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2021 | OriginalPaper | Chapter

2. Allgemeine Grundlagen der Untersuchung

Author : Marcus Zachäus

Published in: Der lange Weg der Rente mit 67

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die Rentensysteme der westlichen Staaten leiden überwiegend an einem zentralen Problem: der Überalterung der Gesellschaft (May 2010: 9; Börsch-Supan 2011: 196; Torp 2015: 9; Axelrad/Mahoney 2017: 56 f.; OECD 2018c: 9). Diese demografische Entwicklung hat auch einen erheblichen Einfluss auf die Finanzierungssicherheit des deutschen Rentensystems, welches auf dem Umlageverfahren basiert, keine sonderlich umfangreichen Rücklagen besitzt und somit zwingend auf die Beiträge der arbeitenden Bevölkerung angewiesen ist. Sinken die Beiträge oder die Anzahl der Beitragszahler*innen und hierdurch die Einnahmen, so fehlt buchstäblich Geld in der Rentenkasse, wenn man nicht das Rentenniveau und damit die Ausgaben senkt oder die Einnahmen anderweitig erhöht.

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Appendix
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Footnotes
1
Wie ich noch zeigen werde, ist diese Untersuchung multidimensional und interdisziplinär angelegt. Daher breite ich in den folgenden Unterkapiteln des Kapitels 2 die Grundlagen der Untersuchung aus, die für alle Untersuchungsteile gleichermaßen gelten. Die speziellen Grundlagen werden in den einzelnen (Unter-)Kapiteln 3 und 4 dargelegt.
 
2
Diskurs im Foucaultschen Sinn ([1973] 1981: 170) bzw. spezifischer in einer Weiterentwicklung hiervon: Ich folge in dieser Arbeit der Diskursdefinition von Maarten A. Hajer, da sie aufbauend auf dem Diskursbegriff von Foucault diesen praktisch greif- und anwendbarer macht. Hajer (1995: 44) definiert den Diskursbegriff wie folgt: „Discourse is here defined as a specific ensemble of ideas, concepts, and categorizations that are produced, reproduced, and transformed in a particular set of practices and through which meaning is given to physical and social realities.“ Für ausführliche Auflistungen und Bewertungen weiterer Diskursbegriffe siehe Busch (2007) und Niehr (2014a).
 
3
Dies ist aber aus den oben genannten Gründen der Deckelung des Beitragssatzes und Rentenniveaus schon gar nicht möglich.
 
4
Andere Meinung: Schmidt (2012: 177) hält es für wahrscheinlich, dass steigende Kosten in den öffentlichen Ausgaben für die Rentenversicherung durch eine Erhöhung der Staatsverschuldung kompensiert werden, kritisiert jedoch, dass hierdurch „weitere Lasten der Finanzpolitik auf die zukünftigen Generationen“ zukommen werden. Aufgrund der Stärke des Generationen-Arguments (May 2010) halte ich diese Einschätzung jedoch für falsch, da die letzten Rentenreformen immer mit Blick auf eine gerechte Verteilung zwischen den Generationen gerechtfertigt wurden (vgl. empirische Kapitel und Fazit dieser Arbeit). Ein Verstoß gegen diesen über Jahrzehnte aufgebauten Topos wäre vermutlich mit hohen politischen Kosten verbunden.
 
5
Die durchschnittlichen Versicherungsjahre bei Renteneintritt für Renten wegen Alters lagen 2017 für Männer bei 41,2 (1960: 37,6 Jahre) und für Frauen bei 34,6 (1960: 30,9 Jahre) Jahren (DRV 2018: 131 f.). Diese Werte lagen 2017 für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für Männer bei 42,3 Jahren (1960: 31,7 Jahre) und für Frauen bei 40,6 Jahren (1960: 19,8 Jahre). Nichtsdestotrotz lässt sich in Bezug auf die durchschnittlichen Versicherungsjahre in den Jahren seit der Wiedervereinigung insbesondere in den neuen Bundesländern ein deutlich rückläufiger Trend und in allerjüngster Zeit in den alten Bundesländern ebenfalls ein leicht rückläufiger Trend beobachten.
 
6
So betrug das durchschnittliche Zugangsalter bei Renten wegen Alters 2017 für Männer 64,0 Jahre, 1967 aber noch 65,2 Jahre (DRV 2018: 137). Die gleichen Werte für Frauen sind in diesem Zeitraum etwas gestiegen (2017: 64,3, 1960: 63,9). Besonders stark gefallen ist hingegen das Zugangsalter wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Hier gibt die DRV (2018: 138) für 2017 einen gesamtdeutschen Durchschnittswert von 52,4 Jahre für Männer und 51,4 Jahre für Frauen an. Diese Werte lagen 1960 noch bei 55,8 bzw. 56,2 Jahren. Insgesamt ist das durchschnittliche Zugangsalter aller Rentner*innen jedoch leicht von 59,5 Jahren (Männer 1960) und 58,8 Jahren (Frauen 1960) auf 61,8 Jahre (Männer 2017) und 61,9 Jahre (Frauen 2017) gestiegen. Die hier gestiegenen Werte lassen sich auch darauf zurückführen, dass der Anteil der Erwerbsminderungsrenten im gleichen Zeitraum stark gefallen ist (DRV 2018: 65). Die durchschnittlichen Entgeltpunkte je Versicherungsjahr sind im gleichen Zeitraum von 0,899 (1960) auf 0,836 (2017) gefallen (DRV 2018: 134).
 
7
Dieser Trend wird auch vom Statistischen Bundesamtes vorausgesagt (Destatis 2017).
 
8
Als aktiv Versicherte bezeichnet die DRV Personen, die Mitglied der Deutschen Rentenversicherung sind und jeweils aktuell auch in diese einzahlen. Davon zu unterscheiden sind passiv Versicherte. Dies sind Personen, die bereits Rentenansprüche erworben haben, aber entweder innerhalb des gesamten Berichtsjahres oder aber zum Stichtag (in der Regel der 31.12.) nicht zu der Gruppe der aktiv Versicherten zählten (DRV 2018: 296, 311).
 
9
Eine Teilschuld an dem Anstieg des Rentenbestandes zwischen 1975 und 1995 hat auch die damalige Frühverrentungspolitik, welche in den 1970er durch die Flexibilisierung der Regelaltersgrenzen begann und erst durch das Rentenreformgesetz 1992 und das Wachstums- und Beschäftigungsgesetz 1996 Mitte der 2000er Jahre wieder gestoppt wurde. Siehe hierzu auch Kapitel 3.​1.
 
10
Der Altenquotient gibt in der Regel das Verhältnis zwischen den Über-65-Jährigen und den 20- bis 64-Jährigen an (Destatis 2015: 57). Es gibt aber auch – so wie hier verwendet – Varianten mit anderem Alter, z. B. bis 60 Jahren oder bis 67 Jahren.
 
11
Dies ist stark von der realen Bevölkerungsentwicklung sowie von der Beschäftigungsquote und der Art der Beschäftigung abhängig. Zu dem genannten Verhältnis gelangt man, wenn man vereinfachend die Werte von 2016 auf das Jahr 2060 projiziert, um eine ungefähre Annäherung zu erreichen (vgl. hierzu DRV 2018: 6; Destatis 2015: 45, 2017): https://static-content.springer.com/image/chp%3A10.1007%2F978-3-658-32840-5_2/MediaObjects/508574_1_De_2_Figa_HTML.png
 
12
So hat der elfte Bundestag (1987–1990) das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) im Jahr 1989 verabschiedet, der 13. Bundestag (1994–1998) hat das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG 1996) und das Rentenreformgesetz 1999 (RRG 1999) verabschiedet, der 14. Bundestag hat das Altersvermögensgesetz und das Altersvermögensergänzungsgesetz (RRG 2001) verabschiedet, der 15. Bundestags hat das Rentenversicherung-Nachhaltigkeitsgesetz (RRG 2004) verabschiedet und der 16. Bundestag hat das Rentenversicherung-Altersgrenzenanpassungsgesetz 2007 verabschiedet. Insgesamt sieben Rentenreformen in 25 Jahren. Zum Vergleich: In den Jahren davor seit 1957 gab es hingegen lediglich vier größere Rentenreformen (vgl. Schulze/Jochem 2007: 671 f. & 676 f.): Das Rentenreformgesetz 1957, das Rentenreformgesetz 1972, das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung 1974 und das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz 1985. Stattdessen waren in der Zeit Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre mehrere kleinere Anpassungen zu beobachten, „die der kurzfristigen Stabilisierung der Rentenbilanzen und der Entlastung des Bundeshaushalts dienten, das Rentenwachstum bremsten und teilweise auch Einschnitte in die Leistungsstruktur bedeuteten, ohne dass dahinter jedoch schon eine systematische Strategie zur Konsolidierung der Rentenversicherung zu erkennen gewesen wäre“ (Torp 2015: 260).
 
13
Die öffentlichen Ausgaben für Alters- und Hinterbliebenenrenten in Deutschland stiegen laut OECD (2018c: 155) prozentual gemessen am Bruttoinlandsprodukt von 9,5 % (1990, OECD-Mittelwert: 6,1 %) auf 11,1 % (2005, OECD-Mittelwert: 6,8 %) und sanken wieder auf 10,1 % (2013, OECD-Mittelwert: 8,2 %). Somit lag der deutsche Wert konstant über dem OECD-Mittelwert, sank jedoch im Vergleich zu diesem in der Mitte der 2010er Jahre. Trotzdem war und bleibt der deutsche Wert damit im Vergleich zum OECD-Durchschnitt klar erhöht und machte in 2013 immerhin 22,7 % der gesamten Staatsausgaben Deutschlands aus (OECD-Mittel 18,1 %).
 
14
Siehe hierzu das Datenhandbuch des Deutschen Bundestages (2018): Eine von mir durchgeführte Analyse der im Parlament besprochenen Themen hat ergeben, dass im Zeitraum 1990–2017 24 aktuelle Stunden, elf Regierungsbefragungen und acht große Anfragen öffentlich zum Thema Rente oder der Situation Älterer im Allgemeinen abgehalten bzw. beantwortet wurden.
 
15
Zur Bewertung der Relevanz des Themas durch die Bevölkerung im Zeitraum 1983 bis 2013 siehe Forschungsgruppe Wahlen e. V. (1990: 721–728, 1994: 658–660, 1998: 77 ff., 2001: 52 f., 2005: 42–47, 2009: 62–67, 2013: 47–52) Kunz/Thaidigsmann (2005: 56 f.) und Wagschal/König (2015: 191). Zum Aufgreifen des Themas Rente im Wahlkampf durch die Parteien im Zeitraum 1990 bis 2013 in Wahlwerbespots, Plakatwerbungen und TV-Duellen siehe Holtz-Bacha/Kaid (1993: 59, 1996: 182–186), Holtz-Bacha (1999: 79), Wilke/Reinemann (2003: 40), Lieske (2006: 160) Tapper/Quandt (2006: 256–263, 2015: 129–133), Leidecker/Wilke (2015: 155), allgemeiner: Holtz-Bacha (2010: 176).
 
16
Eine kleine Anmerkung zu den in diesem und dem folgenden Kapitel verwendeten Umfragen: Die wissenschaftliche Forschungslage zur Einstellung der deutschen Bevölkerung ist nicht sonderlich umfangreich. Daher stütze ich mich neben als von mir als unabhängig zu bewertenden Analysen (wie vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (GESIS) und der Forschungsgruppe Wahlen e. V.) auch auf Umfragen von Versicherungsgesellschaften, privaten, von der Wirtschaft geförderten Forschungseinrichtungen (Deutsches Institut für Altersvorsorge) und auf von Journalist*innen in Auftrag gegebene Umfragen, da die wissenschaftlichen Umfragen alleine ansonsten nicht ausreichend gewesen wären. Dabei habe ich darauf geachtet, dass die Umfragen nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen wissenschaftlichen Standards genügten und repräsentativ waren. Dort wo ich Bedenken bezüglich des Forschungsdesigns oder ähnlichem hatte, habe ich diese artikuliert, um die Leser*innen darauf aufmerksam zu machen. Da die Umfragen aber unabhängig von ihrer Herkunft stets in die gleiche Richtung deuten, fühle ich mich in der hier präsentierten Auswahl bestätigt.
 
17
Andere Mittelwerte der Befragungen: Arbeitslosigkeit (51,5 %), Wirtschaftslage (10,0 %), Bildung (6,8 %) und ab Dezember 2010 auch die Euro-/Schuldenkrise (20,9 %) (Forschungsgruppe Wahlen e. V. 2014).
 
18
Langfristig = innerhalb der nächsten Dekade (vgl. OECD 2019a: 14).
 
19
Bei der im März bis Juni 2006 durchgeführten Umfragen gehen 46 Prozent der Befragten von einem zukünftig viel niedrigeren Lebensstandard der Rentner*innen aus, 42 Prozent von einem etwas niedrigerem (Nüchter/Bieräugel et al. 2008: 108).
 
20
ALLBUS = Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften
 
21
In dieser zwischen März und Mai 2005 mit Telefoninterviews durchgeführten Studie gaben nur 11 Prozent der Befragten an, ein großes Vertrauen in die Rentenversicherung zu haben. 25 Prozent hatten etwas Vertrauen, 42 Prozent weniger Vertrauen und 23 Prozent überhaupt kein Vertrauen (Krömmelbein/Bieräugel et al. 2007: 148).
 
22
Die Befragten bewerteten die Sicherheit bzw. Verlässlichkeit der gesetzlichen Vorsorge bei dieser Umfrage mit einem Wert von 4,2 (2017 noch 5,7) auf einer Skala von 0 bis 10.
 
23
Schmähl (2011a: 166) kritisiert das „Lohnnebenkostenargument“ und zitiert in diesem Zug Walter Riester selbst, der 2005 nach seinem Ausscheiden aus dem Amt als Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die Lohnnebenkosten selbst als überschätzte Variable betitelte.
 
24
Beziehungsweise zum Teil nur als notwendig gerahmt wurden. Ob der Paradigmenwechsel durch die Riester-Rentenreform 2001 tatsächlich notwendig war und nicht besser anders hätte gelöst werden sollen, bleibt anlässlich der aktuellen Zahlen zu bezweifeln. Zunächst einmal ist anzumerken, dass die zwar freiwillige private und/oder betriebliche Vorsorge aufgrund der Rentenniveauabsenkungen des RRG 2001 in der Realität obligatorisch ist, wenn man seinen Lebensstandard im Rentenalter halten möchte (vgl. Dünn/Fasshauer 2003b: 2; Blank 2011: 109). Nun zu den Zahlen: Zwar wuchs die Zahl der abgeschlossenen Riester-Verträge in den ersten zehn Jahren auf 14,5 Millionen abgeschlossene Verträge, stieg in den folgenden acht Jahren aber nur noch marginal auf aktuell gut 16,6 Millionen Riester-Verträge im dritten Quartal 2018 und ist im Trend sogar leicht rückläufig (BMAS 2018b). Allerdings macht diese Anzahl erstens bei über 50 Millionen Versicherten in der GRV nur einen Bruchteil der Gesamtzahl der zukünftigen Rentner*innen aus, was erhebliche Versorgungslücken für die Zukunft befürchten lässt. Und zweitens ruhen darüber hinaus mittlerweile gut ein Fünftel – um die 3,3 Millionen – Riester-Verträge; sie werden aktuell also nicht bespart (Bundesregierung 2018a: 4). Die Umfrage der AXA (2017) deutet zudem darauf hin, dass die Menschen offenbar knapp 20 Jahre nach ihrer Einführung das Vertrauen in die private Vorsorge über Riester verloren haben (Seiten 78–81 & 84–87; siehe auch: Nüchter/Bieräugel et al. 2008: 143 f.) und gerade die Menschen, welche die private Vorsorge am nötigsten bräuchten (Geringverdiener, Arbeitslose) darüber hinaus angeben, kein Geld für eine (ausreichende) private Vorsorge zu haben (Seiten 210 f. & 216 f.; auch: Nüchter/Bieräugel et al. 2008: 121 ff.). Siehe hierzu auch Schmähl (2011a: 191 ff., 2011b), der eine Alternativlösung zur Riester-Rente vorschlägt.
 
25
Wobei dies kein deutsches Problem ist. Die Anhebung der Regelaltersgrenzen in der Rentenversicherung sind z. B. in allen Ländern der OECD umstritten (OECD 2018c: 9).
 
26
Es zeigte sich aber und wird hier auch dargestellt werden, dass es auch gute Gründe gegen die Rente mit 67 gab und gibt.
 
27
Siehe hierzu ausführlich meine Ausführungen zum Forschungsstand bezüglich der in dieser Arbeit behandelten Forschungsfelder in Kapitel 2.5.
 
28
Nach dem ALLBUS 2006 (GESIS 2011) sind z. B. die 18- bis 29-Jährigen zwar eher dazu bereit, länger als bis zum 65. Lebensjahr zu arbeiten, aber 60,2 Prozent wollen trotzdem nur bis 65 arbeiten (siehe Tabelle 6.1 in Kapitel 6.1 (siehe Online-Anhang)). Andere Umfragen bestätigten diese Werte (vgl. Börsch-Supan/Heiss et al. 2004: 54; TNS Emnid 2007: 7).
 
29
Die Studie gibt auch Werte von 2000 und 2001 an, welche deutlich höher liegen (2000: 65,1 Prozent nicht bereit, 32,4 Prozent bereit; 2001: 69,1 Prozent nicht bereit, 29,8 Prozent bereit). Allerdings klärt sie nicht darüber auf, woher diese Werte stammen, weswegen ich sie nicht in diesen Überblick mit aufnehme.
 
30
Um zu verstehen, wie diese Aussagen mit dem Alter zusammenhängen, wurde ein Chi-Quadrat-Test zwischen diesen beiden Variablen mit PASW Statistics 18 durchgeführt. Keine erwarteten Häufigkeiten waren dabei kleiner als 5. Es gab nur einen eher geringen negativen, statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen dem Alter und der Einstellung, ungerne länger als bis 65 zu arbeiten, χ2(9) = 18,238, p = 0,033, Cramer-V = 0,069, Kendall-Tau-c = -0,052 (vgl. Tabellen 6.1 bis 6.3 im Anhang in Kapitel 6.1 (siehe Online-Anhang)). Ein weitläufiges Argument ist, dass Bildung bzw. Verständnis über das Rentensystem zu einer höheren Anerkennung jeglicher Rentenreformen führt (vgl. stellvertretend Börsch-Supan/Heiss et al. 2004: 85 f.; Reimann/Frommert 2006: 82 f.; Scheubel/Winter 2008: 31; siehe auch Fußnote 35). Daher wurde auch ein Chi-Quadrat-Test zwischen der Variable höchster Schulabschluss und der Variable zur Frage ob man ungern länger als bis 65 arbeiten wollen würde durchgeführt. Zehn erwartete Häufigkeiten (35,7 Prozent) waren dabei kleiner als 5. Es gab dabei einen geringen positiven, statistisch höchst signifikanten Zusammenhang zwischen den genannten Variablen, χ2(18) = 41,549, p = 0,001, Cramer-V = 0,104, Kendall-Tau-c = 0,068 (vgl. Tabelle 6.7 bis 6.9 im Anhang in Kapitel 6.1 (siehe Online-Anhang)). Diese Ergebnisse bestätigen also nicht unbedingt die Aussagen dieser Studien, deuten aber in die gleiche Richtung.
 
31
Die in dieser Arbeit vorhandene Unterscheidung zwischen dem Gesetz RV-AGAG und der Idee Rente mit 67 wurde in der Politik und den Medien weniger strikt eingehalten, weswegen in den Umfragen regelmäßig von der Rente mit 67 gesprochen wird, wenn doch eigentlich das RV-AGAG gemeint ist.
 
32
Hierbei zeigte sich, dass besonders Ostdeutsche (90 Prozent vs. 80 Prozent im Westen), Frauen (87 Prozent vs. 77 Prozent der Männer) und Anhänger der Links-Partei (94 Prozent, restliche Parteianhänger*innen zwischen 71 und 82 Prozent) für die Abschaffung stimmten, wohingegen Menschen mit einem höheren Schulabschluss („Abi, Uni“) deutlich häufiger für die Rentenreform waren (27 Prozent, restliche Gruppen zwischen 8 und 15 Prozent). Diese Zahlen deuten in die gleiche Richtung wie die Ergebnisse der Studie von Börsch-Supan/Heiss et al. (2004), wonach höhergebildete Bundesbürger*innen tendenziell eher die Notwendigkeit von Rentenreformen erkennen und ihnen zustimmen.
 
33
Die Studie kann auch zeigen, dass 64,2 Prozent (vs. 24,6 Prozent) der Befragten findet, dass „die Reform der Rentenversicherung in die falsche Richtung gegangen sei“ (Gabriel 2013: 86 f.).
 
34
Die Antworten der Ruheständler*innen waren ähnlich verteilt.
 
35
Börsch-Supan/Heiss et al. (2004: 70 f., auch 48) erhielten bei ihrer Befragung im Durchschnitt eher eine Zustimmung zu einer Senkung des Rentenniveaus anstatt einer Anhebung der Beiträge. Allerdings wechselt diese Einstellung bei höherer Ausbildung zurück zu einer Befürwortung höherer Beiträge und kann damit eher als Anomalie betrachtet werden. Zudem zeigen die Daten des ALLBUS 2006 (GESIS 2011), dass die Akzeptanz der Rente mit 67 mit dem Alter ansteigt und die Akzeptanz für Rentenkürzungen abnimmt, wobei die Erhöhung der Beiträge durchweg die beliebteste Lösungsmöglichkeit ist. Bei einem Chi-Quadrat-Test zwischen den Variablen Alter und beste Lösungsmöglichkeit für die Probleme der GRV zeigte sich ein deutlich negativer, statistisch höchst signifikanter Zusammenhang, χ2(8) = 50,998, p = 0,000, Cramer-V = 0,140, Kendall-Tau-c = −0,134 (null erwartete Häufigkeiten (0,0 Prozent) waren dabei kleiner als 5; vgl. auch die Tabellen 6.4 bis 6.6 im Anhang in Kapitel 6.1 (siehe Online-Anhang)). Im Gegensatz dazu zeigte ein Chi-Quadrat-Test zwischen dem höchsten Schulabschluss und der genannten Variable, die nach dem präferierten Lösungsweg fragte, keine so deutliche Ausprägung, aber immerhin noch einen sehr geringen negativen, statistisch höchst signifikanten Zusammenhang, χ2(12) = 36,636, p = 0,000, Cramer-V = 0,119, Kendall-Tau-c = –0,021 (sechs erwartete Häufigkeiten (28,6 Prozent) waren dabei kleiner als 5; vgl. Tabellen 6.10 bis 6.12 im Anhang in Kapitel 6.1 (siehe Online-Anhang)).
 
36
Auch wenn nicht direkt danach gefragt wird, so deuten auch die Ergebnisse von Schrenker (2009: 16, 2011: 281) auf diese Einstellung hin, da hier 60 Prozent eher eine erhöhten Staatsverschuldung als einer Rentenkürzung zustimmen.
 
37
Überhaupt kann Müntefering aus diversen Gründen als die federführende Person schlechthin bezüglich der Entstehung des RV-AGAGs betrachtet werden. Siehe hierzu auch die Ausführungen in den Kapiteln 3.​1 und 3.​2.
 
38
In nicht allzu weiter Zukunft wird die Lebenserwartung aber soweit angestiegen sein, dass dieser Effekt in Bezug auf eine Kostenersparnis quasi nicht mehr ins Gewicht fällt. Selbst die jetzige Anhebung um zwei Jahre ist nur der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein: In der Zeit, in der die Regelaltersgrenze um zwei Jahre durch das RV-AGAG angehoben wird, wird die durchschnittliche weitere Lebenserwartung eines/r 65-Jährigen voraussichtlich um gut drei Jahre steigen. Das Gesetz kompensiert also noch nicht einmal den Anstieg der Lebenserwartung während der Zeit seiner Einführung. Siehe hierzu auch die ausführlicheren Berechnungen bei Gasche/Bucher-Koenen et al. (2010: 4 f.), die diesbezüglich auch vorschlagen, die Regelaltersgrenze gleich an die Lebenserwartung zu koppeln.
Außerdem wird diese Kostenersparnis nicht linear verlaufen. Abhängig vom tatsächlichen Renteneintrittsalter im Vergleich zur Regelaltersgrenze wird es voraussichtlich zunächst zu einer Entlastung, dann aber zu einer Belastung der GRV kommen (Eitenmüller/Schüssler 2004: 104 f.; Gasche/Bucher-Koenen et al. 2010: 5 ff.).
 
39
Zur 45-Jahre-Ausnahmeregelung: Die 45-Jahre-Ausnahmeregelung besagt, dass jemand, der bereits 45 Beitragsjahre erarbeitet hat, auch bereits mit 65 anstatt 67 Jahren abschlagfrei in Rente gehen kann. Dieses Alter wurde mit dem 2014er RV-Leistungsverbesserungsgesetz auf 63 Jahre gesenkt und steigt nun parallel zur Regelaltersgrenze bis 2029 auf 65 Jahre wieder an, was zu weiteren Kosten in Milliardenhöhe führen wird. Die Bundesregierung (2014: 3) gibt die geschätzten Mehrkosten bis 2030 alleine nur für diese Rente mit 63 – also sozusagen die Sonderregelung der Sonderregelung – mit 33,3 Milliarden Euro an. Laut aktueller Berechnungen des ifo Instituts waren aber alleine die Kosten in den ersten drei Jahren 2014 bis 2016 um das 1,3-fache höher als in der Schätzung der Bundesregierung (Dolls/Krolage 2019). Die wahren Kosten lassen sich kaum abschätzen, da nicht gesagt werden kann, wie viele Versicherte diese Möglichkeit in den kommenden, noch verbleibenden zehn Jahren wahrnehmen werden. Zudem ist diese Regelung auch nach der Reform von 2014, welche die ALG-I-Zeiten nun mit in die 45 Jahre hinzuzählt, aus einem Gleichberechtigungsstandpunkt als ausgesprochen ungerecht zu bezeichnen. So haben Frauen aufgrund unterbrochener und vor allem kürzerer Lebensarbeitszeitbiographien eine viel geringere Chance, diese Regelung überhaupt nutzen zu können (DRV 2018: 131 f.). Die Rente mit 63 wird daher vom früheren Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering als „nicht plausibel, eher willkürlich“ (Zachäus 2019) bezeichnet und führte dazu, dass der frühere VDR-Geschäftsführer Franz Ruland aus Protest aus der SPD austrat (Die Welt 2014).
Fraglich ist am Ende, ob hinter der Regelung nicht (auch) arbeitsmarktpolitische Überlegungen standen. Theoretisch wäre dies denkbar: Die Arbeitslosigkeit war zu dieser Zeit so hoch wie noch nie seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland und die Erwerbsquote Älterer war ebenfalls noch weit entfernt davon, als ideal bezeichnet zu werden (siehe die noch folgenden Ausführungen in diesem Kapitel). Durch die Ausnahmeregelung ermöglicht(e) man es vielen (männlichen) Arbeitnehmer*innen, früher in Rente gehen zu können und hatte so nicht das Problem, dass diese Menschen ggf. noch kurz vor der Rente in die Arbeitslosigkeit fielen und ihre Rentenansprüche dadurch fielen. Genauere Forschungen zu dieser Hypothese müssen meines Wissens nach aber erst noch durchgeführt werden. Zum aktuellen Zeitpunkt kann man aufgrund fehlender Forschung diesbezüglich nur mutmaßen.
Zum Nachhaltigkeitsfaktor: Die Aufgabe des Nachhaltigkeitsfaktor ist es, Rentenanpassungen zu bremsen, wenn sich das Verhältnis von Beitragszahler*innen zu Rentner*innen verschlechtert. Allerdings funktioniert dieser Effekt auch in die andere Richtung. Durch die gerade angesprochene Entwicklung wird es auf mittlere Sicht im Vergleich zu der Situation ohne Reform tendenziell mehr Beitragszahler*innen und zumindest zeitweise weniger Rentner*innen geben, wodurch die Rentenanpassungen stärker ansteigen werden als ohne die Anhebung der Regelaltersgrenze. Rein rechnerisch kann man durch diesen Effekt beim RV-AGAG von einer Rentenerhöhung sprechen (vgl. die Rechnungen bei Gasche/Bucher-Koenen et al. 2010: 12–17; siehe auch: Bomsdorf/Babel 2006). Diese zwei Gesetze wirken somit aus der Sicht einer Kosteneinsparung für die GRV gegeneinander. Dies ist nur ein Beispiel dafür, mit wie wenig langfristiger Planung die „Umstrukturierungsphase“ (Hegelich 2006) seit 1989 einherging.
 
40
Ein viertes, seltener anzufindendes Argument ist, dass die Steigerung der Erwerbsquote älterer Arbeitnehmer*innen zu höherer Arbeitslosigkeit bei jüngeren Arbeitnehmer*innen führen würde, was vielleicht auf den ersten Blick logisch erscheinen mag, aber mittlerweile durch mehrere Studien widerlegt wurde, wie Bauknecht/Naegele (2015: 181) zeigen.
 
41
Erwerbsquote = Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) an der Gesamtbevölkerung (BAS 2018: 8).
 
42
Allerdings sollte man mit der Interpretation der offiziellen Statistiken vorsichtig sein. So ist insbesondere die Definition dessen, wer als arbeitslos gilt und wer nicht, ein politisches Mittel, die eigenen Erfolge besser und die eigenen Misserfolge weniger drastisch darzustellen. Aktuell fallen z. B. Menschen, die 58 Jahre oder älter sind, mindestens zwölf Monate Arbeitslosengeld II (Hartz IV) bezogen haben und innerhalb dieser Zeit kein Angebot für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhalten haben nach § 53a SGB II (2017) aus der offiziellen Arbeitslosenzahl heraus. Sie werden in der Statistik unter der Kategorie Arbeitslosigkeit im weiteren Sinne gesammelt (siehe für die entsprechenden Definitionen BAS 2019c: 35). Ein Beispiel: im Februar 2019 wird die Arbeitslosenquote im offiziellen Bericht auf Seite 11 mit knapp 2,37 Millionen angegeben (BAS 2019c). Erst auf Seite 63 in Tabelle 6.7 erfährt man, dass zu diesen 2,37 Millionen Arbeitslosen noch 377 920 Arbeitslose im weiteren Sinn (davon 170 380 ältere Arbeitslose nach der gerade genannten Definition) hinzukommen. Zusammen mit den Unterbeschäftigen im engeren und weiteren Sinne ergibt sich so eine Zahl von insgesamt 3,31 Millionen Menschen, die nicht oder nicht vollständig alleine ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
 
43
Die Erwerbstätigenquote – also die Personen die tatsächlich einem Beschäftigungsverhältnis nachgehen – ist im gleichen Zeitraum genauso gestiegen und lag in 2017 entsprechend bei 80,1 Prozent, 58,4 Prozent und 7,0 Prozent (BAS 2018: 9)
 
44
So gibt die OECD (2018b: 16) z. B. für 2016 eine Erwerbstätigenquote für die 55- bis 64-Jährigen für Deutschland von 68,6 Prozent, für die EU-28-Staaten von durchschnittlich 55,3 Prozent und für die OECD-Länder von durchschnittlich 59,2 Prozent an.
 
45
Zur Erinnerung: Diese waren (1), dass die Menschen aufgrund von Arbeitsmarkthemmnissen oftmals gar nicht bis zum Erreichen des 67. Lebensjahres arbeiten könnten und (2) die Forderung, dass die Rente mit 67 erst eingeführt werden solle, wenn sich die Situation für Ältere auf dem Arbeitsmarkt deutlich verbessert habe.
 
46
Anderer Meinung sind Arnold/Mattes et al. (2016), die allerdings unüblicherweise zu den Normalarbeitsverhältnissen Personen in der Berufsausbildung, in Weiterbildungsmaßnahmen und dem Mutterschutz bzw. der Elternzeit hinzuzählen. Zudem unterscheiden sie nicht zwischen befristeten und unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen. So kommen sie zu dem Schluss, dass es zu keiner Veränderung der Anteile an Normalarbeitsverhältnissen kam. Hier werden Normalarbeitsverhältnisse in Anlehnung an die Definition des Statistischen Bundesamtes als unbefristete Arbeitsverhältnisse definiert. Und die Zahl dieser Beschäftigungsverhältnisse in Vollzeit ist seit 1991 leicht gesunken, wohingegen die Zahl der unbefristeten Teilzeitbeschäftigungen, der Selbstständigen sowie die der atypisch Beschäftigten stetig (teilweise um das Doppelte) gestiegen ist (Oschmiansky/Kühl et al. 2014).
 
47
Die Notwendigkeit hierfür wurde übrigens bereits vor über 50 Jahren erkannt (vgl. Liefmann-Keil im Ausschuss für Sozialpolitik 1967: 30).
 
48
Siehe allerdings auch Zwick (2011), der eine geringere Effektivität von Weiterbildungsmaßnahmen für Erwerbstätige über 55 Jahren sieht. Diese seien zum einen aufgrund der Einstellung dieser Gruppe gegenüber Weiterbildungsmaßnahmen weniger effektiv. Zum anderen würden Firmen darüber hinaus in der Regel nicht-passende Weiterbildungsprogramme anbieten, wodurch die eben genannte Selbsteinschätzung noch verstärkt werde.
 
49
Die Initiative 50plus war eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales als dreistufiges Programm angelegte Maßnahme, um die Vermittlungschancen insbesondere von älteren Langzeitarbeitslosen zu erhöhen. Sie wurde zeitgleich und begleitend zum RV-AGAG einige Monate vor dessen Verabschiedung gestartet. Hierzu konnten sich Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit mit eigenen regionalen Konzepten für die Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser bewerben. Ziel war es, regionale Netzwerke zu Arbeitgeber*innen aufzubauen und sich unter den Jobcentern über Best Practices auszutauschen, um so die Arbeitslosigkeit Älterer zu bekämpfen (vgl. BMAS 2014). Siehe zur Diskussion der Initiative 50plus in der Politik und deutschen Öffentlichkeit auch die Kapitel 3.​1 und 4.
 
50
Obwohl z. B. Nüchter/Bieräugel et al. (2008: 103–144) durch Auswertung entsprechender Telefoninterviews zeigen können, dass offenbar ein Großteil der Bevölkerung sich genau dies wünscht und der eigenverantwortlichen privaten Altersvorsorge mit Skepsis gegenübersteht.
 
51
So z. B. insbesondere beim WFG 1996 gegen die Kürzungen oder den Wegfall von anrechenbaren Zeiten (Schmähl 2011a: 138; Hinrichs 2017: 362) oder dem RRG 2001 (Schulze/Jochem 2007: 689 f.; Schmähl 2011a: 159).
 
52
Um genau zu sein, wird eine sprachzentrierte Valenzanalyse der Policy-Idee Rente mit 67 durchgeführt werden. In Kapitel 2.4 erkläre ich, wie diese aufgebaut ist und durchgeführt werden wird.
 
53
Kingdon ([2003] 2014: 122) definiert diese Akteurinnen und Akteure in seinem Ansatz der Multiple-Streams als „advocates for proposals or for the prominence of an idea“.
 
54
Zur Unterscheidung eines weiten und engen Legitimationsbegriffs siehe Nullmeier/Köppe et al. (2009).
 
55
Siehe Holzinger (2001) für eine gegenteilige Meinung. Sie weist die Dichotomisierung der zwei Begriffe zurück und geht davon aus, dass beide Begriffe parallel bei der Lösung von Interessenkonflikten verwendet werden. Der Schlüssel zur Wahrheit liegt nach meinem Verständnis eher in der Mitte und ist definitorischer Art. Sicherlich ist es aber wahrscheinlich, dass immer beide Formen mit unterschiedlicher Gewichtung bei der Lösung von Interessenkonflikten eine Rolle spielen. Siehe diesbezüglich auch Nullmeier/Rüb (1993: 26).
 
56
Diese Stelle ist direkt aus dem Englischen von mir übersetzt. In der Folge sind alle Zitate, die im Original im Englischen vorkommen, hier aber in Deutsch wiedergegeben werden, von mir übersetzt.
 
57
(Re-)distributive Policies besitzen (wie angesprochen) von sich aus bereits ein hohes Konfliktpotential (Windhoff-Héritier 1987: 23–27).
 
58
Diese Entwicklung ist nicht nur auf der rechten Seite des politischen Spektrums zu beobachten, auch wenn der Zuwachs der Alternative für Deutschland (AfD) in den letzten Jahren ein gutes Beispiel hierfür ist. Aber auch die relativ abrupte Popularität der Linken durch den Zugang des früheren SPD-Politikers Oskar Lafontaine bei der Bundestagswahl 2005 ist ein gutes Beispiel hierfür. Hierdurch wurden die „Mehrheitsverhältnisse drastisch verändert“ und der Weg für eine weitere rot-grüne Regierung versperrt, wie der damalige Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering diese Situation einschätzt (Zachäus 2019).
 
59
Kurioserweise finden sich die Begründungen für die Anhebung der Regelaltersgrenze im Bericht der Rürup-Kommission (2003) zum Teil sogar im Wortlaut in den späteren Bundestagsplenardebatten zum RV-AGAG wieder.
 
60
Politisch gesehen, lag es offenbar schlichtweg an den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag und Bundesrat und der Blockade durch die CDU/CSU, dass das RV-AGAG nicht bereits früher verabschiedet wurde (vgl. Kapitel 3 sowie Zachäus 2019).
 
61
Wenn ich in dieser Arbeit von Systemen spreche, so meine ich dies unter Bezugnahme auf die Systemtheorie von Luhmann (2006), ohne dass die vorliegende Arbeit eine systemtheoretische wäre.
 
62
Wobei die Grenzen in 2019 angesichts von sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, mit denen Politiker*innen direkt mit der Bevölkerung kommunizieren können, deutlich fließender geworden sind. 2007 war die Nutzung dieser Medien unter Politiker*innen bei weitem noch nicht so verbreitet wie heutzutage.
 
63
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass in der Politikwissenschaft bzw. der Politischen Soziologie den Parlamentsdebatten als Analysematerial bereits seit längerem wenig bis keine Beachtung mehr geschenkt wird. Dies liegt an dem im Vergleich zu dieser Arbeit zumeist anderen Forschungsinteresse. Wenn man die internen Gründe für politische Entscheidungen herausarbeiten möchte, dann wird eine Analyse von Parlamentsdebatten aufgrund der beschriebenen Charakteristik dieser Sprache wenig bis gar keinen Sinn ergeben. Denn bei Parlamentsdebatten ist in der Regel bis auf wenige Ausnahmen – den sogenannten „Sternstunden“ (Burkhardt 2003: 451–454) – überwiegend Post-Entscheidungskommunikation vorzufinden. Es sei hier jedoch auf eine Arbeit von Bleses und Rose aus dem Bereich der Politischen Soziologie hingewiesen, die ebenfalls Parlamentsdebatten als Analysematerial verwendet hat. Die Autoren bezeichnen die öffentliche Parlamentsdebatte als „politische Schnittstelle“ (Bleses/Rose 1998: 15) zwischen der Öffentlichkeit und der Sozialpolitik, was gut zu den oben gemachten Ausführungen passt.
Bundesratsdebatten wurden nicht mit in die Untersuchung aufgenommen, da diesen in der Regel keine breite Aufmerksamkeit sowohl von Seiten der Politik als auch der Öffentlichkeit geschenkt wird. Dies war auch beim RV-AGAG so. Bei der ersten Lesung und Abstimmung im Bundesrat (2007a) am 16. Februar 2007 gab es keine öffentliche Debatte. Es wurden zwei Stellungnahmen lediglich zu Protokoll gegeben. Bei der zweiten Lesung und Abstimmung am 30. März 2007 wurde das Gesetz zumindest öffentlich debattiert, jedoch ohne mediale Aufmerksamkeit, da es bereits feststand, dass das RV-AGAG nach Verabschiedung im Bundestag im Bundesrat angenommen werden würde (Bundesrat 2007b). Da während der Debatte auch keine neuen Aspekte angesprochen wurden, habe ich den Bundesrat letztendlich aus der Untersuchung herausgenommen.
Ebenso habe ich mich gegen die Aufnahme der schriftlichen Kommunikation im Deutschen Bundestag zur Rente mit 67 und dem RV-AGAG entschieden. Hauptsächlich, weil diese oftmals technische Fragen und Antworten enthält und damit nicht für eine breite Öffentlichkeit gedacht ist, in der Regel auch wenig mediale Aufmerksamkeit bekommt und sie daher für die Meinungsbildung der Bevölkerung (nahezu) keine Rolle spielt. Im Fall der Rente mit 67 beschränkte sich die schriftliche Kommunikation auf drei kleine Anfragen durch die Partei Die Linke, welche allesamt nach Verabschiedung des Gesetzes gestellt wurden. Diese sind in folgenden Bundestagsdrucksachen (BT-Drs.) zu finden: 1. kleine Anfrage mit dem Titel „Rente ab 67 – Die Auswirkungen für die Betroffenen“ am 2. April (BT-Drs. 16/4952) mit Antwort am 24. April 2007 (BT-Drs. 16/5086), 2. kleine Anfrage mit dem Titel „Zwangsverrentung nach SGB II und Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch die Rente ab 67“ am 30. April 2007 (BT-Drs. 16/5222) mit Antwort am 24. Mai 2007 (BT-Drs. 16/5461) und die 3. kleine Anfrage mit dem Titel „Rente ab 67 – Ökonomische Gründe und Zusammenhänge“ am 7. Mai 2007 (BT-Drs. 16/5232) mit Antwort am 24. Mai 2007 (BT-Drs. 16/5463). Inhaltlich und argumentativ enthalten diese Anfragen mit entsprechenden Antworten keine neue Rechtfertigungsgründe oder Blickwinkel auf das Thema und haben somit wenig Nutzen für die Untersuchung.
 
64
Da die empirische Analyse der Bundestagsdebatten rein linguistischer Natur ist, setze ich für die Begründung des Untersuchungsgegenstandes auch linguistische Standards an und verwende daher auch weitestgehend linguistische Literatur.
 
65
Auch wenn Holly an dieser Stelle keinen Beleg einfügt, so ist es doch wahrscheinlich, dass er sich hierbei auf Luhmanns Werk Legitimation durch Verfahren (1983) bezieht.
 
66
Wobei sich aus journalistischer Sicht auch hier in jüngster Zeit ein Abwärtstrend zeigt (Bau 2018).
 
67
Siehe hierzu auch die Überschneidungen der externen politischen Kommunikation im Bundestag und der Aussagen in Zeitungsberichten und -interviews zum RV-AGAG in den Kapiteln 3 und 4.
 
68
In linguistischen Analysen wird die Gesamtheit des Untersuchungsmaterials Textkorpus genannt (Niehr 2014b: 63). Der Begriff Text umfasst hierbei nicht nur schriftliche sondern auch mündliche Texte, das bedeutet eine „Folge von sprachlichen Zeichen“ (Brinker 2005: 17–20, hier: 17). Dies ist wichtig, da die linguistische Einordnung von Bundestagsplenarprotokollen nicht so simpel ist. Nach Koch/Oesterreicher (1985, 2008) kann man Texte mithilfe der zwei Begriffspaare gesprochen/geschrieben und graphisch/phonisch auf einem Nähe-Distanz-Kontinuum verorten. Hiernach lassen sich Bundestagsplenarprotokolle als graphisch-geschriebene Texte beschreiben. Sie entstehen durch „Transkodierung“ (Koch/Oesterreicher 2008: 201) der Bundestagsdebatten und -reden, welche wiederum als phonisch-gesprochene Texte beschriebenen werden können. Aufgrund ihres (oftmals) vorformulierten Charakters haben Bundestagsreden trotz des gesprochenen Wortes eine gewisse kommunikative Distanz. Daher kann man ihnen in Anlehnung an Koch/Oesterreicher eine mündliche Schriftlichkeit attestieren.
 
69
Eine vollständige Auflistung der untersuchten Redebeiträge findet sich im Anhang in Kapitel 6.4 (siehe Online-Anhang).
 
70
Direkt angesprochen wurde die Rente mit 67 in der 16. Legislaturperiode nach Verabschiedung des RV-AGAG zuerst am 20. März 2009 mit einer dazugehörigen Beschlussempfehlung am 3. Juli 2009 zu einem Antrag der Partei Die Linke mit dem Titel „Altersrente – Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zurücknehmen“. Weitere Debatten in dieser Legislaturperiode hatten nur mittelbar einen Bezug zur Rente mit 67 oder dem RV-AGAG. Beispielsweise (1) am 10. Oktober 2007 in einer aktuellen Stunde auf Verlangen der Fraktionen FDP und Die Linke über die „Veränderungen bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I und bei der Rente ab 67“, (2) am 8. November 2007 in einem Antrag der Partei Die Linke zur Verbesserung der „Beschäftigungssituationen Älterer“, (3) am 17. Januar 2008 in einem Antrag der Partei Die Linke zu einem „Solidarausgleich in der Rente für Versicherte mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und geringem Einkommen“ oder (4) in einem Antrag der FDP am 26. Juni 2008 zu einem „flexiblen Eintritt in die Rente bei Wegfall der Zuverdienstgrenzen“ sowie der Grünen am selben Tag zur „Erwerbsintegration von älteren Beschäftigten – Teilrenten erleichtern“ (Die Beschlussempfehlungen zu diesen Anträgen folgten am 20. März 2009). Es ist ersichtlich, dass die Debatte um das Rentensystem auch nach der Verabschiedung des RV-AGAG weiterging. Aber bis auf eine Ausnahme wurden vor allem spezifische Auswirkungen des Gesetzes oder Regelungen, welche mit dem Gesetz in Verbindung stehen, debattiert. Daher habe ich diese Debatten nicht mit in den Textkorpus aufgenommen.
 
71
Spinnt man diese Überlegungen weiter, so ließe sich aus politolinguistischer Sicht vor der Post-Entscheidungskommunikation noch eine Prä-Bearbeitungskommunikation identifizieren, welche die Kommunikation zusammenfassen würde, welche Kingdon ([2003] 2014: 127–131) im Rahmen des Softening-Up-Prozesses beschreibt. Hierbei geht es darum, auf ein Problem und dessen präferierte Lösung aufmerksam zu machen und die Adressierten empfänglich für die Lösung zu machen. Anders herum können Gegner*innen dieser Lösung diese Kommunikationsphase auch als Chance nutzen, gegen eine bestimmte Lösung/Idee mobil zu machen.
 
72
Ursprünglich lassen sich die Überlegungen hierzu sogar bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen (Frankland 1853).
 
73
Vgl. zu den verschiedenen speziellen Anwendungen und Auslegungen des Valenzbegriffes in der Linguistik das umfangreiche doppelbandige Handbuch Dependenz und Valenz (Ágel/Eichinger et al. 2003, 2006).
 
74
Für eine kritische Auseinandersetzung mit Überlegungen dieser Art siehe Münnich (2011b: 490 f.), der darauf hinweist, dass man klar zwischen einem eigenständigen Einfluss von Ideen und einem mehr oder weniger übertragenen Einfluss von Ideen unterscheiden muss. Im zweiten Fall speist sich der Einfluss einer Idee nicht aus ihrer „inner-diskursiven Macht“ (Münnich 2011b: 491), sondern aus der Macht von Personen oder Institutionen, die diese Idee vertreten. Nur weil z. B. die Politik eine Idee für sinnvoll erachtet, heißt das nicht, dass die Bevölkerung dieser Idee automatisch blind folgen muss. In Anlehnung an die Webersche Herrschaftssoziologie argumentiert Münnich (2011b: 491) daher auch, dass eine Idee nur dann einen gesamtgesellschaftlichen Einfluss haben kann, wenn „sie freiwillig [Hervorhebung im Original] befolgt wird“. Hier zeigt sich erneut die im vorangegangenen Kapitel 2.3 diskutierte Relevanz von überzeugender anstatt überredender externer politischer Kommunikation.
 
75
Eine Ausnahme bildet die Dissertation „The policisation of EU Energy Policy“ von Andrea Ciambra (2013) sowie ein Artikel von Maor (2014a), dessen Kritik ich allerdings nicht teile. Maor (2014a: 1 f.) schreibt, dass Cox/Béland neben anderen Autoren die Frage ignorieren würden, wie die emotionale Einstellung zu einer Policy sich mit der Zeit verändert, obwohl sie dieses Problem mit dem Lebenszyklus der Idee meines Erachtens adäquat beschreiben.
 
76
Zwei Demografie-Frames, ein Arbeitsmarkt-Frame, zwei „dual frames“, welche diese zwei Frames in unterschiedlicher Reihenfolge kombinieren, und ein Informations-Frame (vgl. Stadtmüller 2016: 142–147).
 
77
Die restlichen Arbeiten zitierten den Artikel von Cox/Béland (2013) nur als Beispiel oder in einem kurzen Nebensatz.
 
78
Die Gesamtzahl der Veröffentlichungen, welche den Aufsatz von Cox/Béland (2013) zitieren, ist im Juli 2020 bei Google Scholar auf 144 angestiegen. Nichtsdestotrotz findet sich nach Durchsicht der hinzugekommenen Arbeiten, auf welche ich Volltextzugriff hatte, was fast alle waren, keine weitere Veröffentlichung, welche das Konzept tatsächlich vollumfassend anwendet.
 
79
Transatlantic Trade and Investment Partnership zwischen der EU und den USA
 
80
Comprehensive Economic and Trade Agreement zwischen der EU und Kanada
 
81
Ich möchte anmerken, dass die genannten Publikationen aus diesem Forschungsbereich durchweg der Rhetorik einen hohen Stellenwert zusprechen. Allerdings bleibt es bei dieser Feststellung; eine tiefgreifende Analyse der Rhetorik über die Inhalte hinaus findet meines Wissens bisher nicht statt.
 
82
Gegenbeispiele sind die zu Beginn des Unterkapitels 2.5.3 genannten Arbeiten der klassischen Policy-Forschung, die externe politische Sprache mit in den Analyseprozess aufnehmen.
 
83
Äußerung („utterance“) ist hier im Sinne Austins (1962) als grundlegendes Geräusch aufzufassen, was nicht zwangsläufig ein sinnvolles Wort einer beliebigen Sprache sein muss. Prinzipiell müsste man hierzu sogar auch Gesten zählen.
 
Metadata
Title
Allgemeine Grundlagen der Untersuchung
Author
Marcus Zachäus
Copyright Year
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32840-5_2