Kommunikation ist ein zentraler Bestandteil der Aufgabe des Aufsichtsrats und im Speziellen von Aufsichtsratsvorsitzenden. Sie ist sowohl nach innen, sprich innerhalb des Gremiums sowie mit dem Vorstand, als auch nach außen, im Rahmen von Publizitätspflichten und als zusätzliche freiwillige Kommunikation, relevant. In diesem Kapitel soll daher erstmalig ein umfassendes Verständnis für die kommunikativen Aufgaben von Aufsichtsratsvorsitzenden etabliert werden.
Kommunikation ist ein zentraler Bestandteil der Aufgabe des Aufsichtsrats und im Speziellen von Aufsichtsratsvorsitzenden. Sie ist sowohl nach innen, sprich innerhalb des Gremiums sowie mit dem Vorstand, als auch nach außen, im Rahmen von Publizitätspflichten und als zusätzliche freiwillige Kommunikation, relevant.
In diesem Kapitel soll daher erstmalig ein umfassendes Verständnis für die kommunikativen Aufgaben von Aufsichtsratsvorsitzenden etabliert werden. Dafür werden die Erkenntnisse aus Corporate-Governance- und kommunikationswissenschaftlicher Forschung zusammengeführt und auf die ARV-Kommunikation übertragen. Dabei handelt es sich einerseits um ein deskriptives Verständnis, was Aufsichtsratsvorsitzende, etwa im Rahmen von Publizitätspflichten, veröffentlichen. Andererseits wird basierend auf der kommunikationswissenschaftlichen Forschung auch ein normatives Verständnis beschrieben, was Aufsichtsratsvorsitzende kommunizieren sollten bzw. könnten, um den Informationserwartungen der Anspruchsgruppen zu begegnen.
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In Abschnitt 5.1 werden die Maßnahmen und Themen der Kommunikation des Aufsichtsrats(vorsitzenden) anhand der drei relevanten Öffentlichkeitsarenen ausführlich erläutert. Zunächst wird die Kommunikation innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit beschrieben (Abschnitt 5.1.1). Dabei geht es um die Informationsversorgung des Aufsichtsratsgremiums, die es braucht, um der Überwachungsaufgabe nachzukommen, als auch um Erkenntnisse zur Kommunikation innerhalb des Gremiums. Darüber hinaus wird auf den Dialog von Aufsichtsratsvorsitzenden mit internen Stakeholdern, insbesondere Vorstandsvorsitzenden, eingegangen. Aus normativer Sichtweise wird zudem ein Dialog mit Führungskräften als relevante Kommunikationsmaßnahme theoretisch eingeführt. Schließlich wird aus interner Perspektive der Austausch mit den Kommunikationsfunktionen diskutiert.
Im Abschnitt 5.1.2 wird die Kommunikation mit den Akteuren der Kapitalmarktöffentlichkeit beschrieben. Dazu werden die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats detailliert dargestellt sowie auf den im Jahr 2017 vom DCGK angeregten Investorendialog eingegangen. In diesem Zusammenhang werden die Argumente für und gegen diesen Dialog abgewogen sowie zwei weitere Initiativen vorgestellt, die sich ebenfalls mit der Kommunikation zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Investoren beschäftigen. Schließlich wird aus normativer Sicht ein Dialog mit den weiteren Kapitalmarktakteuren, konkret Stimmrechtsberatern und Analysten, diskutiert.
Zuletzt wird der Dialog mit Akteuren der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit konzipiert (Abschnitt 5.1.3). Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine normative Sichtweise, da es sich beim Austausch mit Medien um eine freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden handelt. Abschließend werden in Abschnitt 5.1.4 werden die wichtigsten Aspekte noch einmal rekapituliert. Die bereits bestehenden sowie neuen Kommunikationswege von Aufsichtsratsvorsitzenden werden dabei dargestellt, um sie anschließend empirisch überprüfen zu können.
Anschließend soll der Blick auf die Ziele und das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation geworfen werden. Im bisherigen Verständnis der Kommunikationsmanagement-Forschung wird die Kommunikationsstrategie aus der Unternehmensstrategie abgeleitet, sodass der Wertbeitrag von Kommunikation für das Unternehmen anhand verschiedener Wirkungsstufen definiert werden kann. Da der Aufsichtsrat den Vorstand zur Unternehmensstrategie berät und keinen Beitrag dazu leistet, kann dieses Verständnis nicht auf die ARV-Kommunikation übertragen werden. Daher soll in Abschnitt 5.2 die Ziele für die ARV-Kommunikation aus dessen Überwachungstätigkeit konzeptualisiert werden. Auf dieser Grundlage kann im Rahmen der empirischen Analyse dann überprüft werden, welche Ziele mit der Kommunikation verfolgt werden.
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Im Anschluss wird in Abschnitt 5.3 die in dieser Arbeit zugrunde liegende Definition zur Kommunikation des Aufsichtsrats, der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie des Kommunikationsmanagements der ARV-Kommunikation vorgestellt.
Schließlich werden die strukturationstheoretischen Vorüberlegungen mit den verschiedenen Ansatzpunkten aus den kommunikations-, wirtschaftswissenschaftlichen und juristischen Grundlagen rekapituliert. Der dabei entwickelte Analyserahmen (Abschnitt 5.4) dient als Ausgangspunkt, um im empirischen Teil die Interdependenzen von Handlungen und Strukturen analysieren zu können. Abschließend werden in Abschnitt 5.5 die Forschungsfragen für die empirische Analyse aus den theoretischen Ausführungen rekapituliert.
5.1 Maßnahmen und Themen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Aufsichtsratsvorsitzende haben eine besondere Rolle in Unternehmen. In der Corporate-Governance-Forschung sind die kommunikativen Aufgaben und Maßnahmen durch das Aktienrecht geregelt (Abschnitt 3.3): Diese besteht u. a. in der Koordination und Leitung des Aufsichtsratsverfahrens und damit einer in das Gremium hinein gerichteten Kommunikation. Es gibt jedoch auch die nach außen gerichteten Aufgaben, wie die Repräsentation des Aufsichtsratsgremiums gegenüber der Hauptversammlung. Mit dem Investorendialog wird von Seiten des DCGK eine kommunikative Maßnahme von Aufsichtsratsvorsitzenden als neue Norm der Kommunikation eingeführt.
Die ARV-Kommunikation von börsennotierten Unternehmen in Deutschland wird im Rahmen dieser Arbeit sowohl aus interner als auch externer Perspektive untersucht. Als Grundlage dafür werden im folgenden Kapitel die Erkenntnisse aus Corporate-Governance-Forschung und Kommunikationswissenschaft zusammengeführt, um die kommunikativen Aufgaben und Maßnahmen der ARV-Kommunikation erstmalig umfassend darstellen zu können. Anhand der drei relevanten Öffentlichkeitsarenen für Aufsichtsratsvorsitzende werden dabei sowohl die Publizitätspflichten als auch freiwillige Kommunikationsmaßnahmen erläutert. Dies bildet die Grundlage dafür, die ARV-Kommunikation anschließend empirisch analysieren zu können.
5.1.1 Unternehmensöffentlichkeit: Informationsversorgung des Aufsichtsrats und Dialog mit internen Stakeholdern
Bei der Kommunikation innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit nimmt der Aufsichtsrat eine Doppelrolle ein. Einerseits empfängt der Aufsichtsrat Informationen vom Vorstand, um auf dieser Basis seine Überwachungsaufgabe nachzukommen. Andererseits kann der Aufsichtsratsvorsitzende auch als Initiator für den Dialog mit relevanten internen Stakeholdern angesehen werden. Aus Sicht der Corporate-Governance-Forschung ist der Vorstand der zentrale interne Stakeholder der ARV-Kommunikation. Aber auch ein punktueller Dialog mit Führungskräften, als wichtige Vermittler im Unternehmen, soll in diesem Zusammenhang aus normativer Sicht vorgestellt werden. Ebenso wird auf den Austausch mit den Kommunikationsfunktionen eingegangen, da deren Verantwortlichkeit relevant für die Verortung der ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement ist. Auf Betriebsräte als Vermittler in der Unternehmensöffentlichkeit soll in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden, da Betriebsräte als Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt werden, sodass ein Dialog mit ihnen indirekt über das Gremium abgedeckt ist.
Informationsversorgung des Aufsichtsrats
Von besonderer Bedeutung sind die Regeln für die Kommunikation zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, schließlich nimmt das Gremium seine Überwachungsaufgabe auf Basis der Berichte des Vorstands wahr1. Inhalte und Häufigkeit der Berichte des Vorstands an den Aufsichtsrat sind in § 90 AktG festgelegt, die Informationsversorgung ist zudem in den Grundsätzen 15 und 16 im DCGK festgehalten. Der Zugang zu Informationen stellt für Aufsichtsratsvorsitzende eine wichtige allokative Ressource für die Kommunikation dar.
Es entsteht ein „doppeltes Dilemma“ (Seibt, 2009, S. 392), da einerseits eine Wissensasymmetrie zwischen dem Aufsichtsrat und dem zu kontrollierenden Vorstand besteht. Dies führt andererseits zu einem Interessenkonflikt beim Vorstand, der die Informationen für seine eigene Überwachung und Evaluation bereitstellen muss.
Der Aufsichtsrat kann auf passive und aktive Weise Informationen gewinnen: Im Rahmen der passiven Informationen greift das Gremium auf die vom Vorstand bereitgestellte Berichterstattung zurück. Darüber hinaus kann der Aufsichtsrat aber auch aktiv nach (weiteren) Informationen fragen und somit seine Überwachungs- und Kontrollfunktion besser wahrnehmen. Somit impliziert § 90 AktG die „Bringschuld und Holschuld“ (Theisen, 2007, S. 23) seitens des Aufsichtsrats, die auch im DCGK aufgegriffen wird (Grundsatz 15).
Die Berichterstattung an den Aufsichtsrat obliegt formalen und inhaltlichen Anforderungen (Abbildung 5.1). Formal muss der Bericht des Vorstands im Sinne eines „true and fair view die tatsächlichen Verhältnisse des Unternehmens widerspiegeln“ (Diederichs & Kißler, 2008, S. 107). Die Inhalte müssen demnach wahrheitsgemäß, vollständig sowie überprüfbar sein. Weiterhin müssen Berichte unaufgefordert und rechtzeitig übermittelt werden sowie übersichtlich und stetig erfolgen (Grothe, 2006, S. 254 ff.). Die inhaltlichen Anforderungen spezifizieren den Informationsgehalt der Berichte und lassen sich nach Handelsrecht (HGB) sowie nach Aktienrecht (§ 90 AktG) differenzieren.
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Die Berichte nach dem Handelsrecht, wie der Jahresabschluss, Lagebericht, Aufsichtsratsbericht des Abschlussprüfers und der Management Letter, versetzen den Aufsichtsrat in die Lage sowohl vergangenheitsorientiert als auch zukunftsorientiert auf die Entwicklung des Unternehmens zu blicken (Diederichs & Kißler, 2008, S. 109 ff.). Die Berichterstattung nach dem Aktienrecht stellt dem Aufsichtsrat umfassende Informationen sowohl periodisch (z. B. Bericht über die beabsichtigte Geschäftspolitik) als auch ereignisbezogen (z. B. Sonderberichte) zur Verfügung. Vor allem die zukunftsorientierten Inhalte, wie der Bericht über die beabsichtige Geschäftspolitik oder Sonderberichte, ermöglichen es dem Aufsichtsrat, Schwachstellen aufzudecken und somit unerwünschte Unternehmensentwicklungen zu thematisieren und zu unterbinden (Diederichs & Kißler, 2008, S. 115 ff.).
Theisen (2007, S. 25) unterscheidet zudem zwischen qualitativen und quantitativen Informationen. Die quantitativ ausgelegten unternehmensinternen Informationssysteme, also die Zahlen, die ohnehin im Unternehmen vorliegen, werden dabei häufig entsprechend für die Information an den Aufsichtsrat übernommen. Ein angemessenes Verhältnis aus quantitativen Zahlen und qualitativen Erklärungen, vor allem durch grafische Aufbereitungen oder Erläuterungen, werden dabei als funktionsgerecht betrachtet. Laut einer Studie von BCG (2018, S. 16) fühlen sich Aufsichtsräte in Deutschland und Österreich gut informiert hinsichtlich finanzieller, operativer, strategischer und Compliance-Themen. In Bezug auf Digitalisierungs- und Personalthemen sehen sie sich demgegenüber zu wenig informiert. In diesem Zusammenhang stellt Ruhwedel (2012, S. 197) die grundsätzliche Frage, warum das Berichtswesen des Aufsichtsrats von dem des Vorstands abweichen sollte, denn wenn es für die Bedürfnisse des Vorstands zugeschnitten sei, sei es grundsätzlich für den Aufsichtsrat geeignet.
Die Informationen des Aufsichtsrats lassen sich zudem in eine vom Vorstand abhängige – wie bereits dargestellt – und eine unabhängige Säule differenzieren (Theisen, 2007, S. 24). Eine zentrale Quelle der vorstandsunabhängigen Informationsversorgung bildet der Bericht des Abschlussprüfers (§§ 170, 171 AktG, § 321 HGB). Der Abschlussprüfer hat dabei eine Doppelrolle als Berater des Aufsichtsrats und Garant für Anleger und Öffentlichkeit, da er die Richtigkeit des Jahresabschlusses attestiert (Lutter et al., 2014, S. 83 f.). Demgegenüber werden nach einer Studie von BCG (2018, S. 17) unabhängige, externe Informationsquellen, wie Analystenberichte, Pressespiegel, externe Marktstudien oder Gespräche mit Kunden, aber nur selten genutzt. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern diese Informationen durch die Kommunikationsfunktionen des Unternehmens im Rahmen eines Reportings bereitgestellt werden.
Der Aufsichtsrat kann zudem externe Sachverständige mandatieren, um die Vorstandsinformationen zu verifizieren oder ergänzen und damit die Entscheidungsfindung zu unterstützen (Gerum, 2007, S. 280 ff.; Seibt, 2009, S. 400 ff.). Zudem ermöglicht ein Einsichts- und Prüfungsrecht (§ 111 Abs. 2 Satz 1 AktG) dem Aufsichtsrat prinzipiell, auf alle im Unternehmen vorhandenen Informationen zugreifen zu können (Leyens, 2006, S. 171 ff.). Insbesondere in einer Krisensituation muss sich der Aufsichtsrat ein genaues Bild von der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens verschaffen und alle ihm nach §§ 90 Abs. 3, 111 Abs. 2 AktG zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausschöpfen (Schmittmann, 2012, S. 171).
Bis zu seiner Überarbeitung enthielt der DCGK (2017) die Empfehlung zum Erlass einer Informationsordnung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat (Ziffer 3.4 Abs. 1 Satz 3). Dies kann impliziert auch in Grundsatz 15 des aktuellen DCGK (2019) herausgelesen werden. Eine Informationsordnung, als wesentlicher Bestandteil der Geschäftsordnung des Vorstands, kann als ein Ausweis guter Corporate Governance gewertet werden, da es die Qualität eines funktionsgerechten Informationsaustausches und eine offene Diskussionskultur fördere (Schichold, 2014, S. 184 f.; Seibt, 2009, S. 407 f.). Die Informationsordnung sollte dabei beinhalten (Seibt, 2009, S. 408 ff.):
(1)
die formalen Anforderungen an die Berichte,
(2)
eine konkrete Beschreibung des Informationsflusses vom Vorstand zum Aufsichtsrat (vgl. inhaltliche Anforderungen bei Diederichs and Kißler (2008)) sowie ein Modell der gestuften Informationsstränge zur internen Informationsweitergabe im Aufsichtsratsgremium,
(3)
eine Struktur der Informationsanfragen des Aufsichtsrats an den Vorstand,
(4)
eine periodische Effizienzprüfung des Informationsgefüges, sowie
(5)
Festlegungen zur Veröffentlichung der Informationsordnung, z. B. im Corporate-Governance-Bericht.
Zusammenfassend stellt die Informationsversorgung des Aufsichtsrats die wichtigste Grundlage für seine Überwachungstätigkeit dar, die klar durch das Aktienrecht sowie den DCGK geregelt ist. Der Zugang zu Informationen im Unternehmen ist für die ARV-Kommunikation eine wichtige allokative Ressource. Aus normativer Perspektive können daher neben quantitativen Fakten zum Unternehmen auch qualitative Informationen von den Kommunikationsfunktionen relevant sein. Erst das Wissen zur öffentlichen Meinungsbildung und den Erwartungen von relevanten Anspruchsgruppen in den Öffentlichkeitsarenen ermöglicht Aufsichtsratsvorsitzenden die Kontrolle in Interaktionen. Diese Informationen können während der Situationsanalyse im Rahmen des Kommunikationsmanagements erhoben werden. Auf dieser Basis könnte z. B. entschieden werden, ob freiwillige Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden sinnvoll sind. Aber auch eine Einordnung der Diskussion von aufsichtsratsrelevanten Themen in der gesellschaftspolitischen und Kapitalmarktöffentlichkeit kann eine wichtige beratende Aufgabe der Kommunikationsfunktion für den Aufsichtsrat darstellen.
Kommunikation im Aufsichtsratsgremium
Die Kommunikation innerhalb des Aufsichtsratsgremiums ist durch die Normen des Aktienrechts und DCGK geregelt. So muss der Aufsichtsrat nach § 110 Abs. 3 Satz 1 AktG zwei Sitzungen im Kalenderjahr abhalten, der DCGK verweist darauf, dass der Aufsichtsrat regelmäßig auch ohne den Vorstand tagen soll (Empfehlung D.7). Im Rahmen der Sitzungsleitung treffen Aufsichtsratsvorsitzende die Entscheidung, ob Vorstandsmitglieder oder auch andere Experten an den Aufsichtsratssitzungen teilnehmen sollen (Lutter et al., 2014, S. 300 f.). Jedes Mitglied ist berechtigt und verpflichtet an den Sitzungen teilzunehmen. Die Teilnahme soll entsprechend im Aufsichtsratsbericht vermerkt werden, dabei ist eine Teilnahme auch über Telefon- oder Videokonferenz möglich, sollte aber nicht die Regel sein (Empfehlung D.8).
Der umfassende eigene Informationsanspruch des Aufsichtsrats korrespondiert jedoch mit der Pflicht seiner Mitglieder zur Verschwiegenheit: „Die Aufsichtsratsmitglieder sind insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet“ (§ 116 Satz 2 AktG). Um eine lebendige Diskussion innerhalb des Gremiums zu gewährleisten, ist daher sowohl das Beratungsgeheimnis sowie die Vertraulichkeit der Stimmabgabe zu wahren (Lutter et al., 2014, S. 129; Schenck, 2013, S. 732 f.).
Ein Kontakt zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern auch außerhalb der Sitzungen wird aufgrund der Pflicht zur Selbstinformation im Rahmen der Überwachungsaufgabe (§ 111 AktG) vorausgesetzt. In der Regel findet der Austausch entweder anlasslos durch einen allgemeinen Gedankenaustausch oder in Bezug auf die Besprechung konkreter, aktueller Themen statt – vor allem im Vorfeld oder am Rande der Sitzung des Plenums oder der Ausschüsse (Schenck, 2013, S. 176). Wittmann (2016, S. 134 f.) beschreibt anhand von Interviews mit österreichischen Aufsichtsräten, dass der interne Austausch abseits der Sitzungen häufig fehle. Jedoch wünschen sich die befragten Aufsichtsratsmitglieder mehr Kontakt, um besser miteinander arbeiten und ein besseres Verständnis für einzelne Meinungen entwickeln zu können.
Aufsichtsratsvorsitzende haben eine wichtige Scharnierfunktion für die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. So sind sie verpflichtet die Aufsichtsratsmitglieder spätestens in der nächsten Sitzung über die Gespräche mit dem Vorstand zu informieren (§ 90 Abs. 5 Satz 3 AktG). Dabei muss die Gleichbehandlung aller Aufsichtsratsmitglieder gewährleistet werden, sodass alle in gleicher Weise informiert werden. Aufsichtsratsvorsitzende können jedoch von diesem Grundsatz abweichen, wenn es Anlass zu der Befürchtung gibt, dass ein Aufsichtsratsmitglied die gebotene Vertraulichkeit nicht wahren werde (Lutter et al., 2014, S. 135). Zudem ist es zulässig, dass anstehende Themen zunächst in den Kreisen der Arbeitnehmervertreter oder der Anteilseignervertreter besprochen werden (Schenck, 2013, S. 177).
Der Aufsichtsrat sollte in seiner Geschäftsordnung zudem eigene Regeln für die Kommunikation des Gremiums festlegen. In Hinblick auf Information und Kommunikation können dabei u. a. Fragen zu formellen Berichtswegen und -formaten, wie z. B. virtuelle Datenräume zur Vorbereitung von Sitzungen, geklärt werden (Schichold, 2014, S. 186 f.; Theisen, 2007, S. 90 ff.). Es gibt bislang keine Untersuchungen, ob das Thema Kommunikation – innerhalb des Unternehmens wie auch mit den externen Stakeholdern des Unternehmens – in den Geschäftsordnungen Einzug gefunden hat.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Kommunikation innerhalb des Aufsichtsratsgremium durch das Aktienrecht und den DCGK geregelt ist. In einigen Unternehmen gibt es Aufsichtsratsbüros, die Aufsichtsratsvorsitzende bei der Gremienkoordination personell unterstützen. Die Kommunikationsfunktionen des Unternehmens spielen keine Rolle bei der Kommunikation innerhalb des Gremiums. Im empirischen Teil der Arbeit wird diese gremieninterne Perspektive mit den Aufsichtsratsvorsitzenden erörtert, es wird jedoch kein Schwerpunkt in der Analyse daraufgelegt.
Kommunikation mit dem Vorstand
Eine Kommunikation mit den Vorstandsmitgliedern, insbesondere Vorstandsvorsitzenden, ist eine wichtige Aufgabe von Aufsichtsratsvorsitzenden. Der direkte Kontakt von anderen Aufsichtsratsmitgliedern mit dem Vorstand ist möglich, jedoch sollte der Aufsichtsratsvorsitzende darüber informiert sein, damit es nicht zu potenziell widersprechenden Botschaften an den Vorstand kommt (Schenck, 2013, S. 175).
Der Deutsche Corporate Governance Kodex betont die Beratung der Strategie, Geschäftsentwicklung, Risikolage, Risikomanagement und der Compliance zwischen den Vorsitzenden der beiden Gremien (Empfehlung D.6). Auf dieser Basis können sich Aufsichtsratsvorsitzende eine Meinung bilden, welche Sachverhalte zukünftig im Aufsichtsratsgremium beraten und inwiefern vertiefende Bericht des Vorstands angefordert werden sollten (Schenck, 2013, S. 176). Solch ein Austausch sollte nicht nur dann stattfinden, wenn ein wichtiger Anlass zur Information verpflichtet (§ 90 Abs. 1 Satz 2 AktG).
Schenck (2013, S. 136) argumentiert, dass ein wöchentliches Telefonat das Mindeste sein sollte, was Aufsichtsratsvorsitzende zur Kontaktpflege mit Vorstandsvorsitzenden nutzt. Wenn Aufsichtsratsvorsitzende Informationen über das Unternehmen zuerst aus der Zeitung erfahren und selbst um Auskunft bitten müssten, sei das kein Zeichen für ein gutes Verhältnis, das jedoch im Interesse der beiden Gremien liege (Schenck, 2013, S. 161). Bislang gibt es noch keine Untersuchungen zur Kommunikation zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstandsvorsitzenden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Vorstand bzw. Vorstandsvorsitzende aus Perspektive der Corporate-Governance-Forschung der wichtigste interne Stakeholder der ARV-Kommunikation darstellt. Der Fokus liegt dabei auf der bereits dargestellten Informationsversorgung des Aufsichtsratsgremiums. Weiterhin kann die Beziehung zum Vorstand auch als autoritative Ressource für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden angesehen werden, wenn es darum geht bestehende Strukturen umzugestalten. So könnte eine vertrauensvolle Zusammenarbeit einen positiven Einfluss auf die Informationsversorgung von Aufsichtsratsvorsitzenden durch die Kommunikationsfunktionen oder Führungskräfte haben. Gleichzeitig hat die Kommunikationsfunktion aber keine ermöglichende Rolle für den Dialog zwischen den beiden Gremienvorsitzenden. Demnach soll im empirischen Teil der Arbeit aus Sicht von Aufsichtsratsvorsitzenden der Dialog mit Vorstandsvorsitzenden erörtert werden, jedoch kein Schwerpunkt in der Analyse daraufgelegt werden.
Kommunikation mit Führungskräften bzw. Mitarbeitenden
Gegenüber Mitarbeitenden hat der Aufsichtsrat kein unmittelbares Informationsrecht. Nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG kann der Aufsichtsrat jedoch Auskunftspersonen zur Beratung bestimmter Gegenstände zur Aufsichtsratssitzung hinzuziehen. In Abstimmung mit dem Vorstand berichten Führungskräfte des Unternehmens in der Praxis häufig in Aufsichtsratssitzungen zu ihren Themenfeldern. Dies ermöglicht dem Aufsichtsrat einen unmittelbaren Blick auf das spezifische Thema sowie auf den Führungsnachwuchs im Unternehmen (Seibt, 2009, S. 400). Da die langfristige Nachfolgeplanung eine gemeinsame Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat ist (DCGK 2019, Empfehlung B.2), kann ein Dialog des Aufsichtsrats mit relevanten Führungspersonen als angemessen angesehen werden.
Direktkontakte zwischen Aufsichtsrat, Führungskräften und Mitarbeitenden sind idealerweise als Teil einer transparenten Unternehmenskultur zu begreifen, in der die Loyalität vom Angestellten und Vorstand gewahrt wird (Leyens, 2006, S. 198). Die Institutionalisierung eines dauerhaften direkten Informationsaustauschs mit Führungskräften ist aufgrund der ungeteilten Leitungsverantwortung des Vorstands (§ 91 Abs. 2 AktG) jedoch nicht möglich (Grothe, 2006, S. 275). Der Austausch von Aufsichtsrat und Führungskräften des Unternehmens ist bisher empirisch noch nicht untersucht.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass durch die Erkenntnisse der internen Kommunikationsforschung, Führungskräfte als wichtige Stakeholdergruppe für die ARV-Kommunikation in der Unternehmensöffentlichkeit identifiziert werden konnten. Führungskräfte nehmen eine zentrale Vermittlerrolle in der Unternehmensöffentlichkeit zwischen der Unternehmensführung und den Mitarbeitenden ein. Ein punktueller, persönlicher Austausch könnte für die ARV-Kommunikation relevant sein, da die Besetzung und Nachfolgeplanung des Vorstands zentrale Aufgaben für den Aufsichtsrat sind. Bei diesem Austausch kommt dem Handlungsfeld der internen Kommunikation jedoch keine unterstützende Rolle zu. Im Rahmen der empirischen Analyse soll erstmalig gezeigt werden, ob es einen Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Führungskräften gibt und welche Ziele damit verfolgt werden. Darüber hinaus soll gezeigt werden, ob es weitere interne Kommunikationsmaßnahmen des ARV gibt, die sich an alle Mitarbeitenden richten.
Austausch mit den Kommunikationsfunktionen
Wenn Direktkontakte zwischen Aufsichtsrat und Mitarbeitenden als Teil einer transparenten Unternehmenskultur aufgefasst werden, dann ist für die vorliegenden Arbeit vor allem der Austausch mit den Kommunikationsfunktionen interessant. Schließlich ist es ein Ziel der Arbeit, die ARV-Kommunikation im Rahmen des Kommunikationsmanagements zu verorten.
Die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats werden durch die Unternehmen veröffentlicht. Daher ist davon auszugehen, dass diese Kommunikationsmaßnahmen als Teil des Handlungsfelds der Investor Relations bzw. Public Relations vorbereitet, umgesetzt und evaluiert werden. In der Vorbereitung der Publizitätspflichten findet wahrscheinlich eine Abstimmung sowohl mit dem Aufsichtsrat als auch dem Vorstand statt. Wie dies konkret abläuft und inwiefern dies auch bei einer freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden der Fall ist, soll im Rahmen der empirischen Analyse untersucht werden.
Beim Kommunikationsmanagement werden bei der Situationsanalyse die Erwartungen, Themen und Trends aus den relevanten Öffentlichkeitsarenen identifiziert. Diese Informationen werden im Rahmen von Briefings, z. B. vor der Veröffentlichung von Quartalszahlen, mit dem Vorstand geteilt. Dabei wurde noch nicht untersucht, inwiefern eine Informationsversorgung, als allokative Ressource bzw. internes Reporting, mit oder ohne Einbezug des Vorstands, auch an den Aufsichtsrat stattfindet.
Schließlich beraten und unterstützen Kommunikationsmanager die Führungsorgane auch im Umgang mit allen internen und externen Stakeholdern (Zerfaß & Franke, 2013). Diese Beratungsfunktion wäre z. B. relevant, wenn es Gesprächsanfragen von Investoren oder Journalisten an die Aufsichtsratsvorsitzenden gibt. Solch eine personelle Unterstützung würde schließlich eine autoritative Ressource für die ARV-Kommunikation darstellen. Im Rahmen der empirischen Analyse soll demnach auch untersucht werden, inwiefern Kommunikationsmanagern als interne Berater für den Aufsichtsrat agieren.
5.1.2 Kapitalmarktöffentlichkeit: Publizitätspflichten und Investorendialog
Der Kapitalmarkt ist eine abstrakte Institution, stellt jedoch die zentrale unternehmensexterne Öffentlichkeitsarena für die Kommunikation des Aufsichtsrats dar (Theisen, 2007, S. 208). Zunächst definiert das Aktiengesetz als Norm die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats, die hier noch einmal ausführlich dargestellt werden. Zudem ist mit dem Investorendialog im Deutschen Corporate Governance Kodex (Anregung A.3) ein neuer Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden zu den Anteilseignern des Unternehmens angeregt worden. Die Anregung im DCGK sowie zwei weitere Initiativen zu diesem Thema werden im Folgenden erläutert.
Darüber hinaus identifizieren die Investor-Relations-Abteilungen, als zentrale Kommunikationsfunktion mit dem Kapitalmarkt, im Rahmen des Kommunikationsmanagements die verschiedenen Informationsbedürfnisse der Kapitalmarktakteure (Abschnitt 4.2.3). Daher soll an dieser Stelle aus normativer Sicht ein Dialog zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und weiteren Anspruchsgruppen der Kapitalmarktöffentlichkeit diskutiert werden.
Publizitätspflichten aus der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats
Nach außen hat der Aufsichtsrat verschiedene Publizitätspflichten im Rahmen der Überwachungsaufgabe (Abschnitt 3.2). Diese werden meist im Rahmen der Regelkommunikation des Unternehmens veröffentlicht. Flegelskamp (2018, S. 482) bezeichnet den Geschäftsbericht dabei als „Flaggschiff“ der Unternehmens- bzw. Finanzkommunikation und damit auch der Aufsichtsratskommunikation, da die Publikation verschiedene Stakeholder des Unternehmens anspricht.
Im Aktiengesetz wird an neun Stellen explizit auf den Bericht des Aufsichtsrats an die Anteilseigner im Rahmen der Hauptversammlung verwiesen (Schichold, 2014, S. 177 f.). Wichtigste Grundlage ist § 171 Abs. 2 AktG, wonach der Aufsichtsrat einmal jährlich der Hauptversammlung mitzuteilen hat, in welcher Art und in welchem Umfang er das Management der Gesellschaft überwacht hat. Im Aufsichtsratsbericht geht es um die Häufigkeit und die Themen der Aufsichtsratssitzungen, die Tätigkeit von Ausschüssen, personelle Veränderungen im Aufsichtsrat und den Umgang mit potenziellen Interessenkonflikten von Aufsichtsratsmitgliedern. Zudem können weitere Informationen zum Aufsichtsrat und seiner Tätigkeit ergänzt werden, um ein umfassendes Bild abzugeben (Schichold, 2014, S. 178; Theisen, 2007, S. 211 ff.). Der Bericht wird üblicherweise im Geschäftsbericht sowie auf der Website des Unternehmens veröffentlicht. Zudem wird er auf der Hauptversammlung vom Aufsichtsratsvorsitzenden erläutert (§ 176 Abs. 1 Satz 2 AktG).
Nach Lutter et al. (2014, S. 253) hat der Aufsichtsratsbericht eine dreifache Funktion: Zunächst fungiert er als Nachweis und Rechenschaft des Aufsichtsrats gegenüber der Hauptversammlung als dem Organ, das über seine Wiederwahl und seine Entlastung entscheidet (§ 120 AktG). Weiterhin dient der Bericht zur Information der Hauptversammlung, wie der Aufsichtsrat bestimmte Aufgaben erfüllt hat und welche Überlegungen ihn dabei geleitet haben. Insofern ist er ein Mittel der Selbstevaluation, ob das Gremium seine Überwachungspflicht angemessen und umfassend erfüllt hat. Schließlich ist der Bericht die Basis für eine Kontrolle des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung, da diese über seine Entlastung oder Nichtentlastung entscheidet.
Weiterhin sollen Vorstand und Aufsichtsrat jährlich über die Corporate Governance berichten. Die verpflichtende Erklärung zur Unternehmensführung (§ 289f HGB) hat die Transparenz erhöht, indem Unternehmen über die gesetzlichen Anforderungen hinaus u. a. zur Unternehmensführung und internen Organisation sowie zur Arbeitsweise und Zusammensetzung des Aufsichtsrats informieren. Die Ausgestaltung dieses Corporate-Governance-Berichts wird im DCGK (Grundsatz 22) nicht weiter konkretisiert, jedoch sollen ältere Erklärungen mindestens fünf Jahre auf der Website des Unternehmens zugänglich sein (Empfehlung F.5).
Zudem müssen Vorstand und Aufsichtsrat in ihrer Entsprechenserklärung (§ 161 AktG) mögliche Abweichungen von den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex begründen. Dies entspricht dem international üblichen und anerkannten comply or explain-Prinzip. Die Entsprechenserklärung stärkt die Transparenz, da sich die Gremien bewusst mit dem Kodex auseinandersetzen müssen. Dieser Dialog im Vorfeld der Veröffentlichung ist seinerseits eine wichtige periodische Informationsquelle für den Aufsichtsrat (Theisen, 2007, S. 221 ff.). Bei einer Verschleierung von Abweichungen könnten der Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung und die Wahl bzw. Wiederwahl von Aufsichtsratsmitgliedern in Gefahr sein sowie Haftungsansprüche entstehen (Hommelhoff & Schwab, 2009, S. 96 ff.).
Auch in Sondersituationen ergeben sich Kommunikationspflichten für den Aufsichtsrat: Übernahmeangebote stellen dabei besondere Anforderungen. Zunächst kann der Aufsichtsrat der Bietergesellschaft durch Satzung oder Geschäftsordnung ein Übernahmeangebot als zustimmungspflichtiges Geschäft erklären (Theisen, 2007, S. 227).
Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben bei Übernahmeangeboten nach § 27 Abs. 1 WpÜG eine begründete Stellungnahme zu dem Angebot sowie zu jedem Inhalt abzugeben. Besonders relevant ist dabei die Beurteilung von Art und Höhe des Angebots sowie der voraussichtlichen Folgen für das Unternehmen. Die Ausführungen zeigen, ob die Gremien das Angebot für attraktiv erachten. Schließlich soll die Stellungnahme zur ausgewogenen Entscheidungsgrundlage für die Aktionäre beitragen.
„In der Praxis stellt die Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft daher eines der wichtigsten Abwehrinstrumente bei feindlichen Übernahmen dar“ (Winter & Harbarth, 2009, S. 495).
Die Pflicht zur gemeinsamen Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat betont die Gesamtverantwortung der Gremien. Die Ausdehnung auf den Aufsichtsrat dient dem Ziel, den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat einen größeren Einfluss auf die Stellungnahme einzuräumen (Winter & Harbarth, 2009, S. 495 ff.). Zudem kann der Aufsichtsrat den Vorstand zu Abwehrhandlungen ermächtigen (§ 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG). Bestehen innerhalb des Vorstands und des Aufsichtsrats unterschiedliche Auffassungen über den Inhalt der Stellungnahme, ist die Position des jeweiligen Organs darzustellen.
In der Praxis stellt die Veröffentlichung der begründeten Stellungnahme eines der wichtigsten Abwehrinstrumente bei Versuchen einer feindlichen Übernahme dar und es wird auch als Möglichkeit für weitere Kommunikation des Unternehmens genutzt. Die freiwillige Kommunikation kann sowohl an die Kapitalmarkt- als auch die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit gerichtet sein. Dazu zählen korrespondierende Pressemitteilungen, One-on-Ones mit Anteilseignern, Hintergrundgespräche mit Journalisten oder auch Pressekonferenzen, auf denen entweder nur der Vorstand oder auch die Aufsichtsratsvorsitzenden zu Wort kommen.
Eine weitere Pflichtkommunikation stellt die Ad-hoc-Publizität dar. Wenn Themen oder Situationen, die den Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats betreffen, bspw. die Bestellung oder Abberufung von Vorstandsmitgliedern, den Charakter einer Insiderinformation haben, muss das Unternehmen – nicht der Aufsichtsrat – diese Information so bald wie möglich veröffentlichen (Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 1 MMVO). In der Praxis werden diese gesetzlich normierten Ad-hoc-Mitteilungen häufig von ausführlicheren Pressemitteilungen begleitet, die ergänzende Informationen sowie Zitate der Aufsichtsratsvorsitzenden enthalten.
Hierbei gibt es jedoch eine Ausnahme: Bei einer angestrebten M&A-Transaktion könnte es bspw. dazu kommen, dass das Unternehmen verpflichtet ist, diese Insiderinformation unverzüglich zu veröffentlichen. Schenck (2013, S. 354) argumentiert, dass hierdurch in der Öffentlichkeit jedoch fälschlicherweise der Eindruck erweckt werden könnte, die Entscheidung sei bereits getroffen, was die Autorität des Aufsichtsrats untergraben würde, der seine Zustimmung noch nicht erteilt hat oder vielleicht gar nicht erteilen will. In solchen Fällen besteht die Möglichkeit, sich nach Maßgabe von Art. 17 Abs. 4 MMVO von der Pflicht der Veröffentlichung bis zur Erteilung der Zustimmung des Aufsichtsrats zu befreien (sog. Selbstbefreiung). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, im Fall des Rücktritts des Daimler-Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp, können jedoch auch Zwischenschritte zu einer Entscheidung bereits ad-hoc-pflichtig sein (Urteil vom 28.06.2012, Geltl. C-19/11, EU:C:2012:397).
Aufsichtsratsmitglieder von börsennotierten Unternehmen sind wie alle anderen Führungspersonen verpflichtet, eigene Wertpapiergeschäfte dem Emittenten und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) innerhalb von drei Werktagen zu melden (Art. 19 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 über Marktmissbrauch (MAR)). Das Unternehmen muss diese sog. Directors Dealings unverzüglich veröffentlichen. Die Verantwortung für die rechtzeitige Mitteilung liegt beim Aufsichtsratsmitglied (Theisen, 2007, S. 225).
Tabelle 5.1 zeigt die beschriebenen Publizitätspflichten aus der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats im Überblick. Dabei handelt es sich um ausschließlich einseitig nach außen gerichtete Kommunikationsmaßnahmen.
Tabelle 5.1
Publizitätspflichten aus der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats
Insgesamt führen die Anforderungen des Gesetzgebers und des DCGK zu zunehmend ausführlicheren Aufsichtsrats- sowie Corporate-Governance-Berichten. Meist geschieht dies als Teil der Regelkommunikation des Unternehmens, wobei die Investor-Relations-Abteilung und abhängig vom Unternehmen auch die Public-Relations-Abteilung diese Aufgaben im Rahmen des Kommunikationsmanagements übernehmen. Konkret handelt es sich um den Geschäftsbericht als eines der zentralen Instrumente der Finanzkommunikation. Zudem werden die Informationen dauerhaft auf der Website des Unternehmens veröffentlicht. Es handelt sich also meist um schriftliche Publizitätspflichten. Die Auskunft des Aufsichtsrats bei der Hauptversammlung sowie öffentliche Äußerungen in der Unternehmenspraxis zeigen aber, dass die Kommunikation nicht nur schriftlich vollzogen werden muss.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Aktiengesetz sowie der DCGK wichtige Normen für die ARV-Kommunikation darstellen. Die konkreten Kommunikationsmaßnahmen, wie der Geschäftsbericht, werden vom Unternehmen vorbereitet und herausgegeben. In Bezug auf den Aufsichtsratsbericht als wichtige Legitimation gegenüber den Anteilseignern gibt es also schon länger eine Zusammenarbeit zwischen dem Aufsichtsrat und den Kommunikationsfunktionen. Wie diese konkret aussieht, ist bislang noch nicht untersucht worden und daher Teil der empirischen Analyse dieser Arbeit.
Weiterhin offenbart sich hier eine Grenze zwischen der Pflichtkommunikation und einer freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. Praktiker plädieren dafür, dass eine aktivere Kommunikation auf die Agenda professioneller Überwacher gehöre (Mündemann & Martin, 2013; Scherer, 2014) (siehe auch Abschnitt 5.1.3). Diese freiwilligen Maßnahmen der Aufsichtsratskommunikation wurden wissenschaftlich noch nicht untersucht, daher sollen auch sie anhand der empirischen Analyse erfasst werden.
Investorendialog von Aufsichtsratsvorsitzenden nach DCGK
Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex hat in ihrer vorletzten Änderung des Kodex im Frühjahr 2017 folgende Anregung aufgenommen:
„Der Aufsichtsratsvorsitzende sollte in angemessenem Rahmen bereit sein, mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen Gespräche zu führen“ (DCGK, Anregung A.3).
Nach der Begründung der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (2017, S. 3) sei ein solcher Investorendialog international und auch in Deutschland bereits vielfach gelebte Praxis. Reutershahn (2019, S. 66, 79) zeigt basierend auf einer Analyse des amerikanischen und britischen Rechtsrahmens auf, dass die dort ansässigen Investoren Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Chairman bzw. den unabhängigen Direktoren als gute Corporate Governance ansehen und daher den Dialog aktiv einfordern.
Aufsichtsratsspezifische Themen sind demnach Gegenstände, für die der Aufsichtsrat allein verantwortlich sei. Eine besondere Rolle komme den Aufsichtsratsvorsitzenden zu, in deren Ermessen es liege, mit wem, wann und wie oft derartige Gespräche geführt werden sollen (Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, 2017, S. 4).
Die Aufnahme des Themas in den Kodex wurde im Konsultationsverfahren kontrovers diskutiert. Auf der Website der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (2016) werden die Stellungnahmen verschiedener Institutionen und Stakeholder, dabei handelt es sich vor allem um Akteure aus der Kapitalmarktöffentlichkeit, veröffentlicht. Sie zeigen, dass unterschiedliche Interessen und Perspektiven auf den Investorendialog existieren. Alle institutionellen Investoren befürworten die Aufnahme des Investorendialogs in den Kodex und sprechen sich teilweise sogar für eine Erweiterung auf Vorsitzende der Aufsichtsratsausschüsse (Allianz Global Investors) sowie der Themen des Dialogs (BlackRock) aus. Auch einige Unternehmen aus dem DAX (BASF, Deutsche Börse) äußern sich deutlich positiv dazu, während andere Unternehmen (Allianz, Commerzbank, Deutsche Bank) einen Dialog zwar positiv bewerten, jedoch vorschlagen diesen nur als Anregung aufzunehmen. Auch andere Kapitalmarktakteure wie Stimmrechtsberater (Glass Lewis), Aktionärsschutzvereinigungen (DSW) und weitere Interessenvereinigungen (DIRK) sprechen sich positiv aus, merken jedoch einzelne Ergänzungen zu den Formulierungen an. Zusammenfassend sehen die Befürworter den Dialog als unverzichtbar an, da der Vorstand keine Auskunft über die inhärenten Entscheidungskompetenzen des Aufsichtsrats geben könne und so eine gute Corporate Governance unterstützt würde.
Die Gegner, insbesondere Juristen (Bundesanwaltskammer, Deutsche Anwaltsverein), argumentieren, dass es sich dabei um eine unzulässige, mit dem dualistischen System der Unternehmensführung nicht vereinbare Kompetenzüberschreitung von Aufsichtsratsvorsitzenden handele. Auch die Gewerkschaften (DGB, Verdi) sprechen sich dagegen aus, da dies zu einer Machtverschiebung der Organe führe und die Interessenpluralität im Aufsichtsrat nicht widerspiegele. Dieser Argumentation folgen auch die Stellungnahmen von den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden einiger Unternehmen (Commerzbank, Deutsche Post DHL Group, Talanx). Andere im MDAX notierte Unternehmen (Fuchs Petrolub, Symrise) ergänzen, dass ein Investorendialog gar nicht nachgefragt würde und die Gespräche mit dem Vorstand und der Investor-Relations-Abteilung aus ihrer Sicht ausreichen würden. Viele Gegner argumentieren auch, dass Aufsichtsratsvorsitzende im Gespräch mit einzelnen Investoren gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG, § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG) verstoßen können. Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass auch der Vorstand solche Gespräche führt und auf Verlangen eine sog. Nachinformation in der nächsten Hauptversammlung erfolgt (§ 131 Abs. 4 AktG). Wann und wie die anderen Anteilseigner jedoch über Gespräche von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Investoren im Nachgang informiert werden, wird im Kodex nicht thematisiert.
Schließlich wurde der Investorendialog als Anregung in den DCGK aufgenommen, damit handelt es sich um eine geringe Verbindlichkeit im Verhältnis zu den Kodex-Empfehlungen. In der Praxis können Unternehmen ohne Erläuterung hiervon abweichen. Im Jahr nach der Kodex-Änderung untersuchten Ruhwedel & Weitzel (2018), inwiefern die DAX-Unternehmen Informationen zum Investorendialog im Geschäftsjahr 2017 veröffentlichten. Von den nur 13 öffentlichen Geschäftsordnungen des Aufsichtsrats, enthielten fünf Regelungen zur Durchführung von Investorendialogen. Vier Gesellschaften haben das Thema Investorendialog in ihrer Corporate-Governance-Berichterstattung aufgenommen, wobei zwei keine Geschäftsordnung veröffentlichten und bei den anderen beiden keine Regelungen in den Geschäftsordnungen zu finden war (Ruhwedel & Weitzel, 2018, S. 70 f.). Lediglich fünf Unternehmen berichteten darüber, dass Gespräche tatsächlich stattgefunden hatten, jedoch ohne Erwähnung von Gesprächspartnern oder Themen (Ruhwedel & Weitzel, 2018, S. 71). Weitere empirische Untersuchungen zum Investorendialog seitdem liegen aktuell nicht vor.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Anregung zum Investorendialog im DCGK eine neue Norm für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit der Kapitalmarktöffentlichkeit darstellt. Die Stellungnahmen im Konsultationsprozess zeigen, dass sich viele Unternehmen sowie Kapitalmarktakteure mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Im Rahmen dieser Arbeit soll daher untersucht werden, ob es dadurch aus unternehmensexterner Perspektive zu einer Veränderung der Erwartungen der Stakeholder, insbesondere der Investoren, an die ARV-Kommunikation gekommen ist. Aus unternehmensinterner Perspektive soll analysiert werden, ob der Investorendialog im Rahmen des Kommunikationsmanagements gesteuert wird. Ein detaillierter Blick soll dabei auf die Verantwortlichkeit der IR-Abteilung für die ARV-Kommunikation gelegt werden.
Initiativen zum Dialog zwischen Aufsichtsrat und Investoren
Im Konsultationsverfahren zum DCGK (2017) wird mehrfach auf die Leitsätze der Initiative Developing Shareholder Communication (2016) verwiesen. Dabei handelt es sich um eine Arbeitsgruppe aus Unternehmensvertretern, Investoren und Wissenschaftlern, die acht Leitsätze für den Dialog zwischen Investoren und dem Aufsichtsrat in deutschen Unternehmen veröffentlicht haben. Ziel der Initiative ist es eine
„praktische Orientierungshilfe hinsichtlich der Themen, der Beteiligten und der Ausgestaltung eines solchen Dialogs [zu] bieten und zugleich Leitplanken für die Kommunikation börsennotierter Unternehmen [zu] setzen. Darüber hinaus sollen sie zur Verbreitung guter Dialogformen beitragen“ (Initiative Developing Shareholder Communication, 2016, S. 3).
Die Leitsätze gehen konkreter als der DCGK auf die Umsetzung des Investorendialogs ein (Initiative Developing Shareholder Communication, 2016, S. 3–4), hier werden sie im Wortlaut dargestellt:
Leitsatz 1: Initiative und Themen
Zwischen Investoren und Aufsichtsrat kann ein Dialog geführt werden. Die generelle Entscheidung, ob ein solcher Dialog geführt wird, obliegt auf Seiten des Unternehmens dem Aufsichtsrat. Die Entscheidung über den Eintritt in einen konkreten Dialog trifft der Aufsichtsratsvorsitzende. Der Dialog umfasst ausschließlich Themen, die in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats fallen.
Leitsatz 2: Zusammensetzung und Vergütung des Aufsichtsrats
In einem Dialog können die Aufsichtsratszusammensetzung, der Besetzungsprozess sowie das Vergütungssystem des Aufsichtsrats erörtert werden. Konkrete Wahlvorschläge oder Einzelkandidaten sollen nicht besprochen werden.
Leitsatz 3: Binnenorganisation und Überwachungsprozess
In einem Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat können der Bericht des Aufsichtsrats und die aufsichtsratsbezogenen Themen des Corporate-Governance-Berichts, die Binnenorganisation im Aufsichtsrat, die Ausgestaltung der Überwachungs- und Mitwirkungsprozesse, die Ausschussbildung sowie die Effizienzprüfung und daraus getroffene Maßnahmen erörtert werden. Von einer Diskussion der Ergebnisse der Effizienzprüfung in Bezug auf einzelne Aufsichtsratsmitglieder soll abgesehen werden.
Leitsatz 4: Vorstandsbestellung, -abberufung und -vergütung
In einem Dialog können Anforderungsprofile für die Bestellung der Mitglieder und die Geschäftsverteilung im Vorstand besprochen werden. Konkrete Vorschläge oder Einzelkandidaten sollen nicht Gegenstand eines Dialogs sein. Des Weiteren können das Vorstandsvergütungssystem, geplante Veränderungen und etwaige Verbesserungsvorschläge sowie die Auslegung und gegebenenfalls die Inanspruchnahme von Ermessensspielräumen des Aufsichtsrats bei Vergütungsfragen mit Investoren diskutiert werden.
Leitsatz 5: Strategieentwicklung und -umsetzung
Die Entwicklung und Umsetzung der Unternehmensstrategie obliegt dem Vorstand. Im Rahmen eines Dialogs mit Investoren kann der Aufsichtsrat seine überwachende und mitwirkende Rolle im Strategieprozess und seine Einschätzung der Strategieumsetzung erläutern.
Leitsatz 6: Abschlussprüfer
In einem Dialog können die Anforderungskriterien und Meinungsbildung für die Auswahl des Abschlussprüfers sowie die Inhalte und Qualität der Zusammenarbeit zwischen Abschlussprüfer und Aufsichtsrat erörtert werden.
Leitsatz 7: Beteiligte
Der Aufsichtsratsvorsitzende vertritt den Aufsichtsrat in der Kommunikation mit Investoren. Er kann weitere Aufsichtsratsmitglieder (etwa Ausschussvorsitzende), den Vorstandsvorsitzenden oder andere Mitglieder des Vorstands zu einem Dialog hinzuziehen. Er informiert den gesamten Aufsichtsrat über die Gespräche.
Leitsatz 8: Ausgestaltung
Der Aufsichtsrat bespricht mit dem Vorstand Grundsätze für die Ausgestaltung eines Dialogs zwischen Investor und Aufsichtsrat.
Das Ziel der Initiatoren dieser Leitsätze geht dabei in zwei Richtungen: Einerseits sollen sich deutsche Aufsichtsräte einem Dialog mit Investoren prinzipiell öffnen, andererseits sollen die institutionellen Investoren auf die Grenzen des Dialogs hingewiesen werden, die sich aus dem dualistischen System der Unternehmensführung ergeben (Hirt, Hopt & Mattheus, 2016, S. 739).
Besonders hervorzuheben ist der Leitsatz 5, wonach Aufsichtsratsvorsitzende ihre überwachende und mitwirkende Rolle im Strategieprozess und ihre Einschätzung der Strategieumsetzung erläutern sollen. Landsittel (2019, S. 262) sieht dabei das Problem, dass eine entsprechende Erläuterung in die Verantwortungssphäre des Vorstands eingreife und es sich zudem kaum verhindern lasse, auch eine indirekte Bewertung der Vorstandstätigkeit abzugeben.
Darüber hinaus hat der Berufsverband der unabhängigen Finanzexperten in Aufsichtsratsgremien, die Financial Experts Association (2016), eine Leitlinie zum Dialog zwischen Investoren und Aufsichtsrat veröffentlicht. Diese Leitlinie besteht aus vier Themen: Inhalte, Transparenz, Verantwortung und Grenzen. Während die Punkte denen aus den vorher beschriebenen Leitsätzen ähneln, wird beim Thema Transparenz angebracht, dass das Unternehmen „die Themen und Inhalte der Gespräche mit Investoren protokollieren und diese zeitnah veröffentlichen“ (Financial Experts Association, 2016, S. 3) solle. Diese Nachinformation der Hauptversammlung wurde auch im Konsultationsverfahren mehrfach thematisiert. Auch nach den Leitlinien der Financial Experts Association liegt die Verantwortung des Dialogs bei Aufsichtsratsvorsitzenden, die ggf. Ausschussvorsitzende insbesondere vom Prüfungsausschuss, mit einbinden können. Interessant an dieser zweiten Leitlinie ist vor allem die Beschreibung der Grenzen. Dabei wird hervorgehoben, dass sich der Aufsichtsrat bei Themen, die in die Kompetenz des Vorstands fallen, auf die Position des Zuhörens beschränken solle (Financial Experts Association, 2016, S. 4).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Leitsätze der Initiative Developing Shareholder Communication sowie die Leitlinie der Financial Experts Association keinerlei rechtliche Bindungen haben. Aufgrund ihrer Verbreitung in der Unternehmenspraxis können sie aber ebenfalls als Norm für die ARV-Kommunikation gesehen werden können. Aufgrund ihrer Detailtiefe stellen sie zudem eine gute Grundlage dar, um im weiteren Verlauf der Arbeit die Themen und Beteiligten an Investorendialogen analysieren zu können.
Kommunikation mit Stimmrechtsberatern und Analysten
Im Rahmen der vorstandsunabhängigen Informationsversorgung des Aufsichtsrats wurde bereits dargestellt, dass der Aufsichtsrat nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG Auskunftspersonen zur Beratung einzelner Gegenstände zu Aufsichtsratssitzungen hinzuziehen kann. Seibt (2009, S. 402) argumentiert, dass in Verlängerungen dieser Vorschrift auch ein sonstiger Informationsaustausch zulässig ist, wenn (1) die Vertraulichkeit des Informationsaustauschs und Verschwiegenheit der Aufsichtsratsmitglieder gewährleistet ist (§ 116 Satz 2 AktG), (2) die erwartete Information für die Aufgabenerfüllung des Aufsichtsrats erforderlich erscheint und (3) der Vorstand diese Information ausnahmsweise nicht in gleicher Weise beschaffen kann oder die Einschaltung des Vorstands ausnahmsweise nicht tunlich ist.
Ein Dialog mit weiteren Stakeholdern, insbesondere den Vermittlern aus der Kapitalmarktöffentlichkeit, könnte demnach für die Willensbildung des Aufsichtsrats bei bestimmten Themen bedeutsam sein. Linnartz (2015) spricht sich etwa für einen offenen Dialog mit Stimmrechtsberatern im Vorfeld von ordentlichen Hauptversammlungen aus, sieht dabei jedoch die Initiative bei der Investor-Relations-Abteilung.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die dargestellten Initiativen der ARV-Kommunikation ausschließlich auf einen Dialog mit Anteilseignern beziehen. Aus normativer Perspektive könnte aber auch ein punktueller Austausch mit weiteren Intermediären der Kapitalmarktöffentlichkeit, also den Stimmrechtsberatern und Analysten (Abschnitt 4.1.2), relevant sein. Die Entscheidung dazu könnte auf der Situationsanalyse im Rahmen des Kommunikationsmanagements basieren, indem dabei die Erwartungen von Stakeholdern an die ARV-Kommunikation erhoben werden. Schließlich spielen z. B. Stimmrechtsberater durch ihre Abstimmungsempfehlungen zu Hauptversammlungsbeschlüssen eine wichtige Rolle. Folgt man der Argumentation aus dem Konsultationsverfahren zum DCGK, gibt es Themen über die nur der Aufsichtsrat, und nicht der Vorstand oder die IR-Abteilung, auskunftsfähig ist. Auch andere Akteure können ein Informationsbedürfnis zu diesen aufsichtsratsrelevanten Themen haben. Ein Dialog mit weiteren Anspruchsgruppen der Kapitalmarktöffentlichkeit wurde bislang nicht wissenschaftlich betrachtet und soll daher im Rahmen dieser Arbeit erfolgen.
Der Blick auf die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit offenbart die Grenze zwischen der Pflichtkommunikation, im Rahmen der Publizitätspflichten, und einer freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Öffentlichkeit und vor allem die Medien als Vermittler haben jedoch ein gestiegenes Interesse an Corporate-Governance-Themen (Cromme & Jürgen, 2009, S. 617). So erhalten die Medien in der gesellschaftspolitischen Arena die Informationen über Corporate-Governance-Themen, da die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats über die Regelkommunikation des Unternehmens abgedeckt werden. Bestimmte Themen können dabei in den Fokus des gesellschaftlichen Diskurses rücken, sodass sich öffentliche Meinungen herausbilden. Daraus können zusätzliche Erwartungen an eine Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden entstehen, wenn es darum geht, diese Themen einzuordnen.
Nach einer Studie von Prime Research (2012) hat sich die Berichterstattung in deutschen Medien zum Thema Corporate Governance von 2002 bis 2012 mehr als verdoppelt. Die Berichte nahmen 12 Prozent (2002 = 5 %) der täglichen Unternehmensberichterstattung ein. Anlass für negative Berichterstattung bietet insbesondere das Thema Vorstandsvergütung, während vor allem Diversity-Themen positiv in den Medien besetzt seien.
Basierend auf einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zeigen Voeth, Herbst & Goeser (2014), dass Aufsichtsräte kein gutes Image in der deutschen Bevölkerung haben, obwohl den Befragten gleichzeitig wenig über deren Tätigkeitsbereich bekannt ist. Das Bild sei vor allem durch negative Berichterstattung in den Medien, über vermeintliches Versagen oder interne Streitigkeiten, geprägt. Weiterhin zeigt die Befragung, dass es trotz des geringen Kenntnisstands zu den Tätigkeiten, doch eine Meinungsbildung hinsichtlich aktueller politischer Fragen, hier zum Thema Frauenquote in Aufsichtsräten, im Zusammenhang mit der Aufsichtsratstätigkeit gibt.
Die Studien zeigen, dass Corporate-Governance-Themen immer wieder in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit aufgenommen werden. Bislang wurde jedoch nicht untersucht, ob es zu einer veränderten Erwartungshaltung der Medien in Bezug auf die ARV-Kommunikation gekommen ist. Dies soll aus externer Perspektive im empirischen Teil der Arbeit analysiert werden.
Wie gehen also Aufsichtsratsvorsitzende und die Kommunikationsfunktion in den Unternehmen damit um, wenn Corporate-Governance-Themen in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit diskutiert werden? Wie wichtig ist es, zur Meinungsbildung beizutragen? Aus normativer Perspektive kann es durchaus relevant für das Unternehmen sein, dass Aufsichtsratsvorsitzende ihre Entscheidungen öffentlich vertreten. Schließlich müssen Unternehmen ihre Handlungen im Unternehmensumfeld legitimieren. Durch den Aufbau von (kommunikativen) Beziehungen wollen Unternehmen ihre „licence to operate“ (Zerfaß, 2014, S. 29) sichern. Die ARV-Kommunikation stellt dabei jedoch eine Herausforderung dar: Wann hört die Verschwiegenheitspflicht des Überwachungsgremiums auf bzw. aus welchen Gründen und welchen Zielen könnte eine mediale Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden sinnvoll sein?
Gercke, Laschet & Schweinsberg (2013) argumentieren, dass aus juristischer Sicht kaum eine Situation denkbar wäre, in der eine Notwendigkeit zur medialen Äußerung von Aufsichtsratsvorsitzenden die rechtlichen Vorgaben zu Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitsverpflichtung übertreffen würde. Die von ihnen aufgezeigten Fälle von medialen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden stufen sie aus zivil- und strafrechtlicher Sicht als höchst bedenklich ein.
Trotzdem finden sich immer häufiger Interviews mit Aufsichtsratsvorsitzenden in den Medien, wie im Rahmen der empirischen Analyse der Medienberichterstattung gezeigt werden soll. Bislang wurde nicht untersucht, inwiefern Aufsichtsratsvorsitzende mit Medien kommunizieren und inwiefern die Berichterstattung innerhalb des Unternehmens genutzt wird (Will, 2007, S. 124).
Dialog mit Journalisten
PR-Praktiker plädieren dafür, dass eine aktivere Kommunikation auf die Agenda professioneller Überwacher gehöre (Bethkenhagen, 2010; Mündemann & Martin, 2013; Scherer, 2014). In der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit kommt den Medien eine zentrale Vermittlerrolle zu. Sie können als relevante Anspruchsgruppe eingestuft werden, jedoch handelt es sich bei einem Dialog stets um eine freiwillige Kommunikationsmaßnahme von Aufsichtsratsvorsitzenden.
Aus den Erkenntnissen zum Handlungsfeld der Public Relations wären aus Unternehmenssicht verschiedene Instrumente der Media Relations (Abschnitt 4.2.2) denkbar. Dazu gehören z. B. Pressemitteilungen zu Corporate-Governance-Themen, etwa einem Vorstandswechsel, in denen Aufsichtsratsvorsitzende mit Zitaten ihre Botschaften platzieren können. Auch Interviews mit Aufsichtsratsvorsitzenden zu Corporate-Governance-Themen, wie etwa der Diversität der Gremien, wären möglich. Weiterhin könnte es in Sondersituationen, wie einer Krise oder Übernahme, ebenfalls Entscheidungen des Aufsichtsratsgremiums geben, die erklärungsbedürftig für die Öffentlichkeit sein könnten. Hintergrundgespräche, Gastbeiträge oder Auftritte bei Veranstaltungsformaten sind daher ebenfalls denkbar (Flegelskamp, 2018, S. 482). Diese freiwilligen Formen der ARV-Kommunikation wurden bisher jedoch noch nicht untersucht. Daher werden im Rahmen der empirischen Analyse sowohl die medial wahrnehmbare ARV-Kommunikation als auch die internen Strukturen und freiwilligen Maßnahmen analysiert.
Schließlich stellt sich die Frage, inwiefern Aufsichtsratsvorsitzende bei diesem Dialog auf interne oder sogar externe Strukturen, wie Kommunikationsberatungen, zurückgreifen. In diesem Zusammenhang ist auch fraglich, für wen die Pressesprecher eines Unternehmens in diesen Situationen handeln – für den Vorstand oder den Aufsichtsrat – und ob dies nicht einen Interessenkonflikt darstelle (Dietlmaier, 2015, S. 183). Die Verantwortlichkeit der Kommunikationsfunktionen für die ARV-Kommunikation wird im weiteren Verlauf empirisch untersucht.
Themen für eine freiwillige ARV-Kommunikation
Die Themen für die freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Medien bestehen allen voran aus der Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsratsgremiums. Wenn es um die öffentliche Meinungsbildung, etwa zur Vorstandsvergütung oder Diversity des Aufsichtsrats geht, dann kann nur der Aufsichtsratsvorsitzende glaubhaft die Position des Gremiums darstellen und vertreten.
Aber auch andere Themen könnten aus normativer Perspektive zu einer neuen Norm der ARV-Kommunikation werden. Wenn der Vorstandschef des weltgrößten Vermögensverwalters BlackRock Larry Fink in seinem jährlichen Brief Anfang 2020 zum wiederholten Male das Thema Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt, zeigt sich, dass diese eine hohe Bedeutung für die zukünftige Arbeit der Aufsichtsräte hat. So endet sein Brief mit folgendem Absatz:
„Angesichts der wachsenden nachhaltigkeitsbezogenen Anlagerisiken sind wir zunehmend geneigt, Vorständen und Aufsichtsräten unsere Zustimmung zu verweigern, wenn ihre Unternehmen bei der Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen und den ihnen zugrunde liegenden Geschäftspraktiken und -plänen keine ausreichenden Fortschritte machen“ (Fink, 2020).
Auch auf den Hauptversammlungen 2019 nahmen ESG-Themen (Environmental, Social, Governance) bereits eine bedeutende Rolle ein (Braun & Ruhwedel, 2019, S. 141). Die verpflichtende Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung durch den Aufsichtsrat kann durch das Testat eines Abschlussprüfers verstärkt werden. Es stellt sich die Frage, wie das Thema im Aufsichtsrat verankert wird, wobei unterschiedliche Ausschüsse Berührungspunkte mit den Themen haben oder sogar ein expliziter Ausschuss für Nachhaltigkeitsfragen denkbar ist (Schmidt, 2019, S. 78 f.), denn das Themenspektrum ist sehr breit (Tabelle 5.2) und erfordert entsprechende Kompetenzen im Gremium.
Tabelle 5.2
ESG-Themen für den Aufsichtsrat (Quelle: Braun & Ruhwedel, 2019, S. 142)
Da der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan den Rahmen für das unternehmerische Handeln setzt, können darüber hinaus auch weitere Themen relevant sein. Zum Beispiel geht es aus Sicht der Unternehmensethik um die moralischen Fragen auf der Handlungsebene, wobei zwischen drei Typen von Verantwortung unterschieden wird (Homann, 2006, S. 2–4):
Handlungsverantwortung: Unternehmen sind für ihr Handeln und die daraus entstehenden Folgen verantwortlich. Davon ist vieles in Gesetze gegossen, die das Unternehmen einhalten muss (Compliance). In die Verantwortung von Unternehmen fallen aber auch u. a. Standortentscheidungen, Führungsstil, Unternehmenskultur.
Ordnungsverantwortung: Damit ist gemeint, dass ein Unternehmen auch die Pflicht hat, an der Verbesserung des sozialen und politischen Ordnungsrahmens mitzuwirken und dabei etwa auf neue Situationen hinzuweisen, die durch technische Neuerungen oder internationale Handelsbeziehungen entstehen.
Diskursverantwortung: Darüber hinaus sind Unternehmen aufgerufen, aktiv am öffentlichen Diskurs über soziale und politische Grundlagen der Weltgesellschaft mitzuwirken. Darin spiegelt sich die in wesentlich stärkerem Maße als früher politische Rolle von Unternehmen wider, die in der globalisierten Welt nicht zu leugnen ist.
Unternehmensethische Überlegungen und Gewinnziele sollten jedoch nicht in einen Zielkonflikt geraten, da Unternehmen nicht dauerhaft und systematisch gegen ihre wirtschaftlichen Interessen handeln können (Lütge & Uhl, 2017, S. 15). Die Thematisierung von Fragen der Ethik innerhalb der Aufsichtsratsgremien steht nach einer Studie von Döring (2018) im Zusammenhang mit dem Erfolg des Unternehmens. Darunter verstanden wird jedoch insbesondere eine gelebte Wertschätzungskultur, die sich als Ethik in festgelegten moralischen Grundsätzen und Leitplanken für das Verhalten gegenüber den Stakeholdern ausdrückt.
Da auch ESG-Themen an der Schnittstelle der Kompetenzen von Vorstand und Aufsichtsrat liegen, stellt sich die Frage, inwiefern Nachhaltigkeitsthemen zu einer Norm in der freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden werden.
Positionierung von Aufsichtsratsvorsitzenden?
Schließlich muss auch bedacht werden, dass Aufsichtsratsvorsitzende parallel oder in ihrer Vergangenheit weitere Positionen, wie Vorstandsvorsitze, eingenommen haben und es dadurch ggf. gewohnt sind, sich zu verschiedenen Themen medial zu äußern. Das bedeutet, dass gerade ehemalige CEOs in der Position eines Aufsichtsratsvorsitzenden eine spezifische Positionierung (Abschnitt 4.3.2) mitbringen. Zudem verfügen sie über ein Beziehungsnetzwerk zu verschiedenen Stakeholdern, darunter auch Journalisten, was eine autoritative Ressource darstellt. Bisher ist nicht wissenschaftlich untersucht worden, ob eine Positionierung von Aufsichtsratsvorsitzenden durch die Personen selbst oder die Unternehmen verfolgt wird.
Ansatzpunkte dafür finden sich bei den PR-Praktikern Mündemann & Martin (2013, S. 42), die vier Dimensionen eines sog. Markenkerns von Aufsichtsräten beschreiben, der für eine Positionierung genutzt werden könnte: Kompetenz, Professionalität, Unabhängigkeit und ethische Grundorientierung. Unter der spezifischen fachlichen Kompetenz wird dabei verstanden, die Produkte und Märkte des Unternehmens zu verstehen, die Einschätzung komplexer Situationen sowie Erfahrungswissen. Um dies unter Beweis zu stellen, könnten Aufsichtsräte sich
„über Branchen-, Markt- und allgemeine Management-Themen durchaus öffentlich profilieren, Redegelegenheiten nutzen, in Mediengesprächen [ihre] Sicht der Dinge darlegen“ (Mündemann & Martin, 2013, S. 43).
In dem Zusammenhang verweist Bethkenhagen (2010) darauf, dass „Kompetenz und nicht Reputation […] in Zukunft über die Besetzung entscheiden“ (Bethkenhagen, 2010, S. 64) werde. Ein aktiveres Kommunikationsverhalten könne dazu beitragen, diese Kompetenzen nachzuweisen. Die Zuschreibung von Professionalität vollziehe sich einerseits in der Zusammenarbeit mit dem Vorstand oder Abschlussprüfern sowie andererseits bei Auftritten in der Öffentlichkeit, die einen Raum bieten würden „einerseits bodenständig zu wirken, andererseits staatsmännisch zu erscheinen“ (Mündemann & Martin, 2013, S. 43). Weiterhin verstehen die Autoren Unabhängigkeit sowohl auf geistiger als auch auf wirtschaftlicher und ideeller Ebene. Schließlich beschreiben Mündemann & Martin (2013, S. 43) sowie Bethkenhagen (2010, S. 65) die ethische Grundorientierung der Person und des Unternehmens als relevantes Positionierungsthema für die freiwillige Kommunikation von Aufsichtsräten. Ob eine Positionierung von Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen des Kommunikationsmanagements geplant und umgesetzt wird, soll Teil der empirischen Analyse sein.
5.1.4 Zusammenfassung
Die Corporate-Governance-Forschung beschäftigt sich schon seit langem mit den Funktionen des Aufsichtsrats(vorsitzenden), dabei wurde jedoch die Bedeutung von Kommunikation für das Erfüllen seiner Aufgaben nur bedingt beleuchtet. Kommunikation ist nicht nur innerhalb des Gremiums und mit dem Vorstand, sondern auch darüber hinaus relevant für die Tätigkeit von Aufsichtsratsvorsitzenden. Während die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats vor allem schriftlich und vergangenheitsorientiert sind, kommt mit dem Investorendialog nach dem DGCK eine neue dialogische Kommunikationsmaßnahme hinzu.
In diesem Kapitel werden die vorangegangenen theoretischen Erkenntnisse zur ARV-Kommunikation von börsennotierten Unternehmen in Deutschland aus interner als auch externer Perspektive zusammengefasst. Zur Vereinfachung werden die Kapitalmarkt- und gesellschaftspolitische Öffentlichkeit nebeneinander dargestellt, um die Kommunikationswege mit der Unternehmensöffentlichkeit visualisieren zu können. Wie bereits in Abschnitt 4.1.4 dargestellt, ist die Kapitalmarktarena jedoch als Teil der gesellschaftspolitischen Arena zu verstehen.
Unternehmensöffentlichkeit
Zunächst soll die interne Perspektive des Unternehmens rekapituliert werden. Gesetzliche Bestimmungen definieren, wie der Aufsichtsrat seiner Überwachungs- und Kontrollaufgabe nachkommen kann. Aus Sicht der Strukturationstheorie stellen sie Normen der ARV-Kommunikation da, da sie Handlungsregeln zur Bereitstellung und dem Austausch von Informationen sind. Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb des Unternehmens wird damit zur zentralen Aufgabe seiner Tätigkeit. Abbildung 5.2 zeigt die bereits bekannten (Pfeile) sowie die neuen Kommunikationswege von Aufsichtsratsvorsitzenden (gestrichelte Pfeile), die im Folgenden zusammengefasst werden.
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In der Unternehmensöffentlichkeit kann zwischen dem Vorstand (primäre Unternehmensführung) und Aufsichtsrat (sekundäre Unternehmensführung) unterschieden werden. Innerhalb des Aufsichtsratsgremiums stellen das Aktienrecht und der DCGK wichtige Normen der Kommunikation dar. Aufsichtsratsvorsitzende und Aufsichtsratsmitglieder (ARM) tauschen sich sowohl in den regelmäßigen Sitzungen des Gesamtgremiums, in Aufsichtsratsausschüssen aber auch außerhalb der Sitzungen hinsichtlich ihrer Überwachungsaufgaben aus. Zudem sollte sich der Aufsichtsrat in einer Kommunikationsordnung eigene Regeln für die Kommunikation des Gremiums festlegen – eine Empfehlung anhand der theoretischen und empirischen Erkenntnisse wird dazu in Abschnitt 8.2.4 gegeben. In einigen Unternehmen unterstützen zudem Aufsichtsratsbüros die Arbeit des Gremiums.
Von besonderer Bedeutung ist die Informationsversorgung des Aufsichtsrats durch den Vorstand, die durch gesetzliche Normen klar geregelt ist. Der Aufsichtsrat nimmt seine Überwachungsaufgabe auf Basis dieser Berichterstattung wahr, er kann aber auch aktiv nach weiteren Informationen fragen.
Aufsichtsratsvorsitzende haben eine wichtige Scharnierfunktion für die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Sie empfangen die Informationen durch den Vorstand und verteilen diese im Gremium. Darüber hinaus nehmen sie eine beratende Rolle in Bezug die Strategie, Geschäftsentwicklung etc. gegenüber den Vorstandsvorsitzenden ein. CEOs sind damit die wichtigsten internen Stakeholder der ARV-Kommunikation. Ein direkter Kontakt von anderen Aufsichtsratsmitgliedern mit dem Vorstand ist prinzipiell möglich und in Bezug auf Ausschussvorsitzende in der Praxis am wahrscheinlichsten.
Der Vorstand in seiner Funktion als strategische und operative Unternehmensführung steht im Austausch mit allen Akteuren im Unternehmen, hier konkret den Führungskräften sowie dem Kommunikationsmanagement. Die Kommunikation mit Führungskräften und Mitarbeitenden ist zudem ein Teil des Handlungsfelds der internen Kommunikation. Diese kommunikativen Beziehungen sind bereits Teil der kommunikationswissenschaftlichen Forschung (Abschnitt 4.2.1 und 4.3.2) und werden daher an dieser Stelle nicht detailliert betrachtet.
Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb des Unternehmens befindet sich aufgrund der Professionalisierung der Tätigkeit ebenfalls im Wandel. Dabei stellt sich einerseits die Frage, ob es auch zu einem persönlichen Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und den Führungskräften des Unternehmens kommt (rot gestrichelter Pfeil). Aufgrund der Personalhoheit könnten Aufsichtsratsvorsitzende im Rahmen der Nachfolgeplanung die Führungskräfte kennenlernen wollen.
Andererseits ist ein zentrales Ziel dieser Arbeit, die ARV-Kommunikation innerhalb des Kommunikationsmanagements zu verorten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie der Austausch zwischen dem Aufsichtsrat und der Kommunikationsfunktion vonstattengeht. So werden etwa die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats durch die Unternehmen veröffentlicht. Es ist davon auszugehen, dass in der Vorbereitung der Publizitätspflichten eine Abstimmung mit dem Aufsichtsrat, unter Einbezug des Vorstands, stattfindet. Wie dies konkret abläuft bzw. ob wie die Verantwortlichkeit für das Kommunikationsmanagement geregelt ist, soll im Rahmen der empirischen Analyse untersucht werden.
Darüber hinaus gibt es durch den Investorendialog nach dem DCGK sowie freiwilligen Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden aber auch weitere Anlässe für den Austausch. In diesem Zusammenhang soll analysiert werden, inwiefern die Kommunikationsmanager aus der Investor-Relations- und Public-Relations-Abteilung eine beratende Funktion einnehmen. Dies wäre z. B. relevant, wenn Gesprächsanfragen von Investoren oder Journalisten an den Aufsichtsratsvorsitzenden gerichtet werden. Zudem soll untersucht werden, ob Informationen zum kommunikativen Umfeld des Unternehmens als Reporting an den Aufsichtsrat weitergegeben werden. Sowohl dieser Zugang zu Informationen als auch die personelle Unterstützung würden allokative bzw. autoritative Ressourcen der ARV-Kommunikation darstellen (rot gestrichelter Pfeil).
Kapitalmarktöffentlichkeit
Als Nächstes soll die Kommunikation mit der Kapitalmarktöffentlichkeit rekapituliert werden. Die nachfolgende Abbildung 5.3 ergänzt die Abbildung 5.2 schematisch mit den relevanten Kommunikationswegen.
In der Kapitalmarktöffentlichkeit sind institutionelle und private Investoren das Publikum, während Analysten, Stimmrechtsberater und Wirtschaftsmedien eine Vermittlerrolle innehaben. Einzelne institutionelle Investoren und Aktionärsschützer können, ebenso wie Unternehmen, als Sprecher agieren (Abschnitt 4.1.2). Die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats werden bereits seit langem durch das Unternehmen, konkret meist durch die IR-Abteilung, verantwortet. Ebenso liegen der Dialog und die Beziehungspflege mit den Kapitalmarktakteuren bei der IR-Abteilung, indem z. B. Anfragen zu Corporate-Governance-Themen beantwortet werden (Pfeil). Der Vorstand, insbesondere Vorstandsvorsitzende und Finanzvorstand, stehen ebenfalls im Austausch mit den Kapitalmarktakteuren (Hoffmann et al., 2020), diese Kommunikationswege sind jedoch nicht Teil dieser Arbeit und werden daher zur Vereinfachung nicht dargestellt.
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Der Aufsichtsrat nimmt als gewählter Vertreter die Überwachungs- und Kontrollaufgaben der Anteilseigner wahr. Die Information der Investoren über die Arbeit des Aufsichtsrats ist im Rahmen der Publizitätspflichten durch das Aktiengesetz klar geregelt. Die Verbreitung dieser schriftlichen Kommunikation erfolgt durch das Unternehmen, konkret meist über die Investor-Relations-Abteilung (Pfeil). Darüber hinaus stellt der Aufsichtsratsvorsitzende auf der Hauptversammlung den Aufsichtsratsbericht vor und stellt sich den Fragen der Investoren.
Nieber (2017) beschreibt in ihrer Masterarbeit die Aufsichtsratskommunikation mit dem Kapitalmarkt wie folgt:
„Unter Aufsichtsratskommunikation mit dem Kapitalmarkt werden alle gesteuerten Kommunikationsprozesse des Aufsichtsrates verstanden, mit denen ein Beitrag zur Aufgabendefinition und -erfüllung in gewinnorientierten Wirtschaftseinheiten geleistet wird und die insbesondere zur Handlungskoordination sowie Interessenklärung zwischen dem Unternehmen und der Financial Community beitragen. Sie umfasst die Kommunikation zu allen Themen, die sich aus den mit der Überwachungsaufgabe verknüpften und weiteren Kompetenzen des Aufsichtsrates ergeben sowie zum Aufsichtsratsgremium selbst. Die Kommunikation des Aufsichtsrates mit dem Kapitalmarkt schließt sowohl die Erfüllung von Publizitätspflichten als auch die Verwendung weiterer, freiwilliger Instrumente zur Herstellung von Transparenz über die Überwachung des Vorstandes und über den Aufsichtsrat ein. Dafür bedient sich der Aufsichtsrat persönlicher und unpersönlicher Kommunikationsinstrumente. Die Aufsichtsratskommunikation mit dem Kapitalmarkt ist mit der Kapitalmarktkommunikation des Vorstandes eng abzustimmen und inhaltlich abzugrenzen. Dabei kann der Aufsichtsrat durch unternehmensinterne und -externe Akteure unterstützt werden. Aufsichtsratskommunikation mit dem Kapitalmarkt ist dann strategische Kommunikation, wenn auf diese Weise übergeordnete Organisationsziele unterstützt werden. Aufsichtsratskommunikation ist immer unternehmens- und personengetrieben und ihr Einsatz daher stets individuell abzuwägen“ (Nieber, 2017, S. 78).
Die Autorin verortet die Aufsichtsratskommunikation mit dem Kapitalmarkt dabei in der Forschungstradition zur Unternehmenskommunikation. Dabei werden viele Elemente genannt, die auch in diesem Kapitel erläutert wurden, u. a. die Publizitätspflichten sowie freiwillige Kommunikationsaktivitäten, die von unternehmensinternen Akteuren wie der IR-Abteilung unterstützt werden.
Dabei wurde jedoch noch nicht der Investorendialog im Deutschen Corporate Governance Kodex berücksichtigt. Die Aufnahme des Investorendialogs als Anregung in den DCGK sowie die Veröffentlichungen der beiden Leitlinien der Initiative Developing Shareholder Communication (2016) und der Financial Experts Association (2016) sind ein weiterer Schritt zu einer aktiv handelnden Rolle des Aufsichtsrats. Investoren können sich nun auf diese Anregung beziehen, sodass erwartet werde, dass die Anfragen von institutionellen Investoren zunehmen, denn deren sog. Governance-Abteilungen seien heute wichtige Player bei der Beurteilung von Investments (Mattheus, 2018, S. 4). Mit der Anregung zum Investorendialog im DCGK kommt nun ein neuer Kommunikationsweg (gestrichelter Pfeil) zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und institutionellen Investoren hinzu. Aufsichtsratsvorsitzende werden damit zu einem relevanten Kommunikator für Unternehmen. Bisher gibt es jedoch nur vereinzelt Erkenntnisse zur konkreten Umsetzung des Investorendialogs. (Tietz, Hammann & Hoffmann, 2019). Im Rahmen dieser Arbeit soll empirisch erhoben werden, wie dieser Dialog konkret umgesetzt wird und ob er im Rahmen des Kommunikationsmanagements verortet werden kann.
Aber auch die weiteren Akteure der Kapitalmarktöffentlichkeit können als relevante Stakeholder für die ARV-Kommunikation gesehen werden, sodass mit ihnen ein freiwilliger Dialog geführt wird (gestrichelter Pfeil). Insbesondere den Stimmrechtsberatern könnte dabei eine steigende Relevanz zukommen, da sie durch ihre Stimmrechtsempfehlungen das Handeln anderer Kapitalmarktakteure, aber auch der Unternehmen selbst beeinflussen können. Daher sollen in dieser Arbeit aus externer Perspektive die Erwartungen der Stakeholder an die ARV-Kommunikation untersucht werden.
Gesellschaftspolitische Öffentlichkeit
Schließlich sollen die Ausführungen zur gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit rekapituliert werden. Dabei ergänzt Abbildung 5.4 schematisch die Erkenntnisse, die bereits in Abbildung 5.2 und Abbildung 5.3, dargestellt wurden.
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In der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit stellt das Publikum eine heterogene und grundsätzlich offene Gruppe dar. Den Medien kommt dabei eine besondere Vermittlerrolle zu. Einzelne prominente Akteure agieren, ebenso wie Unternehmen, als Sprecher (Abschnitt 4.1.1). Bislang lag der Austausch mit den Medien, insbesondere in Bezug auf die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats sowie eine Kommunikation bei Corporate-Governance-Anfragen, bei der Public-Relations-Funktion (Pfeil).
Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit stellen eine rein freiwillige Kommunikation dar. Aber wer heute das Aufsichtsratsmandat und den Aufsichtsratsvorsitz eines börsennotierten Unternehmens antritt oder innehat, wird von den Medien intensiver beobachtet als früher. So sind Überwachungs- und Risikothemen, als Normen der ARV-Kommunikation, auf die Agenda der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit gekommen, wobei die Rolle des Aufsichtsrats intensiver betrachtet wird. Weiterhin bilden sich öffentliche Meinungen zu Corporate-Governance-Themen, wie Vorstandsvergütung oder Diversität in Unternehmensgremien, die auch relevant für die Legitimität des Unternehmens in der Gesellschaft sind. Darüber hinaus könnte die ausgeweitete Überwachungsaufgabe hinsichtlich der Nachhaltigkeitsaktivitäten von Unternehmen zu einer weiteren Norm der ARV-Kommunikation werden.
Eine Kommunikation mit Medien als Vermittler zum Publikum, also den Bürgern der Gesellschaft, bietet nicht nur Risiken, sondern auch Chancen – die bisher jedoch noch nicht untersucht wurden. Aufsichtsratsvorsitzende können bei dieser freiwilligen Kommunikation sowohl als Unternehmenssprecher als auch individuelle Akteure agieren und dabei unternehmensbezogene oder auch persönliche Themen nutzen.
Im Rahmen einer Analyse von Medienberichten soll daher u. a. analysiert werden, in welchem Verhältnis die Pflichtpublizität und freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in der Berichterstattung wiederfindet. Weiterhin soll im Rahmen der empirischen Analyse gezeigt werden, inwiefern die freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zu Corporate-Governance-Themen mit Medien im Rahmen des Kommunikationsmanagements verortet werden kann (gestrichelter Pfeil).
5.2 Ziele für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
In der Kommunikationsmanagement-Forschung ist Unternehmenskommunikation ein integraler Bestandteil der Wertschöpfungskette und leistet damit einen Beitrag zur Unternehmensstrategie. Im Folgenden soll diskutiert werden, inwiefern dieses Verständnis auch auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden übertragen werden kann.
Als Ausgangspunkt dafür wird zunächst das Verhältnis von Corporate Governance und Unternehmensstrategie herausgearbeitet. Ulrich (2014) zeigt in einer systematischen Literaturanalyse, dass der Zusammenhang von Corporate Governance und Strategie bzw. strategischem Management bislang vernachlässigt wurde. Die 20 identifizierten Studien beziehen sich ausschließlich auf das monistische System der Unternehmensführung mit dem Board of Directors im Mittelpunkt der Betrachtung. Vorhandene Monografien beziehen sich ebenfalls auf das monistische System (Brühl, 2009; Müller-Stewens & Brauer, 2009). Auch die Autoren der Stewardship-Theorie gehen zwar von positiven ökonomischen Effekten bei einer aktiven Rolle der überwachenden Akteure im Board bei der Strategieentwicklung und -implementierung aus, beziehen sich dabei jedoch auf das monistische System (Abschnitt 3.1). Daher ist eine Übertragung der Wechselwirkungen auf das dualistische System mit dem Aufsichtsrat nicht ohne weiteres möglich.
Im dualistischen System obliegt dem Vorstand die strategische und operative Unternehmensführung, während der Aufsichtsrat die überwachende Funktion einnimmt. Wie in Abschnitt 3.2 beschrieben, befinden sich Aufgaben und Funktion des Aufsichtsrats jedoch im Wandel: Die Distanz zum Vorstand in Bezug auf strategische Entscheidungen hat sich reduziert. Von Seiten des Aktiengesetzes gibt es, seit Einführung des Transparenz- und Publizitätsgesetzes im Jahr 2002, etwa die Pflicht eine Liste an zustimmungspflichtigen Geschäften festzulegen (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG), womit der Einfluss des Aufsichtsrats bei grundlegenden Entscheidungen gestärkt wurde. Zudem soll die Vorstandsvergütung „zur Förderung der Geschäftsstrategie und zur langfristigen Entwicklung der Gesellschaft beizutragen“ (DCGK 2019, Grundsatz 23), wobei der Aufsichtsrat festlegen muss, was darunter verstanden wird. Der DCGK hebt insbesondere die Rolle von Aufsichtsratsvorsitzenden hervor, der den Vorstandsvorsitzenden bei Fragen der Strategie, Geschäftsentwicklung, Risikolage, Risikomanagement und der Compliance beraten soll (Empfehlung D.6). Grundei & Graumann (2012) argumentieren, dass bezüglich der Rolle des Aufsichtsrats
„in Rechtsprechung und Literatur inzwischen von ‚Beratung‘, ‚in die Zukunft gerichtete[r] Kontrolle‘, ‚beratender Kontrolle‘, ‚vorbeugender Kontrolle‘, vom ‚Partner des Vorstands bei unternehmerischen Grundentscheidungen‘ oder mitunter sogar von einem ‚Mit-Unternehmer‘ gesprochen [werde]“ (S. 283).
Wie in Abschnitt 5.1.1 gezeigt wurde, basiert diese beratende Rolle jedoch stets auf den Informationen, die vom Vorstand bereitgestellt werden. Es kann also kritisch hinterfragt werden, ob eine umfassende und unabhängige Informationsversorgung und Meinungsbildung zu strategischen Entscheidungen überhaupt möglich sind. Um dies sicherstellen zu können, würde der Aufsichtsrat eigene Ressourcen benötigen, um etwa Experten für die Beurteilung heranziehen zu können.
Während die juristische Literatur den Beratungsbegriff als Teil der bisherigen Überwachungspflicht sieht, beinhaltet Beratung aus betriebswirtschaftlicher Perspektive hingegen ausschließlich die Erörterung von Einschätzungen oder Empfehlungen durch Experten und erfolgt nur auf Wunsch des Vorstands. Die Intensivierung der Aufsichtsratsarbeit in Bezug auf eine Beratung hinsichtlich der Unternehmensstrategie wäre demnach vor allem als ein sog. „Sounding Board“ (Grundei & Graumann, 2012, S. 285) zu verstehen. Dabei hinterfragen Aufsichtsratsvorsitzende kritisch die strategischen Initiativen, es muss jedoch nicht notwendigerweise ein Konsens zwischen Vorstand und Aufsichtsrat hergestellt werden. Eine zu starke, konsensorientierte Nähe zwischen den beiden Gremien könnte vielmehr zu einer unerwünschten übermäßigen Kohäsion und mangelnder Kritik führen (Sundaramurthy & Lewis, 2003). Für den Fall, dass der Aufsichtsrat die Strategie des Vorstands nicht unterstützt, bleibt dann die Möglichkeit im Rahmen seiner Personalhoheit Änderungen im Vorstand vorzunehmen. Eine extensive Pflicht zur Beratung bzw. Mitentscheidung zur Strategie würde in diesem Verständnis die definierten Grenzen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat aufweichen und zu einer Annäherung an das monistische System führen.
Zusammenfassend kann demnach festgehalten werden, dass Corporate Governance im dualistischen System der Unternehmensführung, im speziellen die Funktion des Aufsichtsrats, die Rahmenbedingungen für das strategische Handeln des Unternehmens schafft. Das Aufsichtsratsgremium und Aufsichtsratsvorsitzende agieren zwar als Sounding Board für den Vorstand und dabei auch hinsichtlich der Unternehmensstrategie, sind jedoch nicht für die Umsetzung verantwortlich. Dementsprechend untersteht der Aufsichtsrat nicht der Strategie, vielmehr muss das Gremium stetig prüfen, ob die Strategie nachhaltig sinnvoll und erfolgreich für das Unternehmen ist.
In der bisherigen Forschung zu Kommunikationsmanagement und strategischer Kommunikation wird davon ausgegangen, dass der Erfolgsbeitrag von Kommunikation darin liegt, die strategischen Ziele des Unternehmens zu unterstützen (Abschnitt 4.2). Auch die daraus abgeleiteten Ziele für die Kommunikationsabteilungen orientieren sich daran. Dieses Verständnis kann jedoch nicht auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden übertragen werden. Der Aufsichtsrat setzt zwar den Rahmen für die Unternehmensstrategie, untersteht ihr aber nicht. Ziele für die Aufsichtsratskommunikation müssen und können somit nicht mit der Unternehmensstrategie verknüpft werden, um die neutrale Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats gewährleisten zu können. Dieses Spannungsfeld mit seinen Dynamiken zwischen dem Vorstand, als strategisches und operatives Führungsgremium, und dem Aufsichtsrat, als überwachendes Gremium, wurden in der bisherigen Forschung noch nicht berücksichtigt.
Ziele der ARV-Kommunikation
Daher stellt sich die Frage, welche Ziele die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden verfolgen kann. Die theoretischen Ausführungen zu Corporate Governance (Abschnitt 3.1) und der Funktion des Gremiums (Abschnitt 3.2) bieten Ansatzpunkte dafür.
Die Aktionäre wählen den Aufsichtsrat, wobei dieser nach der Principal-Agent-Theorie als Agent der Anteilseigner agiert. Nach der Strukturationstheorie können die Handlungen von Aufsichtsrat und Investoren als gegenseitig bedingt konzeptualisiert werden. So gibt es Regeln und Ressourcen, auf die sich der Aufsichtsrat bei seinen Handlungen bezieht und diese ggf. modifiziert. Die gesetzlichen Publizitätspflichten stellen als Normen etwa den Rahmen für die Kommunikation des Gremiums dar.
Aus den in Abschnitt 3.2 dargestellten Funktionen des Aufsichtsrats lassen sich daher Ziele für die Kommunikation ableiten. Die Anteilseigner delegieren ihre Entscheidungsbefugnisse bezüglich der Kontroll- und Beratungsfunktion des Vorstands an den Aufsichtsrat, wobei ihr größtes Risiko in ungleich verteilten Informationen liegt. Das oberste Ziel der Kommunikation des Aufsichtsrats sollte daher in der Herstellung von Transparenz hinsichtlich der übereigneten Aufgaben liegen. Unabhängig davon, wie detailliert diese Kommunikation vonstattengeht, handelt es sich hier um ein inhaltliches Ziel, da die Tätigkeiten der Aufsichtsratsarbeit erläutert werden.
Zudem erfüllt der Aufsichtsrat eine Interessenausgleichfunktion, da die Aufsichtsratsmitglieder sowohl die Anteilseigner als auch die Mitarbeitenden vertreten. Insgesamt soll der Aufsichtsrat als unabhängiges Gremium die verschiedenen Interessen der unterschiedlichen Stakeholder des Unternehmens kennen und diese im übergeordneten Unternehmensinteresse zusammenbringen und vertreten. Vor diesem Hintergrund kann als zweites Ziel der Kommunikation des Aufsichtsrats die Etablierung und Pflege von Beziehungen mit den internen und externen Anspruchsgruppen festgehalten werden (Tabelle 5.3).
Tabelle 5.3
Ziele der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Innerhalb des Unternehmens nimmt die ARV-Kommunikation eine koordinative Funktion ein. So koordinieren Aufsichtsratsvorsitzende die Arbeit des Aufsichtsratsgremiums, gleichzeitig nehmen sie eine Scharnierfunktion gegenüber dem Vorstand ein. Weiterhin können Aufsichtsratsvorsitzende durch einen Dialog dazu beitragen, dass systematisch belastbare Netzwerke mit relevanten externen Stakeholdern aufgebaut und gepflegt werden. Indem in Gesprächen die Erwartungen und Stimmungen im Aktionariat gehört werden (Listening), können diese z. B. in der Entscheidungsfindung des Gremiums berücksichtigt werden. Wenn der Aufsichtsrat eigenständig und unabhängig, also nicht gefiltert durch den Vorstand, die Meinungsbildung in verschiedenen Öffentlichkeiten nachvollziehen kann, könnte dies seine Fähigkeit zur Überwachung unterstützen. In diesem Fall kann die Kommunikation als Teil der interpretativen Regeln der Strukturen angesehen werden.
Überschneidung zwischen Zielen von ARV-Kommunikation und Unternehmenskommunikation
Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ist ein Teil der Kommunikation von börsennotierten Unternehmen. Die Kommunikationsfunktionen verfolgen bestimmte Kommunikationsziele, die sich wie in Abschnitt 4.2 beschrieben an der Unternehmensstrategie orientieren. Dieses Handeln kann daher einen Einfluss auf die Strukturen im Unternehmen haben und damit die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beeinflussen. Daher soll zunächst analytisch betrachtet werden, inwiefern es Überschneidungen zwischen den Zielen der ARV-Kommunikation und der Unternehmenskommunikation gibt. Auf dieser Basis kann dann im empirischen Teil untersucht werden, ob diese Ziele das Handeln der internen Akteure beeinflussen.
Dafür soll der Communication Value Circle herangezogen werden, in dem Zerfaß & Viertmann (2017, S. 73) zwölf Kommunikationsziele im Rahmen des Kommunikationsmanagements vorschlagen, die auf vier Unternehmensziele einzahlen, und mit bekannten Key-Performance-Indikatoren gemessen werden können. Die vier Unternehmensziele sind (1) die Unterstützung der Leistungserstellung, (2) der Aufbau von immateriellem Kapitel, (3) die Sicherung von Handlungsspielräumen und (4) die Weiterentwicklung der Strategie (Zerfaß, 2014, S. 29–31; Zerfaß & Viertmann, 2017, S. 75 f.):
Beim Unternehmensziel der Unterstützung der Leistungserstellung hat Kommunikation eine ermöglichende Funktion in Bezug auf die laufende Leistungserstellung durch Mitarbeiter-Commitment, die Bekanntheit und Kundenpräferenz. Da es sich um das operative Geschäft des Unternehmens handelt, gibt es keine Anknüpfungspunkte zur ARV-Kommunikation.
Beim Unternehmensziel des Aufbaus vom immateriellen Kapital können mithilfe von Kommunikation drei Kommunikationsziele unterstützt werden: den Aufbau und Erhalt von immateriellen Werten, wie Marken und positive Reputation sowie eine kooperative und innovative Unternehmenskultur. Hierbei kann es Überschneidungen zur ARV-Kommunikation geben, wenn Aufsichtsratsvorsitzende die Botschaften von Vorstand und Unternehmen verstärken, sodass dieses als gut geführt wahrgenommen wird und sich die Kommunikation damit positiv auf die Reputation auswirkt.
Beim Unternehmensziel der Sicherung von Handlungsspielräumen mit seinen Kommunikationszielen Beziehungen, Vertrauen und Legitimität bieten sich die meisten Überschneidungen zur ARV-Kommunikation. Durch eine transparente Kommunikation hinsichtlich der Überwachungs- und Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats können Informationsasymmetrien abgebaut werden. Auf dieser Basis kann Vertrauen und Legitimität hinsichtlich der Unternehmenshandlungen, mit Fokus auf die Corporate Governance, erreicht werden. Durch einen Dialog mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden kann auch ein Beitrag zur Bindung von Investoren geleistet werden. Schließlich ist es auch ein zentrales Ziel der ARV-Kommunikation, die Beziehungen zu internen und externen Anspruchsgruppen zu pflegen.
Schließlich geht es beim Unternehmensziel der Weiterentwicklung der Strategie um die Kommunikationsziele Themenführerschaft, Innovationspotenzial und Krisen-Resilienz. Da der Aufsichtsrat eine beratende Rolle bei der Weiterentwicklung der Strategie einnimmt, wäre hier denkbar, dass eine Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zu Corporate-Governance- oder auch Nachhaltigkeitsthemen zu einer vorteilhaften Positionierung bzw. Themenführerschaft im Markt führen könnte.
In der empirischen Analyse soll aus interner Perspektive gezeigt werden, ob die ARV-Kommunikation auf diese Ziele der Unternehmenskommunikation einzahlt und daher Überschneidungen sichtbar werden.
5.3 Definition der Kommunikation von Aufsichtsrat und Aufsichtsratsvorsitzenden
In den vorangegangen Theoriekapiteln wurden die verschiedenen Aspekte der Aufsichtsratstätigkeit sowie die Grundlagen für die Kommunikation eingeführt. Daraus folgend wird Aufsichtsratskommunikation im Rahmen dieser Arbeit wie folgt verstanden:
Unter Aufsichtsratskommunikation (bei börsennotierten Gesellschaften) werden alle gesteuerten Kommunikationsprozesse von Aufsichtsratsmitgliedern verstanden, die sich innerhalb des Aufsichtsratsgremiums sowie mit den internen und externen Anspruchsgruppen abspielen. Zentrale Ziele sind (1) Transparenz hinsichtlich der Überwachungs- und Kontrollaufgaben des Aufsichtsrats herzustellen sowie (2) die Beziehungen innerhalb des Aufsichtsratsgremiums sowie zwischen Aufsichtsrat und den Anspruchsgruppen zu etablieren und zu pflegen. Die Aufsichtsratskommunikation beinhaltet die Erfüllung von Publizitätspflichten wie auch die freiwillige Kommunikation darüber hinaus. Dem Aufsichtsratsvorsitzenden als gewählten Sprecher des Aufsichtsratsgremiums kommen dabei besondere Pflichten und Aufgaben zu.
Wie bereits in Abschnitt 3.3 beschrieben und in der Definition zur Aufsichtsratskommunikation aufgegriffen, kommt Aufsichtsratsvorsitzenden eine besondere Rolle bei der Koordination des Aufsichtsratsgremiums sowie als dessen Repräsentanz nach außen zu. Da diese Arbeit einen Fokus auf die Kommunikation von Vorsitzenden legt, folgt daher eine Definition der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in Anlehnung an Zerfaß and Sandhu (2006, S. 52):
Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden (ARV-Kommunikation) umfasst alle gesteuerten Kommunikationsaktivitäten des obersten Repräsentanten des Aufsichtsratsgremiums mit den internen und externen Anspruchsgruppen.
Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden kann im Rahmen eines Kommunikationsmanagements gesteuert werden. Die zentrale Voraussetzung dafür ist eine Verantwortlichkeit innerhalb der Kommunikationsfunktionen im Unternehmen (Abschnitt 8.2.1), wie anhand der empirischen Ergebnisse gezeigt werden wird. Daher folgt eine Definition in Anlehnung an Zerfaß & Volk (2020):
Beim Kommunikationsmanagement für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden werden die kommunikativen Prozesse der Publizitätspflichten des Aufsichtsratsgremiums sowie einer freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden entlang der Phasen Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und Evaluation gesteuert, um zu den Zielen der Aufsichtsratskommunikation beizutragen. Zentrale Voraussetzung dafür ist eine klare Verantwortlichkeit durch die Kommunikationsfunktionen im Unternehmen.
5.4 Analyserahmen für die Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Obwohl sich die Corporate-Governance-Forschung schon seit langem mit dem Aufsichtsrat und seinen Strukturen beschäftigt (Kapitel 3), ist die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden dabei bislang nicht beachtet worden. Aus interner Perspektive soll die ARV-Kommunikation daher sowohl in Bezug auf ihre Strukturen als auch ihrer Verortung im Kommunikationsmanagement untersucht werden.
Für die Analyse der Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden werden die Erkenntnisse aus den vorherigen Theoriekapiteln aus strukturationstheoretischer Perspektive nachfolgend zusammengefasst. Das in Abschnitt 2.1 dargestellte Modell der Dimensionen der Dualität von Struktur wird dabei als Analyserahmen für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden adaptiert. Das Handeln in Interaktionsprozessen umfasst die drei Dimensionen Signifikation, Herrschaft und Legitimation. Durch diese analytische Unterscheidung entsteht ein Schema, das sich auf die drei Analyseebenen (Struktur, Modalitäten, Handlung) auswirkt. Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen nun die Strukturierungsmodalitäten, die die Struktur- und Handlungsebene miteinander verbinden, indem sich Akteure individuell und situationsspezifisch darauf beziehen (Zühlsdorf, 2002, S. 218).
Im Folgenden werden die theoretischen Erkenntnisse anhand der Strukturierungsmodalitäten rekapituliert. In Abbildung 5.5 werden die Ausführungen in einem Analyserahmen der Dualität der Struktur bezogen auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zusammengefasst.
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Interpretationsmuster
Basierend auf Interpretationsmustern kann Handeln von Akteuren rationalisiert werden sowie eine spezifische Ordnung von Sinn und Bedeutung beschrieben werden (Röttger, 2010, S. 137). Dabei können die Einschätzung der Relevanz von Kommunikation sowie ein geteiltes Verständnis für das Auftreten von Aufsichtsratsvorsitzenden als Interpretationsmuster angesehen werden.
Die nach innen und außen gerichteten Aufgaben des Aufsichtsrats (Abschnitt 3.2) bringen auch kommunikative Aufgaben mit sich. Daher scheint es relevant, inwiefern die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation das Handeln von Aufsichtsratsvorsitzenden rationalisiert.
Bei der strategischen Planung der ARV-Kommunikation erscheint es zudem relevant, inwiefern ein geteiltes Verständnis von einem (angemessenen) Auftritt von Aufsichtsratsvorsitzenden vorherrscht. Dieses Verständnis sollte als Teil der Planungsphase zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden, Vorstandsvorsitzenden und den Kommunikationsfunktionen etabliert werden. Schließlich könnte ein solches Verständnis das Handeln der Akteure rationalisieren.
Auch in der Interaktion mit externen Stakeholdern werden Interpretationsmuster relevant und dienen der Verständigung und Rationalisierung von Handlungen. Wie in Abschnitt 5.2. dargestellt, konnte für die Aufsichtsratskommunikation ein Inhalts- und Beziehungsziel analytisch hergeleitet werden. Auf der inhaltlichen Ebene soll Transparenz hinsichtlich der Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats hergestellt werden. Zudem sollen durch die Kommunikation Beziehungen mit den internen und externen Anspruchsgruppen etabliert und gepflegt werden. Diese Unterscheidung soll für eine detaillierte Analyse weiter nach den Anspruchsgruppen der beiden externen Öffentlichkeitsarenen (Abschnitt 4.1.1 und 4.1.2) differenziert werden.
Für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden bildet die Transparenz hinsichtlich der Aufsichtsratstätigkeit die Grundlage für die gemeinsame Interpretation des Handelns für alle Stakeholder. Hinsichtlich der Kommunikation mit Investoren stellt zudem die Beziehungspflege ein sinnstiftendes Interpretationsmuster dar, da der Aufsichtsrat der gewählte Vertreter der Anteilseigner ist. In diesem Zusammenhang kann auch das Listening eine wichtige Bedeutung haben, da dadurch die Investoreninteressen in der Entscheidungsfindung des Gremiums berücksichtigt werden können (Abschnitt 5.2). Die Kommunikation mit Stimmrechtsberatern und Analysten als weiteren Stakeholdern der Kapitalmarktöffentlichkeit dient vor allem der Transparenz, aber auch der Beziehungspflege (Abschnitt 5.2) sowie einem Engagement (Abschnitt 4.1.2).
In Bezug auf Medien in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit kann davon ausgegangen werden, dass Unternehmen und die Unternehmensführung öffentlich kommunizieren, um Einfluss auf gesellschaftliche Interpretations- und Deutungsfragen zu gewinnen (Zühlsdorf, 2002, S. 226). Inwiefern dies auch mithilfe der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden geschieht, soll untersucht werden. Darüber hinaus kann auch für diese Anspruchsgruppe eine transparente Kommunikation hinsichtlich der Aufsichtsratstätigkeit sowie Beziehungspflege (Abschnitt 5.2) die Kommunikation rationalisieren.
Normen
In der Strukturdimension Legitimation greifen die Akteure auf die Regeln der Sanktionierung durch Normen zurück. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Normen als Strukturmodalität für die Kommunikation sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens bedeutend sind.
Gesetze ebenso wie formal festgehaltene Regeln in Organisationen bezeichnet Giddens als „kodifizierte Interpretationsregeln“ (Giddens, 1997, S. 73). Die Aufgaben und die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats sind im Rahmen des Aktiengesetzes festgelegt (Abschnitt 3.2). Dies stellt eine in der Unternehmensrealität zentrale Einflussdeterminante dar, sodass Aktiengesetz und ARUG II wichtige Normen für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden darstellen.
Zudem beschreiben Normen, welche Handlungen sozial erwartet, erlaubt und erwünscht sind. Die Nichtbefolgung kann unterschiedlich stark sanktioniert werden. Im Kontext dieser Arbeit können darunter die Anregung zum Investorendialog im Deutschen Corporate Governance Kodex sowie die weiteren dargestellten Initiativen zum Investorendialog verstanden werden (Abschnitt 5.1.2).
Wie in Abschnitt 4.2.2 erläutert, stehen Unternehmen zudem unter einem wachsenden Legitimationsdruck, wenn die Interessen von Unternehmen und Öffentlichkeit kollidieren. In diesem Zusammenhang werden einzelne wirtschaftliche Maßnahmen des Unternehmens, z. B. Übernahmen, thematisiert und hinsichtlich ihrer Rechtfertigung und Zulässigkeit überprüft (Zühlsdorf, 2002, S. 220). Da dem Aufsichtsrat als Kontrollgremium dabei ebenfalls eine zentrale Rolle zukommt, soll im weiteren Verlauf überprüft werden, inwiefern Überwachungs-, Risiko und Nachhaltigkeitsthemen zu Normen für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden werden.
Ressourcen
Die Strukturbildung ist nicht nur regelgeleitet, sondern geht auch von einer Abhängigkeit von Ressourcen aus. Dabei wird zwischen allokativen und autoritativen Ressourcen der Machtausübung (Herrschaft) unterschieden. Allokative Ressourcen ermöglichen den Akteuren die Kontrolle materieller Aspekte in sozialen Situationen, während autoritative Ressourcen sich darauf beziehen, Macht über andere Akteure auszuüben. Auf dieser Grundlage werden Beziehungen zwischen Menschen in der Gesellschaft (um)gestaltet (Giddens, 1997, S. 316). Ohne bestimmte Ressourcen gelingt es Akteuren auch nicht, Beziehungen zu etablieren und zu pflegen oder Einfluss auf öffentliche Meinungsbildung zu nehmen. In Anlehnung an Schneidewind (1998, S. 236) klassifiziert Zühlsdorf (2002, S. 251 ff.) Ressourcenarten aus der politikwissenschaftlichen Forschung. Diese Faktoren werden erweitert und für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden übersetzt.
Allokativen Ressourcen stellen der Zugang zu Informationen sowie finanzielle Ressourcen dar. Die Arbeit des Aufsichtsrats basiert auf dem Zugang zu Informationen aus dem Unternehmen, die der Vorstand zur Verfügung stellt. Neben der Berichterstattung kann der Aufsichtsrat aber auch aktiv Informationen anfordern oder Experten heranziehen, um die Überwachungs- und Kontrollfunktion besser wahrzunehmen (Abschnitt 5.1.1). Das Aufsichtsratsgremium verfügt jedoch nicht über ein eigenes Budget; eventuelle Ausgaben müssen vom Vorstand freigezeichnet werden (Abschnitt 3.2). Eine Studie von BCG (2018, S. 19) zeigt, dass Aufsichtsratsgremien vor allem administrative Sekretariatsunterstützung (46 %) oder fachliche Unterstützung durch einen Assistenten (23 %) erhalten, aber nur in seltenen Fällen ein Budget zur freien Verfügung, z. B. für Weiterbildungen (17 %) haben.
Dazu können verschiedene autoritative Ressourcen für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden abgeleitet werden. Zunächst verfügt der Aufsichtsrat aufgrund der formal-strukturellen Position über eine Entscheidungskompetenz im Rahmen seiner Überwachungs- und Kontrollaufgaben, z. B. über die Besetzung und Vergütung des Vorstands (Abschnitt 3.2). Hahne (1998, S. 204 f.) nennt dies auch Machtstrategie durch Steuerung der Erfolgszuschreibung, d. h., dass sich in Folge der Interaktionen der Akteure Verfahren zur Erfolgszuschreibung und -bewertung etablieren.
In diesem Zusammenhang kann die Beziehung zum Vorstand als autoritative Ressource angesehen werden, was Hahne (1998, S. 204) Macht durch Steuerung der Informationsroutinen nennt. Wie dargestellt sollte ein enger Informationsaustausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstandsvorsitzenden bestehen, die von beiden Akteuren entsprechend ihren Ressourcen gestaltet wird (Abschnitt 5.1.1).
Die personelle Unterstützung der ARV-Kommunikation stellt eine weitere autoritative Ressource dar. Bisherige Studien zeigen, dass in Bezug auf die Organisationsformen der personellen Unterstützung vor allem zwischen einem Aufsichtsratsbüro mit eigenen Mitarbeitenden und der Unterstützung durch ein Corporate Office, das jedoch hauptsächlich für den Vorstand arbeitet, unterschieden werden kann (Clausen, 2016). Eine Umfrage vom prmagazin befasst sich mit den Ressourcen in Bezug auf die Kommunikation bei DAX-Unternehmen: Bei einigen Unternehmen kann das Knowhow der Kommunikationsabteilung direkt abgerufen werden, während es bei anderen Unternehmen nur einen Kontakt über den Vorstand gibt. Nur in einem Fall verfügt der Aufsichtsratsvorsitzende über eine eigenständige, interne Kommunikationsunterstützung (Stahl, 2018). Inwiefern die ARV-Kommunikation im Rahmen des Kommunikationsmanagements verortet ist und dementsprechend durch die Kommunikationsverantwortlichen oder auch externe Kommunikationsberater verantwortet wird, soll analysiert werden.
Autoritative Ressourcen konstituieren jedoch nicht nur unternehmensintern das Handlungsvermögen der Akteure. Faktoren wie ein positives Image und Glaubwürdigkeit oder gute Beziehungen zu Stakeholdern verleihen Autorität auch in der Beziehung mit der Unternehmensumwelt (Zühlsdorf, 2002, S. 259). Aufsichtsratsvorsitzende können aufgrund ihrer vorherigen Positionen und Leistungen über das angesprochene positive Image bzw. Glaubwürdigkeit verfügen. Aus vorherigen Positionen können auch die guten Beziehungen zu Stakeholdern, wie Investoren oder Medienvertretern, stammen: Diese Ressource können sie entsprechend in ihre Position mit einbringen. Damit hängt die Fähigkeit zur Öffentlichkeitsmobilisierung zusammen, die sich sowohl auf Unternehmensthemen als auch auf gesellschaftspolitische Themen beziehen kann.
Schließlich gibt es Ressourcen, die sowohl als allokativ als auch als autoritativ bezeichnet werden können, dazu gehört die kommunikative Kompetenz. Zerfaß (2010, S. 189) versteht unter kommunikativer Kompetenz die „Fähigkeit, situativ geeignete Kommunikationsschemata zu aktualisieren“. Allokative Kommunikationsressourcen sind demnach die materiellen Voraussetzungen von Mitteilungs- und Verstehenshandlungen, worunter vor allem physische Fähigkeiten, wie etwa die Artikulationsfähigkeit oder Atemtechnik fallen. Die autoritativen Kommunikationsressourcen umfassen dagegen die sozialen Fertigkeiten, die einen Akteur in die Lage versetzen, situativ adäquat zu kommunizieren. Weiterhin unterscheidet Zerfaß (2010, S. 190–192) drei Gruppen von kommunikativen Kompetenzen, die es Kommunikatoren und Unternehmen ermöglichen, in einen Dialog mit ihren internen und externen Stakeholdern zu treten und dadurch ihr unternehmerisches Handeln zu legitimieren:
Aktive Kommunikationskompetenz beinhaltet u. a. Kenntnisse für eine (argumentative) Gesprächsführung, aber auch den Umgang mit verschiedenen Kommunikationsmedien. Weiterhin gehört dazu, spezifische Sprach- oder Gestaltungsformen, etwa aus dem Journalismus, zu beherrschen.
Wahrnehmungskompetenz bezeichnet dagegen die Fähigkeit, bewusst zuzuhören, sich in Andere hineinversetzen zu können sowie emotionale Äußerungen von Sachargumenten abgrenzen zu können. Auch das Gespür für die verschiedenen Spielarten nonverbaler Kommunikation gehören dazu.
Unter Kooperationskompetenz wird schließlich die Fähigkeit verstanden, eine gemeinsame Kommunikation herzustellen und dabei auf den Gesprächspartner einzugehen.
Ressourcen unterscheiden sich jedoch in einigen Gesichtspunkten. Nur einige Ressourcen sind tausch- und übertragbar, wie ein Budget oder der Zugang zu Informationen. Andere Ressourcen, wie Entscheidungskompetenz, sind an die Position gebunden und verlieren ihren Tauschwert, wenn ein anderer Akteur sie nutzen wollte. Bestimmte Ressourcen können auch an den Akteur gebunden sein, wie Image oder Glaubwürdigkeit, sodass sie in ein neues Amt mit eingebracht werden.
Aufbauend auf diesen Überlegungen wird die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Folgenden in Hinblick auf soziale Praxis, d. h. regelmäßig wiederkehrende, routinisierte Handlungsmuster analysiert. Diese können einerseits bewusst und reflexiv auf Basis vorangegangener Erfahrungen erfolgen und andererseits strukturell geprägt sein. Daher wird interessant sein, welche Strukturelemente sich ermöglichend oder einschränkend auswirken. Denn Strukturen werden durch Handlungen fortlaufend reproduziert und ggf. modifiziert. Mithilfe des Analyserahmens kann die soziale Praxis der ARV-Kommunikation im empirischen Teil der Arbeit untersucht und strukturiert dargestellt werden.
5.5 Forschungsfragen
Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden wird im Rahmen dieser Arbeit erstmalig theoretisch als auch empirisch umfassend untersucht. Die vorherigen theoretischen Ausführungen aus der juristischen und betriebswirtschaftlichen Corporate-Governance- sowie kommunikationswissenschaftlichen Forschung bilden die Grundlage für die folgende empirische Untersuchung. Der Untersuchungsgegenstand wird dabei aus der externen Perspektive sowie der internen Unternehmensperspektive analysiert. Im Folgenden werden die Forschungsfragen für die empirische Untersuchung erneut vorgestellt sowie die Unterfragen aus den bisherigen Erkenntnissen abgeleitet.
Externe Perspektive
Der Wandel des empirischen Phänomens der ARV-Kommunikation zeigt sich in der Medienberichterstattung sowie der Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK. Daher soll aus externer Perspektive zunächst untersucht werden, wie die öffentliche Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in den beiden vorgestellten externen Öffentlichkeitsarenen rezipiert wird. In der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit sind Medien und in der Kapitalmarktöffentlichkeit Wirtschaftsmedien und Analysten die zentralen Vermittler. Es wird daher untersucht, inwiefern diese Akteure in ihren Handlungen, also Medienberichten und Analystenreports, über die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden berichtet haben. Durch die Analyse der Jahre 2016 und 2017 soll gezeigt werden, ob es zu einer Veränderung in der Berichterstattung gekommen ist, schließlich fällt in diesen Zeitraum auch die regulatorische Änderung des Investorendialogs im DCGK.
Aus der Corporate-Governance-Forschung wurden die verschiedenen Publizitätspflichten des Aufsichtsrats dargestellt (Abschnitt 5.1.2). Darüber hinaus wurde aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive gezeigt, dass die Kommunikation mit der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit eine freiwillige Maßnahme der ARV-Kommunikation darstellt (Abschnitt 5.1.3). Daher soll in einer Unterforschungsfrage gezeigt werden, ob es sich bei den Berichten um Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen der Publizitätspflichten oder um eine freiwillige Kommunikation handelt.
Zudem soll als weitere Unterforschungsfrage untersucht werden, inwiefern die verschiedenen Aufgaben der Aufsichtsratstätigkeit (Abschnitt 3.2) als Themen in der Berichterstattung aufgenommen werden. Dabei soll auch gezeigt werden, ob sich die Berichte auf die ARV-Kommunikation als Teil der Regelkommunikation des Unternehmens beziehen oder eine Sondersituation den Anlass für die Berichterstattung gab und welche Themen dabei aufgegriffen werden.
Forschungsfrage 1: Wie wurde in den Jahren 2016 und 2017 in deutschen Tages- und Wirtschaftsmedien und Analystenreports über Aufsichtsratsvorsitzende berichtet?
Unterforschungsfragen
Handelt es sich in den Berichten um Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen der Publizitätspflichten oder um eine freiwillige Kommunikation?
Zu welchen Anlässen und Themen wurde berichtet?
Indem die Berichterstattung in Tages- und Wirtschaftszeitungen sowie Analystenreports hinsichtlich der Art der Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie der Anlässe und Themen der Berichterstattung analysiert wird, soll gezeigt werden, wie Themen des Aufsichtsrats zu Diskursen in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit sowie der Kapitalmarktöffentlichkeit werden. Auf dieser Basis soll gezeigt werden, wie die öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden von den wichtigen Intermediären in den beiden relevanten Öffentlichkeitsarenen rezipiert werden. Insgesamt soll damit verdeutlicht werden, welche Bedeutung Corporate-Governance-Themen für die Intermediäre in diesen beiden Öffentlichkeitsarenen haben, denn diese Themen liegen im Aufgabenbereich des Aufsichtsratsgremiums – und daraus folgt eine Relevanz der ARV-Kommunikation. Durch die Relevanz von Corporate-Governance-Themen in den Öffentlichkeitsarenen und damit zusammenhängenden Informationsbedürfnissen der Intermediären können (unerkannte) Handlungsbedingungen für die ARV-Kommunikation entstehen. Um diese Handlungsbedingungen tiefergehend verstehen zu können, sollen dann in Ergänzung dazu die Erwartungen von relevanten externen Stakeholdern an die ARV-Kommunikation auf Basis von Experteninterviews identifiziert werden.
Aus der Principal-Agent- und Stewardship-Theorie lassen sich erste Ansätze, wie Transparenz, hinsichtlich der Erwartungen der Anteilseigner an die Aufsichtsratstätigkeit ableiten (Abschnitt 3.1), die konkreten Erwartungen an die ARV-Kommunikation sind bislang jedoch noch nicht untersucht worden. Die Überwachungstätigkeit sowie Nachhaltigkeitsthemen können jedoch auch bei weiteren Anspruchsgruppen beider Öffentlichkeitsarenen zu Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden führen. Daher soll anhand einer Unterforschungsfrage analysiert werden, wie sich die Erwartungen der Stakeholder an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden differenzieren lassen.
Die Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK stellt die Grundlage für Investoren dar, normative Erwartungen an die ARV-Kommunikation zu stellen (Abschnitt 5.1.2). Da sich der Untersuchungsgegenstand im Wandel befindet, wird darüber hinaus in einer Unterforschungsfrage analysiert werden, inwiefern sich die Erwartungen an die ARV-Kommunikation verändert haben.
Forschungsfrage 2: Welche Erwartungen haben Stakeholder an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden?
Unterforschungsfragen
Wie lassen sich die Erwartungen der Stakeholder an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden differenzieren?
Inwiefern ist es zu einer veränderten Erwartungshaltung an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden gekommen?
Die Erwartungen der Stakeholder an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden können ebenfalls zu (unerkannten) Handlungsbedingungen für die Akteure in den Unternehmen werden. Daraus können Anforderungen an die ARV-Kommunikation abgeleitet werden, die einen Einfluss auf die Strukturen nehmen, wenn sie eine kritische Schwelle erreichen. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn sich die Erwartungen dynamisch verändern, wie es im Falle der ARV-Kommunikation gezeigt werden soll.
Zusammenfassend soll durch die Kombination der beiden Analysen gezeigt werden, wie die Rezeption der öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden und die Erwartungen der Stakeholder zu Anforderungen an die ARV-Kommunikation werden.
Interne Perspektive
Aus interner Perspektive soll die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden analysiert werden. Dafür sollen im ersten Schritt die Strukturen der ARV-Kommunikation konzeptualisiert und die Bandbreite der Maßnahmen umfassend dargestellt werden. Dies bildet die Basis dafür im zweiten Schritt die Einbindung der Kommunikation im Rahmen des Kommunikationsmanagements verorten zu können.
Um ein Verständnis für die interne Perspektive zu erhalten, wurden zunächst die Akteure der Unternehmensöffentlichkeit etabliert (Abschnitt 4.1.3). Die Corporate-Governance-Forschung beschäftigt sich zwar mit den Aufgaben und Funktionen des Aufsichtsratsgremiums (Abschnitt 3.2), die Strukturen für die Kommunikation des Gremiums bzw. von Aufsichtsratsvorsitzenden sind bisher jedoch nicht untersucht worden. Innerhalb des Unternehmens beziehen sich Aufsichtsratsvorsitzende und Kommunikationsfunktionen in ihren Handlungen auf Strukturen, die sie gleichzeitig auch reproduzieren oder modifizieren. Auf Basis von Experteninterviews mit Unternehmensakteuren sollen daher die typischen Handlungsmuster identifiziert werden, um damit der Forschungsfrage nachzugehen, was die Strukturen und Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden sind. Dafür wurde in Abschnitt 5.4 basierend auf den theoretischen Erkenntnissen ein Analyserahmen konzipiert, mit dessen Hilfe die Strukturen die ARV-Kommunikation innerhalb des Unternehmens sowie mit externen Stakeholdern konzeptualisiert werden soll.
Zudem beschäftigt sich die Corporate-Governance-Forschung nur am Rande mit der Informationsversorgung des Aufsichtsrats sowie dessen Publizitätspflichten. Mit der Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK ist eine Kommunikationsmaßnahme der ARV-Kommunikation dazu gekommen, die auch einen Einfluss auf die Strukturen der Kommunikation haben kann. Daher wurden in Abschnitt 5.1 die Maßnahmen der ARV-Kommunikation aus theoretischer Sicht vorgestellt. Durch die empirische Analyse der internen und externen Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden soll gezeigt werden, wie sich diese Kommunikation charakterisieren lässt und was sie unterscheidet. Dabei soll auch empirisch gezeigt werden, mit welchen Anspruchsgruppen, wie oft und in welcher Form die ARV-Kommunikation stattfindet.
Basierend auf dem strukturationstheoretischen Analyserahmen der Strukturen sollen die Regeln und Ressourcen sowie auf Basis der bisherigen theoretischen Ausführungen die Kommunikationsmaßnahmen empirisch untersucht werden. Dabei handelt es sich um implizite, informelle Regeln, die sich durch das soziale Miteinander herausbilden und in der spezifischen Handlungssituation angepasst werden. Weiterhin sind Ressourcen in der Realität höchst unterschiedlich verteilt und müssen in der konkreten Handlung angewandt werden. Durch zwei Unterforschungsfragen soll daher die Regeln und Ressourcen sowie Kommunikationsmaßnahmen einerseits für die Kommunikation innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit und andererseits mit externen Anspruchsgruppen dargestellt werden.
Forschungsfrage 3: Was sind Strukturen und Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden?
Unterforschungsfragen
Was sind die Regeln und Ressourcen sowie Maßnahmen bei der unternehmensinternen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden?
Was sind Regeln und Ressourcen sowie Maßnahmen bei der externen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden?
Aus dieser Basis kann dann aus interner Perspektive das Management der ARV-Kommunikation untersucht werden. Aufsichtsratsvorsitzende wurden auf Basis der Kommunikatorforschung als neue Kommunikatoren für das Unternehmen verortet (Abschnitt 4.3). Im Rahmen der vierten Forschungsfrage soll daher empirisch überprüft werden, wie sich das Kommunikationsmanagement für Aufsichtsratsvorsitzende verorten lässt.
Da es sich um einen neuen Kommunikator handelt, soll anhand einer Unterforschungsfrage zunächst geklärt werden, wer das Kommunikationsmanagement für die ARV-Kommunikation verantwortet. Dies überschneidet sich mit der Phase der Organisation des Kommunikationsmanagements, indem die Rolle der Investor- Relations- und Public-Relations-Abteilungen bei der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden kritisch diskutiert wird.
Die theoretischen Ausführungen zum Kommunikationsmanagement haben gezeigt, dass die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden anders charakterisiert werden muss, da sich die Ziele nicht wie im bisherigen Verständnis der Kommunikationsmanagement-Forschung aus der Unternehmensstrategie ableiten lassen. Aus den Aufgaben des Aufsichtsrats wurden daher theoretisch Ziele für die ARV-Kommunikation abgeleitet (Abschnitt 5.2). Auf Basis soll in einer Unterforschungsfrage untersucht werden, welche Ziele bei der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden verfolgt werden.
Schließlich soll anhand der vorgestellten Phasen des Kommunikationsmanagements (Abschnitt 4.2) empirisch überprüft und diskutiert werden, inwiefern es bereits ein Kommunikationsmanagement für die ARV-Kommunikation gibt.
Forschungsfrage 4: Wie lässt sich die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Kommunikationsmanagement verorten?
Unterforschungsfragen
Wer verantwortet das Kommunikationsmanagement für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden?
Welche Ziele werden bei der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden verfolgt?
Inwiefern gibt es ein Kommunikationsmanagement für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden?
Nachdem die Forschungsfragen aus den theoretischen Ausführungen abgeleitet wurden, soll als Nächstes die methodische Vorgehensweise erläutert werden, um das Phänomen der ARV-Kommunikation erstmalig empirisch darstellen zu können.
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Diederichs & Kißler (2008) und Grothe (2006) zeigen, dass die Informationsversorgung überwiegend noch nicht den aktuellen Anforderungen entspricht und ein tradiertes Überwachungsverständnis des Aufsichtsrats widerspiegelt.