte verschiedener Anspruchsgruppen für Entscheidungen im Unternehmen (im Weiteren als unternehmenspolitische Orientierung bezeichnet) werden für Unternehmen aus unterschiedlichen Ländern markante Unterschiede angenommen.

Für die Bearbeitung der vorliegenden Problemstellung ist zunächst ein geeignetes Forschungsdesign festzulegen. In der methodologischen Literatur werden die unterschiedlichen methodischen Ansätze empirischer Forschung in die polare Gegenpositionen zu einander bildenden Kategorien „qualitative“ und „quantitative“ Forschung eingeteilt⁴⁴. Mit Blick auf den in der Forschungspraxis vorliegenden Variantenreichtum an Methoden ist indessen mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass sich hinter der durch diese Terminologie implizierten Zweiteilung ein Spektrum unterschiedlicher methodologischer Positionen verbirgt⁴⁵, von denen für die Verortung der methodologischen Position des vorliegenden Forschungsprojekts zunächst aber die idealtypischen Ausprägungen skizziert werden sollen.

Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Problemstellung ist in einem ersten Schritt das, was untersucht werden soll, kategorial zu verorten. Im Rahmen dieser, auch als qualitative Induktion bezeichneten Subsumtion eines Phänomens unter eine spezifische Kategorie werden dessen charakteristische Eigenschaften mit konstitutiven Eigenschaften von Kategorien, die zu seiner Verortung bereitstehen, verglichen¹⁹⁹. Von einer ausführlichen Darstellung des Prozesses der begrifflichen Einordnung inklusive aller „subsumtiven Irrwege“ wird allerdings an dieser Stelle abgesehen²⁰⁰. Statt dessen werden lediglich die Parallelen, die das empirische Phänomen und die letztlich gewählte theoretische Kategorie aufweisen, nachgezeichnet.

Im Folgenden soll anhand des Falles Hoechst herausgearbeitet werden, über welche Wirkungsstränge die Internationalität eines Unternehmens auf die aktienkursbezogene unternehmenspolitische Reorientierung einwirken kann. Zu diesem Zweck erscheint es notwendig, die Emergenz dieses Phänomens zu rekonstruieren. Ansatzpunkte hierfür bieten insbesondere die in der einschlägigen Literatur bislang thematisierten Erklärungsansätze.

Den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung stellte die insbesondere in wirtschaftsjournalistischen Veröffentlichungen vorzufindende These dar, dass im Verlauf der 90er Jahre bei einigen großen deutschen Unternehmen eine unternehmenspolitische Reorientierung vorzufinden sei, die sich durch eine markante Aufwertung der Aktionärsinteressen charakterisieren ließe. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, diesem Phänomen analytisch nachzugehen, indem dessen spezifische Symptome herausgearbeitet werden sollten und zugleich die Adäquanz der Charakterisierung in Form des Attributs „aktionärsbezogen“geprüft werden sollte. Weiterhin war es Gegenstand dieser Untersuchung zu analysieren, in welchem Zusammenhang die Internationalität eines Unternehmens, bei dem eine derartige unternehmenspolitische Reorientierung auftritt, mit diesem Phänomen steht. Aus diesem Grund sollte der Einfluss der Internationalität auf die Emergenz der mit dem Attribut „aktionärsbezogen“belegten unternehmenspolitischen Orientierung, die in den 90er Jahren bei einigen großen deutschen Unternehmen stattgefunden haben soll, herausgearbeitet werden und darüber hinaus sollte analysiert werden, welche Auswirkungen sich durch diese unternehmenspolitische Reorientierung für die weitere Internationalisierung der betroffen Unternehmen ergeben.

Aufschluss über die unternehmenspolitische Orientierung bieten die Gliederung des Geschäftsberichts sowie gegebenenfalls im Geschäftsbericht vorzufindende leitmotivische Aussagesequenzen. Bereits zu Anfang der 70er Jahre versuchte man in den Geschäftsberichten des Unternehmens durch die Berichterstattung über die Unternehmensentwicklung anhand der Kategorien „Aktionär und Mitarbeiter“, „Forschung und Verantwortung“(seit dem Geschäftsbericht für das Berichtsjahr 1975 aufgeteilt in die Bereiche „Forschung und Entwicklung“sowie „Umwelt und Verantwortung“) „Wettbewerb und Leistung“, „Wachstum und Finanzierung“¹²²⁸ sowie „Rohstoffe und Veredelung“ dem Spannungsfeld der unterschiedlichen unternehmenspolitischen Gruppierungen Rechnung zu tragen.