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2001 | Book

Die politische Deutungskultur im Spiegel des „Historikerstreits“

What’s right? What’s left?

Author: Steffen Kailitz

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Table of Contents

Frontmatter
I. Einleitung
Zusammenfassung
Den Begriff „Historikerstreit“ prägte vermutlich der Journalist Hermann Rudolph anläßlich einer Bilanz der ersten Phase der geschichtspolitischen Kontroverse 1986/88.1 Er machte bald - national und international - die Runde. Aus Pragmatismus halte ich an ihm fest, obwohl er aus drei Gründen irreführend erscheint: 1. An der Debatte beteiligten sich keineswegs nur Historiker, sondern Intellektuelle verschiedener Berufssparten; 2. Die Benennung ist nicht eindeutig, da es mehr als einen „Historikerstreit“ in der Geschichte der Bundesrepublik gab. So sorgte unter anderem die Kontroverse um die Thesen Fritz Fischers zur Rolle Deutschlands vor und im Ersten Weltkrieg für großes Aufsehen.2 3. Es handelt sich bei der Auseinandersetzung weniger um eine geschichtswissenschaftliche, als vielmehr um eine politische.
Steffen Kailitz
II. Ein Streit zwischen Scientific und Political Correctness
Zusammenfassung
Viele linke Intellektuelle waren nach dem Regierungsantritt der CDU/CSU-FDP-Koalition 1982 verunsichert, zumal auch in anderen westlichen Demokratien ein gewisser Rechtsruck festzustellen war, vor allem unter der Führung von Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA.1 Dazu trug auch das vollmundige Ausrufen einer „geistig-moralischen Wende“ durch rechtsdemokratische Intellektuelle und Politiker der Bundesrepublik bei.2 Sie standen damit in der Tradition der von rechten Intellektuellen bereits in den siebziger Jahren eingeläuteten „Tendenzwende“.3 Ein Teil der rechten Demokraten beklagte indes bald das Ausbleiben einer „Wende“.4
Steffen Kailitz
III. Staatsräson bei linken und rechten Demokraten
Zusammenfassung
In den fünfziger Jahren standen die Sozialdemokraten der politischen Einbindung in den Westen ablehnend gegenüber, weil sie befürchteten, dadurch werde die Tür zur deutschen Einheit verriegelt. Die deutsche Teilung galt als unnormal und schmerzhaft. In den achtziger Jahren deutete die Mehrheit des Spektrums die Teilung dagegen als normal, gar geschichdich notwendig um. Für sozialdemokratische Intellektuelle wie Wolfgang Mommsen und Rudolf von Thadden galt die Phase des konsolidierten Nationalstaats letztlich nur als eine „Episode“1 deutscher Geschichte. Gemeingut linksdemokratischer Deutungen zur deutschen Einheit war es, die Teilung als „Erbe des NS-Regimes“2 und seiner Verbrechen anzusehen.3 Heinrich August Winkler folgerte aus der Schuld Deutschlands an der Entstehung der beiden Weltkriege, Europa könne und die Deutschen sollten ein neues Deutsches Reich, einen „souveränen Nationalstaat, nicht mehr wollen“. Das sei die „Logik der Geschichte“.4
Steffen Kailitz
IV. Geschichtsdeutungen bei linken und rechten Demokraten
Zusammenfassung
Im Kaiserreich war der SonderwegbegrifF meist positiv besetzt. Rechtsextremistische, zum Teil aber auch liberalkonservative Denker betonten die deutsche Einzigartigkeit und die Besonderheit des deutschen Schicksals. Als negativer Bezugspunkt galten die wesdichen Demokratien. Sozialdemokraten gingen bereits damals in Opposition zur vorherrschenden Ansicht von einer deutschen Fehlentwicklung aus. Eine Zuspitzung der Argumentation der Befürworter eines deutschen Sonderwegs brachte der von vielen als ein Kampf der Kulturen angesehene Erste Weltkrieg. Die Anhänger der „Ideen von 1914“ glaubten vor allem im politischen Bereich unüberbrückbare Unterschiede zwischen Deutschland und Großbritannien zu erkennen.1 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Pluszeichen vor dem Sonderwegbegriff durch ein Minuszeichen ersetzt. Das Vorbild waren nun die westlichen Demokratien, das Schreckbild das Dritte Reich als düsteres Ende eines deutschen Irrwegs. Die Impulse für die Deutung deutscher Geschichte als Sonderweg gingen von Werken der amerikanischen Sozialwissenschaft aus, in denen von einer Abweichung Deutschlands von den westlichen Normen die Rede war.2
Steffen Kailitz
V. Staatsräson und Geschichtsdeutungen bei Radikalen und Extremisten von links und rechts
Zusammenfassung
Die Spaltung Deutschlands war für Reinhard Kühnl von den Westmächten, besonders den USA, wie den durch diese eingesetzten alten Führungsschichten angestrebt und durchgesetzt worden. Die verbreitete Parole „Freiheit vor Einheit” habe im Klartext bedeutet: besser ein geteiltes, aber „kapitalistisches” Deutschland als ein geeintes mit neutralem Status und Entwicklungsmöglichkeiten in Richtung Sozialismus. Wegen der Zurückweisung sämdicher Angebote der DDR auf Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaats durch die Bundesrepublik habe die DDR 1974 das Ziel eines vereinten Deutschlands notgedrungen aufgegeben. Dieser Aufgabe des Ziels der deutschen Einheit folgte Kühnl implizit, auch wenn zwischen den Zeilen seine andauernde Vorliebe für ein geeintes Deutschland unter sozialistischen Vorzeichen deutlich wurde.1 Lobte Kühnl das Einheitsstreben der DDR, galt ihm jenes der Bundesrepublik als „verlogen”.2 Als Motiv galt ihm nicht ein Gefühl nationaler Verbundenheit mit den Ostdeutschen, sondern der Haß auf das kommunistische System. Für Wolfgang Fritz Haug war aus dieser Perspektive jegliche Bestrebung, die „Geschichte seit 1917” zu revidieren, inklusive einer „Wiedervereinigung unter wesdich-kapitalistischen Vorzeichen” eine „bedrohliche Illusion der herrschenden Klassen”.3
Steffen Kailitz
VI. Schlußbetrachtung
Zusammenfassung
Die Deutungskultur der Bundesrepublik Deutschland ist demokratisch. Keiner intellektuellen Gruppe wird von staatlicher Seite das Recht streitig gemacht, ihre Deutungen zu propagieren, so lange keine Strafgesetze verletzt werden. Eine Einschränkung der Deutungen stellt allerdings das sogenannte „Auschwitz-Gesetz“ dar, der Paragraph 194 Absatz 2 des Strafgesetzbuches. Damit wird die Leugnung, mit der Verschärfung von 1994 auch die Verharmlosung des Genozids an den Juden unter Strafe gestellt. Die Zugangschancen zu den politisch-kulturellen Debatten sind für Kontrahenten unterschiedlicher Ausrichtung grundsätzlich gewährleistet. Vom Idealtypus einer demokratischen politischen Kultur, in der keine Tabuzonen und Sanktionen das Deuten begrenzen, weicht der Realtypus Bundesrepublik erheblich ab. Es ist allerdings in Erinnerung zu behalten: Eine idealtypische demokratische politischen Kultur könnte möglicherweise nicht den Zusammenhalt der politischen Gemeinschaft und die Berechenbarkeit nach innen und außen gewährleisten. Ein Minimalkonsens der Demokraten erscheint daher erforderlich, um antidemokratischen Bestrebungen von Extremisten nicht Tür und Tor zu öffnen. Zu diesem Konsens sollte die Bejahung und Verteidigung der konstitutiven Elemente des demokratischen Verfassungsstaats (u.a. Achtung der Menschenrechte, die Gewaltenteilung, der Pluralismus und das Prinzip der Volkssouveränität) gehören.
Steffen Kailitz
VII. Literaturverzeichnis
Steffen Kailitz
Backmatter
Metadata
Title
Die politische Deutungskultur im Spiegel des „Historikerstreits“
Author
Steffen Kailitz
Copyright Year
2001
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-83371-6
Print ISBN
978-3-531-13701-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-83371-6