Wer mit dem digitalen Wandel nicht Schritt hält, riskiert, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Doch viele Unternehmen wissen nicht genau, wie weit sie mit der Digitalisierung überhaupt sind. Ein neues Reifegradmodell liefert dem Controlling ein umfassendes Messinstrument.
Viele Unternehmen haben bereits große Summen in die Digitalisierung investiert. Doch laut einer Studie von Bitkom Research vergeben Geschäftsführer und Vorstände ihrem Unternehmen beim Stand der Digitalisierung im Durchschnitt nur die Schulnote "befriedigend". Bei mittelständischen Unternehmen mit 100 bis 499 Mitarbeitern ist es lediglich ein "ausreichend". Diese Noten verwunden, sind doch 90 Prozent davon überzeugt, dass die Digitalisierung Chancen bietet. So haben auch 77 Prozent der Unternehmen eine Digitalisierungsstrategie entwickelt. Aber jedes dritte gibt zu, bei der Umsetzung Probleme zu haben.
Bestimmung des digitalen Reifegrades
Der Handlungsbedarf ist also groß. Unerlässlich ist daher die Kenntnis darüber, wo ein Unternehmen im digitalen Wandel gerade steht. Ihr weiterentwickeltes Modell, das Hartmut Reinhard, Ricco Rentz und Timo Sommerfeld in der "Controlling & Managemente Review" (Ausgabe 2 | 2020) vorstellen, zeigt den digitalen Reifegrad einer Organisation, der auf präzisen Messungen und der Analyse der dabei gewonnen Ergebnisse basiert.
In ihrem Beitrag "Digitalisierung steuerbar machen" zeigen Reinhard, Rentz und Sommerfeld, wie die Bestimmung des "DigiGrads" eine genaue Messung möglich macht. "Unternehmen, die den Einfluss der fortschreitenden Digitalisierung nicht rechtzeitig erkennen und das Unternehmen nicht systematisch darauf vorbereiten, werden vom Wettbewerb überholt und setzen ihre Existenz mittelfristig aufs Spiel. Die Steuerung der Digitalisierung ist für die meisten Unternehmen schlichtweg überlebenswichtig", schreiben die Autoren und führen aus:
Damit Unternehmen den Weg der digitalen Transformation erfolgreich beschreiten können, bedarf es also einer umfassenden Steuerungsgröße, die technologische, prozessuale, kulturelle und strategische Dimensionen miteinbezieht und es den Entscheidern dauerhaft ermöglicht, eine Fortschrittsmessung sowie eine gezielte Maßnahmenplanung vorzunehmen."
Weiterentwicklung bekannter Reifegradmodelle
Reinhard, Rentz und Sommerfeld nehmen dabei Bezug auf bereits bestehende Reifegradmodelle, wie etwa den "Digital Maturity Check" von Crosswalk und der Universität St. Gallen. "Diesen Modellen ist gemeinsam, dass sie den aktuellen Stand des digitalen Reifegrads lediglich aufgrund einer subjektiven Einschätzung zu analysieren versuchen. Sie erfüllen damit nur begrenzt den Anspruch, den digitalen Reifegrad tatsächlich messen und nachhaltig steuern zu können", so die Autoren. "Um diesen Mehrwert zu bieten, haben wir die Reifegradkriterien operationalisiert und Reifegrade für die groben Cluster-Dimensionen sowie die Kennzahl 'DigiGrad' entwickelt, die anzeigt, wo das gesamte Unternehmen in Bezug auf Digitalisierung aktuell steht."
Hierfür haben Reinhard, Rentz und Sommerfeld den "Digital Maturity Check" weiterentwickelt. Nach ihrem Modell wird der digitale Reifegrad anhand von 64 Indikatoren, 26 Bewertungskriterien und neun Bewertungsdimensionen bestimmt. Allerdings wird in dem Check die jeweilige Reifestufe mit fünf verschiedenen Ausprägungsstufen bestimmt, die wiederum auf subjektiven Einschätzungen beruhen. Die Autoren zeigen stattdessen auf, wie die Dimensionen ermittelt, berechnet und gewichtet werden können. Zu den Dimensionen gehören zum Beispiel die Customer Experience und die IT, aber auch die Produktinnovation eine Unternehmens sowie das Transformationsmanagement. Wie das in der Praxis funktioniert, zeigen die Autoren anhand einer umfassenden Tabelle und Berechnungsbeispielen.
Controlling verantwortet den DigiGrad
Doch mit der Feststellung des digitalen Reifegrads ist die Arbeit nicht getan. Die so gewonnen Informationen müssen anschließend in organisatorische Standardabläufe implementiert werden: "Denn nicht die einmalige Bestimmung des Satus Quo der Digitalisierung wird diese nachhaltig vorantreiben, sondern die strukturierte und kontinuierliche Bearbeitung des Themenfelds mithilfe von Kennzahlen", betonen Reinhard, Rentz und Sommerfeld.
Hierzu empfehlen die Autoren, dass eine organisatorische Einheit die Erstellung und Pflege des DigiGrads verantwortet, idealerweise das Controlling. "Kurz- bis mittelfristig kann die Transparenz über Status und Fortschritt der Digitalisierung durch ein DigitalisierungsCockpit (DigiPit) noch deutlich verbessert werden. Das DigiPit gibt auf kleinstem Raum einen Überblick über alle relevanten Bereiche der Digitalisierung und ist schnell zu erfassen." Dem Controlling kommt dabei eine neue, interessante Rolle zu.