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2014 | Book

Demokratie und Islam

Theoretische und empirische Studien

Editors: Ahmet Cavuldak, Oliver Hidalgo, Philipp W. Hildmann, Holger Zapf

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

Book Series : Politik und Religion

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About this book

Der Islam zählt heute zu den größten Herausforderungen für den demokratischen Rechtsstaat. Außenpolitisch stehen die Transformationsprozesse in der arabischen Welt, innenpolitisch die Integration muslimischer Migranten im Fokus. Die Angst vor einer fundamentalistischen Unterwanderung der Demokratie sowie die oft schwer zu ziehende Grenze zwischen Islam und Islamismus sorgen in der Öffentlichkeit für Verunsicherung. Nur selten wird der Islam als demokratieaffiner Faktor wahrgenommen. Der Band legt in diesem schwierigen Forschungsfeld fundierte und differenzierte Expertisen vor. Er reflektiert die Komplexität des Verhältnisses von Demokratie und Islam, taxiert Chancen und Risiken und gleicht vorhandene Befunde ab. Dabei wird geprüft, welchen Beitrag islamische Demokratievorstellungen in der Debatte leisten und ob die westlichen Gesellschaften ihrerseits zur Neubestimmung der Beziehung zwischen Politik und Religion gezwungen sind.

Table of Contents

Frontmatter
Einführung
Zusammenfassung
Ob Demokratie und Islam vereinbar sind und wie es gegebenenfalls um die Legitimität eines spezifisch islamischen Typus der Volksherrschaft bestellt ist, wird in der Literatur seit geraumer Zeit kontrovers diskutiert. Die bisweilen recht polemisch geführte Debatte stand gerade im deutschsprachigen Raum lange im Zeichen der Diskursmacht, die von Huntingtons Slogan des Clash of Civilizations ausging. Das hartnäckige (Vor-)Urteil, es mit einer Form des Kulturkampfes zu tun zu haben, wurde dabei von einer Reihe populärwissenschaftlicher Studien unterfüttert, die der Öffentlichkeit ein Bild islamischer Parallelgesellschaften präsentierten, in denen insbesondere die Frauen systematisch unterdrückt werden.
Oliver Hidalgo, Holger Zapf, Ahmet Cavuldak, Philipp W. Hildmann

Die Demokratie im islamischen Denken

Frontmatter
Islam und Demokratie – Realität und gegenläufige Diskurse
Zusammenfassung
Wir hören oft, der Islam sei mit der Demokratie nicht vereinbar. Wenn sich manche muslimische Gesellschaften mit der Einführung demokratischer Verhältnisse schwer tun, liegt das nach dieser Auffassung am Islam selbst, der eben keine Demokratie beinhalte oder auch nur zulasse. Angesichts dieser Sachlage erscheint es angebracht, einige Überlegungen zur Vereinbarkeit von Islam und Demokratie anzustellen und gleichzeitig einen Blick darauf zu werfen, wie Muslime selbst diese Problematik gesehen haben und sehen.
Alexander Flores
Religious Freedom in Current Political Islam: The Writings of Rachid al-Ghannouchi and Abu al-‘Ala Madi
Abstract
The Arab World of today is not what it used to be 3 years ago. The revolutions of the Arab Spring toppled the regimes of Tunisia, Egypt and Libya, while many other countries have undergone severe turmoil (Yemen, Bahrain) or even civil war as in the case of Syria. Three North African countries held elections that for the very first time in their history were relatively free of manipulation and in which candidates contested for real power. In the West, many observers welcomed these historic events as an end to the decade-long stalemate in the region that was dominated by ossified regimes.
Lino Klevesath
Toleranz und demokratische Kultur – Zeitgenössische Reflexionen aus dem schiitischen Islam
Zusammenfassung
Sei es die bis heute andauernde Auseinandersetzung der internationalen Gemeinschaft mit dem Phänomen des islamischen Terrorismus oder die übermäßig anmutende Präsenz extremistischer Haltungen im gegenwärtigen Islam: Muslime im Inn- und Ausland sehen sich heutzutage verstärkt mit der Aufforderung zu mehr Toleranz gegenüber Andersgläubigen, -denkenden und von der Geschlechtermoral der islamischen Tradition abweichenden Verhaltens- und Lebensformen konfrontiert. Dabei hat das Verhältnis von Toleranz und demokratischer Kultur angesichts der jüngsten politischen Transformationsprozesse innerhalb der islamischen Welt, die im Allgemeinen unter dem Überbegriff ‚Arabischer Frühling‘ zusammengefasst werden, wieder enorm an Bedeutung gewonnen. Denn Toleranz bildet unbestritten eine wesentliche Grundlage von Demokratie, basiert diese doch auf dem Respekt gegenüber der Vielfalt von Meinungen, Weltanschauungen und Lebensstilen. Von Tunis bis Damaskus verbanden viele der mehrheitlich jungen Demonstranten ihre Forderungen nach Freiheit, Würde und besseren sozialen Lebensbedingungen nicht zuletzt auch mit der Hoffnung auf demokratische Reformen. Abseits der Protestkundgebungen kam es dabei auch oftmals zu gewaltsamen Übergriffen auf religiöse Minderheiten wie etwa den koptischen Christen in Ägypten oder der schiitischen Minderheit der ‘Alawiten in Syrien. Derartige Ereignisse belegen nur zu offensichtlich, dass die zur Etablierung einer demokratischen Gesellschaftsordnung erforderliche Entwicklung einer demokratischen Toleranzkultur speziell für die mehrheitlich muslimisch geprägten Gesellschaften der MENA-Region weiterhin eine Herausforderung darstellt.
Stephan Kokew
Der Salafismus zwischen Reformdiskurs und Extremismus
Zusammenfassung
Die starke Positionierung salafistischer Gruppen im Hinblick auf die neuen politischen Entwicklungsprozesse in Tunesien und Ägypten wird in Europa gleichermaßen mit Erstaunen und Sorge betrachtet. Die Gratisverteilung hoher Auflagen des Koran in deutschen Fußgängerzonen beherrschte im Frühjahr 2012 die Berichterstattung deutscher Medien. Hinter der Aktion „Einladung zum Islam“ (da´wa) stand der in Deutschland lebende Palästinenser Ibrahim Abu Nagi sowie die Plattform Die wahre Religion, die das Bild eines „reinen“ Islam vermitteln möchte, wie man ihn in seinen beiden relevanten fundamentalen Quellen, dem Koran und der Sunna des Propheten Muhammad, finden kann. Der überwiegende Großteil der Medien hatte diese Aktion zum Anlass genommen, um nachdrücklich vor dem Gefahrenpotenzial salafistischen Gedankengutes zu warnen: In diesem Zusammenhang sprach man von Verfassungsfeindlichkeit, Gewaltbereitschaft, Rekrutierung und Sektierertum. Im Zuge dieser Medienberichterstattung geraten nunmehr all jene unter Verdacht, die sich dieser Art der „Einladung zum Islam“ anschließen, ungeachtet dessen, ob sie sich selbst als Salafisten definieren oder nicht. Der überwiegende Grundtenor der Medienberichterstattung lautete daher, dass es sich beim Salafismus um eine extremistische Strömung des Islam handele, der durchaus Schnittmengen mit dem Dschihadismus, der einen militanten Kampf im Namen des Islam proklamiert, vorweise.
Jochen Lobah
Contemporary Arab Political Theories – Semantics and Argumentations
Abstract
A lot of research has been done to understand whether there is something like an Islamic political theory that is compatible with the idea of democracy. The debate on the compatibility of Islam and democracy has become a commonplace in contemporary Islamic political as well as Western academic discourse, but while everybody watches the exchange of arguments, we forget to ask what can be learned from the existence and configuration of the exchange itself. Thus, this article will not engage in this exchange. Rather, it makes an attempt to conceptualize the configuration of the debate and focuses on how the issue of compatibility is discussed by some of the authors who stand in the front line of the debate. The article will advance in three main steps: First, some findings on contemporary Arab political thought will be summarized and discussed for the purposes of this article. Afterwards, possibilities to add to the methods usually employed to analyze the compatibility issue will be lined out. Consequently, two perspectives for research on public discourse will be developed, demonstrating the basic ideas on exemplary material: The first is concerned with the impact of concepts on the structure of public discourse whereas the second deals with the analysis of argumentative structures. In each case reference to exemplary cases will be made.
Holger Zapf

Politik, Religion und Säkularität

Frontmatter
Toward a Democratic Theory for Muslim Societies: Rethinking the Relationship between Islam and Secularism across the Islam-West Divide
Abstract
It is now a standard cliché that Islam does not recognize the concept of secularity. Normatively, we are told, that among the world’s religious traditions Islam is uniquely anti-modern in that it (allegedly) contains within its religious and civilizational ethos an attitude that rejects the separation of religion and politics thus making the development of liberal democracy difficult. The most influential and widely cited proponent of this thesis in the social sciences has been Bernard Lewis, the Cleveland E. Dodge Professor of Near Eastern Studies Emeritus at Princeton University. Lewis’ thesis is based on a comparative treatment of Islam and Christianity and is rooted in the claim that Islam’s problem with secularism is due “to certain profound differences in belief and experience in the two religious cultures.” This chapter seeks to provide an alternative reading to the Lewis thesis on the question of Islam and secularism. While previous critics of Lewis have argued that he has misread Islamic history, where evidence of a de facto secularity can be detected in early Muslim polities, it will be argued that Lewis has significantly misread – less the political history of Islam – and more the political history of Christendom. Jettisoning an explanation that emphasises the early religious experience of Islam/Christianity to explain the absence/rise of secularism, in this chapter the stress will be placed on the early modern period of Europe. It was during this time that political secularism – as understood today in the Anglo-American tradition – has its true origins. The central claim of this chapter is that historically, secularism did not develop in Muslim societies because unlike in Latin Christendom – Muslims never had the need to think about secularism.
Nader Hashemi
Muḥammad ʿĀbid al-Ğābirī (1936–2010) – ein Aufklärer und Verfechter der Säkularisierung?
Zusammenfassung
Al-Ǧābirī gilt als ein dem Säkularismus verpflichteter islamischer Denker. Seine Schriften widerlegen jedoch diese Ansicht. Ursprünglich marxistischem Gedankengut anhängend, nahm er den Riss wahr, der die arabisch-islamischen Gesellschaften spaltete. Auf der einen Seite steht eine kleine „moderne Elite“, auf der anderen die „traditionelle“, die über weitaus stärkeren Einfluss auf die Massen verfügt. In einem modernisierten Islam, der sich aber nicht einer Säkularisierung öffnet, sieht al-Ǧābirī das Mittel zur Heilung des Risses. Al- Ǧābirī befürwortet eine von der Scharia beherrschte Zivilisation, die durch Formelkompromisse, nicht durch inhaltliche Veränderungen, mit der westlichen kompatibel gemacht werden soll.
Tilman Nagel
Die Legitimität der Trennung von Islam und Politik und das Beispiel der Türkei
Zusammenfassung
Der Beitrag thematisiert die Legitimität der Trennung von Islam und Politik im Allgemeinen und am Beispiel der Türkei im Besonderen. Zunächst betont Ahmet Cavuldak im Zuge einer kritischen Auseinandersetzung mit den Thesen einiger westlicher Orientalisten die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung der religionspolitischen Ordnungssituation in den islamisch geprägten Gesellschaften. Nicht nur die dogmatischen Unterschiede zwischen dem sunnitischen Islam und dem Schiitentum, den verschiedenen Rechtsschulen und der Mystik müssten im Auge behalten, sondern auch die mannigfaltigen Gestalten und Kontexte politischer Herrschaftspraxis stärker ins Blickfeld gerückt werden. Sodann geht der Autor auf das Beispiel der Türkei ein und zeigt, in welchem Ausmaß das Gewicht der Geschichte im Verhältnis von Religion und Politik auch hier zu Buche schlägt. Festzuhalten ist der Befund, dass es im Osmanischen Reich neben der religiösen auch funktionale Rechtfertigungsansätze politischer Herrschaft gegeben hat, die sich an den weltlichen Belangen und Erfordernissen des Staates orientierten; und dass diese Ansätze später durch Atatürk unter dem Einfluss des französischen Laizismus in der republikanischen Türkei radikalisiert worden sind.
Ahmet Cavuldak
Der moderne Verfassungsstaat aus islamisch-theologischer Perspektive
Zusammenfassung
Die politisch-sozialen Umwälzungen, die seit Beginn 2011 die arabisch-islamische Welt umtreiben, zeigen deutlich, dass freiheitliche, politische Aspirationen kein Privileg westlicher Staaten darstellen. Der lautstarken Forderung nach Wahlen und demokratischer Beteiligung am politischen Prozess wurde mittlerweile schon in Tunesien, Ägypten und Libyen Rechnung getragen. Die Ergebnisse dieser Wahlen sorgten dann allerdings doch für erhebliche Ernüchterung, da – entgegen den naiven Erwartungen – nicht etwa junge Blogger, Facebook-Aktivisten oder ‚liberale‘ Kräfte Mehrheiten für sich gewinnen konnten, sondern die gut vernetzten Islamisten verschiedenster Schattierungen. Für die einen war ein solches Wahlergebnis, welches im Übrigen auch in anderen islamischen Ländern zu erwarten ist, einmal mehr Beweis für die Rückständigkeit und Unaufgeklärtheit der islamischen Welt. Andere Beobachter vermochten darin vor allem das Resultat politischer Versprechen erkennen, die nun erfüllt werden müssten, ansonsten würden sich die Leute rasch anderen Parteien zuwenden.
Lukas Wick
Die ‚Säkularität‘ der Demokratie und der Islam als politisch-theologisches Problem
Zusammenfassung
Der Aufsatz behandelt die sehr grundsätzliche Frage, inwieweit sich die Demokratie überhaupt durch ein spezifisches Verhältnis zur Religion auszeichnet und politische Legitimität dort per se jenseits göttlicher Offenbarung zu veranschlagen ist. Zur terminologischen Erfassung der diesbezüglichen Janusköpfigkeit der Demokratie, die sowohl die Emanzipation des Politischen von der Religion voraussetzt als auch dezidierte Verbindungslinien zwischen beiden Sphären respektiert (und diese zivilgesellschaftlich gesehen gegebenenfalls sogar benötigt), schlägt der Autor ein Säkularisierungskonzept vor, das sein Pendant im berühmt-berüchtigten Begriff der Politischen Theologie findet. Vor diesem Hintergrund sei nicht nur die Vielschichtigkeit und Ambivalenz im Verhältnis von Religion und Politik in der Demokratie zu konturieren, sondern ebenso die konstitutive Gleichzeitigkeit von Säkularem und Nicht-Säkularem. Infolge der Rekonstruktion der Frage nach Demokratie und Islam als politisch-theologisches Problem sowie des diesbezüglichen Vergleichs zwischen Christentum und Islam vermag der Beitrag außerdem eine Vorstellung der Spielräume und Grenzen zu vermitteln, in denen sich eine authentische Demokratie islamischer Provenienz realisieren könnte.
Oliver Hidalgo

Transformationsprozesse in der islamischen Welt – Empirische Befunde

Frontmatter
Der Arabische Frühling seit 2011: Pluralität der Veränderung und die Suche nach Erklärungsansätzen
Zusammenfassung
Der in Tunesien begonnene Protest des „Arabischen Frühlings“, welcher durch einen präzedenzlosen Ansteckungseffekt zu einem regionalen Protest wurde und sich jeweils nationalen Rahmenbedingungen anpasste und diese befruchtete, verlief im Nahen Osten höchst unterschiedlich. Alleine der exemplarische Befund, dass es in erster Linie die Republiken der Region waren, die von den Protesten betroffen waren, wohingegen die Monarchien Jordanien und Marokko nur von kleineren Protesten und die arabischen Golfmonarchien von keinen signifikanten Protesten betroffen waren (Ausnahme Bahrain), wirft zahlreiche Fragen nach den Hintergründen und Entwicklungsperspektiven der Länder des Nahen Osten im Zuge des Arabischen Frühlings auf. Diesen empirischen Befund in einem ersten Schritt erarbeitend, versucht dieser Beitrag die Frage nach den Ursachen und Hintergründen der politischen Veränderung jenseits von kurz- und mittelfristigen Analysezeiträumen herzuleiten und in einem zeithistorischen und politisch-normativen Zugang (Legitimität der jeweiligen staatlichen Ordnung und der Regime) nach Erklärungskraft zu suchen.
Thomas Demmelhuber
Der Erfolg der Islamisten bei den freien Wahlen in Nordafrika 2011 – Ein Pyrrhussieg der Demokratie?
Zusammenfassung
Im Frühjahr 2011 überraschten Tunesien und Ägypten die westliche Welt, indem sich die dortigen Bevölkerungen ihrer diktatorischen Herrscher durch weitgehend unblutige Revolutionen entledigten und sich entschlossen, ein demokratisches System aufzubauen. Schon Ende 2011/Anfang 2012 fanden in beiden Ländern die ersten freien Wahlen seit einem Vierteljahrhundert statt – und schockierten die westliche Welt mit Wahlsiegen der islamistischen Parteien: der Nahda („Wiedererwachen“, „Renaissance“) um Rāšid al-Ġannūšī in Tunesien sowie der salafistischen Ḥizb an-Nūr (Partei des Lichts) und der Partei der Freiheit und Gleichheit als Abspaltung der Muslimbruderschaft in Ägypten.
Tonia Schüller
Der Arabische Frühling – 
Die Inkongruenz von politischer Kultur und politischer Struktur als (Mit-)Ursache des Umbruchs in Ägypten und Marokko
Zusammenfassung
Dieser Artikel stellt die Frage inwiefern die Inkongruenz zwischen politischer Kultur und politischer Struktur zu den Aufständen im Jahr 2011 in Ägypten und Marokko beigetragen hat. Damit wird einerseits das Ziel verfolgt den Kanon ökonomischer und institutioneller Variablen die zur Erklärung des Arabischen Frühlings herangezogen werden um eine kulturelle Dimension zu erweitern. Andererseits soll dadurch das Konzept der politischen Kultur in einem neuen, nicht-westlichen Kontext auf seine Erklärungskraft hin geprüft werden. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen welche sozio-ökonomischen Merkmale in Ägypten und Marokko entscheidend für die Herausbildung demokratischer Einstellungen sind. Die Untersuchung generiert vier zentrale Ergebnisse: Erstens ist die Zustimmung zu jenen Aspekten der Demokratie, die die Herrschaft durch das Volk als höchstes Prinzip ansiedeln sehr hoch, die Zustimmung zur Demokratie als eine gegenüber jedem ihrer Mitglieder plurale, inklusive und tolerante Gemeinschaft, jedoch sehr gering. Die Hypothese einer demokratischen politischen Kultur kann also nicht vollkommen aufrechterhalten werden, es wird jedoch klar, dass das Verlangen in der Bevölkerung nach Mitbestimmung sehr stark ist. Zweitens wurde die Annahme, dass für demokratische Einstellungen vor allem bestimmend ist, dass eine Person jung, gebildet und städtisch ist, weitgehend zurückgewiesen.
Nina Guérin
Die Verfassung Ägyptens von 2012 – Betrachtungen aus verfassungstheoretischer Perspektive
Zusammenfassung
Die post-revolutionäre ägyptische Verfassung von 2012 entstand im Kontext eines heftigen politischen Machtkampfes. Auf der einen Seite standen die ‚Islamisten‘, auf der anderen sammelten sich alle anderen politischen Gruppierungen, Liberale, Linke, Nasseristen und Anhänger des alten Regimes. Mit dem Preis einer tiefen gesellschaftlich-politischen Spaltung wurde der von der Opposition heftig kritisierte Verfassungsentwurf der von den ‚islamistischen Gruppierungen dominierten Verfassunggebenden Versammlung in einem Referendum im Dezember 2012 mit 63,4 % Ja-Stimmen (bei einer Wahlbeteiligung von 32,9 %) angenommen und mit der Unterzeichnung durch den Präsidenten Mohammed Mursi in Kraft gesetzt.
Anja Schoeller-Schletter
Demokratie und Islam in der Türkei: Die ‚Kemalistische Trinität‘ aus Republikanismus, Nationalismus, Laizismus sowie Politik und Wirken der AKP
Zusammenfassung
Viele Politiker und Wissenschaftler im Westen und in der Islamischen Welt sehen – nicht erst seit den jüngsten Umbrüchen in der MENA-Region – die muslimische, aber pro-westlich säkulare Türkei als ein „Leitbild“ für arabische Demokratien an. Die Rigidität der „Kemalistischen Trinität“ aus Republikanismus, Nationalismus und Laizismus ermöglicht einerseits die intendierte ideologische Moderierung des politischen Islam sowie dessen Inkorporation in den demokratischen Pluralismus. Andererseits aber begünstigt die „Kemalistische Trinität“ auch eine nicht-intendierte Autoritarisierung der AKP-Regierung sowie Top-Down-Politisierung der Religion für eigene Präferenzen. Im Ergebnis kommt es zu einer Perpetuierung diverser Demokratiedefekte in der Türkei, das Land kann daher nur bedingt ein „Leitbild“ für muslimische Staaten sein.
Cemal Karakas

Zwischen Integration und Parallelwelt: Der Islam in Deutschland und Europa

Frontmatter
Muslime in Deutschland und Frankreich – Anmerkungen zur Integrationsdebatte
Zusammenfassung
Der Islam und die Muslime stehen seit Ende der 1990er-Jahre im Zentrum der Integrationsdebatte. Dies gilt für die meisten europäischen Staaten, so auch für Deutschland und Frankreich. Dabei wurde der Islam meist als Integrationshindernis ausgemacht. Doch stimmt das? Inwieweit findet hier eine Islamisierung sozialer Probleme statt? Um auf diese Frage antworten zu können, erfolgt ein kursorischer Überblick über die Integration der Muslime in Deutschland und Frankreich, die in erster Linie durch Segregationsprozesse gekennzeichnet ist. Es wird sich zeigen, dass eine wesentliche Ursache der bis heute andauernder Probleme die unkontrollierte Zuwanderung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist, die durch Kettenmigration verursacht wurde. Die französische und die deutsche Politik haben unterschiedliche Schwerpunkte in der Reaktion auf die Integrationsprobleme entwickelt. Ähnlichkeiten sind in der Islampolitik festzustellen. Beides wird Gegenstand der Untersuchung sein, die unter anderem in dem Ergebnis mündet, dass eine Islamisierung von Integrationsproblemen das Risiko birgt, bei den Betroffenen Reaktionen der Re-Islamisierung auszulösen.
Stefan Luft
Regulierung durch Wissensproduktion – Staatliche Versuche einer Institutionalisierung der Ausbildung von Imamen in Deutschland
Zusammenfassung
Wurden Imame lange Zeit vor allem als potenzielles Sicherheitsrisiko betrachtet, die ihre Funktion als Lehrer und Prediger bisweilen zur religiösen und politischen Indoktrinierung missbrauchen, so werden sie inzwischen zunehmend als Schlüsselfiguren bei der Bewältigung von Integrationsproblemen und der Bekämpfung von Islamismus und Extremismus gesehen. Der Beitrag geht diesem Sinneswandel auf den Grund, indem er die staatlichen Bemühungen um eine Formalisierung und Institutionalisierung der Ausbildung muslimischen religiösen Personals in den Blick nimmt. Im Zentrum steht die Frage, in welchem Verhältnis die Produktion von Wissen über, für und durch muslimische Geistliche und Gelehrte und die Regulierung von Islam und Muslim_innen in Deutschland stehen. Es wird nachgezeichnet, wie der Imam als Objekt der Islampolitik zunächst im Rahmen verschiedener Weiterbildungsformate adressiert wurde und wie die ihm zugeschriebene sicherheits- und integrationspolitische Schlüsselrolle schließlich auch die Einrichtung einer universitären islamischen Theologie vorangetrieben und eine Debatte um deren Zweckbestimmung entfacht hat.
Anne Schönfeld
Die ideologische Ausrichtung der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD) und ihre Verquickung mit der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) – Partner für den demokratischen Rechtsstaat?
Zusammenfassung
Zunehmend ist zu beobachten, wie der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), dessen Gründung auf die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) und ihr ideologisch nahestehende Organisationen zurückgeht, sowie der Islamrat (IR), der maßgeblich von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) getragen wird, Einfluss auf die Belange der Muslime in Deutschland nehmen. Sie gestalten in Nordrhein-Westfalen den Islamunterricht mit, treten mehr und mehr in den Medien auf und nehmen Einfluss auf die geplante Imam-Ausbildung an deutschen Universitäten. Seitens der deutschen Politik wurde sogar schon erwogen, jene Verbände als Helfer in die Salafismus-Prävention einzubinden. Doch welche Ideologie vertreten IGD und IGMG tatsächlich? Sind sie wirklich der geeignete Partner für den demokratischen Rechtsstaat? Diesen Fragen widmet sich der vorliegende Aufsatz.
Khadija Katja Wöhler-Khalfallah
Welche individuellen und kontextuellen Faktoren beeinflussen die Haltungen gegenüber Muslimen in ausgewählten europäischen Ländern?
Zusammenfassung
Die religiöse Pluralität hat in den letzten Jahrzehnten in Europa vor allem durch die Zuwanderung aus islamisch geprägten Ländern stark zugenommen. Vielfach resultieren daraus im öffentlichen Raum Konflikte beispielsweise um den Bau von Moscheen und Minaretten, das Tragen des Kopftuchs oder um Grenzen der satirischen Darstellung religiöser Praxis und Symbole etc. Das Zusammenleben zwischen der christlichen und nicht-religiösen Mehrheitsbevölkerung und der islamischen Minderheit wird deshalb teilweise als konflikthaft erlebt. Dies ergeben zumindest zahlreiche Befragungen, die vor allem nach den Anschlägen vom 11. September 2001 durchgeführt wurden. Sie zeigen, dass in der westlichen Welt dem Islam und den Muslimen mit viel Ablehnung begegnet wird.
Alexander Yendell
Metadata
Title
Demokratie und Islam
Editors
Ahmet Cavuldak
Oliver Hidalgo
Philipp W. Hildmann
Holger Zapf
Copyright Year
2014
Electronic ISBN
978-3-531-19833-0
Print ISBN
978-3-531-19832-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-19833-0