Die Verweisung auf eine nationale Rechtsordnung unter Anwendung des Internationalen Privatrechts ist allerdings nicht erforderlich, wenn in den beteiligten Staaten identische Regelungen gelten, also internationales Einheitsrecht zur Anwendung kommt. Im Folgenden sollen europäische rechtsangleichende und rechtsvereinheitlichende Maßnahmen im Bereich des geistigen Eigentums dargestellt werden.
3.1 Gesamteuropäische Instrumente
Eine erste, wenn auch nur strukturelle, Vereinheitlichung hat der seit 1949 bestehende Europarat, dem derzeit 47 europäische Staaten angehören, mit dem „Straßburger Abkommen über die internationale Patentklassifikation“ von 1954,
32 das ein einheitliches System mit identischen Gruppen zur Klassifizierung von Patenten für Erfindungen vorsah, vorgenommen, welches dann im Jahre 1971 in die Verwaltung der WIPO (World Intellectual Property Organisation)
33 überführt wurde. Auf dieser Grundlage, die regelmäßig aktualisiert wird, erfolgt die Internationale Patentklassifikation in mehr als 100 Staaten. Eine weitere Rechtsharmonisierung erfolgte durch das „Übereinkommen zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente“ von 1963,
34 wenn auch räumlich stark begrenzt, da es nur von 13 Staaten, darunter Deutschland, Italien und der Schweiz, dagegen etwa nicht von Österreich, ratifiziert wurde. Mit diesem Instrument sollten die Bedingungen vereinheitlicht werden, die für die Erteilung eines Patents erforderlich sind, und die Kriterien bestimmt werden, die von den Gerichten bei der Festlegung des Schutzbereichs des Patents zu beachten sind.
Seit 1977 konnte dann ein mittlerweile in 38 Staaten geltendes einheitliches Europäisches Patent beantragt werden. Das wurde auf der Grundlage des 1973 abgeschlossenen Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ)
35 möglich, dem außer der EU, deren Mitgliedstaaten sämtlich beteiligt sind, weitere 10 Nicht-EU-Staaten beigetreten sind, darunter auch die Schweiz und Liechtenstein. Dieses beim Europäischen Patentamt (EPA) zu beantragende Schutzrecht wirkt allerdings in den beteiligten Staaten wie deren jeweiliges nationales Patent (Art 64 EPÜ). Damit führt es nur zu einem Bündel nationaler Rechte, welche in ihrem Bestehen voneinander unabhängig sind. Allerdings ist ihr abgegrenzter Schutzbereich für die eigenständigen Patentansprüche dann doch wieder einheitlich nach Art 69 EPÜ auszulegen. Weil die Wirkungen nationaler und übernationaler Patente damit letztlich übereinstimmen, haben die meisten Vertragsstaaten im Wege einer freiwilligen Harmonisierung ihr innerstaatliches Patentrecht an das EPÜ angepasst.
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3.2 Instrumente der Europäischen Union
Innerhalb der EU ist für die Schaffung sekundären Unionsrechts zunächst Art 345 AEUV zu beachten, nach dem die Eigentumsordnung der Mitgliedstaaten und damit auch das System ihres Immaterialgüterrechts unberührt bleiben – es könnte bei der Erzeugung derartiger Herrschaftsrechte auf Unionsebene also die Kompetenz fehlen. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde ab Dezember 2009 jedoch eine eigene Kompetenzgrundlage für „europäische Rechtstitel über einen einheitlichen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums“ sowie „zentralisierte Zulassungs- und Kontrollregelungen“ (Art 118 Abs 1 AEUV) in die EU-Verträge aufgenommen.
Bereits seit 1986 wurden jedoch Richtlinien erlassen, die zur Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Immaterialgüterrechte führen, mithin die zwischen ihnen bestehenden Regelungsunterschiede abbauen sollen.
37 Sie wurden auf die allgemeine Kompetenz zur Harmonisierung zugunsten einer Förderung des Binnenmarktes gestützt (heute Art 114, 115 AEUV). Inhaltlich liegt der Schwerpunkt im Urheberrecht mit verwandten Schutzrechten, denn diesen erfassen elf Richtlinien
38 (z. B. die Richtlinie zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte 2011,
39 oder die Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, sogenannte „InfoSoc-Richtlinie“, 2001,
40 die mittlerweile in der lange umstrittenen jüngsten Richtlinie über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt 2019,
41 welche vor allem das Urhebervertragsrecht harmonisiert, aufgegangen ist),. Dagegen beziehen sich auf den Markenschutz nur zwei Richtlinien (Erste Richtlinie zur Rechtsangleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken von 1989;
42 Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken von 2015),
43 mit jeweils einer speziellen Richtlinie ergänzt um den Designschutz (Richtlinie über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen 1998)
44 sowie den Schutz der dreidimensionalen Strukturen von Mikro-Chips (Richtlinie über den Schutz der Topografien von Halbleitererzeugnissen 1986).
45 Im Bereich des Patentrechts wurde allein eine Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen von 1998
46 in Kraft gesetzt. Zur Harmonisierung der zivilrechtlichen Rechtsfolgen von Verletzungen auch nationaler Schutzrechte soll die Richtlinie über die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums von 2004
47 beitragen, die vereinheitlichte Durchsetzungsregelungen im Urheber-, Patent- und Markenrecht sowie für andere geistige Eigentumsrechte vorsieht; sie wirkt sich mit ihren Bestimmungen vor allem zur Informationsgewinnung im Vorfeld eines Verfahrens auch auf das Zivilprozessrecht der Mitgliedstaaten aus. Im Bereich der Richtlinien muss das Recht sämtlicher Mitgliedstaaten entsprechend angepasst werden, einheitliche Regelungen oder gar Unions-Schutzrechte werden dadurch jedoch nicht geschaffen – somit bleibt die territoriale Fragmentierung erhalten.
Im Bereich des Markenrechts hat die EU mit der Unionsmarken-Verordnung von 2015,
48 der früheren Gemeinschaftsmarken-Verordnung von 1994,
49 eine aufgrund einer Anmeldung entweder bei einer nationalen Behörde oder beim Amt der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) in Alicante in allen ihren Mitgliedstaaten einheitlich geltende Marke geschaffen, die neben die nationalen Marken tritt. Seit 2002 gilt eine gleichartige Regelung für das Gemeinschaftsgeschmacksmuster,
50 bereits seit 1992 auch für den Schutz geografischer Herkunftsangaben für Lebensmittel und Agrarerzeugnisse.
51 Alle diese Unionsschutzrechte entfalten eine einheitliche Wirkung in sämtlichen Mitgliedstaaten, werden einheitlich erteilt, beendet und können, mit Ausnahme der geografischen Herkunftsangaben, einheitlich übertragen werden. Allerdings ersetzen sie nicht die nationalen Schutzrechte, sondern bestehen neben diesen, so dass sie sie ergänzen. Ein sehr ähnliches Modell wird etwa im Bereich des Europäischen Gesellschaftsrechts verfolgt, indem auf der Unionsebene eigenständige Kooperationsformen neben den nationalen Gesellschaftstypen zur Wahl gestellt werden, wie die Europäische Aktiengesellschaft/Societas Europaea (SE) oder die Europäische Genossenschaft,
52 und auch im Europäischem Vertragsrecht wurde mit dem zusätzlich zum jeweiligen innerstaatlichen Vertragsrecht zur Verfügung stehenden Vorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (GEKR) dieser Weg eingeschlagen.
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International wird eine ähnliche Wirkung durch eine einzige Eintragung über das Madrider Markenabkommen von 1891 in der Fassung von 1967
54 (sowohl in Italien wie in Österreich, ebenso in Deutschland, in Kraft, insgesamt in über 50 Ländern) erreicht, allerdings bündelt diese Internationale Marke nur nationale Marken nach dem jeweiligen nationalen Recht, ohne dass eine Marke mit einheitlicher Schutzwirkung entsteht.
Es fehlt jedoch vor allem an einem einheitlichen Schutz der Urheberrechte, obwohl eine entsprechende Verordnung mittlerweile, wie oben erwähnt, gem Art 118 (1) AEUV in der Kompetenz der EU läge. Bereits im Jahre 2010 wurde von einer Gruppe europäischer Akademiker der Entwurf eines einheitlichen europäischen Urheberrechtsgesetzes (
European Copyright Code)
55 vorgestellt und das Europäische Parlament (EP) hat 2014 ein EU-Urheberrecht vorgeschlagen.
56 Die Kommission hat sich jedoch in ihrer Strategie für den digitalen Binnenmarkt auf die Weiterentwicklung der Urheberrechts-Richtlinien konzentriert, was zum Erlass der Urheberrechts-Richtlinie von 2019
57 führte. Die Koexistenz identischer Rechte in allen Mitgliedstaaten, wie bei den gewerblichen Schutzrechten, erscheint bei dem formlos, ohne Registrierung, entstehenden Urheberrecht jedenfalls nicht zielführend. Stattdessen wäre es sinnvoll, die urheberrechtsrelevanten Nutzungshandlungen einheitlich zu definieren.