1 Einleitung
Weist ein immaterialgüterrechtlicher Sachverhalt grenzüberschreitende Bezüge, mithin Verbindungen zu mehr als einer Rechtsordnung auf, dann ist das darauf anzuwendende nationale Recht nach dem Internationalen Privatrecht des angerufenen Gerichts zu ermitteln.
1 Die demnach vorgelagerte
2 Problematik der internationalen gerichtlichen Zuständigkeit wird bereits an anderer Stelle in diesem Band
3 vertieft und daher hier nicht behandelt. Vom Immaterialgüterrechtsstatut, mithin dem Recht, das den Bestand, Inhalt und Schutz von geistigen Eigentumsrechten
4 regelt, ist allerdings das – aus der Sicht EU-mitgliedstaatlicher Gerichte von der Rom I-Verordnung,
5 in der Schweiz von Art. 122 IPRG
6 erfasste – Statut immaterialgüterrechtlicher Verträge zu unterscheiden,
7 das die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen den Vertragsparteien beherrscht.
8
In diesem Beitrag, der das Unions-IPR in den Mittelpunkt stellt und einen vergleichenden Blick auf das schweizerische Kollisionsrecht wirft, soll es allein um die kollisionsrechtliche Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen gehen, die aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums entstehen (Schutzstatut). Auch für die vorauszuschickenden Fragen nach Entstehung, Bestand und Erlöschen von Immaterialgüterrechten (Bestandsstatut)
9 sind nach in Deutschland und Österreich herrschender Meinung
10 freilich dieselben Anknüpfungsgesichtskriterien heranzuziehen,
11 sodass einer Unterscheidung zwischen Bestands- und Schutzstatut für die Zwecke dieses Beitrags keine wesentliche Bedeutung zukommt.
12 In der Schweiz wird von einer umfassenden Reichweite des Immaterialgüterstatuts nach Art. 110 Abs. 1 IPRG ausgegangen.
13 Vergleichsweise ist in Liechtenstein ausdrücklich das „Entstehen, der Inhalt und das Erlöschen von Immaterialgüterrechten“ von dem – auf das Vorbild des Art. 34 Abs. 1 AT-IPRG
14 zurückgehenden – Art. 38 Abs. 1 FL-IPRG
15 erfasst.
16
Die hier im Mittelpunkt stehenden Folgen einer – ab dem 11.01.2009 vorgenommenen (Art. 31 f. Rom II-VO)
17 – Verletzung geistiger Eigentumsrechte,
18 mithin der aus dem Eingriff resultierende Anspruch auf Schadensersatz, aber auch etwa die Ansprüche auf Auskunft, Unterlassung, Beseitigung oder Gewinnherausgabe, werden im Sinne der Erweiterung des Anwendungsbereichs gem. Art. 13 Rom II-VO von der Sonderanknüpfungsnorm des Art. 8 Rom II-VO (in der Schweiz von Art. 110 IPRG)
19 erfasst,
20 womit eine einheitliche Qualifikation der bei Verletzung geistigen Eigentums entstehenden Ansprüche sichergestellt ist.
21 Im Unterschied zum Lauterkeitskollisionsrecht, wo Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO lediglich eine Präzisierung des Erfolgsortes der allgemeinen Deliktskollisionsnorm nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO darstellt,
22 handelt es sich bei Art. 8 Rom II-VO um eine echte Sonderanknüpfung.
23 Das danach bestimmte Recht ist für die Anspruchsvoraussetzungen, die Haftungsausschlussgründe, die Bestimmung der haftenden Personen
24 und des anspruchsberechtigten Personenkreises sowie für die Rechtsfolgen maßgeblich (vgl. Art. 15 Rom II-VO).
25
Der ausschließlich
26 und universell (Art. 3 Rom II-VO)
27 anzuwendende Art. 8 Rom II-VO verdrängt in seinem sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich die nationalen Kollisionsrechte der EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks.
28 Selbst internationale Übereinkommen sind allein dann vorrangig heranzuziehen, wenn auch Drittstaaten daran beteiligt sind (Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO).
29 Der originär kollisionsrechtliche Gehalt des hier einschlägigen Konventionsrechts, insbesondere der Grundsatz der Inländerbehandlung, auf den noch zurückzukommen sein wird (unten III.1.), ist jedoch umstritten.
30 Internationalprivatrechtliche Fragen treten freilich auch im Zusammenhang mit den später noch anzusprechenden einheitlichen Unionsschutzrechten auf (unten III.2.). Im Folgenden ist freilich zunächst zu definieren, wann von „geistigem Eigentum“ i. S. d. Art. 8 Rom II-VO (bzw. in der Schweiz von „Immaterialgüterrecht“ i. S. v. Art. 110 IPRG) gesprochen werden kann (II.). Anschließend werden die spezifischen Anknüpfungsgrundsätze im Überblick behandelt (III.). Ein abschließendes Fazit (IV.) rundet den Beitrag ab.
2 Verweisungsgegenstand: Recht des geistigen Eigentums
Der unionsrechtsautonom auszulegende
31 Begriff „geistiges Eigentum“ in Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO umfasst beispielsweise Urheberrechte,
32 verwandte Schutzrechte, das Schutzrecht
sui generis für Datenbanken sowie gewerbliche Schutzrechte,
33 mithin Rechte aus einem Patent,
34 Geschmacks- und Gebrauchsmuster,
35 aus dem Sorten- und Topografieschutz von Halbleitern, aus der Marke
36 und den geschäftlichen Bezeichnungen.
37
In diesem Sinne greift Art. 8 Rom II-VO auch beim gewerblich bzw. geschäftlich genutzten Internetdomain-Namen.
38 Beinhaltet der Domain-Name indes einen privaten Namen, sodass er sich als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts erweist, dann ist die Bestimmung hingegen wegen der Ausnahmeregelung in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO für Rechtsverhältnisse aus Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht einschlägig.
39 Aufgrund der engen Verbindung zum Urhebernutzungsrecht
40 fällt weiterhin das Urheberpersönlichkeitsrecht wie auch das Erfinderpersönlichkeitsrecht
41 unter Art. 8 Rom II-VO.
42 Ferner sind etwa geografische Herkunftsangaben als geistiges Eigentum zu qualifizieren.
43
4 Fazit
Ein zentraler Vorteil der Schutzlandanknüpfung ist gewiss die einfache Feststellbarkeit.
92 Gleichwohl sind Schutzdefizite nicht zu übersehen,
93 lassen sich doch weltweite Immaterialgüterrechtsverletzungen, etwa im Bereich des Internets, auf Basis des herkömmlichen, rein territorialen Ansatzes nicht in angemessener Weise bewältigen.
94 Eine Verfolgung wird aufgrund des damit verbundenen Aufwands erschwert, teilweise sogar faktisch verhindert.
95 Diesbezüglich ist eine sachgerechte Regelung dringend erforderlich.
96
Wesentliche Vorschläge für die künftige Rechtsentwicklung
97 beinhalten insbesondere die „ALI Principles“
98 einerseits und die „CLIP Principles“
99 andererseits,
100 wobei erstere in Fällen „ubiquitärer“ Verletzungen von geistigen Eigentumsrechten im Internet freilich zum Recht am
domicile des Rechtsinhabers tendieren
101 und damit zweifellos die Interessen der US-amerikanischen Technologie- und Unterhaltungsindustrien vordringlich bedienen.
102
Eine Rechtswahl schließt Art. 8 Abs. 3 Rom II-VO vollständig aus.
103 Dies ist mit Blick auf den absoluten Charakter der Immaterialgüterrechte durchaus nachvollziehbar.
104 In Bezug auf die hier interessierenden Rechtsfolgen einer Verletzung von geistigen Eigentumsrechten, wo die Norm den Beteiligten derzeit die Parteiautonomie entsprechend verwehrt,
105 gilt dies freilich nicht in gleichem Maß,
106 handelt es sich dabei doch im Grunde nicht um ein Problem des Territorialitätsprinzips.
107 Vielmehr wäre
de lege ferenda die Möglichkeit einer freien Rechtswahl im Verhältnis zwischen Rechtsinhaber und Verletzer in Bezug auf die Rechtsfolgen der Verletzungshandlung – etwa nach dem Vorbild von Art. 3:606 CLIP Principles – zweifelsohne erstrebenswert, könnte doch den Streitbeteiligten auf diese Weise bei den oben beschriebenen Problemen eine für beide Seiten vorteilhafte Handlungsoption eröffnet werden. Würde die nachträgliche Rechtswahl bei Verletzung eines Schutzrechts im genannten Parteienverhältnis zugelassen, so bliebe dadurch die Geltung des Territorialitätsgrundsatzes für die Entstehung, die Reichweite sowie die Voraussetzungen der Verletzungshandlung jedenfalls unberührt.
108
Open Access Dieses Kapitel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Kapitel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.