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1999 | OriginalPaper | Chapter

Die Spur des Internetflaneurs — Elektronische Gästebücher als neue Kommunikationsform

Author : Hajo Diekmannshenke

Published in: Soziales im Netz

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Das Internet gilt als die Domäne der Jungen, Dynamischen, Erfolgreichen. Dementsprechend ist das Surfen die dem Internet und seinen Nutzerinnen angemessene Fortbewegungsart. schnell, dynamisch. risikofreudig, eben Ausdruck eines ‘modernen’ Lebensgefühls und Beweis der sicheren Beherrschung eines neuen Mediums. Schnelligkeit. Zielgerichtetheit und erfolgreiches Spiel mit diesem Medium (als Stellvertreter des ‘natürlichen’ Elements) sind denn auch zwei wichtige Charakteristika, die immer wieder genannt werden, wenn vom Internet die Rede ist. Dies ist unzweifelbar zutreffend, und doch zeigt sich daneben noch ein anderer Trend, der als eine Art Gegenbewegung betrachtet werden kann: das (mitunter ziellose) Flanieren durch die riesige Welt der Daten. Ort und Ausdruck dieser Wiederbelebung einer alten und schon überholt geglaubten Fortbewegungsart ist eine Internet-Textsorte, die bei den meisten auf den ersten Blick vielleicht nur als Relikt einer Zeit vortechnischer Handschriftlichkeit angesehen wird — das elektronische Gästebuch. Doch ein Blick ins Netz fördert Erstaunliches zutage: Recherchen mittels der großen Suchmaschinen Yahoo und Alta Vista förderten Mitte August 1998 unter dem Stichwort Gästebuch 55.546 und unter ‘Guestbook’ 7.373.090 Dokumente zutage. Die Liste derjenigen Seiten, auf denen man Gästebücher findet, ist lang und oft überraschend: Einzelpersonen, Schulen, Sport- und sonstige Vereine. Bibliotheken, Fanclubs, das Mütterzentrum Karlsruhe, Pfadfinder, Rollenspiel-Gruppen, Zoologische Gärten, Wirtshäuser, Sender, Zeitungen und Zeitschriften, Behörden, Städte, Parteien, Tagungen, Jahrmärkte, Museen, Umweltorganisationen, Anbieter für Haustierbedarf, Anbieter ganz spezieller — vielfach in der öffentlichen Meinung als internettypisch angesehener — ‘Dienste’, Banken, Naturkostläden u.v.a.m. bieten ihren Besuchern die Möglichkeit zum Eintrag. Und ein erster Blick in diese Gästebücher zeigt nicht minder Überraschendes. Elektronische Gästebücher erfreuen sich eines überaus starken Zuspruchs durch die Userinnen und weisen vielfach eine hohe Zahl an Einträgen auf. Zugleich präsentieren sie sich als Ort einer neuen, bislang noch nicht recht zur Kenntnis genommenen Kommunikationsform im Internet, neben den inzwischen schon vielfach analysierten Kommunikationsformen E-Mail, Chat,Diskussionsforum, News-Group und Mailing-List. So stellt sich denn die Frage, welches die Gründe für diese Beliebtheit sind. Um einer Lösung auf die Spur zu kommen, soll im Folgenden zuerst ein kurzer Blick auf die Strukturmerkmale traditioneller Gästebücher geworfen werden, um anschließend Gemeinsamkeiten und Unterschiede der elektronischen Vertreter herauszuarbeiten. Weiterhin soll gezeigt werden, dass die Gästebucheinträge einer Vielfalt von Handlungstypen folgen, die zu einem beträchtlichen Teil dazu dienen, sich im Internet zu präsentieren, Kontakte zu knüpfen, private Kontakte öffentlich zu pflegen, zu klatschen und zu tratschen und vieles andere mehr, und zudem einen Typus von User herausbildet, der nicht mehr Gast im traditionellen Verständnis ist, sondern sich als Internetflaneur erweist.

Metadata
Title
Die Spur des Internetflaneurs — Elektronische Gästebücher als neue Kommunikationsform
Author
Hajo Diekmannshenke
Copyright Year
1999
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-90768-4_7