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Published in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 4/2023

Open Access 24-11-2023 | Wissenschaftliche Beiträge

Basisarbeit und menschengerechte Arbeitsgestaltung – Strategische Erfordernisse und Ansätze

Author: Oliver Sträter

Published in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft | Issue 4/2023

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Zusammenfassung

In diesem Beitrag wird der Aspekt der Basisarbeit beleuchtet, der aus der zunehmenden Komplexität der technischen Entwicklung resultiert. Eine technologische Entwicklung im Rahmen des Gesamtsystems wird nicht linear aus ergonomischen Anforderungen heraus entwickelt, sondern erwächst aus einem komplexen und dynamischen Wechselspiel zwischen unterschiedlichen Akteur/-innen. Aus dieser Eigendynamik des Gesamtsystems ergeben sich ungünstige Entwicklungen, die Sheridan (2002) als ‚Entfremdung‘ und ‚Versklavung‘ des Menschen beschreibt und welche insbesondere bei der Basisarbeit in ungünstige Arbeitsbedingungen mündet.
Diese Entwicklungen sind als ‚drift into failure‘ in der Resilienzforschung bekannt. Demzufolge kann man die derzeitigen Gestaltungsansätze auch mithilfe der Systematik der Resilienz beschreiben und entsprechende strategische Erfordernisse und Ansätze ableiten, um eine sinnvolle Arbeitsgestaltung sowohl im Gesamtsystem als auch für die Basisarbeit im Besonderen zu entwickeln.
Praktische Relevanz: Zur Überwindung der negativen Belastungsfolgen von Basisarbeit, welche durch zunehmende Digitalisierung entsteht, werden psychologische Wirkmechanismen transparent gemacht und über das Konzept der Resilienz werden Änderungsverfahren von Digitalisierungsprojekten von ihrem Reifegrad her eingeordnet. Für Entscheidungsträger wird verständlicher, wie Digitalisierung systemisch gedacht werden kann und welche Anforderungen an den Gestaltungsprozess aus arbeitswissenschaftlicher Sicht relevant sind. Er für die Entwicklung von Digitalisierungsprojekten wird ein Scanning-Verfahren dargestellt, welches eine rechtzeitige arbeitswissenschaftliche Planung erlaubt und so auch Basisarbeit und Digitalisierung besser, menschengerechter gestaltet.
Notes

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

1 Einleitendes Beispiel

In diesem Beitrag werden die Mechanismen beleuchtet, wie der Aspekt der Technisierung/Digitalisierung sich auf die Entwicklung der Basisarbeit auswirkt.
Die Bundeszentrale für politische Bildung weist für Deutschland im Niedriglohnsektor im Jahr 2018 etwa 16,1 % von Beschäftigten im Gesundheitswesen, 16 % im Einzelhandel, 10 % in unternehmensnahen Dienstleistungen, 8,1 % im Gastgewerbe und 5,7 % im Bereich Erziehung und Unterricht aus. Insgesamt addieren sich diese Branchen auf knapp 56 % aller Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland. Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten in Prozent der Beschäftigten stieg dabei von 16,5 % im Jahr 1997 auf über 24 % im Jahr 2011 (BPB 2023). Bis heute ist dieser Anteil leicht zurückgegangen, bleibt jedoch über 20 %. Den größten Anstieg hat diese Entwicklung zwischen den Jahren 2000–2011 erfahren. Es liegt also nahe, dass diese Entwicklung zu einem guten Teil mit der in dieser Zeit stattgefunden Veränderungen unserer Arbeitsgesellschaft zu tun hat, die in diesen Jahren von Globalisierung und Technisierung/Digitalisierung geprägt war.
Der Entwicklungsprozess eines Produktes oder einer Dienstleistung vollzieht sich nicht in einem systematischen Konstruktionsprozess, sondern entsteht in einem dynamischen Prozess bestehend aus den technischen Möglichkeiten der Zeit, Potenzialen für Produkte oder Dienstleistungen sowie den Intentionen der in diesem Prozess beteiligten Personen (wie Produktdesignende, Entwickelnde, Vertreibende, Anwendende). Dieser dynamische Prozess wird am Beispiel eines bekannten technischen Produktes in Abb. 1 aufgezeigt (Sträter 2023a).
Der Prozess der Entwicklung von Smartphones reicht einige Jahrzehnte zurück. So zeigt eine Postkarte aus dem Jahr 1920 bereits den Wunsch, mobil und audiovisuell miteinander in Kommunikation zu treten. Bekannte Science-Fiction TV-Serien aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts zeigten denselben Wunsch in einer der damaligen Zeit gängigen technischen Darstellung. Die erste technische Realisierung um die Jahrtausendwende zeigte dann das reale Produkt, welches zehn Jahre später zu einem echten mobilen Endgerät entwickelt worden ist, wie wir es heutzutage kennen. Im Laufe der Nutzungsperiode über die letzten zehn Jahre zeigten sich dann die Auswirkungen auf die Arbeits- und die gesellschaftliche Gestaltung. Heutzutage sprechen wir von digitaler Überlastung, über das Faktum jederzeit online zu sein und über Work-Life Balance o. ä.. Gesellschaftlich entwickelt sich derzeit eine Generation, welche zum einen hinsichtlich der Wissensvermittlung und Aufmerksamkeitsspanne durch die Technologie des Mobiltelefons ausgerichtet ist sowie zum anderen in der Lage ist, Suchtpotenzial zu entwickeln.
Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die mit dem Mobiltelefon gewachsenen Betreiber sozialer Netzwerke gerichtlich aufgefordert wurden, Maßnahmen zu ergreifen, diese Suchtpotenzial zu reduzieren (Spiegel 2023).
Das Beispiel zeigt, dass Arbeitsgestaltung nicht stringent und ergonomisch durchgeplant geschieht, sondern von einem Wunsch angetrieben ist, der später in einer modifizierten Form technisch machbar wird. In seiner Anwendung zeigen sich dann vielfältige positive Möglichkeiten in unterschiedlichsten Arbeitsabläufen. Es entwickeln sich aber auch Verhaltensweisen in unterschiedlichen, teilweise ursprünglich gar nicht vorgesehenen Anwendungskontexten. Teilweise zeigen sich dann erst Jahrzehnte später umfangreiche – positive wie negative – Auswirkungen im Gesamtsystem oder gesellschaftlichen Prozessen.
Diese Auswirkungen der Nutzung sind natürlich keineswegs vorsätzlich. Sie entstehen durch unterschiedliche Faktoren, die sich zu einer Eigendynamik der Systementwicklung ergänzen:
  • Ziele und Absichten der Akteur/-innen des Gesamtsystems der Produkt- oder Produktionsentstehung sowie deren Wechselwirkungen
  • Ausweitung des Anwendungskontextes eines Produktes oder Prozesses über die ursprüngliche Konzeption hinaus
  • Emergentes Verhalten der in dem Prozess beteiligten Personen, wodurch neue Nutzungsweisen des Produktes oder Prozesses oder anderer Produkte oder Prozesse entstehen
Aus dieser Eigendynamik entsteht das inhärente Problem der arbeitswissenschaftlichen Gestaltung, dass diese in der Regel reaktiv ausgeprägt ist, denn die ergonomischen Effekte bzw. Probleme zeigen sich erst nach Erstellung des Produktes oder des Prozesses oder der Entwicklung neuer Anwendungsszenarien. Die Arbeitsgestaltung zeigt sich also vornehmlich als durch die Eigendynamik des Systems ‚getrieben‘.
Insbesondere das emergente Verhalten, die Veränderung von Arbeitsprozessen und Arbeitsinhalten durch die technischen Möglichkeiten, verstärkt die Problematik der Basisarbeit, denn menschliche Tätigkeiten werden auf Basis dieser Eigendynamik (re)definiert. Dies verdeutlicht der folgende Abschnitt.

2 Basisarbeit als Resultat von Automation und Digitalisierung

Basisarbeit entsteht im Sinne dieser Betrachtung zum guten Teil durch den Gesamtprozess der technischen Entwicklung (Sträter 2023a, b). Im Sinne der oben genannten Eigendynamik verbleiben solche Tätigkeiten für den Menschen, die durch die technischen Entwicklungen nicht aufgelöst werden. Typische Entwicklungen sind Reinigungstätigkeiten oder Dienstleistungen in der Paketzustellung oder Pizzabot/-innen etc. Im Sinne der oben genannten Eigendynamik ist hierbei folgendes zu beobachten:
Die Idee eines Reinigungsroboters ist zunächst einmal, Menschen von der beschwerlichen Aufgabe des Reinigens zu entlasten. Aus dieser technischen Idee entstehen Reinigungsgeräte, die in der Lage sind, bestimmte Flächen zu reinigen. In der Regel sind das bei den heutigen verfügbaren Systemen große homogene Flächenbereiche. Komplexe Geometrien wie beispielsweise Ecken, Kanten oder Nischen können mit den Geräten nicht gereinigt werden. Diese Aufgaben werden an den Menschen delegiert. Insgesamt steigert sich so die Reinigungsleistung pro Quadratmeter oder pro Zeiteinheit. Betriebswirtschaftlich stellt sich die Situation ganz positiv dar: Im Sinne der betrieblichen Planung kann die Dienstleistung entweder günstiger oder umfangreicher angeboten werden oder Personal eingespart werden. In der Arbeitsrealität führt diese Lösung jedoch dazu, dass der Reinigungsroboter die technisch umsetzbaren und der Mensch die Restarbeiten übernimmt. Aus ergonomischer Sicht hat diese Entwicklung inhärente Nachteile. Zunächst einmal werden dem Menschen Arbeitsinhalte und auch ergonomisch sinnvolle Belastungswechsel vorgenommen. Die Restarbeiten weisen in diesem Beispiel die ergonomisch ungünstigeren Körperhaltungen auf und erhöhen damit die Belastung des Reinigungspersonals. Die ergonomische Ironie ist, dass durch die erhöhte Belastung des Menschen dieses System (bestehend aus Reinigungsroboter und Mensch) nur temporär funktionsfähig ist und es zu hohen Ausfällen aufgrund körperlicher Belastung des Menschen führt, die dann leider den Unzulänglichkeiten des Menschen zugeschrieben werden und die Automation weitergetrieben wird.
Ein weiteres bekanntes Beispiel sind die Arbeitssituationen von Paketdienstleistern oder Pizzabot/-innen. Moderne Bestellsysteme wie Amazon oder Lieferando sind für Kund/-innen extrem komfortabel. Eine Bestellung kann innerhalb weniger Minuten ohne Warteschlange im System eingegeben werden. Nutzende erhalten schnellstmöglich die Bestellung. Damit dies gewährleistet ist, werden die Produktionsprozesse so gut es geht automatisiert und beschleunigt. Auch in diesem Beispiel bleiben die nicht-automatisierbaren Prozesse beim Menschen und erhöhen dessen Belastung.
Man könnte vielfältige analoge Beispiele aus anderen Bereichen der Arbeitsgestaltung anführen; bei Themen der Mensch-Roboter-Kollaboration, der Produktionserhöhung durch Vereinfachung von Arbeitsinhalten in sogenannten U‑Linien (Sträter et al. 2018, 2019) oder die Neugestaltung von Beratungsdienstleistungen im Finanzbereich mithilfe künstlich intelligenter Beratungs-Bots.
Abb. 2 zeigt diese Phänomenologie anhand eines Getränkeautomaten auf. Kunden empfinden die Rückgabe von Pfandflaschen als – durch ein mehr oder weniger gut gestaltetes technisches System – unterstützt und produktiv. Auf der anderen Seite des Automaten ist jedoch nach wie vor eine menschliche Sortiertätigkeit erforderlich hinsichtlich der Vielfältigkeit der Pfandflaschen, dem Aufstellen von Vorratsbehältern oder der Durchführung von Reinigungstätigkeiten.
Die Phänomenologie solcher Entwicklungen in der Arbeitsgestaltung ist in allen Beispielen identisch: Eine scheinbar produktionserhöhende Technologie wird eingeführt. Diese ist jedoch in ihrem Funktionsumfang eingeschränkt und erfordert vom Menschen, den verbleibenden Funktionsumfang zu kompensieren (Sträter 2023b). Insgesamt zeigt sich ein Phänomen, welches Sheridan (2002) bereits für die Entwicklung von Automation sehr treffend beschrieben hat: Automation und Digitalisierung werden in einer komplexen vielfältigen Arbeitswelt nie vollständig alle Tätigkeiten übernehmen können; es wird immer auch Tätigkeiten für den Menschen geben, welche nicht durch eine Technologie ersetzt werden können. Wenn die Technologie der Treiber dieser Entwicklung ist, führt dies unweigerlich dazu, dass sich Nutzende und Dienstleistende zunehmend auseinanderleben (Sheridan nennt dies Entfremdung; engl. alienation) und auf der anderen Seite die Menschen Restarbeiten übernehmen, welche das technische System übriglässt, quasi an den Menschen ‚delegiert‘ (Sheridan 2002 nennt dies Versklavung; engl. enslavement).
Aus Entfremdung und Versklavung ergibt sich eine Schere, welche die Problematik der Basisarbeit immer weiter verstärkt, wenn die Arbeitsgestaltung ausgehend von den technologischen Entwicklungen durchgeführt wird. Eine weitere Funktionsübernahme eines Automaten würde unweigerlich dazu führen, dass die verbleibenden Tätigkeiten sich von den Arbeitsinhalten noch weiter einschränkt wird (Bainbridge 1987).
Zwar verlagern sich durch Automation dann Tätigkeiten in andere Bereiche, sodass durch Automation und Digitalisierung keine Arbeitslosigkeit per se entsteht, sie erfordert jedoch entsprechende Qualifizierung und Flexibilisierung der Arbeit, wenn sie nicht zu einer Versklavung des Menschen führen soll.

3 Ansatz für eine menschengerechte Gestaltung von Arbeitssystemen

An dieser Stelle können viele Anregungen aus der sicherheitstechnischen Betrachtung von Automatisierung für mögliche Lösungswege gewonnen werden. Zunächst einmal unterscheidet man bei der Automation den sogenannten auslegungsgemäßen Betrieb und den auslegungsüberschreitenden Betrieb (Sträter 1997). Automation kann nie alle Eventualitäten zu 100 % abdecken. Es verbleibt immer ein Restbereich, in dem die Automation seine Funktion nicht ausüben kann, weil es für diesen Bereich nicht gestaltet worden ist oder der Anwendungskontext nicht vorgesehen ist oder sich verändert hat. Beim oben aufgeführten Beispiel des Reinigungsroboters wird ein solcher Roboter mit bestimmten Fähigkeiten im Produktdesign ausgestattet, beispielsweise um Ecken und Kanten zu detektieren oder Hindernisse auf dem Boden zu erkennen und zu umfahren. Hierbei wird der Roboter an bestimmten Arten von Geometrien optimiert (beispielsweise gerade Kanten); wird er nun in einem Gebäude eingesetzt, welches andere Geometrien hat (beispielsweise runde Wände und runde Bodenflächen), wird er unweigerlich nicht den ganzen zu reinigenden Bereich abdecken. Die verbleibenden und komplizierten Restbereiche gehören zu dem auslegungsüberschreitenden Bereich des Roboters. Dieser Restbereich verbleibt im Bereich der menschlichen Aufgaben und Tätigkeiten. Der Mensch reinigt sozusagen hinter dem Roboter hinterher bzw. verbleiben nur solche Tätigkeiten beim Menschen, die der Roboter nicht beherrscht. Der Mensch wird also in letzter Konsequenz im Sinne von Sheridan (2002) Sklave der Fähigkeiten des Roboters.
Prinzipiell kann dieser Bereich minimiert werden, jedoch nie auf null reduziert werden (VDI-EE 2021). Dies gilt für alle autonomen technischen Systeme, sei es Reinigungsroboter, Flugzeuge oder hochautomatisierte kerntechnische Anlagen). Die mit diesem Effekt einhergehende Degradation des Menschen hinsichtlich seiner Fähigkeiten wurde bereits von Bainbridge (1987) als Ironie der Automatisierung bezeichnet.
Obwohl dieser Effekt bekannt ist, geraten Organisationen immer wieder in die oben geschilderte Eigendynamik der Fehlentwicklung. Im Bereich der Sicherheitstechnik ist für die Beschreibung solcher Eigendynamiken mit ungünstigen Entwicklungen der Begriff des ‚drift-into-failure‘ bekannt (Woods 2003). Der Effekt beschreibt, wie aufgrund von Zielsetzungen erste Weichen für Fehlentscheidungen in der Entwicklung von Organisationen oder Produkten gestellt werden. Woods unterscheidet fünf wesentliche Phasen, die sich in ungünstigen Entwicklungen oder Ereignissen unabhängig von der technischen Domäne finden lassen:
1.
Sicherheitsfunktionen und -ressourcen werden zu Gunsten produktiver oder wirtschaftlicher Ziele aufgegeben bzw. stark reduziert in der Systemgestaltung berücksichtigt: für den Bereich der Basisarbeit wären hier beispielsweise mangelnde Berücksichtigung gesundheitlicher Anforderungen oder langfristig sich ergebende Belastung der Mitarbeitenden zu nennen, indem der Fokus auf das Ziel gelegt wird, möglichst viele Quadratmeter in möglichst geringer Zeit reinigen zu können und damit bezogen auf den Indikator der Reinigungsleistung wettbewerbsfähig zu sein.
 
2.
Der Erfolg einer Entwicklung wird als Bestätigung gesehen und übersteigertes Selbstvertrauen führt dazu, keine Anstrengungen zu unternehmen, potenzielle Nachteile oder negative Auswirkungen der Systementwicklung zu verstehen oder gar zu antizipieren: die Einführung eines Reinigungsroboters scheint zunächst aufzugehen und die Reinigungsleistung wird in der Tat gesteigert. Dieser Effekt ist jedoch durch die verzögerte Wirkung gesundheitlicher Schädigungen erkauft, bei dem die Mitarbeitenden zunächst in dem System aus Mensch und Automat die Restarbeiten durchführen, die Belastung sich jedoch noch nicht in gesundheitlichen Belastungen manifestiert.
 
3.
Selbst bei Aufkommen erster klarer Evidenzen werden die Entscheidungen aus Phase eins oder das übersteigerte Selbstvertrauen aus Phase zwei nicht überprüft, obwohl eindeutige Hinweise auf Fehlentwicklungen vorliegen: erste Beschwerden von Mitarbeitenden werden als irrelevant bzw. nicht durch das System des Reinigungsroboters verursacht gesehen und der Gesundheitszustand der Mitarbeitenden reduziert sich zusehends.
 
4.
Bruchstückhafte Verteilung und Koordination der Prozesse des Problemlösens: die Mitarbeitenden geben ihre Belastungen nicht mehr gewinnbringend für das Unternehmen in den Verbesserungsprozess ein und die Arbeitsgestalter gestalten das System zusehends ungünstiger, indem der Automationsprozess beispielsweise weiter vorangetrieben wird.
 
5.
Störungen der Kommunikation und der Koordination: es kommt zum Zusammenbruch des Systems mit zunehmenden Ausfällen der Mitarbeitenden aufgrund von Krankheitsfällen. Die Betriebsleitung versteht nicht, warum sich der Krankenstand negativ entwickelt und gibt die Schuld den Mitarbeitenden.
 
Solche typischen Eigendynamiken können dazu führen, dass ein vermeintlich gut funktionierender Ansatz der Automation sowohl betriebswirtschaftlich als auch hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge für Mitarbeitende zusammenbricht.
Die logische Konsequenz dieser Überlegung ist, dass eine proaktive ergonomische Arbeitsgestaltung erforderlich ist, welche möglichst früh also idealerweise in Phase eins des ‚drift-into-failure‘ wirkt und den Effekt der Versklavung so vermeiden kann und dies insbesondere für Basisarbeit, aber auch für alle anderen Arbeitsbereiche des Menschen, die durch Digitalisierung, einschließlich Künstliche Intelligenz, derzeit enorme technische Entwicklungsschritte verzeichnen (Sträter 2019).
Aus Abschn. 1 ergeben sich bereits die Grundpfeiler für den Ansatz einer Gestaltung, welche nicht zur Versklavung des Menschen führt. Dieser muss zunächst einmal im Gestaltungsprozess die Ziele und Absichten der Akteure und Akteurinnen des Gesamtsystems der Produkt- oder Produktionsentstehung sowie deren Wechselwirkungen verstehen und flexibel auf eine Ausweitung des Anwendungskontextes eines Produktes oder Prozesses sowie auf emergentes Verhalten der in dem Prozess beteiligten Personen reagieren. Grundpfeiler für eine menschengerechte Gestaltung von Arbeitssystemen sind also die Kriterien:
  • Breites Systemverständnis
  • Flexibilität bzw. Adaptivität
  • Einbindung der Akteure und Akteurinnen
Diese drei Kriterien sind bekannte Eigenschaften resilienter Systeme (Sträter 2020). Im Sinne der Resilienzforschung können demzufolge die von Hollnagel et al. (2005) unterschiedenen Steuermodi als Ausgangspunkt für eine menschengerechte Gestaltung von Arbeitssystemen dienen. Hollnagel unterscheidet folgende vier Steuermodi (Tab. 1 in Anlehnung an Leecaster et al. 2017): Der ungünstigste ist der konfuse Modus, der dadurch geprägt ist, dass die Akteur/-innen ohne besondere Rücksicht aufeinander mehr oder weniger auf eigene Faust ein Produkt oder einen Prozess entwickeln. Im opportunistischen Modus findet in minimaler Ausprägung eine Koordination von Zieldefinitionen der Akteur/-innen mit begrenzter Berücksichtigung von Unsicherheiten statt. Diese beiden Modi sind reaktiv. Erst ab dem taktischen Modus findet eine proaktive Systemgestaltung statt. Im taktischen Modus finden dabei lediglich begrenzt koordinierte Planungsprozesse statt. Im strategischen Modus sind alle Akteur/-innen aufeinander abgestimmt in einem nachhaltigen Zeithorizont koordiniert am Prozess der Produkt- oder Prozess-Entstehung beteiligt.
Tab. 1
Resiliente Steuermodi und Anforderungen hinsichtlich Zielinteraktionen der Akteur/-innen, Zeithorizont der Planung, Berücksichtigung von Unsicherheit sowie Entscheidungsverfahren
Table 1
Resilient control modes and requirements regarding target interactions of the actors, planning time horizon, consideration of uncertainty and decision-making processes
Steuermodus
Zielkoordination der Akteur/-innen
Zeithorizont der Planung
Berücksichtigung von Unsicherheit
Entscheidungsverfahren
Strategisch
Übergeordnete Ziele und Interaktionen zwischen Akteur/-innen werden berücksichtigt
Weit in Vergangenheit und Zukunft (Feed Forward)
Erkennen und Erklären von Unsicherheit zwischen Akteur/-innen
Anpassung der Richtlinien an die Situation, Planung, Berücksichtigung von Abhängigkeiten zwischen Akteur/-innen
Taktisch
Konzentration auf definierte, war individuelle Ziele der Akteur/-innen
Weit in die Vergangenheit, minimale Projektionen
Verfahren zur Erkennung und Planänderung innerhalb der Akteur/-innen
Entscheidungen basieren auf Basis von Richtlinien; begrenzte Planung zwischen Akteur/-innen
Opportunistisch
Schlecht definierte Koordination von Zielen
Gegenwärtig
Berücksichtigung von Planänderungen innerhalb der Akteur/-innen
Akteur/-innen Entscheiden auf Basis interner Verfahren
Konfus
Rücksichtslosigkeit in der Koordination unterschiedlicher Ziele
Kurzfristig
Keine Flexibilität vorgesehen
Individualistisches Handeln von einzelnen Akteur/-innen
Überträgt man diese Systematik auf den Arbeitsgestaltungsprozess, kann die gegenwärtige Situation oft als konfus bzw. in manchen Arbeitsgestaltungsverfahren als opportunistisch beschrieben werden. Eine taktische oder gar strategische Arbeitsgestaltung findet derzeit sicherlich nur in Einzelfällen statt.
Basisarbeit, die auf den Effekt der Versklavung zurückzuführen ist, kann also als eine direkte Folge nicht-resilienter Arbeitsgestaltung gesehen werden. Ziel einer verbesserten und damit menschengerechteren Arbeitsgestaltung muss der strategische Steuermodus sein. Er beinhaltet ein systematisches Vorgehen hinsichtlich der Ziele und Absichten der Akteur/-innen, eine Analyse der Wechselwirkungen sowie Flexibilität im Gestaltungsprozess durch Berücksichtigen von Unsicherheit sowie entsprechenden Entscheidungsverfahren.
Aus der strategischen Sicht ist dazu die Koordination zwischen den unterschiedlichen Akteur/-innen der Arbeitsgestaltung erforderlich. Hierzu kann der Prozess der Arbeitsgestaltung zunächst in unterschiedliche Arbeitsebenen unterteilt werden (Reason 1997; VDI 4006 2017):
  • Ausführungsebene: Unmittelbar ersichtlich ist die Ebene des konkreten Arbeitsplatzes. Ein moderner Büroarbeitsplatz bedarf beispielsweise einer ergonomischen Auslegung des Schreibtisches, entsprechende Ausstattung mit einem PC und ergonomisch gestalteten Bildschirm bzw. Tastatur etc.
  • Instandhaltungsebene: Eine weitere Ebene der Arbeitsgestaltung die sich anschließt ist die der Systemerhaltung. Diese beschreibt sämtliche Personen und Personengruppen, welche zur Betriebsbereitschaft des Arbeitsplatzes auf der Ausführungsebene erforderlich sind. Im Beispiel des Büroarbeitsplatzes wären dies Servicetechniker, die für die Betriebsbereitschaft der Beleuchtung und anderen Umgebungseinflüssen sowie des PCs erforderlich sind.
  • Managementebene: Auf der nächsten Arbeitsebene finden sich üblicherweise die Personen und Personengruppen, die die Betriebsprozesse organisieren, also die Ablaufplanung auf Prozessebene innerhalb eines Betriebes durchführen. Dies wären beispielsweise Prozessmanager/-innen oder Ablaufplaner/-innen.
  • Organisationsebene: In der darüber liegenden Arbeitsebene wird die Organisationsführung unterschieden, welche die Organisation an Zielstellungen und Prioritäten setzt.
  • Interorganisationale Ebene: Auf dieser Ebene sind alle weiteren Organisationen zu finden, welche die Organisation mit Betriebsmitteln oder Services unterstützen. In unserem Beispiel wären dies Hersteller von Büroausstattung oder PCs.
  • Regelgebende Ebene: Auf dieser Ebene sind die behördlichen Kontrollorgane sowie die gesetzgeberische Ebene zusammengefasst. Im Beispiel des Büroarbeitsplatzes sind das Betriebsaufsichten oder gesetzgeberische Aktivitäten zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung.
Die Arbeitsebenen sind dabei nicht unabhängig voneinander zu sehen, sondern stehen in Wechselwirkung miteinander (VDI 4006 2017). So können ungünstige Vorgaben auf Organisationsebene (beispielsweise eine Festlegung auf einen bestimmten ergonomischen Standard, der den tatsächlichen Arbeitsumständen nicht genügt, aber betriebswirtschaftlich durchaus sinnvoll ist) Auswirkungen auf die Prozessgestaltung auf der Managementebene, auf die Arbeitsabläufen bei der Instandhaltungsebene sowie letztendlich auch die Arbeitsebene haben (Hollnagel 2004).
Basisarbeit ist der Ausführungsebene zuzurechnen, die Ausprägung und Ausgestaltung der Basisarbeit wird jedoch vom Zusammenspiel aller weiteren Ebenen definiert.

4 Proaktiver Gestaltungsansatz für eine menschengerechte Arbeitsgestaltung

Um aufzuzeigen, warum ein positiver Gestaltungsansatz für eine menschengerechte Arbeitsgestaltung erforderlich ist, zeigt Abb. 1 zunächst den Unterschied zwischen einer klassischen und einer psychologisch günstigeren proaktiven Systemgestaltung.
Im Vergleich zur klassischen Systemgestaltung erlaubt die proaktive Systemgestaltung eine frühzeitige Einbindung und Berücksichtigung des betrieblichen Kontextes. Wichtige Randbedingungen des Arbeitskontextes, die die Umsetzung oder Durchführbarkeit behindern, werden rechtzeitig erkannt und in der Gestaltung berücksichtigt. Durch eine integrative Auflösung von Widersprüchen zwischen unterschiedlichen technischen, personellen, organisatorischen oder auch rechtlichen Randbedingungen wird die Systemgestaltung mit allen erforderlichen Informationen für ein gutes und durchführbares Design versorgt. Auch werden Pfadabhängigkeiten im Systemverhalten erkannt und können im Design berücksichtigt werden (Abb. 3).
Zu welchen Unterschieden der Gestaltungsprozess führen kann, zeigt ein Beispiel aus der Gestaltung von digitalen Qualifizierungsinstrumenten: Sträter et al. (2020a) haben gezeigt, dass die Auslegung von Qualifizierungsmaßnahmen mithilfe von modernen Simulationstechnologien abhängig davon ist, ob von der technischen Machbarkeit oder den betrieblichen (bzw. qualifikatorischen) Anwendungskontext ausgegangen wird. Es lagen zwei Entwicklungsideen vor. Die erste war die Unterstützung von Qualifizierung mit Head-Mounted-Displays (HMD) und die zweite die Unterstützung der Entwicklung des Sicherheitsbewusstseins und Problemlösefähigkeit durch Gruppenarbeit. HMD sind als kopfgebundene Systeme für Einzelpersonen konzipiert. Eine gruppendynamische Entwicklung von Sicherheitsbewusstsein und Problemlösefähigkeit ist hiermit im Rahmen einer Aus- und Weiterbildung nicht praktikabel; allenfalls über die Repräsentation der Gruppenmitglieder als Avatare denkbar. Gestaltet man den Prozess der Aus- und Weiterbildung aus dem betrieblichen Kontext heraus, ergibt sich als technische Lösung die Ausstattung von Seminarräumen mit großflächigen Bildschirmsystemen, welche die Gruppe gemeinsam in einen Team-Raum versetzt, welcher wie die HMD virtuelle Realitäten darstellen kann, diese virtuellen Realitäten jedoch auch gruppenfähig erlebbar macht.
Ein proaktiver Prozess bindet dabei Mitarbeitende und andere Akteure und Akteurinnen im Design konsequent mit ein. Hierdurch wird psychologisch die Motivation der Beteiligten erhöht und eine Identifikation mit den Zielen der Gestaltungsmaßnahme erreicht, was ein ausschlaggebender Erfolgsfaktor für Digitalisierung ist (Sträter und Bengler 2019). Auch die unterschiedlichen Kompetenzen und das dezentrale Wissen werden so optimal für den Gestaltungsprozess genutzt.
Oft wird eine solche Beteiligung mit dem Argument (oder der Befürchtung) vermieden, dass sich hierdurch die Projektlaufzeit verlängert und die Planungsprozesse sich verkomplizieren. Beides gilt jedoch nur dann, wenn der Planungsprozess mit unterschiedlichen Akteur/-innen nicht strukturiert und moderiert abläuft. Deshalb ist ein Verfahren erforderlich, welches insbesondere die Phasen der Planung und Einführung systematisch unterstützt.

5 Das Scanning-Verfahren für eine menschengerechte Arbeitsgestaltung

Aus der vorhergehenden Diskussion kann zusammenfassend festgehalten werden, dass eine proaktive, menschengerechte Arbeitsgestaltung folgendes erfordert:
  • die Abbildung eines breiten Systemverständnis und eines Planungsansatzes, welcher alle Organisationsziele und Anwendungskontexte abdeckt
  • eine Flexibilität bzw. Adaptivität und ein entsprechendes effektives und iterativ angewandtes Planungsverfahren
  • die Einbindung der Akteure in ein Verfahren, welches alle Akteure einschließlich Betroffener (also Basisarbeitende) berücksichtigt
Um diese Anforderungen zu erfüllen, wurde ein Moderationsansatz entwickelt, der typische organisationale Konfliktbereiche (z. B. zwischen Kosten und Gesundheit) auflöst. Dieser als „Scanning“ bezeichnete Ansatz zeigte in den bisherigen Anwendungen, dass er Zielkonflikte produktiv aufzulösen vermag und eine störungsfreie Entwicklung eines Änderungsprozesses erlaubt (Sträter et al. 2020b). Der Ansatz wurde originär für die Vereinheitlichung der europäischen Flugsicherung entwickelt und auf innerbetriebliche Moderation von Digitalisierungsprojekten für Datenbrillen übertragen (Sträter et al. 2012a).
Der Scanning-Ansatz ist ein soziotechnisch fundiertes Moderationsverfahren, das organisationsübergreifend oder unternehmensweit eingesetzt werden kann und alle entscheidungsrelevanten Akteure systematisch einbindet. Es minimiert typische Zielkonflikte und Reibungsverluste, die üblicherweise auf Unternehmensebene wirken (Hollnagel 2009). Dadurch wird die Wandlungsfähigkeit aus organisatorischer und strategischer Sicht gewährleistet und Basisarbeit so gestaltet, dass diese menschengerecht stattfinden kann. Insgesamt entsteht hierdurch ein wirksamer Ansatz für die Gestaltung von Basisarbeit ohne die Effekte der Versklavung.
Zur Herstellung eines breiten Systemverständnis, welches alle Organisationsziele und Anwendungskontexte abdeckt, stellt das Verfahren zunächst unstrittige fundamentale Anforderungen an das Änderungsmanagement oder die Arbeitsgestaltung auf. Diese fundamentalen Anforderungen werden gemeinsam mit den Akteur/-innen und Betroffenen validiert und festgelegt und dienen als Gerüst für die Moderation.
Das Verfahren wird iterativ während einer Gestaltungsplanung vom frühesten Zeitpunkt bis zur konkreten Umsetzung eingesetzt. Hierdurch erkennt das Verfahren Erfordernisse für Flexibilität in der Planung bzw. Adaptivität der Planungsziele.
Zur Einbindung der Akteur/-innen erfordert das Verfahren, alle Akteur/-innen (Beteiligte einschließlich Betroffene oder Basisarbeitende) zu berücksichtigen. Das Scanning bindet dazu alle betriebsentscheidenden Akteur/-innen ein. So werden inhärente Konfliktlinien zwischen Vertretung der Beschäftigten, Management, Engineering, Arbeitsschutz oder Betriebsmedizin verhindert und die positive Betriebskultur gefördert (Geffers 2016). Abb. 4 fasst den Prozess des Scanning-Verfahrens zusammen.
In einem ersten Schritt werden grundlegende Design-Kriterien, die im Rahmen der Systementwicklung und Einführung für alle Akteure unstrittig sind, gemeinsam aufgestellt. Zu diesen Design-Kriterien werden Anforderung-Fragestellungen entwickelt, die im Rahmen eines Moderationsansatzes beantwortet werden. Zentrales Element des Moderationsansatzes ist die Beteiligung aller entscheidungsrelevanten Akteure, einschließlich der (Basis‑)Mitarbeitenden, die die betrieblichen Änderungen oder neuen technischen Systeme zu nutzen haben (Sträter 2022).
Die Moderation mithilfe des Scanning-Ansatzes liefert eine integrierte und proaktive Vorgehensweise, bei der fundamentale arbeitswissenschaftliche Anforderungen für die Projektplanung und Projektdurchführung in Projekten und Prozessen bereits zu Beginn des Lebenszyklus gestellt und gelöst werden. Die Wirksamkeit des Scanning-Verfahrens zeigte sich beispielsweise bei der Gestaltung sicherheitsrelevanter Branchen wie Luftfahrtindustrie, Kernenergie, petrochemische Industrie, See- und Eisenbahnindustrie (Sträter et al. 2012b; Meyer et al. 2016; Keller et al. 2021).
Besonders für die Gestaltung der Bereiche der Basisarbeit kann über das Verfahren Akzeptanz auf der Ebene aller Akteur/-innen generiert werden und Bewusstsein für die spezifischen Belastung der Basis-Mitarbeitenden auf den anderen Arbeitsebenen.
Umsetzungsproblematiken oder Fehlbelastung können frühzeitig erkannt und behoben werden. Zusätzlich wird das Problembewusstsein hinsichtlich Mitarbeiterbelange auf der Planungsebene verbessert. So erhalten Projektmanager/-innen Einblick in bestehende mögliche Wechselwirkungen im tatsächlichen betrieblichen Ablauf und einen gebündelten Überblick über die zu prüfenden Anforderungen. Das Scanning gibt außerdem Hinweise auf die Plausibilität und mögliche Konfliktpotenziale im Rahmen der Umsetzung. Ebenso wird der zeitliche Ablaufplan des Projektes nochmal überprüft (Metternich und Sträter 2020).

6 Ausblick

Dieser Beitrag zeigt auf, dass sich Basisarbeit mit seinen ungünstigen ergonomischen Randbedingungen auch als Resultat einer derzeit stattfindenden Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitsprozesse entwickeln kann. Mithilfe von Erklärungsmodellen aus der Sicherheitstechnik hinsichtlich der Wirkung von Automation und Entwicklung von ungünstigen Ereignissen kann der Prozess der Gestaltung von Arbeit wirksam überdacht werden und Konzepte der Resilienz zeigen sich als wertvolle Impulse für ein Umdenken in der Arbeitsgestaltung. Dies gilt insbesondere für die derzeit stattfindende umfangreiche Digitalisierung der Arbeit, welche den Menschen in die Rolle des Sklaven eines automatisierten Systems und zunehmend in die Rolle eines Basisarbeitenden drängt. Dies gilt nicht nur für manuelle Tätigkeiten im Bereich der Montage und Fertigung oder klassischen Bereichen der Basisarbeit, sondern zunehmend auch für vormals als Wissensarbeit bezeichneten Tätigkeiten im Bereich der betrieblichen Entscheidungsfindung o. ä. Nur durch ein Umdenken hinsichtlich des Arbeitsgestaltungsprozesses mithilfe des Resilienz-Ansatzes gelingt es, Arbeit auch zukünftig menschengerecht zu gestalten.
Randbedingungen für die erfolgreiche Umsetzung sind dabei auch entsprechende Qualifizierungsprogramme im Bereich der Basisarbeit, um maximale Flexibilität und Adaptionsfähigkeit für technische und gesellschaftliche Veränderungen zu ermöglichen.
Eine solche proaktive menschengerechte Arbeitsgestaltung ist nicht allein aus arbeitswissenschaftlicher Gestaltungsicht relevant, sondern insbesondere auch, um die gesellschaftliche Herausforderung der Nachhaltigkeit zu erreichen, denn die von den Vereinten Nationen gesetzten Nachhaltigkeitsziele sind im Wesentlichen durch arbeitswissenschaftliche Themen geprägt (Sträter 2022b) und benötigen dringend eine entsprechende Unterstützung im Bereich der Arbeits- und Organisationsgestaltung, um diese Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
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Metadata
Title
Basisarbeit und menschengerechte Arbeitsgestaltung – Strategische Erfordernisse und Ansätze
Author
Oliver Sträter
Publication date
24-11-2023
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
Published in
Zeitschrift für Arbeitswissenschaft / Issue 4/2023
Print ISSN: 0340-2444
Electronic ISSN: 2366-4681
DOI
https://doi.org/10.1007/s41449-023-00398-y

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